Nummer Neun von Avialle ================================================================================ Prolog: -------- Den Kopf auf ihrer klauenbewehrten Hand abstützend, blickte Naoko die Treppe herab und beobachtete schweigend, wie sich ihr Besucher samt seinem Gefolge entfernte. Ein Stück weit erleichterte es die Silberhaarige, dass das Menschenkind nicht länger mit ihrem Sohn reiste. Es war zwar nie zu befürchten gewesen, dass Sesshomaru gefallen an ihr fand, sollte sie älter werden – dennoch, sie war ein Schwachpunkt gewesen. Nun waren es lediglich der Kappa und der Drache, die ihrem Herrn folgten. Abermals blieb ihr Blick auf dem Rücken ihres Fleisch und Blutes hängen. Ihr einziges Kind – und sie hatte bei seiner Erziehung ganze Arbeit geleistet. Wenn er nur aufhören würde ständig durch Japan zu ziehen und sich lieber seinen Pflichten als Fürst widmen würde! So lag dies aber an ihr. Ob es anders wäre, wenn er nicht als ihr einziges Kind aufgewachsen wäre? Auf diese Frage würde sie nie eine Antwort erhalten. Sesshomaru selbst stieß sich vom Boden ab und verließ das Schloss zwischen den Wolken. Er nahm sehr wohl wahr, dass Jaken länger brauchte, um aufzusteigen und Ah-Uhn in die Luft zu bekommen, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Sein Diener würde schon hinterher kommen. Ihr nächstes Ziel war nicht schwer zu erraten für den kleinen Youkai. In einer der Satteltaschen befand sich jener Kimono, den er beim Schneider des Schlosses abgeholt hatte. Eindeutig ein weiteres Geschenk für die kleine Rin, die seit vier Jahren bei der Miko Kaede lebte. Die Reise verlief überwiegend schweigend und nach mehreren Tagen waren sie in der Nähe des Dorfes angelangt. Etwas lag in der Luft und veranlasste Sesshonaru dazu, kaum merklich Witterung aufzunehmen. Hier stimmte etwas nicht… Er sog die Luft abermals tief ein, roch Spuren von Rauch, verbranntem Fleisch und Blut, menschliches Blut. An sich interessierte ihn dies nicht weiter, doch an diesem Ort lebte Rin und sollte dieser etwas zugestoßen sein… Jaken blinzelte perplex, als sein Meister mit einem Satz davon war und rief ihm hinterher er solle warten, doch er bekam wie gewohnt keine Antwort. Eilig machte sich auch der kleine Kappa daran, das Dorf schnellstmöglich zu erreichen. Sesshomaru indes brach aus dem Schatten der Bäume hervor und hielt kurz inne, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Felder waren größtenteils zerstört, gut die Hälfte der Hütten komplett nieder gebrannt und die restlichen nur notdürftig repariert. Seine Füße trugen ihn hin zu jenem Ort, an dem die Menschen eigentlich nichts zu befürchten hatten, da sie unter dem Schutz seines Halbbruders und dessen Gruppe standen. Angespannt lauschte der Inuyoukai. Hier waren eindeutig zu wenig Ningen! Seiner Nase folgend stand er schlussendlich vor jener Behausung, aus der einer der Gerüche kam, nach denen er suchte. Ohne um Erlaubnis zu bitten, schlug er den Vorhang zur Seite, der notgedrungen als Tür diente, und fand sich bereits in dem winzigen Raum wieder. Ein Feuer brannte in der Feuerstelle, die dürftige Einrichtung war größtenteils beschädigt, wenn nicht gar zerstört. Doch all das war ihm gleichgültig. Sein eisiger Blick zuckte zu dem Futon, auf dem die alte Miko lag und bereits sein Yoki wahrgenommen hatte. Mühsam drehte sie ihren Kopf und kniff ihr gesundes Auge zusammen, um ihn besser sehen zu können. Ein Seufzen erklang, wusste sie doch genau, was er wissen wollte. „Kagome und die anderen sind unterwegs…“, die Stimme Kaedes klang ebenso schwach, wie sie sich fühlte. Es kostete sie sehr viel Energie, überhaupt zu sprechen. Zumindest musste sie nicht sonderlich laut sein. „Wir wurden überfallen…“, angestrengt holte sie Luft und schloss einen Moment ihr Auge, vor dem bereits schwarze Punkte tanzten. „Sklavenhändler, Youkai“, brachte die Liegende noch hervor, ehe sie ihre wenigen Kräfte verließen. Der Silberhaarige atmete ein und roch frisches Blut. Die Alte schien es in der Tat schwer erwischt zu haben – und sie war die einzige Heilkundige hier. Eine gewisse Ironie hatte die Situation durchaus. Etwas musste er aber noch wissen, auch wenn der fehlende Geruch Antwort genug war. „Rin.“ Kaum merklich nickte die Frau. Dass ihn etwas anderes interessieren würde, hatte sie nicht erwartet – und wenn ihre Annahme richtig war, würde er so oder so auch die restlichen Verschleppten befreien. Ein vollkommen logischer Nebeneffekt davon, wenn er die Bande auslöschte. Nach außen hin nach wie vor die Ruhe in Person, wandte sich der Youkai zum Gehen, auch wenn auch wenn sein Blut innerlich kochte. Er würde die Übeltäter finden und sie lehren, was es bedeutete, ihn zu verärgern! Am Ausgang hielt er noch einmal inne. „Die Richtung.“ „Osten“, wisperte Kaede und war längst dabei, in einen hoffentlich heilsamen Schlaf abzudriften, während sich Sesshomaru auf den Weg machte. Mittlerweile war auch Jaken eingetroffen und heftete sich an seinen Meister, der die mehrere Tage alte Fährte aufnahm. Er musste sich beeilen, Wolken zogen auf und wenn es erst zu regnen begann, hätte selbst er kaum eine Möglichkeit, der Spur zu folgen. ~~~ Schon viel hatte sie in ihrem jungen Leben erlebt und gesehen – dennoch hatte Rin Mühe, sich ihren Optimismus zu bewahren. Ihr Meister würde kommen und sie retten. Ihr Meister würde kommen und sie retten. Ihr Meister… Immer und immer wieder sagte sie sich diesen einen Satz, ihr persönliches Mantra. Die anderen Kinder des Dorfes saßen bei ihr in der Zelle und sahen ebenso wie sie mitgenommen aus. Junge Männer und Frauen waren ebenfalls mitgenommen worden, befanden sich aber in einem anderen Zellentrakt. Seit sie verschleppt wurden, waren vier Tage vergangen. Einmal am Tag hatten sie eine geschmacklose Pampe aus Reis und Wasser bekommen, sonst nichts. Immer nur laufen. Wer nicht gehorchte, dem wurde der Gehorsam eingeprügelt. Heute hatten sie das augenscheinliche Ziel erreicht und waren in die kalten Zellen gesteckt worden. Ihre braunen Irden wanderten durch den dunklen, langgezogenen Raum. Es gab einen Mittelgang und zu beiden Seiten nichts als Gitterstäbe, die kleine Verliese schufen. Auch innerhalb der Verliese war, bis auf die massive Rückwand aus grauem Gestein, alles vergittert und nahm damit jegliche Möglichkeit, sich in einer dunklen Ecke zu verstecken. Dort befanden sich noch andere Menschen. Manche von ihnen hatten seltsam helles Haar und fremd anmutende Gesichtszüge, waren aber eindeutig keine Youkai. Sie mussten aus anderen Ländern stammen. Rin rutschte etwas auf dem Boden herum, in dem Versuch, eine bessere Position zu finden. Sie hatten ein wenig Stroh auf dem Boden liegen, aber das war feucht und stank wie alles hier. Youkai gab es auch. Als sie hergebracht wurden, hatte sie die Halsketten gesehen, die diese trugen und das Metall erkannt. Kagome hatte es ihr einmal gezeigt und erklärt, dass es die Kräfte der Youkai blockierte. Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde und wegen des Lichtes, das herein fiel, hob sie eine Hand vors Gesicht, um nicht zu sehr geblendet zu werden. Als sie sich endlich an die Helligkeit gewöhnt hatte, weiteten sich ihre Augen. Nicht wegen jenem rothaarigen Youkai, der den Überfall auf ihr Dorf angeführt hatte. Auch nicht wegen dem schwarzhaarigen Menschenmann, der sich die neuste Beute ansah und zufrieden nickte. Es war wegen der Youkai, die hinter den beiden demütig dastand und auf weitere Anweisungen des Menschen wartete. Das, was die Frau trug, erinnerte sie an einen rotbraunen Yukata, nur das er ärmellos war und ihr gerade so bis an die Knie ging. Außerdem zeigte er mehr Dekolleté als gut war – aber dadurch auch etwas anderes. Im Gegensatz zu den anderen geknechteten Youkai, war die Kette um ihren Hals golden und eindeutig eine Zierde, keine Fessel. Das war es aber auch nicht, was Rins Aufmerksamkeit erregte. Die Fremde hatte ihre silberfarbene Haarpracht zu einem hohen Zopf zurück gebunden, der von einer roten Schleife zusammen gehalten wurde und ihr knapp bis zu den Schultern reichte. Die gleiche Farbe wie das Haar InuYashas, ihres Meisters und seiner Mutter. Derweil drehte sich der Mensch zu ihnen und sein Gesicht hellte sich auf, als er sah, wie viele Kinder sie erwischt hatten. „Neun! Du weißt, was du zu tun hast.“ Fügsam verbeugte sich die Silberhaarige vor ihrem und dieser verließ, gefolgt von dem anderen Mann, den düsteren Zellentrakt. ‚Neun‘ derweil verschaffte sich selbst einen Überblick über die Neuzugänge. Zuletzt wandte sie sich den Kindern zu und runzelte die Stirn – eines der älteren Mädchen war bei dieser Handlung zusammen gezuckt, aber nicht aus Angst, wie ihr der Geruch verriet. Kapitel 1: ----------- Sesshomaru stand unbewegt an Ort und Stelle. Hier verlor sich die Spur, der er, so schnell er konnte, gefolgt war. Der Regen hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht und wusch alle Hinweise davon, die ihn zu Rin führen konnten. Aufgeben würde er jedoch niemals. Genauso wenig, wie er sich darum kümmerte, dass er komplett durchnässt war. Auffallend laut brach hinter ihm ein abgehetzter Jaken mit Ah-Uhn aus dem Gebüsch hervor. „Meister!“, japste der der kleine Yokai, ehe seine kurzen Beine nachgaben und er erschöpft zu seinem Herrn aufsah. Den Schnabel bereits zum Sprechen geöffnet, besann sich der Kappa eines Besseren. Nein, selbst er wagte es nicht, seinen Herrn in diesem Zustand anzusprechen. Er würde sich hüten, es jemals laut auszusprechen, aber Rin war Sesshomarus Mündel und stand unter seinem Schutz. Der Daiyokai würde nicht eher ruhen, bis er das Kind in Sicherheit wusste. Das Wetter wurde immer schlechter und erschwerte die Situation um einiges. Es stand außer Frage, dass der stolze Inu mehr als nur leicht verstimmt war. Dann aber kam dem Kappa etwas anderes in den Sinn. Sollte er es wagen, trotz der Gefahr, die Wut seines Herrn abzubekommen? Andererseits, es ging um die kleine Rin und so lästig das Gör auch war, hatte selbst er sie zu schätzen gelernt. Kaum ein anderer kleiner Mensch hätte das eigene Leben riskiert, um ihn zu retten. Das gab den Ausschlag. „Mein Herr, etwa zwei Tagesmärsche nördlich von hier, gibt es eine kleine Stadt. Ein beliebter Sammelpunkt bei Banditen und Söldnern.“ Auch wenn er nicht genau wusste, nach wem oder was sie suchten – dass sie dort Informationen bekommen würden, stand außer Frage. Das Pack kannte sich nun mal untereinander. Den selben Gedanken hatte auch Sesshomaru. Die nicht länger vorhandene Fährte konnte er vergessen, demnach war das ihr einziger Anhaltspunkt. Wortlos setzte er sich in Bewegung, fest entschlossen, die zwei Tage zu unterbieten. ~ ~ ~ Rin blinzelte mehrmals und versuchte die Überraschung zu verarbeiten. Daher bekam sie nicht mit, wie die Silberhaarige ging und nach einigen Minuten wieder kam. Im Schlepptau hatte sie zwei Menschen – eine Frau und einen Mann –, die beide eine Kette um den Hals trugen. Erst jetzt registrierte Rin, dass an jeder davon eine Marke baumelte, wie bei allen anderen auch. Beide waren blass und blickten mit abgestumpften Augen in die Ferne. Der Menschenfrau hingen etliche braune Strähnen wirr im Gesicht, doch sie schien es nicht einmal zu bemerken. Sie hielt lediglich demütig und abwartend einen Stapel Papiere auf dem Arm sowie Tinte und Pinsel in ihrer Hand. Wofür brauchten sie Schreibutensilien? Der Mann hingegen zog mühsam einen Sack hinter sich her und war sichtlich erleichtert, als die Youkai stehen blieb und die Tür zur ersten Zelle öffnete. Die Neuankömmlinge sahen allesamt ängstlich zu, wussten sie doch nicht, was dies zu bedeuten hatte. Die Frage wurde aber schnell geklärt, als ‚Neun‘ sich eine der Gefangenen schnappte, sie hochzog und musterte. Rin kannte die junge Frau, sie hieß Hinagiku und war sehr nett. Sie war eine der wenigen Dorfbewohner, mit denen sie sich schnell gut verstanden hatte. Sie sollte bald heiraten. Jetzt aber wurde Hinagiku gedreht, sogar den Mund musste sie öffnen und die Zähne begutachten lassen. Die Untersuchung wurde damit abgeschlossen, dass ‚Neun‘ an ihr schnupperte. Da sie nun alles zu wissen schien, was sie wollte, hielt sie dem Menschen hinter sich eine Hand hin. Dieser schien genau zu wissen, was verlangt war und reichte der Yokai einen Ring mit Marke – und ehe es sich Hinagiku versah, trug auch sie das Zeichen der Knechtschaft um den Hals. „Dein Name…“, murmelte die namenlose Dienerin und reichte der Youkai ein Brett, das sie unter dem Stapel gehalten hatte, dazu ein Blatt und hielt ihr das Tintenglas. „… hat keine Bedeutung mehr.“ Rin vermutete, dass ‚Neun‘ die gesammelten Informationen für ihren Herrn aufschrieb. Damit fertig widmete sie sich der nächsten Gefangenen. Die nächsten beiden fügten sich ebenso in ihr Schicksal wie Hinagiku es getan hatte, doch die Vierte wehrte sich gegen den Griff der Youkai und rief verzweifelt: „Fasst mich nicht an! Hört-“ Schon flog Reika gegen die Gitter und stieß vor Schmerz einen leisen Schrei aus, als ihr Rücken gegen das harte Metall prallte. Panisch und sich die schmerzende Wange haltend, versuchte sie zurückzuweichen, doch es gab nichts. Nichts, wohin sie hätte fliehen können. Schweigen herrschte in dem gesamten Raum und alle besahen sich ängstlich die Szene. ‚Neun‘ senkte die Hand und legte den Kopf schief. Das war das Dumme an Neuankömmlingen, sie wehrten sich. Sinnlos. Sie bedeutete der Leibeigenen hinter sich, ein paar klärende Worte zu sagen, um weitere solcher Vorkommnisse zu verhindern. Ihr Herr mochte keine beschädigte Ware und sie musste immer aufpassen, um die Menschen nicht zu verletzen. „Seid froh, das Nummer Neun eure Untersuchung leitet, sie prüft vieles durch euren Geruch. Alternativ können wir euch gerne abtasten und auch mit der Hand prüfen, wer von euch Frauen noch unberührt ist. Umso weniger ihr euch wehrt umso besser wird es euch ergehen. Ein gehorsamer Sklave hat weniger zu befürchten, als ein aufmüpfiger.“ Neben sich hörte Rin die anderen Kinder schluchzen. Mit dem Weinen hatten sie schon vor einigen Tagen aufgehört, da ihnen die Kraft fehlte, doch spätestens die kleine Rede hatte ihnen allen ins Gedächtnis gerufen, wo sie waren und warum. Jeder, der es verdrängt hatte, war unsanft zurück in die Realität gerissen worden. Den Schock nutzend, machte sich die Youkai wieder daran, alles aufzuschreiben und die Ringe anzulegen. Als sie die Zelle mit den Männern öffnete, sprangen drei auf und versuchten zu flüchten. Rin sah weg. Wie ihr die kommenden und äußerst unangenehmen Laute verrieten, hatten sie eine schmerzhafte Lektion erhalten. Wo blieb nur Sesshomaru-sama? Sie wollte hier weg, einfach nur weg. Warum waren sie hier? Wieso musste ausgerechnet ihr Dorf überfallen werden, während Kagome, InuYasha und die anderen nicht da waren? Als sie komplett schutzlos waren? Ein Quietschen und lauter werdendes Wimmern ließen Rin aufsehen. Nun waren also sie an der Reihe. Obwohl sie mitbekommen hatte, was die Dämonin tat, verspürte Rin dennoch keine Angst. Zumindest nicht vor ihr. Vor der Situation ja, aber nicht vor der Frau, die ihre Befehle zu befolgen hatte. ‚Neun‘ hielt einen Moment inne. In den unzähligen Jahren, in denen sie das hier bereits tat, hatte sie viele Reaktionen gesehen. Angst, Panik, häufig auch Resignation und Lethargie, oder Wut. Doch das ungefähr zwölf Jahre junge Mädchen, das nun an der Reihe war, war ... seltsam. Sie war neugierig, interessiert. Obwohl sie sich davor fürchten sollte, gleich ebenfalls eine Kette um den Hals zu tragen, konnte Rin nicht anders und musste den Moment nutzen, um ‚Neun‘ aus der Nähe zu mustern. Sie hatte goldene Augen, in denen gerade leichte Verwirrung geschrieben stand. Auf jeder Wange trug sie je einen an den Rändern gezackten blauen Streifen. Ob sie wohl dem gleichen Stamm entsprungen war, wie ihr Meister Sesshomaru? Nur was verschlug dann eine Inu – die sie bestimmt war – zu solchen MENSCHEN? Und das auch noch in einen solchen Stand? Wie ihr Name wohl war? ‚Neun‘ konnte es nicht sein. ‚Neun‘ fing sich derweil und schüttelte innerlich den Kopf. Da wurde selbst sie noch überrascht, dabei dachte sie, längst alles gesehen zu haben, was es an diesem Ort gab. Viel zu ruhig, für jemanden ihres Alters, ließ das Menschlein die Musterung über sich ergehen. Als ‚Neun‘ schließlich an ihr schnupperte, um sicher zu stellen, dass sie nicht krank war, sog sie öfters als nötig die Luft ein. Das gab es doch nicht – das Kind roch nach einem anderen Inu! Der Geruch war alt, aber vorhanden. Was war das nur für ein seltsames Persönchen! Es änderte aber nichts an ihrer Aufgabe und dieser kam sie nach. ‚Neun‘ kannte die Gewohnheiten der Neuankömmlinge. Viele von ihnen versuchten in ihrer ersten Nacht auszubrechen, daher wartete die Yokai, bis die Sonne untergegangen war. Kenzo blickte nur kurz auf, als sie sich von ihrer Position erhob. Bis gerade eben hatte sie aus den erfassten Daten ausgerechnet, wie viel jeder der Neuen wert war. Zuletzt hatte sie das Hundemädchen berechnet. Schriftlich festgehalten hatte sie ihre Feststellung nicht, war es für den Händler doch irrelevant. „Du bist danach fertig für heute. Geh schlafen“, äußerte ihr Besitzer. Er selbst war damit beschäftigt, ihre durchgearbeiteten Dokumente anzusehen und zu entscheiden, was weiter mit der Ware geschehen sollte. Wie schon sein Vater hatte Kenzo Nummer Neun geerbt, hatte bereits als junger Knabe, der seinem Erzeuger bei dessen Geschäften über die Schulter guckte, gesehen wie zuverlässig sie arbeitete. Zu schade, dass es viel zu selten die Möglichkeit gab, solche Youkai zu ergattern. Umso stolzer war seine Familie auf diesen kostbaren Besitz. Selbstredend war sie unverkäuflich und schon seit Generationen das wertvollste Erbstück, das sie besaßen. ‚Neun‘ hingegen betrat beinahe lautlos die Unterkunft der Gefangenen. Bewusst schmierte niemand die Scharniere der Tür, damit man es sofort hörte, sollte jemand diese öffnen. Ein praktischer Trick, den sie von Händlern aus dem Westen gelernt hatten. Sie selbst jedoch verursachte keinen Ton, als sie mit geschärften Sinnen den Gang entlang schritt und in jedem Abteil nachzählte, ob noch alle da waren und einen Blick auf die Schlösser warf. Heute schien es eine ruhige Nacht zu werden. Das Frischfleisch, wie manche so schön sagten, schien viel zu mitgenommen, um im Schutz der Nacht eine Flucht zu starten. Entgegen ihrer Gewohnheit machte ‚Neun‘ halt und blickte nach rechts. Hatte sie sich doch nicht geirrt, dass nicht alle so tief schliefen, wie angenommen. Verschlafen blinzelte ihr das Hundemädchen entgegen, ehe ihr Blick wacher wurde und sie vorsichtig näher kam. Es gab diese seltenen Momente. Momente, in denen die Goldäugige ein leichtes Bedauern spürte, wenn jemand zu einer Nummer degradiert wurde. Doch meistens verklang dieses Gefühl so schnell wie es kam. Dies war einer von ihnen. Das Menschenkind lächelte sie etwas an: „Ich heiße Rin, und Ihr? Warum seid Ihr hier?“, ehrliche Neugierde blitzte in den braunen Augen auf. ‚Neun‘ gab lediglich einen tonlosen Seufzer von sich. Rin würde hoffentlich an einen guten Herrn gehen. Es wäre schade, wenn sie ihre ungewöhnliche Art verlor. Nichts davon lag in ihrer Hand, daher schritt sie weiter. Nicht, dass sich der Herr noch fragte, wo sie blieb. Die Anweisung, dass sie schlafen gehen sollte, war ein eindeutiger Hinweis. An sich war es unnötig, ihr dies zu Befehlen. Zum einen verrichtete sie mehr Verwaltungsaufgaben als körperlich Anspruchsvolle und zum anderen brauchte sie allgemein wenig Schlaf. Einer ihrer ersten Herren, unter denen sie aufwuchs, hatte gemeint, dies lag daran, dass sie aus einem starken Clan stammte. Sie sei eben ein Glücksgriff gewesen. Nun, er musste es wissen. Es hatte ihm dennoch nichts geholfen, als er und seine Familie von einer verfeindeten Familie überrascht und getötet wurden. Nur einer ihrer zahlreichen Besitzerwechsel. Längst war es für sie normal geworden, dass ihr Herr alle paar Jahrzehnte wechselte. So waren die Menschen eben, kurzlebig wie eine Kerze im Wind. Sie prüfte die Tür, die direkt ins Freie führte und durch die die Ware in der Regel geführt wurde. Auch diese war fest verschlossen. Als sie zufrieden den Gang zurück schritt, um durch den Durchgang ins Haupthaus zu gelangen, war auch Rin eingeschlafen. Die Silberhaarige lief an Kenzo vorbei, der immer noch über Papieren hing und erklomm die Leiter, die ins obere Stockwerk führte. Die Leibeigenen der Familie schliefen ein Stockwerk tiefer und die angeworbenen Youkai hatten ihren Ruheplatz in einem weiteren Anbau. Sie, das wertvollste Stück der Sammlung, war in einer kleinen Kammer im oberen Stockwerk untergebracht. Neben ihrem Raum waren gewöhnlich die Kinder untergebracht, doch der Herr hatte keine Nachkommen, die dort schlafen konnten. Seit langem schon hatte er Pech mit seinen Ehefrauen. Warum auch immer, keine schaffte es, ihm einen Erben zu schenken. Wenn sie nicht bei der Geburt starb, dann spätestens wie Frau Nummer zwei und drei, weil sie einfach nicht empfingen, oder wie Frau Nummer eins, die eine Tochter gebar. In einigen Tagen sollte Nummer fünf hier einziehen. Und sie? Würde mal wieder dastehen und sich fragen, wann er aufgab und es einfach wie sein Großvater tat. Der hatte nie eine Frau geehelicht, sondern einfach eine seiner Leibeigenen geschwängert. Sie selbst fiel da raus, da das Ergebnis ein Hanyou wäre. Das hatte sie wohl davor bewahrt, nicht längst zu eben jenem Zweck genutzt zu werden. Wäre ja noch schöner, wenn sie einen solchen Bastard austragen müsste. Ein paar davon hatten sie schon in ihren Kerkern gehabt und es war jedes Mal eine Herausforderung sie zu verkaufen. Sie waren nutzlos und brachten nichts als Ärger ein. Längst lag sie auf ihrem Lager aus Stroh, hatte sich aber auf die Decke gelegt, da sie nicht vorhatte, tatsächlich zu schlafen. Der Mond war bereits ein gutes Stück gewandert, als sie hörte, wie jemand ihre Kammer betrat. ‚Neun‘ rührte sich nicht, hatte sie doch längst mit ihm gerechnet. Da sie wusste, wen sie sehen würde, machte sie sich auch nicht die Mühe, die Augen zu öffnen. Ihr Yukata wurde geöffnet und zur Seite gestrichen, Hände wanderten über ihren wohlgeformten Körper. All das spürte sie wie durch Watte, ihr Geist zog sich immer weiter zurück, während sich ein Gewicht auf sie schob, ungeachtet der Tatsache, ob sie dies aushielt oder nicht. Wohl ein weiterer Grund dafür, warum die Herrschaften sie oftmals vorzogen. Keine Beschwerden, ein schöner Körper und das Wichtigste: Es war unmöglich, sie unabsichtlich zu schwängern. Das Blut ihrer fruchtbaren Tage war nicht zu übersehen und verschaffte ihr damit alle paar Monate eine kurze Schonfrist. Nur am Rande spürte sie, wie ihre Schenkel auseinander geschoben wurden und er in sie eindrang. Es wurde Zeit, dass er wieder eine Frau auf dem eigenen Lager hatte und sie in Ruhe ließ. Da freute sie sich schon richtig auf den Einzug ihrer neuen Herrin! Rin und die anderen wurden unsanft aus ihrem Schlaf gerissen. Der rothaarige Entführer schlug mit einer Eisenstange gegen die Gitterstäbe, während er den Gang entlang schritt. Müde setzte sie sich auf und erkannte, dass der Herr des Hauses mit der Silberhaarigen dastand und seinen Blick schweifen ließ, ehe er abwesend nickte. Noch ein „Ihr kennt eure Aufgabe“, war zu hören, als er sich umdrehte und ging. Die Inu hatte wieder ein Brett dabei, auf dem sich augenscheinlich eine Liste befand. ‚Neun‘ wartete noch, bis Tomi, der Anführer der Söldner, mit zweien seiner Männer wieder kam, ehe sie anfingen, die gewünschte Ware aus den Zellen zu holen. Bei der letzten Nummer stockte sie. Das kam schnell. Normalerweise behielten sie die Menschen länger hier, um sie zu zermürben. Dennoch stand das komische Menschenkind ebenfalls dort. Andererseits war die nächste Auktion genau für diese Altersklasse gedacht und das Kind sehr ruhig und gefasst… Rin stockte der Atem. Bisher hatte es niemanden aus ihrem Dorf erwischt, was sie sehr erleichterte. Bis die Goldäugige bei ihnen stehen blieb und auf sie selbst deutete. Der Schock lähmte ihre Glieder und sie stolperte mehr, als dass sie lief, zu den anderen ‚Auserwählten‘ hin. Es waren noch vier Mädchen und zwei Jungen, die allesamt etwa so alt wie sie waren. Doch alle hielten den Blick gesenkt und machten keinerlei Anstalten, sich von selbst zu rühren. Sie hatten kapituliert. Grob wurden sie von einem anderen Youkai raus zu einem Karren getrieben und schnell kletterte Rin freiwillig auf die Ladefläche, nachdem sie gesehen hatte, wie das erste Mädchen mit unsanft aufgeladen wurde. Ihr Blick ging nach vorne zu dem Zugtier. Es war ein zweiköpfiger Drache. Obwohl seine Schuppen feuerrot waren, erinnerte er sie schmerzhaft an Ah-Uhn. Sie wünschte sich ihren geschuppten Freund mehr denn je an ihre Seite, denn dann waren auch Jaken und Meister Sesshomaru nicht weit. Tag fünf war angebrochen. Sie wurden bestimmt längst gesucht und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie befreit wurden. Und dann würden sie zurück ins Dorf gehen und sie konnte wieder zu Kaede ziehen. Ganz sicher! Der Karren setzte sich in Bewegung, ganze fünf der bewaffneten Dämonen geleiteten sie zu ihrem nächsten Ziel. Rin sah zurück zu dem unscheinbaren Bau, in dem die restlichen Dorfbewohner saßen. An der Tür stand ‚Neun‘, die ihnen mit den Augen folgte. Die Blicke der beiden ungleichen Personen trafen sich und die Zwölfjährige begriff. Die Fremde sah IHR nach, nicht der Gruppe. ~~~ Sesshomarus Mundwinkel verzogen sich gen Boden. Alles hier widerte ihn an. Der Geruch, die Menschen, die Dämonen, die Gegend… Er war ohne Jaken unterwegs, hatte seinen Diener gemeinsam mit dem Drachen in sicherer Entfernung zurück gelassen. Er konnte nicht auch noch auf die beiden achten, nicht an diesem Ort, an dem hinter jeder Ecke Gefahr lauerte. Wenn er zu auffällig nachforschte, würde das Wellen schlagen. Jemand könnte den Händler warnen und eben dies galt es zu verhindern. Sein Weg führte an einer Gruppe betrunkener, menschlicher Banditen vorbei, die Arm in Arm durch die Stadt torkelten. Der Geruch biss in seiner Nase und der Inu entschied ab jetzt besser durch den Mund zu atmen. Anders war es für ihn und seinen feinen Geruchssinn einfach nicht auszuhalten. Vor einer der ‚besseren‘ Spelunken hielt er inne und lauschte einen Moment. Trotz der Tatsache, dass es erst früher Nachmittag war, schien dort drinnen bereits einiges los zu sein und angeheiterte Stimmen waren zu vernehmen. Er musste ja nicht unbedingt das Gespräch suchen, wenn er einfach nur lauschte, sollte er die gewünschten Informationen ebenfalls aufschnappen können. Den Drang unterdrückend, einen tiefen Atemzug zu nehmen und die Gerüche zu durchforsten, trat der Daiyokai ein. Niemand nahm Notiz von ihm und er schritt durch den Schankraum, auf der Suche nach einer ruhigen Ecke, von der aus er lauschen konnte. Diese fand er relativ schnell und ließ sich auf einer Bank nieder, nach wie vor sein Youki unterdrückend. Wachsam wanderten seine goldenen Augen über die Anwesenden. Spieler, Männer, die sich über die Vorzüge der ansässigen Freudenhäuser unterhielten, Kontaktmänner, die Söldner anheuern sollten… Dann hörte er doch etwas viel versprechendes. „… fünf Tagen ein Dorf überfallen und ordentlich Beute gemacht. Wir sollten auch Youkai anheuern, die machen ihre Arbeit verdammt gut. Außerdem, sein Schoßhund ist auch ein Vermögen wert.“ „Die Kleine, die lediglich eine Goldkette tragen soll? Das ist doch lächerlich! Als ob eine dieser Bestien so fügsam wird!“ „Genau die. Ich sags dir, Kenzo macht es richtig! Du kannst dich auch gern selbst davon überzeugen! Er lebt…“ Der Fürst der westlichen Länder lächelte schon fast, das musste der Gesuchte sein. Das ging schneller als gedacht. Er wartete noch einen Moment, ehe er das Gebäude wieder verließ. Ohne Rücksicht auf Verluste raste er durch die Gassen, raus aus der Stadt. Kapitel 2: ----------- Rin hatte sich aufgesetzt und ließ den Blick schweifen. Sie waren deutlich langsamer geworden, denn sie und die anderen wurden bei weitem nicht mehr so stark durchgeschüttelt, wie bisher. Es schien später Nachmittag zu sein. Ihr tat alles weh, doch sie vergaß ihre schmerzenden Glieder, als sie die große, von dichtem Wald umgebene Lichtung sah. Sie hatten also ihr Ziel erreicht, dachte Rin sich mit einem unguten Gefühl. Vor ihnen fuhr, ebenfalls im Schritttempo, ein Wagen, auf dem vier Jungen saßen. Noch weiter vorne war eine hölzerne Tribüne aufgebaut – und auf diese hielten sie und die anderen Händler zu. Sie näherten sich ihr von hinten, wie sie anhand des aufgestellten Sichtschutze mutmaßte, die den Blick auf die Bühne verwehrten. Zwei Menschen, die von vier dämonischen Söldnern begleitet wurden, standen am Rand des Weges, an dem beide Wägen schließlich anhielten. Zuerst war der Wagen vor ihnen dran, Papiere wurden übergeben und überprüft, ehe einer der menschlichen Männer noch etwas sagte und alles zurück gab. Danach kamen sie zu ihnen und der, dessen Haar bereits von einigen grauen Strähnen durchzogen wurde, sprach den Wagenlenker an: „Ihr seid spät, Tomi.