Revenge of Fire von Platan (The Reminiscence) ================================================================================ Kapitel 2: Schicksal -------------------- Yrallien: Zedernwälder „Nicht zu fassen“, murmelte Teepo erst ungläubig, lachte dann aber amüsiert. „Entweder hat der Alte einfach nur vergessen abzuschließen oder ich habe zur Abwechslung mal echt Glück.“ Was auch immer der wahre Grund dafür sein mochte, warum die Tür zur Hütte des Jägers nicht abgeschlossen war, konnte ihm ja eigentlich egal sein. Wichtig war nur, dass er unverhofft freien Zugang zum Innenleben des Hauses bekam, was er natürlich ohne Scham für sich ausnutzen wollte. Hätte er den Alten nicht rechtzeitig bemerkt, wäre er niemals auf diese Idee gekommen. Gut für ihn. Bei seiner Suche nach Rei und Ryu hatte Teepo nach kurzer Zeit tatsächlich jemanden entdeckt, nur war es leider keiner von seinen Freunden gewesen. Mit dieser Person, die sich plötzlich ebenfalls in der Umgebung des brennenden Baumhauses herumtrieb, hätte er nicht mal in hundert Jahren gerechnet: Bunyan. Bunyan war ein Jäger, der allein in einer Hütte im Zedernwald lebte, wo auch Teepo und die anderen ihr Zuhause hatten ... bis vor kurzem. Er war ein großer und kräftig gebauter Mann, dessen Markenzeichen sein stolzer, brauner Haar- sowie Bartwuchs war. An seiner Kleidung konnte man stets erkennen, dass er, wie alle anderen in der Region, ein bescheidenes Leben führte. Ob diese Lebensweise nun eine Frage von knappen Geldmitteln oder schlicht der Einstellung war, interessierte Teepo hierbei eher weniger. Vielmehr fragte er sich, weshalb dieser Typ bei den Leuten im Dorf so beliebt war. Weil er seine Beute, die er bei der Jagd erlegte, oft für eine geringe Gegenleistung dort anbot? Eine andere Begründung fiel ihm nicht ein, denn einen liebenswürdigen Charakter besaß dieser Kerl gewiss nicht, seiner Meinung nach. Nahezu ständig wies Bunyan die drei Kinder wegen jeder Kleinigkeit zurecht oder meckerte mit ihnen, als wäre er ihr Boss oder etwas dergleichen. Einmal hatte er Teepo und Ryu für ihn sogar Holz hacken lassen! Angeblich war diese Tätigkeit mit einer Lehre verbunden gewesen oder so, irgendwas mit Lohn erfordert harte Arbeit. Und stehlen war etwa keine harte Arbeit? Hatte dieser Besserwisser auch nur ansatzweise eine Ahnung davon, wie anstrengend das Leben als Dieb sein konnte? Offenbar nicht. Wie oft hatten sie sich von ihm anhören müssen, dass sie nicht mehr stehlen sollten? Viel zu oft. Wieso es so schlimm war, wenn hungrige Waisenkinder sich ihr Essen durch Raubzüge besorgten, verstand er bis heute nicht. Ich kann ihn nicht ausstehen. Er nervt nur rum, für nichts und wieder nichts! Auf alle Fälle hatte Teepo keine Lust gehabt diesem Bunyan in die Arme zu laufen und sich, wie so oft, für etwas rechtfertigen zu müssen, was nicht seine Schuld war. Bestimmt wollte der Mann bloß den Grund für diesen Brand herausfinden und verdächtige wohl diejenigen, die ja angeblich für alles Schlechte verantwortlich waren: Die Diebe Teepo, Rei und Ryu, wer sonst? Immerhin fand das Feuer auch in ihrem Baumhaus seinen Ursprung. „Wolltet ihr etwa den ganzen Wald in Brand stecken, ihr Nichtsnutze?!