Bitterkeit von SchattenWeltxX ================================================================================ Kapitel 1: Das Mädchen im geblümten Nachtkleid ---------------------------------------------- Sie weiß, wie man über das altehrwürdige Gebäude spricht. ´Amertume...Das Haus der Verwirrten!´ ´Amertume...Der Tempel der Verrückten!´ Usagi sieht in den Verrückten nie solche. Mehr sieht sie Seelen, die sich selbst verrückt haben. So wie andere einen Stuhl oder einen Tisch verrücken, haben diese Menschen ihr eigenes Leben verrückt. Sie haben sich selbst einfach an einen anderen Ort gestellt. Fern ab von Leid und Unwesen. Man mag es Flucht vor der Realität nennen, Usagi nennt es: sich selbst retten. Sich retten, vor Unheil und dem eigenen Verderben, welches dem Alltagsgrau entspringt. Oft wünscht sich die zierliche Blonde selbst in der Lage zu sein, sich in eine solch heile Welt zu retten. Niemals hatte sie den Versuch gewagt, ein Reich zu schaffen, nur für sich. Ein Hoheitsgebiet, in dem sie allein die Regentschaft für ihr Leben führt. Dagegen beschleicht sie das Gefühl mit der Tatsache nie etwas getan zu haben. Ihre Signatur unter ein Leben im Schatten gesetzt zu haben. Ihren eigenen wirren Gedanken folgend, steht das Mädchen mit dem Haar wie flüssiges Gold am Fenster und blickt den mit Wolken behangenen Himmel an. Bewundert ihn für seine Weite, ehrt ihn für seine Freiheit. Seid sie in dem kleinen Zimmer aus ihrem Schlaf erwacht ist, hat sie nichts anderes getan als den Tränen beim Fallen zuzusehen. Sie beobachtet wie die kleinen flüssigen Perlen leise gegen das Glas des Fensters schlagen und um Einlass bitten. Mit dem Finger folgt sie den Bahnen, die sie auf der schmutzigen Scheibe hinterlassen. Ein paar Mal schon hatte sich in den letzten Stunden die Tür geöffnet, aber Usagi hat sich bisher geweigert auf Besuche durch das Personal zu reagieren. Sie nimmt kaum das Klappern, die Schritte oder die Stimmen auf dem Flur vor ihrem Zimmer wahr und letztendlich ist sie hier, weil man sie für geistig gestört hält, damit hat man ihr das Recht gegeben anders zu sein. Sich abzuheben von der Masse. Sie hört das leise Knacken der Tür. Sie rührt sich nicht, widmet sich weiter dem Tanz der Tropfen auf dem Glas, das sie trocken hält. Sanfte Schritte klingen auf dem dunklen Parkett des Raumes, doch Usagi blickt weiter träumend in die Ferne. Hinter den hohen Mauern, welche das alte Gemäuer umgeben, kann sie im farblosen Schleier des Regens, die Berge erkennen. Die Erhebungen der Landschaft, die sie immer schon besuchen wollte, es aber nie tat. Sie versucht, so gut es ihr gelingt, die hinter ihr stehende Person zu ignorieren. Zwingt sich, sich ihren Träumen hinzugeben, bemüht sich nicht auf ihre Umgebung zu achten. Vergebens! Usagi ist nicht in der Lage zu flüchten, so sehr sie es auch versucht. Die Anwesenheit des Wesens hält sie davon ab. Aufgebend seufzt sie vor sich hin. Ihr warmer Atem legt sich für einen kurzen Augenblick wie Nebel über das Glas vor ihr. Bewusst darüber, das sie um ein Gespräch mit den Pflegern oder Doktoren nicht herum kommen wird, versucht sie sich ein Lächeln auf die Lippen zu pressen. Nur vorsichtig wendet sie ihren blonden Kopf zu der Person, die dort ihre Ruhe stört. Muss aber, verwirrt feststellen das es sich bei dem jungen Ding weder um eine Schwester noch um eine Ärztin handelt. Sie mustert das zaghafte Geschöpf vor sich. Mit unbeschuhten, nackten Füßen, in einem weißem, mit zarten Rosen bedrucktem Nachtkleid steht sie vor ihr. Die Arme hängen an ihrem schlanken Körper herab, gerade so, als wüssten sie nicht wohin. Das lange blonde Haar fällt ihr über die Schultern, die schmalen