Kleine Augenblicke von Goetterspeise (Eine Geschichte über Aufzüge) ================================================================================ Kapitel 6: Eine Geschichte über Alkohol --------------------------------------- 23. September Es ist laut, es ist stickig und die ersten sind bereits so betrunken, dass sie sich ihre ewige Liebe gestehen, während sie fest umschlungen auf dem grünen Sofa in der Ecke oder auf einen der grauen Sesseln sitzen. Außerdem muss irgendjemand den Weg zur Toilette nicht gefunden und deshalb in einen leeren Raum gekotzt haben. Da sich aber natürlich niemand freiwillig meldet, weiß keiner, ob diese Person jetzt zu uns gehört oder Teil einer anderen Feiergemeinschaft ist. Würde man mich fragen, wäre meine Antwort ohne mit der Wimper zu zucken ‚Das waren wir!‘, genauer gesagt, Rock Lee, aber erstens tut das eh keiner und zweitens würde ich es dem Betreiber dieser versifften Karaokebar eh nicht erzählen. Ein betrunkener Lee ist zwar eine nervenaufreibende Angelegenheit, aber noch lange nicht so schlimm, als das man ihn ans Messer liefern würde. Zumindest bisher noch nicht. Und damit das auch so bleibt, habe ich mir bereits am Anfang des Abends einen Platz ausgesucht, der möglichst weit weg vom kommenden Trubel ist. Dass ich trotzdem mittendrin sitze und nur darauf warte eine Alkoholleiche plötzlich auf mir drauf liegen zu haben, ist ein anderes Thema. Ino muss aber auch wirklich immer übertreiben. Anstatt einen kleinen, gemütlichen Abend mit ihren engsten Freunden in der Karaokebar zu verbringen, lädt sie ihren halben Studiengang ein und alle Bekannten aus der Schulzeit. Kulanterweise bot uns einer der anderen Gäste den jetzigen Raum an, denn in unseren ursprünglichen hätten nicht einmal ein Drittel der Geladenen hineingepasst. Super Planung eben. Ich fahre mir nachdenklich durch meine langen Haare, die mittlerweile in wild in alle Richtungen abstehen müssen und bereue es fast, überhaupt gekommen zu sein. Schließlich hätte ich heute noch genügend anderes zu tun. »Schmollst du immer noch wegen der Abmahnung? Und verdächtigst diesen heißen Nachbarn weiter hin?« Ich verdrehe die Augen. Ino von Sasuke zu erzählen, beziehungsweise sie ihn sehen zu lassen, zählt nicht zu den Glanzstunden meines Lebens - wie so einiges andere. Ich schaue auf und blicke meiner besten Freundin direkt in ihre blauen, glänzenden Iriden. Mir schlägt der Geruch von Alkohol ins Gesicht und ich hebe auffordernd eine Augenbraue. »Ich dachte nach dem Dilemma vom letzten Jahr wolltest du keinen Alkohol mehr trinken?« Was sie übrigens auch durchgehalten hat – bis heute zumindest. »Es waren nur ein oder zwei Cocktails.« Und wahrscheinlich fünf Sake, drei Bier (die sie nur trinkt, wenn sie schon betrunken ist) und was weiß ich noch alles. Ich erhebe mich langsam, bereit dazu Ino meinen Platz zu überlassen. Diese versteht die Geste allerdings einige Sekunden zu schnell, wird wütend und macht auf dem Absatz kehrt; in Richtung Ausgang. Na super. Einer der Gründe, warum ich es hasse, wenn Ino betrunken ist, ist, dass sie schrecklich unleidlich wird. Es ist ja nicht so, als wäre das nicht schon der Fall, wenn sie nüchtern sei, allerdings hat sie nicht diese übertriebenen Stimmungsschwankungen. Aber vor allem liegt es daran, dass es dann gefährlich ist, sie in solchen Momenten allein zu lassen. Also beeile ich mich ihr hinterher zu kommen. Was gar nicht mal so einfach ist, wenn links von dir die Karaokebühne steht, vor der sich mindestens fünfzehn Leute versammelt haben und rechts von dir Tische mit den Getränken darauf aufgestellt wurden. Irgendwie schafft es Ino um einiges schneller durch die Menschentraube als ich und so muss ich erst einmal stehen bleiben, nachdem ich den Raum verlasse um zu überlegen in welche Richtung sie wohl gegangen sein könnte. Der Gang auf der linken Seite führt zu den Toiletten und nach draußen, der auf der rechten in einen Vorraum und in Richtung Aufzug, welcher in die anderen drei Stockwerke dieses Gebäudes fährt. Unglaublich, dass es wirklich Personen gibt, die freiwillig über einer Karaokebar wohnen. Natürlich wäre es logischer bei Ino zuerst auf die Toiletten zu schauen, da sie sich nachschminkt, wenn sie