Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 74: Geständnis ---------------------- Das ist meine Frau. Das ist meine Frau. Das ist meine Frau. Der Satz lief in Dauerschleife in Carinas Kopf ab, während sie zwanghaft versuchte ihr Gesicht unter Kontrolle zu behalten. Dennoch, wenn man genau hinsah, konnte man die geweiteten Augen und die entgleisten Gesichtszüge deutlich erkennen. Doch die Fassungslosigkeit verflog schnell. Was zurückblieb war grenzenlose Wut, die ihr für einen Moment schier den Atem raubte. Sie biss die Zähne so fest zusammen, dass ihre Wangenknochen schmerzten. Das hatte er jetzt nicht ernsthaft getan! Lily merkte als Allererste, dass mit ihrer Mama etwas nicht stimmte und fing gleich darauf an halblaut zu weinen. „Shhh“, murmelte Carina sogleich und lockerte automatisch ihre verkrampften Arme etwas, um das Baby zu beruhigen. „Entschuldigen Sie mich bitte“, presste sie dann schließlich hervor, schenkte der älteren Frau ein Lächeln, das falscher nicht hätte sein können, und verließ den Raum in Richtung oberes Stockwerk. Der Undertaker sah ihr nach, sein verschmitztes Lächeln von eben restlos verschwunden. Mit so einer heftigen Reaktion ihrerseits hätte er nicht gerechnet. Im Weston College hatte es ihr zwar auch nicht sonderlich gefallen, aber trotzdem war sie doch bemerkenswert ruhig dabei geblieben. Jetzt hatte sie ihn angestarrt, als würde sie jeden Moment auf ihn losgehen. Was vermutlich auch passiert wäre, hätte sie Lily nicht im Arm gehabt und die Frau aus der Nachbarschaft nicht vor ihrer Nase. Er war sich sicher, das würde noch ein Nachspiel für ihn haben. „Was fällt ihm überhaupt ein?“, dachte sie wutentbrannt und ging unruhig im Schlafzimmer auf und ab. Lily hatte sich relativ schnell wieder beruhigt und schlief nun in ihrem Kinderzimmer, aber bei ihrer Mutter sah die Sache schon ganz anders aus. „Glaubt er wirklich, dass ich hier einen auf liebende Ehefrau mache? Das kann er vergessen!“ Von Anfang an hatte sie gewusst, dass dieser Einzug hier eine schlechte Idee gewesen war und jetzt wusste sie auch wieder warum. Was dachte er denn, wie sie auf so etwas reagieren würde? Seine Frau… Tze, was für ein Schwachsinn! Glaubte er wirklich, dass er seine Spiele nach Belieben mit ihr spielen konnte, nur weil sie ihm ihre Liebe gestanden hatte? „Nein, nicht mit mir!“, knurrte sie und stürmte in der nächsten Sekunde wieder die Treppenstufen hinunter. Im Laden herrschte Stille, scheinbar war die Dame bereits kurz nach ihrem eigenen Verschwinden selbst gegangen. Lange musste sie nach Cedric allerdings trotzdem nicht suchen. Er stand in der Küche und machte sich gerade einen Tee, dem Geruch nach zu urteilen vermutlich einer dieser süßen Früchtetees. Dennoch kippte er natürlich noch ganze 8 Löffel Zucker in den Messbecher, sodass es nun eher einer Art Sirup ähnelte. Der Silberhaarige drehte sich zu ihr um und als er ihren Blick bemerkte, hob er verteidigend beide Hände. Carina allerdings ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Für wen hältst du dich eigentlich?“, rief sie und baute sich vor ihm auf. Gleichzeitig ärgerte sie sich darüber, dass der Todesgott so viel größer war als sie selbst, denn so war sie dazu gezwungen zu ihm hinauf zu sehen. „Deine Frau? Deine verdammte Frau? Willst du mich eigentlich verarschen?“ Der Bestatter hob beide Augenbrauen. Er hatte beinahe schon wieder vergessen gehabt, dass Carina wahrlich kein Blatt vor den Mund nahm, wenn ihr etwas nicht passte. „Jetzt reg dich doch nicht so auf“, wollte er sie beruhigen, merkte allerdings noch im gleichen Moment, dass er mit diesem Satz nur noch Öl ins Feuer gegossen hatte. „Einen Scheiß werde ich tun“, fauchte sie und stemmte beide Hände in die Hüfte. „Du hattest absolut kein Recht-“ „Wozu?“, unterbrach er sie. „Den Leuten eine glaubhafte Geschichte aufzutischen? Was meinst du wohl, wie über eine unverheiratete Frau gesprochen wird, die dennoch schon ein Kind hat?“ „Halt mich nicht für einfältig“, entgegnete sie scharf. „Das weiß ich selbst. Aber ganz ehrlich? Das interessiert mich einen Dreck. Ich bin eine Shinigami, mir ist es total egal, wie die Leute über mich reden. Sollen sie doch!