Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 83: Sorge und Schuld ---------------------------- Charlie und Emma starrten sie beide an, als hätte sie plötzlich ihren Verstand verloren, aber das war Carina vollkommen gleichgültig. Ihr wurde gerade so einiges klar und eine Tatsache, die sie nicht leugnen konnte, fraß sich unwiderruflich in ihren Verstand. Das hier… diese ganze Situation… das ist allein meine Schuld! Samael hatte das hier geplant, von Anfang an und von langer Hand. Carina hatte keine Ahnung, wie er hatte vorhersehen können, dass sie genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein und diese Situation am gestrigen Tage miterleben würde, aber er hatte es irgendwie vorhergesehen. Sein Plan war vollkommen aufgegangen. Und Carina war darauf hereingefallen. „Er wusste es. Er hat ganz genau gewusst, dass ich niemals jemanden im Stich lassen würde, der Suizid begehen will.“ Was natürlich nicht wirklich verwunderlich war. Solange sie lebte, würde ihr dieses Thema immer nahe gehen. Immerhin war es das Ereignis in ihrem Leben gewesen, was sie auf ewig geprägt hatte; sie zu dem gemacht hatte, was sie heute war. „Cedric hat mich doch noch gewarnt. Er hat mich davor gewarnt, dass Dämonen mit ihren zukünftigen Opfern Spielchen spielen. Und ich Idiotin dachte wirklich, ich wäre schlau genug, um auf so etwas nicht reinzufallen.“ Sie fühlte sich dumm und gedemütigt. Aber das war in diesem Moment nicht einmal das Schlimmste. Nein, das Schlimmste war das erdrückende Gefühl der Schuld, die mit einem Mal schwer auf ihren Schultern lastete. Charlie und Emma… Für Samael waren sie lediglich ein Kollateralschaden, so viel war klar. Es war ihm egal, was er den beiden werdenden Eltern mit seinem Handeln antat. Die ganze Terrorisation, die er diesem jungen Mann in den vergangenen Tagen angetan hatte, hatte lediglich einem Ziel gedient. Und das war sie gewesen. Um ihr eins reinzuwürgen und ihr ziemlich deutlich vor Augen zu führen, wer hier am längeren Hebel saß. Er war ein noch größeres Schwein als Sebastian. „Das ist alles nur meine Schuld“, flüsterte sie und spürte ein scharfes Brennen in ihren Augenwinkeln. „Carina, du kannst nichts dafür“, erwiderte Grell und legte ihr von hinten beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Dämonen wollen, dass andere sich wegen ihrer Taten schuldig fühlen, das ist nun einmal ihre Natur. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass es hier nur einen Schuldigen gibt. Und das ist dieser dämliche Samael!“ „Könnte uns vielleicht mal jemand erklären, was hier gerade vor sich geht?“, fragte Emma und eine gewisse Spur von Zorn lag in ihrer Stimme. Nicht, dass Carina es ihr verübeln konnte. Sie selbst wäre auch nicht gerade begeistert, wenn sie an der Stelle der Schwangeren wäre. Der Schwangeren… Ein bitteres Lachen stieg in ihrer Kehle auf. Natürlich. Auch das spielte in Samaels Entscheidung mit rein, ausgerechnet die Sterlings für seine Pläne auszuwählen. Weil er gewusst hatte, dass es sie persönlich treffen würde, wenn eine werdende Mutter betroffen war. Sie fühlte sich von Minute zu Minute dümmer. Ihre blauen Augen richteten sich auf die grauen Emmas und auch dort konnte sie Wut und Unverständnis sehen. Carina seufzte gut vernehmlich. Scheinbar blieb ihr nun wirklich keine andere Wahl mehr, als mit der Sprache herauszurücken. „Na schön“, sagte sie. „Carina“, zischte Grell hinter ihr empört, doch die 19-Jährige drehte sich lediglich zu ihm um und schaute ihn ernst an. „Grell, ob nun schuldig oder nicht, aber ich habe das Ganze zu verantworten. Die beiden haben die Wahrheit verdient.“ „Du hast dich schon des Verrats strafbar gemacht, musst du denn jetzt wirklich noch weitere Regeln brechen?“ „Ich glaube kaum, dass das jetzt noch einen Unterschied macht“, entgegnete sie trocken. „Vor allen Dingen bist du nun wirklich der Letzte, der mich bezüglich der Regeln zurechtweisen sollte.“ „Undy wird das ebenfalls nicht gefallen“, warnte er sie und fuhr sich einmal seufzend durch die langen, roten Haare. „Noch einer, der so klein mit Hut sein sollte, wenn es um Regelverstöße geht“, antwortete sie kühl und spürte erneut eine gewisse Wut in sich aufsteigen. Cedric konnte ihr so oft den Hintern versohlen wie er wollte, niemals würde sie sich von ihm ihr Leben bestimmen lassen! „Na gut, wie du meinst. Aber wenn das am Ende schief gehen sollte, dann war es zumindest nicht meine Idee“, sagte Grell und hob abwehrend beide Hände. „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“, rief Charlie in diesem Moment verzweifelt aus und sah zwischen den beiden Fremden hin und her. Die junge Frau seufzte. „Teufel trifft es schon mal ganz gut“, sagte sie und der schwarzhaarige Mann konnte einfach nicht anders, er blinzelte. „Wie bitte?