“ „Haben die Auktionen bereits angefangen?“, wollte dieser wissen. „Hai, der Großteil der Ware ist bereits verkauft. Habt ihr etwas Besonderes dabei?“ Der Rothaarige überreichte mehrere Blätter „Nein, nur ein paar Menschen. Die Letzte ist frisch rein gekommen.“ Sich selbst zunickend überflog der Mensch die Seiten, ehe er sie zurück gab. „Beeilt euch, dann kriegen wir euch noch rein geschoben, bevor die guten Fänge kommen.“ „Was ist denn der heutige Höhepunkt?“ Zum ersten Mal meldete sich der jüngere der Kontrolleure und äußerte mit einem breiten Grinsen: „Eine halbwüchsige Nixe.“ Tomi antwortete mit einem anerkennenden Pfiff, ehe er den Drachen antrieb um seine Ware loszuwerden. Wenn er die Ningen mit zurück brachte, wäre der Herr alles andere als erbaut und da dieser gut bezahlte, wollte er es nicht riskieren in Missgunst zu fallen. Er hielt schlussendlich neben dem anderen Nachzügler. Außen ihnen waren kaum noch Lieferanten da. Die meisten gingen, sobald sie ihr Geld hatten. Tomi stieg ab und bedeutete seinen Männern, auf die Ware acht zugeben, während er selbst zu einem weiteren, schwarzhaarigen Menschen ging und mit diesem sprach. In diesem Moment war Rin froh darüber, dass man ihnen heute noch nichts zu Essen gegeben hatte. Nicht, dass sie es bei dieser Schüttelpartie überhaupt hätte behalten können, aber spätestens jetzt, als ihr Magen sich verkrampfte, wäre ihr alles wieder hoch gekommen. Sie sollte gleich verkauft werden, wie ein Stück Vieh. Wo war nur Sesshomaru-sama? Oder InuYasha? Irgendjemand, der sie hier rausholte! Vielleicht waren sie noch nicht im Dorf gewesen und ahnten noch nichts von dem Geschehen? Das musste es sein, sonst wäre einer der beiden längst gekommen und hätte sie und die anderen gerettet. Mit Mühe unterdrückte Rin ein Zittern und klammerte sich an den kleinen Hoffnungsfunken. Sobald ihr Meister oder sein Halbbruder bei Kaede waren, würden sie sich garantiert und umgehend an die Verfolgung ihrer Entführer machen. Unwillkürlich zog Rin die Beine an, schlang die Arme darum und stützte ihren Kopf ab. Sie musste nur geduldig sein und ausharren. Die Minuten verstrichen, fühlten sich wie Stunden an, als sie den ersten Jungen von ihrem Wagen herunterzerrten. Rin beobachtete, wie ihre Entführer ein Kind nach dem anderen zu einer Treppe brachten und dieses dort an ihren Anführer übergaben, der dieses dann durch eine Lücke auf die Bühne schob. Als einer ihrer Wachmänner zu dem Karren trat um sie als Letzte runterzuholen, erhob sie sich, ohne dass es einer ‚Aufforderung‘ bedurft hätte und bemühte sich, schnell genug zu laufen, um nicht noch angetrieben zu werden. Dass sich ihre Beine ebenso schwach wie ihr restlicher Körper anfühlten, überging sie dabei vollkommen, war sie aus ihren jungen Jahren doch bereits einiges gewohnt. Tomi nahm sie entgegen und runzelte die Stirn, die Kleine war für seinen Geschmack viel zu agil. Sicherheitshalber legte er eine Hand auf ihre Schulter und schob sie vor sich her… ~ ~ ~ Der Morgen kam viel zu früh für die Zwölfjährige. So gut sie ihren Verkauf mitgemacht hatte, so schlecht hatte sie geschlafen. Mitten in der Nacht hatten sie nach einer langen Reise das Anwesen des Daimyos erreicht und wurden umgehend zur Nachtruhe geschickt. Doch Rin hatte kaum kein Auge zugetan. Wieder wurde unsanft an ihrer Schulter gerüttelt: „Jetzt wach auf, die Arbeit ruft!“ Mühsam setzte Rin sich auf. Neben ihr kniete ein Mädchen, das vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als sie selbst war. Ebenjene hatte sie geweckt und schien ganz erleichtert zu sein, dass sie endlich erwachte. „Du bist neu hier, aber das wird keinen interessieren. Komm mit und bleib immer bei mir, dann kriegen wir dich ohne Ärger durch den Tag.“ Die Fremde erhob sich und blickte erwartungsvoll zu Rin. Diese brauchte einen Moment länger, um sich zu erheben und ihr Stand war alles andere als sicher. Da sie in der Nacht kaum etwas gesehen hatte, blickte sie sich nun um. Wie es schien befanden sie sich in einem Schlafsaal. Um sie herum liefen etwa zwei Dutzend Mädchen und Frauen hin und her, alle trugen einen einfachen, grauen Yukata. Die dünnen Futons und die restlichen Schlafutensilien wurden zusammen gepackt und in die Schränke an den Wänden eingeräumt. Der Raum besaß an einer Wand mehrere hohe und schmale Fenster, die etwas frische Luft herein ließen, aber keine Möglichkeit zur Flucht boten. Der einzige Ausgang war die Tür an der gegenüberliegenden Wand, welche geöffnet war, da die ersten Frauen bereits gingen. „Jetzt starr nicht so und mach, sonst bekommen wir kein Essen mehr“, sprach die andere sie wieder an und begann damit, Rins Lager zusammen zu packen. Waren das alles hier Sklaven? Eilig besann sich die Schwarzhaarige, sie würde früh genug die Möglichkeit haben nachzusehen. Die Braunhaarige neben ihr trug jedenfalls einen der Ringe um den Hals. „Wie heißt du?“, wollte Rin wissen, während sie sich ihr Bett unter den Arm klemmte und der anderen zu einem Schrank folgte. „Du brauchst neue Kleidung, der Kimono ist viel zu gut für jemanden unseres Standes“, auf ihre Frage wurde nicht eingegangen, doch bei dieser Aussage zuckte Rin zusammen. Der lila Kimono war ein Geschenk ihres Meisters und auch, wenn er durch die Geschehnisse der vergangenen Tage äußerst mitgenommen war, so wollte sie ihn nicht ablegen. So hatte sie noch etwas von ihrem alten Leben bei sich… Das interessierte das andere Mädchen aber nicht weiter, denn diese trieb Rin unermüdlich an. Neue Kleidung – der Stoff war viel zu rau und kratzte unangenehm auf ihrer Haut – Essen und dann ging es an die Arbeit. Zusammen mit der Namenlosen sollte Rin die Wannen in der Waschkammer reinigen. „… niemals ansprechen. Nur antworten, wenn du etwas gefragt wirst. Vergiss nicht, dich auf den Boden zu werfen und dich zu verbeugen, wenn dir ein Ranghöherer auf den Gängen begegnet…“ Aufmerksam hörte sie den Erläuterungen zu, bemüht darum, sich alles zu merken. Auf Strafen konnte Rin gut verzichten. „Mach deine Arbeit ordentlich. Wenn hier irgendwas nicht stimmt, sind wir beide dran.“ Dieser Satz ließ sie aufblicken, das konnte nicht wahr sein. „Aber warum? Das ist doch total ungerecht!“ Ihre ‚Betreuerin‘ schüttelte den Kopf „Und wenn schon, es ändert nichts an den Tatsachen. Macht eine einen Fehler, bei einer gemeinsamen Arbeit, werden alle bestraft. Wo wir schon dabei sind: Benimm dich, halt dich an alles. Da ich dich anleite, wird es negativ auf mich zurück fallen, wenn du etwas falsch machst. Und jetzt mach weiter.“ Den gesamten Tag über war Rin im Gebäude und hatte zusammen mit den anderen putzen müssen. Sie hatte noch mehrmals versucht, mit einer ihrer Leidensgenossinnen ins Gespräch zu kommen, doch keine ging darauf ein. So lag sie am Abend zwischen zwei Frauen, hatte sich auf die Seite gelegt und die Füße angezogen. Obwohl hier viele andere Menschen im Raum waren, fühlte sich Rin so einsam, wie sie es seit Jahren nicht mehr getan hatte. Seit sie den verletzten Fürsten gefunden hatte und mit ihm reiste, war immer jemand bei ihr gewesen, hatte ihr Halt gegeben. Jetzt war sie hier. Allein zwischen lauter Fremden, die lediglich versuchten, den Tag ohne Ärger zu überstehen und sich kaum füreinander interessierten. Wo war nur ihr Sesshomaru-sama? Das Geräusch der sich öffnenden Tür ließ Rin aufblicken. Herein trat eine Nachzüglerin, die deutlich gebeugt lief und Probleme hatte, sich aufrecht zu halten. Sie setzte sich auf. Sollte sie der Frau nicht helfen, wenn es sonst niemand tat? Gerade als sie sich dafür entschied, legte sich eine Hand auf ihren Arm und hielt sie zurück. Ihr Blick flog zu ihrer rechten Bettnachbarin, die den Kopf schüttelte: „Vor der Tür steht einer der Soldaten. Wer ihr hilft hat selbst ein Problem.“ Das Mädchen blieb sitzen und sah zwischen dem Neuankömmling und der Frau neben sich hin und her. „Warum läuft sie so komisch?“ „Das willst du nicht wissen. Jetzt schlaf, der Morgen graut früh.“ Widerwillig legte sich Rin nieder. Was sollte denn so schlimm sein, dass sie es nicht wissen wollte? Außerdem war es nicht richtig, die andere sich selbst zu überlassen. „Was passiert, wenn ich ihr helfe?“, wollte sie daher flüsternd wissen. „Wenn du Glück hast, Prügel“, war die simple Antwort. Dann fügte die Ältere hinzu: „Und glaub nicht, dass du wegen einer Verletzung weniger Arbeiten musst.“ Abermals rollte sich Rin unter ihrer Decke zusammen. Was würde sie nur dafür tun, wenn all dies nur ein böser Traum war! ~~~ „Neun!“ Die Silberhaarige reagierte sofort und sprang vom Tisch auf, um zu ihrem Herrn zu laufen. Er befand sich am Ein- und Ausgang für die Ware. Bei ihm war Tomi, der frisch von einem Streifzug kam. Kaum, dass sie bei Kenzo stand, sprach dieser weiter: „Tomi berichtet, dass sich südlich von hier eine Horde Banditen aufhält. Noch sind sie weit genug weg, aber ich will nichts riskieren. Behalte sie im Auge, ich will wissen, ob sie vorbei ziehen oder näher kommen.“ Gehorsam nickte ‚Neun‘ und machte dann eine Bewegung, als ob sie sich eine Kapuze überstreifen würde. Ihr Besitzer verstand sofort. „Ja, du darfst dir ein Tuch mitnehmen.“ Die Inu verbeugte sich, ehe sie ins Haus lief und sofort weiter ins obere Stockwerk ging. Ihr Weg führte sie in die Kammer des Hausherrn und aus einer Truhe suchte sie den schwarzen Stoff hervor, bemüht darum, keine Unordnung zu machen. Als sie diesen hatte, verließ sie das Innere des Gebäudes und band sich die Leihgabe um die Hüfte, ehe sie los lief. Kenzo und Tomi, die gerade um die Ecke kamen, sahen nur noch etwas rot-silbernes davon schießen. Der Rothaarige konnte sich, bei allem Respekt seinem Geldgeber gegenüber, nicht zurück halten: „Haltet Ihr es tatsächlich für klug, die Kleine zu schicken?“ Der Mensch blieb gelassen. „Ist einer deiner Männer auch nur halb so schnell wie meine Nummer Neun?“ „Sie hat keine Waffe“, stellte der Youkai dem entgegen. „Glaub mir, ihre Klauen sind scharf genug, sollte sie nicht schnell genug flüchten können – und das wird nicht geschehen, kein Dämon konnte bisher mit ihr mithalten“, Kenzo konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Für andere mochte es grob fahrlässig sein, etwas so wertvolles unbewaffnet weg zu schicken. Seiner Meinung nach war sie aber gut genug gerüstet, um sich verteidigen zu können. Ein Zögern, ehe er abermals angesprochen wurde: „Sie muss aus einem starken Clan stammen. Wie kommt man nur an so etwas? Wenn wir noch so eine erwischen würden…“ Darauf ging der Händler nicht mehr ein. Er wusste nur das, was ihm sein Vater zu der Sklavin erzählt hatte und das war nicht viel. In den Jahrhunderten ihres Lebens hatte sie schon zu viele Herren gehabt, als dass ihre Herkunft noch eindeutig zu klären wäre. Alles was er daher sagen konnte, war, dass eine gehörige Portion Glück im Spiel gewesen war. Es war längst Nacht, als die Silberhaarige die Gesuchten fand. Diese lagerten an einem Waldrand und da Wolken am Himmel standen, war die Sicht nicht sonderlich gut. ‚Neun‘ löste das Tuch von ihrer Hüfte und band es sich über den Kopf, den Knoten unterm Kinn, sodass ihre verräterisch hellen Haare verdeckt wurden. Dann erst umrundete sie die Gruppe in sicherem Abstand und tauchte in den Schutz der Bäume ein. Dort schwang sie sich auf einen Ast hinauf und arbeitete sich immer näher heran, bis sie einen guten Überblick hatte. Ihre Nase hatte sie nicht betrogen. Dort lagerten etwa dreißig Ningen, die lange kein ordentliches Bad mehr genommen hatten und zehn Meilen gegen den Wind zu riechen waren. Für sie wohl noch mehr als für andere Youkai. Einer ihrer Herren hatte sie gerne als Spürhund eingesetzt, wenn es Gefangenen gelang zu flüchten. Damals hatte sie ihren Geruchssinn stark verfeinert, darauf getrimmt, die Menschen zu finden. In gewisser Weise rächte sich das gerade, immerhin musste sie länger in der Nähe ausharren. Mit einem stillen Seufzer wechselte sie den Ast, bis sie eine gute Stelle hatte, um die Nacht zu verbringen. Zumindest würde sie, solange sie hier war, ihre Nachtruhe genießen können. Entspannt lehnte sich ‚Neun‘ an den Stamm des Laubbaumes, dessen Blätter sie vor neugierigen Blicken schützen sollten und lauschte mit geschlossenen Augen den Lauten ihrer Umgebung. ~~~ Die Arbeit des heutigen Tages fiel Rin leicht. Sie, ihre ‚Anleiterin‘ und noch ein weiteres Mädchen, welches eher schon als junge Frau zu bezeichnen war, sollten Unkraut in einem Blumenbeet jäten. Eine Arbeit, die sie längst beherrschte, hatte sie Kaede doch beim Anbau jener Kräuter geholfen, die sich gezielt anpflanzen ließen. Einzig die Sonne, die hoch am Himmel stand, trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. Ob sie eine Möglichkeit bekommen würde, um sich zu säubern? Als ob sie Rins Gedanken gehört hätte, erklärte die Jüngste der Drei: „Wenn wir Glück haben, badet heute eine der Herrschaften, dann dürfen wir danach in die Wanne und uns waschen. Wenn nicht, müssen wir in die Waschküche und uns dort säubern. Dreckig wie wir jetzt sind, ist uns der Zutritt zu den Wohnbereichen verboten, da wir dort alles verschmutzen würden.“ Verstehend nickte Rin und murmelte ein „Danke.“ Für den Anfang würde ihr eine Pause und etwas zu trinken genügen. Wenn das so weiter ging, würde eine von ihnen noch ohnmächtig werden, wegen der fehlenden Flüssigkeit. Im vergangenen Sommer war das ihm Dorf öfters Mal bei der Feldarbeit passiert. Kagome hatte erklärt, dass dies irgendwie mit einem Kreislauf zusammen hing… Etwa eine halbe Stunde später klappte die Älteste unter ihnen tatsächlich zusammen. Alle Warnungen vergessend sprang Rin auf und lief die wenigen Schritte zu der Bewusstlosen hin. Hinter sich hörte sie, wie die Jüngste zischte: „Komm sofort her und mach weiter! Bist du des Wahnsinns?!“ Doch die Mittlere hörte nicht, sondern kniete sich neben die Jugendliche „Wir müssen sie kühlen und die Füße hoch lagern.“ „Vergiss es, ich lass mich da nicht mit rein ziehen!“ Einen Moment hielt Rin inne. Wie konnte man nur so … SO sein? Ihr viel kein passendes Wort ein, für das Verhalten von der anderen Sklavin. Entschlossen, nicht auch so zu werden, legte sie die Frau auf die Seite und öffnete ihren Mund. Kagome hatte gesagt, dass man das machen musste, damit der Ohnmächtige nicht an seinem Erbrochenen erstickt. Wie genau diese Seitenlage ging, wusste Rin nicht mehr, aber so würde es bestimmt auch helfen. Danach setzte sie sich auf. Der weitläufige und gepflegte Garten wurde von einer hohen Steinmauer umgeben und sie meinte, zu Beginn ihres Dienstes, einen Teich mit Kois gesehen zu haben. Auf der Suche danach drehte sie den Kopf hin und her, bis sie ihn endlich fand und hinlief. Ihr Weg führte sie dabei fast den gesamten Weg zurück, den sie zu dem Beet gelaufen waren und nahe an das nächste Gebäude. Doch so weit dachte das Mädchen nicht, sondern wollte nur der anderen helfen. Am Ufer angekommen stand sie bereits vor dem nächsten Problem: Sie hatte kein Tuch, das sie befeuchten konnte. Dann musste es eben anders gehen. Daher ging sie in die Hocke, ihre Hände zu einer Schale geformt, tauchte sie diese ins Wasser ein. Im nächsten Moment spürte sie eine Hand im Nacken, die sie schmerzhaft festhielt und eine männliche Stimme raunte gefährlich: „Was meinst du, was du hier gerade tust?“ „Ich wollte doch nur-“, weiter kam sie nicht, denn sie wurde kräftig durchgeschüttelt. „Warum bist du nicht bei der Arbeit?“ „Ich wollte Wasser holen…“, Rin hatte die Augen zusammen gekniffen und wartete darauf, was kommen würde. Sie ahnte, dass es den Mann nicht interessierte, warum sie hier war. Der Druck verschwand und sie atmete schon erleichtert aus, als sie an den Haaren hoch und nach hinten gezogen wurde – nur um gleich als nächstes eine schallende Ohrfeige zu kassieren… ~~~ Tomi und seine Männer befanden sich vor dem Haupthaus und gingen ihre Ausrüstung durch, Klingen wurden geschärft und einer der Männer saß sogar da und versuchte einen Haori zu flicken. Eine Weile sah der Anführer dabei zu – denn bei versuchen blieb es eben auch. Dann meinte er: „Gib einem von Kenzos Weibern das Teil, die sollten das können.“ Der Angesprochene schien nicht begeistert „Ich soll das einen dieser halbblinden Menschen machen lassen? Da warte ich doch lieber, bis der Hofhund zurück ist.“ Ein anderer der Truppe schaltete sich ein: „Wenn die es denn macht. Du weißt genau, im Gegensatz zu den anderen hört sie nur auf Kenzo.“ Der selbsternannte Näher schüttelte den Kopf „Was die sich überhaupt alles gefallen lässt… Meint ihr, das Gold ihrer Kette ist nur die oberste Schicht und darunter liegt das übliche Metall?“ Bevor die Diskussion weiter gehen konnte, hielt Tomi eine Hand hoch und signalisierte seinen Männern, dass sie still sein sollten. Die Sekunden verstrichen und alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Etwas stimmte nicht. Im umliegenden Wald war es viel zu still und das Gefühl von Gefahr war beinahe schon zu greifen. Einer der wenigen unter ihnen, der halbwegs ein Gespür für Auren hatte, murmelte „Boss, da kommt was verdammt Finsteres auf uns zu.“ Nicht nur Tomi hielt sein Schwert bereits in der Hand. Am nächstgelegenen Waldrand tat sich etwas und die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Punkt dort. Nach der Warnung ihres Kameraden hatten sie mit vielem gerechnet, aber als sie sahen, was für Gestalten aus dem Schatten traten, gaben fast alle ihre angriffsbereite Haltung auf. Die konnten unmöglich eine Gefahr sein. Kapitel 3: ----------- Geradezu gelangweilt beobachtete ‚Neun‘ von ihrem Versteck in den Baumkronen aus, wie sich die Zielobjekte ewig lang Zeit ließen, um ihr Lager abzubauen und alles für die Weiterreise fertig zu machen. Menschen an sich waren bereits langsam, doch das Pack vor ihr kam einfach nicht in die Gänge. Töricht, denn die Tage waren warm und es empfahl sich, früh aufzubrechen und in der Hitze der Mittagszeit an einem schattigen Ort zu rasten. Andererseits – ihr sollte es recht sein, da sie so weiterhin einen günstigen Beobachtungsposten hatte und sich nicht darum Sorgen musste, entdeckt zu werden. Doch auch die faulsten Männer waren irgendwann fertig und die Truppe machte sich auf den Weg, mit einem Verfolger im Nacken. Ein Blick in den Himmel verriet ‚Neun‘, dass diese Tölpel geradewegs in die heißeste Zeit des Tages hinein liefen. Na wenn sie meinten… Zumindest sollten sie, wenn sie diese Richtung beibehielten, nicht näher an das Anwesen ihres Herrn heran kommen. Vielleicht konnte sie sich bald auf den Rückweg machen und Entwarnung geben. ~~~ Die Gruppe um InuYasha hatte ihren Abstecher an die Küste beendet und war auf dem Rückweg in das heimatliche Dorf. Bald schon sollten sie den Wald verlassen und dann wäre es nicht mehr weit, bis die ersten Reisfelder kamen. Diese Aussicht erheiterte alle von ihnen. So schön es auch gewesen war, noch einmal in der alten Gruppe einen Auftrag anzutreten – das Leben im Dorf hatte auch etwas für sich. Kagome, die neben InuYasha an der Spitze lief, blickte über ihre Schulter nach hinten zu Sango und Miroku. Beiden war ziemlich deutlich anzusehen, dass sie ihre Kinder in die Arme schließen wollten. Die beiden Dreijährigen hatten sie nicht mitgenommen, sondern in der Obhut einer anderen Mutter gelassen. Der einzige, der sich wohl weniger auf das Wiedersehen mit den Zwillingen freute, war ein gewisser Hanyou. Kein Wunder, wenn man bedachte, wie oft die Mädchen ihm an die Ohren gingen. Mit einem Mal blieb InuYasha stehen und schnupperte auffällig in der Luft, nur um einen unzufriedenen Laut von sich zugeben. Etwas störte ihn, auch wenn er nicht definieren konnte, was es war. Noch ehe seine bessere Hälfte nachfragen konnte, kamen Kirara und Shippo, die voraus gelaufen waren, zurück geeilt. Der Kitsune klammerte sich im Nacken der Nekomata fest, die ihre große Form angenommen hatte und an InuYasha vorbei lief. Erst bei Sango und Miroku machte sie halt. Seitlich vor ihnen stehend war die Botschaft klar: Kirara wollte, dass die beiden aufstiegen. „Das Dorf wurde überfallen!“, rief Shippo aufgeregt. Mehr brauchte er nicht sagen, denn die anderen reagierten sofort. Während der Hanyou Kagome huckepack nahm, trug Kirara die anderen drei Passagiere. Wenige Minuten später betrat die Gruppe die einstige Dorfmitte, jeder wieder auf den eigenen Beinen. Ihre Blicke gingen über die zerstörten Hütten, suchten nach einem Lebenszeichen der Bewohner. Was war nur während ihrer Abwesenheit geschehen?! Miroku öffnete gerade den Mund, um vorzuschlagen, nach Überlebenden zu suchen, als ihm jemand zuvor kam. Laute Freudenschreie ließen die Freunde herum fahren, um nach der Quelle zu suchen, als auch schon zwei kleine Gestalten auf ihre Eltern zu liefen und sich an die Beine ihrer Mutter krallten. Sango fiel eine zentnerschwere Last von den Schultern, als sie ihre Mädchen wohlbehalten vorfand und ging in die Knie, um die beiden richtig umarmen zu können. Dabei murmelte sie beruhigende Worte, die nicht nur für die Kinder, sondern auch für sie selbst waren. Aus den noch erhaltenen Hütten traten die restlichen Anwohner, offensichtlich erleichtert darüber, dass die Gruppe heimgekehrt war. Miroku hatte Ayane auf den Arm genommen, während sich Sango mit Sumiko erhob. Es war besorgniserregend, wie wenige der Dorfbewohner heran kamen. Auffällig war zudem, dass sie nur ältere Menschen sahen, an die sich kleine Kinder klammerten. Dazwischen gab es niemanden. Einer der Dorfältesten trat vor: „Es erfreut uns sehr, dass Ihr zurück seid. Kagome-sama, wir brauchen dringend Eure Hilfe.“ Die Art, wie er Kagome ansprach, ließ diese einen Moment erstarren, ehe sie sich fing. „Was ist mit Kaede?“, ihre Stimme war belegt, denn sie hatte eine Befürchtung. Schweigen empfing sie, lediglich Blicke wurden gesenkt und eine Frau bestätigte Kagomes Vermutung: „Wir wussten nicht, wie wir ihr helfen sollten.“ Diese Nachricht war ein wahrer Schock – und es sollte nicht der letzte bleiben an diesem Tag. Denn noch hatte ihnen niemand gesagt, was vorgefallen war. Drei zermürbende Stunden später waren sie nicht nur um einiges schlauer als zuvor, sondern auch nüchterner. Zeit zu trauern gab es nicht, es galt anzupacken und die Verwundeten zu versorgen, wobei Sango ihrer Freundin zur Hand ging. InuYasha, Miroku und Shippo hingegen machten sich mit den wenigen, die kräftig genug dafür waren, daran, weitere der Hütten zu reparieren. Die alten Menschen hatten alleine kaum etwas geschafft, was nicht weiter verwunderlich war. Kagome trat aus einer Hütte an die frische Luft und atmete tief durch. Viele der Wunden hatten sich entzündet und sie war sich sicher, dass mindestens einer ihrer Patienten bereits eine Blutvergiftung hatte. Es war furchtbar zu wissen, dass sie den Verwundeten nicht effektiv helfen konnte. Kaedes Kräutervorräte waren Geschichte, sie selbst hatte keine angelegt. Und wenn, ihr Heim war zerstört, es würde ihr nichts nützen. Wie viel besser war es da in der Neuzeit, dort wäre die medizinische Versorgung gesichert. Abwesend schüttelte die Miko den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Sie hatte gewusst, auf was sie sich einließ, als sie hierher zurück kehrte und ihr altes Leben, ihre Zeit, hinter sich ließ. Sie konnte einen Blick auf InuYasha ergattern, der mit verschlossener Miene auf einem Dach saß und dieses richtete. Er war viel zu ruhig, gewiss machte er sich Vorwürfe – er hatte sich Akzeptanz erarbeitet, war der Beschützer dieser Menschen. Als sie ihn brauchten, war er nicht da. Aber hatten sie nicht alle versagt, als sie ihre Heimat vollkommen schutzlos zurück ließen? War der Wunsch, noch einmal in der alten Gruppe zu reisen, zu egoistisch gewesen? Das Bizarre an ihrer gesamten Situation war auch noch, dass ihre einzige Hoffnung, die Verschleppten wiederzusehen, ausgerechnet aus Sesshomaru bestand! Selbst InuYasha hatte einsehen müssen, dass eine Verfolgung ihrerseits zum Scheitern verurteilt war, da die Spuren vernichtet waren. Außerdem wurde ihre Anwesenheit im Dorf benötigt, dort konnten sie von Nutzen sein. Ein Seufzer entrang sich ihrer Kehle. Zumindest waren die Toten bereits bestattet worden. Die Toten… Kaede war eine von ihnen. Keine Stunde nach Sesshomarus Besuch war sie für immer eingeschlafen. So wirklich begriffen hatte es die Miko noch nicht, dass ihre Lehrmeisterin nicht mehr war. Es war zu viel auf einmal, dass ihr Verstand begreifen und verarbeiten musste. Ein kleiner Junge zog an ihrem Ärmel und wollte offenbar, dass sie ihm folgte. Ihre kleine Denkpause war vorüber. ~~~ Auch wenn sie nicht davon ausgingen, dass gerade eine Gefahr auf sie zukam – dennoch blieben die Söldner wachsam. Fremden musste man in ihrem Milieu immer misstrauisch gegenüber treten. Wer wusste schon, ob die Neuankömmlinge nicht auf Ärger aus waren? Wenn es sich dann noch um eine solche Gruppe handelte, die alles andere als vertrauenswürdig aussah… Wenige Schritte, nachdem er den Wald verlassen hatte, blieb der augenscheinliche Anführer stehen und seine eiskalten, goldenen Augen lagen abschätzend auf den Youkai, die zwischen ihm und dem Haus lagerten. Direkt hinter Sesshomaru kam Jaken mit Ah-Uhn zu stehen, ersterer hielt sein Youki einmal mehr unterdrückt. Tomi machte einen Schritt vor und wollte barsch wissen: „Was wollt ihr hier?“ „Ist dies das Anwesen des Menschenhändlers Kenzo?“ Der Kappa hinter ihm zuckte zusammen. Hatte er sich verhört? Nein, unmöglich! Dann war die kleine Rin tatsächlich Sklavenhändlern in die Hände gefallen? Das war grauenhaft! Bei den ansässigen Dämonen löste die eisige Stimme manch eine Gänsehaut aus. Dieser Unbekannte war doch nicht normal! Auch wenn er in dem Silberhaarigen die Gefahr erkannt hatte, ließ sich Tomi kaum etwas anmerken und antwortete scheinbar gelassen: „Wenn es so wäre?“ Hätte er gewusst, dass er damit seinen und den Tod seiner Männer besiegelte, hätte er eine andere Wortwahl getroffen. So aber hatte Sesshomaru die erwartete Antwort und seine Gegner konnten nicht so schnell gucken, als auch schon eine grüne Peitsche ihrem Oberhaupt den Kopf vom Hals schlug. Manch einer von ihnen hatte noch die Zeit, seine Waffe zu erheben und aufzuspringen, um sich auf den Angreifer zu stürzen. Dieser blieb jedoch vollkommen unbeeindruckt, schritt voran und metzelte jeden einzelnen der Dämonen mit seiner Giftpeitsche nieder, ehe diese es auch nur in seine Nähe schafften. Keiner von diesem Pack sollte überleben. Die Leichen um ihn herum keines Blickes würdigend, ging er auf den Eingang des Haupthauses zu. Die Tür öffnen brauchte er nicht, denn als er noch wenige Schritte entfernt war, wurde diese bereits aufgezogen und eine bleiche, braunhaarige Sklavin stand in der Tür – und starrte ihn aus schock geweiteten Augen an. Nur kurz zuckte ihr Blick zu den Leichen am Boden, nur um sofort wieder auf ihm zu liegen. Ein weiterer Schritt seinerseits. Hastig sprang die Menschenfrau zur Seite und machte ihm den Weg frei, stolperte und landete unsanft auf ihren vier Buchstaben. Besser für sie, als ihm im Weg zu stehen. Eine herrische, männliche Stimme war zu hören: „Sieh gefälligst nach, was los ist, anstatt hier so einen Aufstand zu veranstalten!“ Die Frau dachte nicht daran, sondern krabbelte rückwärts, um mehr Abstand zwischen sich und den Eindringling zu bringen. Zwar hatte er die Söldner getötet, aber das hieß noch lange nicht, dass er auf ihrer Seite stand – sie und die anderen gar befreien würde. Die Angst vor diesem Dämon war sogar noch größer, als die vor ihrem Herrn. Sesshomaru betrat derweil den Hauptraum des Hauses. Zu seiner Linken, an der gegenüberliegenden Wand, befand sich eine Leiter, die ins obere Stockwerk führte. Hinter der Leiter war eine geschlossene Schiebetür. Interessant war daher eindeutig der Teil auf der rechten Seite. An der hinteren Wand befanden sich zwei, mit Papieren gefüllte, Regale und eine verschlossene Truhe. Davor standen zwei hölzerne Schreibtische, wovon lediglich einer besetzt war. Eine weitere, deutlich robustere Tür war neben dem rechten Schreibtisch, sodass man diesen und den dort sitzenden Mann passieren musste, um in den angrenzenden Bereich zu gelangen. Es stand außer Frage, dass dort die Gefangenen unter gebracht waren. Des Weiteren nahm er neben dem Geruch der Menschen auch den eines anderen Inu wahr, dieser war aber nicht frisch. Ebenfalls Ware des Händlers? Durchaus möglich. Sein Hauptaugenmerk richtete sich auf den Menschen, der sich erhob und den Dämon wachsam taxierte. „Was wollt Ihr?