“ „Schön und gut“, antwortete der Silberhaarige, dem es selbst ja auch immer ziemlich gleichgültig gewesen war, was die Menschen so alles über ihn sagten. „Aber wie steht’s mit Lily? Ich werde es ganz sicherlich nicht zulassen, dass meine Tochter als Bastard deklariert wird.“ Dieser Satz sorgte tatsächlich dafür, dass Carina ein wenig ruhiger wurde, doch die Wut in ihrem Inneren zügelte er nicht. „Spielt das denn eine Rolle? Für den kurzen Zeitraum, den wir hier sein werden, können die Leute gerne sagen, was sie wollen. Wenn wir weg sind, dann hat sich das Problem von ganz alleine erledigt. Dann kannst du dir gerne einfallen lassen, was du den Leuten dann erzählst. Scheidung scheint mir ein sinnvoller Vorschlag zu sein.“ „Was soll das heißen, wenn ihr weg seid?“, fragte der Undertaker mit einer unguten Vorahnung in der Stimme. „Das soll heißen, dass wir weg sind sobald sich das Problem mit diesem Samael erledigt hat bzw. wohl eher sobald er tot ist.“ „Warum solltet ihr weggehen?“ „Warum sollten wir denn bleiben?“, stellte sie die Gegenfrage und warf ihm einen leicht verächtlichen Blick zu. „Falls du es vergessen haben solltest, Cedric: Ich komme aus dem 21. Jahrhundert. Und dort bleibt eine Frau nicht nur bei einem Mann, weil er der Vater ihres Kindes ist. Das kannst du vergessen.“ Nein, das würde sie auf Dauer nicht ertragen. Ihn jeden Tag zu sehen und doch nicht mit ihm zusammen zu sein. Auf gar keinen Fall! Angesprochener wirkte für einen Moment komplett sprachlos. Mit dieser Art von Entwicklung schien er ganz offensichtlich nicht gerechnet zu haben. „Ich will aber nicht, dass ihr geht“, sagte er trotzig und hörte sich dabei tatsächlich an wie ein kleines Kind. Carina schluckte. Nur mit Mühe konnte sie ihre ernste Miene beibehalten. „Ich habe dir doch bereits gesagt, dass du Lily jederzeit sehen kannst. Ich gebe dir mein Wort.“ „Darum geht es nicht.“ Der Bestatter schien nach Worten zu ringen, was vollkommen untypisch für ihn war, Carina aber in diesem Augenblick zur Weißglut trieb. „Worum geht es dann, Cedric?“, wurde sie nun wieder lauter, denn gerade verstand sie ihn einfach absolut nicht. Warum sonst sollte er sie unbedingt hier behalten wollen, wenn nicht wegen Lily? „Erkläre es mir, denn ich verstehe es absolut ni-“ „Verdammt, Carina, ich liebe dich“, unterbrach er sie harsch und in einem dermaßen harten Tonfall, dass die 19-Jährige kurze Zeit brauchte, um seine Worte zu realisieren; passte der Ton doch so gar nicht zu der Bedeutung, die eigentlich dahinter steckte. Ihr Mund klappte wieder zu und mit fassungsloser Miene starrte sie ihn an. Vergessen waren die Wut und der Zorn, vergessen die vorhergegangenen Worte. Alles, was ihr Gehirn jetzt noch abspielte, waren seine letzten drei Worte. Ich liebe dich. Seltsamerweise fühlte sie zuerst gar nichts. Obwohl sie so lange auf genau diese Worte gewartet hatte, spürte sie überhaupt nichts. Ihre Regungslosigkeit machte den Undertaker nervös. Jetzt bekam er langsam eine gewisse Vorstellung davon, wie sie sich damals in dem Café gefühlt haben musste. Und es war kein schönes Gefühl. „Carina?“, flüsterte er, eine eindeutige Frage in der Stimme und es riss die Schnitterin aus ihrer Trance. Jetzt endlich fühlte sie wieder etwas und es war, zu ihrem eigenen Erstaunen, vollkommenes Unverständnis. „Warum sagst du das?“, wisperte sie und zwang sich dazu ihm ins Gesicht zu schauen. In die intensiven gelbgrünen Augen, die sie ebenfalls fokussierten. „Weil es stimmt“, antwortete er ebenso leise, aber mit fester werdender Stimme. Hätte er gewusst, wie erleichternd es war es endlich laut auszusprechen, dann hätte er es ihr schon viel früher gesagt. Die nächste Emotion kam und erneut war es nicht das, was Carina von sich selbst erwartet hätte. „Was soll der Mist?“, rief sie aus und verschränkte die Arme vor der Brust, eine unmissverständliche Abwehrhaltung. „Vor ein paar Tagen erst hast du deine Experimente bezüglich Claudia eingestellt und jetzt liebst du mich plötzlich? Ist das dein Ernst?“ „So ist das nicht“, erwiderte er und wirkte eine Sekunde lang furchtbar überfordert. „Wie denn dann? Soll ich dir sagen, wie ich das Ganze sehe?“, antwortete sie ihm und ballte ihre Hände zu Fäusten. „Meiner Ansicht nach bin ich jetzt die zweite Wahl, weil du eingesehen hast, dass du Claudia nicht zurückholen kannst. Außerdem kannst du so dafür sorgen, dass Lily hier bleibt, was dir sicherlich ganz hervorragend in den Kram passt, stimmt’s?