Glückspiraten von Anyi ================================================================================ Kapitel 3: Erste Differenzen ---------------------------- Kapitel 2 – Erste Differenzen „Verdammt Sasuke, was ist dein Problem?“ „Es ist ein Mädchen!“ „Ja und? Sie hat immerhin …“ „Wir nehmen keine Frauen mit an Bord!“ Naruto hätte beinahe die Augen verdreht, während er halbherzig versuchte Sasuke hinterher zu trotten, der einen beachtlich zügigen Schritt vorlegte. Als wäre ihm sonst was Gefährliches auf den Fersen. Doch alles, was außer ihnen noch auf diesen Straßen war, waren friedvolle Zivilisten, Händler und Kinder, absolut nichts Bedrohliches. Ausgenommen von dem weiblichen Wesen, das ihnen mit sicherem und zu ihrem Glück auch großem Abstand folgte, wenn man Sasukes Ansicht teilte. Naruto verstand es jedenfalls nicht. Warum keine Frau? Was war daran so schlimm? „Gott … Sasuke, jetzt warte doch mal“, rief ihm Naruto hinterher. Sie folgten schon seit geraumer Zeit einem Fluss, der sich durch die Stadt schlängelte und irgendwann wieder ins Meer mündete, genau an der Stelle, wo sie vor ein paar Tagen mit ihrem Schiff angelegt hatten. „Was genau stört dich daran ein Mädchen mitzunehmen, huh?“ Er hatte ihn eingeholt, an der Schulter gepackt und grob zu sich herumgerissen. Sasuke sah nur minimal überrascht aus. Nur für einen kurzen Moment, ehe er ihm mit gewohnter Härte entgegenblickte. „Weiber sind schwach.“ Er zischte, klang abwertend und seine Worte irritierten Naruto. Er dachte immer, es ging ausschließlich um die Qualifikationen, um die Fähigkeiten, die jeder einzelne von ihnen mitbrachte. Nicht um die Klassifikation, um das Geschlecht oder irgendwelche Rollen. Während Naruto ihm nur ungläubig in die Augen starrte, brach Sasuke den Blickkontakt ab. Er glitt an ihm vorbei, nach hinten und Naruto konnte beobachten, wie sich seine Augen veränderten, schmaler wurden. „Du kannst ihr sagen, dass sie verschwinden soll“, knurrte er und schenkte nicht nur ihr einen drohenden Blick. Auch Naruto musste schlucken, als sich seine dunklen Augen wieder auf ihn richteten. „Ich denke, wir sollten es wenigstens versuchen …“ „Nein!“ „Aber Sasuke …“, begann Naruto ungehalten. Die ganze Sache war doch lächerlich. Sasukes Ansichten waren lächerlich, übertrieben und seiner Meinung nach vollkommen unbegründet. Er ließ es ja nicht einmal auf einen Versuch ankommen, war stur und geradezu voreingenommen. „Sie kennt sich mit diesem Kräuterkram besser aus als jeder andere von uns und du hast selbst gesagt, dass wir jemanden brauchen, der Wunden versorgen kann …“ „Aber keine Frau!“ Verbissen presste Sasuke seine Zähne aufeinander. „Wovor hast du Angst, Sasuke?“ Naruto kam ihm näher, flüsterte beinahe. „Ich habe keine Angst. Wir können nur nicht noch jemanden gebrauchen, der schwach und hilflos ist und dauernd beschützt werden muss“, entgegnete Sasuke scharf, verpasste seinem Freund damit unbewusst einen groben Schlag in den Magen, ehe er ihn näher an die Wand drängte. Beinahe verschwörerisch, fast schon ein wenig aufdringlich beugte sich Sasuke hinab. „Ehrlich Naruto, wir haben einen Koch, der nicht kämpfen kann. Einen Navigator, der lieber in die Wolken starrt als mit seinem Schwert zu trainieren und zwei Idioten, die sich die ganze Zeit gegenseitig aufziehen, wir brauchen ganz sicher nicht auch noch eine Frau“, flüsterte er ihm zu, aber trotzdem mit einer beeindruckenden Unnachgiebigkeit, dass Naruto glaubte unter seiner Stimme, unter jedem Ton deutlich zu schrumpfen. „Aber …“ „Nein, Naruto … ich habe mich schon vier Mal überreden lassen. Dieses Mal nicht!