blassen Lippen bilden den Hauch eines Lächeln. Aus großen, klaren, enzianblauen Augen blickt sie zu ihr. Usagi legt ihren Kopf schief, das Mädchen vor ihr tut es ihr gleich. Es entlockt der Goldblonden ein liebevolles Schmunzeln, doch ihre Gegenüber scheint dies nicht zu bemerken. Unvermittelt greift sie nach der Hand Usagi´s und zieht sie mit sich auf den Flur. Wortlos, einer Fee gleich, läuft sie an den Zimmern mit den offen stehenden Türen vorbei bis zum Ende des langen Ganges. Dort stößt sie die großen Flügeltüren auf und will mit Usagi den Raum betreten, doch diese verneint Kopfschüttelnd die Einladung. Die Blondine im Nachthemd lässt nicht locker und festigt ihren Griff um ihre Hand. Flehend bitten ihre blauen Augen ihr zu folgen. Das Mädchen, das noch immer Usagi´s Hand hält, strahlt sie mit einem zauberhaften Lächeln an und zieht sie weiter zurück auf den Flur. Vor einer weißen Tür mit einem Fenster stoppt sie ihren lauf und deutet auf ein Namensschild. „Aino, Minako...“ liest Usagi ab und bemerkt wie das Mädchen aufgeregt auf sich selbst deutet. Die goldblonde Patientin, die sich zu ihrem Bedauern, für nicht mal halb so verrückt hält wie das Mädchen vor sich, versucht sich abermals an einem Lächeln. „Ist das dein Name? Bist du Minako?“ Das blonde Mädchen im Nachthemd nickt eifrig freudestrahlend und nimmt Usagi mit in das Zimmer. Es wirkt größer als ihr eigenes, auch heller und freundlicher. Zwei Betten stehen nebeneinander, allein getrennt durch die kleinen Nachtschränkchen zwischen Ihnen. „Wohnst du hier allein?“ will Usagi wissen und begutachtet wieder die verschleierten Berge durch das große Fenster. Weil sie keine Antwort erhält, dreht sie dem Mädchen ihr Antlitz zu und steht sie Angesicht in Angesicht einem Stoffbären gegenüber. „Für mich?“ flüstern ihr Lippen leise und ihre Augen sehen das Nicken der jungen Frau. Usagi nimmt das kleine Geschenk an sich und bedankt sich höflich, wie es ihr von ihrer Mutter anerzogen wurde, mit einem Lächeln. Beide Frauen stehen nur da und blicken sich in die blauen Seen ihrer Augen. Sanft und wieder wortlos, greift das Mädchen im Nachthemd nach ihrer Hand und nimmt sie mit sich. Fast als würden sie schweben zieht die blonde Minako, Usagi hinter sich her. Aufgeregt und doch so schweigsam deutet sie auf Menschen und Räumlichkeiten, ganz so als wurde sie Usagi die neue, unbekannte Umgebung erklären. Ein Speisesaal mit eckigen Tischen, ein Musikzimmer mit einem Piano an dem eine Frau mit blondem kurzem Haar sitzt und noch nach der Melodie zu suchen scheint, eine Pflegerin im weißen Kittel mit schwarzem Haar und einem sanftmütigen Lächeln im Gesicht, die der Schülerin versucht die Notwendigkeit ihrer Arbeit zu erklären. Die weißen Flure ziehen an Usagi vorbei. Stimmen und die umher stehenden nimmt sie kaum wahr, nur die Gesten des stillen Mädchens. Immer wieder tröpfelt ihr ein Lachen auf die Lippen, wenn die Goldblonde in die unermüdlich glänzenden, enzianblauen Augen von Minako sieht. Vor einer braunen, reich verzierten Holztür stoppt das barfüßige Mädchen und klopft höflich, erwartet die Erlaubnis eintreten zu dürfen. ´Mitamura, Yakko – Anstaltsleitung´ liest die neue Patientin auf dem kleinen Messing beschlagenen Schild neben der Tür. Die warme Stimme aus dem Inneren des Zimmers nimmt Usagi nur gedämpft wahr, fühlt nur wie sie in das Büro geschoben wird. Die blonde Minako hält Usagi an den Schultern, blickt in das liebreizende Antlitz ihrer neuen Freundin, sodass Usagi beinah schon das Gefühl beschleicht dieses junge Ding könne ihr geradewegs in die eigene Seele blicken. Ihre Seele die Usagi selbst, wenn sie es müsse, als ein kleines, einsames Mädchen, welches