Deepest Dark von Flordelis (Miracle II) ================================================================================ Kapitel IX – Ist das deine Wohnung? ----------------------------------- Faren wohnte gar nicht weit entfernt von dieser Halle, wie Kieran feststellte, als er zehn Minuten später bereits mit ihm in einem Aufzug stand. Die Fahrt mit dem Taxi war wirklich eine gute Wahl gewesen, denn inzwischen konnte Faren sich kaum noch auf den Beinen halten. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Fahrstuhlwand, atmete schwer ein und aus, während Schweißtropfen ihre Spuren auf seinem bleich gewordenen Gesicht hinterließen. Es war … eigenartig, Faren so zu sehen. Kieran konnte nicht sagen, ob es Sorge war oder ein schlechtes Gewissen. Beide Gefühle kannte er zu gut. Aber jenes, das bei dem aktuellen Anblick entstand, war ihm reichlich unbekannt. Es rumorte mit einer erstaunlichen Hitze in seinem Inneren und sorgte dafür, dass ihm viel zu warm war, während er darauf wartete, dass sie die vierte Etage erreichten. Bislang schien der Aufzug dafür aber ewig zu brauchen. Schließlich traten sie aber in den, durch die wenigen Fenster, halbdunklen Gang. Schon nach wenigen Schritten – die bei Faren sehr wackelig gewesen waren – hielten sie wieder an einer Tür. Sie war aus einfachem braunen Holz, so wie alle anderen in diesem Gebäude scheinbar, aber jemand hatte sich die Mühe gemacht, einen Kranz daran anzubringen. Kein weihnachtlicher, sondern ein sehr neutraler, in blau gehalten, mit einem Spruchband, das Willkommen aufgestickt hatte. Kieran zweifelte daran, dass es sich hierbei um Farens Wohnung handelte, doch als dieser endlich seinen Schlüssel aus seiner Tasche gefischt hatte, passte der tatsächlich ins Schloss. Die Tür öffnete sich – und begrüßte die beiden mit einem Geruch, den Kieran absolut nicht mit Faren verbinden konnte. Er war nicht unangenehm, aber auch nicht derart herb, wie es sonst für ihn üblich war. Eigentlich war es mehr der Geruch von Kirschen, weswegen er für einen Moment doch glaubte, dass sie in der falschen Wohnung waren. Doch Faren ging bereits hinein, deswegen folgte Kieran ihm in den dunklen Gang und schloss die Tür hinter sich wieder. Eine an der Wand angebrachte LED-Lichterkette spendete ein wenig trübes Licht, in dem Kieran einige der dort hängenden Bilder erkennen konnte. Sie alle zeigten eine Frau und einen Mann in verschiedenen Stadien ihres Lebens, manchmal auch mit einem kleinen braunhaarigen Jungen, dessen Lächeln nicht ganz so echt wirkte wie das der anderen. Zwischen all diesen Leuten fand er aber auch ein Bild von Faren, der in die Kamera grinste, während er neben einer grauhaarigen Frau stand, die auch schon auf den anderen Fotos zu sehen gewesen war – nur eben in unterschiedlichen Stadien. „Ist das … deine Wohnung?“, fragte er zögernd. Faren war bislang damit beschäftigt gewesen, seinen Schlüssel wieder an den Haken zu hängen. Nachdem es ihm endlich gelungen war, wandte er sich Kieran zu. „Komm, mach dich nicht lächerlich. Als ob ich mir eine Wohnung leisten könnte. Hier wohnt meine Mutter, ich habe nur das Glück, dass ich auch hier leben darf.“ Kieran erinnerte sich wieder an das Gespräch, das sie erst gestern in seinem Auto geführt hatten. Da hatte er bereits erwähnt, dass er bei seiner Mutter eingezogen war, aber er war davon ausgegangen, dass das eine Weile her wäre und Faren sich inzwischen eine eigene Wohnung gesucht hatte. Aber vielleicht ging es ihm immer noch zu schlecht dafür. „Ist sie gerade hier?