Fehler der Vergangenheit von Pfeffersosse (Brigid Tenenbaum-Centric) ================================================================================ Kapitel 1: Zeit für einen Neuanfang ... --------------------------------------- 1969/1970   Sie hatte es geschafft wieder aus dem nassen Grab zu entkommen. Das Leben in Rapture war schon immer schwierig gewesen, aber seit Andrew Ryan tot und Sofia Lamb die Kontrolle über alles und jeden hatte, ging die Stadt noch mehr zugrunde. Die Anzahl der Splicer hatte sich in den letzten Jahren erhöht, obwohl dies fast unmöglich schien, immerhin hatte es zuvor Leute gegeben, die abstinent geblieben waren und dieses Teufelszeug nicht anfassen wollten. Aber die Aussicht auf eine lebenslange Gefangenschaft hatte wohl auch diese Menschen und ihr Gewissen gebrochen. Sie wünschte, sie hätte diese ganze Sache nicht angefangen, aber die Abgebrühtheit, welche sie an den Tag legte, hatte ihr die Arbeit erleichtert. Gefühlskalt oder grausam wurde sie genannt, doch es war ein Schutzmechanismus ihres eigenen Körpers, um dieses verkorkste Ideal der Stadt überleben zu können. Vieles hatte sich in ihr mit dem Laufe der Jahre in Rapture verändert. Sogar Reue empfand sie und das am meisten, wenn sie an den letzten Tag in dieser verseuchten Stadt dachte, bevor Ryan fiel. Ihr überstürztes Handeln, um mit den geretteten Mädchen zu fliehen, war schlecht geplant gewesen. Es verlief fast zu einfach, denn sie war sich sicher gewesen, dass es schwieriger werden würde, um mit den Kindern eine Kapsel zu nehmen und dann zu verschwinden. Aber die Hilfe, die sie durch Jack bekam, war wie gerufen gewesen. Dennoch hatte sie durch ihre Flucht wichtige Dokumente unten liegen gelassen, im naiven Glauben, dass eh keiner etwas damit anfangen könnte. Aber, das wusste sie nun, dem war nicht so gewesen. Kurz nachdem sie Rapture verlassen hatte, wurde die Leiche von Suchong gefunden und mit ihm jegliches wichtige Material offenbart, das man benötigte, um kleine Mädchen in kleinen Monstern zu verwandeln. Sie hatte, als sie zum zweiten Mal nach Rapture kam, entgegen ihrer Natur Gewissensbisse, weil viele Familien ihrer Mädchen beraubt wurden, nur um an das ADAM zu kommen, was sie, Lamb, benötigte, um die Stadt weiterhin im Zaun zu halten. Das Leben am Meeresgrund war von Anfang an kein Zuckerschlecken gewesen und dennoch hatte Brigid das Gefühl gehabt, dass die Stadt sicherlich überlebt hätte können, wenn dieser eine Mann die Seeschnecke nie gefunden hätte. Wäre sie ihm danach nicht zufällig über den Weg gelaufen, dann wäre sie auch nicht auf die Idee gekommen sich Frank Fontaine anzuschließen und … Nein! Sie sollte aufhören so zu denken, es war ein Teufelskreis aus Fragen und inneren Anschuldigungen, die sie seit einiger Zeit fast schon wahnsinnig machten. Es blieb nur ein Schluss: Was geschehen war, war geschehen. Nichts würde sich nun ändern. Sie hatte gesündigt und mit dieser Sünde musste sie nun leben, ob sie wollte oder nicht! Auch wenn es schwer war sie zu akzeptieren. Ihr Blick glitt zu den vergnügt spielenden Kindern und ein sanftes Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie hatte es wieder geschafft und dieses Mal würden auch einige der geretteten Mädchen ihre Familien wiederfinden. Da war sie sich hundertprozentig sicher. „Jack? Hast du das Formular in die Zeitung drucken lassen? Damit die Familien ihre verloren geglaubten Mädchen wiederbekommen?