“ „Ihr habt vor sieben Tagen ein Dorf überfallen“, äußerte Sesshomaru scheinbar desinteressiert. Bevor er den Mann tötete, wollte er sich vergewissern, dass die gesuchten Dorfbewohner tatsächlich hier waren. Kenzo verengte die Augen, er konnte partout nicht einschätzen, was sein Besucher wollte. Wo waren überhaupt diese nichtsnutzigen Söldner, wenn man sie mal brauchte?! „Korrekt. Für einen guten Preis, würde ich sie alle sogar direkt verkaufen“, schlug er dennoch vor. Vielleicht war der Dämon tatsächlich an einem Geschäft interessiert und das würde er sich garantiert nicht entgehen lassen. Der Händler bemerkte endlich eine Regung im Gesicht des anderen – seine Mundwinkel verzogen sich nach oben. Aus irgendeinem Grund gefiel ihm diese Reaktion überhaupt nicht. Alles in ihm schrie danach, schnellstmöglich das Weite zu suchen. Wenn alle Dorfbewohner hier waren, hatte der Mensch keinen Nutzen mehr für Sesshomaru, daher machte er auch mit diesem kurzen Prozess. In einer flüssigen Bewegung stand der Dämon vor Kenzo und vereitelte damit jeglichen Fluchtversuch. „Das...“, flüsterte Sesshomaru dunkel und hob seine klauenbewehrte Hand, „war ein großer Fehler.“ Der Händler öffnete seinen Mund, doch er brachte keine einzige Silbe mehr über seine Lippen. Die dunkelhaarige Sklavin stieß einen kurzen Schrei aus, als Kenzos Kopf mit einem widerwärtigen Laut vor ihre Füße rollte. Sie drückte sich ängstlich gegen die Wand und presste eine Hand auf den Mund, um ja keinen weiteren Ton von sich zu geben und somit die Aufmerksamkeit des Mörders ihres Herrn zu bekommen. Wer wusste schon, ob sie nicht vom Regen in die Traufe geraten war und auch ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Ihre stillen Gebete schienen erhört zu werden, denn der Youkai und auch der Kappa, der nun folgte, kümmerten sich nicht um sie. Am Rande nahm Sesshomaru wahr, dass sich ein weiterer Dämon näherte, dessen Youki einem Signalfeuer glich und jedem, der ein Gespür dafür hatte, seine Anwesenheit verriet. Noch war es aber entfernt, es war nicht sicher, was das Ziel des Besitzers war. Daher widmete sich der Fürst wichtigeren Dingen. Seine Füße trugen ihn zu dem Durchgang und seine empfindlichen Ohren zuckten bei dem unangenehm lauten, hohen Quietschen der Scharniere. Die einzige größere Lichtquelle des langgezogenen Raumes war jene Öffnung, in der er gerade stand. Dennoch erkannte er mit seinem geschärften Blick alles genau – und was er sah, ließ sich mit einem Wort zusammenfassen: Widerwärtig. Zum wiederholten Male innerhalb weniger Tage entschied er zudem, ab nun durch den Mund zu atmen. Die Luft war dick und stickig, es roch nach Unrat, Schweiß und noch andere Dinge, die er gar nicht erst identifizieren wollte. Lauter fremde, teilweise verängstigte Gesichter wandten sich ihm zu und manch ein Wimmern erklang. Doch nicht alle reagierten verschreckt. In mehreren Zellen standen die Gefangenen auf und immer wieder wurde sein Name ungläubig geflüstert. Spätestens jetzt hatte er den Beweis, die richtigen getötet zu haben. Nur die Bewohner des Dorfes seines Halbbruders hatten sich mittlerweile ausreichend an seine Anwesenheit gewöhnt, um sich nicht ängstigen zu lassen. Obwohl ihm dieser Ort zuwider war, schritt er den Gang entlang, hin zu jenen Türen, an denen sich die Gesuchten sammelten. Doch jemand fehlte. Die Person, wegen der er überhaupt erst gekommen war. „Rin“, war daher alles, was er sagte. Eine junge Frau, mit der er Rin schon oft zusammen gesehen hatte, wagte es als einzige, ihn anzusehen und zu antworten: „Sie wurde vor zwei Tagen weggebracht.“ ~~~ ‚Neun‘ machte sich auf den Rückweg. Die Banditen hatten sich zunehmend weiter von ihrem Heim entfernt und es deutete nichts darauf hin, dass sie doch noch die Richtung ändern würden. Das Tuch um ihren Kopf hatte sie wieder gelöst und sich um die Hüfte gebunden, ehe sie den Heimweg antrat. Sie sollte Kenzo zeitnah Bericht erstatten, lange Wartezeiten waren nicht gerne gesehen. Ob er zufrieden mit ihr war? Mit Sicherheit! Immerhin erledigte sie ihre Aufgaben immer zur vollen Zufriedenheit ihres derzeitigen Herrn. Eine Lektion, die sie bereits in jungen Jahren gelernt hatte. War der Herr zufrieden und es ging ihm gut, profitierte auch der Sklave und wurde entsprechend behandelt. Immerhin waren sie wertvoller Besitz, den man wahren musste. Von kleineren, erzieherischen Maßnahmen abgesehen. Sie selbst konnte von sich behaupten, seit Jahrzehnten keine Strafe mehr erhalten zu haben. Es war ihr vollkommen schleierhaft, warum sich manche dermaßen dumm anstellten. Es war doch so simpel: Gehorchen. Aber nein, die Menschen meinten, dass sie sich wehren konnten oder ihre Aufgaben nicht ordentlich verrichten mussten. Da waren sie doch selbst schuld, wenn sie geschlagen wurden. Oder wenn sie jammerten, weil sie eingesperrt werden – dabei hatten sie doch keine andere Wahl, weil die Leibeigenen sonst flüchten würden. Es war doch selbstverständlich, dass man sie da nicht einfach herumlaufen lassen konnte. Von den Gefahren ganz zu schweigen, die dort im Wald lauerten. Etwas Dankbarkeit dem Schutz gegenüber, den ihre Besitzer boten, wäre durchaus angebracht. Manche legten einfach keinen Wert auf das eigene Wohlergehen. Während sie so lief, schweiften ihre Gedanken in die Vergangenheit… Mit einem unangenehm lauten Knall wurde die Tür geschlossen und das typische Klicken eines Schlosses war zu vernehmen. Sie waren eingesperrt, mal wieder. Täuschte sie sich, oder hatte es heute etwas anders als sonst geklungen? Das Mädchen, das etwa mit einem fünfjährigen Menschen zu vergleichen war, blickte traurig auf die Tür. Warum durfte sie nie mit? Sie würde ihrem Herrn doch nie Schande bereiten! Oder liebend gerne das gesamte Haus reinigen! Alles würde sie machen, nur um nicht wieder mit Nummer Sieben eingesperrt zu sein! Sie mochte Sieben nicht! Aus den Augenwinkeln sah ‚Neun‘ zu dem Kitsune. Sein fuchsrotes Haar war zottelig und etwas verfilzt und seine grünen Augen lagen wieder mit diesem komischen Blick auf ihr. Es schien eine Mischung aus Bedauern und Verachtung zu sein. Als könne er sich nicht entscheiden, wie er zu ihr stand. Seit sie denken konnte, war Sieben schon da und machte nichts als Ärger. Das fing schon damit an, dass er nicht auf seine Nummer reagierte, sondern darauf pochte, Masakazu zu heißen. Dafür gab es jeden Tag Prügel, aber er lernte es nicht. Daher war er, im Gegensatz zu den anderen Nummern vor ihr, noch hier. So einen unerzogenen Youkai konnte man nicht verkaufen, nicht wenn man einen Ruf zu verlieren hatte. Wo nur sein Problem lag? Ihnen ging es doch gut hier. Sie bekamen jeden Tag etwas zu essen, hatten ein Dach über dem Kopf und sogar jeder einen eigenen Schlafplatz nur für sich, in einem Raum ohne Menschen, die immer stanken. Gut, Sieben stank auch. Der neuste Versuch, ihn zum Einlenken zu bringen: Er durfte sich nicht mehr Waschen. Die Hoffnung war, dass sich der Fuchs irgendwann selbst unwohl fühlte. Momentan war es aber nur ihre arme Hundenase, die litt. Mit ihren guten Ohren hörten sie, wie sich der Herr, seine Frau und seine Männer entfernten. Der Kitsune sprang auf und knurrte seine Zimmergenossin warnend an: „Mir ist egal, was du machst, aber versaus mir nicht!“ Verständnislos blinzelte die Angesprochene nur. Masakazu war derweil zur Tür gegangen und tat dort irgendwas. Was genau, sah ‚Neun‘ nicht, denn sein Körper versperrte ihr die Sicht. Dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck, denn er hatte es tatsächlich geschafft, die Tür zu öffnen. Der Junge stürzte los. Keine Sekunde später verstand ‚Neun‘, was vor sich ging. Er wollte abhauen. Das würde ihrem Herrn nicht gefallen! Ihre Entscheidung fiel schnell und sie rannte dem anderen hinterher, holte ihn trotz ihrer Jugend schnell ein, sprang auf ihn und schmiss ihn zu Boden. Er drehte sich um und schlug nach ihr, hinterließ lange, rote Striemen auf ihrem linken Oberarm. Entschlossen schlug sie zurück, traf ihn an der Schläfe und zu ihrer Zufriedenheit verlor er tatsächlich das Bewusstsein. Sie hatte den Ausbrecher in eine Zelle gebracht und brav gewartet, bis ihr Besitzer zurückkam. Da wurde sie das erste Mal von ihm gelobt und wäre beinahe geplatzt vor Stolz! Und sie wurde nie wieder eingesperrt! Abrupt kehrte sie ins Hier und Jetzt zurück. Der Geruch von Blut lag in der Luft und kam eindeutig aus der Richtung, in der ihr zu Hause war. Augenblicklich beschleunigte sie ihr Tempo nochmals, um schnellstmöglich in Erfahrung zu bringen, was passiert war und notfalls einzugreifen. Kapitel 4: ----------- Schweigend stand der Fürst dicht neben dem Hauptausgang für die Sklaven. Oder eher ehemaligen Sklaven. Gut die Hälfte der Menschen war bereits in ihre neu gewonnene Freiheit aufgebrochen. Die Leibeigenen des Hauses waren eifrig dabei, die Türen aufzuschließen und die Ketten abzunehmen. Letzteres war das Zeitaufwendige, denn sie hatten nur einen Schlüssel. Jaken an seiner Seite zog es ebenfalls vor still zu sein. Selbst er hatte begriffen, dass sie nicht weiter kamen. Sesshomaru hatte jeden, der ihnen Antworten geben konnte, getötet. Dummerweise so, dass selbst mit Tenseiga nichts mehr zu machen war. Die Verletzungen waren zu schwerwiegend, als dass das Schwert einem von ihnen neues Leben einhauchen konnte. Selbiges ging dem Inu durch den Kopf. Das konnte nicht sein, dass er so knapp vor dem Ziel versagte! Es musste eine Möglichkeit geben, Rins Aufenthaltsort zu erfahren! Nebenbei registrierte er, dass das unbekannte Youki ganz in der Nähe war. Was auch immer der Besitzer wollte, sein Ziel war Kenzos Heim. Er würde abwarten müssen – vielleicht hatte er das Glück und es war ein weiterer Handlanger des Händlers. Auch wenn er dies bezweifelte, bei der Energie. Vorsichtige Schritte näherten sich und eine reichlich eingeschüchterte Menschenfrau trat auf die Dämonen zu. Es war dieselbe, die auch seine Frage nach Rin beantwortet hatte. Hinagiku wagte es nicht, ihrem Retter in die Augen zu sehen. Ihr gesamter Körper zitterte vor Aufregung und Angst. Nach ihrer Aussage Rins Verbleib betreffend, waren die sonst so kalten, goldenen Augen einem furchterregenden Rot gewichen. Von der Vermissten wusste sie, dass dies kein gutes Zeichen war. Ein Grund mehr, sich fern zu halten. Ihren gesamten Mut zusammen kratzend, wagte sie einen kurzen Blick nach oben. Kein Rot mehr, immerhin etwas. Der Kappa war es, der sie ansprach: „Was willst du, Weib?“ „I-Ich…“, die Frau schluckte die Panik herunter. Sie spürte regelrecht, wie sich die Augen des Fürsten durch ihren Körper bohrten. „Ich hab-be die Söldner“, sie musste sich zwingen, einzuatmen „reden hören“, ein weiterer, hastiger Atemzug, ehe sie schnell ausstieß: „Sie waren bei einer Auktion.“ Nicht gerade viel Information, aber vielleicht war es eine Hilfe. Sesshomaru hatte zwar durchaus zugehört, doch er war mehr damit beschäftigt, sich auf das fremde Youki zu konzentrieren. Wem auch immer es gehörte, dieser jemand hatte soeben das Haus betreten. Dummerweise konnte er nicht riechen, um was für einen Dämon es sich handelte, da er außer dem Gestank vom Inneren des Sklavenhauses nichts wahrnahm. Der Unbekannte bewegte sich nicht mehr, er hatte wohl die Leiche von Kenzo entdeckt. ‚Neun‘ hielt inne, als sie aus dem Wald trat. Direkt vor ihr befand sich ein einziges Schlachtfeld, der schwere Geruch von Blut lag in der Luft und überdeckte alles andere. Ihre Augen huschten umher und sie zählte die herumliegenden Köpfe. Wenn sie das richtig einschätzte, waren alle Söldner tot. Wer war es, der so etwas schaffte? Es waren keine großartigen Kampfspuren zu sehen… All das dauerte nur wenige Sekunden, ehe sie sich der wichtigsten Frage widmete: Was war mit ihrem Herrn?! Da ‚Neun‘ nicht das Bedürfnis hatte, durch die blutdurchtränkte Erde zu gehen, machte sie einen großzügigen Satz und kam vor der Schwelle zur Haustür auf. Auch hier konnte sie nicht viel mehr als den metallenen Geruch wahrnehmen, der vom Körper ihres Besitzers ausging. Ihres ziemlich kopflosen Besitzers. Mit wenigen Schritten war sie neben der Blutlache, die sich zwischen dem abgetrennten Kopf und dem restlichen Körper gebildet hatte. Die geplante Vermählung würde wohl ausfallen. Wie war es möglich, ein solches Massaker anzurichten, ohne das es mehr Spuren gab? Eine einzelne Person konnte das unmöglich geleistet haben! Es gab aber keinerlei Hinweise darauf, dass es sich um eine größere Gruppe Angreifer handelte. Sie ging in die Hocke, reckte den Hals und schnupperte. Falten bildeten sich auf ihrer Stirn. Da war der Hauch eines Dufts, welches sie schon einmal gerochen hatte. Nur sie konnte es nicht zuordnen. Wie ärgerlich! Und überhaupt, wo war der Mörder Kenzos? Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht! Noch ein letztes Mal sog sie den Duft des Gesuchten ein, ehe sie sich erhob und zu der Tür ging, die zu den Gefangenen führte. Diese war lediglich angelehnt und sie konnte hören, dass auf der anderen Seite rege Betriebsamkeit herrschte. Als sie eintrat quietschten die Scharniere wie gewohnt – und einige alarmierte Blicke flogen in ihre Richtung. Nach und nach wandten sich ihr immer mehr Gesichter zu und alle verharrten, warteten ab, was sie tun würde. ‚Neun‘ legte den Kopf schief, während sie sich umsah. Die Zellen waren geöffnet, am anderen Ausgang stapelten sich die Halsketten und eine von Kenzos früheren Leibeigenen war gerade dabei, einem Mann das Metall vom Hals zu entfernen. Was sollte das?! Wenn sie die Zahl der Anwesenden überschlug, war bereits gut die Hälfte ihrer Ware weg. Was war nur los? Wie sollte sie sich verhalten? Was musste sie als erstes tun? Die Menschen wieder einfangen? Sicher stellen, das nicht noch mehr flüchteten? Nein – es lag doch auf der Hand. Zu aller erst musste sie denjenigen finden, der für all das hier verantwortlich war. Das hatte oberste Priorität. Entschlossen rauschte sie an den Menschen vorbei, die darauf warteten, dass auch sie die Kette abgenommen bekamen. Zum Glück wurde ihr eilig Platz gemacht. Im Vorbeigehen nahm sie die Witterung auf, welche an Kenzos Leichnam klebte. Der Besitzer war hier – oder täuschte sie sich? Denn wenn sie sich nicht gewaltig irrte, dann folgte sie der Spur eines Youkais! Doch, sie war sich sicher, es mit ihresgleichen zu tun zu haben. Ihre Vermutung wurde bestätigt, denn als sie ins Freie trat, stand ihr tatsächlich ein anderer Inu gegenüber. Nicht der erste Vertreter ihrer Art, den sie traf. Nur der erste, der die gleichen, goldenen Augen wie sie hatte. Nebenbei registrierte sie den Kappa und den Reitdrachen, ebenso eine ihrer neusten Gefangenen, die nahe bei dem hochgewachsenen Mann standen. Dann galt ihr gesamtes Augenmerk aber wieder IHM. Ein letztes Mal atmete sie tief ein und aus, dann hatte sie Gewissheit. Er war es, der die gesamten Söldner und – weit schwerwiegender – ihren Herrn abgeschlachtet hatte. Nach außen hin nach wie vor ruhig, machte sich Sesshomaru bereit, umgehend zu reagieren, sollte er angegriffen werden. Dann endlich konnte er sehen, zu wem das Youki gehörte. Die unbekannte Youkai hielt abrupt inne und starrte ihn an. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich deutlich Überraschung wieder, ebenso ein gehöriges Maß an Verwirrung. Etwas, dass er nachvollziehen konnte, waren dies doch ein Stück weit seine eigenen Empfindungen. Nur ließ er sich diese nicht derart anmerken. Ihr Auftreten… Dank des Goldes um ihren Hals wusste er, dass er den angepriesenen „Schoßhund“ gefunden hatte. Er hatte mit einem vierbeinigen Vertreter der Inu gerechnet, ein niederer Hundedämon. Bestenfalls einer Youkai aus einem kleinen, schwachen Clan. Vor ihm aber stand eine Frau, deren Energie von vielem zeugte, aber gewiss nicht von Schwäche. Und ihr gesamtes Äußeres deutete darauf hin, dass sie aus einer der stärksten Linie ihrer Art abstammte. Jene, zu der auch sein Vater und er selbst gehörten. Neben ihm zuckte die Menschenfrau zusammen und man merkte, dass sie sich zusammenreißen musste, um nicht noch mehr Abstand zwischen sich und den Neuankömmling zu bringen. Jaken wollte gerade seinen Schnabel öffnen und die Youkai dafür rügen, einfach so offen seinen Herrn anzustarren. Dazu kam er nicht mehr, denn die folgende Handlung brachte ihn völlig aus dem Konzept. Mit zwei zügigen Schritten war sie einen Meter vor den DaiYoukai getreten, kniete sich nieder und verbeugte sich. Sekundenlang geschah nichts, denn keiner von ihnen mit solch einer Reaktion gerechnet. Dann aber reagierte Sesshomaru. Was auch immer hier vorging, musste vorerst warten. Allein eines zählte: Es gab jemanden, der ihm Rin Aufenthaltsort verraten konnte. „Wohin ging die letzte Lieferung?“ Die am Boden kniende setzte sich auf und runzelte die Stirn, blickte auf den Boden und verzog den Mund. „Sprich, Weib!“ Keine Antwort, stattdessen rutschte die Gefragte unruhig auf den Knien herum. Ehe der Fürst seine ohnehin stark begrenzte Geduld verlieren konnte, schaltete sich jene Frau ein, die bis eben die Ketten geöffnet hatte. „Edler Herr, sie kann nicht antworten. Neun ist stumm.“ ~~~ Mit entschlossener Miene stieg Kohaku auf Kiraras Rücken. Er war erst kurz zuvor im Dorf eingetroffen, da er davon ausging, seine Begleiterin wieder abholen zu können. So ungern er es zugab: Mit der erfahrenen Nekomata an seiner Seite fühlte er sich dort draußen deutlich sicherer. Der Anblick, der sich ihm bot hatte ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Er sah nicht zum ersten Mal ein überfallenes Dorf – aber hier, der Heimat seiner Schwester, war es etwas vollkommen anderes. Sein Weg führte ihn regelmäßig zu seiner verbliebenen Familie und er verband erholsame und ruhige Zeiten mit diesem Ort. Sango legte ihm eine Hand auf die Schulter „Die Ältesten sagen, Sesshomaru ist gen Osten aufgebrochen. Mehr haben wir nicht.“ Der junge Mann nickte. „Ich weiß, aber wir werden unser Glück dennoch versuchen.“ Unter ihm gab Kirara ein zustimmendes Fauchen von sich. Ihre roten Augen blieben für einen Moment bei einem gewissen Hanyou hängen, der reichlich unzufrieden wirkte. InuYasha kostete es eine Menge Überwindung, nicht einfach loszustürmen. Doch sie schienen Glück zu haben und einer der seltenen Momente trat ein, in denen er vernünftig handelte. Momentan war er hier nötiger, zumal in zwei Tagen Neumond war. Keine guten Voraussetzungen für eine Verfolgungsjagd durch die Wildnis. Die anderen konnten ihn auch nicht begleiten, es wäre grob fahrlässig, die Menschen abermals alleine zu lassen. Sie brauchten den Schutz und die Hilfe der kleinen Truppe. Umso gelegener kam Kohakus Ankunft. Gemeinsam mit Kirara wollte er sich auf die Suche machen. So wie es auch Kaede getan hatte, zweifelten sie keinen Moment daran, dass Sesshomaru alle Menschen befreien würde. Nur was dann? Es war äußerst fraglich, dass er alle unter seinen Schutz stellte und zurück brachte. Dieses Recht war allein Rin vorbehalten. Aus diesem Grund machten sich die beiden auf den Weg, um die Bewohner zu suchen und sie in ihre Heimat zu geleiten. Der Dämonenjäger nickte dem Hanyou zu, der diese Geste knapp erwiderte. Sango trat zurück und Kirara setzte sich in Bewegung. Fliegend wären sie zwar schneller, doch sie wollten nicht riskieren, dass ihnen Hinweise am Boden entgingen. Auf dem Rücken der großen Katze beugte sich Kohaku vor und presste sich eng an den kräftigen Körper, um seine Begleiterin so wenig wie möglich einzuschränken. Kagome hatte sich bereits verabschiedet und war nun damit beschäftigt, in den Trümmern nach Werkzeugen zu suchen, die sie für das Herstellen von Medizin brauchte. Zu ihrer Erleichterung fand sie zumindest einen Steinmörser samt Schüssel, die beide lediglich von Ruß bedeckt waren. Endlich schienen sie zumindest etwas Glück zu haben. Damit ließ sich arbeiten. So gut es ging hatte sie alle Verwundeten behandelt, daher konnte sie es sich erlauben, das Dorf kurz zu verlassen. Die Miko brauchte nicht lange, bis sie den roten Schopf des Kitsunes gefunden hatte. „Shippo, hilfst du mir Kräuter zu sammeln?“ Angesprochener reagierte auf ihren Ruf sofort und kam heran gelaufen. „Was suchen wir?“ Trotz der angespannten Lage, musste Kagome bei seinem Eifer etwas lächeln. Mit Shippo als Helfer sollte sie zumindest das Nötigste noch vor Einbruch der Nacht zusammen haben. Der kleine Youkai war ausgesprochen gut darin, die gesuchten Pflanzen zu finden. ~~~ Sie war stark verunsichert, wusste nichts mit dem Verhalten des Youkais vor ihr anzufangen. Was wollte er nur von ihr? Natürlich, eine Antwort auf seine Frage. Ausgerechnet von ihr! Normalerweise würde sie Schriftzeichen auf den Boden schreiben, aber um sie herum war es nicht sandig genug. Aber selbst wenn, konnte sie keine aussagekräftige Antwort geben… Da war sie fast schon froh, als sich der Mensch einschaltete und erklärte, dass sie nicht sprechen konnte. Oder eher wollte? ‚Neun‘ wusste nicht einmal, ob sie es denn konnte. Sie hatte es nie versucht. Vor ihr fuchtelte der Kappa mit seinem Stab herum „Was soll das heißen, sie ist stumm? Sie-“ „Jaken.“ Der warnende Unterton entging niemandem und sofort stammelte Besagter eine Reihe an Entschuldigungen. ‚Neun‘ runzelte die Stirn und sah wieder zu ihrem neuen Herrn auf. Ein Youkai. Das war ungewohnt, bisher hatte sie immer nur Menschen gehört. Und warum ließ er die Ware gehen? Da lief gerade ein kleines Vermögen weg! Nun, es war seine Entscheidung. Wenn auch absolut unsinnig. „Neun.“ Beim Klang ihrer Nummer aus seinem Mund, zuckte sie zusammen, warum, konnte sie nicht genau definieren. Vielleicht, weil sie ihn nicht einschätzen konnte? Ihre gesamte Situation hatte sich grundlegend verändert. Bisher hatte sie immer gewusst, woran sie war und was von ihr verlangt wurde. Ein auffordernder Ton schwang mit und galt offenbar jener Frau, die erklärt hatte, warum die Inu nicht antwortete. Diese zuckte ratlos mit den Schultern „Keine Ahnung, ob sie einen Namen hat. Nummer Neun war schon da, als ich kam. Kenzo hatte einem Kunden gegenüber erwähnt, sie sei ein Erbstück und daher unverkäuflich. Nur durch den Tod wechselt sie den Besitzer. Sie gehört demnach Euch, Herr.“ Nach diesen Worten lag der Blick des Fürsten sofort wieder auf der Person am Boden. „Stimmt das?“ Ein knappes Nicken war die Antwort, die Sesshomaru die Augen verengen ließ. Solcherlei Verhalten war doch nicht normal! Welcher Youkai ließ sich so etwas bitteschön gefallen? Absurd! Zumal er spüren konnte, dass ihre Kräfte im Gegensatz zu denen der anderen geknechteten Dämonen nicht unterdrückt wurden. Sie ließ sich all das aus freien Stücken gefallen. Das ergab keinen Sinn! Einer der Männer war indessen ins Innere gelaufen und kam mit einem hellen Holzbrett zurück, ebenso wie mit einem Stück Kohle. Beides hielt er ‚Neun‘ hin. Nicht auszudenken, wenn ihr Retter wegen dem Weib doch entschied, sie alle zu töten. Lieber nicht unnötig reizen war daher die Devise – und so kommunizierte ‚Neun‘ eben, sollte der seltene Fall eintreten, dass sie etwas gefragt wurde und nicht mit Ja oder Nein antworten konnte. Die nahm die Utensilien eilig entgegen und begann zu schreiben, nur um kurz darauf das Brett zu drehen, damit Sesshomaru lesen konnte. In überraschend sauberer Schrift stand dort geschrieben. Eure Befehle? Sofort meckerte Jaken los „Hast du nicht zugehört? Wo habt ihr die letzte Lieferung hin geschickt?!“ Von seinem lauten Geschreie unbeeindruckt, schrieb ‚Neun‘ wieder etwas und hielt es zum Lesen hin. Eine Auktion. Wir bekommen nur das Geld und erfahren nicht, wer die Käufer sind. Kurz wartete sie, ehe sie alles wegwischte und auf dem nun wieder leeren Brett schrieb. Der Auktionator sollte in etwa wissen, an wen unsere Ware verkauft wurde. Abwartend, was weiter kam, lag ihr Blick auf dem Youkai. „Wo?“ ‚Neun‘ neigte den Kopf. Das war eine schwierige Frage. Die Bühne war einfach zu finden, doch das Haus, in dem der Auktionator lebte, nicht. Die Auktionen finden eine halbe Tagesreise von hier entfernt statt. Verborgen im Wald. Jaken öffnete bereits den Mund, um wegen der mangelhaften Antwort eine lautstarke Tirade auszustoßen, als ihm sein Herr zuvor kam. Dieser hatte sich bereits entschieden, wie er weiter vorgehen würde. „Du wirst uns hinführen.“ Während dem Kappa die Kinnlade auf den Boden klappte, verbeugte sich die Sklavin nur gehorsam, was offenbar ihre Art war, einen Befehl zu bestätigen. Sesshomaru wandte sich zum Gehen. Die Menschen würden schon alleine klar kommen und es war nicht seine Aufgabe, sich um sie zu kümmern. „Meister Sesshomaru, wartet auf mich!“, Jaken packte die Zügel Ah-Uhns und bemühte sich, trotz seiner kurzen Beine wieder aufzuschließen. Nur ‚Neun‘ brauchte einen Moment länger. Sie ließen die Menschen einfach so zurück? Um aber nicht negativ aufzufallen, erhob sie sich rasch und schloss zu der seltsamen Gruppe auf. Erst gehorchen, dann nachdenken. Der Anführer der kleinen Gruppe warf über die Schulter einen Blick nach hinten. Ihre Unsicherheit war beinahe schon in der Luft greifbar, ebenso wie ihr Unverständnis seinen Handlungen gegenüber. Trotzdem folgte sie ihm gehorsam, das Brett fest an den Oberkörper gepresst. Keine Lüge war zu riechen, sie schien nicht im Traum daran zu denken, ihn hinters Licht führen zu wollen. Besser für sie. Gold traf auf Gold und die Frau zuckte heftig zusammen, wohl in Erwartung eines Tadels. Der blieb zu ihrem Glück aus, stattdessen wurde nur die Reisegeschwindigkeit erhöht. Da sie als einzige den Weg kannte, lief sie zwangsweise neben ihrem neuen Herrn. Hinter ihnen flog Jaken auf Ah-Uhn, da er sonst mit dem Tempo der beiden InuYoukai nicht mithalten konnte. Da sie den Weg bereits im Schlaf finden würde, nahm sich ‚Neun‘ endlich die Zeit, nachzudenken. Sie hatte einen neuen Besitzer. In all den Jahrhunderten, die sie schon lebte, war dies nicht unbedingt etwas Neues. Weshalb es ihr normalerweise nicht schwer fiel, diesen Umstand schnell zu akzeptieren. Dennoch... Dieses Mal war anders und löste Unbehagen in ihr aus. Ihr neuer Herr war ein Youkai, eine Premiere. Was sie wohl erwarten würde? Wenn er allein für das Blutbad verantwortlich war, dann musste er sehr stark sein. Das wiederum bedeutete, sie würde zum ersten Mal einem Herrn über einen längeren Zeitraum hinweg dienen. Sofern er sie nicht verkaufte. Ob er dies tun würde, konnte sie nicht einschätzen. Immerhin hatte er alle Sklaven frei gelassen. Selbst die dämonischen Blutes. Daran, dass er nicht an menschlichen Leibeigenen interessiert war, konnte es folglich nicht liegen. Nur warum sonst überfiel jemand einen Menschenhändler, wenn er nicht an dessen Ware wollte? Doch was für ein Geschäft er sich da entgehen ließ, schien ihm vollkommen egal zu sein. Ein äußerst widersprüchliches Verhalten. Warum wollte er unbedingt wissen, wo die letzte- ‚Neun‘ stockte in ihren wirren Gedanken. Ihr fiel ein, woher ihr der Geruch bekannt vorkam. Rin hatte nach dem Youkai gerochen. Sie war mit der letzten Lieferung fortgebracht worden. Konnte es also sein, dass der Mann auf der Suche nach dem Menschenkind war? Sie zögerte, ehe sie stehen blieb. Gefährlich, da sie nicht wusste, wie ihr neuer Herr alles handhabte. Manche mochten es, wenn sie mit dachte, anderen hingegen war es ein Dorn im Auge. Gleich würde sie schlauer sein, denn so wenig sie Sesshomaru verstand – er war nun mal ihr Herr. Eilig begann sie zu schreiben, was auch der einzige Grund war, warum besagter Fürst nichts sagte, sondern abwartete. Fünf Meter weiter hatte es auch Jaken geschafft, anzuhalten. Ihr sucht Rin, Herr? ‚Neun‘ beobachtete genau jede seiner Regungen, konnte aber nichts registrieren. Lediglich ein knappes Nicken und ein bohrender Blick waren seine Antwort. Obwohl sie noch nicht wusste, wie sie ihr Besitzer wollte, so verstand sie dennoch die Aufforderung. Ihr Verhalten war ungewöhnlich und sie roch nach Euch. Nach kurzem Überlegen fügte sie noch etwas an, mit dem der Fürst aber nichts anzufangen wusste. Ein Zeichen, ähnlich einem Familiensymbol und mehrere Ziffern. Im Anschluss daran hielt ‚Neun‘ ihre Marke hoch und deutete darauf. Jetzt verstand auch Sesshomaru, was sie ihm mitteilen wollte. Rins Nummer. Kapitel 5: ----------- Über ihnen verdunkelte sich bereits der Himmel, als die kleine Reisegruppe auf eine freie Fläche mitten im Wald trat, in deren Zentrum eine Tribüne prangte. Drei der vier Reisenden ließen den Blick wandern und machten sich ein Bild ihrer Umgebung. ‚Neun‘ hingegen gab einen stummen Seufzer von sich und schien überhaupt nicht begeistert. Dies wiederum bescherte ihr die Aufmerksamkeit ihres Herrn, dem sie eilig eine Erklärung lieferte. Ich hatte gehofft, Ichiro hier anzutreffen. Ihn in seinem Heim aufzusuchen, wird Misstrauen erwecken. Sie zögerte. Ihr Herr hatte alle Sklaven laufen lassen und schien sich in ihrem Metier nicht auszukennen, sonst müsste sie ihm ja wohl kaum den Weg zeigen. Das wiederum waren keine guten Voraussetzungen dafür, das Menschenkind zu finden. Warum auch immer er dies wollte. Ihr seid keiner von uns, das macht es noch schwieriger. Sesshomaru verengte die Augen. Ihm war bewusst, dass er es mit einer Gesellschaftsgruppe zu tun hatte, die Außenstehenden nicht gerade offen begegnete. Man kannte sich untereinander und es war fast unmöglich ohne einen guten Kontakt in dieses Netzwerk einzutauchen. Bisher ging er davon aus, dennoch voranzukommen. Er musste nur schnell und präzise sein. Wenn ihn sein neustes Anhängsel aber bereits nach so kurzer Zeit durchschaut hatte… „Dann finde einen Weg!