“ Er ließ von ihm ab. So schnell, dass Naruto gar keine Möglichkeit hatte, noch etwas zu sagen. Aber selbst wenn, er hätte nicht gewusst was. Sasuke hatte recht. Alle, die jetzt mit ihnen zusammen reisten, waren seinetwegen da. Weil er sich durchgesetzt hatte, hartnäckig geblieben war. Diskutiert hatte bis aufs Blut. Wahrscheinlich lag es an dem Moment, als er dem Mädchen einen entschuldigenden Blick zugeworfen hatte oder an ihren traurigen Augen, von denen er sich nicht abwenden konnte, aber vielleicht, mit ziemlicher Sicherheit sogar, lag es an seiner unbeschwerten Natur, die sich absolut gar nichts von irgendjemandem vorschreiben ließ. Grundsätzlich handelte er doch sowieso nur nach seinen Instinkten. Mittlerweile wusste das jeder. Selbst der Uchiha. Außerdem war Sasuke bisher nicht dadurch gestorben und auch in Zukunft würde er vermutlich gut damit leben können. Letztendlich konnte er doch nichts dafür, dass er immer genau das tun musste, was Sasuke absolut nicht wollte. Es war ein ungeschriebenes Gesetz. Ein penetranter Zustand. Eine Gegebenheit, die schon ihr ganzes Leben vorherrschte und an der definitiv nicht mehr zu rütteln war. Jedenfalls nicht im Moment. Für Naruto war es undenkbar sie einfach wieder zurück an diesen kleinen Blumenstand zu schicken. Es war inakzeptabel ihr nicht wenigstens eine Chance zu geben, deshalb lächelte er sie an, winkte ihr zu, als Sasuke die letzte Brücke betrat, die sie überqueren mussten, um wieder zu ihrem Schiff zu gelangen. „Heh“, machte er verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. „Wie war noch gleich dein Name?“ Er schluckte. Sie hatte klare blaue Augen, blondes Haar, das geschmeidig glatt über ihre Schulter fiel und eine hohe Stimme, die sich bestimmt immer gezielt Aufmerksamkeit verschaffen konnte. Die Art, wie sie ihre Hände in die Hüften stemmte, die Schultern straff nach hinten zog und ihm entgegensah, vermittelte nun wirklich keine Schwäche. Naruto glaubte, dass sie sich wahrscheinlich nicht einmal die Butter vom Brot stehlen lassen würde. „Ino. Ich heiße Ino“, antwortete sie zügig. Auf ihren Lippen erschien ein Lächeln, das womöglich jeden jungen Kerl um den Finger gewickelte hätte. Jeden, vielleicht sogar Sasuke. Obwohl, nein, Sasuke ganz bestimmt nicht. Dafür aber Naruto umso mehr. „Gut … ähm, er ist noch nicht ganz so überzeugt, aber ich will dich trotzdem mitnehmen, also … wenn du so gut bist, wie du sagst, dann wirst du ihn sicher bald überzeugen“, grinste Naruto und irgendwie konnte er nicht verhindern, dass ihr Strahlen eine Wärme erzeugte, die sich unangenehm auf seine Wangen legte. „Danke… Ich werde euch nicht enttäuschen, versprochen.“ Sie hatte seinen Arm gestreichelt, ihn berührt und seine Finger für ein paar Sekunden länger gehalten. „Naruto …“ Er schreckte zusammen, blickte ruckartig zum Ende der Brücke und begegnete einem finsteren Blick, der keine Zweifel übrig ließ. Sasuke wusste genau, was er getan hatte. Wusste in erschreckender Einzelheit, welchen Inhalt dieses Gespräch hatte und dass Naruto seinen Arm viel zu spät wegzog, hatte eine Ignoranz zur Folge, die er sogar noch auf ihrem Schiff spüren musste. Er seufzte träge, konnte nicht schlafen, warf sich stattdessen von einer Seite auf die andere. Immer wieder. War müde und doch hielten ihn seine Gedanken davon ab endlich in einen erholsamen Zustand abzudriften, der es ihm möglich gemacht hätte für eine Weile der Realität zu entfliehen. Nicht nur einmal in dieser angebrochenen Nacht hatte er gedacht, dass er den Bogen vielleicht ein wenig überspannt hatte. Sein Glück zu sehr ausgereizt, zu viel gewollt, vielleicht sogar zu viel gefordert hatte. Immer, wenn er die Wand sah, ihr mattes grau, ihre Trostlosigkeit fühlte er sich gezwungen sich wieder umzudrehen. Die Bettdecke raschelte, das Bett gab ein knarzendes Geräusch von sich, bis er wieder ruhig lag. Die Hände unter seinem Kopf, die Augen hellwach liegend auf der angelehnten Tür. Sie war schwarz. So schwarz und dunkel wie Sasukes Augen, die seit Tagen jeden Kontakt zu ihm mieden. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie Doriyama, die kleine Insel südlich von ihrem Heimatort, verlassen haben. Verdammt! Naruto rieb sich über die Augen. Innerlich war er zu aufgewühlt. Sasuke ging ihm konsequent aus dem Weg. Tauchte ins Innere des Schiffes ab, sobald Naruto einen Fuß auf das Deck setzte und schien ihn generell nicht mehr zu beachten. Egal was Naruto sagte, Sasuke kommentierte es nicht. Es war zum Verrücktwerden. Und das alles nur wegen einer Frau, die sich schon in den ersten zwei Tagen als ziemlich nützlich erwiesen hatte. Beinahe hätte Naruto gelächelt, als er daran zurückdachte, was für einen Aufstand Kiba gemacht hatte, als er sich in einer spontanen Rauferei mit Lee einen Holzsplitter in den Finger gezogen hatte. Kein Blut, kein großes Drama aber dennoch ein enormes Geschrei, bis Ino ihn mit ihrer Pinzette von diesem bösen Splitter befreit hatte. Es war töricht und naiv zu glauben, dass dieser Vorfall ausreichen würde, um wieder in Sasukes Gunst zu steigen. Dabei hätte er gerne einfach wieder mit ihm geredet. Ganz belanglos. Irgendwas Alltägliches? Etwas ganz Gewöhnliches? Eben so wie früher. Naruto seufzte erneut. Selbst das kam ihm mittlerweile fremd vor. Zu oft war es jetzt seinen Lippen entwichen. Schon viel zu oft und dennoch konnte er es ein weiteres Mal nicht verhindern. Draußen auf dem Flur war es dunkel und auf dem Schiff herrschte schläfrige Stille. Niemand schien mehr wach und Naruto konnte nicht einmal beruhigendes Wasser gegen das Schiff schlagen hören. Es war windstill, nicht eine einzige kleine Brise trieb sie voran. Sie mussten auf dieser Stelle verharren, hoffen und warten – ein lähmender Zustand, wenn man bedachte, dass der einzige Mensch, mit dem man diese Zeit gern verbringen würde auf keinerlei Annäherung einging. Vielleicht war es besser einfach die Augen zu schließen. Es war spät, mitten in der Nacht, doch so sehr er sich auch bemühte, es ging nicht. Immer wieder öffnete er die Augen, sah zur Tür, zur Decke und wieder zurück. Was genau er sich davon erhoffte wusste er nicht. Aber vielleicht glaubte er an einen plötzlichen Besuch, vielleicht ein kleines Entgegenkommen. Es gab doch immer einen winzigen Hauch eines Zufalls und warum sollte es dumm sein, sich genau an diesen zu klammern? Warum durfte er nicht glauben, dass es Sasuke vielleicht genauso schlecht ging, wenn sie nicht mehr miteinander sprachen? Narutos Gedanken beschäftigten ihn die halbe Nacht lang. Irgendwann war er so benommen von den Schuldgefühlen und dem Eingeständnis, dass er doch nichts von seinen Entscheidungen bereute, dass er sich sichtlich erschrak, als durch den schmalen Türspalt ein flackerndes Licht drang, gefolgt von Schritten, die er mit angehaltenem Atem belauschte. Eine Sekunde hatte Naruto tatsächlich geglaubt, diese Schritte würden ihren Weg in sein Zimmer finden, doch sie gingen direkt an ihm vorbei. Für aufwallende Enttäuschung war allerdings keine Zeit, denn um wen es sich dabei gehandelt hatte, wusste Naruto. Sasuke trug noch immer die gleichen schwarzen Schuhe wie an dem Tag, an dem sie zusammen aufgebrochen waren. Schwarze Schuhe aus rauem Wildleder, ohne Absatz. Genau diesen Schuhen folgte er jetzt, an der Küche vorbei und die Treppe nach oben bis auf das Schiffsdeck, das