“, rief sie durch das Gebäude und rührte im Essen, welches sie gerade vorbereitet hatte. Sie hatte Jack, als sie nach ihm geflüchtet war, ausfindig gemacht und mit ihm eine Art Kinderheim eröffnet. Er kümmerte sich liebevoll um die Mädchen, die er gerettet hatte und sie kümmerte sich um die, die unter den Nebenwirkungen der Seeschnecke zu klagen hatten. Sie waren ein gutes Team und nur Brigid wusste, wie es wirklich um Jack stand. Was er wirklich war und wie er so geworden ist. Diese Sünde hatte sie auch auf sich genommen, zumal Jack wegen ihr nun stumm war. Den Stimmenverzerrer hatte er sich nämlich gewaltsam herausgerissen und dies hatte seine übriggebliebenen Stimmbänder vollends zerstört. Sie hatte einiges versucht, aber es war irreparabel. Hätte sie eine Seeschnecke gehabt, aber dies war nie eine Option. Immerhin hatte sie ihm schon genug angetan und da wollte sie ihn nicht noch mehr an diese grausame Zeit unter dem Meer erinnern. Obwohl er sich dank der Gehirnmanipulation nicht mehr daran erinnern konnte. Jack erschien in der Türschwelle, lächelte sie freundlich an und nickte. Sie hatten sich beide geeinigt, dass sie an einem Strang ziehen und einen Kurs für Stumme belegen würden, um Jack das Gefühl zu geben noch immer dazuzugehören und keine beeinträchtigende Störung zu haben. Er formte die Handzeichen und sagte: Ich habe das Formular an die hiesige Zeitung weitergereicht und in den nächsten Tagen sollte die Annonce dann auch gedruckt werden. Wenn wir Glück haben, verbreitet es sich wie ein Lauffeuer und die Mädchen sind schneller wieder bei ihren Eltern, als wir gerade gucken können. Plötzlich wurde Jack von Kinderhänden nach unten gezogen und die Kleinen stürzten sich förmlich auf ihn. Lachend ließ er die Kitzelattacke über sich ergehen und wand sich unter den vielen kleinen Händen. Brigid verfolgte das Schauspiel leicht erstarrt und blickte auf den Jungen. Langsam hellte sich ihre Miene dann auf und auch sie fing an zu lachen. Eine seltene Emotion, die aus ihrem Inneren barst.     Ihr Atem ging schnell und heftig. Sie wusste, würde sie jetzt aufhören zu laufen, dann wäre sie verloren. Alles legte sie in ihre Beine. Ihre ganze Kraft und Hoffnung lag in ihnen. Sollte es ihr nicht gelingen über die matschige, kieselige Einöde zu rennen, dann … aber sie wollte es sich am liebsten überhaupt nicht ausmalen. Die Schreie wurden immer lauter hinter ihr und sie wusste, dass ihre Überlebenschancen sehr schlecht standen. Ihre Lungen brannten, der Wind war kalt und der Regen, der auf sie niederprasselte, erleichterte die Flucht auch nicht gerade. Eigentlich war es sehr ungewöhnlich um diese Zeit in eine Regenphase zu gelangen, war doch gerade Sommer. Aber auch diese Jahreszeit konnte einmal die Schleusen öffnen. Alles wurde plötzlich hell und die junge Frau musste ihre Augen zusammenkneifen, um nicht davon geblendet zu werden. Das darauffolgende Donnern zeigte ihr, dass das Gewitter in unmittelbarer Nähe war. Wenn sie jetzt nicht schnell einen Unterschlupf finden würde, wäre es um sie geschehen. Aber es war nichts in dieser Einöde, das Schutz bieten würde. Das Bellen der Hunde übertönte das Prasseln des Regens und sie hatte jetzt schon das Gefühl das Fletschen der Zähne dieser Bestien zu sehen. Dabei wusste sie noch nicht einmal, welche Hunderasse die Männer mit sich führten. Aber es war eh nebensächlich. Weshalb befasste sie sich überhaupt damit? Sie konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, warum sie überhaupt lief. Aber es schien richtig zu sein.  