“, hakte Kieran nach. „Nope. Sie arbeitet als Krankenschwester, da hat sie viel zu tun.“ Er hätte nicht gedacht, dass die Mutter dieses … Nichtsnutz derart sozial war. Andererseits dürfte er auch nicht mehr so negativ von Faren denken. Nicht nachdem sie so gute Freunde geworden waren. Auch wenn es Kieran immer noch eigenartig vorkam, sie beide als solche zu sehen. Statt weiter über derartige Dinge nachzudenken, folgte er Faren durch eine offene Tür, aus dem Raum dahinter war ein blaues Leuchten zu sehen, dessen Quelle er im ersten Moment ignorierte. Mit einem lauten Seufzen ließ Faren sich mit dem Gesicht voran auf ein Bett fallen. Kieran fragte sich allerdings, wie er darin gut schlafen konnte, immerhin stand es lediglich mit dem Kopfende an der Wand, während beide Seiten frei waren. So konnte man sich doch nicht sicher fühlen. Da Faren ihn nicht bat, zu gehen, kam Kieran zu der Entscheidung, dass er sich noch umsehen könnte, wenn er schon hier war. Einfach nur um mehr über ihn herauszufinden, damit er die Ungerechtigkeit, dass Faren ihn so einfach durchschaute, ausgleichen könnte. Über dem Bett befand sich eine rote Lichterkette, die jemand mühevoll dort angebracht haben musste. Im Moment war sie nicht eingeschalten, aber Kieran konnte sich schon denken, für welche Anlässe er sie im Normalfall gebrauchte – besonders als ihm erst einmal auffiel, was sich in einer kleinen Schale auf Farens Nachttisch befand. Über derartige Dinge wollte er allerdings nicht nachdenken und sah sich daher lieber weiter um. An der Wand, an der das Bett stand, hingen verschiedene gerahmte Bilder. Die meisten von ihnen zeigten eine junge Bellinda gemeinsam mit dem braunhaarigen Jungen, den Kieran bereits auf den Fotos im Flur gesehen hatte – und der wohl Faren sein musste. Gemeinsam mit Bellinda sah er aber wesentlich fröhlicher aus als mit seinen Eltern. Daneben war auch ein Bild der ganzen Freundesgruppe, wobei Kieran wie üblich mit gesenktem Blick, nur am Rand, neben Richard, zu sehen war. Wenn er sich selbst so betrachtete, wirkte er wirklich gar nicht wie ein Jäger, seine Tarnung war perfekt. Wesentlich interessanter war ein Foto, dessen Rahmen besonders auffällig mit Glitzer, Herzen und Sternen verziert war, fast schon kitschig. Hinter dem Glas war eine Abfolge von Bildern zu sehen, die aus einem Fotoautomaten stammen mussten. Darauf war eindeutig Faren zu sehen, auch wenn er ein wenig verhärmt aussah, dafür wirkte sein Lächeln wesentlich echter und fröhlicher. Neben ihm war eine junge Frau zu sehen, die nicht weniger fröhlich wirkte, auch wenn sie ebenfalls schon bessere Tage gesehen haben musste. Aber das rote gelockte Haar sah dennoch faszinierend gut gepflegt aus. Kieran musste gar nicht erst fragen, um wen es sich bei dieser Frau handelte, es musste einfach Lucasta sein. Allein schon von ihrem Aussehen und ihrem herzlichen Lächeln auf diesem Bild, glaubte Kieran, zu verstehen, warum Faren sie geliebt hatte. Weil ihm dieser Gedanke unangenehm wurde und wie ein Insekt über seinen Nacken zu kriechen schien, wandte er sich von diesen Bildern ab und sah sich lieber weiter um. Sein Blick fiel auf die blaue Lichtquelle, die sich als Aquarium herausstellte. Es stand auf der anderen Seite des Raumes, an der Wand neben dem Fenster. Im ersten Moment wollte Kieran näher herantreten, aber dann erkannte er, dass sich keine Fische im Inneren befanden, nur Pflanzen, die sich leicht im Wasser wiegten. „Warum sind da keine Fische?