Der Anfang der Welt von astala7 (Himmel, Hölle, Höllenfeuer) ================================================================================ Kapitel 1: Teil I: Finsternis ----------------------------- 01. Finsternis   Ich schlug die Augen auf und alles war schwarz. Eine tiefe, dunkle Schwärze. Drückend. Seltsam. Wo bin ich? Um das herauszufinden, sah ich mich erst einmal um. Ganz langsam nur drehte ich meinen Kopf, doch überall sah ich dieselbe Dunkelheit. Eine alles verschluckende Finsternis. Schnell wollte ich meinen Arm heben, aber es gelang mir nur mühsam. Durch diese matte, irgendwie substanzielle Finsternis waren meine Bewegungen gehemmt. Oder ich war einfach nur schwach. So dunkel war es, dass ich die erhobene Hand nicht sehen konnte. Das war doch komisch, oder? Ich runzelte leicht die Stirn, aber so sehr ich auch überlegte, es half nichts. Mir fiel kein anderer Zustand ein als diese Finsternis, keine andere Farbe als Schwarz. Mein Kopf war leergefegt. War das hier etwa normal? Vielleicht sollte ich Angst haben? Gab es hier denn etwas, das ich fürchten musste? Würde die Finsternis mich verschlucken? Aber meine Hand war doch da, ich spürte sie als einen Teil von mir, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Überhaupt, lag ich auf dem Rücken oder auf dem Bauch? Schwebte ich frei in der Welt? Gab es hier denn gar keinen Boden? War das schon immer so gewesen? Was war passiert? Wer war ich? Keine Ahnung. Ich konnte mich an keine Zeit vor meinem Erwachen erinnern. Ratlos sah ich wieder nach vorne, aber das machte auch keine Unterschied. Was nun? Es war still, meine Ohren funktionierten nicht. Oder, was noch viel schrecklicher wäre, ich war allein hier und es gab tatsächlich nichts zu hören. Vollkommen allein in der Finsternis. Halt. Denk positiv. Was soll so schlimm sein an deiner Situation? Wenn du allein bist, kann dir doch niemand gefährlich werden. Wenn du das einzige Lebewesen auf der Welt bist, dann gehört die Welt doch praktisch dir. Ein reizvoller Gedanke, oder? Nein, leider nicht, stellte ich fest. An dem Gedanken war überhaupt nichts reizvoll. Ohne jemanden, mit dem ich reden konnte, war es doch schrecklich einsam hier. Da sollten andere sein! Andere wie ich. Da mussten andere sein! Es konnte nicht sein, dass ich auf ewig in dieser schrecklichen Finsternis gefangen war! Bestimmt war noch jemand hier draußen. Vielleicht irrt er genauso ziellos umher wie ich. Ob Freund oder Feind, ganz egal. Nur jemand, der wusste was los war. Warum ich hier war, warum ich existierte. „Hallo?“, rief ich aus, erst zaghaft, dann noch einmal lauter: „Hallo! Ist da jemand?“ Niemand antwortete. Trotzdem begann ich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das war relativ sinnlos, weil es nicht einmal einen Boden gab, aber was sollte ich sonst tun? Ich torkelte ewig durch die Finsternis. Oder nur ein paar Sekunden. Vielleicht kam ich auch überhaupt nicht von der Stelle. Plötzlich war da ein Licht. Ein lang ersehnter Hoffnungsschimmer, ein weißer Fleck inmitten der Schwärze. Endlich eine Veränderung! Erleichterung ließ mich die Hand nach dem verheißenden Licht ausstrecken. Ich hätte vor Freude jubeln können. Hätte schreien und lachen mögen. Davor hütete ich mich allerdings. Da in dem Licht war vielleicht einer wie ich und den wollte ich ja nicht verscheuchen. Das Wissen, oder zumindest die Hoffnung, Gesellschaft zu haben, war schon allein Entschädigung genug für meine Verzweiflung. Wenn in der Finsternis kein Leben ist, dann doch vielleicht dort drüben im Licht. Immer größer und weitreichender wurde der helle Schein. Schließlich strahlte er mit einer solchen Intensität, dass ich die Augen zusammenkneifen musste. Erst als ich seinen Ursprung erreicht hatte, verblasste das Leuchten. Langsam konnte ich in dem Licht Konturen erkennen, die immer deutlicher wurden. Da sah ich Ihn. Ich sah Ihn und dachte: Er ist wie ich. Wir sahen uns in vielerlei Hinsicht gar nicht unähnlich. Er hatte Arme wie ich und Beine wie ich. Er hatte Augen und Ohren und Nase wie ich. Er war groß und Er schien noch vor meinen Augen zu wachsen. Aber vielleicht war es auch nur das Licht, dass Ihn so wirken ließ. Natürlich gab es auch Unterschiede. Im Gegensatz zu Ihm fiel mir mein Haar glatt und weißblond bis zu den Schultern. Ich war ein bisschen zierlicher, eleganter als Er, wenn auch nicht so kräftig gebaut. Irgendetwas lag in Seinen Augen, die auch nicht klar und blau waren wie meine, das Ihn weiser und erfahrener wirken ließ, als ich mich fühlte. Bestimmt war Er also auch älter. Er war länger auf dieser Welt und wusste gewiss die Antwort auf meine Fragen. Dieses Leuchten, das von Ihm ausging, erfüllte mich mit einer tiefen Wärme. Darin lag nichts Magisches. Es war einfach nur das Wissen, jemanden wie mich gefunden zu haben. Ich war sofort bereit, Ihn wie einen Bruder zu lieben, ich wollte bei Ihm bleiben und Ihn nie wieder loslassen. „Wer... bist du?“, hauchte ich. Der andere schwieg, Er sah mich nur aus unbewegten Augen an. „Sag mir, was ist das für ein Ort?“ wollte ich wissen. „Warum bin ich hier? Wer bin ich überhaupt?“ Wie primitiv diese Worte doch waren! Wie wenig passend für das Durcheinander meiner Gefühle. Aber ich wollte es wissen, musste es wissen und Er war der Einzige, den ich fragen konnte. Und der andere streckte Seine Hand nach mir aus und legte sie auf meinen Kopf. In diesem Moment durchzuckte mich ein blendend heller Blitz. Von Kopf bis Fuß war ich plötzlich mit Energie erfüllt, helle, heilige Energie. Das Licht war so viel, so strahlend hell. Ich konnte es nicht halten, vermochte es nicht länger und so brach es schließlich aus mir heraus. Da war Wärme, so viel Wärme! Es war keinesfalls ein unangenehmes Gefühl, sondern vielmehr das herrlichste, das ich jemals verspürte. Liebe und Freude durchströmten mich. Das Bedürfnis zu jubeln und zu singen wurde übermächtig. Mein ganzer Körper zitterte darunter. Die neue Kraft in mir schien mich glatt bersten zu lassen. Ich wollte rennen, nein, ich wollte fliegen, schneller, immer schneller. Wollte diese Kraft in mir spüren. Was für ein Licht! Was für eine Herrlichkeit! Ich öffnete die Augen und ich sah. Ich sah durch die Finsternis und mein Licht erstrahlte. Inmitten dieses Wunders hörte ich Seine Stimme, die zu mir sprach: „Dein Name sei Sataniel. Ich bin dein Gott, der Schöpfer. Ich bin allwissend und allmächtig. Ich gab dir von meinem Licht. Eine Welt will ich erschaffen, groß und herrlich und du sollst mir dabei helfen und mir dienen. Nimm von meinem Licht und vertreibe die Finsternis, denn du bist der Lichtbringer, aus Feuer geschaffen. Gehorchen sollst du mir auf ewig, weil du mein Geschöpf bist und tust du es nicht, so wirst du fallen, zurück in die Finsternis.