“ „Vielleicht solltest du dich besser setzen“, wandte sich Carina zuerst an Emma, die diesen Ratschlag auch tatsächlich befolgte und sich neben ihren Mann auf dem Bett niederließ. „Okay“, begann die Schnitterin zögerlich und atmete einmal tief ein. „Ich weiß, das klingt jetzt erst einmal unglaubwürdig, aber es gibt einen ganz bestimmten Grund, warum Grell und ich uns mit Selbstmord auskennen.“ Carina schaute ihren besten Freund bittend an, der alles andere als begeistert aussah, aber schließlich doch den Ärmel seines roten Mantels hochschob. Seinen schwarzen Handschuh zog er ein Stück hinunter, sodass die schmalen, verblassten Narben auf seinem Handgelenk deutlich zu sehen waren. Während Charlie langsam der Mund aufklappte, wurde Emma bleich. „Meine Narbe befindet sich hier“, fügte Carina erklärend hinzu und deutete auf ihr Herz. Sie konnte deutlich hören, wie die Brünette vor ihr schluckte. „Ihr… ihr habt ebenfalls versucht euch das Leben zu nehmen?“ Carina biss sich auf die Lippe. „Um ganz ehrlich zu sein, ist es nicht nur bei dem Versuch geblieben“, sagte sie schließlich leise und hoffte, dass die Schwangere verstand, was sie ihr damit sagen wollte. Emma verstand sie sogar scheinbar ziemlich gut, denn bereits zwei Sekunden später presste sie sich mit ihrem ganzen Körper gegen das Bettgestell und starrte ihre Gegenüber an, als wären sie die Pest höchstpersönlich. „W…wer oder was seid ihr?“, stammelte sie schließlich und begann in kürzeren Abständen zu atmen. „Emi, beruhige dich“, meinte Charlie in diesem Moment und wirkte in dieser Sekunde, in der er seiner Frau seine gesamte Aufmerksamkeit schenkte, zum allerersten Mal richtig klar im Kopf. Anscheinend hatte er sich gerade endlich daran erinnert, dass seine Frau schwanger war und sich nicht allzu sehr aufregen dürfte. „Wir sind die Wesen, die das Ergebnis eines erfolgreichen Selbstmordes sind“, sagte Grell und lächelte zur Abwechslung tatsächlich nicht, machte nicht einmal seine „Death“ Pose. „Wir sind Todesgötter.“ Die beiden Menschen vor ihnen erbleichten, wenn möglich, nur noch mehr. „Unmöglich“, wisperte Emma und starrte sie beide verstört an. „Ich wünschte, es wäre so“, entgegnete Carina trocken. Sie zog ihr Kleid so weit es ging hinunter und enthüllte somit den Ansatz ihrer Narbe. „Ich habe mir ein Messer ins Herz gerammt. Wie hätte ich so etwas überleben sollen?“ Sie konnte Emma an der Nasenspitze ansehen, dass sie sich den Kopf nach einer logischen Antwort zermarterte, aber immer wieder zum gleichen Ergebnis kam. Seufzend ließ Carina nun zusätzlich ihre Tarnung fallen, sodass sich ihre Augen gut sichtbar von dem tiefen Blau in das auffallend leuchtende Gelbgrün verwandelten. Charlie starrte sie fassungslos an, während Emma der Mund aufklappte und sie entsetzt nach Luft schnappte. Carina konnte jede Menge Sympathie für die junge Frau aufbringen, aber momentan hatte sie dennoch nicht die Geduld dafür übrig, ihr großartig viel Zeit zum Nachdenken zu überlassen. Das konnte sie tun, wenn die beiden Shinigami das Haus wieder verlassen hatten. „Fakt ist“, fuhr sie daher unerbittlich fort und schaute abwechselnd von Charlie zu Emma, „dass ich vor nicht allzu langer Zeit einen Dämon verärgert habe und es dieser Dämon nun auf mich abgesehen hat.“ Sie erwähnte weder, dass besagter Dämon ein Erzengel war, noch seinen Namen. Das wäre vielleicht auch ein wenig zu viel des Guten gewesen. „Und was haben wir bitteschön damit zu tun?“, fragte Emma verärgert. „Nichts, das ist ja das Problem“, antwortete Carina mit einem bitteren Unterton und schloss die Augen, um sich zu beruhigen. Um das pochende Gefühl der Schuld zurückzudrängen. „Wisst ihr“, begann Grell und Carina konnte an seiner Stimme hören, dass er momentan sehr ernst war, „all die Legenden… all die Geschichten, die man sich über Dämonen erzählt, sind wahr. Ich wünschte, es würde sich lediglich um eine bloße Übertreibung der Menschen handeln, die dazu da ist, dass die Kinder früh zu Bett gehen, aber so ist es leider nicht. Dämonen brauchen keinen Grund, um jemandem etwas anzutun oder zu schaden. Wie ich vorhin bereits sagte, das liegt in ihrer Natur. Genauso wie es in der Natur der Shinigami liegt die Seelen der Verstorbenen einzusammeln oder in der Natur der Engel, das himmlische Reich zu beschützen.“ „Dennoch lässt sich schwerlich leugnen, dass euch das alles vermutlich erspart geblieben wäre, wenn ich gewisse Entscheidungen nicht getroffen hätte. Und das es dann ausgerechnet eine Familie trifft, die bald zu dritt sein wird, ist auch noch mal ein subtiler Hinweis von diesem dämlichen Teufel.“ „Ich verstehe nicht“, meinte Emma und wollte gerade weitersprechen, doch die 19-Jährige kam ihr zuvor. „Wie es der Zufall will, habe ich vor ein paar Wochen ebenfalls ein Kind zur Welt gebracht.“ Sie fluchte. „Dieser dämliche Bastard wusste ganz genau, dass er mich damit kriegen würde. Und ich Idiotin habe es nicht gemerkt.