“, hörte Teepo ihn innerlich bereits sagen. Um ihr Wohl kümmerte sich Bunyan garantiert nicht. Daher hatte Teepo kurzerhand beschlossen, seiner Hütte einen kleinen Besuch abzustatten, solange der Jäger damit beschäftigt war, die Gegend nach den Brandstiftern – oder was auch sonst er zu finden hoffte – abzusuchen. Außerdem hätte er somit erst mal Schutz vor dem Regen, der weiterhin unaufhaltsam auf die Welt niederprasselte, auch wenn er längst nass bis auf die Knochen war. Nicht oft bekam man so eine günstige Gelegenheit, dann fand er die Tür auch noch unverschlossen vor. Einladender ging es doch gar nicht. Bunyan muss es ja ziemlich eilig gehabt haben, als er das Haus verließ, sonst hätte er abgeschlossen. So kenn ich ihn gar nicht. Womöglich war er doch besorgt? Nun, besorgt um den Wald wahrscheinlich. Gut für ihn, dass es so stark regnete und danach ausgesehen hatte, als würde das Wetter den Brand irgendwie unter Kontrolle bekommen, auf magische Weise. Für das Baumhaus bestand jedoch wohl nur wenig Hoffnung, soweit Teepo es einschätzen konnte. Statt noch mehr darüber nachzudenken schüttelte er diesen Gedanken lieber ab, huschte rasch in die Holzhütte hinein und ließ die Tür hinter sich möglichst leise ins Schloss fallen. „Na, Alter?“, flüsterte er dabei amüsiert. „Wie wäre es mit dieser Lektion: Unachtsamkeit anderer ist des Diebes größter Lohn.“ Anschließend ließ er den Blick einmal prüfend durch den Raum schweifen. Alles war noch so wie bei seinem letzten Einbruch: Schlicht, aber gemütlich eingerichtet. Außer einem dauerhaften, gedämpften Prasseln gegen das Dach über ihm, war es angenehm ruhig. Erst als er absolut sicher war allein zu sein, bewegte Teepo sich schleichend Richtung Leiter, die nach unten in den Vorratskeller führte. Den Weg zu diesem Lager kannte er nur zu gut, so oft wie er sich zusammen mit Rei schon unerlaubt Zutritt dazu verschafft hatte. Dummerweise hatten sie dafür leider auch oft genug eine ordentliche Abreibung kassieren müssen, da Bunyan nicht gerade unaufmerksam und schon gar nicht zimperlich war. Als sie das letzte Mal dann auch mit Ryu im Schlepptau in sein Haus eingebrochen waren, sind sie allesamt von ihm auf frischer Tat ertappt worden. Diesmal sollte Teepo noch viel vorsichtiger sein. Während er langsam die Leiter hinunter stieg, blieb er mit den Gedanken bei seinen Freunden. Hoffentlich würde Bunyan sie nicht vor ihm finden. Natürlich wollte Teepo sie so schnell wie möglich wiedersehen, doch in seinem jetzigen Zustand würde er sich nur selbst in Gefahr bringen, dessen war er sich bewusst. Schwindel, Übelkeit sowie Kopfschmerzen waren nach wie vor seine lästigen Begleiter und erschwerten es ihm, seinen Körper anständig mit seinen Bewegungen zu koordinieren. Zudem war nicht nur seine Kleidung teilweise zerrissen und mitgenommen, wie er in dem Wassergraben schon feststellen musste, sondern auch sein geliebtes Langschwert war verschwunden. Der Verlust seines Schwertes saß ihm schwer in den Knochen. Ich muss mir so bald wie möglich ein neues besorgen. Ohne Waffe und in dieser schlechten Verfassung könnte es schwer werden, sich gegen die Monster zu wehren, die man überall auf den freien Feldern und auch hier im Wald antraf. Nur seinen Ortskenntnissen und dem Feuer hatte er es zu verdanken, dass er bisher auf keine gestoßen war. Dennoch ... „In diesem Zustand bist du ein geeignetes Festmahl für allerlei Getier, würde Bunyan jetzt sagen“, hauchte Teepo genervt, konnte jedoch nicht bestreiten, dass es der Wahrheit entsprach und er es auch insgeheim genau wusste. Andernfalls wäre