“ Hier stolperten meine Gedanken. Meine überschwängliche Freude erhielt einen kurzen, aber heftigen Dämpfer. Was?, fragte ich mich. Was hat Er gesagt? Ich hätte alles für Ihn sein können. Ich hätte Sein Freund seine können, Sein Kamerad. Sein Bruder. Wir wären auf ewig frei von jeder Einsamkeit gewesen. Einen Gleichgesinnten, das war es doch, was ich gesucht hatte. Und Er machte mich zu Seinem Diener? Warum? War Er nicht auch einsam? Ging es Ihm nicht wie mir? Warum wollte Er sich über mich stellen? Ich wollte dieses Glücksgefühl nicht verlieren, aber ich spürte, wie es mir durch die Finger rann. Denk nicht an die Rechtfertigung, ermahnte ich mich selbst. Er ist hier, du bist nicht allein und Er hat dir eine Aufgabe gegeben. Er hat dir deinen Lebenssinn erklärt. Eben gerade noch wolltest du doch genau das, oder? Dir wäre doch auch egal gewesen, wenn du einen Feind getroffen hättest. Bitte, stattdessen hast du einen Gott bekommen. Freu dich darüber! Wer dir so wunderbares Licht gibt, der ist göttlich. Der verdient es, von dir verehrt zu werden. Das ist dein Vater. Der hat dich erschaffen. Hat Er das? Warum bin ich dann überhaupt – gefühlte Ewigkeiten lang - in der Finsternis herumgeirrt, wenn Er mich erschaffen hat? Warum habe ich Ihn dann nicht sofort gesehen? Sinnlose Fragen! Mit erschaffen hat Er ganz einfach gemeint, dass Er dir von Seinem Licht gegeben hat. Das Licht gab dir nicht nur diese herrlichen Gefühle, sondern auch eine eigene Energie. Es ist viel mehr als nur Helligkeit, es ist eine eigene Lebensquelle. Das Gegenteil der substanziellen Finsternis. Aber war Er deshalb ein Schöpfergott? Ein Gott, der alles auf der Welt erschafft, mich und die Finsternis? Das weißt du doch gar nicht, beruhigte ich mich selbst. Nur weil du Ihn nicht gesehen hast, heißt das nicht, dass Er dich nicht vielleicht zusammen mit der Finsternis erschaffen hat oder so. Ein Diener zu sein ist schon in Ordnung, solange du Sein Diener bist. Für dieses Licht, diese herrliche Wärme und Liebe ist das in Ordnung. Stell keine Fragen. Sei nur glücklich und genieße den Moment. Genieße den Glanz der Göttlichkeit und sonne dich in Seinem Licht.   Der Herr ließ mich los. Als Seine Finger mich nicht länger berührten, schien ich für einen Moment jeden Halt verloren zu haben und sank vor Ihm zu Boden. Das Licht brannte noch immer in mir, mein Feuer, mein heiliges Feuer. So viel Energie, muss es freilassen, muss mich bewegen, muss fliegen...! Da brachen sie aus mir heraus, elegant und voller Schwung, meine Flügel. Anders als mein Körper waren sie durchsichtig schimmernd. Ein reines Weiß. Leuchtend und Strahlen nach allen Seiten schickend. Es war, als hätte die Energie, die dem Licht innewohnte, einfach die Gestalt von Federn angenommen. Sie waren nicht von der selben Substanz wie mein Körper. Das war Licht in seiner reinsten Form und ja, ich genoss sie, diese Energie. Ich brachte die mächtigen, weißen Schwingen allein mit einem Gedanken dazu, sich auszubreiten. Sie waren so leicht und doch spürte ich sie mit jeder Faser meines Körpers. Ich spreizte die Flügel, trunken vor Macht und selbst Er schien überrascht von ihrer Pracht. Ich sah dem anderen in die Augen. Der Große, der Strahlende, mein Gott. Der erste Schub der Energie war vorüber, doch ich fühlte noch immer den Nachklang jenes unglaublichen Gefühls des reinen Glücks und der Liebe. Für Ihn würde ich alles tun. Selbst wenn das bedeutete, Ihm auf ewig zu dienen. Ich sah dem Gott in die Augen und ich liebte Ihn, ich liebte Ihn mit einer Freude und Inbrunst, mit der ich auch das Licht liebte. Die lästigen Proteste schob ich in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Gott streckte Seinen Arm zur rechten Seite aus und Licht flutete durch die Finsternis. Es wurde von Ihm selbst abgestrahlt und verebbte nach und nach. Doch statt wieder dieselbe Leere zurückzulassen, stand der Herr nun auf einer Wolke aus weißem Dunst. Um Ihn herum war eine Kugel aus Licht, aus blauem Licht. Als Hintergrund bot es einen so scharfen Kontrast zu der umgebenden Schwärze, dass ich unwillkürlich die Augen zusammenkneifen musste. „Steh auf“, forderte Gott mich auf, „und benutze deine Gaben.“ Benutze deine Gaben? Was für Gaben? Was meinte Er? Sollte etwa auch ich, der Diener, genau wie Er in der Lage sein, das Licht zu verbreiten? Wenn wir dasselbe tun konnten, wo war dann der Unterschied zwischen uns? Meckere nicht wieder rum, schalt mich meine innere Stimme. Tu einfach, was Er sagt. Ist ja gut! Also Gaben benutzen. Schön. Was mag das heißen? Du bist der Lichtbringer, richtig? Also solltest du Licht bringen. Vertreibe die Finsternis. Leuchte ein bisschen. Ich streckte meine Flügel zugleich mit meinen Armen aus und sandte das Licht, so weit ich es vermochte. Dabei bemühte ich mich, es nicht nur hell aus mir heraus leuchten zu lassen, sondern es von mir abzulösen. Die Augen hielt ich geschlossen, doch ich stellte mir vor, wie das Licht überall hin flutete. Wie Schwarz zu Weiß wurde und die Welt erhellte. Da spürte ich eine Veränderung. Ich kannte das Licht, die Finsternis und das Zwischending, aus dem mein Körper bestand. Mein Körper, die vormals leere Hülle, die jetzt mit Gottes Licht angefüllt war. Aber als ich mein Licht von mir ablöste und ihm eigene Gestalt gab, da wurde etwas Neues daraus. Etwas, für das ich keinen Namen hatte. Materie, beschloss ich. Das klingt doch gut, oder? Materie. Lass es dir auf der Zunge zergehen. Ich schuf Materie aus Energie. Als ich die Augen wieder öffnete, stand ich in einer kleinen Insel der Helligkeit. Um mich herum erstrahlte mein Licht, es war über mir und füllte den Raum aus, es war zu meinen Füßen und bildete eine dünne Ebene aus weiß waberndem Dunst und es war unter mir und glühte in der Dunkelheit. Die Kugel war nicht so groß wie die von Gott und den Wolken fehlte es an Form. Aber immerhin, ich hatte Wasser und Luft erschaffen. Damit ließ sich etwas anfangen. Nun, da ich wusste, wie es funktionierte, war es mir die natürlichste Sache der Welt. Wieder streckte ich meine Arme aus. Die Kugel wuchs an und schluckte die meines Herrn. Der wabernde Dunst zog sich nun viele Meter lang. Dann immer weiter und weiter, bis ich das Gefühl für die Entfernung verlor. Auch Gott streckte Seine Arme abermals aus und das Licht flutete in alle Richtungen. Natürlich viel weiter als bei meinen ersten Versuchen. Jetzt war die Welt nicht länger dunkel, sie war strahlend hell. Über und unter uns spannte sich das Blau des neuen Himmel, mit nichts als Luft dazwischen. „Jetzt geh, Sataniel, und dehne die Ränder dieser Welt, bis sie Platz hat für all die Lichtwesen, die ich erschaffen werde“, sprach der Gott. Ich gehorchte voller Vorfreude. Endlich durfte ich fliegen! Erfüllt von Glück spannte ich meine Lichtschwingen und fuhr in die Luft hinauf. Ich flog so schnell ich konnte. Die Luft schoss an mir vorbei. Wind, beschloss ich, das ist Wind. Wind, der mir das Haar zerzauste. Wind, der mich aufjauchzen ließ. Wind, der mich nicht schnell genug trug, weil mein Innerstes vor Freude zu zerspringen drohte. Welche Freiheit! Gott, der Herr schien so fern. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr der bloße Gedanke an Befehle mich eingeengt hatte. Vollkommen aus der Luft gegriffene Befehle, nicht erklärt, nicht gerechtfertigt. Wie wenig hatte Gott mit mir gesprochen! Aber jetzt war das alles egal, jetzt war ich frei und schnell und konnte machen, was ich wollte. Also, wie erschafft man eine Welt? Ich wollte sie perfekt machen. Dann wäre Gott mit mir zufrieden und wunschlos glücklich. Wenn Gott wunschlos glücklich wäre, müsste ich Ihm keine Wünsche erfüllen. Dann müsste ich auch nicht mehr Diener sein, sondern könnte Ihn einfach so lieben, ohne Verpflichtungen. Gut, also Himmel erschaffen. Welche Form soll er haben? Eine Kugel, entschied ich, das ist die vollkommenste aller Formen. Ja, eine Kugel. In der Mitte sollte sich die Wolkenebene als Scheibe befinden. Nicht so ein dünner Dunst, sondern dick und flauschig, so wie Gott das vorgemacht hatte. Mit ein bisschen Übung würde ich das schon hinkriegen.   *   Ich kniete vor dem Herrn, den Kopf gesenkt, schwer atmend. Mit letzter Kraft faltete ich meine Flügel hinter dem Rücken. Die wunderschönen Schwingen, die jetzt stumpf waren und trübe. Meine Glieder zitterten. Die Erschaffung des Himmels hatte mich vollkommen ausgelaugt. Ich hatte schon allein Ewigkeiten gebraucht, um überhaupt die Grenzen zu ziehen. Aber Gott war auch nicht untätig geblieben. Ohne Seine Hilfe wäre ich bestimmt nicht so schnell fertig geworden. Im Gegensatz zu mir strahlte Er mit unverminderter Intensität. Wie war das möglich? Besaß Gott unendlich viel Licht und Energie? Natürlich hat Er unendlich viel Licht! Er ist ja schließlich Gott, oder!? Du bist nur der Diener, das Werkzeug, dass Er wegwirft, wenn du nicht stark genug bist! Also hüte dich, jetzt auch noch rebellisch zu werden! Schön das Knie beugen, demütig. Zeig Ihm, dass du gehorsam bist. Dass Er dich noch gebrauchen kann. „Mein Gott, ich habe getan, was Ihr befohlen habt. Ich flog zum Rande der Welt und dehnte ihn in die Ferne. Ich ließ das Licht die Dunkelheit verschlucken. Als Euer Werkzeug habe ich Euer Licht verbreitet, doch nun ist es erschöpft.“ Vor der imposanten Gestalt Gottes fühlte ich mich furchtbar klein. Ich war so schwach. Verwundbar. Das hasste ich an meiner Situation am meisten. In den kalten, harten Augen Gottes las ich keine Dankbarkeit, nicht einmal Anerkennung. Aber Seine Mimik ließ ohnehin nie ein Gefühl erkennen. Der Traum der gleichberechtigten Freundschaft zerplatzte endgültig vor meinen Augen. „Du wirst immer etwas von meinem Licht haben, Sataniel, denn es ist dein Leben“, sagte Gott feierlich. „Aber wenn du Materie erschaffst, verbrauchst du dieses Licht und erschöpfst dich daher. Du musst dich zuweilen ausruhen, dann wird die Kraft von ganz allein zu dir zurückkehren.“ Ich erschrak. Das Wort Materie hatte ich bisher nur für mich in meinen Gedanken benutzt. Woher kannte es Gott? Konnte er in meinen Kopf hineinsehen? Das wollte ich nicht! Wieder legte Er mir die Hand auf die Stirn und beinahe wäre ich zurückgezuckt. „Da aber noch so viel Arbeit vor dir liegt, werde ich dir heute noch einmal von meinem Licht geben.“ Diesmal war es nicht der gleißende Blitz, der mich durchzuckte. Vielmehr floss von Seinen Fingern eine sanfte Wärme in mich ein und ich spürte, wie meine Energie zurückkehrte. „Heute bricht der erste Tag im Himmel an“, verkündete Gott und deutete mit der Hand in die Ferne. Ich folgte der Geste mit dem Blick. Da sah ich, wie sich am Horizont eine unglaubliche Menge an Licht sammelte und zu einer Kugel zusammenballte. Das riesige, feurige Ding glühte gelb und orange und stieg ganz langsam am Himmel auf. Es war ein faszinierender und wunderschöner Anblick, den ich garantiert nie vergessen werde. „Das ist die Sonne“, erklärte Gott, „sie wird den Himmel beleuchten.“ Die Sonne war traumhaft. Aber irgendwie... auch ziemlich nutzlos, oder? Im Himmel war es doch schon vorher hell gewesen. Gut, nicht ganz so sehr vielleicht, aber es herrschte doch zumindest immer ein Zwielicht, in dem man alles noch klar erkennen konnte. Ich ärgerte mich mal wieder über mich selbst, dass ich mir diesen Augenblick mit meinen Fragen verdarb. Vielleicht sollte ich weniger nachdenken und stattdessen dankbar sein, dass Gott meine Kräfte wieder aufgeladen hatte. Das war ich auch. Wirklich. Dennoch war mir die Aufmerksamkeit, die Er mir entgegen brachte, noch zu viel. Oh, ich wollte Seine Gesellschaft, das schon. Es gab ja keine andere. Ich wollte auch dieses Licht spüren. Aber das Wissen, von Ihm abhängig zu sein, beunruhigte mich in dem selben Maße, in dem ich froh war, mein Licht niemals vollkommen aufbrauchen zu können. „Ihr solltet mehr Diener haben als nur mich, oh Herr“, schlug ich schließlich vor. Mehr Gesellschaft für mich. Mehr Engel, die Gottes Wünsche bedienten, hieß mehr Freizeit, in der ich mich unbemerkt davonstehlen konnte. „Soll diese Welt Eure Vollkommenheit symbolisieren, so lasst mich und Eure Diener den Himmel mit allem Schönen und Reinen erfüllen, mit allem Machtvollen und Starken.“ Gott überlegte einen Moment, schien durch meinen Vorschlag geschmeichelt zu sein. „Zuerst brauche ich einen Sitz für meine Herrschaft, ein festes Gebäude, das an Schönheit und Stärke nie wieder etwas Vergleichbares haben wird. Du, Sataniel, sollst mir einen solchen Palast bauen. Du und zwei Gefährten, die ich dir zur Seite stelle, damit auch sie mich anbeten.“ Ja! Endlich würde ich die Gefährten bekommen, die ich mir so sehr wünschte. Gleichberechtigte Gefährten, Kameraden und Freunde, die nicht nur Befehle mit mir austauschten. Von Gott ging nun wieder jenes helle Strahlen aus, das mich aus der Finsternis zu ihm gelockt hatte. Es verströmte eine solche Helligkeit, dass ich davor zurückweichen musste. Und das war auch gut so, denn dieses Licht löste sich vom Herrn ab und es materialisierte sich, bildete eigene Formen und schließlich einen eigenen Körper. Noch bevor ich wirklich einen Blick auf das neue Wesen erhaschen konnte, glühte Gott noch einmal auf und das Ganze wiederholte sich. Die Engel knieten vor Gott nieder und Er legte ihnen seine Hände auf die Köpfe. „Dein Name sei Michael“, sprach Er zu dem Ersten, „du bist der Engel der Rechtschaffenheit und des Willens.“ Und zu dem anderen: „Du heißt Gabriel und bist der Engel der Schönheit und Verkündung.“ Auch sie warnte Er vor Ungehorsam und befahl ihnen Dienerschaft. Außerdem gebot Er ihnen, Ihm einen herrlichen Palast zu bauen für ihn und die vielen Engel, die Er noch erschaffen wollte. Das waren meine beiden Gefährten. Endlich hatte ich auch ein Wort für das, was sie waren: Engel. Sie waren Engel, Wesen aus Licht. Michael war hoch gewachsen, fast schon so groß wie der Herr. Er hatte lockiges, schulterlanges braunes Haar. Auch seine Flügel waren rehbraun und von grauen Federn durchsetzt. Das verwunderte mich im ersten Augenblick etwas. Ganz selbstverständlich hatte ich angenommen, wenn sie Flügel hätten, würden die auch weiß sein wie meine. In Michaels dunklen Augen brannte ein magisches Feuer, er verströmte Macht, Stärke und eisernen Willen. Ich würde ihn nicht unbedingt als schön bezeichnen. Seine Nase war ein wenig zu lang, seine Stirn etwas zu hoch, seine Stimme etwas zu rau. Außerdem trug er eine Rüstung, golden schimmernd und festlich, aber sicherlich nicht praktisch. Meine eigenen weißen Gewänder, die mich sanft umschmiegten, waren mir da viel lieber. Anders war da Gabriel. Er war von beinahe vollkommener