Flüchten konnte sie gut, nur dass dieses Mal die Flucht etwas besiegelte, das sie selber nicht kontrollieren konnte. Sie schlitterte und fiel schreiend zu Boden, ein dumpfes Knacken in ihren Ohren. Unterwegs hatte sie schon einen Schuh verloren und der Zweite war ihr wegen der Unebenheiten und der nassen Straße von den Füssen gefegt worden. Wieder zuckte ein Blitz durch den Himmel und die junge Frau wusste, es könnte das Letzte sein, was sie zu ihren Lebzeiten sehen würde. Sie stemmte sich wieder hoch und lief humpelnd weiter. Ihr Fuß war sicherlich verstaucht, wenn nicht sogar gebrochen, aber es würde ihr nicht helfen wenn sie jetzt weinend und schmerzerfüllt an einer Stelle stehen blieb. Die lauten Schreie der Männer waren nun besser zu verstehen. Sie klangen wütend und schienen genau zu wissen, wie sie ihre Stimmorgane einsetzen mussten, um jemanden Angst zu bereiten. Die junge Frau wusste, wie sich Angst anfühlte. Angst vor den Männern in Braun hatte jeder. Sie konnte überhaupt froh sein, dass sie noch am Leben war. Die Männer begangen hinter ihr zu schreien: Ob sie eigentlich wüsste, was sie gerade da tat? Sie wusste es selber nicht, aber diese kleine Lücke der Vernunft wollte die junge Frau einfach ausnützen. Alles hing an dieser Flucht. Sie wollte nicht wieder zurück und verlieren konnte sie auch nichts mehr, war sie doch schon alleine. Plötzlich drang ein Knurren an ihre Ohren und sie ging schreiend zu Boden. Sie wusste, nun war es aus für sie, die Bestien würden sie sicherlich zerfetzen. Ihr Schrei hallte durch die Luft und auch durch das Zimmer. Sie war sich nicht ganz sicher, ob die Erinnerung, die sie da gerade hatte, echt oder nur eine Erzählung war, die sie zur Zeit der Nazis gehört hatte. Denn ihre Gefühle waren mit der Zeit abgestumpft, erst vor einigen Jahren hatten sie sich gezeigt und Brigid erinnerte sich noch gut daran, wie es sich angefühlt hatte zu fühlen. Vorher war alles noch so einfach gewesen, denn wenn man nicht fühlte, fallen einem einige Sachen leichter als man denkt. Andere sehen einen brutalen Menschen oder finden einen abstoßend, weil es sich doch nicht gehörte so zu handeln und zu ‚fühlen‘, wie man es zum gegebenem Anlass getan hatte. Nicht zu weinen, wenn etwas traurig war oder zu lachen, wenn einen etwas erfreut. Auch die hingebungsvollen Gefühle wie Liebe oder Lust fanden in ihrem Körper nur bedingt statt. Brigid kannte auch diese Vor- und Nachteile der Gefühle. Nun lag sie zitternd in ihrem Bett und schüttelte den Kopf. Sie atmete noch etwas schwer, da der Albtraum doch an ihren Nerven gezerrt hatte. Sie hätte nie damit gerechnet von damals zu träumen und wenn sie einmal einen Traum über ihre Zeit im Konzentrationslager hatte, waren es ihre Aufträge von ihrem Lehrmeister, welcher sie neckisch immer ‚Wunderkind‘ nannte. Irgendwann hatte sich dies wie ein Lauffeuer verbreitet und sie war nur noch unter dem Namen ‚Wunderkind‘ bekannt. Wobei dies doch sehr unwirklich schien. Immerhin war sie eine weißrussische Jüdin und auch wenn ihr Vater ein Deutscher war, arisch war sie in keiner Weise gewesen. Ihre dunklen