“ Jaken hatte nicht mitlesen können und blickte nun verdattert zwischen den beiden Inus hin und her. ‚Neuns‘ Lippen wurden zu einer schmalen Linie und während sie mehrere Möglichkeiten überschlug, neigte sie einmal mehr den Kopf zur Seite. Ihr Besitzer schien es eilig zu haben, somit fiel der vernünftigste Vorschlag, bis morgen zu warten, weg. Dass er sie alleine gehen ließ, schien ihr auch unwahrscheinlich. Er vertraute ihr nicht und würde etwas für ihn Wichtiges persönlich erledigen wollen. Das waren zumindest ihre Erfahrungen mit neuen Herren, da bildeten Youkai mit Sicherheit keine Ausnahme. Irgendwie musste sie es also schaffen, ihn mit Ichiro zusammen zu bringen, ohne dass dieser Verdacht schöpfte. Da kam ihr ein Gedanke und zufrieden mit sich selbst begann sie abermals zu schreiben. Wir lassen den Kappa im Wald. Kenzos Ableben wird noch nicht bis hierher gedrungen sein, was uns einen Vorteil verschafft. Er hat einen guten Ruf. Mehr als eine hochgezogene Augenbraue bekam sie nicht. Ich habe den Auftrag, Euch in die Geschäfte einzuführen. Daher verfolgen wir den Weg der Ware, damit Ihr einen Eindruck von Allem bekommt. Erwartungsvoll beobachtete sie ihn. War er zufrieden mit ihrem Vorschlag? Auf die Schnelle fiel ihr aber nichts Besseres ein. Wenn er nicht einverstanden war, hatte sie ein Problem! Mit einem knappen Nicken erlöste der Fürst die Frau vor ihm. Es war fast schon amüsant, wie bemüht sie war, ihm alles recht zu machen. Wäre da nicht, dass es für eine Youkai ihres Blutes unter ihrer Würde war, ein solches Verhalten zu zeigen. Von Jaken war nichts anderes zu erwarten, aber sie sollte das nicht nötig haben. Andererseits schwafelte sie wenigstens nicht permanent, wie ein gewisser Kappa. Davon abgesehen erschien ihm ihre Idee durchaus sinnvoll. Mit Gewalt würde er nicht weit kommen, es galt geschickt vorzugehen. Hierfür bot sie ihm die perfekte Gelegenheit. Er bezweifelte, dass alle Sklaven derart eigenständig und komplex dachten… ‚Neun‘ orientierte sich, ehe sie sich nach links wandte und über das Gras zum dortigen Waldrand lief. Außer einigen Büschen, die den Weg versperrten war dort nicht viel zu sehen, doch die Inu schob an einer Stelle die Blätter zur Seite und trat hindurch. Auf der anderen Seite war ein schmaler Pfad, gerade breit genug, dass auch der Drache ihn nutzen konnte. Sesshomaru sog die Luft ein und stellte fest, dass der Weg den sie gingen, regelmäßig genutzt wurde. Unzählige alte Spuren, ebenso wie mehrere frische, keine halbe Stunde alt. Er identifizierte eine Hand voll Menschen und mindestens das Doppelte an Dämonen. Nennenswertes Youki war weit und breit nicht wahrzunehmen, wenn man von der Sklavin hinter ihm absah. Nach mehreren hundert Metern erreichten sie eine Weggabelung, aber nur die rechte Abzweigung wurde genutzt. Der DaiYoukai brauchte daher keinen Hinweis, um zu wissen, welchen Weg er einschlagen musste. Zwei weitere Abzweigungen später, spürte er eine leichte Berührung am Arm. Normalerweise würde er es nicht dulden, wenn man ihn einfach anfasste. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass sie nicht sprach und keine andere Möglichkeit hatte, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Abwartend lag sein Blick auf ihr und ‚Neun‘ deutete auf Jaken, dann auf den Boden unter sich. „Was wird das du-“ „Jaken, warte hier!“ „Ja Meister! Ich werde…“ Weiter hörten die beiden InuYoukai nicht zu, sondern liefen los. Nach gut einhundert Metern konnte Sesshomaru endlich etwas in dem dichten Wald sehen. Etwa ein Dutzend Hütten standen vor ihnen verstreut im Wald, alle sahen gleich aus, sodass nicht abzusehen war, wer wo wohnte. Der Geräuschkulisse nach waren längst nicht alle bewohnt. Er musste sich eingestehen, dass das kleine, unter dem Blätterdach verborgene Dorf nicht ganz einfach zu finden war. Vor allem, wenn man nicht wusste, wonach man Ausschau hielt. Seine Musterung wurde unterbrochen, als ihm etwas vor die Nase gehalten wurde. Auf keinen Fall die leeren Hütten betreten, in manchen davon befinden sich Fallen. Kaum dass er gelesen hatte, begann ‚Neun‘ abermals zu schreiben und hielt ihm das Brett hin. Dieses Mal war es keine Information für ihn, sondern wohl für diesen Ichiro. Erwartungsvoll wurde er angesehen, ‚Neun‘ wollte offensichtlich wissen, ob er mit dem Geschriebenen einverstanden war. Mit einem knappen Nicken bekam sie die Bestätigung. ‚Neun‘ machte auf dem Absatz kehrt und schritt zielstrebig auf eine der Behausungen zu. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Sesshomaru neben ihr lief. Diesem war dieses Vorgehen zwar nicht gerade recht, aber es würde effizient sein. Das war letztlich das Wichtigste an ihrem Vorhaben. Sofern ‚Neun‘ keine ausgezeichnete Lügnerin war, die selbst seine feinen Sinne zu täuschen vermochte, konnte er auch davon ausgehen, dass sie ihr Bestmöglichstes tat und ihm nicht in den Rücken fallen würde. Die Sklavin klopfte laut an der Tür, sodass es selbst ein Mensch nicht überhören konnte. Auf der anderen Seite waren Schritte zu vernehmen, missmutiges Gemurmel über den späten Besucher, dann öffnete ihnen bereits eine betagte Menschenfrau die Tür. Mehrere Sekunden lang musterte sie die Personen vor sich, ehe sie den Kopf drehte und rein rief: „Kenzos Kleine mit einem Fremden.“ „Was wollen sie?“, eine dunkle, kratzige Stimme, die vermutlich zu einem älteren Mann gehörte. „Keine Ahnung. Neun hat ihr Brett dabei, aber das nützt mir ja nichts.“ Ein Seufzer war zu vernehmen „Lass sie rein.“ „Ihr habt es eh gehört“, murmelte die Frau und trat zur Seite. ‚Neun‘ ging voraus und machte sich nicht die Mühe, sich umzusehen, war sie doch nicht zum ersten Mal hier. Ihr Hintermann tat dies aber. Von innen sah die Behausung auch nicht viel besser aus, als von außen. In der Mitte befand sich eine Feuerstelle über der ein Topf hing. Darum herum lagen mehrere Sitzkissen auf dem Boden. Links von ihnen befand sich ein kleines Regal mit Nahrungsmitteln und weiteren Kochutensilien. Rechts war ein einfacher Schreibtisch zu sehen, auf dem einige Papiere lagen. An der Wand war wieder ein Regal in dem sich weitere Dokumente befanden. An der gegenüberliegenden Wand musste sich die Schlafstelle befinden, wie zwei ordentlich zusammengeräumte Futons samt Bettzeug verrieten. Das Augenmerk des Fürsten richtete sich auf den Mann mit dem ergrauten Haar, der auf einem Kissen am Feuer saß und vor sich eine Tasse dampfenden Tee stehen hatte. Dieser musterte den Besuch mit gerunzelter Stirn. „Neun, nun zeig schon her!“ Ichiro machte keinen Hehl aus seiner schlechten Laune wegen der Störung am Abend. Die Gerufene tat schnell die letzten Schritte, kniete sich hin – wohlgemerkt nicht auf eines der Kissen – und übergab ihm mit einer kurzen Verbeugung das Brett. „Und das kann nicht bis morgen warten?“, alles andere als zufrieden gab er das Holz zurück, während ‚Neun‘ entschuldigend lächelte und die Frage verneinte. Ein weiterer Laut der Unzufriedenheit, ehe Ichiro auch Sesshomaru bedeutete, dass dieser sich setzen konnte. Was dieser auch tat, sorgsam verbergend, was hinter seiner teilnahmslosen Miene vor sich ging. Dieser Mensch war herablassender, als gut für ihn war. Es konnte es kaum erwarten, ihn wortwörtlich einen Kopf kürzer zu machen. Währenddessen schenkte die Dame des Hauses ihm eine weitere Tasse Tee ein und stellte diese vor ihrem Besuch ab, ehe sie sich in eine Ecke zurückzog und tat, als wäre sie nicht da. Die Höflichkeit gebot es zwar, zumindest einen Schluck zu nehmen, doch dies ignorierte der DaiYoukai geflissentlich. Er wollte Antworten und dann weiter. Ichiro hingegen trank in aller Ruhe, ehe er sich voll und ganz seinem Gast widmete. „Wurde auch mal Zeit, dass Kenzo diesen Tomi absägt. Euer Herr bringt regelmäßig Ware, gute Verfassung, schön erfasst. Nur immer diese Verspätungen! Es ist immer wieder eine kleine Herausforderung, euch noch einzuschieben.“ „Das wird nicht mehr vorkommen“, eine neutrale Antwort, die dem Auktionator aber zu reichen schien. „Gut zu wissen. Dein Herr oder Neun wird dir alles Weitere erklären können.“ Ein dezenter Hinweis darauf, dass sie verschwinden sollten. Doch Sesshomaru hatte noch nicht die gewünschte Information. „Tomi war in vielerlei Dingen nicht sehr zuverlässig und sorgsam.“ Mit dieser Aussage erreichte er den gewünschten Effekt, der Alte richtete sich auf und sein Blick wurde forschend. „Soll heißen?“ „Es ist nicht sicher, dass er die Menschen richtig transportiert hat oder sie nachträglich verletzt wurden“, sich auf dasselbe Niveau herablassen und Menschen als Ware bezeichnen wollte Sesshomaru nicht. Das fiel auch Ichiro auf, doch maß er dem nicht weiter Bedeutung zu. Neueinsteiger taten sich gerne schwer damit. Außerdem hatte der Neue etwas angedeutet, was weit wichtiger war. „Wenn einer unserer Käufer etwas feststellt…“, er unterbrach sein Gemurmel, als ihm in Erinnerung kam, dass er einem Youkai gegenüber saß, der alles hörte. „Was sollt ihr beiden also genau tun?“ „Wer waren die letzten Käufer?“ Der Mann wirkte wenig erfreut darüber, dass seine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet wurde. „Ihr sollt die letzte Lieferung überprüfen?“ Eine bestätigende Kopfbewegung. Nachdenklich nippte Ichiro erneut an seiner Tasse. „Zwei der Jungen gingen an Sei, wenn ich mich recht erinnere. Eines der Mädchen an Keiko – sie war für Setsuko da“, eine Denkpause folgte. „Ah, und die Letzte. Die Kleine hat Tomi persönlich übergeben. Uyeda hat sie gekauft.“ ‚Neun‘ schaltete schnell, ehe ihr Herr etwas sagen konnte. Sei und Setsuko sind irrelevant, Rin war die letzte Nummer. Ich kenne Uyeda. Er kauft im Auftrag anderer ein. Sie hielt das Brett zudem so, dass es nur der Inu sehen konnte. Sie wollten kein Aufsehen erwecken, da sollte Ichiro nichts derart Verdächtiges lesen. „In wessen Auftrag war Uyeda unterwegs?“ „Das weiß ich nicht.“ ~~~ ‚Neun‘ war angespannt. Körperliche Gewalt gehörte für sie zur Tagesordnung. Dennoch… Ihr neuer Herr hatte keine Sekunde gezögert und innerhalb weniger Minuten waren sie die einzigen, lebenden Wesen in dem Walddorf gewesen. Er hatte alle getötet. Innerhalb weniger Wimpernschläge einen wichtigen Teil des Händlerrings zerschlagen. Einfach so. Was ging nur in diesem Mann vor? Sein Verhalten war für sie undurchschaubar! – Sie musste sich auf das Wesentliche konzentrieren! Er wollte das Menschenkind finden und sie sollte ihm dabei behilflich sein. Was dann? Sie musste tief durchatmen und sich beruhigen. Sie konnte so oder so keinen Einfluss darauf nehmen. Alles, was ihr blieb, war sich fügsam zu verhalten und ihn zufrieden zu stellen. ‚Neun‘ hielt an und deutete auf den Eingang zu dem Freudenhaus, in dem sich Uyeda gerne aufhielt. Erst recht, wenn er gerade erst etwas eingenommen hatte. Es war bereits der vierte Halt, den sie machten, da auf ihrem Weg noch drei Dorfschenken lagen, die ebenfalls als Aufenthaltsort in Frage kamen. Sie hatte ihrem Herrn mitgeteilt, dass es keine Garantie gab, ihn dort tatsächlich anzutreffen. Dennoch merkte selbst sie, dass er die Geduld verlor. Hoffentlich war der Gesuchte hier… Den Kappa hatten sie bereits vor der Grenze der kleinen Stadt zurückgelassen, sodass es nur die beiden waren, die das Haus betraten. Da es Mittag war, war nicht gerade viel los. Das Hauptgeschäft fing später an, dennoch waren auch jetzt einige Frauen zu sehen, die die Hand voll Gäste an einem der größeren Tische betreuten und für ausreichend Sake sorgten. Uyeda war nicht unter ihnen. Dann fiel ihr Blick auf eines der Separees, wo ein einzelner Mann saß. Er hatte den Schädel bis auf einen Zopf am Hinterkopf kahl rasiert und trotz seines finsteren Gesichtes, hielten sich gleich drei junge Frauen bei ihm auf. Er war also in Spendierlaune. ‚Neun‘ nickte in seine Richtung und ging neben Sesshomaru zu dem Gesuchten hin, der sie nun ebenfalls bemerkte. Kaum hatte er die Sklavin erkannt, scheuchte er die Frauen von sich. „Wehe dir du hast schon wieder schlechte Nachrichten, Weib.“ Tatsächlich war ihre letzte Begegnung nicht gerade positiv verlaufen. ‚Neun‘ hatte einen Handel absagen müssen, da Kenzo ein besseres Angebot erhielt und direkt verkaufen konnte. Dennoch setzte sie sich, verbeugte sich mit einem leichten Lächeln und gab mit einer Handbewegung zu verstehen, dass es nicht allzu schlimm war. Da ihr Begleiter nicht den Anschein erweckte, abermals das Gespräch führen zu wollen, schrieb sie ihr Anliegen auf. Uyeda überflog die Zeilen, ehe er mit Blick auf Sesshomaru äußerte: „Gehört er zu Kenzo?“ Einstimmiges Nicken, auch wenn es einem von ihnen zutiefst widerstrebte, sich abermals als einer von ihnen ausgeben zu müssen. „Ich war für den Daimyo Shigekazu einkaufen.“ Ebenso unauffällig, wie die Youkai gekommen waren, gingen sie wieder. Wenig später war das Geschrei mehrerer Frauen zu hören, als diese feststellen mussten, dass einer ihrer Gäste nicht einfach nur eingeschlafen, sondern tot, war. Das bekam die kleine Gruppe aber nicht mehr mit. Stattdessen befanden sie sich längst auf dem Weg zum Anwesen des Daimyos, dessen Name auch Sesshomaru ein Begriff war. ~~~ Rin bemühte sich nach Leibeskräften, mit den anderen drei Mädchen mitzuhalten. Ihre gemeinsame Aufgabe war es, die gesamten Gänge zu reinigen – an einem Tag. Bisher lagen sie gut in der Zeit. Ob das so bleiben würde, war fraglich. Rin musste wirklich die Zähne zusammenbeißen, um trotz ihrer Schmerzen Schritt zu halten. Am Vortag war es nicht bei der einen Ohrfeige geblieben. Der Soldat, welcher sie erwischt hatte, brachte sie zum Haushofmeister und erst dort erhielt sie ihre richtige Strafe. Ihr gesamter Körper schmerzte und war von blauen Flecken übersät. Wenn sie schon dachte, die Bewohner ihres früheren Dorfes waren gnadenlos, so war sie nun eines Besseren belehrt worden. Dazu kam auch noch die Maßregelung dafür, dass sie mit ihrer Tagesarbeit nicht fertig wurden. Ihre zwei Leidensgenossinnen hatten Rin dafür einige unfreundliche Blicke zu Teil werden lassen. Keine der Frauen und Mädchen hatte auch nur ein nettes Wort mit ihr geredet, stattdessen ging man ihr aus dem Weg. Oder wohl eher dem Ärger, den sie in den Augen der anderen Sklaven mit sich brachte. Bei der Ausgabe des Abendessens hatte man sie wie Luft behandelt und sie hatte sich ihre Portion mühsam ergattern müssen. Beim Frühstück das gleiche wieder. Als dann die Aufgaben verteilt wurden, hatten die drei anderen Rin als aller erstes in die Mangel genommen und ihr nahe gelegt, nicht noch eine Gruppenstrafe zu verursachen. Ihr Körper zitterte bereits vor Anstrengung, doch sie durfte sich keine Pause erlauben. Wer wusste schon, was passieren würde, sollte sie zurückfallen oder nicht alles schaffen. Die kollektive Strafe war sicher – und damit auch, dass sie die anderen gegen sich aufbrachte. Auf beides konnte sie gut verzichten. Zumal sie kein weiteres Mal schuld daran sein wollte, dass andere aufgrund ihres Verschuldens mit ihr leiden mussten. An diesem Abend war Rin eine der ersten, die ihren Futon ausgebreitet hatten und sich niederlegten. Sie wusste selbst nicht, wie sie den Tag durchgestanden hatte, ohne zusammenzubrechen. Tatsache war aber, sie hatte durchgehalten. Nicht, dass es irgendwen interessierte, wie es ihr ging oder jemand gar ein paar lobende Worte verlauten ließ. Immerhin hatte sie ihre abendliche Ration ohne die Schikanen des vorherigen Tages erhalten. In dem Versuch, eine halbwegs bequeme Position zu finden, drehte sich Rin auf die Seite – nur um es sofort zu bereuen. Ihre schmerzenden Arm und Schulter noch zusätzlich mit dem Gewicht ihres Körpers zu belasten, war keine gute Idee. Auf dem Rücken war es besser auszuhalten, daher legte sie sich entsprechend hin. Diese Lage war zwar nicht ganz so quälend, hatte aber den Nachteil, dass sie sich nicht zusammenrollen konnte. Dabei wollte sie nichts sehnlicher, als sich unter der Decke so klein wie möglich zu machen. Warum taten Menschen anderen Menschen so etwas an? Nahmen ihnen die Freiheit und fügten ihnen Schmerzen zu – warum das alles? Was hatten sie davon? Es war doch nicht so schwer, Angestellte zu finden, die die anfallenden Arbeiten verrichteten. Es war nicht nötig, Dörfer zu überfallen und die Bewohner zu verschleppen. Ihre Zimmergenossinnen mochten sich damit abgefunden haben, aber Rin konnte das nicht. Wollte es nicht. Es war nicht richtig! Ebenso wollte sie nicht wahrhaben, dass hier jeder sich selbst der Nächste war. Jeder, den sie bisher getroffen hatte, wollte selbst möglichst unbeschadet durch den Tag kommen, kümmerte sich nicht um die Probleme der anderen. Das war bei Kaede im Dorf undenkbar. Als InuYasha und die anderen verkündeten, eine letzte gemeinsame Reise anzutreten, hatten sich gleich mehrere Familien angeboten, die Kinder von Sango und Miroku so lange bei sich aufzunehmen. Kohaku hatte ebenfalls ohne zu zögern auf Kirara als Begleitung verzichtet, damit diese mitgehen konnte. Dabei war es selbst für einen Dämonenjäger nicht ungefährlich, allein unterwegs zu sein. Aber das hatte der junge Mann nicht weiter beachtet, sondern wollte nur seiner Schwester eine Freude machen – und Kirara hatte ebenso wenig dagegen gehabt. Eigentlich müssten sie längst von ihrem Auftrag zurück sein. Vielleicht war auch Kohaku bereits eingetroffen, um seine vierbeinige Begleiterin abzuholen. Oder Sesshomaru-sama. Es war nur eine Frage der Zeit – Rin stockte in ihren eigenen Gedanken. Die Spur zu den Händlern zurückzuverfolgen sollte für jeden der Halbbrüder einfach sein. Nur was dann? Niemand wusste, dass sie hier war. Woher auch? Eine eisige Kälte ergriff Besitz von ihrem Körper. Sollte es das gewesen sein? Sesshomaru-sama hatte sie bisher immer gefunden. Würde er es auch dieses Mal schaffen? Ohne jegliche Spur auf ihren Verbleib? Sie kniff ihre Augen zu, als könnte sie damit vor der Wahrheit fliehen. Überall um sie herum leises Rascheln. Dieser Raum war voller Menschen - und doch fühlte sich Rin einsamer als je zuvor. Ihre Finger krallten sich in die dünne Decke, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie kämpfte die aufkeimende Panik und damit ihre Tränen nieder. Das einzige, was ihr blieb, war ein banges Hoffen. Kapitel 6: ----------- Es war eine wenig erholsame Nacht für Rin gewesen. Trotz ihrer Angst und der aufkommenden Hoffnungslosigkeit, war sie irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen. Nur war ihr Schlaf nicht von langer Dauer gewesen. Nach ihrem ersten Albtraum hatte sie sich schnell beruhigt und war wieder eingedöst. Doch es war nicht bei einem geblieben und sobald sie schlummerte, waren da immer wieder dieselben Bilder. Sie zeigten ihren Meister, Jaken und die Menschen aus ihrem Dorf – sie alle wandten sich von ihr ab. So als hätte Rin in ihrem Leben nie eine Rolle gespielt. Dann fand sie sich in einem dunklen Raum wieder. Zumindest vermutete sie, dass es ein Raum war, konnte aber nicht mehr als allumfassende Schwärze erkennen und kalten Boden unter ihren bloßen Füßen fühlen. Einsamkeit, Verzweiflung, Panik – all das keimte in ihr auf und spätestens an dieser Stelle schreckte sie hoch. Es war kaum zu glauben, aber sie fühlte sich noch elender, als vor dem Schlafengehen. Ihr Kimono klebte an ihr wie eine zweite Haut, so sehr hatte sie geschwitzt. Kurzum, es ging ihr hundsmiserabel – und niemanden interessierte es. Auch ohne sich selbst betrachtet zu haben, konnte sich Rin in etwa vorstellen, wie sie aussah. Fragte jemand danach? Erkundigte sich, wie es ihr ging? Nichts dergleichen. Im Gegenteil, als sie ihre Schlafutensilien nicht schnell genug einräumte und Platz für die nächste machte, wurde sie angeschnauzt. Auf dem Gang wurde sie auch mehrmals angerempelt. Wie sollte sie diesen Tag nur überstehen? Obwohl Rin dachte, es konnte nicht schlimmer werden, wurde sie eines Besseren belehrt. Stalldienst. Die gesamten Pferdeställe mussten komplett ausgemistet und neu eingestreut werden. Anscheinend hatte man lange einfach eine neue Schicht Stroh über die alte gestreut – der Geruch war kaum auszuhalten – und sie hatten keinen Karren, um alles abzutransportieren. Nicht einmal Mistgabeln bekamen sie, da diese als etwaige Waffen zu gebrauchen waren. Ihr einziges Werkzeug war daher eine rostige Schaufel, mit der sie und ihre vier Leidensgenossen – es waren drei Jungen unter ihnen – die Einstreu über einen breiten Weg, hin zum Misthaufen bringen mussten. Und dabei natürlich möglichst wenig ihrer Fracht verlieren. Zu ihrem Glück waren wenigstens keine Pferde im Stall, sondern ein Teil wurde geritten oder stand auf der Weide. Einer der Sklaven hatte sich darüber erfreut geäußert. Beim letzten Mal als alles gereinigt wurde, befanden sich mehrere der Reittiere im Innern. Eines erschreckte sich und schlug mit seinen Hufen einen der Männer nieder. Das war aber auch das einzig Positive, das Rin an ihrer Situation finden konnte. Mit wenig Elan schob sie ihre Schaufel unter das Stroh, musste sich mit ihrem Gewicht reinstemmen, um alles vom Boden abzulösen. Als sie sich aufrichten wollte, forderten die letzten beiden Tage und der mangelnde Schlaf ihren Tribut. Ihre Sicht verschwamm und ihr Körper klappte zusammen. ~~~ Sesshomaru drosselte sein Tempo. In der Nacht hatten sie lediglich eine kurze Rast gemacht, da Ah-Uhn und Jaken diese bitter nötig hatten. Sein Blick fiel auf die Sklavin, welche schräg hinter ihm lief. Im Gegensatz zu seinem restlichen Gefolge hatte sie während ihrer gemeinsamen Reise kein einziges Mal tatsächlich geruht. Nicht einmal gedöst hatte sie – dies bestärkte ihn nur in seiner Vermutung, was ihre Abstammung betraf. Darum konnte er sich an einem späteren Zeitpunkt kümmern. Oberste Priorität hatte Rin. Die Gruppe verließ den Schatten der Bäume und betrat die Ebene. Das Anwesen des Daimyos war nicht zu übersehen, ebenso wenig wie die hohe Mauer, die es umschloss. ‚Neun‘ runzelte die Stirn. War es klug, was sie hier taten? Am helllichten Tage einfach so dort auftauchen? Wenn sie eines feststellen durfte, dann, dass ihr neuer Herr nicht nur ziemlich mörderisch war, sondern auch stark. Er hatte mal eben ein Blutbad angerichtet, das seinesgleichen suchte – ohne Unterstützung anderer. Nur war er auch in der Lage, in ein solches Anwesen einzudringen? Trotz all der Wachen, die es bewachten? Oder hatte er etwas vollkommen anderes vor? Einfach reinspazieren und sich das Menschenkind holen? Wohl kaum. Warum wollte er das Kind? Diese Frage ließ ihr keine Ruhe, es verwirrte sie ungemein. Wäre die Kleine eine Hanyou, wäre die logische Schlussfolgerung, dass es sich um seinen Welpen handelte. Nur war sich ‚Neun‘ sicher, dass Rin ein einfaches Menschenkind und keiner dieser Bastarde war. Mittlerweile waren sie bemerkt worden, wie Bewegungen auf der Mauer verrieten. Noch immer machte keiner ihrer Begleiter Anstalten, den Kurs zu ändern. War der Plan tatsächlich, einfach durch das Tor zu gehen? Nie im Leben würde man sie passieren lassen! Wer waren sie denn schon? Ein InuYoukai, ein Reitdrache, ein großmäuliger Kappa und sie, eine kleine Sklavin. Bemüht, ihren inneren Aufruhr nicht nach außen zu tragen, behielt sie ihre Position hinter ihm bei. War ja nicht so, als hätte sie eine andere Wahl… Die Gruppe erreichte das Tor und wie nicht anders zu erwarten, traten ihnen Wachen entgegen. Die vier menschlichen Krieger trugen alle ein Katana mit sich und blickten mürrisch drein. Ihrem Äußeren nach mussten sie ihre Ausbildung erst kürzlich beendet haben, ihre jugendlichen Gesichter zeigten keine der Spuren, die das Kämpfen zwangsläufig hinterließ. Einer von ihnen trat vor „Was ist Euer Begehr?“ „Eine Audienz bei Daimyo Shigekazu.“ Unwillkürlich zuckte ‚Neun‘ zusammen. War das sein Ernst?! Oder hatte sie sich verhört? Unmöglich. Ihr Herr war offensichtlich nicht mit dem Sklavenhandel bewandert, aber dass er selbst hier derart vorging… Die Soldaten vor ihnen schienen ebenso zu denken, aber ehe der Sprecher sie abweisen konnte, kam ein weiterer Mensch angerannt. Der Kleidung nach zu urteilen, musste er einen höheren Posten innehaben. Vielleicht der Hauptmann der Wache? Der Neuankömmling verbeugte sich tief „Verzeiht die Torheit der Jungen, Herr. Daimyo Shigekazu ist bereits über Eure Ankunft informiert und wird Euch umgehend empfangen, Fürst Sesshomaru.“ Nicht nur den Wachen entglitten die Gesichtszüge, sondern auch der Inu. FÜRST Sesshomaru. Ihr neuer Herr war einer der vier Fürsten?! Das erklärte zumindest, warum er davon ausging, geradewegs zu dem Daimyo gehen zu können. Aber unterstand dieser überhaupt noch seinem Befehl? Sie müssten sich bereits im Grenzgebiet befinden… Sesshomaru blieb eine Antwort schuldig und setzte sich in Bewegung. Eine unmissverständliche Aufforderung und eilig wurde ihnen Platz gemacht. Der Hauptmann eilte neben dem DaiYoukai her, der zielstrebig auf das Haupthaus zuging. Jaken und ‚Neun‘ mussten draußen bei Ah-Uhn bleiben und warten. Sesshomaru wurde derweil in einen Empfangsraum geführt. Der Boden war mit Tatamimatten ausgelegt und die Wände waren mir ausladenden Malereien verziert. Dem schenkte er jedoch keine Beachtung, seine Aufmerksamkeit galt Shigekazu. Dieser schien seine besten Gewänder zu tragen und hatte das bereits ergrauende Haar zu einem hohen Zopf zusammen gebunden. Während sein Gesicht gelassen wirkte, nahm Sesshomaru den beschleunigten Herzschlag wahr, ebenso wie den Geruch von Furcht. Der Mensch kannte also seinen Platz. Shigekazu trat heran, bis sie lediglich wenige Meter trennten und verbeugte sich gebührend vor dem dämonischen Herrscher. „Fürst Sesshomaru, es ist mir eine Ehre, Euch in meinem bescheidenen Heim willkommen zu heißen.“ Die unterwürfige Höflichkeit brachte ihm nur ein verächtliches Schnauben ein. Unsicher, womit er Missfallen erregt hatte, wagte der Daimyo zu fragen „Was führt Euch zu mir?“ „Ein gewisser Uyeda hat für Euch kürzlich Sklaven gekauft. Ich fordere die Herausgabe einer von ihnen. Ihr Name ist Rin.“ Nicht ohne eine gewisse Genugtuung stellte Sesshomaru fest, dass sein ‚Gastgeber‘ zusammenzuckte, ehe er sich fasste. „Nun, das ist nicht so einfach-“ „Ihr habt eine halbe Stunde. Dann werde ich sie mir selbst holen.“ Um seine drohenden Worte zu unterstreichen, ließ er sein Youki kurz frei und brachte Shigekazu dazu, atemlos nach Luft zu schnappen und zurück zu wanken. Die Drohung war unmissverständlich – und sie war angekommen. „Ihre Nummer...?“ ‚Neun‘, welche misstrauisch ihre Umgebung im Auge behalten hatte, atmete erleichtert auf, als ihr Herr aus dem Gebäude trat. Jaken hatte einige unbedachte Äußerungen von sich gegeben und damit ziemliches Missfallen erregt. Wenn sie mit ihrer Vermutung richtig lag und sie sich im Grenzgebiet befanden, dann war dies verdammt töricht. An Grenzen, egal welcher Art, bewegte man sich immer auf dünnem Eis und musste jeden Schritt mit Bedacht setzen. Etwas, das der kleine Youkai nicht zu wissen oder zu ignorieren schien. So wie er ihren Herrn vergötterte, war eher letzteres anzunehmen. Dabei schien er zu vergessen, dass sein Leben vom Wohlwollen des Fürsten abhing. Ein Glück war die Situation nicht eskaliert. ‚Neun‘, Jaken und AhUhn beeilten sich, ihm zu folgen, wobei Jaken panisch an den Zügeln des zweiköpfigen Drachen zerrte, da dieser kaum gewillt war, seinen Schritt zu beschleunigen. Nicht zum ersten Mal fragte sich die Frau, was ein Youkai wie Sesshomaru mit einer solch nervigen, kleinen und unnützen Kröte anfing. Den würde niemand für geschenkt haben wollen… Außerdem: Wo war das Menschenkind? War sie nicht mehr hier oder hatte sie ihn doch auf die falsche Spur geführt? Sollte sie sich geirrt haben? Zunehmende Unruhe erfasste sie, gemischt mit der Sorge, versagt zu haben. Wenn sie nicht hier war, hatte ‚Neun‘ einen Fehler nach dem anderen gemacht. Das nagte an ihr, denn sie machte keine Fehler. Sie war die perfekte und gehorsame Sklavin, die alles zur vollsten Zufriedenheit ihres Herrn erfüllte. Das Kind musste einfach hier sein! Alles andere war keine Option! Ein weiterer Gedanke ließ auch eine gewisse Angst in ihr aufsteigen. Ihr Herr hatte bereits gezeigt, dass er das Wort Gnade und dessen Bedeutung nicht kannte. Wie würde da ihre Bestrafung ausfallen? Ein kalter Schauer lief ihr Rückgrat hinab und hastig schüttelte sie den Kopf, wollte sich nicht vorstellen, was mit ihr geschehen sollte. Sesshomaru entfernte sich gerade weit genug vom Anwesen, um außer Reichweite der Schusswaffen zu sein. Dort hielt er an, bewusst gut sichtbar, damit die Menschen die Gefahr direkt vor Augen hatten. „Sesshomaru-sama, habt Ihr-“ Kaum begonnen wurde dem Kappa bereits der Schnabel zugehalten. Sofort begann dieser sich zu wehren und versuchte mit seinem Kopfstab nach ‚Neun‘ zu schlagen, zu der die Hand in seinem Gesicht gehörte. Doch diese wich aus und zog eine Augenbraue hoch, warf dann ihrem Herrn einen eindeutigen Blick zu und dann wieder dem Kappa. Dieser nahm sich einen Moment Zeit die Miene seines Meisters zu mustern und hörte auf zu zappeln. Langsam wurde der Griff gelockert und er grummelte der Inu ein „Mach das nie wieder!