“ „Das heißt“, begann Charlie, dessen Stimme nun kühl und distanziert wurde, „dass ich überhaupt nicht verrückt bin, sondern ein Dämon von mir Besitz ergriffen hat, um mich – und unterbrich mich, falls ich mich irre – in den Selbstmord zu treiben und sich somit an dir zu rächen? Weil er wusste, dass das ein rotes Tuch für dich sein würde?“ Carina wünschte, er hätte es nicht so treffend zusammengefasst, aber… „Ja“, presste sie hervor. „Ich hätte mich beinahe… dabei war ich nie… Ich hätte beinahe Emma und das Kleine alleine gelassen.“ Wut schwang nun ganz eindeutig in seiner Stimme mit und Carina konnte es ihm nicht verübeln. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Bitte glaubt mir, dass ich so etwas nie gewollt habe.“ Grell warf den beiden Menschen einen bösen Blick zu. Mit ihrem Verhalten sorgten sie nicht gerade dafür, dass sich die Schuldgefühle seiner besten Freundin dezimierten. Natürlich konnte er es irgendwo nachvollziehen, er war schließlich kein Idiot. Dennoch, gefallen musste es ihm deswegen noch lange nicht. „Es tut mir leid, Emi“, stieß der dunkelhaarige Mann auf dem Bett leise hervor und wandte den Kopf gen Boden, während er einmal leise aufschluchzte. Stumme Tränen tropften auf die Bettdecke. „Es tut mir so leid“, weinte er und auch die werdende Mutter begann nun zu schluchzen, als sie ihren Mann fest in die Arme schloss und sich an ihm schmiegte. Ihn zu trösten versuchte. Carina konnte den Anblick kaum ertragen. Was Samael diesem Mann angetan hatte und das nur, weil er es einfach konnte und um ihr zu schaden, ihr ganz allein… Die Schnitterin erhob sich so ruckartig, dass Grell hinter ihr erschrocken zusammenzuckte. „Wenn noch einmal irgendetwas passieren sollte, was euch komisch vorkommt… oder ihr generell Hilfe braucht, bei was auch immer… kommt in das Bestattungsinstitut auf der anderen Seite des Parks. Dort werdet ihr mich finden.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ das Schlafzimmer ohne noch einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Grell richtete sich ebenfalls hastig auf und folgte ihr wortlos. Carina trat aus dem Haus hinaus und nahm einen tiefen, kontrollierten Atemzug. Und dann noch einen und noch einen, bis sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte. Ihre Beine trugen sie währenddessen jedoch weiter. Weg von dem Haus, weg von Charlie und Emma, sogar weg von Grell. Einzig und allein das drückende Gefühl in ihrer Brust, davor konnte sie nicht weglaufen. Mitten im Park ließ sie sich auf die nächstbeste Bank fallen, stützte sich mit ihren Ellbogen auf den Knien ab und vergrub das Gesicht tief in den Händen. Der Schmerz, der bei dieser Aktion ihr Hinterteil durchfuhr, ignorierte sie gekonnt. Es war anders als in der Nacht, in der sie sich in Cedrics Armen ausgeweint hatte. Damals hatte ihr Körper gezittert und vor Schluchzern gebebt. Jetzt jedoch kullerten ihr die Tränen stumm über das Gesicht, um gleich darauf in ihren Handflächen zu versickern. Es machte die Situation kein Stück besser, aber zumindest der Druck in ihrer Brust ließ ein wenig nach. Carina war dieser Prozess nicht unbekannt. Sie war noch nie jemand gewesen, der schnell zu heulen anfing, aber wenn es dann erst einmal so weit war, dann hatten sich bereits so viele unterdrückte Gefühle angestaut, dass die Tränen dann einer Art Befreiungsschlag glichen. So auch jetzt. Die Parkbank knarzte, als sich jemand neben ihr niederließ. Carina musste nicht aufsehen um zu wissen, dass es sich dabei um Grell handelte. Spätestens, als sie eine Sekunde später eine Hand auf ihrem Rücken spürte, die gutmütig darüber streichelte, war die Sache klar. „Carina, mach dich nicht so fertig deswegen. Es ist doch nichts passiert. Er lebt noch, das ist die Hauptsache.“ „Er hätte aber genauso gut tot sein können“, antwortete sie mit zittriger Stimme, doch davon wollte der Rothaarige nichts hören. „Ist er aber verdammt nochmal nicht, weil du es verhindern konntest. Bin ich denn der Einzige, dem das noch im Gedächtnis geblieben ist?“ Er schnaubte genervt. „Also ehrlich, ich sage dir jetzt mal was. Wenn ich allein dort gewesen wäre, ich wäre nicht in das Haus gegangen und hätte geholfen. Das war ganz allein deine Entscheidung. Nur wegen dir lebt er noch. Und dabei ist es scheißegal, aus welchen Gründen auch immer Samael das getan hat, denn zu diesem Zeitpunkt wusstest du davon noch überhaupt nichts. Ich kenne wirklich keinen Shinigami, der so selbstlos ist wie du. Und das sage ich nicht, damit du dich besser fühlst, sondern weil es wirklich so ist. Glaube mir das bitte.“ Carina schaute mit geröteten Augen auf, ihre Wangen nahmen nun dieselbe Farbe an. „… ich bin nicht selbstlos“, murmelte sie, ganz eindeutig peinlich berührt und Grell grinste. Er legte ihr eine Hand auf den Kopf und wuschelte einmal durch ihre blonde Mähne. „Doch, bist du. Und jetzt wich dir die Tränen weg, denn Undy wird sicherlich nicht begeistert sein, wenn du in einem solchen Zustand ins Bestattungsinstitut zurückkommst.