Augen und Haare zeugten mehr von ihrer Herkunft als ihr Akzent, welchen sie bis heute noch besaß. Sie drehte sich langsam zur Seite und blickte in das schlafende Antlitz ihres Bettnachbarn. Sie hatte keinen Gespielen dort liegen, aber ihren ‚Jungen‘ neben sich, welcher seelenruhig vor sich hin döste. Schon als sie in Rapture waren, hatten sie sich dies angewöhnt, da Jack, wie es schien, ohne Begleitung nicht einschlafen konnte. Und da Brigid auch einmal am Tag schlafen sollte, hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht dies auch weiterhin beizubehalten. Auch wenn es merkwürdig schien und Jack vom Aussehen ein Mann war, hegte sie keine körperliche Gefühle für ihn. Es war für sie, als sei sie mit ihrem Sohn zusammen im Bett. Und geborgen fühlte er sich sicherlich auch bei ihr, deshalb legte sie die Arme sacht um ihn und wurde auch von ihm in den Arm genommen. Etwas erschrocken über diese Geste wurde sie plötzlich steif und bewegte sich nicht, traute sich noch nicht einmal mehr zu atmen. Doch mit der Zeit löste sich ihre Verspannung und sie schlief in seinen Armen ein.     -------[R]-------     Sie stand in der Küche und bereitet das Frühstück für die Mädchen vor. Sie war sich sicher, dass ihre Idee mit dem Zeitungsartikel ein voller Erfolg werden würde. Es wäre schön, wenn wenigstens die entführten Mädchen wieder in ihre heile Welt zurückkehren könnten. Das einzige Problem, das darin bestand, war, dass sich die Kinder noch immer an ihre Zeit als Little Sister erinnern konnten. Sie hatte zwar mit allen darüber gesprochen, aber manchen sah man die Nebenwirkungen der Extraktion der Seeschnecke noch immer an. Dabei war schon einige Zeit ins Land gezogen, seit sie das nasse Grab verlassen hatten. Ob sich die Mädchen überhaupt einmal davon erholen würden, war fraglich. Brigid hatte es sich dennoch zur Aufgabe gemacht ihre Fehler so gut wie nur möglich zu begleichen. Es schien auch keines der Kinder wütend auf sie zu sein. Noch nicht einmal Angst erkannte sie in ihren Augen, obwohl sie doch der Grund für diese ganze Sauerei war. Sie presste ihre Lippen kurz zusammen und wendete die Spiegeleier, damit sie von beiden Seiten kross wurden. Der Speck lag schon auf einem Teller und wartete darauf verspeist zu werden. Es war noch immer ein seltsames Gefühl für sie so familienbezogen zu kochen. Ob es an ihrem Pflichtgefühl lag, das sie sich selbst auferlegt hatte? Wie lange hatten sich die Mädchen nur durch das ADAM ernährt? Sie wusste es nicht mehr genau und wollte es auch nicht wirklich herausfinden. Kleine tapsige Schritte und leises Kichern waren zu vernehmen. Eines der Mädchen bat die anderen mit einem ‚psst‘ ruhig zu sein und Brigid spürte, wie sich ihre Mundwinkel etwas hoben. Sie wusste, dass sie sich bald in einer Massen-Umarmung wiederfinden würde, weil sie überrascht werden sollte. Sie verhielt sich also ruhig und kümmerte sich weiterhin um das Frühstück. Plötzlich legten sich kleine Arme um ihre Beine und die Küche war erfüllt von Kinderlachen. Sie drehte sich langsam um und lächelte die Mädchen dünn an. Sie mochte es noch immer nicht wirklich berührt zu werden, aber sie hatte sich so langsam an diese Überraschungsumarmungen gewöhnt. Ihr Blick hob sich etwas und sie bemerkte Jack, wie er lächelnd, fast schon grinsend, im Türrahmen stand und seine Arme belustigt verschränkte. Sie hob dann vorsichtig ihre Hand, legte sie zögernd einem der Mädchen auf den Kopf und streichelte kurz durch die weichen Haare. Dann drehte sie sich wieder dem Herd zu und sagte mit neutraler Stimme: „Wer will den Tisch decken?