er jetzt nicht hier. Wenn er daran dachte, wie er sich erschöpft vom Baumhaus bis hierher zur Hütte geschleppt hatte, musste er innerlich seufzen. Selbst jetzt keuchte er wie verrückt, weil jede noch so kleine Anstrengung ihn mitnahm. Ein bisschen war er froh darum, dass Rei und ganz besonders Ryu ihn nicht so miterlebten, denn es war ihm einfach peinlich. Momentan war er ihnen so jedenfalls keine große Hilfe. Deswegen wollte er vorerst seine eigenen Wunden versorgen, dafür kam ihm die Abwesenheit von Bunyan gerade recht. Irgendwo zwischen seinen ganzen Vorräten würden sich schon die nötigen Mittel dafür finden lassen. Teepo stieß einen überraschten Laut aus, als er wegen seiner nassen Stiefeln auf einmal von der vorletzten Sprosse der Leiter rutschte und das restliche Stück nach unten fiel. Ungeschickt gelang es ihm zwar trotzdem mit beiden Füßen auf dem Boden zu landen, aber er sackte leicht zusammen, als dabei an verschiedenen Stellen seines Körpers ein stechender Schmerz zu spüren war. Scheinbar hatte er außer einer Platzwunde am Kopf durchaus noch einige andere Verletzungen erlitten. Der herrliche Geruch all der Lebensmittel, die Bunyan in dieser kleinräumigen Kammer im Keller aufbewahrte, konnte ihn zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise mal nicht darüber hinweg trösten, im Gegenteil. Leicht frustriert knirschte Teepo mit den Zähnen. „Mist.“ Sofort fing er an nach Verbänden oder Medizin zu suchen, was sich aufgrund mangelnder Lichtquellen als recht schwierig erwies. Und da es draußen auch noch dunkel war, drang nicht mal Tageslicht durch die offen stehende Luke nach unten, wie es für gewöhnlich der Fall war. Warum hatte er auch nicht daran gedacht, eine Kerze von oben mitzunehmen? Egal, von Dunkelheit ließ er sich nicht abschrecken, solange keine mysteriösen Dinge geschahen. Unüberlegt wühlte er wahllos in dem großen Schrank und in den Kisten herum, die zu einem Großteil mit weißen Tüchern abgedeckt waren. Schneller als erwartet wurde Teepo dann, zu seiner Erleichterung, in der Tat fündig: In einer der Kisten fand er einen Verbandskasten. Daraufhin nahm er auch ein weißes Tuch an sich, um sich damit einigermaßen abzutrocknen. Eines von den weniger staubigen, versteht sich. Direkt danach nahm er gleich auf dem Boden Platz und nutzte die Kiste als Rückenlehne, in der sich der Verbandskasten befunden hatte. „So, schnell jetzt.“ Da Bunyan jederzeit zurückkehren konnte, musste er sich beeilen, um nicht erwischt zu werden. Dieser Mann war zwar, wie Teepo oftmals am eigenen Leibe erfahren musste, außerordentlich streng, aber in einigen seltenen Fällen konnte er auch übertrieben fürsorglich sein. Genau diese Seite würde garantiert zum Vorschein kommen, sollte er Teepo in dieser Verfassung vorfinden und darauf konnte er verzichten. Wenn es etwas gab, was er mehr als alles andere hasste, dann war es Fürsorge. Schließlich war er schon lange kein kleines Kind mehr. Im Gegensatz zu Ryu. Der heult sich bestimmt gerade irgendwo vor lauter Verzweiflung die Augen aus, schoss es ihm wie von selbst durch den Kopf. Sicher, dieser Gedanke mochte ein wenig gemein klingen, gleichzeitig machte Teepo sich aber deshalb umso mehr Sorgen um die Heulsuse, darum beeilte er sich noch mehr. Über seine Brust zog sich eine Schnittwunde, die zum Glück nicht allzu tief war, doch dafür höllisch brannte. Des Weiteren hatte er mehrere Schürfwunden und Prellungen am ganzen Körper. Am schlimmsten blieb jedoch die Platzwunde am Kopf, ansonsten waren keine weiteren Verletzungen von außen zu sehen. Trotz dieser vorhandenen Beschwerden war es immer noch als ein Wunder zu bezeichnen, dass er den Kampf mit diesen Gaunern ohne schwerwiegendere Leiden überstanden hatte. Ich bin halt zäher, als ich aussehe, dachte er zufrieden über sich selbst und zog den letzten Verband fest. „Das muss reichen.