“ „Zu viel Arbeit.“ Kieran sah zu Faren hinüber. Er hatte ihm den Kopf halb zugewandt, so dass eine Hälfte seines Gesichts zu sehen war. Selbst in diesem Moment musterte er Kieran noch mit einer erstaunlichen Neugierde, die er trotz der Müdigkeit aufrechterhalten konnte. „Es ist dir zu viel Arbeit, dich um Fische zu kümmern?“ Faren zuckte mit den Schultern. „Ich habe auch nicht so viel Interesse an denen. Ich mag aber das Leuchten und die Pflanzen.“ Gut, das verstand Kieran in gewisser Weise. Außerdem bedeuteten auch Fische Verantwortung und er schätzte Faren, selbst jetzt noch, als jemand ein, der einer solchen nicht gewachsen war. Neben dem Aquarium stand ein brauner Schrank, der offen war. Hemden und Hosen hingen nicht nur von den Regalbrettern herab, statt sauber gefaltet darauf zu liegen, sondern waren auch davor auf dem Boden verstreut, Jacken waren so lose auf ihren Kleiderbügeln befestigt, dass sie fast herunterliefen. Aber der eigentliche Blickfang befand sich auf der Tür des Schrankes. Es war ein Poster mit einem Mann in einer schwarzen Lederjacken und blauen Jeans, der cool schmunzelnd in die Kamera sah. Kieran fragte sich, was ihn mehr verwunderte: Dass Faren das Poster eines Mannes auf einer Schranktür hatte, statt das einer Frau oder dass es sich dabei um jemanden handelte, den sogar Kieran kannte: „Weswegen hast du ein Poster von David Hasselhoff hier?“ „Der Hoff hat Deutschland wiedervereint.“ Keine Spur von Spott oder Ironie. „Jeder sollte ein Poster von ihm in seiner Wohnung haben.“ Kieran wandte den Blick von dem Bild ab und sah Faren wieder an. „Meinst du das ernst?“ „Natürlich. Jeder weiß doch, dass der Geschichtsunterricht in Schulen nur Propaganda ist, deswegen gebe ich da wirklich nicht viel darauf.“ Da er wirklich so wirkte, als wäre ihm das vollkommen ernst, ging Kieran lieber nicht weiter darauf ein. Am Ende wurde daraus nur eine Diskussion, die nur wieder dazu führte, dass er wütend wurde. Also ließ Kieran den Blick weiterwandern, solange Faren weiterhin keinen Einspruch erhob. Gegenüber des Bettes befand sich das Fenster und direkt davor stand ein Tisch, der aber hauptsächlich mit Computer-Zubehör vollstand. Der Bildschirm war aus, daneben standen einige Fachbücher zu den Themen Computer-Probleme oder Websiten-Programmierung – Kieran hatte nicht einmal gewusst, dass Faren sich dafür interessierte. Die Tastatur war so abgenutzt, dass manche Buchstaben schon nicht mehr zu lesen waren, die Maus sah dagegen neu aus. Daneben lag auch noch ein Headset. Lediglich der Computer an sich stand unter dem Tisch, war aber ebenfalls nicht eingeschalten. An der letzten Wand, direkt neben der Tür, hing eine Pinnwand, auf der mehrere Fotos und beschriebene Zettel befestigt waren. Wie Kieran beim Überfliegen feststellte, handelte es sich um Farens Handschrift – die erstaunlich schön aussah, selbst wenn er etwas, wie hier, eilig hingeschmiert hatte. Erst nach dieser Feststellung betrachtete Kieran die Fotos genauer. Überrascht stellte er fest, dass es sich samt und sonders um Dämonen handelte. Sie waren alle verkleidet, trugen normale Menschenkleidung, die sie in den Straßen der Stadt vor allzu neugierigen Blicken verbergen sollten. Kapuzenpullover, Handschuhe, dicke Winterjacken, alles, um auch ja nicht aufzufallen. Nur der Kamera gelang es, Momente einzufangen, in denen man sehen konnte, worum es sich wirklich handelte. Im einfallenden Licht glänzende Schuppen, unter einer Kapuze hervorlugende leuchtende Augen und von innen