“ Jetzt war sie an der Reihe zu schnauben. „Das wird er so oder so nicht sein. Du hast es doch gerade eben selbst gesagt, oder? Er wird absolut sauer sein, wenn er erfährt, dass ich zwei Menschen die Wahrheit über uns gesagt habe.“ „Ich habe dich gewarnt“, erinnerte er sie. „Das sollte auch kein Vorwurf sein“, entgegnete Carina und zuckte einmal mit den Schultern. „Was soll’s. Er muss endlich mal lernen, dass ich mich von ihm nicht in meine Schranken weisen lasse. Nicht nach der Aktion heute morgen.“ Sogleich biss sie sich hart auf die Lippe, als Grell sie eindringlich musterte. „Jetzt sag es mir endlich, ich platze vor Neugier“, stöhnte er. „Entschuldige, ich wollte dich nicht daran erinnern, wirklich nicht. Aber ich bleibe bei meiner Meinung, ich werde darüber nicht sprechen“, sagte sie entschieden und wandte den Blick ab, die Wangen immer noch schwach gerötet. Grell lehnte sich zu ihr herüber. „War es… etwas Sexuelles?“ „Vergiss es einfach, Grell.“ „Ich will es aber wissen!“ „Das hier ist aber kein Wunschkonzert“, gab sie nonchalant zurück und erhob sich nun langsam von der Bank, was ihre Kehrseite ihr stumm dankte, indem der ziehende Schmerz sofort nachließ. „Aber jetzt etwas anderes. Du musst mir einen Gefallen tun, Grell.“ Der Reaper stöhnte erneut. „Das letzte Mal, als du mich um einen Gefallen gebeten hast, ist das nicht gut ausgegangen“, erwiderte er und erinnerte sich daran, wie er für die Schnitterin das Stammbuch der Familie Phantomhive besorgt hatte. „Keine Sorge, es ist nichts Weltbewegendes. Ich muss mit Sebastian und Ciel Phantomhive sprechen. Und ich will nicht, dass er sich Sorgen macht und denkt, mir wäre etwas passiert, sollte es länger dauern. Könntest du ihm also bitte Bescheid sagen was passiert ist und dass ich etwas später nach Hause komme?“ Ganz kurz spürte sie Verwirrung über sich selbst in sich aufsteigen. Nach Hause… Wärme breitete sich in ihrer Brust aus. So schnell war das also gegangen… „Und das hat natürlich gar nichts damit zu tun, dass du nicht diejenige sein willst, die ihm die großartigen Neuigkeiten verkündet, richtig?“ Sie lächelte schief. „Na ja, vielleicht ein bisschen“, gab sie zu und ihr Mentor seufzte. „Na, von mir aus. Ich hab sowieso noch ein wenig Zeit, bis meine nächste Schicht beginnt.“ „Danke, Grell. Apropos Schicht… Was hat William eigentlich dazu gesagt, dass du Ronald angeblich verletzt hast?“ Erst jetzt war ihr wieder eingefallen, dass sie ihn noch gar nicht danach gefragt hatte. Sie musste dringend daran denken, dass sie nicht die Einzige war, die Probleme in ihrem Leben hatte. „Ach das…“, begann Grell und seufzte. „Du kennst William ja. Begeisterung sah wahrlich anders aus.“ Eine andere Art von schlechtem Gewissen ergriff Carina nun. „Er hat dich also angeschrien?“ „Ja, das hat er wohl. Aber ich bin es ja gewohnt, kein Grund sich deswegen aufzuregen.“ Carina jedoch kannte ihren besten Freund gut genug, um die unterschwellige Enttäuschung in seinen Worten zu hören. Sie seufzte. „Es tut mir wirklich leid, dass du schon wieder den Kopf für mich hinhalten musstest“, murmelte sie, weitete aber im nächsten Moment die Augen, als er ihr mit einer Hand sanft durch die Haare wuschelte. „Ich sagte doch schon, es ist in Ordnung“, lächelte der Rothaarige ehrlich und zwinkerte ihr einmal zu. „Vergiss nicht, dass ich das alles aus purem Eigennutz mache. Auch ich habe immerhin etwas davon, wenn es dir und Lily gut geht.“ Carina erwiderte sein Lächeln. „Natürlich“, sagte sie leicht dahin und beendete das Thema, was wohl genau das war, was Grell wollte. „Also kann ich mich auf dich verlassen?“ „Na, immer doch“, grinste er, zwinkerte ihr hinter seinen roten Brillengläsern erneut zu und wandte sich dann zum Gehen. „Bestell Sebas-chan schöne Grüße von mir, okay?“ „Die will er mit Sicherheit hören“, erwiderte die junge Frau sarkastisch, doch Grell schien ihr gar nicht mehr richtig zugehört zu haben, schlenderte er doch bereits leise pfeifend in Richtung Bestattungsinstitut. Carina schüttelte darüber lediglich den Kopf. Manchmal war ihr bester Freund einfach eine Marke für sich… und manchmal öfters, als ihr persönlich lieb war. Seufzend konzentrierte sie ihre Sinne auf ihre übernatürlichen Fähigkeiten und bereits wenige Sekunden später rannte sie mit federnden Schritten über die Dächer Londons, unsichtbar für ihre Mitmenschen. Es fühlte sich unglaublich gut an, ihre Muskeln wieder ein wenig zu belasten. Den Wind auf der Haut zu spüren. Sich ihrer Kraft wieder bewusst zu werden. Es erstaunte sie selbst, aber sie hatte die Vorteile, die das Dasein als Shinigami mit sich brachte, tatsächlich vermisst. „Ich sollte Grell bei nächster Gelegenheit fragen, ob er wieder anfängt mit mir zu trainieren. Gerade in unserer derzeitigen Situation kann das nicht von Nachteil sein“, dachte sie, während sich die eng aneinandergereihten Häuser langsam auflösten und immer mehr Wiesen und Felder in den Fokus rückten. Die dichten Bäume am Wegesrand gaben ihr eine gute Fortbewegungsmöglichkeit und so dauerte es nicht einmal 10 Minuten, bis vor ihr das riesige Anwesen der Familie Phantomhive aufragte. Die Deutsche kam nicht umhin beeindruckt zu sein. Solche Bauten sah man immerhin nicht alle Tage, nicht einmal im 21. Jahrhundert. Alles hier sprach von Perfektion und trug eindeutig Sebastians Handschrift. Der Dämon konnte sagen, was er wollte, aber er litt definitiv an einem ausgeprägten Drang zum Perfektionismus… Lautlos ging sie auf die breite Eingangstür zu, die genau in jenem Moment geöffnet wurde, als sie die strahlend weißen Stufen davor betrat. „Sie wünschen, Miss?