“ Nun war es an ihm sie fassungslos anzustarren. „Nein, das stimmt nicht“, sagte er laut, um sich Gehör zu verschaffen. Es funktionierte scheinbar, denn Carina gab ihm mit einem kleinen Wink ihrer Hand die stumme Aufforderung weiterzusprechen. „Hör zu, ich… ich bin nicht gut in so etwas“, begann er und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand in den Nasenrücken. „Nach Claudias Tod habe ich mir selbst geschworen, dass mir ein derartiger Fehler nie wieder unterlaufen würde. Dass ich mich noch einmal in jemanden verliebe, meine ich. Abgesehen davon konnte ich mir zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen, dass ich mich jemals wieder von diesem Schmerz erholen würde.“ Er atmete einmal tief ein. „Aber ich fürchte, ich habe mir selbst etwas vorgemacht. Nachdem du das Weston College verlassen hattest, war ich unglaublich wütend, weil du einfach ohne ein Wort zu sagen verschwunden bist. Und ich habe ständig darüber nachgedacht warum du gegangen bist und warum auf diese Art und Weise.“ Er strich sich einmal mit seiner Hand durch das lange, silberne Haar. „Als wir uns dann in Deutschland wieder über den Weg gelaufen sind und ich die Wahrheit erfahren habe, wurde es nur noch schlimmer. Ich habe meine Forschungen danach nach Frankreich verlagert, aber ich musste einfach ständig an dich denken. Sogar wenn ich mit meinen Gedanken eigentlich bei Claudia hätte sein sollen, bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Es hat mich genervt, aber ich konnte einfach nichts dagegen machen.“ Der Bestatter schaute ihr mitten ins Gesicht, das mittlerweile einen Großteil seiner Farbe verloren hatte. „Verstehst du jetzt, Carina? Ich habe schon seit langer Zeit Gefühle für dich. Ich weiß nicht, wann es angefangen hat und ich weiß auch nicht, wie es überhaupt ohne mein Zutun passieren konnte. Aber als du im Kampf gegen Crow so schwer verletzt wurdest und ich dir nicht helfen konnte… da wurde mir schlagartig bewusst, dass ich dich nicht verlieren will.“ Der Ausdruck in seinem Gesicht wurde weicher. „Ich liebe dich, Carina“, sagte er mit rauer Stimme. Ein Muskel am Mund der 19-Jährigen zuckte kurz, während sie ihn weiterhin stumm ansah; blass und mit im Stoff des Kleides verkrampften Händen. Es war nicht einmal eine Minute des Schweigens, dennoch kam es dem Todesgott vor wie eine halbe Ewigkeit. Schließlich öffnete Carina den Mund. „Ich glaube dir nicht“, sagte sie mit einer Stimme, die so dünn war wie Schmirgelpapier. Ihre Augen glänzten verdächtig und sie konnte ihn nicht länger ansehen. Nein, das hier konnte nicht wahr sein. Es war zu gut, zu perfekt um wahr zu sein. Cedric hatte ehrlich geklungen und vielleicht dachte er ja wirklich, dass er sie liebte. Viel wahrscheinlicher war es in ihren Augen jedoch, dass er mit der momentanen Situation überfordert war und sich etwas einredete, was in Wirklichkeit gar nicht stimmte. Carina war in ihrem bisherigen Leben nie etwas in den Schoß gefallen – warum sollte es jetzt anders sein? „Carina, bitte“, sagte er und konnte für einen Moment nicht fassen, dass er sich flehend anhörte. Sie konnte ihn jetzt nicht einfach so damit stehen lassen, das würde er nicht ertragen! „Ich meine es ernst. Ich will mit dir zusammen sein.“ Er packte sie am Handgelenk, doch sie riss sich von ihm los. „Ich kann das gerade nicht“, rief sie mit bebender Stimme, die Überforderung stand ihr klar und deutlich ins Gesicht geschrieben. Und als ob diese Situation nicht schon schlimm genug gewesen wäre, suchte sich Grell gerade diese aus, um freudestrahlend in die Küche hereinmarschiert zu kommen. „Naaa, habt ihr mich schon ver-“ Der Rothaarige brach mitten im Satz ab, als er Carinas Gesichtsausdruck bemerkte, das Lächeln fror ihm sofort merklich im Gesicht ein. „Was ist passiert?“, fragte er bestürzt und als der Silberhaarige sich, etwas genervt, zu ihm umdrehte, nutzte Carina die Gelegenheit und rannte an ihm vorbei, die Treppe nach oben. Zwei Sekunden später fiel oben eine Tür mit einem lauten Krachen zu. „Was zum Teufel hast du jetzt wieder angestellt?