Schönheit. Mit seinem langen, schwarzen, glatten Haar und der blassen Haut war sein Gesicht voller Kontraste. Trotzdem schaffte er es irgendwie, wie die Verkörperung der Harmonie selbst auszusehen. Er war schmal, etwas kleiner als Michael, mit weichen, fast femininen Zügen. Seine Gewänder waren weiß und blau, seine Schwingen ebenfalls. Die Flügel waren, wie auch Michaels und meine, trotz ihrer Färbung leicht durchsichtig. Beide hatten wie ich einen Körper, der mit Licht erfüllt war. Damit bestanden wir aus der gleichen Grundessenz, wir waren von der selben Art. Ich war genau wie sie ein Engel. Und Gott? War der auch ein Engel? Schwer zu sagen. Gott strahlte so viel Licht aus, dass ich darunter nicht erkennen konnte, woraus Seine Gestalt bestand. Aber Er ist ja Gott, das sagt ja schon, dass Er kein Engel ist, wies mich meine innere Stimme zurecht. Tut es das?, fragte ich zurück. Die Engel und ich sind aus dem selben Stoff gemacht – aber wurde ich wirklich auch von Gott erschaffen? Als Er mich zum ersten Mal berührt hat, war ich doch schon vorher da. Er hat mir nur von Seinem Licht gegeben. Die Engel hier sind anders entstanden. Vielleicht bin ich also gar keiner von ihnen. Vielleicht bin ich eher so ein Wesen wie Gott, dass Er nur zum Engel gemacht hat, indem er mich mit Licht erfüllte. Oder, wenn ich nicht so bin wie Gott, sondern ein Engel, dann muss Er auch einer sein. Es war gar nicht so sehr der Widerwille gegen eine Herrschaft. Das war gar nicht schlimm, nicht mit diesem Licht. Aber war Gott denn tatsächlich ehrlich zu mir? Das war die Frage, die mich wirklich beschäftigte.Wollte ich jemanden über mir haben, der mich anlog? Ob du willst oder nicht, das ist ziemlich egal. Er ist nämlich unendlich viel stärker als du. Er ist gut, oder zumindest ist Er dir gut gesinnt, denn Er gibt dir von Seiner Stärke ab. Er gibt euch eine Beschäftigung, einen Auftrag und dir gab Er Gefährten zur Seite. Du hast alles, was du dir nur wünschen könntest, um glücklich zu sein. Also bist du jetzt gefälligst still! Alles glaubst du besser zu wissen. Du hast gar kein Recht, diese Fragen zu stellen.   *   „Lasst uns sofort mit dem Bau beginnen!“, forderte ich die Engel auf, die Gott mir als Helfer zur Seite gestellt hatte, „der Sitz des Herrn soll nie wieder seinesgleichen finden!“ Gabriel schien noch ein wenig heller zu strahlen, als er begeistert vorschlug: „Mit vielen Türmen sollten wir den Palast gestalten! Weiß werden die Wände natürlich allesamt sein und so dünn, dass Licht hindurch scheinen kann. Außerdem soll es geben hohe Decken, sodass die Engel darin fliegen können.“ „Wie soll das denn halten?“, fragte Michael leicht spöttisch. „Wände, so dünn, dass das Licht hindurch scheinen kann? Das ist schlicht und einfach nicht machbar. Wir müssen alles daran setzen, die Mauern besonders dick zu machen. Sonst stürzt das Ganze zusammen.“ „Auf keinen Fall! Zierlich müssen die Wände sein. Gerade dann erscheinen sie noch wunderbarer.“ Mein Blick sprang von einem Engel zum anderen und wieder zurück. Was war denn hier los? Die hatten ja vollkommen verschiedene Vorstellungen davon, wie Gottes Palast auszusehen hatte! Dabei schwebte mir schon die ganze Zeit ein ganz bestimmtes Bild vor Augen. Aber niemand hatte gesagt, dass es einfach werden würde. „Wir können bauen wie wir wollen“, erwiderte ich und versuchte mich dabei ein wenig ihrer Sprache anzupassen. Die war weniger gehoben als die des Herrn, mit einer eigenen Melodie. „Gottes Macht wird die Decken schon tragen.“ „Und was ist, wenn Gott den Palast verlässt?“, fragte Michael angriffslustig. „Ich sage, das Schloss muss in erster Linie stabil sein.“ „Unsinn“, meinte Gabriel da aufgebracht, „schön muss es sein, das ist alles. Die Herrlichkeit Gottes soll schließlich damit symbolisiert werden!“ Ich schüttelte den Kopf. „Schönheit und Stärke sind gleichberechtigt und in Gott vereint. Diese Macht, die Vielfältigkeit, sollten wir darstellen. Die Wände sollten nicht nur weiß sein, sondern auch Abstufungen tragen, Farben genannt.“ „Willst du unsere Vorschläge etwa beide ablehnen, Sataniel?“, fragte Gabriel, nun ebenfalls etwas aggressiv. „Auch wenn du der Erstgeschaffene bist, so bist du uns doch an Rang nicht überlegen! Wie kannst du in Gottes Herrlichkeit Abstufungen machen wollen?“ „Du verstehst mich falsch, Gefährte“, erwiderte ich und hob beschwichtigend die Hände. Niemals hatte ich es mir so anstrengend vorgestellt, mit Gleichgestellten zusammenzuarbeiten. Hatte Gott wirklich gesagt, dass Michael und Gabriel mir gleichgestellt waren? Er hat sie zu dem selben Gehorsam gezwungen, der auch dir auferlegt ist, also: Ja! Aber eigentlich hätte es doch ausgereicht, sie mir als Untergebene zur Verfügung zu stellen. Was sollte das denn bringen, wenn wir alle andere Ziele und Wünsche hatten? Zudem die beiden sich auch noch gegen mich stellten. Da konnte es ja gar keine Zusammenarbeit geben, wenn niemand ihnen Befehle erteilte. Und wem gebührte dieses Recht besser als mir, dem Erstgeschaffenen? Nein, warte. Für dich ist das hier nur ein Auftrag. Gott hat gesagt, du sollst einen Palast bauen, also baust du einen Palast. Weil Gott stärker ist und weil du sowieso nichts anderes zu tun hast. Aber sieh dir die beiden an! Sie haben nicht deine Zweifel. Für sie ist der Schöpfer einfach der Schöpfer. Sie stellen sich aus blanker Eifersucht gegen dich. Sie glauben, dass der Herr dich mehr liebt als sie. Immerhin kennst du Ihn schon etwas länger. Wenn du mit ihnen zusammenarbeiten willst, musst du auf sie eingehen. Ich spreizte meine Flügel ein wenig, breitete die Arme aus und sagte: „Meine Worte sollten keineswegs ein Angriff auf euch, sondern vielmehr ein Kompromiss sein. Ich bin sicher, wenn ihr zusammen am Grundgerüst arbeitet, werdet ihr ein stabiles und dennoch schönes Bauwerk errichten können. Wenn wir unsere Kraft vereinen, sollte unser Licht ausreichen, die Materie dafür zu schaffen.“ Dies schien sie wenigstens ein bisschen zu befriedigen. „Wir müssen uns trotzdem auf einen Schwerpunkt einigen“, beharrte Michael. „Warum erzählst du uns nicht, was Gott dir über die Welt und Seine Wünsche erzählt hat?“ „Leider weiß ich auch nicht viel mehr als ihr. Gott spricht nicht besonders viel.“ „Aber wie man Materie schafft, das muss Er dir doch gezeigt haben. Überhaupt, was Materie ist!“ Ich sah Gabriel nachdenklich an. Wie sollte ich das erklären? „Es geht alles vom Licht aus, denke ich. Licht wird umgewandelt in Materie. Die Wolken zum Beispiel sind Materie.“ „Was ist mit unseren Körpern? Woraus bestehen die?“ Ja, woher sollte ich das denn wissen!? „Die sind wieder eine andere Form des Lichts. Sozusagen die dritte. Materie, wie die Wolken, Licht, wie unsere Flügel und...“ Jetzt brauchte ich rasch einen Namen für die dritte Form, „und... äh... Ter für unsere Körper.“ Ter!? Was Besseres fällt dir nicht ein!? „Äh-Ter“, wiederholte Michael nachdenklich. „Unsere Körper bestehen also aus Äther?“ „Komplett würde ich nicht sagen“, warf Gabriel ein. „Als Gott mich segnete, da spürte ich, wie mich Sein wunderbares Licht erfüllte. Wir Engel haben also mehr eine ätherische Hülle, mit himmlischer Energie, dem Licht, angefüllt.