“, wurde sie von einem gepflegten, älteren Mann empfangen, der die gleiche Uniform trug wie Sebastian. Seine Augen lagen eine Sekunde zu lang auf den ihren, die immer noch ihre gelbgrüne Farbe aufwiesen. Carina lächelte. Er wusste also Bescheid. „Eine Audienz bei Lord Ciel Phantomhive, wenn Ihr so frei seid.“ Der Mann beäugte sie noch einen Moment länger, besah sich ihr Gesicht ganz genau und lächelte schließlich. „Ich werde Lord Phantomhive von Ihrem Gesuch informieren. Bitte gedulden Sie sich noch einen kurzen Augenblick.“ Carina neigte den Kopf und die Tür schloss sich wieder mit einem leisen Klicken. Kurz fragte sie sich, ob sie dem Butler vielleicht ihren Namen hätte mitteilen sollen, doch diese Sorge blieb unbegründet. Denn bereits 3 Minuten später öffnete sich die Tür erneut und der ältere Mann lächelte ihr freundlich zu, während er zur Seite wegtrat. „Lord Phantomhive erwartet Sie.“ „Wo ist Carina?“, lautete die erste Frage des Undertakers, als Grell den Laden allein betrat. „Beruhige dich, es geht ihr gut. Nun ja… den Umständen entsprechend gut zumindest.“ Der Silberhaarige hob eine seiner schmalen Augenbrauen. Das hörte sich alles andere als gut an… „Was ist passiert?“, fragte er, als ihn ein ungutes Gefühl ergriff. Und dieses Gefühl verstärkte sich nur noch, als Grell ihm berichtete, was in dem Haus der Familie Sterling geschehen war und vor allem was sie dort herausgefunden hatten. Der Bestatter fluchte. „Mir kam die ganze Angelegenheit von Anfang an seltsam vor. Es war einfach des Zufalls zu viel.“ „Das lässt sich leicht sagen, wenn man nicht dabei war. Natürlich kam es uns auch nicht ganz sauber vor, aber wir haben gespürt, dass die Angst und Panik von Emma echt war. War sie ja auch, wie hätte sie denn ahnen können, was wirklich hinter dem Selbstmordversuch ihres Mannes steckt? Glaub mir, sie war am allermeisten schockiert, als Carina ihr die Wahrheit erzählt ha-“ „Carina hat was?“, unterbrach der Todesgott seinen Gegenüber harsch und als Grell daraufhin nur müde mit den Schultern zuckte, fluchte er erneut. Dieses Weib kann man keine fünf Minuten allein lassen! „Ich dachte mir schon, dass du davon nicht begeistert wärst und das habe ich Carina auch so gesagt. Es war ihr egal“, grinste der Rothaarige schwach. „Wird langsam gruselig, dass ich deine Reaktionen so gut vorausahnen kann.“ „Lenk nicht vom Thema ab, Rotschopf. Was hat sie ihnen gesagt?“ „Kein Grund gleich persönlich zu werden“, echauffierte sich Grell und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur das Nötigste. Das wir Todesgötter sind und Samael es momentan auf uns abgesehen hat. Und natürlich“, er seufzte, „denkt sie mal wieder, dass das ihre Schuld ist. Vollkommener Schwachsinn, wenn du mich fragst. Nicht einmal der Zorn dieses Dämons ist wirklich gerechtfertigt. Wäre er nicht so größenwahnsinnig, dann wären wir ihm immerhin niemals in die Quere gekommen.“ Cedric konnte vor seinem geistigen Auge sehen, wie Carina sich dafür die Schuld gab. Natürlich ließ es sich nicht abstreiten, dass es einen indirekten Zusammenhang gab, aber hier von irgendeiner Art von Schuld zu sprechen… Nein, das stimmte nun wirklich nicht! „Und wo ist sie jetzt?“, fragte er und wusste beinahe noch im selben Augenblick, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. Und er behielt Recht. „Sie wollte zu dem kleinen Phantomhive. Meinte, sie hätte etwas mit ihm und Sebas-chan zu besprechen.“ „Hatten wir nicht jüngst erst eine Diskussion, in der selbst sie zu dem Schluss kam, dass sie vorerst nur noch in unserer Begleitung nach draußen gehen sollte?“, fragte Cedric kalt, obwohl es eigentlich keine Frage war. Eher eine Feststellung. „Stimmt, da war ja was“, fiel es Grell jetzt auch wieder ein. Allerdings schien er sich nicht großartig darum zu kümmern, denn seine Reaktion bestand in einem einzigen Schulterzucken. „Carina ist schon ein großes Mädchen und bis zum Anwesen der Phantomhives ist es nicht sonderlich weit, wenn man ein Shinigami ist. Und eigentlich kann sie ja ziemlich gut auf sich allein aufpassen, das weißt du genau so gut wie ich, Undy. Wir können sie nicht in einen goldenen Käfig sperren, das würde nur schief gehen.