wütend ist, aber es ist einfach dieses komische Gefühl in meiner Magengegend, das mir erklärt, dass ich zu den Aufzügen gehen soll (oder aber, weil ich davon ausgehe, dass es auf den Toiletten schrecklich stinken wird). Also höre ich darauf, wende mich nach rechts und gehe den Gang entlang nach hinten. , Eine Holztür trennt die Räume der Karaokebar vom Vorraum des Gebäudes, den man eigentlich nur durch einen Seiteneingang betreten soll, aber wer hält sich schon an solche Bitten? Ich drehe mich noch einmal um, schaue hinter mich und schließe dann meine Hand um den Griff, bevor ich ihn nach unten drücke und die Tür vorsichtig öffne. Sie quietscht fürchterlich und das grelle Licht der Neonlampe in der Mitte es Raums blendet mich für einen Moment. »Was willst du?« Inos Stimme ist schneidend und ich zucke vor dieser Intensität zurück, bevor ich mich daran erinnere, dass ich vor ihr gar keine Angst haben muss. »Wissen, was du tust.« Ich schließe die Tür und trete näher auf sie zu. Ino hat sich gegen die Wand neben dem Aufzug gelehnt, das Handy in der Hand, auf dessen Display sie geradezu starrt. »Wie du siehst, tue ich nichts«, antwortet sie langsam, damit ich nicht hören kann, wie schwer ihre Zunge bereits in ihrem Mund liegt. Was schon fast wieder niedlich ist. Allerdings auch nur fast. Ich bleibe gute zwei Meter vor ihr stehen und warte darauf, dass sie mich ansieht – was sie allerdings nicht tut. Sie blickt nur auf ihr Smartphone, scheint über irgendetwas nachzudenken und schweigt. Was mir Sorgen macht. Wenn Ino im betrunkenen Zustand über etwas nachdenkt, wirklich nachdenkt, dann sind das meistens die dümmsten Ideen. »So wie ich das sehe, ist das nicht nichts«, erwidere ich also ebenso langsam und gehe noch einen Schritt weiter auf sie zu. Sie schiebt sich von mir weg und berührt mit dem Ellenbogen den Schalter für den Aufzug, dessen Türen sich keine zwei Sekunden später öffnen und den Raum noch weiter erhellen. Sie schaut auf, blickt auf den Boden zum neuen Lichtschein und dann zum geöffneten Aufzug. Überlegt … und steigt plötzlich ein. Instinktiv folge ich ihr in den kleinen Raum und stelle mich vor sie, damit sie nicht schon wieder vor mir flüchten kann. »Was soll das denn bitte?«, frage ich gereizt, darauf bedacht nicht aus dem Bereich der Lichtschranke zu treten. Ino hat den Knopf für den dritten Stock gedrückt und da ich kein großes Bedürfnis verspüre mit einer Betrunkenen diese Fahrt zu bestreiten (das letzte Mal wurde ich angekotzt), hindere ich die Türen lieber daran sich zu schließen. Inos Blick ist erneut nur auf ihr Handy gerichtet und es vergehen einige Momente, in denen ich schon denke, dass sie mir gar nicht mehr antworten wird, bevor sie plötzlich aufschaut. Mit einem komischen Flimmern in ihren Augen, das nichts mit dem Alkohol zu tun hat, starrt sie mich an. »Ich ruf jetzt Sai an«, sagt sie völlig ruhig. Bitte was?! Wieso? Ich möchte sie genau das fragen, doch sie beginnt bereits mit ihrem langen, schmalen Zeigefinger auf dem Display herumzutippen, weshalb ich diesen Impuls unterdrücke. Ich mache einen Satz nach vorne und versuche Ino das Smartphone aus der Hand zu nehmen, aber sie weicht mir gerade noch so aus. Ihre Bewegungen sind wegen des Alkohols nicht so geschmeidig wie sonst, aber dadurch auch schwerer vorherzusehen. Sie torkelt zur Seite und wir drehen uns im Kreis. Angefressen, weil ich gerade gegen eine Betrunkene verliere, blase ich die Wangen auf und stemme meine Hände in die Hüften. »Ino, dass ist eine Scheißidee!« »Pfft.« Sie zuckt mit den Schultern und weicht einen Schritt vor mir zurück, schon wieder mehr an ihrem Handy interessiert als an mir. Ich überlege, was ich als nächstes sagen soll, um sie möglichst sanft von dieser Idee abzubringen, als sich plötzlich die Türen vor Inos Körper schließen, ich kann nicht mal reagieren, um sie aufzuhalten. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass wir vollständig unsere Positionen gewechselt haben. Ich starre perplex auf das Metall vor mir, während der Aufzug nach oben fährt, weshalb es kurz dauert, bevor ich begreife was Ino – eine betrunkene Ino! – gerade getan hat. Dieses Miststück! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)