“ Außer Verbände und Salbe hatte er nichts benutzt, weil alles andere in seinen Augen mehr gefährlich als hilfreich aussah und er sich mit solchen Dingen ohnehin nicht sonderlich auskannte. Um sämtliche Verletzungen oder gar Krankheiten hatte sich nämlich sonst stets Rei gekümmert. Besser als vorher fühlte er sich trotzdem, also musste er sich das meiste richtig abgeguckt und gemerkt haben. Gut, und nun schnell weg hier! Obwohl sein Körper sich dagegen zu weigern versuchte und noch länger nach Pause verlangte, zwang er sich dazu wieder aufzustehen. Direkt steuerte Teepo die Leiter nach oben an. Kurz davor hielt er nochmal für einen Augenblick inne und machte kehrt, um sich aus einem Korb, der auf dem mittleren Regal im Schrank stand, einen Apfel mitzunehmen. Diesen steckte er sich beim Erklimmen der Leiter in den Mund und ließ das Chaos, das er beim Durchsuchen der Kammer veranstaltet hatte, hinter sich. Er dachte überhaupt nicht daran, seine Spuren zu beseitigen, dafür hatte er keine Zeit und auch keine Lust, weil er sonst einmal locker das ganze Haus hätte trocknen können, so viel Wasser wie er von draußen mit reingebracht hatte. Oben angekommen führte sein Instinkt ihn als erstes ans nächste Fenster und das zu Recht, denn er konnte Bunyan auf dem Waldweg zu seiner Hütte stampfen sehen. Es sah ganz danach aus, als hätte der Jäger es ziemlich eilig, weil er sich recht schnell näherte. „Fo ein Fist!“, stieß er unverständlich hervor, behielt den Apfel im Mund und hetzte zur Tür, wobei er einmal drohte auf der nassen Spur auszurutschen, die er selbst verursacht hatte. Der Alte muss aber auch immer dann auftauchen, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann! Hektisch riss Teepo die Tür auf, rannte hinaus, wo es kaum noch regnete, und sprang ins nächstgelegene Gebüsch am Straßenrand. Kaum eine Minute später erreichte Bunyan auch schon sein Haus, in das er zügig verschwand, mitsamt einer Art Bündel im Arm, von dem Teepo nur einen flüchtigen Blick erhaschen konnte. Nachdem die Tür zur Hütte wieder geschlossen war, wartete er erst eine Weile ab, ehe er sich aus seinem Versteck wagte und sofort abseits des Weges zurück zum Baumhaus ging. Seinen Blick hielt er dabei so lange wie möglich auf das Heim des Jägers gerichtet. Nachdenklich biss er nun endlich ein großes Stück vom Apfel ab und nahm diesen in die Hand. „Pff! Der Alte hat vielleicht Nerven.“ Ein verächtlicher Laut entfuhr ihm. „Unser Baumhaus fackelt ab, doch er nimmt sich die Zeit etwas zu jagen. Egal unter welchen Umständen und bei welchem Wetter. Ach, soll er doch tun und lassen was er will.