“, fauchte Grell wütend und rannte ohne eine Antwort abzuwarten ebenfalls nach oben. Kurz klopfte er an die Schlafzimmertür, entschied sich dann aber doch gleich hineinzugehen. Der sich ihm bietende Anblick traf ihn härter als jeder Stein es hätte tun können. Seine beste Freundin saß mit dem Rücken an das Bett angelehnt auf dem Boden, hielt ihre Beine dicht am Körper angewinkelt und presste sich beide Hände auf das Gesicht, um die gelegentlichen Schluchzer zu ersticken. „Um Gottes Willen, Carina“, rief er und sank neben ihr zu Boden, um sie gleich darauf in eine schützende Umarmung zu ziehen. Die Blondine rührte sich nicht, wehrte die Umarmung aber auch nicht ab. „Was hat er getan? Hat er dich verletzt? Ich schwöre, wenn er auch nur irgendetwas-“ Sie schüttelte lediglich stumm den Kopf, immer noch das Gesicht durch beide Hände verdeckt. Grell runzelte die Stirn. „Was hat er dann gemacht?“, fragte er verwirrt und reichte der jungen Mutter eines seiner roten Taschentücher, das sie nach kurzem Zögern dankend annahm. Grob wischte Carina sich die Tränen vom Gesicht, doch ihre Lippen bebten nach wie vor. „E-er ha-hat“, sie schluckte und räusperte sich einmal, dann versuchte sie es ein weiteres Mal, nun jedoch sehr leise. „Er hat mir gesagt, dass er mich liebt“, flüsterte sie und erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen. Grell blinzelte sie ein paar Wimpernschläge nur ungläubig an, schien Gesagtes erst einmal verarbeiten zu müssen. Dann verzogen sich seine Lippen jedoch zu einem breiten Grinsen und er sprang auf, die Arme glücklich ausgebreitet. „Aber Carina, das ist doch wundervoll. Ich hab es doch die ganze Zeit gewusst, es war ja irgendwie auch mehr als offensichtlich, wenn man die Zeichen richtig gedeutet hat. Das ist doch ein Grund zur Freude. Also warum weinst du?“ „Weil ich ihm das nicht glauben kann, darum“, antwortete sie heftig und tupfte sich erneut das Gesicht ab. „Warum sollte er auch? Ich habe ihn belogen, ihm Lily verschwiegen und außerdem hatte er vor nicht einmal einer Woche noch vor, seine Geliebte von den Toten zurückzuholen. Nicht gerade Anzeichen für eine plötzliche Liebe, oder?“ Der Rothaarige stöhnte genervt auf. „Was hat er dir denn genau gesagt?“, fragte er und als Carina ihm das Gespräch so gut es ging wiedergab, starrte er sie am Ende beinahe nieder. „Meine Güte, das darf nicht wahr sein, Carina. Er schüttet dir sein Herz aus und das Einzige, was du dazu zu sagen hast, ist: Ich glaube dir nicht? Und ich habe den Armen auch noch angeschnauzt“, sagte er und griff sich theatralisch an die Stirn. „Für ihn bin ich doch nur ein Trostpflaster“, murmelte sie niedergeschlagen gen Boden. „Nein, das glaube in keine Sekunde lang“, hielt Grell dagegen. „Du hast selbst einmal zu mir gesagt, dass er dir während der ganzen Zeit nicht einmal Hoffnungen auf eine Beziehung gemacht hat. Warum sollte er dann bitteschön jetzt damit anfangen, wenn er es nicht ehrlich meinen würde? Lily darf er so oder so sehen, das hast du ihm versprochen. Er hat also absolut keinen Grund dich anzulügen, Carina.“ „Und wenn er nur denkt, dass er mich liebt? Vielleicht irrt er sich auch nur“, gab sie schwach zurück, was den Reaper aber lediglich laut schnauben ließ. „Hältst du ihn wirklich für solch einen Mann, der so etwas sagen würde, wenn er sich bezüglich seiner Gefühle nicht ganz sicher wäre?“ „Nein… eigentlich nicht“, entgegnete sie kleinlaut, während Zweifel sich in ihrem gesamten Körper ausbreiteten. Seit Cedric ihr diese Worte gesagt hatte, hatte Carina mit einer ganzen Palette von Gefühlen zu kämpfen. Ungläubigkeit, Wut und Kummer auf der einen Seite; lautes Herzklopfen, Glück und Hoffnung auf der anderen. Konnte es wirklich sein, wie Grell sagte? Liebte er sie tatsächlich? Wurde ihr trotz ihrer verdammten Seele und ihrem Dasein als Shinigami vielleicht doch noch ein klein wenig Glück zuteil? Konnte sie darauf hoffen? Die pochenden Kopfschmerzen in ihren Schläfen wurden stärker. „Ich kann das momentan einfach nicht, Grell“, flüsterte sie und schloss die Augen, die sich schwer wie Blei anfühlten. Kein Wunder, immerhin hatte sie letzte Nacht nicht geschlafen. „Es ist doch so schon schwer genug. Die Entführung durch Crow, Alice‘ Tod, der plötzliche Umzug und jetzt das… Es ist gerade einfach alles zu viel.