Kleine Augenblicke von Goetterspeise (Eine Geschichte über Aufzüge) ================================================================================ Kapitel 1: Eine Geschichte über Peinlichkeiten ---------------------------------------------- 22. August Der wohl größte Fehler, den man in einem Aufzug begehen kann, ist nicht etwa vor fremden Leuten über private Dinge zu sprechen, beim Sex erwischt zu werden oder gar zu pupsen – und ja, das finde ich am peinlichsten von allem. Nein, das Schlimmste, was man machen kann, ist, sich beim nach oben Fahren die Schuhe zu binden und dann, sobald er hält, nach vorne über zu kippen und der Person, die gerade einsteigen möchte, mit dem Kopf einen Magenhieb zu verpassen. Wahlweise hält diese Person noch drei Tupperdosen in den Händen, die dumpf auf den Boden fallen. Und wenn es noch besser werden soll, war sie nicht intelligent genug, die Deckel vernünftig zu schließen, weshalb der komplette Inhalt auf dem Boden, an den Wänden und den frisch gebundenen Schuhen landet. Und auch, wenn man nichts für diesen Saustall kann, ist man trotzdem die Person, der das Ganze absolut peinlich ist und die ohne Wenn und Aber sofort beim Aufwischen hilft. Woher ich das weiß? Weil ich hier gerade knie und über den Teppichboden dieses verdammten, alten Aufzuges robbe, um mit den Taschentüchern, die ich zum Glück noch in meiner Tasche gefunden habe, möglichst viel von der verschütteten Suppe mit ihnen aufzusaugen. Ja, ich weiß, dass das schwachsinnig ist und überhaupt nichts bringt, aber da eben beschriebener Trottel ebenfalls vergebens versucht die Sauerei wegzuwischen und mir das – wie schon gesagt – absolut peinlich ist, bleibt mir kaum etwas Anderes übrig, als zu helfen. Wobei ich – und ja, das hatte ich auch bereits schon einmal erwähnt – nichts dafürkann. Schließlich habe ich die Deckel nicht falsch auf die Schüsseln gesetzt! »Danke, dass du mir hilfst.« Ich schaue auf und werfe ihm mit hochgezogenen Augenbrauen einen Blick zu, den er mit einem breiten Grinsen, das seine blauen Augen zum Glänzen bringt, erwidert. Ich könnte ihn darauf hinweisen, dass ich ihm das 'du' gar nicht angeboten habe, allerdings glaube ich, meine momentane Position würde es schwermachen, mir die nötige Autorität zu verschaffen. Weshalb ich einfach nur mit den Achseln zucke und weiter meine Taschentücher für diese Aufgabe opfere. Ich kann gar nicht sagen wie glücklich ich bin, wenn ich hier endlich wegkomme und diesen Typen hoffentlich nie wiedersehen muss. Gott, wie das wohl für ihn ausgesehen haben muss, eine kreischende, menschliche Kugel auf sich zukommen zu sehen, die ihn umräumt als wäre er ein Pin. Ich bin nur froh, dass ich schnell genug von ihm abprallen konnte, bevor sein Essen noch meine Haare erwischte. Das wäre dann wohl mein Tiefpunkt des Tages gewesen. »Das sollte reichen«, sage ich schließlich und versuche den würzigen Suppengeruch zu ignorieren, der mir seit zehn Minuten in die Nase steigt – so viel zum Thema, der Geruchssinn sei der schwächste von allen. »Ja. Außerdem sollten wir den Aufzug nicht noch länger in Beschlag nehmen. Gibt schließlich nur den einen«, erwidert er, steht auf und kratzt sich verlegen am Hinterkopf. »Sollten wir. « Trotzdem lasse ich mich etwas umständlich zurückfallen und starre ihn von unten herauf an. Seine kurzen, blonden Haare erinnern mich ein wenig an einen Igel und mir fällt jetzt erst auf, dass sein oranges Shirt einen riesen Suppenfleck aufweist. Nicht auch das noch. Erdboden, wenn du auch nur einen Hauch von Mitleid für mich verspürst, darfst du dich gerne auftun und mich verschlingen. »Ähm … wohnst du hier?