“ Die Wut auf Bunyan verflog ebenso schnell, wie er sie verspürt hatte, als er den Blick darauf nach vorne richtete und den Rauch bemerkte, der in der Ferne immer noch vom Baumhaus aufstieg. Seit seinem Aufenthalt in Bunyans Hütte schien es aber weniger geworden zu sein. Automatisch fing er an zu rennen, weil er überprüfen wollte, wie es inzwischen um das Baumhaus stand. Zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht wissen, dass Bunyan unterdessen die Wunden eines Jungen mit hellblauen Haaren versorgte, den er, eingewickelt in einem Tuch, in sein Haus getragen hatte. Einen Jungen, den Teepo stets eine Heulsuse nannte. *** Drei Jahre. Ungefähr drei Jahre war es her, dass Teepo mit Rei dieses leer stehende, verwahrloste Baumhaus zufällig im Zedernwald entdeckt und es gemeinsam mit ihm wieder bewohnbar gemacht hatte. Mehr als das, sie hatten es sogar ausgebaut. Im Grunde wurde der Begriff Baumhaus dem, was sie geschaffen hatten, nicht gerecht, auch wenn es so angefangen haben mochte. Es stand auf einem hohen Hügel mitten im Zedernwald, das als Jagdgebiet genutzt wurde. Gerüchten zufolge stand dort einst der größte Baum in der Region Yrallien. Nach und nach hatten sie sich aus der damals mickrigen Behausung ein eigenes Heim geschaffen. Sie hatten einen Vorratskeller und es gab sowohl ein Erd- als auch Obergeschoss, von dem aus man einen umwerfenden Ausblick über den Wald bis hin zum Dorf hatte. Auf ihr Werk war Teepo mehr als nur stolz gewesen. Jedes Mal, sobald sich ihm die Möglichkeit bot, prahlte er damit bei Ryu und genoss dabei die sprühende Begeisterung in dessen Augen. Ja, in diesem Haus hatten sie sich wohl gefühlt. Jetzt waren diese Zeiten nichts als Erinnerungen, die so bald sicherlich nicht zurückkommen würden. Das Feuer hatte ihre Heimat sehr in Mitleidenschaft gezogen. Mittlerweile hatte der Regen gänzlich nachgelassen und zurück blieb nur ein erfrischender Geruch, der zeitgleich bedrückend war, da er über das Unheil hinwegzutäuschen versuchte, das sich hier ereignet hatte. Wenngleich die Luft angenehm kühl war, konnte Teepo noch deutlich die Hitze in sich spüren. Jene Hitze, die vor dem Regen die gesamte Atmosphäre beherrscht hatte und von der nun nichts mehr übrig war. Der Regen mochte zwar erfolgreich das Feuer gelöscht und somit weitere Schäden verhindert haben, doch war diese Hilfe für das Baumhaus zu spät gekommen. Bereits von weitem konnte Teepo die Zerstörung erahnen, die der Brand hinterlassen hatte. Zögernd schritt er den Trampelpfad zu seinem ehemaligen Wohnsitz empor, was ihm der vom Regen aufgeweichte Boden nicht einfach machte. Zahlreiche Szenen aus der Zeit vor dem Feuer spielten sich in seinem Kopf ab, je näher er dem verbrannten Gebäude kam. Diese Bilder verloren mehr und mehr an Farbe, bis sie schließlich zu Asche zerfielen, genau wie ein Großteil des Baumhauses. Einige Meter davor blieb Teepo letztendlich stehen und betrachtete sich den Schaden von außen. Alles ist zerstört. Einfach alles. Das Obergeschoss war größtenteils in sich zusammengefallen, drinnen und draußen hatte fast alles eine kohlrabenschwarze Farbe angenommen und nun, wo er unmittelbar vor dem Haus stand, nahm er den verbrannten Geruch wahr, der wie ein böser Fluch dort in der Luft lag. Betreten konnte man das Gebäude nicht, zumindest jetzt noch nicht, das wäre viel zu gefährlich. Wieder und wieder konnte man aus dem Inneren nämlich ein lautes Knacken und Krachen hören, zwischendurch unterstrich aber eine beklemmende Stille diese Trostlosigkeit, die jetzt von dem einst beeindruckenden Baumhaus ausging. „Wieso ... ? Wieso?!