Photographia Obscura von Lianait (Hidden Skies) ================================================================================ [01] ---- Nervös trat Layla von einem Fuß auf den anderen und wrang die Hände ineinander. Sie war drauf und dran 'Ohneinohneinohneinohnein' vor sich herzuwimmern. „Es wird schon alles gut gehen“, meinte Aerona neben ihr. „Da bin ich mir nicht so sicher“, murmelte Layla und sah sich unsicher in der Menge um. Heute war der Tag der Tage, vor dem sie sich eine halbe Ewigkeit schon gefürchtet hatte. Der Tag, an dem Thilons Städtischer Naturwissenschaftskontest stattfand. Die Jahre zuvor hatte sie Aero lediglich hierzu begleitet, doch es war das erste Mal, dass sie selbst daran teilnahm, nachdem sie von ihrem Chemielehrer für ihr Schulteam vorgeschlagen worden war. Sie hatte gerade Mühe und Not, nicht zu hyperventilieren. „Layla.“ Aero legte ihr eine Hand auf die Schulter und drehte sie zu sich um, sodass sie ihr fest in die Augen sehen konnte. Aeros Augen waren immer wieder verblüffend, eine regelrecht leuchtende Mischung aus Blau und Grün, die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Aber niemand starrte Aero lange deswegen an, denn wenn sie zurückstarrte – was sie ziemlich oft tat – hatten die Menschen die Tendenz schnell den Blick zu senken. Doch es war nicht Aeros Blick, der sie aus ihrer sich im Kreis nach oben schraubenden Panik riss, sondern die Tatsache, dass sie Layla angefasst hatte. Normalerweise mochte es Aero wirklich nicht sonderlich, andere Menschen zu berühren, oder von ihnen berührt zu werden. „Layla“, wiederholte Aero. „Du packst das.“ „Du bist wirklich, wirklich gut in Chemie und hast dein eigenes Fotolabor im Keller“, pflichtete Cathal ihr bei. Er legte ihr aufmunternd eine Hand auf ihre andere Schulter und lächelte sie an. Augenblicklich hörte sie um sich, wie in mehrere Kehlen scharf Luft eingesogen wurde und sie machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Cathal war Aeros jüngerer Bruder und besuchte dieselbe Schule wie die beiden. Er hatte auch schon einmal an dem Kontest teilgenommen, doch hatte sie heute nur als seelischer Unterstützer begleitet. Aufgrund der Tatsache, dass Aeros und Laylas Väter seit Jahren arbeitstechnishc Partner waren, waren Aero, Cathal und Layla regelrecht gemeinsam aufgewachsen. „Du hast leicht reden, Aero“, entgegnete Layla. „Du bist jetzt schon zum vierten Mal Erste in Mechanik geworden.“ Aero hatte nicht nur ein nahezu ungesundes Interesse an Mechanik – sie war auch brillant darin. Wie in so vielen anderen Dingen. „Und Cath...“, wandte sie sich an Aeros Bruder. „Es hilft leider wirklich nicht, dass dein Fanclub dir gefolgt ist und jedes weibliche Wesen schon mit Blicken erdolcht wird, wenn es nur in einem Umkreis von drei Metern von dir steht. Für Aero ist es vielleicht anders, weil man schon von weitem sehen kann, dass ihr miteinander verwandt sein müsst, aber...“ Layla ließ vielsagend ihre angehaltene Luft aus. Aber es stimmte; wenn Aero und Cathal so nebeneinander standen, besonders wenn sie auch noch dieselbe Schuluniform trugen, konnte man sie glatt für Zwillinge halten. Dieselbe durchdringende Augenfarbe und dieselben blonden Haare. Seit Cathal die Pubertät erreicht und er den Größenunterschied mehr als nur wett gemacht hatte, kamen Außenstehende seltener auf die Idee, dass Aero zwei Jahre älter als ihr Bruder war. „Ich hätte mich wirklich nicht dazu überreden lassen sollen“, murrte er finster vor sich her, aber sah Layla nicht dabei ein, sondern an ihr vorbei. Cathal und Aero sahen sich nicht nur äußerlich unglaublich ähnlich, sondern hatten auch sehr ähnliche