heraus glühende Schluchten auf der Haut, das alles war nur zu erkennen, weil die Kamera genau im richtigen Moment betätigt worden war. Die Zettel daneben beschrieben jeweils, woher genau das Foto stammte, in welche Ecke der Stadt Faren sich verirrt hatte. Einige der Bilder zeigten auch lediglich die zurückgelassene Kleidung, nicht selten mit Verbrennungsspuren, die von einem Kampf herrührten. Einerseits wirkten diese Bilder wie Kunst, andererseits waren sie deprimierend, deswegen wandte er sich lieber davon ab und sah wieder Faren an. „Du hast dir wirklich viel Arbeit damit gemacht“, bemerkte Kieran, dabei deutete er mit dem Daumen über seine Schulter. Inzwischen hatte Faren sich auf den Rücken gedreht, er sah ebenfalls auf die Fotos. „Hm, eigentlich gar nicht so viel wie es aussieht. Ich kann das aber schwer einschätzen, weil ich selten auf die Uhr gesehen habe, wenn ich unterwegs war, um zu fotografieren.“ Er klang dabei so dermaßen nüchtern, dass der Anschein erweckt wurde, er wäre auf einer Safari gewesen, mit ähnlich hohem Risiko für Leib und Leben. „Die meisten Bilder entstanden mit einem guten Objektiv, damit ich aus der Ferne fotografieren kann. Nur das eine, das ich von dir gemacht habe, entstand mit meinem Handy. Ich habe nämlich gar nicht erwartet, in der Nacht was zu finden und war nur zufällig in der Gegend.“ Das Bild von jener Nacht konnte Kieran nicht an der Pinnwand finden, aber Faren erahnte wohl seine Gedanken: „Natürlich habe ich das nicht aufgehängt. Man weiß ja nie, wer hier alles herumspioniert, da muss ja niemand wissen, dass du die jagst.“ Das war wirklich ein guter Gedanke von ihm. Er war wohl doch umsichtiger als Kieran es ihm zugestehen wollte. Da es sonst nichts mehr anzusehen gab und er das Gesehene erst einmal verarbeiten wollte, beschloss er, dass es wohl besser wäre, erst einmal nach Hause zu gehen. Immerhin war es sicher keine gute Idee, hier zu lange zu bleiben. Am Ende lockte er nur irgendetwas an – oder Richard erfuhr davon und kam auf falsche Gedanken. Das wollte Kieran lieber vermeiden. „Kann ich dich jetzt allein lassen? Brauchst du noch irgendetwas?“ Faren winkte ab. „Ich komme klar, solange ich zu Hause bin. Danke, dass du mich hergebracht hast. Ohne dich hätte das wahrscheinlich echt unglücklich geendet.“ Kieran zweifelte daran, dass Faren es überhaupt bis zu seinem eigenen Wagen geschafft hätte, sprach es aber nicht aus. Stattdessen trat er näher ans Bett und reichte Faren die Hand, worauf dieser sofort einschlug. „Melde dich, wenn etwas ist“, bat Kieran. „Ich komme dann, um dir zu helfen.“ Der Anflug eines Lächelns erschien auf Farens Gesicht. „In Ordnung. Aber das gilt auch für dich. Wenn du Probleme mit irgendwas Menschlichem hast, meld dich.“ Dann verließ Kieran die Wohnung, mit dem Aufzug fuhr er wieder nach unten und versuchte, sich wieder ein wenig zu beruhigen. Faren ging es gut. Er hatte bis zum Ende normal mit ihm gesprochen, es gab keinen dämonischen Einfluss mehr in seinem Inneren. Alles war wieder normal. Doch gerade als er das dachte, spürte er die Vibration seines Handys in seiner Tasche. Während er es herauszog, hoffte er, dass es nur eine vollkommen harmlose Nachricht war und es nicht zu Toten gekommen war, während er sich mit Faren beschäftigt hatte. Es war eine Mitteilung von Seline – und sie erhellte seine Stimmung schlagartig: Ich habe Russels Versteck gefunden. Wir treffen uns morgen um 19 Uhr am C-TV Fernsehstudio. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)