“ zu. Alles Weitere schluckte er, denn ihr eingreifen hatte ihn wohl vor einer schmerzhaften Lektion bewahrt. Sesshomaru nahm dies so zur Kenntnis. Ihm sollte es nur recht sein, wenn sein Diener still blieb. Aus den Augenwinkeln warf er einen Blick auf die Youkai, die sich von Jaken entfernt hatte. Ihre Körperhaltung war angespannt und sie mied den Blickkontakt zu ihm. Ungewöhnlich für ihre Verhältnisse, sonst versuchte sie immer, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Fast wie ein treuer Hund, der vollkommen auf seinen Halter fixiert war und keine seiner Regungen verpassen wollte… Der Vergleich erschien ihm gar nicht mal so unpassend, wenn er es genauer betrachtete. Aber jetzt gerade… Der eingezogene Kopf, die leicht geduckte Haltung. Als ob sie mit einer Strafe rechnen würde. Wofür auch immer. Mit seinem guten Gehör konnte er verfolgen, wie auf der anderen Seite der Mauer zunehmend mehr Hektik entstand. Unzählige Füße waren zu hören, die über das Gelände liefen, Stimmen die sich knappe Anweisungen zuriefen oder sich etwas zuraunten… Auch auf der Mauer wurde es lebhafter, mehr Wachen tauchten auf und nicht wenige von ihnen hielten Pfeil und Bogen in der Hand. Als ob sie damit etwas erreichen würden. Törichte Menschen! Die Minuten verstrichen, ohne das sich weiter etwas tat. Bis das Tor abermals geöffnet wurde und zwei Soldaten einen Körper davor legten, nur um sich umgehend in die trügerische Sicherheit hinter der Mauer zurück zu begeben. Sollte dies eine Falle sein… Seine Mundwinkel zuckten. „Neun.“ Diese verstand sofort und mit einem Satz war sie bei der liegenden Gestalt. Sesshomaru registrierte dabei ihre Schnelligkeit – mit Jaken und Ah-Uhn im Schlepptau hatte sie diese nicht derart zeigen können. Die Sklavin hob den Körper hoch und kehrte zurück, hielt direkt vor ihm an. All das hatte wenige Sekunden gedauert, viel zu kurz für die Menschen. Selbst wenn sie gewollt hätten, sie hätten die Youkai mit keinem ihrer Pfeile treffen können. Sein Blick taxierte das Mädchen auf ihren Armen. Rin. Eine ziemlich bewusstlose Rin, mit Schrammen an den Händen, Armen und im Gesicht, hinzu kamen blaue Flecke und die Krönung des ganzen war eine frische Platzwunde an ihrer Schläfe. Starker Gestank ging von ihrer Haut und ihrem Kimono aus. Pferdestall und die Hinterlassenschaften jener Tiere, ebenso wie Angstschweiß und ein Hauch von Tränen. Ihr frisches Blut vervollständigte diese Mixtur. Eine unbändige Wut erfasste ihn, ließ seine Augen bedrohlich rot werden. „Wartet am Bach.“ Dieser lag ein Stück weiter im Wald und wurde erst kürzlich von ihnen passiert. Während Jaken noch geschockt auf die sonst so muntere Rin starrte, deutete ‚Neun‘ eine Verbeugung an und lief mit dem Kind in den Armen los. Langsam genug, dass auch Jaken folgen konnte, der schnell auf Ah-Uhns Rücken kletterte und ebenfalls den Befehl befolgte. Sesshomaru widmete seine gesamte Aufmerksamkeit dem Anwesen. Shigekazu war keiner seiner Daimyos – es gab keinen Grund, warum er jene Menschen, die sein Mündel derart misshandelt hatten, verschonen sollte. Mit einem dunklen Lächeln auf den Lippen schnellte sein Körper voran. ~~~ ‚Neun‘ erreichte das kleine Gewässer, das träge dahinfloss und nur wenige, kleine Fische beherbergte. Sie wartete noch, bis der Kappa mit dem Drachen eintraf. Wenn sie richtig gesehen hatte, waren am Sattel auch Decken befestigt. Ihr war es im Grunde zwar egal, was mit dem Kind war, aber ihr Herr schien sehr um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen besorgt zu sein. Eine gute Möglichkeit, ihm zu zeigen, wie nützlich sie war. Nicht, dass er ihrer auch noch überdrüssig wurde. Sie hatte vor noch ein paar Jahre zu leben. Kaum dass Ah-Uhn stand, trat sie an seine Seite und verteilte das bisschen Mensch in ihren Armen anders, um eine Hand frei zu haben und sich eine der Decken nehmen zu können. Der Drache drehte beide Köpfe, der eine beobachtete ihr Tun und der andere stupste Rin sanft mit der Schnauze an. Es folgte keine Reaktion und ‚Neun‘ ging näher an den Bach. Sie versuchte mit einer Hand den Stoff auf dem Boden auszubreiten, scheiterte aber. Jaken erkannte ihr Vorhaben und schnappte sich ein Ende, um ihr zu helfen. „Pass ja auf!“ Unter den kritischen Blicken der beiden Dämonen legte ‚Neun‘ Rin ab. Dabei ging sie weit sorgsamer vor, als sie es normalerweise tun würde. Ebenso vorsichtig umfasste sie den Kopf und musterte die Wunde daran. „Wir müssen nachsehen was für Verletzungen sie hat! Was haben diese Menschen noch mit ihr gemacht?!“ Sie winkte ab, ging nochmal zu Ah-Uhn und holte ihr Brett. Es werden keine ernsthaften Verletzungen sein. Sonst könnten die Sklaven nicht arbeiten und wären wertlos. Jaken schluckte als er dies las. ‚Neun‘ wühlte in den Satteltaschen, fand dort einen feinen, neuen Kimono, ließ diesen aber außer Acht. Dann endlich etwas Brauchbares, ein sauberes Stück Stoff. Damit in der Hand ließ sie sich zwischen Rin und dem Bach nieder, legte ihr Brett auf den Boden und befeuchtete das Tuch, um damit die Kopfwunde zu reinigen. Wo sie schon dabei war und der Gestank für sie eh kaum auszuhalten war, begann sie auch den restlichen Körper zumindest etwas zu säubern. Dafür öffnete sie auch den Kimono und legte noch mehr Prellungen und blaue Flecken offen. Da schien jemand eine ordentliche Strafe bekommen zu haben. Gebrochen war wohl kaum etwas, ebenso sollte es keine offenen Verletzungen geben. Die minderten nur die Arbeitskraft und damit den Wert, daher wurden sie nach Möglichkeit vermieden. ‚Neun‘ war gerade dabei Rin auf die Seite zu drehen, um sich dem Rücken zu widmen, als Sesshomaru zu ihnen stieß. Blut klebte an seinen Klauen. Warum überraschte sie das nicht…? Sesshomaru unterdrückte ein wütendes Knurren, als er Rins Rücken sah. Ihre blasse Haut und all die dunklen Flecken... Mit gewisser Zufriedenheit bemerkte er, dass sich die Sklavin, so gut es eben möglich war, um seinen Schützling gekümmert hatte. Die Youkai hielt inne und blickte ihn fragend an. Mit einer knappen Geste bedeutete er ihr, dass sie fortfahren sollte und trat selbst ans Wasser, um sich die Hände zu säubern. Shigekazu und ein Großteil seines Gefolges gehörten der Vergangenheit an, lediglich einen Teil der Sklaven hatte er am Leben gelassen. Die waren die einzigen, die er nicht gezielt angriff, sondern nur wenn sie ihm in die Quere kamen. Was oft genug der Fall war. Während er sich niederkniete, um an das kühle Nass zu gelangen, fiel sein Blick auf das Brett und er drehte es so, dass er lesen konnte. Vermutlich sollte ihn dies beruhigen, tat es aber nicht im Geringsten. Niemand, absolut niemand vergriff sich an den Seinen, egal wie schwerwiegend die Wunden ausfielen. Was diese neun Tage der Gefangenschaft wohl in der sonst so fröhlichen und offenen Rin verändert hatten? Spurlos ging so etwas nicht an einem Kind vorbei. Erst Recht nicht an einem Menschenkind. Sie würden es sehen, sobald Rin erwachte. ‚Neun‘ derweil hatte ihre Arbeit beendet und zog den Kimono unter der Bewusstlosen hervor. Dann hielt sie inne und musterte mit gerunzelter Stirn das Mädchen, ehe sie sich ihrem Herrn zuwandte. Soll ich den Kimono waschen oder ihr den anderen anziehen? „Den Neuen.“ Er wagte stark zu bezweifeln, dass diese stinkende Teil noch zu retten war – nicht, dass er dies überhaupt wollte. Es war ein Zeugnis von Rins Gefangenschaft und diese sollte das Kind rasch hinter sich lassen. Außerdem wurde er so nicht jedes Mal daran erinnert, wenn er sie ansah. Da war aber noch etwas… Während ‚Neun‘ den neuen Kimono holte, begab sich der DaiYoukai neben Rin und musterte die Kette an ihrem Hals. Die musste weg, sofort. Wie brach er sie am besten auf, ohne das Mädchen weiter zu verletzen? Eine Hand schob sich in sein Sichtfeld und auf dieser lag etwas, dass sein Vorhaben vereinfachte. Mit gewissen Unglauben, welchen er natürlich nicht zeigte, sah er ‚Neun‘ an. Sie hatte die ganze Zeit über einen Schlüssel?! Später hatte er sich am Stamm eines Baumes gelehnt nieder gelassen. Wenige Meter von ihm entfernt lag Rin. Bis auf die Verletzungen sah sie in ihrem neuen Kimono beinahe so aus, als wäre nie etwas geschehen… Alles Weitere würde sich zeigen, sobald sie erwachte. Bis dahin wollte er ihrem geschwächten Körper die nötige Ruhe gönnen. Kapitel 7: ----------- ‚Neun‘ tat es ihrem Herrn gleich und ließ sich an einen Baumstamm gelehnt nieder. Mit gewisser Verwunderung registrierte sie, dass der Reitdrache sich möglichst nah neben dem Menschenkind hinlegte. Dabei blieb es aber nicht, denn Ah-Uhn machte nicht wie erwartet ein Nickerchen, sondern seine Köpfe blieben wachsam erhoben, wobei einer immer das Kind im Blick behielt. Auch Jaken setzte sich so, dass er Rin beobachten konnte. Bei den Göttern, was stimmte mit diesen Dämonen nicht? Sie war ein Mensch! Was war so besonders an ihr, dass einer der Fürsten sie unter seinen persönlichen Schutz stellte?! Mit einer leichten Drehung des Kopfes befand sich auch ihr Herr wieder in ihrem Blickfeld. Noch lebte sie, das war doch ein gutes Zeichen. Nur was würde er jetzt mit ihr machen? Interesse daran, Leibeigene zu besitzen, hatte er nicht. Sie selbst hatte er lediglich mit genommen, weil sie ihn zu Rin führen konnte. Damit hatte ihre Anwesenheit ihren Sinn erfüllt, sie wurde nicht länger benötigt. Dieses Wissen ließ sie unwillkürlich frösteln. ‚Neun‘ war eine gehorsame, fleißige und gewissenhafte Sklavin, ihre Besitzer wurden ihretwegen immer beneidet. Nicht wenige mussten ihr Leben lassen, weil andere sie haben wollten. Jetzt? Sollte sie tatsächlich keine Aufgabe mehr haben? Nicht erwünscht sein? Es musste doch etwas geben, das sie tun konnte! Nachdenklich neigte sie den Kopf und betrachtete die seltsame Gruppe. Der Mensch war ihnen wichtig, also wenn sie ihrem Herrn gefallen wollte, musste sie etwas machen, von dem Rin profitierte. Was wusste sie über Menschen? Sie waren schwach, kurzlebig und beliebte Ware. Man musste vorsichtig mit ihnen umgehen, da ihre Knochen leicht brachen und lange zum Heilen brauchten. Ebenso wie offene Wunden, an denen konnten sie sogar sterben. Im Winter froren sie sehr schnell, im Sommer machte ihnen die Hitze zu schaffen. Bei beiden Extremen musste man aufpassen, dass sie nicht starben. Das brachte ihr aber alles nichts, denn unter dem Blätterdach war die Temperatur wohl angenehm für Menschen. Da fiel ihr doch noch etwas ein. Nicht gerade viel, aber es war mehr als nichts. Unter den teilweise fragenden Blicken der restlichen Youkai, trat sie an Ah-Uhn heran und suchte erneut seine Satteltaschen ab – lediglich mit Mühe konnte sie sich ein triumphierendes Grinsen verkneifen. Ihr Brett war schnell in die Hand genommen und ihre Frage aufgeschrieben. Erwartungsvoll schritt sie zu Sesshomaru und hielt es ihm hin. Ihr Körper ist schwach. Soll ich ihr Nahrung besorgen? Sesshomaru gab mit einem knappen Nicken sein Einverständnis. Es brauchte nur wenige Sekunden, in denen ‚Neun‘ ihre Schreibutensilien verstaute und mit einem Satz verschwand. Er verengte die Augen – sie war nahe dran, sich in Energieform fortzubewegen. Darum, dass sie verschwinden würde, musste er sich zumindest nicht sorgen. Zum einen schien ihr dieser Gedanke sowieso vollkommen fremd zu sein – und ihr Youki war einfach zu verfolgen. Wenn er nicht wollte, dass sie damit noch unerwünschte Besucher anlockte, sollte er sich in naher Zukunft darum kümmern, dies zu unterbinden. Nur er bezweifelte stark, dass es mit einem Befehl getan war. Die anderen Youkai in Kenzos Diensten waren ein schlechter Witz im Vergleich zu der Inu – es stand außer Frage, dass es in ihrem Umfeld niemanden gegeben hatte, der in der Lage war, ihr den Umgang mit ihrer Kraft beizubringen. Das blieb dann wohl an ihm hängen, denn bisher sah er keine Notwendigkeit, sein neues Anhängsel wieder loszuwerden. Im Gegenteil, er hatte bereits eine Idee, was ihre Zukunft anging. Zunächst galt es aber, Rin zurück in ihr vertrautes Umfeld zu bringen. Alles Weitere kam danach. Bis dahin konnte er die Zeit nutzen und sich näher mit der Sklavin befassen. Gedanklich wanderte er zurück zu dem Moment, als sie ihm den Schlüssel gab. Es war ihm vollkommen schleierhaft, warum sie bei den Menschen geblieben war und nun anstandslos ihm folgte. Sie hätte lediglich ihre Kette abnehmen und abhauen müssen, zurück in ihr Leben vor der Knechtschaft. Dennoch war sie etwa zwei Meilen entfernt und suchte Nahrung für Rin, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, zu fliehen. Sie hatte gesehen, wie er der Bewusstlosen das Symbol ihres erzwungenen Standes abnahm. Den Schlüssel hatte er ihr zurückgegeben. Um ‚Neuns‘ Hals hing nach wie vor die Goldkette mit ihrer Nummer. Warum ließ sie sich das alles gefallen, lehnte sich nicht auf? Es war fern jedweder Logik! Niemand mit einem gesunden Verstand verhielt sich derart! Ihr Wille war aber mit Sicherheit nicht gebrochen worden, dafür dachte die Inu viel zu eigenständig und auch ihr Verhalten sprach dagegen. Sie besaß zudem einen gesunden Selbsterhaltungstrieb. Sesshomaru wurde aus seinen Grübeleien gerissen, als sich Rin zu regen begann. Ihr Atem war bereits seit einigen Minuten ungleichmäßiger, aber jetzt erst kam Leben in den kleinen Körper. Nicht nur ihm war dies aufgefallen. Jaken sprang auf und kam näher und Ah-Uhn wandte ihr beide Köpfe zu, um auch ja nichts zu verpassen. Ihr Kopf schmerzte und das sogar stärker als der Rest ihres Körpers. Nur langsam nahm ihr Verstand seine Arbeit wieder auf und ihr fielen mehrere Dinge zugleich auf. Kein Gestank mehr nach Stall, dafür aber das Plätschern von Wasser. Außerdem klebte kein rauer Stoff an ihrer Haut, sondern deutlich feinere Kleidung bedeckte ihren Körper. War das ein Traum? Wenn ja, dann wollte sie nicht aufwachen, nur um sich zwischen stinkendem Stroh am Boden wiederzufinden. „Rin?“ Das war doch… Die vertraute Stimme brachte die Angesprochene dazu, mühsam die Augenlider zu heben. Sie brauchte noch einige Sekunden, ehe sie sich an das Licht gewöhnt hatte und etwas erkannte. Drei neugierige Augenpaare schwebten über ihrem Gesicht. Konnte es tatsächlich sein… „Ah-Uhn, Jaken…“, krächzte sie mühsam heraus. Ihr Hals war so trocken… Während der Drache ihr kurzerhand übers Gesicht schleckte, verschränkte Jaken die kurzen Arme vor der Brust „Wurde ja auch Zeit das du endlich aufwachst!“ Das Mädchen lächelte nur, denn trotz der harschen Worte war dem Kappa anzumerken, das auch er erleichtert und froh über ihr Erwachen war. Langsam setzte sich Rin auf und sah sich um – bis sie den fand, den sie suchte. Sesshomaru. Der Fürst war aufgestanden und einige Schritte herangetreten, sodass sie weit zu ihm aufsehen musste. Als sich ihre Blicke trafen, wurde es dem Mädchen erst richtig bewusst. Sie war nicht länger in dem Stall, sondern irgendwo im Wald bei ihrem Meister. Er hatte sie tatsächlich gefunden! Ungläubig wanderte ihre Hand zu ihrem Hals, tastete nach dem Metall – und fand es nicht. Obwohl ihr leicht schwindelig war, konnte sie nicht anders und sprang auf, um den DaiYoukai zu umarmen. Freudentränen fanden den Weg aus ihren Augen als sie sich an den wohl tödlichsten Dämon überhaupt klammerte und nicht bereit war, ihn allzu bald wieder freizugeben. Es war so unwirklich, sie konnte es kaum fassen. ‚Neun‘ hatte sich nicht die Mühe gemacht etwas zu jagen, sondern sich darauf beschränkt essbare Früchte zu sammeln. Sie hatte keinerlei Bedarf sich die Hände schmutzig zu machen und bezweifelte, dass das Kind ein Tier ausweiden konnte. Da war die Entscheidung, was es zu Essen geben würde, leicht gefallen. Ihre Ausbeute, größtenteils Beeren von denen sie wusste, dass sie nicht giftig für Menschen waren, hatte sie in mehrere, große Blätter eingewickelt. So sollte nichts verloren gehen. Zufrieden mit sich machte sich die Inu auf den Rückweg. Unterwegs hielt sie inne um zu wittern und den Kopf zu neigen. Der Wind trug den Geruch einer größeren Gruppe Berittener mit sich. Kopfschüttelnd lief sie weiter. Ihr Herr war selbst ein Youkai, da musste sie ihn wohl kaum darüber informieren. Kurz darauf erreichte sie das provisorische Lager wieder und blieb neben einem Baum stehen. Da stand doch tatsächlich ihr Herr und Rin klammerte sich an diesen als wäre er ihr einziger Halt. Zu allem Überfluss legte der Fürst auch noch die linke Hand auf den Schopf des Mädchens. Dieser eiskalte Killer zeigte ein derartig fürsorgliches Verhalten?! Ziemlich verwirrt trat sie näher und trat mit einem Fuß auf einen Ast, um sich zurück zu melden. Ihr Herr zeigte keine Reaktion, anscheinend hatte er sie längst wahrgenommen. Jaken und Ah-Uhn hingegen bemerkten sie erst jetzt – ebenso wie Rin. Das Menschenkind löste sich ein klein wenig von ihrem Retter, denn sie wollte wissen, wer oder was da kam. ‚Neun‘ registrierte erstaunt, dass das Mädchen keinerlei Angst zeigte, selbst als in ihren verweinten Augen Erkennen aufblitzte. Gut, schon in ihrem Verlies hatte Rin ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag gelegt und jetzt stand sie auch noch neben ihrem Beschützer. Da brauchte selbst ein so schwaches Wesen keine Angst haben. Wieder kam eine Brise auf und die Sklavin stellte fest, dass sich der Wind gedreht hatte. Vielleicht sollte sie ihre Entdeckung also doch mitteilen. Daher zögerte sie nicht lange, sondern überwand die letzten Meter und drückte der verdutzten Rin das Päckchen aus Blättern in die Arme. Ihr Herr zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts, da sie sofort ihr Brett holte und zu schreiben begann. Auf der Ebene ist eine Gruppe Reiter. Wie viele weiß ich nicht, ich habe sie nur gerochen. Mehr als ein knappen Nicken kam nicht von ihm, stattdessen schob er das Menschlein vor sich zurück zur Decke, wo sich diese wie gewünscht hinsetzte. Ohne Sesshomarus Hilfe, schien sie eh kaum auf ihren zittrigen Beinen stehen zu können. Verstand einer den Fürsten… Sein Verhalten war äußerst untypisch für einen Youkai. So umsichtig gingen manch Eltern nicht mit ihren Sprossen um! Etwas verloren blieb ‚Neun‘ an Ort und Stelle stehen. Gut, ihr Herr hatte keinen wirklichen Grund, sich wegen den paar Menschen in der Nähe Sorgen zu machen. Aber sollte das tatsächlich alles gewesen sein? Ehe sie weiter nachdenken konnte, riss sie Rins schwache Stimme zurück ins Hier und Jetzt. Das Mädchen hatte das Päckchen geöffnet. „Danke.“ Jetzt war die Sklavin verwirrt. Warum bedankte sich das Kind bei ihr? Aus der Sicht der Kleinen musste sie doch zu den Bösen gehören – außerdem hatte sie doch nur das getan, was ihr Herr von ihr verlangte. Niemand bedankte sich für die Ausführung eines Befehls. ~~~ Kohaku und Kirara hatten während der Nacht lediglich eine kurze Pause eingelegt. Die Nekomata sah im Dunkeln genug, um ihre Suche fortführen zu können, während ihr Reiter auf ihrem Rücken döste. Zwei Nächte hintereinander konnten sie dies machen, aber sollte ihre Suche länger dauern… Erschwerend kam hinzu, dass dank des Regens alle Spuren verwischt waren. Sowohl die der Entführer und Entführten als auch die des DaiYoukais. So langsam machte ihre Zuversicht Platz für Frustration. Kohaku hörte das Rauschen eines Flusses und entschied: „Wir machen eine kurze Rast.“ Mehr brauchte er nicht sagen, nach all ihrer Zeit auf Reisen waren Worte zwischen ihnen oft überflüssig. So auch dieses Mal, denn die dämonische Katze wich von ihrem strikten Kurs gen Osten ab, um zu dem Fluss zu gelangen. Dort angekommen ließ sich der Dämonenjäger von ihrem Rücken gleiten und streckte seine steifen Glieder. Selbst für einen geübten Reiter wie ihn war es anstrengend und seine Muskeln protestierten. Während Kirara ihre kleine Form annahm, vertrat sich der junge Mann etwas die Beine. Nach einem Blick in den Lederbeutel mit seinem Proviant entschied er, ein paar Fische zu fangen. In sicherer Entfernung zum Wasser hatte sich Kirara zusammen gerollt und sah ihm aus halb geöffneten Augen zu. Obwohl es den Anschein machte, als ob sie vor sich hin döste, lauschte sie nach wie vor wachsam auf verräterische Geräusche, die eine kommende Gefahr ankündigten. Als sie eine Stunde später erholt aufbrachen, entschieden sie sich ohne weitere Absprache, dem Fluss aufwärts zu folgen. So führte ihr Weg zwar nicht direkt gen Osten, aber die Menschen würden die Nähe frischen Wassers suchen. Somit war zumindest das Trinkwasser für sie gesichert. Erst gegen Mittag wurden sie auch tatsächlich fündig. Vor ihnen machte das Flussbett einen langen, linksgezogenen Bogen, sodass sie zwar nichts sahen, aber Kirara eindeutig etwas hören konnte. Mit einem kurzen Maunzen beschleunigte sie ihre Schritte. Kein Zweifel, dort vorne waren Menschen. Blieb nur zu hoffen, dass es auch die Gesuchten waren. Kurz vor ihrem Ziel verlangsamte die Nekomata ihre Schritte und Kohaku auf ihrem Rücken richtete sich vollständig auf. Mittlerweile hörte selbst er mehrere Stimmen und verstand einzelne Wortfetzen. Dann lichtete sich der Wald und auf der kleinen Lichtung lagerte eine Gruppe müder, ausgelaugter und teilweise verletzter Bauern. Auch sie wurden bemerkt – der erste Impuls der Lagernden war es, aus Angst vor wilden Oni zurück zu weichen. Dann aber entspannten sie sich und Erleichterung machte sich breit. Die Ersten erhoben sich und kamen näher, um die Neuankömmlinge zu begrüßen und manch einer war so froh, dass er Kohaku sogar umarmte. ~~~ Sesshomaru hatte nach Rins kleinem Mahl entschieden, dass sie aufbrechen würden. Rin, die nach wie vor ziemlich schwach auf den Beinen war, saß auf Ah-Uhns Sattel. Wie gewohnt wurde der Drache von Jaken geführt und einige Schritt vor ihnen lief der Anführer der bunt gemischten Truppe. Das Schlusslicht bildete ‚Neun‘, die nach wie vor nicht wirklich schlau aus all dem wurde. Für sie kam noch erschwerend hinzu, dass sie keine Aufgabe hatte und somit viel zu viel Zeit für Grübeleien. Abermals warf Rin einen Blick über die Schulter. Seit ihrem Erwachen schwirrten ihr unzählige Fragen durch den Kopf und es wurden immer mehr, statt weniger. Selbst für ihre Umgebung hatte sie keinen Blick, egal ob sie an Kräutern vorbei liefen, die es bei ihnen nicht so häufig gab oder an bunten Blumen, für die sie sich nach wie vor begeistern konnte. So ganz hatte sie noch nicht begreife können, dass sie tatsächlich frei war. Selbst jetzt noch befürchtete sie, im Stall zu erwachen, nur um festzustellen, das alles Einbildung war. Wie auch sollte sonst Kenzos Sklavin in all das reinpassen? Fürchten musste sie die InuYoukai nicht, ihr Meister würde niemals zulassen, dass ihr etwas geschah. Unwillkürlich erschauderte Rin. Nun, so lange er anwesend war, war dem auch so… Ihr schmerzender Körper sprach da eine andere Sprache. Aber er hatte sie gerettet, war es nicht das, was zählte? Was war überhaupt mit den anderen Dorfbewohnern? Mit Kaede? Obwohl sie das Schweigen irgendwie genoss, denn umgeben von lauter anderen Leibeigenen war es nie wirklich still, siegte ihr Verlangen nach Antworten. „Jaken, wie habt ihr mich gefunden?“ So sehr sie ihren persönlichen Helden alias Sesshomaru auch schätzte – wenn es um Erklärungen ging, war dann doch eher Jaken der bessere Ansprechpartner. Wie sie es nicht anders von dem Kappa gewohnt war, begann er sofort zu berichten, schweifte ab und bauschte auf. Dieses Mal störte sie seine Langatmigkeit nicht, stattdessen bemühte sie sich eisern weiter zuzuhören. Ein Großteil ihrer Fragen wurde somit erklärt, auch wenn dafür neue hinzukamen. ‚Neun‘ und die anderen Verschleppten betreffend, aber auch was Kaede und die Verbliebenen anging. Wo gingen sie überhaupt hin? Obwohl, vermutlich brachte Sesshomaru sie zurück ins Dorf. Sollte sie nachhaken? Es war aber fraglich, dass sie eine Antwort erhalten würde. Ein kalter Wind zog über sie hinweg und veranlasste Rin dazu, sich fröstelnd über die Arme zu reiben. Erst jetzt bemerkte sie, dass längst der Abend dämmerte und es daher abkühlte. Zu ihrem Glück entschied der DaiYoukai, dass es für heute genug war und hielt an. Für sein gewohntes Gefolge war die Botschaft klar: Hier würden sie rasten. Nach einigen Minuten verstand auch ‚Neun‘, dass sie die Nacht hier verbringen würden. Rin hatte sich eine Decke genommen und saß in dieser eingekuschelt auf dem Boden, während Ah-Uhn graste. Jaken war zwischen einigen Büschen verschwunden und ihr Herr lehnte an einem Baum. Wunderbar, und was sollte sie machen? Kurzentschlossen folgte sie Jaken, der sich vornüber gebeugt hatte und trockene Äste zusammen suchte. Von hinten tippte sie ihm auf die Schulter. Gerade noch konnte sie seinem Stab ausweichen, als der Kappa vor Schreck aufsprang und mit diesem um sich schlug. All das begleitet von einem schrillen Aufschrei. Kami, war der schreckhaft! Da schien auch er zu erkennen, wer da vor ihm stand und ‚Neun‘ deutete auf das Holz, ehe er seinem Ärger Luft machte. Jaken folgte ihrem Fingerzeig, sah wieder zu ihr und schien zu verstehen. „Besorg lieber was zum Essen!“ Schon wieder? Andererseits war die letzte Mahlzeit von ihrem Menschen mehrere Stunden her. Gut möglich also, dass die Nächste fällig war. Ob wieder Beeren reichen würden? Oder doch lieber etwas, dass man erwärmen konnte? Wenn der Kappa Feuerholz suchte, bot sich das doch an. Suchend hob sie den Kopf, zog mehrmals tief Luft ein und nahm so eine viel versprechende Spur auf. Nicht weit vom Lager entfernt fand sie einen kleinen See. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, eines der Tiere zu erlegen, dass zum Trinken her kam. Nach einem Blick ins Wasser entschied sich die Inu um. Ihre „Jagd“ war schnell erfolgreich beendet und sie kehrte mit den Fischen in der Hand zur Gruppe zurück. Dort brannte bereits ein kleines Feuer und ihre Beute wurde freudig entgegen genommen. Zufrieden, weil sie endlich etwas hatte tun können, sprang ‚Neun‘ auf einen Ast und machte es sich dort bequem. Da ihr letzter Schlaf bereits einige Zeit zurück lag, wollte sie ein paar Stunden ruhen. Ihr leichter Schlummer fand ein schnelles Ende. Unter ihr auf dem Boden schnarchte Jaken an Ah-Uhn gelehnt und auch der Drache befand sich tief im Land der Träume. Die beiden waren nicht für ihr Erwachen verantwortlich. Es war das Menschenkind, welches sich unruhig auf seinem Schlafplatz hin und her warf und sich dabei die Decke vom Leib zappelte. Immer wieder verließ ein Wimmern ihre Lippen, zwischendurch unterbrochen von Schreien. Seltsam, bisher hatte sie sich nie von den verzweifelten Lauten ihrer Gefangenen stören lassen. Warum auch? Wer ausbrechen wollte, machte keinen Lärm. Da musste sie auf leise, verräterische Geräusche achten. Aber so etwas? Nichts, das einer weiteren Beachtung würdig war. Andererseits schienen das nur Menschen zu machen, denen es schlecht ging. Das war bei den Sklavenhändlern oft der Fall, denn die Ware konnte sich – aus für ‚Neun‘ unverständlichen Gründen heraus – selten mit ihrer neuen Situation zufrieden geben. Gut, damit wusste sie nun, dass es Rin nicht gut ging. Ihr Herr wiederum wollte, dass es dem Mädchen gut ging und sie sich wohl fühlte, zufrieden war. Nur was sollte sie mit dieser Erkenntnis anfangen? Das Kind wecken? Aber ihr schwacher Körper brauchte den Schlaf. Daher kam das nicht in Frage. Oder vielleicht doch? Warum konnte ihr Herr nicht andere Prioritäten haben? Aber nein, er musste sich gerade um ein Menschenmädchen sorgen. Das war ein Thema, bei dem sie heillos überfordert war. Woher sollte sie denn auch wissen, wie man diese umsorgte? Das war doch nicht ihre Aufgabe. Da war es ihr sogar lieber, von ihrem Herrn genommen zu werden – damit konnte sie umgehen. Zu ihrem Glück wurde ihr die Entscheidung abgenommen, denn mittlerweile hatte Rin sich komplett von der Decke befreit und wurde von der Kälte wach. Oder schreckte sie aus ihrem Traum auf? Egal, jedenfalls war sie still. Suchend sah sich das Kind um und entspannte sich erst, als sie den Fürsten gefunden hatte. Langsam, leicht schwankend stand Rin auf und tapste auf Sesshomaru zu. Dieser öffnete nun auch die Augen und musterte seinen Schützling. „Sesshomaru-sama…“ Auf den bittenden Tonfall hin bekam sie keine Antwort, dafür aber hob der Youkai den linken Arm an. Mehr brauchte es nicht, damit Rin erleichtert aufatmete und sich neben ihm nieder ließ. Vertrauensvoll lehnte sie sich an und es dauerte nicht lange, da schlief sie wieder, gewärmt von dem Schulterfell des Fürsten. ‚Neun‘, die all das beobachtet hatte, begann an ihrem Sehvermögen und ihrem Verstand zu zweifeln. Kapitel 8: ----------- Die restliche Nacht war ruhig verlaufen. Rin hatte an Sesshomarus Seite keinen weiteren Alptraum gehabt und ‚Neun‘ daher ihre Ruhe. Jaken und Ah-Uhn hatten von alldem eh nichts mit bekommen und so war die gesamte Gruppe ausgeruht, als sie kurz nach Sonnenaufgang aufbrachen. Rin, nach wie vor auf Ah-Uhns Rücken, drehte sich immer wieder nach hinten. Ihre Reiseformation hatte sich nicht geändert, was hieß ‚Neun‘ lief hinter ihnen. Auch wenn sie dank Jaken wusste, dass von der InuYoukai nichts zu befürchten war und sie ihrem Meister aufs Wort gehorchte, so verunsicherte sie deren Anwesenheit nach wie vor. Nicht nur die damit einher gehenden Erinnerungen an die Zeit in Kenzos Kerker, sondern auch an das, was danach kam, gingen ihr nicht aus dem Kopf. Obwohl Rin gesehen hatte, wie grob die Frau mit ihren Opfern umging, war diese überraschend umsichtig im Umgang mit ihr. Auch heute Morgen hatte ‚Neun‘ das Frühstück besorgt und sogar ein Bambusrohr mit Wasser zum Lager gebracht, damit Rin trinken konnte. Laut Jaken war es auch die Sklavin gewesen, die ihre Wunde am Kopf versorgte, sie wusch und ihr den neuen Kimono anzog. Nein, aus dem Verhalten von ‚Neun‘ wurde Rin nicht schlau. Diese zwei gegensätzlichen Verhaltensweisen konnten unmöglich von ein und derselben Person stammen. Nur weil sie einen anderen Besitzer hatte, änderte sich doch nicht die Einstellung der betreffenden Person. Oder aber… ‚Neun‘ dachte überhaupt nicht an Rins Wohlergehen, zumindest nicht direkt. Wenn sie einfach nur ihren Herrn zufrieden stellen wollte und daher ihr Verhalten entsprechend anpasste… Das ergab Sinn, auch wenn es Rin ein mulmiges Gefühl in der Magengrube bescherte. So wirklich wollte sie nicht glauben, dass es nur daran lag. Irgendwo in der Youkai musste doch mehr stecken, als die gefügige, stumme Sklavin! Ihre Wanderung verlief noch eine Weile ruhig, als das geschah, was Sesshomaru längst erwartet hatte. ‚Neun‘ hatte die Aufmerksamkeit einer ganzen Horde Oni auf sich gezogen, die sich ihnen nun näherte. Bei der nächsten Rast auf offener Fläche würde er sich definitiv um das Problem kümmern. Ah-Uhn und ‚Neun‘ bemerkten ebenfalls, das sich etwas näherte und der Drache schnaubte auf. Das Schlusslicht der Gruppe hingegen überlegte, welches Verhalten nun gefordert sein könnte. Natürlich, sie wusste ihre Klauen im Notfall einzusetzen, aber sie war keine großartige Kämpferin. Das war nicht ihre Aufgabe. Nun, ihrem Besitzer nicht in die Quere kommen war auf alle Fälle sinnvoll. Nicht, dass ihr Herr sich wegen ihr Umstände machen musste. Würde er überhaupt Rücksicht auf sie nehmen? Zwischen den Bäumen vor ihnen brachen die ersten Oni hervor. Gut doppelt so groß wie ‚Neun‘, grobschlächtig und von dicker, gräulicher Haut überzogen. Mit diesen Wesen war verhandeln zwecklos, sie besaßen kein bisschen Verstand. Ihr Herr ließ sich davon nicht weiter beeindrucken, sondern schritt weiter voran. Was er wohl vor hatte? Die restliche Reisegruppe schien zwar alarmiert, aber doch relativ entspannt. Für sie bestand demnach keine direkte Gefahr. Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, als der Fürst die rechte Hand hob. Einen Moment später war das Kreischen der Oni zu hören, die von einer grünen Peitsche zerteilt wurden. So einfach ging das… Nun, ihr Herr war einer der vier Fürsten. Da lag es nahe, dass solch niedere Kreaturen keine Herausforderung für ihn waren. Da stellte sich ‚Neun‘ die Frage, was er nur mit ihr wollte, wenn er Sklaven doch nicht nötig hatte. Fünf weitere der niederen Dämonen tauchten auf, begleitet von drei fliegenden Kreaturen, die vage an geflügelte Schlangen erinnerten – auch diese wurden vom Fürsten zerlegt, ehe sie ihnen auch nur zu nahe kommen konnten. Dann blieb ihr Herr aber stehen und ihre Nase verriet ihr den Grund. Aus allen Richtungen kamen noch mehr der Oni, angelockt von den Kampfgeräuschen und dem Blutgeruch. Das konnte ja heiter werden… Bisher war sie solchen Ansammlungen einfach ausgewichen oder war davon gelaufen. Für Ersteres war es zu spät und Letzteres konnte sie nicht tun, wenn ihr Herr anwesend war. Es sei denn, er gab ihr einen entsprechenden Befehl, aber das schien er nicht vorzuhaben. Nach außen hin entschlossener als sie war, schloss sie zu Jaken, Rin und Ah-Uhn auf. Das Schlusslicht einer Gruppe wurde in der Regel vom schwächsten Glied gebildet und war daher Angriffsziel Nummer eins. Darauf konnte sie gut verzichten. Immer mehr Angreifer traten in ihr Sichtfeld und fielen rasch dem Fürsten zum Opfer. Ein besonders flinker Vertreter, ähnlich einem zu groß geratenen Tausendfüßler, schaffte es, sich ihnen zu nähern. Für den Anführer der Gruppe hatte Rins Sicherheit eine hohe Priorität, daher fällte die Sklavin ihre Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde. Mit einem Satz sprang ‚Neun‘ über Ah-Uhn und landete auf der anderen Seite, beugte sich vor und bleckte die Zähne. Könnte sie es, würde sie knurren, aber auch das hatte sie nie getan. Unbeeindruckt von ihrer Drohung kam der Angreifer näher. ‚Neun‘ war so stark auf diesen konzentriert, dass sie nicht bemerkte, wie ihr Herr sie nebenbei beobachtete. Er hatte den Oni absichtlich näher kommen lassen, um zu sehen, wie ‚Neun‘ reagierte. Die Inu wartete noch einen Moment, ehe sie nach vorne schoss und ihrem Gegner die Klauen in die weiche Unterseite hieb. Ekelhaft. Einfach nur ekelhaft! Zeit, sich für das Blut an ihrer Hand zu bemitleiden, erhielt ‚Neun‘ nicht, denn ein weiterer Oni kam auf sie zu und forderte ihre gesamte Konzentration. Einige Minuten später hauchte der letzte Dämon sein Leben aus. Sesshomaru drehte sich halb zu seinem Gefolge um. Zu Rin, Jaken und Ah-Uhn war keiner durchgedrungen, dafür hatte er gesorgt – ebenso wie er bewusst immer etwas für die Sklavin übrig ließ. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Frau stand einige Meter neben dem Drachen, war über und über mit Blut besudelt und atmete etwas schneller. Während der ganzen Zeit hatte sie sich komplett auf ihre Schnelligkeit verlassen und ihre Gegner mit einem präzisen Klauenhieb getötet. Ursprünglich hatte er gehofft, dass sich irgendwelche Fähigkeiten zeigen würden – dass sie ihr Youki unbewusst einsetzte. Dadurch wäre die geplante Lektion einfacher geworden. Aber nichts dergleichen. Konnte sie nicht oder hatte sie sich nicht bedroht genug gefühlt? Sie war zweifelsohne mehrere Jahrhunderte alt, es musste doch Situationen gegeben haben, in denen sie ihre Energie benutzte! Wortlos wandte er sich um und schritt weiter, änderte dabei ihre Route etwas. Seine neue Begleitung brauchte dringend ein Bad, das Blut an ihrem Körper begann bereits zu stinken. Für seine feine Nase alles andere als angenehm. Gegen Mittag erreichten sie einen Fluss, von dort aus war es ebenfalls nicht mehr weit bis zum Ende des Waldes. ‚Neun‘, die sich mittlerweile wirklich unwohl fühlte und von ihrem eigenen Gestank genervt war, trat neben ihren Herrn und deutete fragend auf den Fluss. Mehr als ein angedeutetes Senken des Kopfes kam nicht, aber war Antwort genug. Die Youkai entfernte sich etwas von der Gruppe und erst, als Bäume und Büsche die Sicht versperrten, ging sie ans Flussufer. Hoffentlich konnte sie ihr Kleidungsstück halbwegs sauber bekommen. Spuren von altem Oniblut rochen alles andere als appetitlich. Im Flussbett waren große Steine zu sehen, wenn sie den Stoff darüber zog, sollte sie ihn besser reinigen können. Da alles, was sie bei sich führte lediglich der Schlüssel für die Ketten war, legte sie diesen zusammen mit ihrem Haarband auf den Boden und öffnete dann ihren Yukata. Ihre Kleidung klebte an ihrer Haut und es zog unangenehm, als sie sich dieser entledigte. Obwohl der Tag warm war, das Wasser war es nicht. Da ihr dies aber nicht sonderlich viel ausmachte, watete ‚Neun‘ tiefer ins kühle Nass und begann mit dem reinigen ihrer Kleidung. Wie erwartet, gestaltete sich dies als nahezu aussichtsloses Unterfangen, egal wie oft und lange sie rubbelte, rieb und auswrang – sie konnte nach wie vor Spuren des roten Lebenssaftes riechen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sich das Ergebnis auch nicht mehr verbesserte, seufzte sie stumm auf. Es ging wohl nicht besser. Am Flussufer legte sie ihr Kleidungsstück zum Trocknen in die Sonne, ehe sie abermals ins Wasser ging. Zwar hatte die leichte Strömung bereits die gröbsten Spuren von ihrem Körper weggespült, aber komplett gereinigt war ihre Haut noch nicht. Wie lange sie tatsächlich gebraucht hatte, wurde ihr erst bewusst, als sie ihre Haare auswrang und dabei aus den Augenwinkeln das Ufer sah. Durch das Wasser wurde ihr Geruchssinn stark eingeschränkt, daher hatte sie ihren Herrn nicht bemerkt. Wie lange er wohl schon da stand? Hatte sie zu lange gebraucht und damit sein Missfallen erregt? Augenblicklich lief ihr ein Schauer über den Rücken. Sie durfte ihn nicht verärgert haben, alles nur das nicht. Aber er war doch auch ein Youkai, eine gründliche Reinigung war auch in seinem Sinne und die benötigte eben Zeit. Langsam richtete sie sich auf und starrte ihm abwartend entgegen, ignorierte dabei geflissentlich, dass ihr das Wasser, wenn sie stand, nur bis knapp unter die Brust reichte. ~~~ Kaum dass die Sklavin aus dem Sichtfeld verschwunden war, schickte Sesshomaru Jaken auf Ah-Uhn los, damit er in der nächsten Siedlung der Menschen neue Kleidung besorgte. Was bei Jaken wohl aufs Stehlen hinauslief, aber wen kümmerte das? Der Fürst war sich jedenfalls darin sicher, dass der Fetzen Stoff nicht mehr zu retten war – und überhaupt, gesittete Kleidung würde der Frau nicht schaden. Ein Zupfen an dem Ärmel seines Haoris ließ ihn nach unten zu Rin blicken. Für das Kind war dies das Zeichen, dass sie sprechen konnte: „Sesshomaru-sama, darf ich mir ein paar Beeren suchen?“ Nur kurz suchte er mit seinen Sinnen die nähere Umgebung ab, um sicher zu gehen, dass sich keine Oni in der Nähe befanden oder etwas anderes, das dem Kind gefährlich werden konnte. Er wurde nicht fündig. „Geh nicht zu weit.“ „Hai, Sesshomaru-sama“, Rin klang in seinen Ohren nicht halb so fröhlich, wie sie es vor kurzem noch gewesen war. So verharrte er allein und wartete darauf, dass sich sein Gefolge wieder einfand. Als erstes kehrte Rin mit einer Hand voll Beeren zurück mit denen sie sich hinsetzte und eine nach der anderen aß. Das Mädchen hatte nicht halb so lange wie früher gebraucht und keine einzige Blume mitgebracht oder erzählte von den schönen Blüten, die sie gesehen hatte. So normal, wie sie auf den ersten Blick zu sein schien, war sie also nicht. Jaken kam an, mit mehreren Beulen am Kopf. Hatte er sich also auch noch beim Stehlen erwischen lassen. Dennoch sprang der Kappa von Ah-Uhns Rücken, ein braunes Bündel in den Armen, und warf sich seinem Meister zu Füßen. „Mein Herr…“ Weiter hörte der Fürst gar nicht erst zu, sondern wandte kaum merkbar sein Haupt in ‚Neuns‘ Richtung. Die Geräusche des Wäsche Waschens waren verstummt. Vielleicht… Ohne den Kappa wirklich zu beachten, nahm er diesem das Kleiderbündel ab und war mit einem Satz in der Krone des nächsten Baumes verschwunden. Von dort aus war er mit wenigen Sprüngen auf einem breiten Ast angelangt, von dem aus er die Inu gut beobachten konnte. Schlüssel und Haarband lagen am Ufer und sie selbst breitete ihren Yukata zum Trocknen auf dem Boden aus. Jeder andere Youkai würde sein Youki benutzen… Er entschied sich dazu, sie weiter zu beobachten und noch etwas zu probieren. Testweise ließ er, während er sie bei ihrem Bad beobachtete, etwas von seiner Energie frei. Keine Reaktion, sie schien es nicht zu bemerken. Konnte ‚Neun‘ tatsächlich überhaupt nichts? Wo war sie bitte aufgewachsen?! Jeder Welpe lernte doch zumindest ein paar grundlegende Dinge im Umgang mit seinem Youki! Bei ihr war überhaupt nichts vorhanden. So langsam keimte in dem Fürsten der Verdacht auf, dass sie wohl in jungen Jahren in die Fänge der Menschen geraten sein musste. Anders konnte er sich das mangelnde Können nicht erklären. Als sie mit ihrer verwuschelten, nicht gerade gepflegten, silbernen Mähne fertig wurde, verließ er seinen Posten und bezog bei ihren wenigen Habseligkeiten Stellung. Jetzt sollte sie seine Anwesenheit doch bemerken… Was sie auch tatsächlich tat. Irgendwas schien sie stark zu beunruhigen, tatsächlich schien sie sogar Angst zu bekommen. Nur wovor? Bisher war sie ihm respektvoll, aber nicht derart eingeschüchtert entgegengetreten. Oder aber… Vor dem Schloss des Feudalherren hatte sie ähnlich reagiert, als er ohne Rin kam. Hinter ihrem seltsamen Verhalten schien also ein Muster zu stecken. Unter seinem nichts sagenden Blick schien sie immer kleiner zu werden. Wortlos warf er die neue Kleidung zu ihren anderen Sachen und ihre goldenen Augen folgten der Bewegung genau. Fragend legte sie den Kopf schief und blinzelte eindeutig irritiert und überfordert. Was verstand sie nun wieder nicht? Zögerlich deutete sie auf das Bündel und dann auf sich selbst. War das ihr ernst? Fragte sie sich ernsthaft, ob die Kleidung für sie war? Warum sonst sollte er sie ihr denn hinlegen? In ihren Augen schien dies aber tatsächlich derart unwahrscheinlich, dass er sich zu einer bestätigenden Kopfbewegung herabließ. Nur um von ihrer Reaktion noch mehr verwirrt zu werden. ‚Neun‘ strahlte über das ganze Gesicht und schien sich schier zu überschlagen vor Freude. Fast schon tänzelnd kam sie aus dem Wasser und ging in die Hocke, nur um begeistert ihre einfache, aber saubere und neue Bekleidung in Augenschein zu nehmen. Dass es sich hierbei nicht um einen viel zu kurzen Yukata, sondern um Hakam und Haori handelte, schien sie nur noch mehr zu begeistern. Geradezu ungläubig starrte sie auf die beiden Teile und fuhr mit den Klauen darüber. Bemerkte sie überhaupt, dass sie sich als Frau gerade vollkommen nackt vor einem Mann zeigte? Offenbar nicht, oder es schien ihr gleichgültig zu sein, denn nach wie vor voller Freude und ohne sich zu bedecken, stand sie auf und verbeugte sich tief vor ihm. Was wohl ihre Art war, danke zu sagen. Fast, aber auch nur fast hätte er verständnislos den Kopf geschüttelt. Unwillkürlich wanderte sein Blick über ihren zierlichen Körper, welcher wie der aller Dämoninnen nahezu makellos war. War ihr überhaupt bewusst, was sie da tat? Da er heute noch weiter kommen wollte, wandte er sich einfach ab und schritt zurück zur Gruppe. ~~~ Noch immer völlig beschwingt von der unerwarteten Geste ihres Herrn schlüpfte ‚Neun‘ in Hakama und Haori. Sie war zwar die knappe Bekleidung gewohnt, aber sie wusste auch, wie unangemessen ihr Äußeres war. Nicht, dass es jemanden interessierte… Schon immer hatte sie angezogen, was ihr Besitzer ihr bereitstellte. Von der geringen Stoffmenge abgesehen, waren die Stücke auch oft bereits abgetragen und nicht mehr im besten Zustand. Manches Mal hatte sie ihre Kleidung auch schon flicken müssen. Der Fürst war seit langem der erste, der ihr etwas gab, mit dem auch ihre Arme und Beine bedeckt waren. Ungewohnt, dennoch tat es ihr gut. Warum es kein Yukata oder Kimono war, passender für eine Frau, hinterfragte sie da nicht. Hauptsache es war mehr als ihre sonstigen Fetzen. Außerdem war es fast wie neu, so gut wie ungetragen. Da fiel ihr etwas ein. Ihr Herr legte seiner Auswahl nach Wert darauf, dass sie nicht wie eine Dirne herumlief. Hieß das nicht auch, dass sie sich hätte bedecken müssen? Das war ihr absolut nicht in den Sinn gekommen, stattdessen war sie nackt und ahnungslos vor ihn getreten. Das bisschen Schamgefühl, das sie einst besaß, hatte sie schnell durch den Umgang mit ihren Herren verloren. Wurde wohl Zeit, dass sie wieder welches entwickelte, um nicht wieder in eine solche Situation zu geraten und sich womöglich Ärger einzuhandeln. Mit ihren Fingern fuhr sie einige Male durch ihre nassen Haare, ehe sie sich entschied, diese vorerst offen zu lassen, damit sie schneller trockneten. Mit wenigen Handgriffen hatte sie den Rest vom Boden aufgelesen und folgte eilig ihrem Herrn zurück zur Gruppe. Dort wurde sie bereits erwartet, alle anderen waren längst bereit aufzubrechen. ~~~ Kohaku, der an der Spitze des kleinen Zuges lief, drehte sich um und ließ seinen Blick über die Dorfbewohner schweifen. Hinagiku, die wenige Schritte hinter ihm lief, bemerkte das. „Ist etwas?“ Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. „Nichts Wichtiges. Ich hoffe nur, Kirara findet bald einen nahen Platz für die Nacht. Lange werdet ihr nicht mehr laufen können.“ Die junge Frau tat es ihm gleich und musterte die anderen Menschen. Manch einem von ihnen hatte die kurze Gefangenschaft bereits übel zugesetzt und nicht wenige mussten von ihren Kameraden gestützt werden. Die Jüngsten unter ihnen waren allesamt bereits Huckepack genommen worden, da sie nicht mehr selbst laufen konnten. Insgesamt kamen sie nur schleppend voran und waren leichte Beute. Jetzt hatten sie zumindest etwas Schutz und einen Führer, der sich im Wald auskannte und auch den Weg wusste. Zuvor waren sie auf gut Glück los gelaufen, grob in jene Richtung, in der ihre Heimat liegen sollte. Doch, sie alle waren erleichtert, als Kohaku mit der Nekomata aus dem Wald trat. Bisher hatten sie Glück gehabt und waren nicht zum Opfer eines Überfalls geworden, doch dies war lediglich eine Frage der Zeit gewesen. Um nicht wieder in Schweigen zu verfallen, suchte sie nach einem Ansatz, das Gespräch weiter zu führen. Dummerweise fiel ihr nichts ein, das es zu sagen Wert war. Noch einige Minuten liefen sie und besorgte Blicke wurden gewechselt, als sich der Himmel langsam abendlich rot färbte. Da endlich kam Kirara zurück zu ihnen und landete bei ihrem Gefährten. Dieser legte ihr eine Hand ins Nackenfell und streichelte sie. „Und, bist du fündig geworden?“ Ein bestätigendes Schnurren war die Antwort. Die große Katze schlug einen Weg weiter nach links durch die Bäume ein. Hinter ihnen wurde die Frage laut, ob sie bald rasten würden, da endlich lichtete sich der Wald und gab den Blick auf einen alten und verlassenen Tempel preis. Er war nicht sonderlich groß, aber der Platz sollte für alle ausreichen und sie somit ein schützendes Dach über dem Kopf haben. Zumindest für diese Nacht. Jene, die sich noch kräftig genug fühlten, wurden paarweise in den Wald geschickt, um nach Feuerholz und Nahrung zu suchen, während die anderen den Tempel betraten. Während sich die einen an Ort und Stelle erschöpft fallen ließen, rafften sich einige Frauen doch noch auf und begannen ihr Lager für die Nacht halbwegs herzurichten. Kohaku stand mit Kirara auf der Schulter am Eingang und lauschte in den Wald hinein. Sollte irgendetwas schief gehen, musste er schnell reagieren. Mit einer Hand begann er seine Begleiterin unter dem Kinn zu kraulen und meinte so leise, dass ihn keiner der Dorfbewohner hören konnte: „Mögen uns die Götter gnädig sein, auf das wir bald und ohne Zwischenfall das Dorf erreichen.“ Neben seinem Ohr war ein zustimmendes Maunzen zu vernehmen. Kapitel 9: ----------- Die Gruppe um den Fürsten schlug früher als sonst ihr Lager auf, dieses Mal am Waldrand. Hier konnte Jaken eher noch geeignetes Feierholz finden und die Bäume boten zusätzlich etwas Schutz. Wortlos verließ Sesshomaru die Gruppe, blieb aber in der Nähe um zu beobachten. Das einzige, was ‚Neun‘ wirklich gut konnte, war ihre Nase benutzen. Aus diesem Grund achtete er darauf, entgegen der Windrichtung zu stehen, damit sie ihn nicht witterte. Dann wollte er doch Mal sehen, wie sie sich in scheinbar unbeobachteten Momenten verhielt… Von seinem Platz in der Krone eines Baumes aus, konnte er die drei ungleichen Personen beobachten. Nicht, dass das nötig wäre, bei der Lautstärke, mit der der Kappa sprach. „Es dauert noch, bis es dunkel ist! Also können wir zurück zum Fluss gehen und Fische fangen!“ Doch die sonst so unternehmenslustige Rin schüttelte den Kopf. „Wir sollten hier bleiben und auf Sesshomaru-samas Rückkehr warten.“ Gerade als Jaken zu einer Schimpftirade ansetzte, schaltete sich die Sklavin ein und klopfte auf den Boden, um auf sich aufmerksam zu machen. Danach hielt sie ihr Brett hoch. Auf die Entfernung hin und aufgrund dessen, dass die beschriebene Seite nicht direkt zu ihm zeigte, konnte der DaiYoukai zwar nicht lesen, was sie geschrieben hatte – aber das brauchte er auch nicht. „Was steht da?“ Rin bekam keine Antwort auf ihre Frage, dafür aber ‚Neun‘ auf ihr Geschriebenes. „Was soll das heißen, Fischen wird nichts bringen?!“ Es vergingen mehrere Sekunden, ehe der Kappa deutlich leiser kommentierte: „Keine Fische… Und was sollen wir dann essen?“ Langsam, und mit deutlicher Unsicherheit in der Stimme, wandte sich Rin an die Dämonin. „Würdest du bitte jagen gehen?“ Die Gefragte legte lediglich den Kopf ein wenig schief. „Warum guckst du so verwirrt?!“ Das Menschenmädchen äußerte eine Vermutung: „Vermutlich weil ich sie nett gefragt habe.“ Derweil schien sich ‚Neun‘ gefangen zu haben und nickte dem Mädchen zu. Gut, dass er nicht befohlen hatte, dass sie an Ort und Stelle bleiben sollten. Er zweifelte keinen Moment daran, dass ‚Neun‘ Rins Bitte nicht nachkommen würde, wenn diese einer seiner eigenen Anweisungen widersprach. So aber wandte sich die Sklavin ab, um ein weiteres Mal Nahrung für das Kind zu beschaffen. Umgehend heftete er sich an ihre Fersen. Bei der Jagd war es gut möglich, dass sich bei ihr die Instinkte meldeten und er einen Ansatz bekam, um mit ihr zu arbeiten. Eine ganze Weile lief sie witternd umher, auf der Suche nach einer vielversprechenden und frischen Spur. Wenigstens war sie den nervigen Kappa für eine Weile los. Beim besten Willen, sie konnte nicht verstehen, wie man dessen Anwesenheit über einen längeren Zeitraum hinweg ertragen konnte. Da kam sie doch gerne dem Wunsch des Menschen nach – aber genau das machte ihr nach wie vor zu schaffen. Noch niemals in ihrem gesamten Leben hatte jemand das Wort Bitte bei ihr benutzt. Was war das nur für ein Tag? Erst die neue Kleidung, die ihr Besitzer ihr einfach so überließ und dann sprach das Mädchen mit ihr … als wären sie auf Augenhöhe. Doch das waren sie nicht. Rin war ein freier Mensch und – viel wichtiger – stand unter dem Schutz eines Fürsten. Sie hatte jemanden, der sich um ihr Wohl sorgte und sie verteidigte. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie meinen, es mit Vater und Tochter zu tun zu haben. Nicht, dass sie dies aus eigener Erfahrung kannte, aber sie hatte oft genug Familien in den Verliesen gesehen. Väter, die um die Freiheit ihrer Frauen und Kinder flehten und schworen, nie auch nur einen Fluchtversuch zu wagen. Mütter, denen man ihren Nachwuchs aus den Armen reißen musste und die Kräfte entwickelten, die man ihren schwachen Körpern kaum zutraute. Alles für den lächerlichen Versuch, ihre Bälger zu schützen. Ein absolut irrsinniges und undurchdachtes Unterfangen. Wer zum Besitz wurde, konnte nichts mehr anbieten, was dem Herrn nicht gehörte. Gehorsam ließ sich viel einfacher erreichen, als wertvolle Ware in den sicheren Tod zu schicken. Als ob sterbliche Frauen oder gar junge Knaben und Mädchen auch nur die geringste Chance hätten, eine Nacht in der Wildnis zu überleben. So weit hatten die Eltern, die sie sah, aber nie gedacht. Ein absolut irrationales Verhalten. Dahingegen Rin eindeutig einen fähigen Beschützer hatte. Nein, sie und das Kind waren definitiv nicht auf einer Stufe. Solange das Mädchen in der Gunst des DaiYoukai stand, war ‚Neun‘ die Rangniedere. So war es eben, der Sklave stand immer ganz unten in der Rangordnung. Ein frischer Duft riss sie aus ihren Gedanken. Selbst wenn es nur ein Kaninchen wäre, für die kleine Gruppe würde es reichen. Vor allem, wenn man bedachte, dass lediglich Rin und Jaken essen würden. Nahezu lautlos verfolgte sie den Geruch bis zu seiner Quelle, die sich als eine ganze Gruppe Kaninchen herausstellte. Schnell hatte sie ein geeignetes Opfer ausgemacht und pirschte sich an ihre nichtsahnende Beute heran, ehe sie blitzschnell zuschlug. Das kleine Tier hatte nicht den Hauch einer Chance, zumal es im Gegensatz zu seinen Kameraden relativ weit vom nächsten Eingang zum sicheren Bau entfernt war. Mit einer gezielten Handbewegung brach sie ihm das Genick. Zufrieden betrachtete ‚Neun‘ den jungen, kräftigen Rammler und entschied, dass das reichen würde. Kurz nachdem die Sklavin zurückgekehrt war, betrat auch Sesshomaru das kleine Lager. Die Youkai hatte sich an einen Baumstamm gelehnt und beobachtete Rin und Jaken dabei, wie sie ihr Abendessen ausweideten. Nur verlief das keinesfalls reibungslos. Immer wieder ließ gerade der Kappa einen genervten Kommentar fallen, wenn Rin seiner Meinung nach etwas falsch machte. ‚Neun‘ verdrehte nur die Augen und war froh, dass keiner der beiden auf die Idee kam, sie alles zerlegen zu lassen. Ginge schneller und leiser, würde aber mit blutigen Händen enden. Von Blut auf ihrer Haut hatte sie für heute aber definitiv genug. Aus den Augenwinkeln sah sie zu ihrem Herrn auf. Wo dieser wohl gewesen war? Nun, es ging sie ja nichts an. Dann verschwand er Mal eben für eine Weile, nur um plötzlich wieder bei ihnen aufzutauchen. Sollte sie bei dieser seltsamen Gruppe überhaupt noch etwas wundern? Erst Recht, nach diesem ungewöhnlichen Tag? War ja nicht so, als ob sie nicht genug zum Nachdenken hatte. Nein, kaum war sie zu den Wartenden getreten, hatte sich Rin bedankt. Schon wieder. Dieser höfliche Umgang mit ihr machte sie noch fertig. Mit Befehlen und knappen Anweisungen wusste sie umzugehen, hatte ebenfalls kein Problem damit, wenn sie angebrüllt wurde. Bestraft wurde. Auch wenn sie Letzteres seit Jahren erfolgreich vermied. Wenn ihr Herr eine Maßregelung als nötig erachtete, war sie das auch. Nur wie sollte sie auf ein solches Verhalten reagieren? Niemand war ihr gegenüber nett. Lob gab es sehr selten, ein Danke nie. Wie hatte ihr geregeltes Leben nur eine solche Wendung nehmen können? Innerhalb weniger Tage wurde sie permanent mit neuen Eindrücken konfrontiert, auf die sich ihre sonstigen Verhaltensweisen nicht so leicht anwenden ließen. Unsicherheit machte sich zunehmend in ihr breit. Bisher hatte sie es geschafft, dennoch richtig zu agieren. Nur war sie sich sicher, dass noch öfters Situationen kommen würden, die sie nicht kannte. In denen sie nicht strikt ihre Regeln befolgen konnte. So wenig sie es mochte, von ihren Herren berührt zu werden – jetzt wäre sie froh, wieder in einer solchen Lage zu sein. Hatte sie sich nicht noch gefreut, dank ihres Auftrages mit den Banditen, eine Nacht ihre Ruhe zu haben? Wie gerne wäre sie jetzt zurück in Kenzos Heim, wo sie ihren Platz und ihre Aufgaben kannte! Da konnte er sie noch so oft in der Nacht aufsuchen, sie würde sich nicht darüber beklagen! ‚Neun‘ fokussierte sich mehr auf den Fürsten. Dieser hatte sich ebenfalls nieder gelassen und blickte hinaus auf die Ebene. Wenn sie doch nur wüsste, was er von ihr wollte! Wie sie ihm nutzen konnte! Stattdessen musste sie sich damit zufrieden geben, Rin zu umsorgen. Das war alles, was sie tun konnte, um ihrem Herrn zu gefallen. Bitter. Was war sie nur für eine miserable, nutzlose Sklavin? Während ‚Neun‘ immer weiter abdriftete, hatte Jaken längst ein Feuer entfacht und langsam breitete sich der Geruch von gebratenem Fleisch aus. Der Kappa und Rin waren während ‚Neuns‘ Jagd nicht untätig gewesen, sondern hatten in der Nähe noch einige essbare Wurzeln gefunden und ausgegraben. Damit versprach die heutige Mahlzeit mehr als reichhaltig zu werden. Hinter der Stirn des Fürsten arbeitete es. Nicht wegen Rin, denn die würde sich schon fangen, wenn sie nur wieder einen festen Alltag hatte. Bezugspersonen wie Kaede, die ihr zusätzlich Halt und Geborgenheit boten. Beides wichtige Dinge, für junge Menschen. Nun, sofern die Alte überlebt hatte, was er zu bezweifeln wagte. Dennoch, da waren noch die Dämonenjägerin und der Mönch, sowie sein Halbbruder und dessen Miko. Mehr als genug Menschen, die Rin gut kannte und denen sie vertraute. Vor seinem inneren Auge ließ er ‚Neuns‘ Beutefang noch ein Mal Revue passieren. Aber ihm fiel einfach nichts auf, das darauf hindeute, dass sich ihre andere Seite zeigte. Ihr Youki hatte sich nicht verändert, sie hatte es nicht unterbewusst unterdrückt oder sonst wie angepasst. Einfach nichts. Das war äußerst ernüchternd. Irgendeinen Reiz musste es doch geben, mit dem er sie aus der Reserve locken konnte! Wenn er keinen Ansatz fand, war der Versuch zwecklos, ihr etwas Kontrolle über ihre Energie beizubringen. Damit blieb sie weiterhin eine Einladung an alle Oni, die sich nur zu gerne von einer solchen Präsenz locken ließen. Irgendeinen Weg musste es geben. Es konnte nicht sein, dass ausgerechnet er an einer Sklavin scheiterte! Verstohlen blickte Rin immer wieder zu der Leibeigenen. Diese hatte die Knie angezogen und den Kopf darauf abgelegt, ihre Arme waren um die Beine geschlungen. Die Inu schien ihrem abwesenden Blick nach tief in Gedanken. Sie würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass ‚Neun‘ aus irgendeinem Grund traurig war. Zumindest war dies eine typische Position, die Menschen in einer solchen Gemütslage einnahmen. Warum sollte das bei Youkai anders sein? Langsam aber sicher siegte in ihr die Neugier – sie wollte mehr über diese Frau wissen. Wollte verstehen, warum sie so war, wie sie war. Wenn Rin ehrlich war, hatte sie nicht damit gerechnet, dass ‚Neun‘ ihrer Bitte nachkommen würde. Bisher war immer ihr Meister dabei gewesen, daher erschien es nur schlüssig, dass sich die Sklavin gehorsam und bemüht zeigte. Doch auch als Sesshomaru-sama nicht da war, hatte sich ‚Neun‘ um ihr Wohlergehen gesorgt. Mitleid regte sich in ihr, wenn sie an den erstaunten Ausdruck dachte, mit dem die goldenen Augen auf ihr lagen. Selbst wenn sie nur wenige Tage im Rang einer Sklavin verbracht hatte, konnte sich Rin denken, was der Knackpunkt war. In der ganzen Zeit war niemand freundlich zu ihr gewesen, selbst die Frauen untereinander hatten einen eher harschen Umgangston. Es musste für das neuste Mitglied der Gruppe wahrlich seltsam sein, wie mit ihr umgegangen wurde. Damit schien wiederum sie selbst nicht umgehen zu können. Rin fasste einen Entschluss – und sie würde noch heute Abend damit anfangen! Hastig sprang sie auf die Beine und lief ein paar Meter tiefer in den Wald, um ein paar große Blätter zu holen. Mit ihrer Ausbeute in den Händen ließ sie sich wieder am Feuer nieder und wartete mit steigender Ungeduld darauf, dass das Fleisch endlich gar wurde. Nach schier endlosen Minuten war Jaken der Meinung, dass es durch war und nahm die Äste, auf denen sie alles aufgespießt hatten, vom Feuer runter. Einen der Spieße nahm Rin an sich, legte ihn auf eines der Blätter und erhob sich. Was hatte sie schon zu verlieren? Außerdem war ihr Meister da, der gegebenenfalls eingreifen würde. Vor der zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und hielt dieser das Essen hin. „Hier, du musst doch auch Nahrung zu dir nehmen.