“ Cedric schnaubte. Sicherlich wusste er das. Aber Samael war nun einmal eine ganz andere Kategorie von Gegner. Selbst er würde Schwierigkeiten in einem solchen Kampf bekommen und ohne dabei arrogant klingen zu wollen: er war definitiv stärker als die 19-Jährige. „Übrigens war Carina heute gar nicht gut auf dich zu sprechen. Was hast du heute morgen bitte angestellt?“, fragte Grell ganz nebenbei und erhoffte sich endlich eine Antwort auf seine Frage. Carina würde es gar nicht gefallen, dass er einfach den Silberhaarigen gefragt hatte, aber was hatte er denn für eine Wahl? Aus ihr war ja immerhin nichts rauszukriegen… Der Bestatter grinste süffisant. „Oh, das kann ich mir vorstellen“, kicherte er dunkel. Grell hob eine Augenbraue. „Okay, jetzt musst du es mir einfach sagen. Ich platze schon den ganzen Tag fast vor Neugier und Carina wollte es mir einfach nicht sagen, dabei sagt sie mir sonst immer alles. Gemeinheit, ausgerechnet jetzt mit Geheimnissen anzufangen.“ „Es ist ihr peinlich, deswegen sagt sie es dir nicht“, lachte er schadenfroh, ging zur Tür und drehte das Schild um, sodass Außenstehende wussten, dass die Tür für den Rest des Tages verschlossen bleiben würde. „Ach komm, was könnte bitteschön so peinlich sein? Ich bin in Liebesdingen vielleicht nicht der mit der meisten Erfahrung, aber schocken kann mich in dieser Beziehung schon lange nichts mehr.“ „Ach ja?“, grinste der Silberhaarige provokant und verschränkte die Arme locker vor der Brust. „Ist dir an Carina heute vielleicht etwas aufgefallen? Das sie sich zum Beispiel sehr langsam hingesetzt hat oder so etwas in der Art?“ Mehr würde der Totengräber nicht sagen, das musste einfach als Hinweis genügen. Er konnte es sprichwörtlich in Grells Gehirn rattern hören, als er die Aussage seines Gegenübers zur Kenntnis nahm, verarbeitete und daraus logische Schlüsse zog. Die gelbgrünen Augen weiteten sich schockiert. „Das hast du nicht getan“, meinte er fassungslos und ein erneutes Kichern bahnte sich den Weg über die Lippen des Bestatters. „Hehe, doch. Habe ich.“ Der Rothaarige schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Du… du hast…“, stammelte er, während er verzweifelt nach Worten suchte und sein Gesicht dabei die Farbe seiner Haare annahm. Cedric konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals so sprachlos gesehen zu haben. Und es amüsierte ihn königlich. „Du hast sie gezüchtigt?“, brachte der Todesgott schließlich hervor, nach wie vor vollkommen entsetzt. „Korrekt“, erwiderte der Ältere locker, als würden sie gerade über das Wetter reden. „Ich fasse es nicht“, antwortete der Reaper mit weit geöffnetem Mund und blinzelte. „Ich weiß gerade nicht einmal, ob ich wütend auf dich sein soll.“ Der Undertaker lachte. „Nicht mal Carina ist wirklich wütend auf mich, keine Sorge. Wie gesagt, es ist ihr nur peinlich. Peinlich, dass es ihr gefallen hat.“ Grells Wangen wurden noch eine Spur dunkler. Carina sollte das… gefallen haben? „Möchtest du noch mehr Details hören, oder…?“ „Nein, danke“, schnaubte Grell und ärgerte sich gerade darüber, dass er hingegen seiner eigenen Aussage nun doch schockiert darüber war, was bei seiner besten Freundin scheinbar so alles im Schlafzimmer passierte. Nein, von dem Bestatter wollte er definitiv keine Details erfahren. Von Carina allerdings dafür umso mehr! „Gut. Dann kannst du dich direkt einmal nützlich machen und auf dein Patenkind aufpassen. Ich muss kurz weg.“ Der aktive Shinigami blinzelte irritiert. „Wie, jetzt?“, fragte er und sah dem Undertaker dabei zu, wie er sich seinen schwarzen Mantel zurechtzupfte. „Ja“, entgegnete der Silberhaarige entschieden. „Keine Sorge, es wird nicht lange dauern. Ehe deine nächste Schicht beginnt, bin ich wieder da.“ Ohne eine wirkliche Antwort von dem Patenonkel seiner Tochter abzuwarten, verließ der Todesgott in der nächsten Sekunde bereits den Laden und ließ einen ungläubig dreinblickenden Grell zurück, der nun beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte. In letzter Zeit tat er das viel zu häufig. „Unverschämtheit“, murmelte er schnippisch. Na ja, wenigstens konnte er so ein wenig mehr Zeit mit Lily verbringen. Und endlich mal schauen, wie groß sie schon war, um ihr schon bald neue süße Kleidchen kaufen zu können… „Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches, Lady Carina?“, wurde sie von Ciel Phantomhive in dem Moment begrüßt, als sie sein Arbeitszimmer betrat. Er saß hinter einem massiven Schreibtisch, der in Carinas Augen viel zu groß für seinen kleinen Körper war. Seine Ellbogen stützte der Junge auf der glatten Oberfläche ab, seine Hände waren locker ineinander verschränkt. Dicht hinter ihm stand Sebastian, sein allseits bekanntes Lächeln auf den Lippen, doch einen ernsten Ausdruck in den Augen. Die Botschaft war unmissverständlich. Sollte sie versuchen seinem Meister in irgendeiner Art und Weise zu schaden, würde sie dafür bluten. Carina jedoch blieb die Ruhe in Person. Immerhin hatte sie keineswegs vor einen Streit vom Zaun zu brechen. Daher befasste sie sich auch nicht näher damit ihm zu sagen, dass sie keine Lady war, sondern kam lieber sofort zum Punkt. „Euer Vater“, wandte sie sich also direkt an den Dämon, „hat scheinbar seine ersten Schritte gegen mich eingeleitet.