vollkommen ausgestorben unter einem schwachen Sternenhimmel lag. Sasuke fand er am Heck des Schiffes, wo er in die Ferne blickte und scheinbar nicht bemerkt hatte, dass ihm Naruto hierher gefolgt war, denn er zuckte merkbar zusammen, als sich Naruto dicht neben ihn an die Reling stellte. "Kannst du auch nicht schlafen?", begann Naruto zaghaft ein Gespräch, von dem er hoffte, dass der Uchiha dieses Mal reden würde, doch bisher kam nichts. Rein gar nichts. Nicht einmal ein kurzer Blick. "Sasuke ..." Seine Hand streifte über helle Haut, leider vollkommen gedankenlos, denn Sasuke zog seinen Arm weg. Blicke trafen sich. Finstere und flehende, zornige und bittende. Naruto musste schlucken, bevor er den Mut fand seinen Mund wieder zu öffnen. "Sasuke, es tut mir leid, ehrlich", sagte er, doch Sasukes Blick bohrte sich verunsichernd in seinen. Selbst durch die dichte Nacht sah er die verengten Augen, das wütende Glimmen und spürte die Angriffslust in jedem Atemzug, den sein Freund durch zusammengepresste Lippen entließ. "Wirklich Sasuke, ich will nicht, dass wir uns streiten oder ignorieren. Ich dachte nur ... wir ..." "Du dachtest?", zischte Sasuke plötzlich und Naruto verstummte augenblicklich. "Weißt du, du denkst vielleicht, dass du denkst, aber in Wirklichkeit denkst du überhaupt nicht. Noch nie hast du irgendwas jemals richtig durchdacht, Naruto." Sasukes Stimme war hart, seine Worte ein scharfes Schwert, das sich glühend heiß durch seinen Kopf bohrte. "Aber ich habe gedacht, sie wäre gut für uns", beteuerte er leise, beinahe kleinlaut. "Falsch, Naruto ... du hast dich von ihr einwickeln lassen!" Jetzt konnte er nur schlucken, weil er darauf keine passenden Worte fand. "Ich hab es nur gut gemeint und wollte ihr helfen ..." Sasuke seufzte geschlagen. "Das ist ja das Schlimme ..." Naruto senkte betroffenen seinen Kopf. Auch wenn Sasuke hier gerade wieder ein paar Worte mit ihm wechselte, so fühlte es sich trotzdem merkwürdig fremd an. So kalt und distanziert, dass er nicht wusste, was er tun sollte. "So geht das nicht weiter." Schließlich war es Sasuke der die Stille zwischen ihnen wieder brach. "Du kannst nicht immer alle Entscheidungen allein treffen. Und vor allem kannst du meine Autorität nicht immer total untergraben. Weißt du wie dumm das aussieht? Wir sollten zusammenarbeiten, nicht gegeneinander ...", meinte Sasuke mühsam beherrscht, doch in seinem Ton lag etwas, das seine Worte bedrohlich wirken ließ. "Ja ..." Naruto hauchte nur zur Antwort. Wenn er ehrlich war, dann hatte er wirklich nie darüber nachgedacht, welche Folge sein Handeln haben konnte. Er wollte Sasuke doch nie absichtlich auf das zweite Gleis stellen. "Es tut mir wirklich leid", wiederholte Naruto. Er meinte wirklich was er sagte, aber warum traute er sich dann nicht aufzusehen? Sein Kopf hing nach unten wie ein schwerer nasser Sack voller Kartoffeln. "Weißt du, ich habe mir einfach ein wenig mehr Unterstützung von dir erhofft aber stattdessen übergehst du meine Meinung und ignorierst meine Bedenken ..." Jedes Wort aus Sasukes Mund ließ ihn kleiner werden. Er schrumpfte kontinuierlich, dafür musste er ihn noch nicht einmal ansehen. Allein Sasukes warme Präsenz neben sich reichte aus, dass er schuldbewusst nickte. "Kommt nicht wieder vor", nuschelte er verhalten, gerade so laut, dass er sich sicher war, dass es Sasuke verstanden hatte. Jedenfalls zeugte das Schnaufen davon, dass er seinen Worten wohl vorerst Glauben schenken wollte. "Wärst du dann bereit mit mir nach Vion zu gehen?" Selbst wenn er es nicht gewollt hätte, Naruto konnte nicht verhindern, dass sein Kopf innerhalb von Sekunden nach oben