“ Sie schluckte schwer und Grell konnte die heillose Überforderung im Gesicht der Schnitterin sehen. Mit einem leisen Seufzen ließ er sich wieder neben sie sinken und legte sanft eine Hand auf ihre Schulter. „Niemand hat gesagt, dass du jetzt sofort darauf reagieren musst. Wenn du Zeit brauchst, um darüber nachzudenken, dann nimm sie dir. Obwohl ich ja glaube, dass du tief in deinem Inneren die Antwort auf all das schon kennst.“ Er zwinkerte ihr einmal zu und brachte Carina damit sogar wieder zum Lächeln. „Danke Grell“, murmelte sie und bedeckte seine Hand mit der ihren. „Danke, dass du da bist.“ Der Undertaker sah von seiner Arbeit auf, als Grell schließlich wieder die Treppe herunterkam. „Geht es ihr gut?“, fragte er ruhig, woraufhin der rothaarige Shinigami nickte. „Sie hat sich wieder beruhigt, keine Sorge.“ Er seufzte. „Entschuldige, dass ich dich eben so angefahren habe. Aber du musst zugeben, die Situation war ziemlich missverständlich und-“ „Schon in Ordnung“, unterbrach der Totengräber ihn und nickte einmal verstehend. „Du willst nur das Beste für sie, das ist mir bewusst. In diesem Punkt unterscheiden wir uns nicht.“ Grell strahlte ihn an und dann tat er etwas, mit dem der Silberhaarige nicht gerechnet hatte. Er knuffte ihn leicht in die Seite. „Hätte ja nicht gedacht, dass du es so schnell schaffst den Mund aufzubekommen. Gut gemacht, Undy.“ Angesprochener starrte ihn mit erhobener Augenbraue an. Irgendwie wusste er bei dem Patenonkel seiner Tochter nie so recht, ob er jetzt lachen oder die Augen verdrehen sollte. „Ich hab nur die Wahrheit gesagt“, erwiderte er. „Tja, und genau da liegt bei Carina das Problem. Sie ist sich nicht sicher, ob das – was du gesagt hast – auch wirklich die Wahrheit ist. Oder ganz salopp ausgedrückt: Sie denkt, dass du dich vielleicht irrst.“ Cedric seufzte. Das hatte er sich beinahe schon gedacht. Carinas Reaktion war an dieser Stelle dann doch recht eindeutig gewesen. „Ich irre mich nicht.“ „Genau das habe ich ihr auch gesagt“, sagte der Schnitter und seufzte nun ebenfalls. „Aber ich kann sie auch irgendwo verstehen, es ist gerade einfach alles zu viel für sie. Gib ihr ein wenig Zeit, halt vielleicht einfach ein paar Tage Abstand. Möglicherweise bringt es euch beiden ja etwas.“ „Ich kann nicht von mir behaupten, dass mir die Idee sonderlich gut gefällt, aber wenn es ihr hilft…“, meinte er und griff nach der Urne, um sich einen Keks herauszunehmen. „Ein paar Tage wirst du dich ja wohl gedulden können. Carina hat viel länger auf dich gewartet und glaube mir, wenn ich dir sage, dass das alles andere als schön für sie war.“ Grells letzte Worte klangen hart und ernst, was der Bestatter nachvollziehen konnte. Statt einer Antwort steckte er sich zwei Kekse auf einmal in den Mund und begann zu kauen, was Grell mit einem leicht angewiderten Gesichtsausdruck beobachtete. Wenn William wüsste, wie schräg der Undertaker manchmal war, dann würde er sicherlich nie wieder behaupten, dass Grell seltsame Angewohnheiten an den Tag legte. „Nun ja, ich mach mich dann mal wieder auf den Weg. Denk dran, was ich dir gesagt habe. Carina ist eine erwachsene Frau, sie bekommt schon den Mund auf, wenn sie etwas will.“ „Oh ja, das habe ich gemerkt“, murmelte der Silberhaarige und konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Grell warf ihm einen gespielt bösen Blick zu, der wohl so viel aussagen sollte wie „Benimm dich!“ und verschwand drei Sekunden später bereits aus dem Bestattungsinstitut. Cedric seufzte und schaute hoch zur Decke. „Na, das kann ja noch was werden“, nuschelte er leise vor sich hin und stieg die Treppenstufen zum Keller hinab, um sich wieder um seine Gäste zu kümmern. Die nächsten fünf Tage liefen tatsächlich so ab, wie Grell es ihm geraten bzw. wohl eher prophezeit hatte. Er und Carina sprachen kaum ein Wort mehr miteinander, abgesehen von einem „Guten Morgen“ beim Frühstück und einem „Gute Nacht“ beim Schlafengehen. Gelegentlich wechselten sie das ein oder andere Wort, wenn es um Lily ging, aber viel mehr als das war nicht drin. Der Undertaker hätte es nicht für möglich gehalten, wie sehr ihm dieses aneinander vorbeileben auf die Nerven ging. Da war es ihm doch tatsächlich angenehmer gewesen allein zu wohnen, nur umringt von Leichen und den seltenen Besuchen des Earls. Und was ihn fast noch mehr störte waren Carinas Augenringe, die von Tag zu Tag größer wurden. Die Blondine schlief