“ Die blauen Augen des Jungen weiteten sich, während sich die seines Butlers verengten. Einige lange Sekunden herrschte angespannte Stille im Raum, dann deutete Ciel mit seiner Hand in die linke Ecke des Raumes, wo sich neben einer Couch und einem Sessel ein niedriger Tisch befand. „Bitte“, forderte er sie auf und die Schnitterin kam seinem Angebot nach. Sie ließ sich langsam auf die Couch sinken, während Ciel sich von seinem Platz am Schreibtisch erhob und Sebastian fixierte. „Sebastian, bring uns Tee.“ „Sehr wohl, Mylord“, erwiderte der Schwarzhaarige verbeugend, warf Carina erneut diesen eindeutigen Blick zu und verließ dann das Zimmer mit raschen Schritten. Der 14-Jährige setzte sich in den Sessel und schlug die Beine übereinander, bedachte sie mit einem kühlen Ausdruck der Analyse im Gesicht. Die junge Frau schmunzelte. „Wollt ihr nicht auf euer kleines Hündchen warten, bevor ich fortfahren soll?“ „Das werde ich auch“, antwortete der Junge ruhig und ohne auf ihre Beleidigung einzugehen. „Aber vorerst würde ich gerne noch etwas anderes wissen.“ Die Blondine hob fragend eine Augenbraue. „Ach ja? Und was, bitteschön?“ „Kann ich Undertaker wirklich vertrauen?“ Carina zog nun auch noch ihre andere Augenbraue nach oben. „Das fragt Ihr ausgerechnet mich? Euch ist aber schon bewusst, dass er mein…“, sie stockte kurz, als ihr mit erschreckender Klarheit bewusst wurde, dass sie gerade beinahe mein Ehemann gesagt hätte. Und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, die sie selbst schockierte. „… dass wir uns nahe stehen. Ich bin ganz offensichtlich befangen, wieso solltet Ihr also auf das vertrauen, was ich Euch antworten werde?“, korrigierte sie sich und ignorierte Ciels Schmunzeln, das ziemlich deutlich zeigte, dass er ganz genau wusste, was sie eben hatte sagen wollen. „Weil du mich auf seltsame Art und Weise an Lizzy erinnerst“, antwortete er ihr so ehrlich und plötzlich persönlich, dass es Carina vollkommen aus der Bahn warf. Ihre Augen, die immer noch gelbgrün waren, weiteten sich. „Wie bitte?“, brachte sie hervor und schluckte einmal. Niemand außer ihr und Uriel kannte die Wahrheit über ihre Verbindung zu Elizabeth Midford, aber dennoch war es Ciel scheinbar nicht entgangen, dass es gewisse Ähnlichkeiten gab. „Natürlich könnte ich mich irren“, fuhr der junge Aristokrat fort und begutachtete abschätzend seine akkurat geschnittenen Fingernägel, „aber ich habe über die letzten Jahre eine gute Menschenkenntnis entwickelt, die mich nur äußerst selten im Stich lässt. Falls ich also richtig liege, wärst du niemals mit jemandem liiert, der solche Aktionen weiterhin verfolgt, wie Undertaker es auf der Campania getan hat. Und vergiss nicht, dass ich auch dich damals gesehen habe. Du warst ebenso wie Sutcliff und dieser Knox absolut nicht begeistert von diesen bizarren Puppen.“ „Korrekt“, antwortete sie sehr ruhig, aber doch mit einer gewissen Härte in der Stimme. Sie glaubte – und war sich in dieser Hinsicht auch ziemlich sicher – dass niemand die Bizarre Dolls mehr hasste als sie. „Zudem würdest du wohl kaum zulassen, dass deine Tochter in die Nähe von jemandem kommt, der solche Experimente durchführt. Vater hin oder her.“ „… Ebenfalls korrekt“, erwiderte sie und musste sich ein amüsiertes Grinsen verkneifen. Der Bengel war gut, das musste sie ihm lassen. „Also…“, begann er von neuem und hielt ihren Blick mit seinem fest, „kann ich Undertaker wirklich vertrauen? Oder kann ich es nicht?“ „Das könnt Ihr“, lautete ihre unmittelbare Antwort, über die sie keine Sekunde nachdenken musste. „Ich weiß, es mag seltsam klingen, aber all die Dinge, die er in der Vergangenheit getan hat…“, sie seufzte, „nichts davon hatte die Intention, Euch Schaden zuzufügen. Ihr seid Euch in die Quere gekommen, ja. Aber er würde niemals etwas tun, dass Euch direkt schaden würde. Fragt mich nicht wieso – denn den Grund werde ich Euch nicht nennen – aber es ist die Wahrheit.“ Sie hielt dem Blick des Wachhundes der Königin stand und als er sich leicht in seinem Sessel zurücklehnte, wusste sie, dass er ihr glaubte. „Und wie steht es mit dir?“, fragte er. „Kann ich dir vertrauen, Carina?“ Es war das erste Mal, dass er ihren Namen so ungezwungen aussprach, aber es störte die 19-Jährige nicht. Viel mehr befand sie, dass ihn das um einiges nahbarer machte. Ihr zeigte, dass er nach wie vor ein Mensch war, ein 14-jähriger Junge. Sie lächelte. „Es ist kein Geheimnis, dass ich nicht der größte Fan Eures Butlers bin“, sagte sie und kurz blitzte ein gefährliches Funkeln in ihren Augen auf, „aber Undertaker ist der Mann, mit dem ich für den Rest meines Lebens zusammen bleiben will. Solange Ihr nichts unternehmen werdet, was diesem Vorhaben schadet, schließe ich mich seiner Meinung über Euch an und werde mich mit der Situation arrangieren.