schoss. Sasukes herausfordernder, mahnender Blick traf ihn unmittelbar, sodass trotz beunruhigender Hintergedanken nur eine Reaktion möglich war. "Vion, huh?" Sasuke nickte und Naruto stimmte zu. "Wir nehmen Kurs auf Vion", verkündete Sasukes Stimme im Morgengrauen ziemlich beharrlich, sodass sich Naruto, der sich gerade nachdenklich in eine abgelegene Ecke des Schiffes zurückgezogen hatte, nicht darüber wunderte, dass die Stimmung, die eben noch ausgelassen und heiter war, jetzt binnen Sekunden deutlich abkühlte. Das lag nicht etwa an Sasukes ebenfalls eisiger Stimmlage, sondern vielmehr an dem Inhalt seiner Worte. Naruto hatte es geahnt, aber einmischen würde er sich vorerst nicht. Lieber würde er sein Schwert weiter polieren und die Situation aus sicherer Entfernung beobachten, auch wenn die Distanz zu den anderen vielleicht höchstens drei Meter betraf, als sich jetzt als Zielscheibe auszuliefern. "Vion liegt nicht auf unserer ursprünglichen Route", warf Shikamaru sachlich ein. Damit hatte er recht, das bewies auch Sasukes entnervtes Grummeln. "Die Pläne haben sich geändert. Ab jetzt fahren wir direkt nach Vion", entgegnete Sasuke ungerührt. Er bemerkte die fragenden Blicke, die Shikamaru unsicher in Narutos Richtung wagte, doch dieser leckte sich nur kurz fahrig über die Lippen, als würde ihm etwas Wichtiges auf der Zunge liegen, ehe er schweigend seinen Kopf senkte. "Ich verstehe nicht, welchen Grund haben wir, ausgerechnet Vion einen Besuch abzustatten?" Shikamaru klang seltsam uninteressiert, auch wenn sich niemand wirklich vorstellen konnte wieso er es dann überhaupt ansprach, wenn er dabei keinerlei Interesse verspürte. "In Vion gibt es etwas, was wir dringend brauchen", erklärte Sasuke und sein Ton vermittelte deutlich, dass er keine genaueren Angaben machen würde. Nicht jetzt, nicht gegenüber seiner Crew und nicht einmal Naruto wusste viel mehr. Am liebsten hätte er sich auf die Lippe gebissen, um von dem wachsenden Geschwür in seinem Magen abzulenken. "Vion ist gefährlich!", rief Kiba überraschenderweise laut über das Deck. Auf seinem Gesicht konnte Naruto merkwürdige Zeichen erkennen, die er noch nie zuvor getragen hatte. Seltsam, dachte er, aber einen weiteren Gedanken verschwendete er daran nicht. Wenn Kiba diese Kriegsbemalung brauchte, dann war das seine Sache, er würde darüber lediglich leicht schmunzeln, weil es einfach unsagbar komisch aussah. "Ich habe über Vion gelesen. Wir sollten da nicht hinfahren." Lee zappelte unruhig von einem Bein aufs andere. "Die Leute aus Dori haben erzählt, wer einmal einen Fuß in diese Stadt setzt, kommt nie wieder heile raus, wenn überhaupt. Diese Stadt soll Menschen fressen!" "Das sind nur alte Ammenmärchen. Du solltest nicht alles glauben, was dir deine Großmutter vor dem Einschlafen erzählt hat", erwiderte Sasuke und auch wenn Naruto in diesem Punkt seine Ansicht teilte, so hätte er es doch etwas sanfter formuliert. Ino schien es jedenfalls ziemlich persönlich zu nehmen. Sie plusterte die Wangen auf und setzte sich in unmittelbarer Nähe von Naruto auf den Holzboden. "Wenn du unbedingt sterben willst, bitte ... mich kriegst du hier nicht weg!", schmollte sie. "Ich finde, sie haben recht, Sasuke. Vion ist eine der ärmsten und gefährlichsten Städte, die es gibt. Die Zeitungen sind voll von Verbrechen und Leichen, die sich dort stapeln. Kinder verhungern auf offener Straße, direkt vor deinen Augen und ..." "Schluss jetzt, Shikamaru, ändere einfach den Kurs ... Vor Einbruch der Nacht will ich Vions Hafen erreichen." Sasuke stand mit verschränkten Armen vor seiner Mannschaft, die mit unsicheren Blicken reagierten. Naruto