“ Ruckartig schoss ‚Neuns‘ Kopf nach oben und sie blinzelte Rin mehrere Male fragend an, ehe ihr Blick auf deren Hände fiel. Zögerlich, als rechnete sie damit, dass die Jüngere ihr Angebot gleich zurückziehen würde, streckte sie ihre eigenen Hände aus und nahm die Mahlzeit entgegen. Soweit es in ihrer Position möglich war, verbeugte sich die Inu. Zufrieden mit dem kleinen Erfolg lächelte Rin und ging zurück zu ihrem Platz, den ungläubigen Blick Jakens dabei geflissentlich ignorierend. Immerhin hatte ‚Neun‘ die Geste angenommen, das war nach dem Erlebten mit ihrem Meister bereits einiges wert. Dieser hatte ihre Gaben immer abgelehnt. Ein Blick zur Seite zeigte ihr, dass sich die Youkai hingekniet hatte und tatsächlich aß. Die Sonne war untergegangen und jene drei unter ihnen, die regelmäßig ihren Schlaf brauchten, befanden sich längst im Land der Träume. ‚Neun‘ betrachtete grübelnd das Menschlein, welches eng an den Drachen gekuschelt dalag. Was stimmte nur mit dem Kind nicht? Warum nur ging sie so mit ihr um? Hatte ihr sogar etwas von ihrem kargen Mahl überlassen? Gut, die Inu benötigte nicht viel, aber sie hatte auch nie große Mengen bekommen. Oder in regelmäßigen Abständen. Es war immer ein Glücksspiel, wann sie etwas zu Essen aufgetischt bekam. Wenn dem so war, dann waren es Reste gewesen oder Teile, die Menschen nicht mochten. Aber heute? Sie hatte das Gleiche erhalten, wie die anderen auch. Sogar noch bevor Rin ihren eigenen Hunger stillte – und hungrig war das Kind mit Sicherheit, so oft wie Menschen etwas zu sich nehmen mussten. Ob das öfter passieren würde? Oder war der heutige Tag eine Ausnahme? Sie hoffte darauf, wollte zurück in ihre bisherige Welt, in der sie sich auskannte… „Steh auf.“ Beim Klang seiner Stimme zuckte die Leibeigene zusammen – war sie so tief in Gedanken, dass sie deswegen vergaß, ihren Herrn im Auge zu behalten? Bei den Göttern, das durfte ihr kein weiteres Mal passieren! Sesshomaru hatte sich bereits einige Meter von ihnen entfernt, lief weiter auf die Ebene raus. Hastig sprang ‚Neun‘ auf und folgte ihrem Herren, hielt aber drei Schritte Abstand zu ihm. Was wollte er von ihr? Irgendetwas schien er vorzuhaben, warum sonst sollte er sie fortführen? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Vielleicht war er ihrer überdrüssig geworden. ~~~ Kagome lief gemeinsam mit Shippo eine abendliche Abschlussrunde durch das Dorf. Der Kitsune auf ihrer Schulter bemerkte leise, damit es niemand zufällig hörte: „Ist InuYasha wieder im Wald?“ Jene Miko, auf deren Schulter er saß, sprach ebenfalls mit gedämpfter Stimme. „Er hat mehrere Oni gewittert und wollte sie abfangen, bevor sie dem Dorf zu nahe kommen.“ Verstehend nickte Shippo. Denn obwohl in den letzten Tagen immer mehr der noch stehenden Hütten repariert wurden und sogar mit dem Neubau komplett zerstörter begonnen wurde, noch war die kleine Menschensiedlung ein gefundenes Fressen für Angreifer aller Art. Ohne solch tatkräftige Beschützer wie den Hanyou und die Gruppe um ihn, würden die Chancen der Verbliebenen sehr schlecht stehen. Wenigstens waren nicht alle Felder dem Überfall zum Opfer gefallen, sodass sie zumindest etwas Nahrung hatten. Bis die Verluste wieder aufgearbeitet wären, würde es aber noch lange dauern. So lange mussten die Bauern noch kürzer treten, als sie es ohnehin schon taten. „Was meinst du, werden Kohaku und Kirara die anderen finden? Hat Sesshomaru überhaupt Erfolg gehabt?“ Liebend gerne würde Kagome jetzt beruhigende Worte sprechen, beteuern das InuYashas Halbbruder nicht versagen würde. Das alles gut werden würde und alle gesund und munter heimkehren würden. Nur das konnte sie nicht. Daher seufzte die Frau auf und schloss einen Moment die Augen. Die Verantwortung für das Dorf, welche sie als hiesige Miko nun alleine trug, lastete schwer auf ihren Schultern. Bisher hatte sie sich immer einen Rat bei der erfahrenen Kaede einholen können, die stets zu helfen gewusst hatte. Aber nicht nur dadurch machte sich das Fehlen bemerkbar. Kaede war ihnen allen mit ihrer Unerschütterlichkeit ein großer Halt gewesen, man hatte sich vollkommen auf sie verlassen können. Ihr Tod hatte eine riesige Lücke in der Gemeinschaft hinterlassen, welche schier unmöglich war, zu schließen. Vielleicht hatte Miroku in einer Sache recht: Sie konnten dieses Loch nicht ausfüllen – aber sie konnten näher zusammenrücken. In diesen Momenten fühlte es sich für Kagome an, als wäre sie über Nacht eine andere geworden. Durch ihre Erlebnisse in dieser Zeit war sie reifer gewesen als gleichaltrige Mädchen ihrer Zeit, aber nun merkte sie es erst richtig. Begriff, was es bedeutete, in ihrem jungen Alter die Miko eines ganzen Dorfes zu sein. Sie war nicht länger eine junge Frau, der man so manches nachsah, sie war eine vollwertige Erwachsene und ein wichtiges Glied in der Gemeinde. „Kagome?“ Shippo streckte sich etwas und fuchtelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. Er wartete nach wie vor auf eine Antwort ihrerseits. Die Angesprochene sah sich kurz um, ging sicher, dass sie niemand außer dem Kitsune hörte. „Ich weiß es nicht… Ich weiß es wirklich nicht“, gab sie schließlich zu. Daraufhin erntete sie betroffenes Schweigen. Umso mehr Tage vergingen, ohne das etwas geschah, umso mehr sank ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den Verschleppten. Zweifel keimten auf, denn auch wenn sie von Sesshomaru sprachen – gegen den zerstörerischen Regen war auch der mächtige DaiYoukai machtlos. Selbst wenn sie annahmen, dass der Fürst die Spur verfolgen konnte und die Gefangenen befreite… Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, das Kohaku und Kirara diese auch fanden? Würden überhaupt alle heimkehren, oder war ein Teil bereits an andere Zwischenhändler gegangen? In diesem Fall war es äußerst fraglich, dass Sesshomaru diese ebenfalls retten würde. Ironischerweise war es aber ihr Glück, dass es Rin ebenfalls erwischt hatte. Somit bestand zumindest etwas Hoffnung, auch wenn diese mit jedem Tag schwand. Am Dorfrand blieb Kagome stehen und drehte leicht den Kopf, um ihren Begleiter ansehen zu können. „Geh vor, ich komme dann nach.“ „Ist gut“, damit sprang der Kitsune davon und ließ die Miko alleine. So sehr sie auch die Nähe ihres Kameraden genoss, sie brauchte einen Moment für sich. Shippo schien das zu ahnen und ließ ihr glücklicherweise ohne weiteres den nötigen Freiraum. Ihren Bogen samt Köcher trug sie bei sich, sodass nichts dagegen sprach, ein Stück in den Wald zu gehen. Vielleicht konnte sie dort den Kopf frei bekommen und durchatmen. Wohin sie ihre Beine genau trugen, fiel ihr erst auf, als sie vor dem mächtigen Stamm des Goshinboku stand. Hier hatte damals ein neuer Lebensabschnitt für sie begonnen, auch wenn sie es zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ansatzweise ahnte. Was war seitdem nicht alles geschehen… Aus dem, zugegeben etwas naiven Schulmädchen, war eine richtige Miko geworden, die manch Abenteuer mit ihren Freunden gemeistert hatte. Schon seltsam, wie nachdenklich und nostalgisch so ein Vorfall machte. Kapitel 10: ------------ Sie waren bereits so weit vom Lager entfernt, dass sie keiner der dort Anwesenden mehr hören konnte. Sehen, bei den Lichtverhältnissen, wohl auch nicht mehr. Der zunehmende Mond spendete nur wenig Licht, die beiden Youkai hatten aber keinerlei Probleme damit, ihre Umgebung zu erkennen. Ein ums andre Mal überdachte ‚Neun‘ ihr Betragen seit ihrem Besitzerwechsel. Hatte sie ihren neuen Herrn irgendwie gegen sich aufgebracht? Oder benötigte er sie schlichtweg nicht länger? Was nur würde er mit ihr machen? Warum ging er so weit weg? In einem war sie sich aber sicher: Es konnte nichts Gutes bedeuten. Ergeben senkte sie den Kopf und blieb stehen, als seine Schritte verstummten. Egal was nun kommen würde – er war ihr Herr und entschied, was geschah. Sie hatte es zu akzeptieren und sich unterzuordnen. Auch wenn seine Schritte selbst nicht zu hören waren, das Rascheln des Grases und seiner Kleidung verrieten ihr, dass er sie umkreiste. War sie auf dem Weg immer angespannter und nervöser geworden, so fiel all das von ihr ab. Das weitere Geschehen konnte sie nicht beeinflussen. Sie hoffte nur, es würde schnell gehen. Doch es geschah … nichts. Zögerlich wagte es ‚Neun‘ den Kopf zu heben und ihren Besitzer anzusehen. Der musterte sie aus unergründlichen Augen und aus einem ihr unerfindlichen Grund, hatte sie das Gefühl, seine Erwartungen oder Anforderungen nicht erfüllt zu haben. Wiederholt nicht gut genug zu sein. Nur mit was? Was hatte sie falsch gemacht? So wie sie ihn kennenlernen durfte, würde er keinesfalls zögern, sie zu verletzen oder gar zu töten. Sie hatte zudem keine Möglichkeit, ihr Fehlverhalten gut zu machen. Eine neuerliche Welle der Resignation holte sie ein. Schien so, als wäre aus ihr, einer vorbildlichen Sklavin, innerhalb weniger Tage das genaue Gegenteil geworden. Sie versagte und war nicht in der Lage, ihrem Herrn gerecht zu werden. Welch eine Schande. Ihr erster Herr, der sie ausgebildet hatte, wäre sehr enttäuscht von ihr. Sie war seine Lebensaufgabe gewesen, sein ganzer Stolz. Jetzt stand sie hier und wartete auf ihre Strafe – oder gar ihr Ende? Wenn es so sein sollte… Sie ließ den Kopf wieder sinken und betrachtete den Boden vor ihren Füßen. Was auch immer ihr Besitzer vorhatte, es war sein Recht und sie würde es hinnehmen. Sesshomaru ließ ‚Neun‘ bewusst zappeln. Aber ihre gesamte Anspannung, die sie aufgebaut hatte, verschwand. Das ungute Gefühl beschlich ihn, dass sie kapituliert hatte. Besaß sie denn keinerlei Selbsterhaltungstrieb?! Geschmeidig bewegte er sich auf sie zu, war innerhalb eines Wimpernschlags vor ihr, seine Giftklaue bereit – kurz vor ihrer Brust, unter der ihr Herz schlug. Ruhig, Gleichmäßig. Er ließ die Hand sinken, musterte sie eingehend. Ihre gesamte Körperhaltung gab das wieder, was ihm seine anderen Sinne verrieten: Nicht ein Hauch von Panik, nicht einmal das kleinste bisschen Angst. ‚Neun‘ war ihren Besitzern absolut hörig, das hatte er gewusst – aber dass sie ohne weiteres den Tod durch seine Hand akzeptieren würde… Oder war sie sich dieser Gefahr nicht bewusst? Da er keinen unnötigen Blutgeruch verursachen wollte, der nur wieder Oni anlocken würde, umgriff er ihren Hals. Wieder keine Reaktion. Er erhöhte den Druck, sodass sie schlechter Luft bekam. Das Atmen fiel ihr deutlich schwerer, doch noch immer machte sie keinerlei Anstalten, sich zu wehren. Um ihr Leben zu kämpfen. Es war ein schmaler Grat, den er beschritt, doch er drückte noch fester zu. Die blauen Flecken wären bis zum Morgen längst verheilt, es gab keinen Grund, ihre Grenzen nicht auszureizen. Angestrengtes Röcheln, er konnte spüren, wie ihr Körper unter dem Luftmangel litt und schwächer wurde, ihr die Sinne schwanden – doch noch immer versuchte sie nichts, um sich selbst zu retten. Kurz bevor ‚Neun‘ das Bewusstsein verlor, ließ er los. Augenblicklich klappte sie zusammen, kauerte auf allen Vieren am Boden und schnappte nach Luft. Sesshomaru betrachtete die Youkai vor sich. Was stimmte bei ihr nicht? Ergebenheit hin oder her, wenn es um das eigene Leben ging, kämpfte doch jeder! Nur sie nicht. Ob es etwas nutzen würde, wenn er sie inmitten einer Ansammlung von Oni sitzen ließ? Wohl kaum, wenn er an die letzte Konfrontation dachte. So langsam hatte er alle ursprünglichsten Triebe durch, ohne dass sich bei der Sklavin etwas tat. Zu versuchen, sie wütend zu machen wäre ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Wenn sie schon bereitwillig den Tod durch seine Hand akzeptierte, würde sie sich nicht reizen lassen, sondern auch alles andere hinnehmen. Weder eine Jagd, noch die Sorge ums nackte Überleben lösten eine Reaktion aus… Mittlerweile hatte sich ‚Neun‘ etwas erholt, auch wenn ihr das Luftholen noch schwerfiel, sie röchelte nicht mehr. Da sie in der Zwischenzeit ihre Haare wieder hoch gebunden hatte, erkannte er deutlich die roten Würgemale auf ihrer hellen und ansonsten makellosen Haut. Einen Trieb gab es noch, den er ausreizen konnte. Da es sich bei ihr zweifelsohne um einen äußerst starken Vertreter ihrer Art handelte, hatte er bereits mit dem Gedanken gespielt, dass sie eine potentielle Gefährtin wäre. Nicht als offizielle Fürstin geeignet, aber durchaus besser als die Adelstöchterchen, die ihm vorgestellt wurden. Keine von ihnen konnte solches Potential wie ‚Neun‘ bieten. Einen Versuch war es wert, auch wenn er zuerst die Familienzugehörigkeit klären sollte. Ihrer Witterung nach war sie aber nicht läufig und ebenfalls nicht mehr unberührt. Also was sprach dagegen? Nichts. Sesshomaru vergewisserte sich noch, dass keine potentielle Gefahr in der Nähe von ihnen oder des Lagers war, ehe er auf ‚Neun‘ zutrat. ~~~ Gemeinsam mit Kirara hatte sich Kohaku am Eingang des Tempels niedergelassen, seine Waffen griffbereit. Während die anderen Menschen tief und fest schliefen, war sein Schlaf lediglich leicht. Ebenso wie die Nekomata war er dennoch wachsam, um auf eine mögliche Gefahr schnell reagieren zu können. Es war aber etwas anderes, das ihn dazu veranlasste, die Augen zu öffnen. Hinagiku ließ sich mit etwas Abstand neben ihm nieder und starrte in die Nacht. Es war offensichtlich, dass sie etwas nicht zur Ruhe kommen ließ – aber genau die brauchte die junge Frau. „Du solltest schlafen.“ „Das kann ich nur zurückgeben.“ Der Dämonenjäger schmunzelte über ihre Antwort. „Was hält dich wach?“ Mit einem Seufzen zog sie die Beine an und legte den Kopf auf den Knien ab. „Ich mache mir Sorgen um Rin-chan.“ An dieser Stelle hob auch Kirara den Kopf. Bisher hatten die beiden nur in groben Zügen erfahren, dass Sesshomaru den Händler und seine Handlanger tötete. Viel mehr wussten sie nicht, für ausführliche Unterhaltungen war keine Zeit gewesen. Zwar war ihm vorher bereits das Fehlen des Mädchens aufgefallen, aber er hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Wenn der Fürst die Menschen befreite, würde sie wohl bei ihm sein. Aber dann würde sich Hinagiku nicht solche Gedanken um Rin machen. Dafür hatten sich die Bewohner des Dorfes mittlerweile zu sehr an den InuYoukai gewöhnt und jeder wusste, dass dieser Rin kein Haar krümmen würde. „Ist sie nicht bei Sesshomaru?“ Die Gefragte zuckte zusammen. „Stimmt, das haben wir nicht erzählt… Rin wurde weggebracht, bevor der Fürst kam. Er ist aufgebrochen um sie zu suchen.“ Nun war es an dem jungen Mann, um einiges blasser zu werden. „Wie will er das denn schaffen? Ihr sagtet doch, er hat alle getötet. Oder gab es irgendwelche Dokumente?“ „Nicht alle Handlanger dieses Kenzos sind tot. Er hatte eine dämonische Sklavin. Eine Frau meinte, die Youkai würde nun dem Fürsten gehören, da er den alten Herrn getötet hat. Er hat sie mitgenommen, da sie anscheinend genau wusste, wo er hin muss. Sie war es auch, die … uns untersucht hat“, zum Ende ihrer Erklärung hin wurde sie immer leiser. Da ihr dieses Thema sichtbar unangenehm war, hakte Kohaku nicht weiter nach, obwohl ihm viele Fragen auf der Zunge brannten. Stattdessen meinte er nur: „Sesshomaru weiß, was er tut. Er wird Rin sicher finden, man sollte ihn niemals unterschätzen. Es geht ihr bestimmt gut und sie sind längst auf dem Weg zurück ins Dorf. Wahrscheinlich kommen sie lange vor uns an.“ In seiner Stimme lag so viel Überzeugung, dass Hinagiku tatsächlich beruhigt schien. „Fast so ein großes Vertrauen in ihn, wie Rin…“, murmelte sie mehr zu sich selbst. Daraufhin schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. „Ich bin ebenfalls eine Weile mit ihm gereist, daher weiß ich in der Tat, wovon ich spreche. Geh schlafen, wir werden früh aufbrechen.“ Mit einem Seufzer erhob sich die Frau und verschwand wortlos wieder im Inneren des Tempels. Kohaku lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Zeit in Sesshomarus Gruppe erschien ihm bereits so lange her, dabei waren erst wenige Jahre vergangen… Eines wusste er aber mit Gewissheit: Heute wie damals würde dieser scheinbar eiskalte Youkai nichts unversucht lassen, um Rin zu schützen. Selbst wenn dies bedeutete, in die Unterwelt zu gehen… ~~~ Die Haut an ihrem Hals tat weh, war aber nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den jeder Atemzug in ihrem Inneren mit sich brachte. Ihre gesamte Lunge schien zu brennen. War das ihre Strafe? Nur für was? Warum hatte er aufgehört, bevor sie die erlösende Schwärze erreichen konnte? Wollte er sie doch nicht tot sehen? So tief war sie also schon gesunken, konnte nicht erkennen, ob und warum sie bestraft wurde. Oder, in diesem Fall, fast getötet. Noch nie zuvor hatte sie sich so nutzlos und unbrauchbar gefühlt. Wo war ihr altes Ich hin, die Sklavin, auf die jeder stolz war und mit der sich jeder ihrer Herrn gern gebrüstet hatte? Doch all das Grübeln brachte ihr nichts. In der Vergangenheit schwelgen würde ihr nicht helfen, in der Gegenwart klarzukommen. Denn das würde sie. Ihr Herr hatte sie am Leben gelassen und diese Möglichkeit würde sie nutzen. Nur wie? Das Atmen fiel ihr allmählich wieder leichter, stach nicht mehr wie tausende Nadeln in ihr Fleisch. Ein Anfang. Jetzt musste sie nur ausharren und abwarten, was er weiter von ihr wollte. Vorerst würde sie nicht aufstehen, denn mit ihrer momentan demütigen Haltung konnte sie nichts falsch machen. Sich zu früh aufzuraffen, war hingegen ein leichtsinniges Fehlverhalten, das jeder gute Sklave schnell auszumerzen lernte. Nach schier endlosen Minuten hörte sie, wie sich ihr Herr bewegte und näher kam. Sie selbst rührte sich nicht, sondern wartete ab, was er als nächstes tun würde. Doch erst einmal geschah nichts – zumindest mit ihr. Etwas Schweres wurde scheinbar auf dem Boden abgelegt und kurz darauf erklang ein Klirren, welches sie kannte. Schwerter die abgenommen wurden. Da erst fiel ihr auf, dass er zwar zwei Schwerter hatte, bisher aber keines benutzt hatte. Da würde er jetzt nicht damit anfangen, ausgerechnet bei ihr. Hoffte sie zumindest. „Steh auf.“ Augenblicklich befolgte sie seine Anordnung, darum bemüht, eine gerade und aufrechte Haltung anzunehmen, ohne dabei ihre Unterwürfigkeit zu verlieren. Ein Balanceakt, der ihr wohl gelang – zumindest erfolgte kein Tadel. Ihren Blick hielt sie gesenkt, auch als er vor sie trat. Wie vermutet, hatte er seine Rüstung als auch seine Waffen abgelegt. Zumindest schloss sie es aus dem, was sie am Rande ihres Sichtfeldes sah. Jene Hand, mit der er vor wenigen Minuten noch ihre Atemwege zugedrückt hatte, näherte sich wieder. Nur nicht ihrem Hals, sondern der ersten Schlaufe, die ihren Haori geschlossen hielt. Wollte er etwa…? Nur mit Mühe unterdrückte sie den Drang, den Kopf schief zu legen. Bisher hatte er nicht den Eindruck gemacht, an ihrem Körper interessiert zu sein. Überhaupt – eben noch würgte er sie und dann das? Das war selbst ihr noch nicht passiert, und sie hatte schon den ein oder anderen seltsamen Besitzer gehabt. Also blieb ihr wohl nichts weiter, als abzuwarten, was kommen würde... Der Knoten löste sich und er machte sich daran, auch den auf der anderen Seite zu öffnen. Noch etwas sprach gegen ihre Vermutung. Sie standen beide, das passte nicht. Oder handhabten Menschen und Youkai es anders? Sie zumindest kannte es nur im Liegen, das gab ihren Besitzern wohl noch mehr Sicherheit, wenn sie ihr gegenüber in jederlei Hinsicht die Oberhand hatten. Die Zweite Schlaufe löste sich und der Stoff öffnete sich etwas, gab etwas mehr ihrer Haut preis. Sollte sie nicht etwas tun? Es schien doch so, dass er sie nicht halbnackt sehen wollte und sie sich ihm nicht mehr entblößt zeigen sollte. Andererseits, er zog sie gerade aus, also musste es für ihren Besitzer momentan in Ordnung sein. Glaubte sie zumindest. Die gesamte Gruppe um ihn herum war einfach nur verwirrend, aber in diesem Augenblick war er ihr noch rätselhafter als die kleine Rin. Beim besten Willen, sie kam nicht mehr mit. Vor allem, wenn er tatsächlich das wollte, von dem sie ausging, warum ging er so … langsam vor, nein, das traf es nicht. Behutsam? Ja, das war es eher. Was hatte er denn davon? Nichts. Da regte sich ein klein wenig Neugierde in ihr, wollte wissen, was der Mann nun genau mit ihr machen würde. Als ob er nur darauf gewartet hätte, bewegte er sich wieder – trat hinter sie und legte ihr eine Hand auf die rechte Seite, über dem Stoff, während seine Linke auf dem freien Stück Haut ihres Bauches ihren Platz fand. Sie spürte seinen ruhigen Atem mehr, als dass sie ihn hörte. Wie die warme Luft ihr Ohr streifte… Ohne dass sich ihr Kopf bewegte, huschten ihre Augen zwischen den beiden Händen hin und her. Sie hatte in den vergangenen Tagen oft genug gesehen, dass diese Klauen tödlicher als manch eine Waffe waren. Ihr Hals war ein weiterer Beweis dafür, dass sie es mit Mordwerkzeugen zu tun hatte. Doch er verletzte sie nicht, schien sogar darauf zu achten, mit keiner der Krallen ihre Haut zu beschädigen. Sie bemerkte erst, wie angespannt ihr gesamter Körper war, als er sie mit seiner rechten leicht massierte und ihr zuraunte „Entspann dich.“ Tief holte sie Luft, stieß sie bewusst aus und ließ einen Großteil der Anspannung damit fallen. Zwar wusste sie nach wie vor nicht genau, was er damit bezweckte, aber er schien zufrieden. Endlich schien sie etwas richtig zu machen! Das Nächste, was sie wahrnahm, war das Rascheln von Stoff, als er ihr Oberteil von ihren Schultern streifte und es ins Gras fallen ließ. Die Frage, ob sie nicht voll Scham versuchen sollte, die Hände vor ihren Körper zu ziehen, kam ihr abermals in den Sinn. Aber er war es doch, der sie auszog. Also ließ sie es bleiben und wartete lieber ab, was er als nächstes tun würde. Fast erwartete sie, dass er – wie all ihre Besitzer zuvor – grob ihre Brüste umfassen würde, doch er schenkte ihnen keine Beachtung. Stattdessen spürte sie seine Finger ihre Wirbelsäule nachzeichnen bis hinauf zu ihrem schmalen Hals. Neun konnte ein Erschauern nicht unterdrücken und presste unbewusst ihre Lippen fest aufeinander. Solche Berührungen kannte sie nicht, es war ungewohnt, aber auch interessant und … angenehm. Wieder spürte sie etwas Neues: Lippen die hauchzart über ihre Schultern streiften, zwischendrin auch ein neckender, leichter Biss. Trotz der scharfen Zähne ohne ihre Haut zu durchdringen. Ohne damit aufzuhören, wanderten seine Hände immer weiter nach vorne und erkundeten ihren Körper, widmeten sich aber erst zum Schluss ihrer Brust. ‚Neuns‘ Atem ging längst schneller, was sie etwas verwirrte, aber zur Seite schob. Zu gespannt war sie auf das, was weiter geschehen würde. Abermals erschauderte sie und zog überrascht die Luft ein. Ihr Herr hatte von ihrem Nacken abgelassen und sie stattdessen ins Ohr gezwickt. An sich mochte sie es nicht, dort berührt zu werden, zu empfindlich war diese Region. Auf diese Art aber bescherte es ihr ein Kribbeln im gesamten Körper. Die für sie so ungewohnt sanften Berührungen verschwanden und sie hielt verunsichert die Luft an – hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Nur wenige Sekunden später stieß sie den angehaltenen Atem wieder aus. Er war noch näher als zuvor und sie konnte spüren, warum er seine Tätigkeit unterbrochen hatte. Mit ihrem Rücken berührte sie die blanke Brust des Mannes. Was sie da spürte war gänzlich anders als die Menschenmänner, die sie berühren musste. Sie nahm die Wärme wahr, die von ihm ausging, die straffe Haut unter der Muskeln lagen. Nein, das war absolut kein Vergleich zu ihren bisherigen Erfahrungen. Da konnte sie es auch nicht abschrecken, dass sich durch die Nähe noch etwas anderes in südlicheren Regionen gegen sie drückte. Noch lag ihrer beider Kleidung dazwischen. Das Kribbeln wurde intensiver und sammelte sich in ihrem Unterleib, genau dort, wo eine Hand unter den Bund ihrer Hakama verschwand und sie streichelte, ohne aber tiefer zu gehen. Überrascht keuchte sie auf, denn das, was gerade mit ihrem Körper geschah, war ihr unbekannt. Dabei lag sie schon bei genug Männern, sodass sie eigentlich dachte, alles erlebt zu haben. Dem war wohl nicht so. Sie registrierte erst, dass er ihre Hakama geöffnet hatte, als die kühle Nachtluft ihre freigelegten Beine berührte. Sie zitterten und sie war froh darum, dass er mit einem Arm ihre Hüfte umschlang und damit aufrecht hielt. Spätestens, als er die freie Hand erst auf ihren Oberschenkel legte, ehe er zwischen ihre Schenkel ging, wäre sie zusammen gesackt, überrannt von den unbekannten Empfindungen. Sie spürte, wie er sie dort unten berührte und zuckte zusammen, aber keinesfalls, weil es ihr unangenehm war. Noch nie war sie DORT derart angefasst worden und doch … es gefiel ihr. Ob es weiterhin derart angenehm für sie bleiben würde? Der Gedanke verblasste, als er einen Finger einführte. Im ersten Moment wollte sie sich wie früher auch dazu zwingen, locker zu bleiben, da es dann eher auszuhalten war – aber es war nicht nötig. Ohne Widerstand konnte er eindringen und verursachte keinerlei schmerzhafte Gefühle. Er bewegte sich ein paar Mal in ihr, ehe er seine Hand zurückzog. ‚Neun‘ wusste nicht, was sie von dem halten sollte, was wohl folgen würde. Aber wenn selbst das so gut war, konnte der eigentliche Akt nicht sonderlich schlimm werden. Mit sanftem, aber bestimmtem Druck brachte er sie dazu, sich auf dem Rücken ins Gras zu legen. Sie erschrak, als sie seine roten Augen erblickte – meist war dies kein gutes Zeichen bei Youkai. Wie lange war er bereits in diesem Zustand? Aber trotz dessen, schien ihr Herr sich nach wie vor im Griff zu haben… So gebannt von seinen roten Irden hatte sie nicht mitbekommen, wie er über sie stieg und ihre Beine spreizte. Sie wurde sich dessen erst gewahr, als er mit einer flüssigen Bewegung in sie eintauchte. Überrascht schnappte sie nach Luft und konnte nicht verhindern, dass sie sich um ihn herum anspannte. Dieses Gefühl, wie er in ihr war… Vollkommen anders, als alles was sie bis dato kannte. Besser. Seine Arme, mit denen er sich neben ihr abstützte, um nicht mit dem gesamten Gewicht auf ihr zu liegen, waren angespannt. Er schien sich zurückzuhalten, um ihr einen Moment zu geben. Kaum das sie unter ihm erschlaffte, zog er sich zurück und stieß wieder zu. ‚Neun‘ spürte die Kraft, die in ihm steckte und wie er sich doch zurückhielt – ihretwegen? Doch weiter konnte sie nicht an diesem Gedanken festhalten, sondern schloss die Augen und genoss das, was er da mit ihr tat. Mit der Zeit wurde er noch etwas schneller und mit einem Mal überrollte sie eine neue Empfindung. Ihr gesamtes Inneres zog sich fest zusammen und was es auch immer war – es fühlte sich wahnsinnig gut an. So gut, dass ihr zum ersten Mal seit Jahrhunderten ein Ton über die Lippen kam. Ein kurzer, heißerer Schrei, mehr nicht – doch sie spürte, das ihr Herr darauf reagierte. Sein Körper schien zu erbeben und ein dunkles Grollen entwich seiner Kehle, als er sich in ihr ergoss. Noch immer ein wenig atemlos tat ‚Neun‘ es ihrem Besitzer gleich und kleidete sich an. Ihre Bewegungen erfolgten automatisch, ohne es bewusst zu tun. In ihrem Kopf arbeitete es auf Hochtouren. Der forschende Blick auf ihr machte es nicht besser. Jetzt, da es vorbei war, überrannte sie die Hilflosigkeit. Ihr wurde alles zu viel. All das, was in den letzten Tagen geschehen war, hatte sie noch irgendwie hinnehmen können. Dieses Erlebnis aber brachte das Fass zum Überlaufen. Gerade knotete sie ihren Haori zu, ehe sie innehielt. Da war etwas … IN ihr. Etwas, das ihr eine Pause