nicht oder zumindest so gut wie gar nicht. Nicht, dass es ihn großartig überraschte. Der Tod ihrer besten Freundin nahm sie spürbar mit und das war genau das, was er ihr gesagt hatte. Irgendwann musste sie mit irgendjemanden darüber reden und es war ihm ganz egal, ob sie es nun mit ihm tat oder mit Grell oder mit sonst irgendwem. Hauptsache sie tat es und es ging ihr danach besser. Auch hier war er mit Grell ein und derselben Meinung. Denn dem Rothaarigen waren die Anzeichen des Schlafmangels bei seinem Schützling ebenfalls nicht entgangen, wenn er gelegentlich zu Besuch kam. Er sagte Carina nichts dazu, weil er genauso wie Cedric wusste, dass es von ihr selbst kommen musste, aber gefallen tat es ihm dennoch ganz und gar nicht. Am siebten Tag nach Carinas Einzug reichte es dem Bestatter dann endgültig. Die 19-Jährige saß ihm gerade am Esstisch gegenüber und machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment über ihrer Schüssel Haferflocken einschlafen. An sich eigentlich ein recht lustiger Gedankengang, über den der Totengräber sicherlich normalerweise herzlich gelacht hätte. Stattdessen riss ihm der Geduldsfaden. „Carina, so kann das nicht weiter gehen“, begann er und sprach erst weiter, als Angesprochene ihm langsam ihre müden Augen zugewandt hatte. „Du wirst jetzt hoch in dein Zimmer gehen und dich ins Bett legen und ich werde dich erst wieder irgendetwas anderes tun lassen, wenn du zumindest ein paar Stunden geschlafen hast“, sagte er und er sagte es so rigoros, dass es Carina gar nicht in den Sinn kam zu widersprechen. Ihre einzige Reaktion bestand in einem vollkommen fertigen Nicken, was dem Silberhaarigen erneut zeigte wie müde sie sein musste, denn er hatte mit deutlich mehr Widerspruch gerechnet. Seine Augen folgten ihr, als sie im schleppenden Tempo ins obere Stockwerk ging und als er wenige Sekunden später leise die Tür zugehen hörte, seufzte er hörbar auf. Hoffentlich würde der langersehnte Schlaf jetzt endlich kommen… Carina ließ sich mit ihrem kompletten Körper schwer auf das Bett fallen und vergrub sogleich ihren Kopf in dem weichen Kissen. Ihre Augen schmerzten unheimlich durch den Schlafmangel und sorgten gleichzeitig auch für stechende Kopfschmerzen, die unangenehm in ihrem Schädel pulsierten. Die Schnitterin wusste, dass sie die Belastungsgrenze eines Shinigami bereits lange überschritten hatte und sie wusste ebenso, dass Cedric Recht mit seinen Worten hatte. So konnte es nicht weiter gehen! Wenn sie doch nur diese dummen Gedanken abstellen könnte, die sie nachts heimsuchten, wenn um sie herum alles still war und sie nichts hatte, um sich anderweitig abzulenken. Wenn sie doch einfach nur diese verdammten Bilder in ihrem Gedächtnis löschen könnte… Carina nahm nicht bewusst wahr, dass sie noch einigen langen Minuten tatsächlich langsam in den Schlaf glitt, aber als sie das nächste Mal die Augen aufschlug befand sie sich wieder in ihrer kalten, dunklen Zelle; die Ketten fest um ihre Handgelenke geschlungen und den Körper voller Wunden. Crow ragte vor ihr auf und hielt Alice erneut seine Death Scythe gegen die Kehle gedrückt. Zum wiederholten Male spürte Carina das Grauen in sich aufsteigen, konnte das Zittern ihrer Gliedmaßen nicht unterdrücken und hörte sich selber die Worte sagen, die sie in ihrer dunkelsten Stunde über die Lippen gebracht hatte. „Bitte. Ich flehe dich an, lass sie gehen. Ich tue alles, ich schwöre es. Ich lasse mich von dir brechen, mach mit mir, was du willst. Schlag mich, vergewaltige mich, ist mir egal. Aber bitte lass sie gehen. Sie ist unschuldig. Bitte. Bitte…“ Aber was noch viel schlimmer war, waren Alice‘ letzte Worte. Die Worte, die sie mit einem Lächeln auf den Lippen gesagt hatte, weil sie genau gewusst hatte, dass es hier für sie zu Ende war. Hier, in diesem dunklen, dreckigen Loch. „Danke. Für alles. Ich liebe dich, Carina.