“ Die Situation war einfach nur skurril – obwohl ich zugeben musste, dass 'Äther' besser klang als 'Ter'. In künstlerischen Wortneuschöpfungen bin ich eben nicht so begabt. „Du musst uns zeigen, wie wir aus dem gottgegebenen Licht Materie erschaffen“, meinte Michael zu mir. Huch – dieser muskelbepackte, in goldene Rüstung gewandte Engel fragte mich um Hilfe? Da war aber einer ganz schön über sich selbst hinaus gewachsen. Vielleicht waren Gottes Schöpfungen doch nicht von Vornherein in ihrem Charakter festgelegt. Nun, das wäre ja auch nicht besonders praktisch. In dem Fall könnte ich ihnen ja nichts mehr beibringen – auch nicht, wie man Materie erschuf. Aber wie sollte ich das wunderbare Gefühl beschreiben, das ich empfand, wenn ich heiliges Licht in Händen hielt? „Licht zu formen ist ein wenig wie fliegen“, begann ich. „Vielleicht probiert ihr einmal eure Flügel aus. Dann werdet ihr dieses Gefühl schnell verinnerlichen.“ Die beiden Engel sahen mich an, als wäre ich verrückt geworden. Es dauerte ein paar Sekunden bis sie realisierten, dass ich keine Scherze machte. Widerwillig gehorchten sie. Kaum dass sie sich in die Lüfte erhoben hatten, fingen sie an zu strahlen. Begeisterung erfüllte ihre Gesichter und sie jubelten laut. Fast ein bisschen wie ich am Anfang. In Michaels Fall sah das etwas seltsam aus. Zum Glück war ich bei meinem ersten Flug allein gewesen! Jetzt konnte ich mir ein leicht spöttisches Lächeln leisten, als ich sie im Himmel herumtoben sah. Als sie wieder auf den Wolken landeten, versuchten wir es mit der Erschaffung von Materie. Ich hatte selbst noch nicht so viel Erfahrung damit. Ein paar Wolken waren nicht zu vergleichen mit dem, was wir jetzt vor hatten. Übung täte mir bestimmt auch ganz gut. Michael versuchte sich zuerst an einer Waffe – jedenfalls nannte er das so. „Wozu soll das gut sein?“, fragte Gabriel, der den langen, schmalen Gegenstand missmutig begutachtete. „Bauen kannst du damit nichts.“ „Das ist ein Schwert! Und damit kann man nichts bauen, damit macht man Dinge kaputt.“ „Warum willst du Dinge kaputt machen?“, fragte ich, wider Willen fasziniert. „Wir sind doch noch Anfänger. Wenn uns etwas nicht gelingt, müssen wir es wieder zerstören und neu versuchen.“ Michael war bei seinen Worten rot geworden. Ich konnte mir ein Grinsen nicht ganz verkneifen. Das Ding war nämlich nur eine zerkratzte, glanzlose Klinge mit mattem Griff. Nicht besonders würdevoll. Wütend und verlegen konzentrierte der Engel daraufhin das Licht in seinen Händen und das Schwert zersprang in tausend Stücke, die als Funkenregen hernieder segelten. Gabriel wählte wenigstens etwas Nützliches: „Eine steinerne Statue soll meine erste Schöpfung sein. Sie soll die Gestalt eines Engels haben, so groß wie wir es sind.“ Der Engel sammelte das Licht in seinen Händen und schloss die Augen. Mein zuvor mühsam unterdrücktes Grinsen wurde zu einem kaum noch im Zaum gehaltenen Lachen, denn Gabriel hielt eine kaum handtellergroße Figur hoch. „Schweig und mach es besser!“, knurrte Gabriel in meine Richtung. Natürlich hütete ich mich davor, dieselben Fehler wie meine Gefährten zu machen. Michael hatte sich zu sehr auf Größe und Macht, Gabriel auf äußerliche Details konzentriert. Um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen, brauchte es also zweierlei: das richtige Maß an Licht und eine genaue Vorstellung. Das sollte ich doch hinkriegen. Vorsichtshalber kündigte ich aber nicht an, was ich erschaffen wollte. Ich schöpfte von meiner Kraft, zog sie aus mir heraus, formte das Licht mit meinen Gedanken ohne Eile. Ich schloss die Augen, um mir meinen Gegenstand besser vorstellen zu können. Als ich sie wieder aufschlug, stand vor mir ein kleiner Springbrunnen, kunstvoll gearbeitet und mit zwei kleinen Figuren im Becken. Die sahen einem Engel in keinster Weise ähnlich, waren aber schön anzusehen. Sie spien einen Strahl frischen Wassers aus, der sich aus den Wolken unter ihm speiste und schließlich in das Becken zurückplätscherte. Als ich in die Gesichter der beiden Engel sah, war mir sofort klar, dass sie nicht etwa erfreut waren über mein Talent, das die Erschaffung eines herrlichen Gottessitzes erleichtern würden. Vielmehr hatte ich ihre Eifersucht gesteigert. „Tja... damit ist die Sache klar“, knurrte Michael und verschränkte die Arme. „Ich plane das Grundgerüst, Gabriel die Feinheiten und du wirst das Ganze schließlich umsetzen.“ Super, der hochwohlgeborene Zerstörer hatte mich soeben zum bloßen Bauarbeiter, zur Energiequelle degradiert. „Nicht umsonst bist du der Engel des Lichts“, sagte Gabriel beschwichtigend. „Mit der heiligen Kraft kannst du am besten umgehen, du hast eben schon Übung darin. Also soll es auch dir zustehen, das Schaffen selbst zu übernehmen. Jeder von uns sollte sich auf das spezialisieren, was er am besten kann.“ Darauf konnte ich mich einlassen. Ich nickte ihm freundlich zu. Der Bau konnte beginnen.   *   „Das ist das letzte Mal.“ Erschöpft ließ ich mich auf dem gut dreißig Ellen hohen Berg aus Mauersteinen nieder. „Mehr gibt es nicht.“ „Machst du Witze?“, rief Michael mir von unten zu. „Der Turm ist gerade mal halb fertig – und es ist der erste von sieben, die den Palast begrenzen sollen. So werden wir ja nie fertig. Mach dich gefälligst wieder an die Arbeit!“ Beleidigt schob ich die Unterlippe vor. Der meint das nicht so, sagte ich mir immer wieder. Er scherzt nur mit dir. Trotzdem – wie redete er denn mit mir!? „Nur zu deiner Information: Ich schufte hier von uns allen am meisten. Weißt du eigentlich, wie viel Energie ich in den letzten Sonnenumläufen schon auf diesen Unsinn verschwendet habe?“ Ich klopfte auf die weißen Steine. „Das ist... das ist eines Engels wie mir nicht würdig! Ständig bin ich am Schaffen. Mein ganzes Licht geht dafür drauf, die nötige Materie für die Steine bereitzustellen. Du hast es leicht, du wedelst nur einmal mit der Hand und schon schichten sie sich auf...“ „Ach komm, jetzt übertreibst du“, behauptete Michael. „Das ist eben das, was du am besten kannst. Am Anfang hab ich auch noch Stein um Stein aufeinander gelegt. Dass ich jetzt mit einem Gedanken schon eine ganze Mauer hochziehen kann, ist auch nur ein Ergebnis meiner Arbeit.“ Genervt stieß ich die Luft zwischen den Zähnen aus. Angeber! Michael strich über die weiße Mauer. Ein Dutzend Steine löste sich vom Fuß meines kleinen Throns und schwebte gehorsam zu dem Grundgerüst des Außenturms. Sie schichteten sich fein säuberlich übereinander auf. Na ja, fast säuberlich. Michael runzelte die Stirn, als ein paar von ihnen schief gerieten. Ungeduldig wedelte er mit der Hand und die Steine zerbrachen zu Tausend kleinen Splittern, die als Staub in die Wolken rieselten. Michael holte sich die nächste Fuhre. Alles weiß, pah! Ich fände Farben ja so viel schöner. Aber der Plan, den wir drei entworfen haben, sah ein kaltes, weißes Schloss vor. Rein nannten sie es. So ein Unfug. Aber es half ja nichts. Wenn ich mit Michael und Gabriel klarkommen wollte, musste ich Kompromisse eingehen. Wir alle mussten das. Wenn es nach Michael gegangen wäre, hätten wir eine düstere Kriegsfestung erbaut. „Sag mal, Sataniel... Wann hast du eigentlich das letzte Mal geschlafen?