in einem roten Festtagskleid, allein in einer dunklen Ecke sitzt und leise, nur ganz leise einen Kinderreim vor sich hin summt, beschreiben würde. Minako legt, bewusst liebevoll, ihrer neu gewonnenen Freundin die Arme um den Hals und zieht sie in eine herzliche Umarmung, nur um schnellstmöglich wieder von ihr ab - und sie allein stehen zu lassen. Die Wärme die der Körper des Mädchens hinterlassen hat, entschwindet nur langsam von Usagi´s kalter Haut und auch aus ihrem leeren Inneren. Ein leises Räuspern holt die Goldblonde aus ihrer tiefen Müßigkeit und sie blickt auf die brünette Frau vor sich. Das Haselnussbraune Haar fällt ihr in Locken gewellt auf die Schultern. Die zart rosa Lippen sind geschmückt durch ein einladendes Lächeln. Sie strahlt liebevolle Autorität aus und Usagi fühlt sich erinnert an das wärmende Wesen einer liebenden Mutter. Die brünette Frau sitzt an ihrem Schreibtisch, umzingelt von Akten und Papieren und lädt Usagi, mit einer einzelnen Geste ein sich zu setzen. Eine Weile schweigen beide Frauen. Usagi lässt die klaren Augen durch das Büro streifen. Es ist voll gestellt mit Regalen. Jedes davon gefüllt mit Büchern. Es müssen Hunderte sein, schätzt sie und lässt ihren Blicken weiter freien Lauf, erspäht Bilderrahmen, Urkunden und Diplome. Ein gerahmtes Foto mit der Frau Direktorin und ihren Angestellten vor dem Toren zu ´Amertume'. Ernsthafte Bewunderung, vielleicht zum ersten Mal seid sie sich erinnern kann, breitet sich in der zierlichen Frau aus. Sie ist sich sicher, dass die recht jung wirkende Frau vor ihr viele Opfer bringen musste, um an diesem Schreibtisch sitzen zu dürfen. „Sie sind Minako bereits begegnet?“ holt die lieblich warm klingende Stimme der Professorin sie aus ihrem inneren Monolog. Usagi nickt und der Gedanke an das Mädchen mit den nackten Füßen treibt ihr wieder ein Lächeln in die Augen. Wann hatte sie zu Letzt an nur einem Tag, in nur so wenigen Stunden so oft gelächelt? Sie kann sich selbst kaum daran erinnern. Mit den Fingern zeichnet sie vorsichtig die Konturen des Stoffbären nach, den Minako ihr so unvermittelt in die Hände drückte. „Sie will nicht, das sie sich einsam fühlen!“ erklärt die Doktorin mit sanftem Ton und deutet auf das Tierchen mit dem quietschend bunten Pullover. „Minako, weiß wie es ist einsam zu sein, das will sie anderen nicht zumuten. Auf ihre ganz persönliche Art und Weise, hat sie einen Kampf gegen die eisige Stille in jedem von uns aufgenommen.“ die brünette, gebildete Frau zieht eine Schublade an dem tonnenschwer wirkenden Tisch auf und setzt der Patientin einen rosafarbenen Hasen vor die Nase. Beide Frauen lächeln wieder und versinken einen Augenblick in den Gedanken an das Mädchen mit den enzianblauen Augen, welches vor der Tür, auf einem Stuhl sitzend, darauf wartet das Usagi das Büro verlässt und mit ihr in den Garten geht. „Wissen sie, warum sie bei uns sind, Miss Tsukino?“ unterbricht die junge Ärztin die Stille wieder. Sie weiß warum sie an diesem Ort ist, traut sich nur selbst nicht mehr es auszusprechen. Sie hat es noch nie angesprochen, immer nur in den stillen Ecken ihres Seins mit ihrer Seele, dem kleinen  Mädchen im roten Festtagskleid, darüber debattiert. Ihr Blick fällt auf ihre, in Verbänden versteckten Handgelenke. Der Blütenweiße Mull fühlt sich, ganz plötzlich, wie Fesseln an, die ihr ihren Freiraum nahmen.  Es war eine einfache Frage, aber doch ist Usagi nicht in der Lage sie zu beantworten also schweigt sie. Sie muss wieder an die wortlose Minako denken.  Spricht sie nicht, weil sie auch nicht weiß, was sie sagen soll? Weil auch sie keine Antworten hat? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)