“ „Lebewohl." Natürlich blieb sie auch nicht von den Bildern verschont, die sich unwiderruflich in ihr Gedächtnis gebrannt hatten. Das ganze Blut. Alice‘ Körper, der dumpf zu Boden fiel. Crow’s grausames Lachen im Hintergrund. Der Kopf ihrer besten Freundin, der baumelnd in seinem Griff hing. Genauso wie es in der Realität gewesen war, konnte sie lediglich stumm diesen entsetzlichen Anblick ertragen. Erst, als ihr Peiniger Alice‘ Kopf losließ und ihn ihr entgegen schleuderte, wurde sie aus ihrer Lethargie herausgerissen. Der Stumpf rollte ihr entgegen und blieb so liegen, dass Carina in Alice‘ bleiches, totes Gesicht schauen konnte. Und die 19-Jährige wusste, dass es ein Traum war, sie wusste es in ihrem Unterbewusstsein. Dennoch japste sie erschrocken nach Luft, als sich die gelbgrünen Augen ihrer besten Freundin weit öffneten und sie anklagend anstarrten. „Es ist deine Schuld, dass ich tot bin“, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme und Carina wurde – wenn es denn überhaupt möglich war – noch bleicher. „Nur deine!“ „N-nein, i-ich…“, stammelte sie verzweifelt und schüttelte wie in einer Art Trance den Kopf. „Wenn du nicht gewesen wärst, dann würde ich noch leben“, sprach das Totengesicht weiter und trieb Carina damit an den Rand des Wahnsinns. Sie kniff die Augen zusammen, presste sich beide Hände auf die Ohren, um diese Stimme nicht mehr hören zu müssen. Wann hörte es auf, wann hörte dieser Wahnsinn endlich auf? Zwei warme Hände, die sich plötzlich auf ihre Wangen legten, rissen die junge Frau abrupt aus ihrem Albtraum heraus. Sie riss die Augen auf und schnappte noch im gleichen Moment verzweifelt nach Luft, doch ihre Kehle schnürte sich komplett zu, ähnlich wie nach ihrem Selbstmord damals. Panisch rang sie nach Atem, nahm von ihrer gesamten Außenwelt nichts mehr wahr, bis der Druck auf ihren Wangen stärker wurde und sie ihren eigenen Namen hörte. „Carina!“ Cedric kniete neben ihr auf dem Bett, die Hände nach wie vor auf ihre Wangen gelegt und einen ernsten Ausdruck im Gesicht. Sein Anblick sorgte automatisch dafür, dass sie ruhiger wurde und endlich wieder Luft bekam. Erst jetzt nahm sie den kalten Schweiß auf ihrer Stirn wahr und das anstrengende Zittern ihres ganzen Körpers. Sofort versuchte sie sich wieder in den Griff zu kriegen, doch es half alles nichts. Ihr Verstand verlor den Kampf gegen ihren Körper, das Zittern hörte nicht auf. Dem Bestatter blieb dies nicht verborgen. „Ganz ruhig“, murmelte er und zog sie im nächsten Moment fest in seine Arme, eine Hand an ihrem Hinterkopf, die andere mittig auf ihrem Rücken platziert. Sogleich spürte er, wie sie in seiner Umarmung erbebte und ihren Kopf im schwarzen Stoff seines Mantels vergrub. Carina konnte einfach nicht mehr. Der Kloß in ihrem Hals war mittlerweile viel zu groß geworden, um ihn noch herunterschlucken zu können. Und Cedrics Umarmung gab ihr schlussendlich den Rest. Als sie seinen warmen Körper an ihrem spürte und seine schützenden Hände, die sie festhielten, sie nicht loslassen wollten, da bröckelte die Mauer in ihrem Inneren. Heiße Tränen sammelten sich in ihren Augen und rollten im nächsten Augenblick bereits über ihre Wangen, um gleich darauf in den schwarzen Stoff unter ihr zu sickern. Carina vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und schluchzte erstickt in den Mantel hinein, während sich seine Umarmung daraufhin nur noch verstärkte. Wenn er sie jetzt losließ, dann würde sie versinken, versinken in endloser Dunkelheit. „L-lass m-mich nicht los“, schluchzte sie ihm deswegen kaum verständlich entgegen und obwohl sie ihn die letzten Tage weitestgehend von sich gewiesen hatte, zögerte er keine Sekunde mit seiner Antwort. „Werde ich nicht!“ Auf seltsame Art und Weise war die Situation fast friedlich. Keiner von ihnen sagte in den nachfolgenden 10 Minuten auch nur ein Wort. Lediglich Carinas leises Hicksen war ab und zu durch die Stille hindurch zu hören, wobei es von Minute zu Minute leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Auch das Zittern ließ langsam nach und erst, als sie vollkommen regungslos und stumm in seinen Armen lag, die Finger mittlerweile sanft in seine Seiten gekrallt, ergriff der Undertaker wieder das Wort. „Was ist passiert, nachdem Crow Alice entführt hatte?“ Sie versteifte sich in seiner Umarmung, aber er ließ sie immer noch nicht los. Egal, ob sie es ihm jetzt sagen würde oder nicht, er würde sie erst dann wieder loslassen, wenn sie ihn dazu aufforderte. Doch seine Gedanken waren unbegründet, denn Carina begann zu sprechen. Leise und mit gebrochener Stimme, aber sie sprach. „Er kam mit ihr in meine Zelle“, begann sie flüsternd und umklammerte Cedric unbewusst fester. „Er erinnerte mich an die Warnung, die er ausgesprochen hatte, nachdem ich ihn gebissen hatte. Dass ich es bereuen würde, ihn so gereizt zu haben.