Interessen; Mechanik, Fechten und Musik maßgeblich. Aber während Aero ihre Geige so gut wie nie vor anderen spielte, war Cathal offener mit seinem, ja, Talent. Zu Cathals besten Freunden gehörten ein weibliches Idol, mit der er schon lange bevor sie entdeckt worden war, befreundet gewesen war. Auf ihren Alben hatte er immer bei den Hidden Tracks mitgewirkt und für eine geraume Weile war seine Identität nicht bekannt gewesen, bis er sich vor kurzen hatte überreden lassen, in einem ihrer Musikvideos mit dabei zu sein. Nun ja, der Rest sollte selbsterklärend sein: Gutaussehender Schülersprecher, der sportlich, intelligent und zufällig auch noch mehr als nur passabel singen konnte – er hatte eine Menge Mädchen, die ihm nachliefen. Es wurde auch dadurch nicht besser, dass sich ihre Schule, die Trebilam Akademie, einen Campus mit einer reinen Mädchenschule teilte. „Cath, du bist ein großartiger Kerl, der das alles verdient hat, aber–“ „Ich hab verdient, dass man mir aufs Jungenklo folgt, wenn ich da mal ganz dringend hin muss?“, unterbrach er sie mit hochgezogenen Augenbrauen, aber er war nicht verärgert. „Naja, das vielleicht nicht, das ist seltsam“, entgegnete Layla. Cathal schmunzelte weiterhin. „Was wünschst du Leuten an den Hals, die du nicht leiden kannst?!“ Layla musste tatsächlich grinsen. „Du weißt, was ich eigentlich meinte.“ „Ja, aber das ist weniger amüsant.“ Er zuckte nonchalant mit den Schultern, ehe sein Grinsen wieder hervorkam. „Nichtsdestotrotz brauche ich jetzt ein bisschen frische Luft“, meinte Layla schließlich. Sie fühlte sich wirklich ein wenig besser, aber es waren selbst für ihren Geschmack gerade einfach zu viele Menschen auf einem Fleck, sodass sie das Gefühl hatte, nicht atmen zu können, ohne dass am anderen Ende des Raumes nicht jemand aufgrund eines akuten Sauerstoffdefizits umkippte. „Sei vorsichtig, dass du nicht in seine Fangirls rennst“, sagte Aero und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung ihres Bruders. „Soll ich dich vielleicht begleiten?“ „Willst du dich wirklich durch die Menschenmenge drängen?“, fragte Layla. Aero zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich, aber wenn du einen Bodyguard brauchen solltest...“ „Ach, ich kann mich schon noch ein paar pubertierender Mädchen erwehren“, entgegnete Layla und machte rückwärts ein paar Schritte auf den Ausgang zu. „Schlägereien auf Schulgrund kann ich nicht gutheißen“, warf Cathal ein. „Und wenn sie anfangen?“ „Na, das ist ja was vollkommen anderes...“ Er machte eine abwinkende Bewegung und grinste Layla dann an. Layla musste lachen und verschwand in der Menge. Constantin hielt neben ihm sein Siegesbändchen außerordentlich glücklich in den Händen. Währenddessen ließ Killian seinen Blick über die Menge gleiten. Auch wenn mehrere Teams ihn gefragt hatten, hatte er sich dazu entschieden, dieses Jahr nicht am Naturwissenschaftskontest teilzunehmen, aber er hatte seine beiden Freunde Moira und Constantin hierher begleitet. Constantin hatte in der Kategorie Chemie teilgenommen und seine Finalgegner von der Trebilam-Akademie waren überraschend gut gewesen. Trebilam war eine staatliche Schule und eigentlich eher bekannt für ihre starken Sportclubs, doch im Chemie-Finale hatten sie dieses Mal nur verloren, weil eines ihrer Teammitglieder abgelenkt gewesen war. Moira hingegen war in der Kategorie Mechanik angetreten und hatte den zweiten Platz mit ihrem Team errungen. Überraschenderweise ebenfalls gegen Trebilam. Allerdings schien sie mit diesem Platz ebenso glücklich wie Constantin mit seinem ersten. Killians Blick war an einem Pulk von Menschen hängen geblieben, hauptsächlich Mädchen, die