“ Freudig bekam sie von einigen die Antwort und sie bot an, dass sie sich die Arbeit einfach aufteilen sollten. Als sich die Mädchen von ihr entfernt hatten, fühlte sie sich wieder etwas wohler und atmete erleichtert aus. Gut, dass Niemand ihre inneren Konflikte erkennen konnte. Sie spürte plötzlich einen kleinen Lufthauch, als sich jemand, der größer als sie war, neben sie stellte und über ihre Schulter in die Pfanne linste. Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie merkte, dass es Jack war und versuchte sich aus dem ungewollten Körperkontakt zu winden. Er lächelte sie entschuldigend an und ließ ihr den Platz, den sie benötigte, um sich wieder wohl zu fühlen. Er zeigte es zwar nie, aber er bemerkte immer, wenn etwas nicht mit ihr stimmte. So auch jetzt, als sie seinen stechenden Blick auf ihrem Hinterkopf spürte und sie einfach nur sagte: „Später, Jack. Später …“     Ereignislos verlief der Tag weiter und Brigid blickte ein letztes Mal in das Zimmer, in dem die Mädchen lachend spielten. Jack hatte sie fast den ganzen Tag beobachtet und wartete wohl noch immer auf das ‚später‘, das sie am Morgen ausgesprochen hatte. Sie musste zugeben, dass er sie manchmal mit seiner Art etwas aus der Ruhe brachte. Dabei hätte sie niemals gedacht, dass sich eine solche Emotion in ihrem Innern verbarg. Doch die letzten Jahre hatten ihr vieles gezeigt, was sie niemals erwartet hätte. Ihr Leben hatte sich völlig verändert, als sie diese Seeschnecke gefunden hatte und die heilende und regenerative Wirkung entdeckt hatte. Dadurch hatte sie ‚Freunde‘ gefunden und die Verwirklichung ihrer Träume erlebt. Lange hatte sie darauf gewartet frei zu experimentieren und das tun zu können, was sie mit dieser Schnecke und dem entstandenen Sekret entdeckt hatte. Sie drehte sich um und blickte Jack in die Augen und schloss sie dann kurz. Nun kam sie wohl nicht an einem Gespräch vorbei und fing sobald an zu reden: „Ich habe Fehler begangen, Jack, und ich kann keine davon wieder gut machen. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich das hier nicht alles träume und ich noch immer in diesem nassen Wrack einer Stadt stecke.“ Sie öffnete vorsichtig ihre Augen und entdeckte eine Emotion in Jacks Gesicht, die sie selbst noch nicht so oft empfunden hatte. Sie konnte sie aber sofort erkennen, denn Wut zeichnete sich meist durch Furchen auf der Stirn und zusammengebissene Zähne aus. Er hatte seine Fäuste geballt und wirkte, als würde er jeden Moment explodieren. Sie konnte aber auch weitere Gefühle in seiner Haltung entdecken, hatte aber keine wirkliche Zeit, um sie zu dechiffrieren. Er hob seine Hand und formte Handzeichen, um ihr antworten zu können. Sie musste sich gut darauf konzentrieren, weil sich die Worte schnell vor ihren Augen bildeten und sie erstaunt über seine Wortwahl war. Sie presste ihre Lippen kurz zusammen, als sich die gezeigten Wörter zu Sätzen formten: Wir haben alle Fehler begangen und es wird schwer sein, um dafür grade zu stehen, aber du bist jetzt hier. Lebe nicht im Gestern und genieße die Zeit, die du mit den Mädchen hast. Haben sie dir je gezeigt, dass du etwas falsch gemacht hast? Habe ich dir je deutlich gemacht, dass die Schuld bei dir liegt? Immerhin … Brigid legte ihre Hände auf Jacks und unterbrach seine Erklärung. Es war noch immer seltsam für sie mit einem ‚Du‘ angesprochen zu werden. Sie schüttelte leicht den Kopf und blickte so neutral wie es nur ging in seine Augen: „Auch wenn ich die Mädchen jetzt hier sehe, ist es meine Schuld, dass sie von ihren Eltern getrennt wurden. Hätte ich diese Seeschnecke niemals gef-!