“ Stirnrunzelnd sah ich zu Michael hinunter. „Geschlafen?“ „Ja, dich einfach mal ausgeruht, neue Kraft geschöpft. Gabriel und ich legen ja auch ab und zu mal eine Pause ein, aber dich hab ich nie weggehen sehen.“ „Natürlich, Gabriel macht oft Pause“, erwiderte ich und wandte den Kopf zur Seite. Da in der Ferne, neben dem zweiten Außenturm, der bisher nur mit Markierungen abgesteckt war, saß Gabriel auf dem Boden. Um ihn herum lagen zahlreiche Karten und Zeichnungen, gemeißelt in gewaltige Steinplatten. Er selbst aber hockte still mit gefalteten Händen da und betete. Er wolle den Herrn um weitere Helfer für den Bau bitten, hatte er auf Nachfragen geantwortet. Allein seien wir zu wenige. Dabei wollte er sich einfach nur vor der Arbeit drücken. „Eigentlich habe ich noch nie geschlafen“, beantwortete ich Michaels Frage. „Meine Kraft war immer da. Nur als ich den Himmel erschaffen habe, da war ich erschöpft. Aber Gott hat mir neues Licht gegeben, damit ich sofort mit euch weiter machen kann.“ Der braunhaarige Engel starrte mich mit großen Augen an. „Du hast den Himmel erschaffen?“, fragte er ungläubig. „Einen Teil davon, ja.“ „Und du hast die ganze Zeit hier gearbeitet, ohne Pause? Wie viel Licht hast du eigentlich?“ „Jedenfalls nicht unendlich viel. Was glaubst du, warum ich jetzt streike?“, erwiderte ich bissig. Michael seufzte. „Na schön, dann mach ich eben allein weiter. Obwohl das hier wirklich nicht mein Fach ist.“ „Welches ist es denn?“, fragte ich ihn. Um meine ganze Kraft wieder zu erlangen, brauchte ich mindestens zehn Stunden. Meditation, entschied ich, war definitiv zu langweilig. Gabriel behauptete zwar, es sei entspannend, aber ich sah keinen Sinn dahinter. Ob ich mich jetzt in aller Stille in die Wolken warf oder mich mit Michael unterhielt, das war egal. „Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass Gott dich zu etwas anderem bestimmt hat? Etwas anderem als nur Häuser zu bauen, meine ich“, sagte Michael leise. Natürlich hatte ich das. Ständig. Ich wollte nicht mein ganzes Leben damit verbringen, Mauersteine zu erschaffen. Gott hatte mir so viel Kraft gegeben. Damit musste es noch eine andere Bewandtnis haben. Ich war zu etwas wirklich Großem bestimmt. „Der Herr hat mich als Krieger erschaffen. Als jemanden, der Zerstörung bringen kann. Da ist... Wissen in mir. Ich weiß, wie ein gutes Schwert auszusehen hat und wie man damit umgeht. Ich weiß, wofür es gut ist. Es sollte beängstigend sein, diese Macht, aber das ist sie nicht. Nicht für mich. So wie Gabriel manchmal in Gedanken den Bauplan des Palastes weiterentwickelt, so denke ich mir Szenarien aus, bei denen Hunderte von Engeln gegeneinander kämpfen. Ich überlege, wie man sie am besten überlisten, wie man siegen könnte. Kriegsstrategien, verstehst du? Aber es gibt doch keine Feinde und es wird auch nie welche geben. Kein Gegner, gegen den ich mich wehren, vor dem ich Gott beschützen müsste. Niemand braucht doch Schutz, erst recht nicht der Schöpfer. Warum tue ich dann so etwas? Warum habe ich diese Gedanken? Wieso hat mich Gott so erschaffen?“ Bestürzt sah ich den Engel an, der nicht wagte, meinen Blick zu erwidern. So hatte ich Michael noch nie erlebt. Für mich war er ja nur der Typ, der alles kaputt machte, was nicht perfekt war und dabei noch an mir rummeckerte. Ich hatte nicht geahnt, dass in ihm doch so tiefsinnige Gedanken schlummerten. Unsere kleinen Streitgespräche waren zwar lustig, aber sie verrieten mir nicht viel über ihn. Es gab ja auch wenig zu reden. Woher sollte es schon Neuigkeiten geben? Wir standen am Anfang der Zeit. „Wir alle sind ein Teil des Herrn, Michael, wir tragen Sein Licht in uns. Du bist Seine Stärke. Er ist der Vater, wir sind Seine Kinder und auch ein Vater muss manchmal Seine Kinder züchtigen. Deine Aufgabe ist es, allen künftigen Engeln Ehrfurcht vor dem Herrn einzugeben. Sei immer wachsam und treu, damit gar nicht erst Feinde auftauchen.“ Ich schenkte Michael ein aufmunterndes Lächeln. Jetzt sah er mich doch an. Etwas leuchtete in seinen Augen, etwas, das ich als Hoffnung erkannte. „Huh“, machte er, „und ich dachte, du bist der Lichtbringer, weil du so viel Energie hast. Aber in Wirklichkeit ist es das Licht der Wahrheit und der Hoffnung, das du bringst.“ Auch er lächelte jetzt. Nein, es war mehr ein Grinsen. „Du hast Recht, Sataniel. Wenn Gabriel Erfolg hat und der Herr uns weitere Engel schickt, dann werde ich sie gerne willkommen heißen. Aber ich werde auch stets zusehen, dass sie unseren Gott so anbeten, wie Er es verdient“, schwor sich der Engel. „Und... wenn Gott der Vater des Himmels und aller Engel ist... dann bist du mein Bruder, Sataniel. Du, Gabriel und ich, wir drei werden einander immer etwas Besonderes sein. Selbst unter all denen, die noch kommen werden... nicht wahr?“ „Ja“, erwiderte ich sofort und mit einer Freude, die von Herzen kam. Auf einmal war da so viel Wärme in mir. Was waren das für Gefühle? Es erinnerte mich an den Augenblick meiner Segnung, aber es war nicht ganz wie bei Gott ...diese Freude, diese Zufriedenheit... Ich war glücklich. „Wir sind Brüder. Wir sind eine Familie.“   *   Als wir gerade den Schlussstein auf das Dach des ersten Turmes setzten, rief Gabriel uns zu sich. Wir flogen zu ihm hinunter und landeten sanft auf dem Wolkendunst. „Seht mal, da vorn!“, rief nun Gabriel aus, als wir uns zu ihm gesellten. „Gott hat meine Gebete erhört!“ Als ich Gabriels ausgestrecktem Arm mit meinen Blicken folgte, sah ich in der Ferne einen hellen Punkt rasch näher kommen. Engel? Die Gestalten waren von einem hellen Schleier umgeben, sodass ich sie nicht gleich erkennen konnte. Schließlich aber, als sie näher kamen, war ich mir sicher: Das waren Gottes Boten. Es waren nur vier, erkannte ich enttäuscht. Wir brauchten doch viel mehr, wenn wir den Palast jemals fertigstellen wollten! Die vier Gestalten landeten elegant auf der Wolkenebene. Michael trat vor, um sie zu empfangen: „Ich grüße euch, ihr Lichtwesen, die ihr gewiss von Gott kommt. Mein Name ist Michael und dies sind meine Gefährten Sataniel und Gabriel. Sagt, wie sind eure Namen und welche Worte habt ihr von Gott vernommen?“ Ich sah ein wenig überrascht zu dem Braunhaarigen auf. Michael war nicht der Typ, der geschwollene Reden schwang. Zu mir jedenfalls hatte er nie so geredet. Stand mir das etwa nicht zu? Beleidigt verschränkte ich die Arme. Der erste der neuen Wesen war ein schlanker, gut gebauter Engel mit kurzem, dunkelbraunen Haar. Er hatte ein entwaffnendes Lächeln und schöne, aber durch und durch maskuline Gesichtszügen. Er faltete seine silbergrauen Schwingen hinter seinem Rücken zusammen und neigte kurz den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung. „Mein Name ist Raphael“, sprach er dann, „und Gott hat mich ausgesandt, beim Bau Seines Palastes zu helfen.