sich nicht gerade leise um etwas gescharrt hatten. Erst nach genauerem Hinsehen hatte er erkannt, dass diese Mädchen einen Jungen zu belagern schien, von dem Killian nach flüchtiger Überlegung glaubte, dass es sich um ein Idol handelte; zumindest hatte er den Jungen schon einmal irgendwo gesehen. Der Junge versuchte sich höflich der Menge zu erwehren, doch so ganz wollte es ihm nicht gelingen, sich loseisen zu können. Ein wenig amüsiert beobachte Killian das Ganze, als ihm zwei Mädchen, die etwas abseits standen, auffielen; eins mit roten, das andere mit blonden Haaren. Er konnte sich sogar noch an beide erinnern und dass sie beide Trebilam besuchten; das rothaarige Mädchen war im Chemie-Team und diejenige gewesen, die abgelenkt gewesen war. Das blonde Mädchen hingegen war im Mechanik-Team gewesen und hatte den ersten Platz gegen Moiras Team errungen. Er hatte das blonde Mädchen schon definitiv einmal gesehen, aber er hatte bei der Vorstellung des Teams nicht auf ihren Namen geachtet und sie erst während des Wettstreites wiedererkannt. Das seltsamste war, dass beide Mädchen in ihre Richtung schauten. Obwohl zumindest das blonde Mädchen von dem Tumult genervt zu sein schien. „Moira?“, fragte Killian schließlich, ohne den Blick von den Mädchen abzuwenden. „Das Mädchen da drüben war doch in deinem gegnerischen Team, oder? Ich weiß, ich kenne sie irgendwoher, aber ich weiß nicht woher.“ „Hm?“ Moira sah ein bisschen verwirrt zu ihm auf und folgte dann seinem Blick. „Oh, ja. Sie ist im Mechanikbereich so ziemlich der unangefochtene Champion“, erklärte Moira. „Wenn sie teilnimmt, wird eigentlich nur noch um den zweiten Platz gekämpft, deswegen bin ich damit“ – Sie hob ihr Siegerband mit der Zahl zwei nach oben. – „eigentlich sehr zufrieden. Sie nimmt eigentlich immer für Trebilams Mechanik-Team teil, weswegen sie seit Jahren den Titel in Mechanik holen. Mein Großvater ist tatsächlich traurig, dass sie nicht auf Lincoln ist.“ Moiras Großvater, Jonathan Eldred, war ein bekannter Ingenieur und einer der Gründer der Lincoln School. „Vielleicht hast du sie schon mal in einem der Vorjahren hier gesehen? Im Mechanikbereich ist sie ziemlich berüchtigt.“ Moira zuckte mit den Schultern. „Hm“, machte Killian. Moiras Erklärung war logisch, aber Killian glaubte nicht so recht daran, dass es das war. Er hatte sie irgendwo anders schon einmal gesehen. „Oder du fragst sie selber, wo ihr euch schon einmal begegnet seid; ich glaube, sie kommt mit ihrer Freundin hier her“, fügte Moira mit einem Nicken in die Richtung des Tumultes hinzu. Tatsächlicherweise hatten die beiden Mädchen ihre Richtung eingeschlagen, allerdings hatte das rothaarige Mädchen die Führung übernommen. Das rothaarige Mädchen trat nicht nur auf ihre Gruppe zu, sondern sehr zielstrebig auf Constantin. Zuerst dachte Killian, sie wäre herübergekommen, um Constantin aufgrund seines Siegesbändchen blöd anzumachen, von wegen, dass er ja nur gewonnen hätte, weil sie abgelenkt gewesen war, doch das passte nicht so recht zu ihrem Gesichtsausdruck. Sie sah aus, als hätte sie zeitgleich einen Geist gesehen und ein Wunder beobachtet. „Du bist real“, sagte sie vollkommen verwirrenderweise. „Nicht nur in den Fotos...“ Constantin sah ebenso perplex aus. „Ähm, ja?“ „Oh, Entschuldigung, das muss jetzt wirklich sonderbar geklungen haben“, meinte sie. Das andere Mädchen war ihr nachgekommen und musterte Constantin kritisch. Als ihre Freundin dazu ansetzte, sicher noch weitere absonderliche Dinge zu sagen, unterbrach sie das blonde Mädchen. „Layla.“ Sie sprach leise, aber klar. Ihre Stimme war eine von diesen, die einen innehalten ließen. Das rothaarige Mädchen, offenbar 'Layla', drehte sich zu ihr um. „Hm?