“ Wütend hatte Jack ihr eine Hand auf die Lippen gelegt und seine Augenbrauen zusammengezogen. Sie wollte sich von seiner Berührung bleiben, aber sie blieb wie angewurzelt stehen als sie ihn ansah. Er ließ einen leicht genervten Ton aus seinen geschundenen Stimmbändern verlauten und formte wieder Zeichen: Hör auf dir die Schuld alleine zu geben, Brigid! Wären dieser Ryan und Fontaine nicht gewesen, würdest du nicht so über dich sprechen. Was ist nur in letzter Zeit mit dir los, ich kenne dich überhaupt nicht so niedergeschlagen und nachdenklich. Er hatte Recht. Sie wusste auch nicht wirklich, was mit ihr los war, aber in letzter Zeit hatte sich an ihrer eiskalten Fassade etwas getan. Sie spürte, wie ihr Kokon langsam aber sicher zersprang und sie hatte Angst vor dem weichen und zerbrechlichen Innern, das sich dann freilegen würde. Sie war noch nie so aufgewühlt gewesen und hatte die Kontrolle über ihre Gefühle verloren. Erst seit sie Jack näher kennengelernt und die Mädchen an sich herangelassen hatte, wurde aus ihr die neue Brigid. Sie legte wieder die Hände auf Jacks und drückte sie etwas: „Ich weiß doch selber nicht, was mit mir los ist, aber etwas verändert sich in mir. Weißt du, seit ich die Umstände in Rapture noch einmal mit eigenen Augen gesehen habe, nagt dieses Gefühl an mir, das ich noch nicht einmal beschreiben kann. Ich habe noch nie so stark gefühlt, Jack, und plötzlich hat sich das von einem Tag auf den anderen gezeigt. Ich träume von einer Zeit, die ich am liebsten vergessen würde und bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich das überhaupt war im Traum.“ Sie runzelte kurz ihre Stirn und ließ seine Hände dann wieder los. Sie konnte es sich wirklich nicht erklären, aber der Traum der letzten Nacht steckte noch immer in ihren Knochen und ihre Beine fühlten sich plötzlich taub an. Sie lehnte sich an die Mauer, neben der sie stand und wartete auf eine Reaktion von Jack. Er antwortete nicht direkt, schien mit sich zu hadern und doch fühlte sich Brigid plötzlich geborgener als sonst. Ob es einfach daran lag, dass sie darüber gesprochen hatte? Über etwas, das sie noch nicht einmal benennen konnte? Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und wartete weiterhin auf eine Reaktion ihres Ziehkindes. Dieses Wort klang so falsch in ihrem Kopf und doch stimmte es in gewisser Weise. Gefühle machen einen verletzlich, zeigen aber gleichzeitig, dass man lebt. Ist es denn kein gutes Zeichen, wenn sich etwas in dir regt? Ich will nicht, dass du dich so schuldig fühlst und dein neues Leben nicht einfach leben kannst. Er legte ihr kurz die Hand auf die Stelle ihrer Brust, in der ihr Herz war und sie senkte ihren Blick, strich sich selber kurz darüber und schloss für einige Zeit die Augen. Sie musste ihm Recht geben in so Einigem, doch sie wollte es im ersten Moment nicht wahrhaben. Sie spürte seine Hand an ihrer Wange und wie sie eine verirrte Strähne hinter ihr Ohr strich und hob den Blick wieder. Er zögerte einen Moment und fügte hinzu: Du bist wie eine Mutter für mich. Die Mädchen sehen es genauso. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam das Vergangene überwinden und nach vorne blicken können. Weißt du noch, was ich zuerst mit den Little Sisters machen wollte? Genau. Töten wollte ich sie und nun beschütze ich sie mit meinem Leben. Sie erschauderte einen Moment, als sie seinen Blick sah und fühlte, wie ihr Herz plötzlich schneller anfing zu schlagen. Sie konnte sich noch gut an den Moment erinnern, als sie die Gier in seinen Augen gesehen hatte, wie er die Little Sister angeblickt hatte und seine Hand bereit war ihr die Seeschnecke aus dem Leib zu reißen. Sie wusste noch immer nicht genau, was ihn davon abgehalten hatte seine Finger in ihren Bauch zu graben und die Schnecke für seine eigenen Zwecke zu verwenden. Sie presste ihre Lippen zusammen und wendete ihren Blick ab. Ein Geräusch, einem Schluchzen ähnlich, ließ sie dann zurückblicken und mit erschrockenen Augen erkannte sie, dass aus Jacks einzelne Tränen flossen. Langsam bahnten sie sich ihren Weg über seine Wangen und Brigid war etwas überfordert. Es war länger her, seit sie diese Gefühlsregung von ihm mitbekommen hatte. Sie streckte ihre Hand aus, zögerte dann doch einen Moment, ehe sie schlussendlich ihre Finger sacht über die nassen Wangen gleiten ließ, um sie wieder zu trocknen. Unsicherheit lag in ihrem Blick, als sie versuchte den Fluss zu unterbrechen: „Wieso weinst du, Jack?“ Er biss sich auf seine untere Lippe und senkte seinen Blick: Weil du es nie tun würdest. Sie blinzelte einen Moment und lächelte dann leicht traurig. Er hatte Recht und das musste sie noch nicht einmal aussprechen. Langsam legten sich ihre Arme um seinen Nacken und zogen ihn an sich. Ihr Unwohlsein bei dieser Berührung war gerade nicht aufzufinden und so würde sie sie sicherlich nicht bereuen. Und als sie spürte, wie er sich fast schon hilfesuchend an ihrem Oberteil festklammerte, ließ sie ihn einige Zeit für sie beide weinen. Sie legte ihren Mund auf seine Haare und flüsterte, wohl wissend, dass er ihr den Satz nicht übel nehmen würde: „Wärst du so freundlich und würdest wieder für mich lächeln?“ Er zuckte kurz in ihrer Umarmung zusammen und löste sich dann. Mit leicht vorgeschobener Lippe formte er einige Worte, die sie unkommentiert ließ: Ha Ha, schon lange nicht mehr so gelacht … Sie lächelte ihn vorsichtig an und sah, wie sich seine Mundwinkel auch langsam wieder nach oben hoben. So mochte sie Jack am liebsten und sah kurze Zeit den kleinen Jack vor sich, der sich über den Welpen freute und das erste Mal aus vollem Herzen lächelte. Nie wieder wollte sie dies missen und sie gab ihm einen kurzen Stirnkuss, ehe sie zur Haustür ging, an der es geklingelt hatte.     Es würde noch Wochen dauern, bis alle entführten Mädchen wieder bei ihren Familien sein würden, doch Jack und Brigid wussten, dass sie auch diese Zeit gemeinsam durchstehen würden. Nicht als Frau und Mann, sondern als Mutter und Sohn. Denn er würde für immer ein Kind im Körper eines Erwachsenen sein, doch nur sie beide wussten dies und würden dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen. So viel war sicher …  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)