«, frage ich und übernehme das 'du' dann auch einfach mal. Falls er wirklich hier wohnt, könnte er sich wenigstens schnell umziehen und müsste nicht so durch die Stadt laufen – erhöht aber die Gefahr, ihm zu oft zu begegnen. Wobei diese Gefahr wohl so oder so besteht. Er müsste ein seltsamer Mensch sein, wenn er sich aus Spaß an der Freude, einfach mal in fremden Wohnhäusern aufhält. Und dazu noch drei volle Schüsseln mit sich herumschleppt. »Nein, mein bester Freund ist hier eingezogen und ich wollte ihn nur besuchen. Bin aber im falschen Stockwerk gelandet.« Erneut kratzt er sich am Hinterkopf und ein nervöses Lachen verlässt seine Kehle. Na Gott sei Dank bin ich hier nicht die einzige, die eine peinliche Ader aufzuweisen hat. »Ich bin übrigens Naruto Uzumaki.« Er streckt mir seine Hand entgegen, die ich ein wenig perplex entgegennehme und mich hochziehen lasse. »Sakura Haruno, freut mich.« Oder so ähnlich. Wir stellen uns ins Innere des Aufzuges, sodass sich die Türen endlich wieder schließen können und er seine Fahrt in den siebten Stock fortsetzen kann. »Das trifft sich gut. Da muss ich auch hin. Glaub ich zumindest. Warte. Sasuke hat mir 'ne SMS geschrieben, nachdem ich vor der Tür der falschen Person aufgekreuzt bin.« Erneut lacht er nervös. Okay, wenn er mir weiterhin solche Sachen erzählt, muss ich meine Aussage über die Ader revidieren, weil es sich langsam eher danach anhört als wäre seine komplette DNA mit Peinlichkeit durchzogen. Als läge es ihm im Blut. Ich streiche unbewusst über die glatte, alte Holzverkleidung des Aufzuges und starre auf das Display, das nach wie vor in stechendem gelb die Zahl sechs anzeigt. Wie lang dauert es denn bitte, zwei Stockwerke hochzufahren? Da wäre ich selbst zu Fuß schneller gewesen. Jetzt, wo ich daran denke, eine ziemlich gute Idee. Dieser fürchterliche Suppengeruch will einfach nicht verschwinden und zwei Etagen lassen sich eigentlich noch ganz gut laufen. Zu spät. Die Türen öffnen sich und ich stürze ein wenig zu hektisch aus diesem viereckigen Kasten, durchwühle beim Gehen meine Tasche und versuche vergebens, nach meinem Schlüssel zu fischen. »Ähm … also dann … einen schönen Tag noch«, ruft Naruto mir hinterher. »Dir auch«, erwidere ich und hoffe, dass er sich schon weggedreht hat, als ich meine Tasche auf den Boden stelle, mich davor hinknie und genervt den Inhalt durchwühle, weil dieser verdammte Schlüssel einfach nicht aufzufinden ist. »Sakura … äh … also, ich will ja nichts sagen, aber ich glaub, als du dich vorhin hingesetzt hast, bist du in der verschütteten Suppe gelandet.« Narutos Stimme wird von Wort zu Wort leiser und ich von Sekunde zu Sekunde wütender. Ich würde jetzt gerne heulen, wenn das okay ist? Nein, ist es nicht, erkläre ich mir selbst und fahre mir mit den Fingern durch die Haare. »Danke«, antworte ich knapp, finde endlich diesen beschissenen Schlüssel und verschwinde schnellst möglich durch meine Wohnungstür aus dem Flur. Seufzend lehne ich mich gegen das kalte Holz und atme ein paar Sekunden tief ein und aus. Dabei hat der Tag echt gut begonnen. Meine Hausarbeit war mit der Bestnote zurück in meinen Besitz gewandert, Ino hatte mir erklärt, nicht länger an meinem Kleidergeschmack herumzunörgeln (wobei ich ihr das nicht abkaufe) und ich habe das Geld bekommen, das ich für die Miete dieses kleinen Lochs namens Wohnung dringend benötige. Alles gut und dann, kurz bevor ich in meinem kleinen Loch ankomme, muss natürlich genau das passieren. Dieser beschissene eine Augenblick im Aufzug, in dem mir auffiel, dass sich mein Schnürsenkel geöffnet hatte. Und jetzt stinken meine Schuhe nach Ramen, meine Jeans ebenfalls und wenn ich die noch länger anlasse, ich selbst wohl auch noch. Ein Scheißmoment einfach. Aber bevor ich es vergesse: so meine Damen und Herren habe ich den wohl peinlichsten Menschen auf die eindeutig peinlichste Art und Weise kennengelernt, die es geben kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)