seufzte, sah direkt zu Shikamaru, der unschlüssig vor dem Ruder stand. Als er sich schwerfällig erhob, fühlte er sich lediglich zu einem schwachen Nicken in der Lage, das die stumme Frage beantworten sollte, auch wenn sein Herz etwas ganz anderes wollte. "Sasukes Befehle werden befolgt. Also bereitet euch vor, wir gehen nach Vion!" Als er den anderen den Rücken kehrte, spürte er ausschließlich Sasukes Blick in seinem Nacken, aber dafür konnte er die anderen deutlich genug hören. Sie waren erstaunt, verwirrt ... vielleicht auch etwas verunsichert. Aber eines waren sie alle gemeinsam: beunruhigt. Wenn man nur das Äußere sah, dann lag vor ihnen eine gigantisch große Stadt, mit Häusern aus roten Backsteinen und Ziegeln auf den Dächern, die in der untergehenden Sonne rot-golden schimmerten. Nicht nur Naruto schluckte bei diesem Anblick fasziniert. Es schimmerte, blendete ... wirkte ganz und gar nicht düster, viel eher einladend - lockend. Der Hafen erstreckte sich zu beiden Seiten unendlich lang, schien kaum ein Ende zu nehmen und aus der Stadtmitte ragte ein imposantes altes Gemäuer empor. Zuerst dachte Naruto an eine Kirche, aber dafür waren die Grundmauern zu massiv, zu grob und zu klar strukturiert. Wahrscheinlich war es eher vergleichbar mit einer Burg. Mittelalterliche, stabile Türme, so wie er es aus den Büchern kannte, die er früher als Kind angesehen hatte. Damals hatte es ihn neugierig gemacht und jetzt, wo er sowas tatsächlich vor sich sah, wusste er gar nicht wo er die ganzen Empfindungen einordnen sollte. Es war beeindruckend. "Ich hab gehört, dass sie die Menschen, die sie auf den Straßen gefangen nehmen dorthin schleppen und bis zu ihrem Tode grausam foltern", flüsterte Kiba neben ihm eindrucksvoll leise, als müsse er sich absichtlich zusammenreißen, während er genau auf die Burg zeigte, deren Türme langsam die Sonne verdeckten. "Davon hab ich auch gelesen. Sie haben Keller, die bis tief unter die Erde reichen ... Bist du einmal dort unten, hört niemand mehr dein Schreien", stimmte Lee zu und Naruto hatte zum ersten Mal das Gefühl ihn ruhig und angespannt zu erleben, mit starrem Blick auf die Stadt, die ihre Schönheit binnen Sekunden ablegte, als der letzte Sonnenstrahl hinter dem Horizont verschwand. In grau gehüllte Straßen führten vom Hafen weg, direkt ins Zentrum, zu einer schwarzen, finsteren Burg, deren Anblick sich schwer auf das Gemüt legte. "Was haben diese Leute Schlimmes getan?", fragte Naruto. Seine Stimme klang ungewohnt belegt und irgendwie war er froh, dass sich Sasuke gerade nicht in unmittelbarer Nähe befand. "Die meisten haben gar nichts Schlimmes getan. Es sind einfache Bauern, die ganz schnell zu Dieben werden, wenn sie ihre Kinder nicht mehr ernähren können. Frauen werden zu Huren, die sich für ein bisschen mehr Geld in zwielichtige Geschäfte verwickeln lassen und dabei ihren Kopf verlieren und die obdachlosen Kinder sind der Schandfleck dieser Stadt. Sie klauen Essen, verdrecken die Straßen, allein dafür, dass sie geboren wurden, werden sie bestraft.“ „Das ist furchtbar …“, murmelte Naruto mit belegter Stimme. „Ja, es ist grausam. Die ganze Stadt stinkt nach Angst und Furcht. Ich finde es erstaunlich, dass man da drin überhaupt noch atmen kann …“ Lee seufzte und Kiba schenkte ihm einen mitfühlenden Blick, als Sasuke ihn harsch aufforderte ihm dabei zu helfen das Schiff sicher und unbeschadet in den Hafen zu manövrieren. „Kiba, wie reagieren sie auf Piraten?“ Naruto klang verunsichert, zunehmend nervöser und während er zusah, wie sie sich Zentimeter für Zentimeter den Hafenbegrenzungen näherten, stellte sich instinktiv ein Fluchtreflex ein. „Ehrlich?