“ Das blonde Mädchen trat auf sie zu und legte ihre Hand an 'Laylas' Ellenbogen, wie um sie fortzuführen. „Mir gefällt das nicht. Lass uns gehen“, sagte sie leise und sah Constantin mit einem Blick an, der deutliches Bedenken zeigte. „Eh?!“ Vollkommen überrascht drehte sich 'Layla' zu ihrer Freundin um. „Irgendetwas ist seltsam an ihm. Lass uns gehen. Jetzt.“ Sie sprach leise, aber eindringlich. 'Layla' blickte das blonde Mädchen mit gerunzelter Stirn an und was sie sah, reichte wohl an stummer Konversation, denn sie ließ sich fortführen. Constantin stand nur mit offenem Mund da und schien Probleme damit zu haben, ihn wieder zu schließen. So langsam wurde das Ganze Killian allerdings zu bunt. Schnellen Schrittes schloss er zu den beiden Mädchen auf und griff nach dem Arm des blonden Mädchens. Sie hielt so abrupt inne, als hätte er sie geschlagen und nicht nur nach ihrer Hand gegriffen. Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn außerordentlich kühl an. Killian war so perplex von ihrer Augenfarbe, einem leuchtenden Türkis, das gerade unglaublich kalt wirkte, sodass er fast nicht hörte, was sie sagte, und beinahe vergaß, weswegen er ihnen überhaupt nachgegangen war. „Lass mich bitte los“, forderte sie und versuchte, ihm ihren Arm zu entziehen. „Sag mal, was stimmt denn bei euch nicht?!“, wollte er verärgert wissen und hatte nicht die geringste Absicht sie loszulassen, nur damit sie einfach weggehen konnte. „Ihr beide kommt zu uns, labert aus dem Blauen heraus unzusammenhängendes Zeug und bezeichnet dann meinen Freund als seltsam?! Hallo?!“ Sie versuchte ihm weiterhin ihren Arm zu entziehen, aber neben kalter Ärgernis befand sich noch etwas anderes innerem Blick, dass er nicht so recht zu deuten wusste. „Ich habe deinen Freund nicht als seltsam bezeichnet, sondern gesagt, dass etwas Seltsames an ihm ist. Lern den Unterschied und nun lass mich bitte los, ehe ich mich gezwungen sehe, dich anderweitig dazu zu bringen.“ Neben dem Ärger konnte er nun so etwas wie Panik in ihren Augen identifizieren und sie überraschte ihn so sehr, dass er sie tatsächlich losließ. Hatte er zu fest nach ihr gegriffen und ihr vielleicht ungewollt wehgetan? Augenblicklich nahm sie einen tiefen Atemzug. „Wir entschuldigen uns, euch gestört zu haben", sagte sie. Sie neigte leicht den Kopf in Moiras und Constantins Richtung und wandte sich dann komplett an Moira. „Ich fand dein Design sehr schön und wirklich gut. Meine Grüße auch an Keres; hoffentlich sehe ich sie beim nächsten Turnier. Einen schönen Tag noch und ich entschuldige mich noch einmal für die Unannehmlichkeiten.“ Sie neigte noch einmal leicht den Kopf und führte dann wieder ihre Freundin fort, die den Abtausch verwundert beobachtet hatte. Killian bedachte sie jedoch keines weiteren Blickes. Als er Keres' Namen aus dem Mund des Mädchens hörte, wusste er auch wieder vorher er sie kannte: Sie war der Kapitän von Trebilams Fechtclub. Keres war ein regelrechtes Fangirl , was das Mädchen betraf und hatte Killian schon einmal gezwungen, sie auf einen Wettkampf zu begleiten, an dem das blonde Mädchen teilgenommen hatte. Ihren Namen hatte er jedoch weiterhin erfolgreich verdrängt. „Why are you behaving this weirdly?“, hörte Killian 'Layla' noch ihrer Freundin auf Englisch zuflüstern. Offenbar gehörte sie zu Thilons englischsprachiger Population, wie auch Moira. „Don't you know me at all?“, entgegnete ihre Freundin nun ebenfalls auf Englisch. „'Weird' is my default setting.“ Killian sah den beiden Mädchen verwirrt hinterher. In der Tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)