“ Wie besessen konnte er seine Augen nicht von diesem Anblick abwenden und ballte seine freie Hand zur Faust, die vor lauter Zorn zu zittern anfing. „Wo unser Leben gerade anfing richtig gut zu werden! Wir haben die Nue getötet und den unddankbaren Dorfbewohnern sogar ihr Geld von diesem Geizhals McNeil zurückgestohlen! Und wofür?! Womit haben wir ausgerechnet jetzt DAS verdient?! Diese Mistkerle!“ Wer waren diese beiden Verbrecher, diese Pferdegesichter? Warum hatten sie ihm, Rei und Ryu das angetan? Je mehr er versuchte eine halbwegs logische Antwort darauf zu finden, desto schlimmer wurden seine Kopfschmerzen. Nein, für diese Frage gab es keine logische Antwort, keine Entschuldigung. Schlagartig wurde Teepos Blick finster und glich für einen Augenschlag lang in keiner Weise mehr dem eines zehnjährigen Jungen, auch sein Atem wurde schwerer. In seiner Stimme verbarg sich etwas Dunkles. „Na wartet, das werdet ihr mir büßen. Ich werde euch finden und ...“ Wenn sein sogenanntes Schicksal so aussah, von dem manche behaupteten, es wäre unausweichlich, dann würde er dafür sorgen, dass auch das von diesen zwei Gaunern von heute an besiegelt war. Ab jetzt würde er ein Schatten sein, der bedrohlich über ihren Köpfen schwebte. Entschlossen drehte Teepo dem Baumhaus den Rücken zu und holte tief Luft, um ein letztes Mal nach seinen Freunden zu rufen. „Rei! Ryu! Hört ihr mich?! Antwortet mir!“ Keine Antwort. Sein Ruf wurde von der Einsamkeit verschluckt, die sich in dieser Gegend eingenistet hatte. Ein Gefühl sagte ihm, dass sie sich auch längst nicht mehr in der Nähe befanden, nicht in dieser Gegend, sonst hätten sie sich getroffen. Doch wo könnten sie dann sein? Ich weiß. Es gibt nur einen Ort, zu dem wir schon immer gehen wollten. Dort würde er sie finden, dessen war er sich sicher. Und bestimmt wollten sie genau wie er, dass diese Pferdegesichter für ihre Tat bestraft wurden, deshalb war es umso verständlicher, warum er hier keinen von ihnen antraf: Sie waren zweifelsohne schon vorgegangen. Länger in diesem Teil des Waldes zu bleiben wäre also nur verschenkte Zeit. Geisterhaft setzte er sich in Bewegung und lief leichtfüßig den Pfad hinab, ließ sein altes Leben zurück, das in Trümmern lag. Wie ein Phantom schritt er durch den Wald. Auf seinem Weg hielt er nur noch ein einziges Mal kurz bei der Wasserquelle an, die nahe am Waldeingang lag, um etwas zu trinken und sich von dem Dreck zu befreien, den der Regen alleine nicht runter bekommen hatte. Dreck und noch etwas Blut. Als Teepo anschließend den Wald verließ, bemerkte er, dass ein neuer Tag anbrach, denn die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich zu ihm vor und auch die letzten grauen Wolken hatten sich verzogen, womit sich ihm ein freier Blick auf den Himmel bot. Eine ganze Nacht also. Sie können noch nicht weit gekommen sein. Ich hole euch schon ein. Rei. Ryu. Somit fand seine Reise ihren Anfang, nur ahnte Teepo nicht, wie lang sie werden würde. Während er sich, zuversichtlich mit seiner Entscheidung, zum angrenzenden Dorf begab, schlief Ryu friedlich in Bunyans Hütte und jemand anderes fing damit an, die Umgebung beim Baumhaus abzusuchen. Für jeden einzelnen von ihnen, hielt das Schicksal einen speziellen Weg bereit. Teepos Weg lag nun direkt vor ihm und dank einer seltsamen Kraft, die in seinem Inneren schlummerte, schien er genug Antrieb zu besitzen, um nicht Opfer der Erschöpfung zu werden ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)