“, schnaubte Kiba neben ihm leise. Naruto hatte eigentlich nicht absichtlich durchblicken lassen, dass er die Antwort nicht selbst kannte. Er war ja nicht dumm, nur eben ein guter Mensch voller Hoffnungen, der alles in ein letztes zaghaftes Nicken packte. „Wenn ich ehrlich bin, Naruto, dann würde ich an deiner Stelle kein Wort darüber verlieren, wer du bist. Ich würde nicht einmal einen Fuß in diese Hölle setzen!“ „Hmm, vielleicht musst du das auch nicht“, nuschelte Naruto, plötzlich nachdenklich und kämpfend gegen seine eigene Ohnmacht, die drohte ihn zu übermannen, weil er sich einfach und absolut nicht bereit für das hier fühlte. Hinter den Mauern dieser Stadt lauerten Geheimnisse. Mehr als er selbst je vermutet hätte und er verspürte auf keinen Fall das Verlangen, diese jetzt schon zu lüften. „Wie meinst du das?“, hakte Kiba erstaunt nach. Eine gewisse Erleichterung schwang in seiner Stimme mit. „Weißt du, eigentlich ist es mir lieber, wenn mehr als einer auf dem Schiff bleibt. Wenn etwas passiert, setzt ihr die Segel und wartet auf dem Meer, bis wir zurückkommen.“ Kiba stand der Mund offen. „Falls ihr zurückkommt“, warf Ino bedrohlich kühl ein. Ihre Haut war blass, wirkte beinahe kränklich grau, als sie nur einen Blick auf die Stadt wagte, die ihnen jetzt wortwörtlich zu Füßen lag. Einschüchternd und dunkel, verschluckt durch die hereingebrochene Nacht. „Wir kommen zurück!“ Narutos Worte wirkten nur für einen Moment zuversichtlich, ehe er sich umdrehte und in Sasukes Richtung verschwand. Kiba und Ino konnten sie reden sehen. Kurze Sätze wurden ausgetauscht, ein knappes Nicken auf beiden Seiten, dann lächelte ihnen Naruto entgegen. „Wie besprochen“, rief ihnen Naruto zu, als er sein Schwert an seinem Gürtel befestigte und nur noch auf ein einstimmiges Zeichen wartete, bevor er wie Sasuke schwungvoll vom Deck sprang. Sein Herz schlug zu schnell. Seine Füße schienen taub zu sein, als er versuchte den ersten Schritt zu wagen. Das Holz war glitschig, überwuchert von Algen, Seetang und irgendeinem schwarzen Moos, dem Naruto lieber nicht so viel Beachtung schenken sollte. Es roch ekelerregend, schmatze bei jedem Schritt, als wäre es schmieriges Öl, das sich über den ganzen Steg zog. Selbst auf den weiterentfernten Docks schimmerte diese Substanz, was ihn instinktiv dazu verleitete die Nase zu rümpfen. Oh Gott. Er würgte anschließend, da er ungewollt tiefer eingeatmet hatte. Shit. Am liebsten würde er die Luft anhalten. Aber er bezweifelte, dass es innerhalb der Stadt besser werden würde. „Du trödelst“, ermahnte ihn Sasuke. Seine plötzlichen Worte ließen ihn zusammenzucken. Fuck. Sein Herz pochte angestrengt. Er hatte Sasuke tatsächlich fast vergessen, oder verdrängt. War zu abgelenkt von dem lähmenden Gestank, der seine Sinne betäubte. „Jaja“, stöhnte er und zog seinen Stiefel aus dem ätzenden Schlick. „Was ist das überhaupt für ein widerliches Zeug?“, murrte er, senkte den Kopf und verzog das Gesicht. Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob er darauf wirklich eine ehrliche Antwort haben wollte. Vielleicht… „Sieh nicht hin!“ Auch wenn Sasuke warnend und gehetzt klang, nahm Naruto kaum ernsthafte Notiz davon. Seine Neugier überwiegte plötzlich, verdrängte den panischen Herzschlag, den rasenden Puls, die nahende Atemnot und ein spitzer Schrei glitt durch die Nacht, als Naruto auf etwas Hartem ausrutschte. Er fiel mit ausgestreckten Händen voran auf den Boden und keuchte angestrengt, als er mit geweiteten Augen bemerkte, dass er seine Nase vor diesem üblen Zeug bewahren konnte. Nicht auszudenken, wenn er damit … uhhh. „Was machst du … Du Idiot“, zischte Sasuke angespannt. „Fuck, Sasuke … was … was ist das?