“ An Raphaels Seite trat nun der zweite Engel. Er hatte lange, schwarze Haare - und damit meine ich wirklich lang, sie reichten ihm fast bis zur Hüfte – und eine etwas dunklere, braune Hautfarbe. Seine Augen waren so schwarz wie sein Haar und seine Gewänder braun und olivgrün, wie seine Flügel. Auch er deutete eine Verbeugung an und stellte sich vor: „Ich bin Uriel und werde euch ebenfalls zur Seite stehen.“ Der nächste Engel stellte sich als Karasiel vor. Seine Flügel waren weiß mit einigen kupferfarbenen Federn am Rand und er hatte rotblondes Haar. Der Letzte nannte sich Esharael. Er schien mir ein wenig kraftlos und die Spitzen seiner braunen Flügel waren schmutzig grau. Ich konnte nicht anders, als gleich ein wenig mitleidig auf ihn herab zu sehen. Dann sprach wieder Raphael: „Der Herr hat uns alle als die sieben Erzengel erschaffen. Wir sind die ersten, aber uns sollen noch viele nachfolgen. Gott gibt euch die Erlaubnis, nun selbst lebende Geschöpfe zu erschaffen. Alle von uns sollen die Dienerschaft des Herrn vermehren, sofern sie dazu in der Lage sind.“ Betroffen schwieg ich und mit mir auch Michael und Gabriel. Wir konnten selbst Engel erschaffen? Nun, da waren wir ja schön dumm gewesen, ewig zu Gott zu beten! Wir hätten uns selber helfen können. Hätten wir nicht, schnurrte meine innere Stimme, weil es nämlich verboten war. Großartig! Das hätte uns wirklich jemand früher sagen können! Was nun, wenn einer von uns auf die Idee gekommen wäre, den Mangel an Arbeitskräften selbst in die Hand zu nehmen? Er hätte nicht einmal gewusst, dass er ein Verbot brach. Es entstand eine peinliche Stille. Vielleicht gingen meinen Brüdern ähnliche Gedanken durch den Kopf. Gabriel rettete die Situation schließlich, indem er ein Lächeln aufsetzte und erwiderte: „Nun, wir heißen euch herzlich willkommen im Himmel. Auch wir befinden uns noch nicht lange hier und haben wenig Erfahrung im Umgang mit Gottes Licht... Dies beherrscht Sataniel am besten.“ Erschrocken sah ich den Schwarzhaarigen an, doch der lächelte mir munter entgegen. „Würdest du den Versuch wagen?“ Und so wurde der erste Fluch geboren. „Verdammt“, murmelte ich mit finsterer Miene, allerdings so leise, dass niemand es verstand. Einer solch direkten Herausforderung konnte ich mich natürlich nicht verweigern. Wie sähe das denn aus? Aber diesmal hieß es, nicht Materie, sondern einen echten, ätherischen Körper aus Energie zu formen. Das war ungleich schwerer, selbst in meiner Vorstellungskraft. Trotzdem versuchte ich es: Zunächst sammelte ich das Licht in meinen Händen. Alle Augen ruhten auf mir. Meinen Blick aber wandte ich in mein Innerstes. Ich spürte nach meinem Feuer. Das Leuchten in meinen Händen wurde immer mehr, aber noch hatte es keinerlei Form. Zuerst also gab ich dem Licht die Gestalt eines Engels, als wollte ich eine Statue schaffen. Ich schuf ihn nicht zu groß und nicht zu klein. Ich gab ihm schwarze Flügel mit mitternachtsblauen Federn an den Spitzen – einfach weil keiner der anderen Engel bisher schwarze Flügel hatte und ich ihn einzigartig erschaffen wollte. Er sollte nicht zu blass werden, aber auch nicht so dunkel wie Uriel sein und ich gab ihm schulterlange, schwarze Locken. Einen Moment hielt ich inne, denn ich hatte nun zwar das Aussehen, aber das war ja eigentlich der unwichtigste Teil. Es wartete noch immer auf seine Form. Also begann ich, ihm die Eigenschaften zu geben, die ich als gut erachtete. Natürlich Stärke, auch Entschlossenheit und einen Blick für die Schönheit. Ich gab ihm Gehorsam ein. Und Intelligenz fand ich wichtig sowie die Fähigkeit, eine Lüge oder andere Falschheit zu erkennen. Auf alles Weitere verzichtete ich. Dieses Wesen brauchte auch Freiraum, um sich weiter zu entwickeln und seinen eigenen Charakter zu formen. Ich lauschte in mich hinein. Licht war die reinste Form der Macht und mächtig sollte mein Geschöpf sein. Also führte ich ihm Licht zu, immer mehr und mehr, bis er sich mit den Erzengeln messen konnte. Der Engel sollte Gott dienen und ein Gottesdiener sollte schön und stark und mächtig sein. Als ich meine Kreatur schließlich losließ, fuhr ein Zittern durch ihren Körper und der Engel fiel zu Boden. Im letzten Moment lenkte er die Bewegung ab und machte einen ehrfürchtigen Kniefall daraus. Das Haupt war gesenkt, als wagte er nicht, zu mir aufzusehen. Jetzt sollte ich etwas sagen, oder? Die Erzengel sahen mich erwartungsvoll an. Was ich nun tun würde, könnte immerhin in der Zukunft zu einem traditionellen Ritual werden, ständig wiederholt bei jeder Neuerschaffung eines Lichtwesens. Die anderen würden sich mich als Vorbild nehmen.Was für eine Verantwortung! Woher sollte ich wissen, was zu tun war? Wie konnte ich die richtigen Worte finden, Worte, die dieses neue Geschöpf niemals vergessen und die sein Leben bestimmen würden? Ich fand sie nicht. Also wählte ich Gottes Worte: „Dein Name“, sprach ich und dachte in aller Schnelle nach, während ich dem Neuen meine Hand auf den Kopf legte, „sei Azazel. Ich bin Sataniel, ich gab dir von Gottes Licht. Durch mich wurdest du von Ihm erschaffen.“ In Ermanglung anderer Ideen schloss ich: „Erhebe dich, Diener des Herrn.“ Azazel hob den Blick und ich las Anbetung in seinen Augen. Keine Anbetung für den fremden Gott, den er nie gesehen hatte, sondern Anbetung für mich. Das irritierte mich, ich hatte ihm doch gesagt, dass er im Prinzip ja Gottes Werk und nicht meines war. Doch der Schwarzhaarige sah mich an und seine Gedanken waren so klar und rein, dass ich sie hören konnte, obwohl er sie nicht aussprach. War ich jetzt mit ihm verbunden, weil ich ihn erschaffen hatte? Nein, erkannte ich, diese Kreatur schrie ihre Gefühle und Gedanken nur so laut heraus, dass ich gar nicht anders konnte, als sie zu empfangen. Für einen Moment sah ich mich selbst in seinen Augen und ich erschrak. Das war doch nicht ich! So edel war mein Gesicht nicht. Meine Haare glänzten nicht so, da war kein heiliger Lichtschein um mich herum. Oder? Ich widerstand der Versuchung, auf meinem Kopf nach einem Heiligenschein zu tasten. Die pure Anbetung im Geiste dieses jungen Engels jagte mir einen Schauer über den Rücken. Nicht, dass es nicht schmeichelhaft gewesen wäre. Aber ich hatte es nicht beabsichtigt und ich konnte es absolut nicht leiden, wenn etwas nicht so lief, wie ich das plante. „Ich werde Euch zur Seite stehen, so gut ich es vermag!“, versprach Azazel mit einer fast schon erschreckenden Inbrunst. „So diene mir, und damit Gott, der mein Herr ist und deiner“, erwiderte ich und hoffte inständig, dass die Erzengel meinen Schnitzer nicht mitbekommen hatten. Verdammt. Ich hatte Azazel Gehorsam eingegeben – aber nicht bestimmt, wem er gehorchen sollte! Im Grunde also nicht weiter verwunderlich, dass er sich an mich gewandt hatte, der ich ihm als sein Schöpfer erschien. Dann aber beruhigte ich mich wieder. Warum so panisch? Du dienst Gott und solange du das tust, wird Azazel es auch tun. Wenn du zukünftig Engel erschaffst, wirst du einfach darauf achten, dich besser auszudrücken. Das bedeutet nicht, dass Azazel ein Fehlschlag ist. Er ist dein erster Versuch und er ist ein mächtiger, strahlender Engel. Was kannst du dir Besseres wünschen?   *   „Dieser Palast wird wahrlich prächtig werden“, sagte Michael, der Kriegerengel. Wir schwebten nebeneinander in der Luft, brauchten kaum die Flügel zu bewegen. Um uns herum schwirrten Dutzende von mehr oder weniger hell leuchtenden Engeln. „Wir sind mächtige und schöne Wesen, nach dem Abbild des Herrn geschaffen. Da soll auch Sein Symbol mächtig und schön sein“, erwiderte ich. Mein Blick streifte hinüber zu dem Palast, der unter den Händen der zahlreichen Engel langsam Gestalt anzunehmen begann. „Aber wer soll dieses Werk bewundern?“, fragte Michael trotz allem ein wenig mutlos. „Wenn wir so großartige Wesen sind, muss es dann nicht auch jemanden geben, der niedriger ist als wir? Mit wem sollen wir uns denn vergleichen?“ „Vergleich dich mit den niederen Engeln, wenn du das willst“, meinte ich belustigt. „Vergleiche deine Geschöpfe mit den Geschöpfen, die direkt vom Herrn kommen, dann erkennst du Seine Pracht. Vergleiche deine Nachkommen mit denen von Gabriel oder Raphael. Die haben beide bestimmt schon fünfzig erschaffen. Wie steht es da bei dir?“ „Siebzig“, antwortete Michael stolz, „aber die Anzahl ist nicht alles, richtig? Die, die von dir kommen sind... anders.“ Alarmiert sah ich den Kriegerengel an. Ja, meine Engel waren anders. Azazel war der Einzige, der mich mit dieser Verehrung sah, nur mir gehorsam war. Aber auch den anderen, die ich nach ihm erschaffen hatte, gab ich nicht einfach Gehorsam vor Gott ein. Stattdessen bekamen sie Ehrfurcht und Respekt vor jedem, der stärker war als sie. Stärke wiederum ließ ich sie selbst definieren. Damit waren meine Engel freier als die anderen und das prägte ihren Charakter. „Was meinst du mit 'anders'?“, fragte ich meinen Bruder. Natürlich war es nicht verboten, was ich getan hatte, aber es war doch... ungewöhnlich. „Nun, du verteilst ihre Fähigkeiten ganz unterschiedlich. Jeder ist irgendwo besonders gut. Der Eine ist ein hervorragender Flieger, der Nächste hat eine große Körperkraft und so weiter. Dafür sind sie in anderen Disziplinen absolut unfähig.“ „Hey!“, rief ich protestierend aus und verpasste Michael einen scherzhaften Schlag mit meiner Flügelspitze. Der Kriegerengel taumelte nicht einmal. „Wen nennst du hier unfähig? Ich setze mich für Individualität ein, das ist alles.“ „Oh, tolle Individualität!“, meinte er sarkastisch. „Aber am Ende machen wir doch alle dasselbe. Wir schichten Stein um Stein und bauen an Gottes Palast. Jeder wird gleichermaßen auf dieses Wunderwerk hinab sehen können. Zum Schluss werden wir zufrieden mit dem Ergebnis sein. Und wenn wir nicht zufrieden sind, ist es nicht der Schluss. Dann bauen wir eben weiter. Aber woher sollen wir wissen, dass unsere Arbeit wirklich gut ist?“ „Nun, das wird uns doch Gott sagen, oder etwa nicht?“, meinte ich. „Wenn Er sagt, es ist gut, dann ist es gut und Er wird uns loben.“ Und wehe, Er würde uns nicht loben. Wir schufteten hier ja wohl genug. „Wenn wir Gott dienen, dann kümmert Er sich um uns. Immerhin gibt er uns unser Licht.“ Was wahrscheinlich der einzige Grund war, warum er sich überhaupt als Gott bezeichnete. „Natürlich tut Er das“, stimmte Michael mir traurig zu. „Aber ich habe das Gefühl... Dass Gott uns ja eigentlich gar nicht braucht, wenn doch unsere Kräfte nur von Ihm kommen. Diesen wunderbaren Palast hätte Er auch ganz allein und sicher viel schneller errichten können.“ Ich blinzelte überrascht. Solche Worte waren mir fremd von Michael. Dabei war das genau einer dieser Punkte, wegen denen mich meine eigene innere Stimme immer ausschimpfte. Konnte ich in Michael einen Gleichgesinnten finden? Alle verehrten Gott, den Schöpfer, den Allmächtigen. Klar, Er war ja auch großartig und stark und alles. Er hatte uns ja erschaffen, uns unser Licht gegeben. Trotzdem – ihm deshalb dienen? Bisher hatte ich nicht geglaubt, dass jemand diesen winzig kleinen Zweifel teilen könnte. Immerhin stritt ich deswegen ja selber noch mit mit mir. Gott ist Gott und einem Gott stehen Diener zu. So etwas wie Palastbauen, dazu braucht Er sich nicht herabzulassen. Wir sind nun einmal als Seine Diener erschaffen worden, also ist das unser Los, protestierte meine Vernunft, als hätte ich sie mit meinen Gedanken herbeigerufen. Ich wiederholte die Worte für Michael. Allerdings weniger um ihn zu überzeugen, sondern eher, um ihn zu testen. „Was für einen Sinn hat es, jemandem zu dienen, der selbst so viel mächtiger ist als alle Engel des Himmels zusammen?“, fragte dieser daraufhin. „Du verwechselst Gott mit einem Herrscher, Michael“, belehrte ich ihn. „Ein Herrscher mag der Stärkste unter seinen Untertanen sein. Aber das Volk könnte sich jederzeit gegen ihn wenden und einfach jemand anderes aus seiner Mitte als neuen Herrscher einsetzen. Ein solcher Herrscher dient seinem Volk, indem er es vor sich selbst beschützt. Unter den Engeln herrscht keine Zwietracht und wir haben keine Feinde. Wir brauchen keinen Schutz vor anderen, nur vor uns selbst. Aber Gott ist nicht unser Herrscher. Wir dienen dem Herrn nicht, weil Er uns schützt, sondern weil es der Zweck unseres Daseins ist.“ Jedenfalls, wenn es nach Gott ging. Michael nickte erleichtert. „Ja, ich denke, du hast Recht. Wie aber kann ich Ihm am besten dienen?“ Ha! Da siehst du es. Wenn einem Engel Zweifel kommen, sollte er Gründe suchen, warum er Gott dienen soll. Nicht umgekehrt. Also war es gar nicht der Gedanke des Dienens, der Michael abstieß – sondern die Angst, im Grunde nutzlos für den Herrn zu sein. Ich unterdrückte ein Seufzen. Nun, das wäre auch zu schön gewesen. „Na, das liegt ja jetzt wohl auf der Hand“, sagte ich mit einem Lächeln, das fast echt aussah. „Als Herrscher natürlich! Als Herrscher über die Engel. Du bist einer der sieben Erzengel und als solcher hast du die neuen Geschöpfe, die niedrigeren Engel, zu überwachen. Indem du das tust, dienst du Wesen, die als Einzelner schwächer sind als du, wenn auch zusammen stärker. Du hältst sie im Zaum und schützt sie vor sich selbst.“ Michael lachte, ein klares, berauschendes Geräusch. „Natürlich, Sataniel! Du erkennst die großen Zusammenhänge. Die sieben Erzengel leiten alle anderen Engel. Sie herrschen über sie... Ja, das erscheint mir richtig. So habe ich unsere Aufgabe bisher nicht gesehen. Ich danke dir, mein Bruder. Jetzt lass mich nach dem Westturm gucken, ich glaube, sie setzen da gerade das Dach schief auf...“ Mit diesen Worten schwebte der Kriegerengel davon. Jetzt sei nicht so schwermütig. Du bist eben etwas anders – finde dich damit ab. Versuche, so normal wie möglich zu sein. Und hör das nächste Mal gleich auf mich. Aber es war nicht nur Bedauern, das ich fühlte. Da war auch eine angenehme Wärme in meinem Herzen, wenn ich ihm nachsah. Wie war das nur möglich, dass ich glücklich war, obwohl doch Michael gerade Hilfe empfangen hatte? Von diesem Gespräch hatte ich gar nichts gehabt. Im Gegenteil, ich hatte nur erkannt, dass ich mich Michael niemals so würde anvertrauen können, wie er es heute getan hatte. Aber Michael war glücklich. Er lachte und seine Augen leuchteten und der Himmel war strahlend schön. Da war es doch ganz selbstverständlich, dass ich auch glücklich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)