“ Sie schluckte hart. „Plötzlich hat er ihre seine Death Scythe gegen die Kehle gedrückt. Ich habe ihn angeschrien, habe ihm gesagt, dass er sie in Ruhe lassen soll. Er hat-“, kurz versagte Carina die Stimme und sie brauchte mehrere lange Sekunden, um sich wieder halbwegs zu fangen. „Er sagte, ich solle darum betteln. Und das habe ich getan.“ Das Zittern setzte wieder ein. „Ich habe ihn angefleht sie gehen zu lassen, ich habe gesagt, dass er mit mir machen kann, was auch immer er will.“ Zorn schlich sich nun in ihre Stimme, brannte in ihrer Kehle. „Ich habe mich vor ihm auf die Knie geworfen, ich habe mich vor ihm erniedrigt und er hat mich gedemütigt. Aber das war mir in dem Moment egal. Ich hätte alles getan und gesagt, damit er Alice gehen lässt.“ Eiskalte Wut kochte jetzt ebenfalls in dem Silberhaarigen hoch. Er konnte sich vorstellen, wie sehr der einstige Lehrer dies genossen haben musste. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass Crow’s Tod viel zu schnell vonstattengegangen war. „Und trotzdem… und trotzdem hat er…“ „Du musst nicht weitersprechen“, murmelte er leise, denn er konnte sich denken, was als nächstes passiert war. Crow hatte in diesem Punkt keinen Raum für Spekulationen gelassen. „Es hat ihn vollkommen kalt gelassen, weißt du? Ich konnte es in seinen Augen sehen, es hat ihn einfach absolut nicht interessiert. Mein Flehen war einzig dazu da, um mich am Boden zu sehen und ich bin darauf hereingefallen. Egal, was ich noch getan oder gesagt hätte, er hätte Alice so oder so umgebracht.“ Wieder herrschte eine kurze Stille, dann sagte Carina: „Ich bekomme diese Bilder einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Sie verfolgen mich, lassen mich nicht mehr in Ruhe. Das ganze Blut und… und ihr Kopf, den er mir vor die Füße geworfen hat.“ Cedrics Augen weiteten sich. Selbst ihn überkam bei dieser Vorstellung ein kalter Schauder. Das, was Crow getan hatte, konnte man schon nicht mehr als Grausamkeit bezeichnen. Nein, es war etwas Tiefergehendes gewesen, etwas Krankhaftes. Er hatte mit Carinas Psyche gespielt, wie eine Katze mit einem Wollknäuel und jetzt musste die 19-Jährige zusehen, wie sie die Überreste wieder zusammensetzen konnte. „Wie soll ich nur jemals wieder diese Bilder vertreiben? Wie soll ich jemals wieder schlafen?“ Langsam hob sie ihren Kopf von seiner Schulter, sodass er nun in ihre stark geröteten Augen schauen konnte, die nach wie vor von dicken Augenringen untermalt wurden. „Ich bin so müde, Cedric…“ „Ich weiß“, flüsterte er sanft und ließ sich zu Carinas größter Überraschung plötzlich seitlich auf das Bett fallen. Durch seine immer noch anhaltende Umarmung war sie dazu gezwungen ihm zu folgen und lag in der nächsten Sekunde ebenfalls auf der Seite, mit dem Gesicht dem seinen zugewandt. Seine Hand, die nach wie vor auf ihrem Rücken lag, zog sie dichter an ihn heran und begann kurz darauf mit kleinen, kreisenden Bewegungen ihre Wirbelsäule entlang zu streicheln. „Schlaf jetzt. Ich bleibe hier“, erwiderte er und Carina konnte nicht anders, als schwach zu erröten. Doch ein wirkliches Schämen blieb aus, dazu war sie momentan einfach viel zu erschöpf. Und seine Streicheleinheiten fühlten sich so gut an… „Versprochen?“, wisperte sie leise, ließ ihre Stirn gegen sein Schlüsselbein sinken und schloss dabei langsam die schmerzenden Augen. „Versprochen“, antwortete er ebenso leise zurück und spürte zu seiner größten Erleichterung, wie die Anspannung langsam aus dem Körper der jungen Frau wich. Eigentlich wollte Carina ihm noch sagen, dass er sie bloß wecken sollte, wenn er auch nur das kleinste Anzeichen vernahm, dass sie erneut in einem Albtraum gefangen war, aber das brachte sie einfach nicht mehr fertig. Hier in seinen Armen fühlte sie sich sicher, geborgen. Die Wärme und die Berührungen seiner Hände lullten sie langsam wieder zurück in den Schlaf und gerade war es ihr sogar gleich, was passieren würde, sobald sie ihr Bewusstsein der nachfolgenden Dunkelheit überließ. Cedric war bei ihr und das war in diesem Augenblick wahrlich das Einzige, was für sie zählte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)