“, hauchte Naruto mit starrem Blick auf die Flüssigkeit, die sich klebrig zwischen seinen Fingern verteilte. „Du Volltrottel, steh auf!“ Er packte Naruto unvermittelt am Kragen, zog ihn hoch und hinter sich her, auch wenn jeder Schritt mehr einem apathischen Stolpern glich. „Sas …“, hauchte Naruto zittrig – erkennend. Das an seiner Hand, auf seiner Haut … das, was seine Nase reizte und sein Gehirn unangenehm benebelte, brachte Übelkeit und Schwindel. „Es kommt von den Tonnen dort, ignorier es und lauf weiter.“ Es war schockierend, wie monoton und gleichgültig Sasuke diese erschreckende Tatsache kommentierte. Kein Mitgefühl, kein Funken einer aufrichtigen Emotion, nur närrisches Drängen, sowohl in seinem Blick als auch in seiner Haltung. Warum? „Mir wird schlecht …“, keuchte Naruto. „Gewöhn dich lieber dran.“ „Was?“ „Es ist nur Blut, Naruto …“ „Nur … Blut?“, wiederholte er mit stockendem Atem, ehe er von Sasuke überraschend gegen eine Wand gedrückt wurde. Den Hafen hatten sie hinter sich. Vor ihnen lag eine Gasse, die sich eng und verlassen durch windschiefe Häuser schlängelte, mit grob zusammengewürfelten Pflastersteinen, die ihn kurzzeitig an eine schuppige Schlangenhaut erinnerten, ehe ihn Sasukes Hände ablenkten, die sich um sein Handgelenk klammerten. „Verdammt, reiß dich zusammen! Wenn dich schon so ein bisschen Tierblut ausknockt, wie willst du dann jemals richtig kämpfen?“ Sasukes Augen fixierten ihn eindringlich und herausfordernd. Sie waren hart und gnadenlos, und auch wenn Naruto den Gedanken an früher verabscheute, wusste er genau, warum Sasuke so reagierte. Im Gegensatz zu ihm kannte er Blut. Hatte es sehen müssen. Hatte es riechen müssen. Hatte es beseitigen müssen. Als Naruto ihn fand, war nichts mehr davon übrig. „Es … Ich …“ Nicht mehr als ein gestammeltes Röcheln verließ seine Lippen. Scheiße. Er verfluchte sich innerlich für diesen Moment, für die Schwäche, die er zu deutlich zeigte, ohne es zu wollen. Er wollte doch stark sein. Wollte sich nicht fürchten. Wollte an Sasukes Seite stehen, doch gegen ihn schien er lächerlich unvorbereitet und naiv, war zu beeinflussbar. Fühlte sich elend und klein im großen Schatten des Uchihas. „Es geht schon wieder“, presste er hervor, gewillt sich die Lüge nicht anmerken zu lassen, obwohl sich alles in ihm dagegen wehrte. Nichts ging. Nichts war okay. Absolut gar nichts. Dieser Ort schnürte ihm die Kehle zu. Dieser Mensch, der sich unmittelbar vor ihm befand … Sasuke … schien ihm Meilen voraus zu sein. Unerreichbar. Und wo auch immer er war, wo auch immer er stehengeblieben war, dort würde er nicht mehr bleiben können. Nicht jetzt, nicht heute. Es wurde Zeit die nächsten Schritte zu wagen. „Gut, wir sollten jetzt gehen, los“ Sasuke lockerte seinen Griff, wandte sich ab und betrat die Gasse, die leider noch immer unheimlich beängstigend aussah. Kein Ort, an dem sich Naruto jemals gesehen hatte und doch folgte er ihm. Ein schwerer Schleier der Nacht legte sich bedrückend auf seinen Rücken, während er kalte, neugierige Augen stechend in seinem Genick spürte, je tiefer er sich wagte. Vielleicht hätte er umkehren sollen, als sich Schatten auf Sasukes Mantel bewegten und die Zeiger seiner Uhr unaufhörlich im Kreis drehten. „Ignorier es“, zischte Sasuke erneut. Es überraschte ihn nicht? Stand das etwa auch in einem der Bücher? Hatte das schon mal jemand schriftlich festgehalten? Jemand, den man nicht für verrückt erklärt hatte? Naruto schluckte nur. Hoffte und schickte stumme Stoßgebete zum Himmel. Die Zeit lief schneller. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)