“ „Wann ist die Hochzeit?“, lautete Ciels mehr als trockene Antwort, doch Carina spürte, dass er mit ihrer Aussage zufrieden war. Die junge Frau war ebenfalls zufrieden, als genau in diesem Moment Sebastian mit dem Tee wiederkam und sie daher auf die unverschämte Frage ihres Gegenübers nicht antworten musste. „So“, begann Sebastian, nachdem er zuerst seinem Herrn und anschließend der Shinigami Tee eingeschenkt hatte, „wie hat mein Vater sich bemerkbar gemacht?“ Carina schnaubte. „Bemerkbar gemacht… ich schätze, so kann man es wohl auch ausdrücken“, murmelte sie genervt. Mit kurzen, aber prägnanten Worten erklärte sie den beiden die Situation. „Hört sich das für dich nach etwas an, was dein Vater tun würde?“, fragte sie den Butler, der nicht lange über seine Antwort nachdenken musste. „Ja, das passt zu ihm. Er hat sich schon immer einen Spaß daraus gemacht mit seiner Beute zu spielen, bevor er sie sich holt“, meinte er und hatte nachdenklich eine seiner weiß behandschuhten Hände ans Kinn gelegt. „Etwas, was dir bestimmt vollkommen fremd ist, nicht wahr?“, erwiderte sie sarkastisch und als sie das Zucken in Ciels Mundwinkel sah, wusste sie, dass er genau dasselbe gedacht hatte. Sebastian lächelte charmant. „Nun, ich kann mich sicherlich nicht vollständig davon freisprechen, aber wenn es sich bei meinen Gegnern um übernatürliche Wesen handelt, dann bevorzuge ich doch eher die direkte Konfrontation.“ „Toll und wenn es Menschen sind, ist das natürlich kein Problem für ihn“, dachte sie angewidert, kommentierte seine Aussage aber nicht weiter. „Die Frage ist doch jetzt viel eher, was wir unternehmen sollen“, seufzte sie und strich sich einmal müde über die Stirn. Dieser Tag dauerte gefühlt schon eine Ewigkeit an… „Glaubst du, dass Samael die Sterlings noch einmal aufsuchen wird?“ „Schwer vorstellbar“, bemerkte Sebastian ruhig und Carina spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. „Abgesehen davon, dass dieser Charlie nun die Wahrheit kennt und somit nicht mehr so leicht auf ihn hereinfallen würde, hält mein Vater nichts davon den gleichen Trick zweimal zu benutzen. Viel eher wird er dieses Spielchen weitertreiben und erneut versuchen dich dort zu treffen, wo es richtig wehtut.“ Seine rötlichen Augen sahen sie ernst an und nun spannte sich die Todesgöttin wieder an. Ganz nebenbei fiel ihr auf, dass Sebastian sie mittlerweile duzte. Scheinbar sah er keinen Sinn mehr daran diese gesellschaftliche Distanz beizubehalten, saßen sie doch nun immerhin alle in ein und demselben Boot. Es machte ihr nicht wirklich etwas aus, Formalien jeglicher Art waren hier sowieso vollkommen unnötig. „Du hast einen Teufel mit den Kräften eines Erzengels verärgert. Wenn du einen ehrlich gemeinten Ratschlag von mir möchtest: Bereite dich auf das Schlimmste vor.“ Carina schluckte, bevor sie es verhindern konnte. Eine erdrückende Stille breitete sich in dem Arbeitszimmer aus, keiner der Anwesenden schien so richtig zu wissen, was jetzt gesagt werden sollte. Zum ersten Mal seit einer langen, langen Zeit fühlte sich die junge Frau angreifbar. Verletzlich. „So eine verfluchte Scheiße“, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war ein Shinigami, verdammt nochmal! Nicht mehr ein unwissender Mensch, nicht mehr das schwache, kleine Mädchen von damals! Vor ihrem inneren Auge ließ sie Revue passieren, was sie seit ihrem Selbstmord alles erlebt hatte. Überlebt hatte. Die Ausbildung. Die Prüfungen. Die Campania. Das Weston College. Die Schwangerschaft und die Geburt. Crow! Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, als neue Zuversicht in ihr aufstieg. „Soll er nur kommen“, sagte sie grimmig und schaute Sebastian und Ciel ernst an. „Ich werde es ihm nicht leicht machen.“ Etwas blitzte in den Augen ihrer beiden Gegenüber auf. Anerkennung? Das plötzliche Knarzen der Tür riss die drei Anwesenden abrupt aus ihrer Unterhaltung heraus. Ciel öffnete bereits empört den Mund, um denjenigen zurechtzuweisen, der ungefragt und ohne Anzuklopfen sein Büro betreten hatte, stockte dann aber. „Das ist wirklich gemein von Euch, Earl~“, erklang es von der Tür aus und nun wirbelt auch Carinas Kopf herum. Cedric stand mit einer Schulter gegen den Türrahmen gelehnt da und das leichte Grinsen auf seinen Lippen ließ Carina sich fragen, ob er nun wütend oder doch eher amüsiert war über diesen Anblick, der sich ihm bot. Sein nächster Satz ließ jedoch eher auf Letzteres schließen. Und führte dazu, dass die 19-Jährige sich nur schwer ein Schnauben verkneifen konnte. „Ihr veranstaltet eine Teeparty und ich bin nicht dazu eingeladen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)