versprach. Sie von ihrer Schwäche befreien würde. Nur zu gerne ließ sie sich darauf ein und ihre Welt versank in dunklem Rot. Kapitel 11: (saubere Version) ----------------------------- Sie waren bereits so weit vom Lager entfernt, dass sie keiner der dort Anwesenden mehr hören konnte. Sehen, bei den Lichtverhältnissen, wohl auch nicht mehr. Der zunehmende Mond spendete nur wenig Licht, die beiden Youkai hatten aber keinerlei Probleme damit, ihre Umgebung zu erkennen. Ein ums andre Mal überdachte ‚Neun‘ ihr Betragen seit ihrem Besitzerwechsel. Hatte sie ihren neuen Herrn irgendwie gegen sich aufgebracht? Oder benötigte er sie schlichtweg nicht länger? Was nur würde er mit ihr machen? Warum ging er so weit weg? In einem war sie sich aber sicher: Es konnte nichts Gutes bedeuten. Ergeben senkte sie den Kopf und blieb stehen, als seine Schritte verstummten. Egal was nun kommen würde – er war ihr Herr und entschied, was geschah. Sie hatte es zu akzeptieren und sich unterzuordnen. Auch wenn seine Schritte selbst nicht zu hören waren, das Rascheln des Grases und seiner Kleidung verrieten ihr, dass er sie umkreiste. War sie auf dem Weg immer angespannter und nervöser geworden, so fiel all das von ihr ab. Das weitere Geschehen konnte sie nicht beeinflussen. Sie hoffte nur, es würde schnell gehen. Doch es geschah … nichts. Zögerlich wagte es ‚Neun‘ den Kopf zu heben und ihren Besitzer anzusehen. Der musterte sie aus unergründlichen Augen und aus einem ihr unerfindlichen Grund, hatte sie das Gefühl, seine Erwartungen oder Anforderungen nicht erfüllt zu haben. Wiederholt nicht gut genug zu sein. Nur mit was? Was hatte sie falsch gemacht? So wie sie ihn kennenlernen durfte, würde er keinesfalls zögern, sie zu verletzen oder gar zu töten. Sie hatte zudem keine Möglichkeit, ihr Fehlverhalten gut zu machen. Eine neuerliche Welle der Resignation holte sie ein. Schien so, als wäre aus ihr, einer vorbildlichen Sklavin, innerhalb weniger Tage das genaue Gegenteil geworden. Sie versagte und war nicht in der Lage, ihrem Herrn gerecht zu werden. Welch eine Schande. Ihr erster Herr, der sie ausgebildet hatte, wäre sehr enttäuscht von ihr. Sie war seine Lebensaufgabe gewesen, sein ganzer Stolz. Jetzt stand sie hier und wartete auf ihre Strafe – oder gar ihr Ende? Wenn es so sein sollte… Sie ließ den Kopf wieder sinken und betrachtete den Boden vor ihren Füßen. Was auch immer ihr Besitzer vorhatte, es war sein Recht und sie würde es hinnehmen. Sesshomaru ließ ‚Neun‘ bewusst zappeln. Aber ihre gesamte Anspannung, die sie aufgebaut hatte, verschwand. Das ungute Gefühl beschlich ihn, dass sie kapituliert hatte. Besaß sie denn keinerlei Selbsterhaltungstrieb?! Geschmeidig bewegte er sich auf sie zu, war innerhalb eines Wimpernschlags vor ihr, seine Giftklaue bereit – kurz vor ihrer Brust, unter der ihr Herz schlug. Ruhig, Gleichmäßig. Er ließ die Hand sinken, musterte sie eingehend. Ihre gesamte Körperhaltung gab das wieder, was ihm seine anderen Sinne verrieten: Nicht ein Hauch von Panik, nicht einmal das kleinste bisschen Angst. ‚Neun‘ war ihren Besitzern absolut hörig, das hatte er gewusst – aber dass sie ohne weiteres den Tod durch seine Hand akzeptieren würde… Oder war sie sich dieser Gefahr nicht bewusst? Da er keinen unnötigen Blutgeruch verursachen wollte, der nur wieder Oni anlocken würde, umgriff er ihren Hals. Wieder keine Reaktion. Er erhöhte den Druck, sodass sie schlechter Luft bekam. Das Atmen fiel ihr deutlich schwerer, doch noch immer machte sie keinerlei Anstalten, sich zu wehren. Um ihr Leben zu kämpfen. Es war ein schmaler Grat, den er beschritt, doch er drückte noch fester zu. Die blauen Flecken wären bis zum Morgen längst verheilt, es gab keinen Grund, ihre Grenzen nicht auszureizen. Angestrengtes Röcheln, er konnte spüren, wie ihr Körper unter dem Luftmangel litt und schwächer wurde, ihr die Sinne schwanden – doch noch immer versuchte sie nichts, um sich selbst zu retten. Kurz bevor ‚Neun‘ das Bewusstsein verlor, ließ er los. Augenblicklich klappte sie zusammen, kauerte auf allen Vieren am Boden und schnappte nach Luft. Sesshomaru betrachtete die Youkai vor sich. Was stimmte bei ihr nicht? Ergebenheit hin oder her, wenn es um das eigene Leben ging, kämpfte doch jeder! Nur sie nicht. Ob es etwas nutzen würde, wenn er sie inmitten einer Ansammlung von Oni sitzen ließ? Wohl kaum, wenn er an die letzte Konfrontation dachte. So langsam hatte er alle ursprünglichsten Triebe durch, ohne dass sich bei der Sklavin etwas tat. Zu versuchen, sie wütend zu machen wäre ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Wenn sie schon bereitwillig den Tod durch seine Hand akzeptierte, würde sie sich nicht reizen lassen, sondern auch alles andere hinnehmen. Weder eine Jagd, noch die Sorge ums nackte Überleben lösten eine Reaktion aus… Mittlerweile hatte sich ‚Neun‘ etwas erholt, auch wenn ihr das Luftholen noch schwerfiel, sie röchelte nicht mehr. Da sie in der Zwischenzeit ihre Haare wieder hoch gebunden hatte, erkannte er deutlich die roten Würgemale auf ihrer hellen und ansonsten makellosen Haut. Einen Trieb gab es noch, den er ausreizen konnte. Da es sich bei ihr zweifelsohne um einen äußerst starken Vertreter ihrer Art handelte, hatte er bereits mit dem Gedanken gespielt, dass sie eine potentielle Gefährtin wäre. Nicht als offizielle Fürstin geeignet, aber durchaus besser als die Adelstöchterchen, die ihm vorgestellt wurden. Keine von ihnen konnte solches Potential wie ‚Neun‘ bieten. Einen Versuch war es wert, auch wenn er zuerst die Familienzugehörigkeit klären sollte. Ihrer Witterung nach war sie aber nicht läufig und ebenfalls nicht mehr unberührt. Also was sprach dagegen? Nichts. Sesshomaru vergewisserte sich noch, dass keine potentielle Gefahr in der Nähe von ihnen oder des Lagers war, ehe er auf ‚Neun‘ zutrat. ~~~ Gemeinsam mit Kirara hatte sich Kohaku am Eingang des Tempels niedergelassen, seine Waffen griffbereit. Während die anderen Menschen tief und fest schliefen, war sein Schlaf lediglich leicht. Ebenso wie die Nekomata war er dennoch wachsam, um auf eine mögliche Gefahr schnell reagieren zu können. Es war aber etwas anderes, das ihn dazu veranlasste, die Augen zu öffnen. Hinagiku ließ sich mit etwas Abstand neben ihm nieder und starrte in die Nacht. Es war offensichtlich, dass sie etwas nicht zur Ruhe kommen ließ – aber genau die brauchte die junge Frau. „Du solltest schlafen.“ „Das kann ich nur zurückgeben.“ Der Dämonenjäger schmunzelte über ihre Antwort. „Was hält dich wach?“ Mit einem Seufzen zog sie die Beine an und legte den Kopf auf den Knien ab. „Ich mache mir Sorgen um Rin-chan.“ An dieser Stelle hob auch Kirara den Kopf. Bisher hatten die beiden nur in groben Zügen erfahren, dass Sesshomaru den Händler und seine Handlanger tötete. Viel mehr wussten sie nicht, für ausführliche Unterhaltungen war keine Zeit gewesen. Zwar war ihm vorher bereits das Fehlen des Mädchens aufgefallen, aber er hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Wenn der Fürst die Menschen befreite, würde sie wohl bei ihm sein. Aber dann würde sich Hinagiku nicht solche Gedanken um Rin machen. Dafür hatten sich die Bewohner des Dorfes mittlerweile zu sehr an den InuYoukai gewöhnt und jeder wusste, dass dieser Rin kein Haar krümmen würde. „Ist sie nicht bei Sesshomaru?“ Die Gefragte zuckte zusammen. „Stimmt, das haben wir nicht erzählt… Rin wurde weggebracht, bevor der Fürst kam. Er ist aufgebrochen um sie zu suchen.“ Nun war es an dem jungen Mann, um einiges blasser zu werden. „Wie will er das denn schaffen? Ihr sagtet doch, er hat alle getötet. Oder gab es irgendwelche Dokumente?“ „Nicht alle Handlanger dieses Kenzos sind tot. Er hatte eine dämonische Sklavin. Eine Frau meinte, die Youkai würde nun dem Fürsten gehören, da er den alten Herrn getötet hat. Er hat sie mitgenommen, da sie anscheinend genau wusste, wo er hin muss. Sie war es auch, die … uns untersucht hat“, zum Ende ihrer Erklärung hin wurde sie immer leiser. Da ihr dieses Thema sichtbar unangenehm war, hakte Kohaku nicht weiter nach, obwohl ihm viele Fragen auf der Zunge brannten. Stattdessen meinte er nur: „Sesshomaru weiß, was er tut. Er wird Rin sicher finden, man sollte ihn niemals unterschätzen. Es geht ihr bestimmt gut und sie sind längst auf dem Weg zurück ins Dorf. Wahrscheinlich kommen sie lange vor uns an.“ In seiner Stimme lag so viel Überzeugung, dass Hinagiku tatsächlich beruhigt schien. „Fast so ein großes Vertrauen in ihn, wie Rin…“, murmelte sie mehr zu sich selbst. Daraufhin schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. „Ich bin ebenfalls eine Weile mit ihm gereist, daher weiß ich in der Tat, wovon ich spreche. Geh schlafen, wir werden früh aufbrechen.“ Mit einem Seufzer erhob sich die Frau und verschwand wortlos wieder im Inneren des Tempels. Kohaku lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Zeit in Sesshomarus Gruppe erschien ihm bereits so lange her, dabei waren erst wenige Jahre vergangen… Eines wusste er aber mit Gewissheit: Heute wie damals würde dieser scheinbar eiskalte Youkai nichts unversucht lassen, um Rin zu schützen. Selbst wenn dies bedeutete, in die Unterwelt zu gehen… ~~~ Die Haut an ihrem Hals tat weh, war aber nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den jeder Atemzug in ihrem Inneren mit sich brachte. Ihre gesamte Lunge schien zu brennen. War das ihre Strafe? Nur für was? Warum hatte er aufgehört, bevor sie die erlösende Schwärze erreichen konnte? Wollte er sie doch nicht tot sehen? So tief war sie also schon gesunken, konnte nicht erkennen, ob und warum sie bestraft wurde. Oder, in diesem Fall, fast getötet. Noch nie zuvor hatte sie sich so nutzlos und unbrauchbar gefühlt. Wo war ihr altes Ich hin, die Sklavin, auf die jeder stolz war und mit der sich jeder ihrer Herrn gern gebrüstet hatte? Doch all das Grübeln brachte ihr nichts. In der Vergangenheit schwelgen würde ihr nicht helfen, in der Gegenwart klarzukommen. Denn das würde sie. Ihr Herr hatte sie am Leben gelassen und diese Möglichkeit würde sie nutzen. Nur wie? Das Atmen fiel ihr allmählich wieder leichter, stach nicht mehr wie tausende Nadeln in ihr Fleisch. Ein Anfang. Jetzt musste sie nur ausharren und abwarten, was er weiter von ihr wollte. Vorerst würde sie nicht aufstehen, denn mit ihrer momentan demütigen Haltung konnte sie nichts falsch machen. Sich zu früh aufzuraffen, war hingegen ein leichtsinniges Fehlverhalten, das jeder gute Sklave schnell auszumerzen lernte. Nach schier endlosen Minuten hörte sie, wie sich ihr Herr bewegte und näher kam. Sie selbst rührte sich nicht, sondern wartete ab, was er als nächstes tun würde. Doch erst einmal geschah nichts – zumindest mit ihr. Etwas Schweres wurde scheinbar auf dem Boden abgelegt und kurz darauf erklang ein Klirren, welches sie kannte. Schwerter die abgenommen wurden. Da erst fiel ihr auf, dass er zwar zwei Schwerter hatte, bisher aber keines benutzt hatte. Da würde er jetzt nicht damit anfangen, ausgerechnet bei ihr. Hoffte sie zumindest. „Steh auf.“ Augenblicklich befolgte sie seine Anordnung, darum bemüht, eine gerade und aufrechte Haltung anzunehmen, ohne dabei ihre Unterwürfigkeit zu verlieren. Ein Balanceakt, der ihr wohl gelang – zumindest erfolgte kein Tadel. Ihren Blick hielt sie gesenkt, auch als er vor sie trat. Wie vermutet, hatte er seine Rüstung als auch seine Waffen abgelegt. Zumindest schloss sie es aus dem, was sie am Rande ihres Sichtfeldes sah. Jene Hand, mit der er vor wenigen Minuten noch ihre Atemwege zugedrückt hatte, näherte sich wieder. Nur nicht ihrem Hals, sondern der ersten Schlaufe, die ihren Haori geschlossen hielt. Wollte er etwa…? Nur mit Mühe unterdrückte sie den Drang, den Kopf schief zu legen. Bisher hatte er nicht den Eindruck gemacht, an ihrem Körper interessiert zu sein. Überhaupt – eben noch würgte er sie und dann das? Das war selbst ihr noch nicht passiert, und sie hatte schon den ein oder anderen seltsamen Besitzer gehabt. Also blieb ihr wohl nichts weiter, als abzuwarten, was kommen würde... Der Knoten löste sich und er machte sich daran, auch den auf der anderen Seite zu öffnen. Noch etwas sprach gegen ihre Vermutung. Sie standen beide, das passte nicht. Oder handhabten Menschen und Youkai es anders? Sie zumindest kannte es nur im Liegen, das gab ihren Besitzern wohl noch mehr Sicherheit, wenn sie ihr gegenüber in jederlei Hinsicht die Oberhand hatten. Die Zweite Schlaufe löste sich und der Stoff öffnete sich etwas, gab etwas mehr ihrer Haut preis. Sollte sie nicht etwas tun? Es schien doch so, dass er sie nicht halbnackt sehen wollte und sie sich ihm nicht mehr entblößt zeigen sollte. Andererseits, er zog sie gerade aus, also musste es für ihren Besitzer momentan in Ordnung sein. Glaubte sie zumindest. Die gesamte Gruppe um ihn herum war einfach nur verwirrend, aber in diesem Augenblick war er ihr noch rätselhafter als die kleine Rin. Beim besten Willen, sie kam nicht mehr mit. Vor allem, wenn er tatsächlich das wollte, von dem sie ausging, warum ging er so … langsam vor, nein, das traf es nicht. Behutsam? Ja, das war es eher. Was hatte er denn davon? Nichts. Da regte sich ein klein wenig Neugierde in ihr, wollte wissen, was der Mann nun genau mit ihr machen würde. Als ob er nur darauf gewartet hätte, bewegte er sich wieder – trat hinter sie und legte ihr eine Hand auf die rechte Seite, über dem Stoff, während seine Linke auf dem freien Stück Haut ihres Bauches ihren Platz fand. Sie spürte seinen ruhigen Atem mehr, als dass sie ihn hörte. Wie die warme Luft ihr Ohr streifte… Ohne dass sich ihr Kopf bewegte, huschten ihre Augen zwischen den beiden Händen hin und her. Sie hatte in den vergangenen Tagen oft genug gesehen, dass diese Klauen tödlicher als manch eine Waffe waren. Ihr Hals war ein weiterer Beweis dafür, dass sie es mit Mordwerkzeugen zu tun hatte. Doch er verletzte sie nicht, schien sogar darauf zu achten, mit keiner der Krallen ihre Haut zu beschädigen. Sie bemerkte erst, wie angespannt ihr gesamter Körper war, als er sie mit seiner rechten leicht massierte und ihr zuraunte „Entspann dich.“ Tief holte sie Luft, stieß sie bewusst aus und ließ einen Großteil der Anspannung damit fallen. Zwar wusste sie nach wie vor nicht genau, was er damit bezweckte, aber er schien zufrieden. Endlich schien sie etwas richtig zu machen! Das Nächste, was sie wahrnahm, war das Rascheln von Stoff, als er ihr Oberteil von ihren Schultern streifte und es ins Gras fallen ließ. Die Frage, ob sie nicht voll Scham versuchen sollte, die Hände vor ihren Körper zu ziehen, kam ihr abermals in den Sinn. Aber er war es doch, der sie auszog. Also ließ sie es bleiben und wartete lieber ab, was er als nächstes tun würde. Fast erwartete sie, dass er – wie all ihre Besitzer zuvor – grob ihre Brüste umfassen würde, doch er schenkte ihnen keine Beachtung. Stattdessen spürte sie seine Finger ihre Wirbelsäule nachzeichnen bis hinauf zu ihrem schmalen Hals. Neun konnte ein Erschauern nicht unterdrücken und presste unbewusst ihre Lippen fest aufeinander. Solche Berührungen kannte sie nicht, es war ungewohnt, aber auch interessant und … angenehm. Wieder spürte sie etwas Neues: Lippen die hauchzart über ihre Schultern streiften, zwischendrin auch ein neckender, leichter Biss. Trotz der scharfen Zähne ohne ihre Haut zu durchdringen... Noch immer ein wenig atemlos tat ‚Neun‘ es ihrem Besitzer gleich und kleidete sich an. Ihre Bewegungen erfolgten automatisch, ohne es bewusst zu tun. In ihrem Kopf arbeitete es auf Hochtouren. Der forschende Blick auf ihr machte es nicht besser. Jetzt, da es vorbei war, überrannte sie die Hilflosigkeit. Ihr wurde alles zu viel. All das, was in den letzten Tagen geschehen war, hatte sie noch irgendwie hinnehmen können. Dieses Erlebnis aber brachte das Fass zum Überlaufen. Gerade knotete sie ihren Haori zu, ehe sie innehielt. Da war etwas … IN ihr. Etwas, das ihr eine Pause versprach. Sie von ihrer Schwäche befreien würde. Nur zu gerne ließ sie sich darauf ein und ihre Welt versank in dunklem Rot. Kapitel 12: ------------ Als am Morgen die Gruppe um den Fürsten weiter zog, schielten Rin als auch Jaken immer wieder zu ‚Neun‘. Der Kappa hielt die Zügel des Drachens in den Händen und lief links vor ihm, während die Sklavin sich rechts, auf einer Höhe mit Rin hielt. Irgendetwas schien in der Nacht vorgefallen zu sein. Es interessierte beide brennend, was genau. Nur ‚Neun‘ konnte keine Erklärung abgeben und Sesshomaru-sama zu fragen, war ebenfalls wenig erfolgversprechend. Alles, was Rin wusste, war, dass die beiden InuYoukai in der Nacht nicht am Lager waren. Dies hatte sie festgestellt, nachdem Ah-Uhn sie aus einem Alptraum gerissen hatte. Tatsache war ebenfalls, dass ‚Neun‘ am Morgen schlief – und das verdammt tief. Jaken hatte ihr schlussendlich Wasser in den Nacken geschüttet, um sie wach zu bekommen. Alle vorherigen Versuche waren fehlgeschlagen. Das war äußerst untypisch für einen Youkai. Ein solcher Zustand rührte in der Regel von Verletzungen her, aber davon war nichts an der Inu zu erkennen. Dazu kam noch, dass ‚Neun‘ ziemlich mitgenommen aussah. Es würde Rin nicht wundern, wenn ihr die Augen während des Laufens zufallen würden. Trotz der offensichtlichen Anstrengung, hielt sie aber schritt, die Miene verkniffen und konzentriert. Als würde sie einen inneren Kampf ausfechten. Vielleicht sollte sie der Sklavin anbieten, hinter ihr auf Ah-Uhn zu steigen? Andererseits hatte ihr Meister nur Rin dazu aufgefordert, sich einen weiteren Tag zu schonen. Von ‚Neun‘ erwartete er also, dass sie allein laufen konnte. Jaken hatte am Morgen die Sklavin lautstark danach gefragt, was in sie gefahren sei und ihr ihre Schreibutensilien vor die Füße geworfen. Ehe sie auch nur danach greifen konnte, hatte Sesshomaru-sama ihnen deutlich gemacht, dass er weiterreisen wollte. Es war aber auch unpraktisch, dass ‚Neun‘ nicht sprach. Was das Mädchen auf andere Gedanken brachte, die schon länger in ihrem Kopf umherirrten. „Kannst du eigentlich nicht sprechen oder willst du nicht?“ Drei Augenpaare wanderten zu ihr, als sie so plötzlich mit ihrer Frage die Stille durchbrach. Es dauerte einige Sekunden, ehe ‚Neun‘ ahnungslos die Schultern hob. Gut, vielleicht hatte sie schlecht formuliert. Auf eine Frage mit „oder“ konnte schlecht mit Ja oder Nein geantwortet werden und das war alles, was sie als Erwiderung erhalten würde. Zum einen konnte ‚Neun‘ schlecht während des Gehens schreiben, zum anderen hatte Rin nie das Lesen gelernt. „Bist du schon immer stumm?“ Ein Stirnrunzeln, als ob es der Gefragten schwerfallen würde, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren – oder sie unsicher war, ob sie überhaupt weiter reagieren sollte. Dann ein Nicken. „Hast du es denn je versucht?“ Dieses Mal ein Kopfschütteln. „Warum nicht?“, sprudelte es unüberlegt aus ihrem Munde. Kaum ausgesprochen, verzog Rin den Mund. So gern sie das wüsste, so würde sie nichts erfahren. „Willst du denn sprechen?“, versuchte sie es mit anderen Worten. Für einen Moment erstarrte ‚Neun‘, ehe sie den Kopf schief legte und nicht zu wissen schien, was sie antworten sollte. Einer Eingebung folgend, wartete Rin nicht weiter ab. „Hat dich jemals jemand gefragt, was du willst?“ Goldene Augen blickten sie an, als ob sie gerade behauptet hätte, Wasser würde einen Berg hinauf fließen. Ein eindeutiges Nein. Jetzt war es an Rin, die Stirn in Falten zu legen. Durch die Antworten wurde ‚Neun‘ nicht gerade einfacher zu verstehen. Im Gegenteil, das Menschenkind wollte nur noch mehr wissen – nachvollziehen, was bei der Youkai nicht stimmte. ‚Neun‘ konnte menschliche Gestalt annehmen. Kaede hatte erklärt, dass dies eine Eigenschaft war, die Youkai von den niederen Oni unterschied. Richtige Youkai waren also mächtiger und in der Regel auch körperlich makellos. Zumindest was solche Beeinträchtigungen anging… Es konnte doch nicht sein, dass ‚Neun‘ körperlich nicht in der Lage dazu war. Das wäre wirklich seltsam. Selbst Sango, die aus ihrem Dorf viele Anekdoten zu berichten hatte, hatte nie erwähnt, dass einem der Dämonenjäger ein solches Exemplar begegnet wäre. Solche Schwächen waren der menschlichen Rasse vorbehalten. Andererseits hatte sie selbst erlebt, dass es nicht gerne gesehen wurde, wenn die Sklaven sprachen. Sei es unaufgefordert oder nicht. Niemanden interessierte es, was sie zu sagen hatten. Angestrengt grübelte sie weiter nach. Hatte die Frau bei Kenzo nicht auch gesagt, als Sklaven hatten ihre Namen keine Bedeutung mehr? Ihr Blick wanderte zu ‚Neun‘. Eine Nummer, wie auch sie selbst eine war. Ohne Namen, ohne Persönlichkeit. „Weißt du deinen Namen?“ Dieses Mal blieb die Leibeigene stehen und schien wirklich aus der Bahn geworfen zu sein. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie wieder aufschloss, auf den Boden starrte und den Kopf schüttelte. Rin schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals. Wie lange war die Youkai schon in Sklaverei gewesen, dass sie selbst ihren Namen vergessen hatte? Betrübt senkte auch sie den Blick. Was keine von beiden wusste, war, dass Sesshomaru das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte, ebenso wie die Reaktionen von der Frau. „Rin.“ Das Mädchen hatte gerade den Mund für eine weitere Frage geöffnet, als Sesshomaru sie verstummen ließ. Sein Blick über die Schulter sagte ihr deutlich, dass sie genug Fragen gestellt hatte und so biss sie sich auf ihre Unterlippe und schwieg. Nach dem, was in der Nacht geschah, sollte die Youkai die Zeit haben, ihr Inneres zu ordnen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein weiterer Vorfall wie vor einigen Stunden. ~~~ Mit Kirara auf der Schulter lief Kohaku an der Spitze des Zuges. Es war mühsam, mit den ausgelaugten Menschen voranzukommen. Nicht, dass sie nicht wollten, sondern an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte gerieten. Dennoch beklagte sich niemand, alle hielten sich aufrecht und folgten ihm tapfer. Mangelnden Willen, endlich in ihr Dorf zurückkehren zu können, konnte man ihnen wahrlich nicht vorwerfen. Im Gegenteil, vermutlich schöpften sie gerade aus dieser Aussicht die nötige Kraft, um sich weiter voranzuschleppen. Er hoffte nur, dass seine Schwester und ihre Gruppe bereits mit den Aufräumarbeiten vorangekommen waren. So oder so würde der Anblick ihrer Heimat die Menschen schwer treffen. Genaue Aussagen, wie es im Dorf aussah, hatte er bewusst nicht gemacht. Sie brauchten die Hoffnung, in ihre sicheren Hütten heimkehren zu können. Der junge Mann seufzte schwer. Nein, dies war keine angenehme Aufgabe. Es war auch keiner seiner Aufträge, in denen es um fremde Menschen ging. Er kannte diese Leute und wusste, dass manch einer von ihnen ein persönlicher Verlust erwarten würde, der den einer Hütte bei weitem überwog. Kagome war eine erstklassige Heilerin, die von Kaede gut ausgebildet wurde, aber auch sie konnte nicht alles und jeden retten. Als er aufbrach, waren neben der alten Miko bereits drei weitere Opfer Kagome wortwörtlich unter den Händen weggestorben. Laut der Frau aus der Neuzeit hatte der Rest deutlich bessere Chancen, aber es konnte immer etwas Unerwartetes geschehen. Zumindest von Kaedes Verlust wussten die Menschen um ihn, denn manche hatten mitbekommen, wie die Alte verletzt wurde und hatten sich nach ihrem Befinden erkundigt. Er hatte sie nicht anlügen wollen. Bewusst hatte er auch bei Kagome nicht weiter nachgehakt, wer die anderen Verstorbenen waren. So hatte er ehrlich antworten können, dass er es nicht wusste. Ein Mann tauchte an seiner Seite auf, nur wenige Jahre älter als er selbst. „Was meint Ihr, wann werden wir ankommen?“ Hinter ihnen wurden interessiert die Köpfe gehoben, woraus Kohaku schloss, dass dies alle interessierte und sie nur jemanden vorgeschickt hatten. „Wenn es zu keinen Verzögerungen kommt, könnten wir bereits morgen Nachmittag das Dorf erreichen.“ Und wenn sie ihr Tempo hielten, aber dies verschwieg er. Keiner sollte sich gezwungen fühlen, sich komplett zu verausgaben. Wenn sie alle total entkräftet im Dorf ankommen würden, wäre auch niemandem geholfen, im Gegenteil. Dankend wurde ihm noch zugenickt, während hinter ihm bereits das Getuschel begann und das Gehörte weiter gegeben wurde. Kirara stupste ihn mit der Schnauze an und gab ein Maunzen von sich. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, strich er ihr über den Kopf. Was würde er nur ohne die Nekomata machen, die ihn immer wieder ermutigte und ihm Halt gab? „Du hast Recht, bisher hatten wir Glück und das wird so bleiben.“ Zustimmend begann sie zu schnurren. ~~~ Kagome stand gemeinsam mit Sango und Shippo am Dorfrand und sah zu, wie sich Miroku und InuYasha von ihnen entfernten. Ihnen allen gefiel dieser Gedanke ganz und gar nicht, aber die Lage im Dorf war ernst. Ihnen mangelte es an so ziemlich allem. Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf. Auch wenn letzteres sich etwas entspannt hatte, dank des tatkräftigen Hanyou. Die zerstörte Ernte und auch der persönliche Besitz ließ sich aber nicht so einfach ersetzen, wie eine Hütte, für die es genug Baumaterial im Wald gab. Aus diesem Grund hatten die Männer nach langem Ringen einen Auftrag angenommen. Sie wären einige Tage unterwegs, aber wenn sie den Oni aus der anderen Siedlung vertrieben hatten, konnten sie von dort Nahrung mitbringen. Vielleicht auch etwas Stoff, mit dem die Frauen neue Kleidung nähen konnten. Oder ein paar Werkzeuge. Am dringlichsten wäre aber etwas zu essen und Saatgut, damit sie selbst wieder mit dem Anbau beginnen konnten. Für die beiden Frauen würden diese Tage jedenfalls anstrengend und nervenaufreibend werden, denn sie waren von nun an allein für den Schutz der Dorfbewohner verantwortlich. Noch immer trieben sich mehr als genug Oni in der näheren Umgebung herum, die bei der erstbesten Gelegenheit angreifen würden. Sango wandte sich als Erste ab und ihre Freundin folgte ihr, während Shippo es vorzog, noch länger draußen zu verweilen. Er wusste, dass die beiden nun eine karge Mahlzeit einnehmen würden und dies sollten sie in aller Ruhe tun – so lange würde er den Wald im Auge behalten, um früh genug Alarm schlagen zu können. „Was meinst du, Sango?“ „Ich mache mir Sorgen“, gab diese unumwunden zu. „Von dem, was Kohaku über seine Zeit bei Sesshomaru erzählt hat, glaube ich, dass dieser die Angreifer aufgespürt hat. Immerhin geht es um Rin. Aber…“ „Aber was?“ „Die Ältesten erzählten doch, dass es Sklavenhändler waren. Was, wenn sie bereits einen Teil ihrer Gefangenen verkauft haben? Oder wenn Kohaku sie nicht schnell genug findet und ihnen etwas zustößt?“ Die junge Miko seufzte schwer. „Darüber habe ich mir ebenfalls Gedanken gemacht. Nur was sollen wir machen?“ Ein frustrierter Laut seitens der Dämonenjägerin. „Das ist es ja! Wir können hier nicht weg! Ich zweifle nicht an den Fähigkeiten der beiden, es ist nur… Wir sind hier zum Nichtstun verdammt!“ Den Unmut konnte Kagome gut nachvollziehen. Sehr gut sogar. Auch bei sich selbst spürte sie langsam, wie sich Frustration aufbaute. Wie erging es da nur InuYasha? Ihm tat es höchstwahrscheinlich gut, diesem Auftrag nachzukommen. Somit konnte er zumindest etwas unternehmen, war nicht an diesen Ort gebunden. „Wir tun doch etwas. Wir bauen das Dorf wieder auf“, ein schwacher Versuch, etwas Positives an alldem zu finden. Sie mussten sich momentan einfach an alles Gute klammern, um nicht unter der Last zusammen zu brechen, die mit jedem Tag schwerer zu werden schien. Wenn in Kagomes Zeit Menschen im Fernsehen behauptet hatten, sie wollten endlich Gewissheit über das Schicksal eines vermissten Familienmitgliedes – und sei es auch der Fund der Leiche – hatte sie dies nie wirklich verstehen können. Jetzt konnte sie es. Nichts war so schlimm, wie diese nagende Ungewissheit. ~~~ Er wusste noch nicht, was er vom jetzigen Stand der Dinge halten sollte. Immerhin hatte er mehr Erfolg gehabt, als bei den Versuchen zuvor. Sie hatte Neugierde gezeigt und ihren Reaktionen nach völlig neue Erfahrungen gesammelt – sogar einen Ton hatte er der stummen Frau entlockt. Aber es war noch nicht genug! Während sie beide sich ankleideten, ließ er sie keine Sekunde aus den Augen. Etwas stimmt nicht, ihre Bewegungen waren steif. Aber weiter geschah nichts. Sollte das tatsächlich alles gewesen sein? Ein Pulsieren ihres Youkis, kaum wahrnehmbar – und würde er sich nicht mit all seinen Sinnen auf sie konzentrieren, es wäre ihm entgangen. Mit dem, was dann geschah, hatte selbst er nicht gerechnet. Es hatte keinerlei Anzeichen für das, was kam gegeben. Gerade eben noch stand ‚Neun‘ da, einen abwesenden Ausdruck in den Augen – und von einem Moment auf den anderen waren ihre Augen blutrot, eine Welle ihres mächtigen Youkis schob ihn tatsächlich einige Zentimeter zurück, so überrumpelt war er. Dann wechselte sie auch schon die Gestalt und eine große, silberne Hündin baute sich mit gefletschten Zähnen vor ihm auf. Wäre ihr Fell nicht so ungepflegt, wäre sie eine eindrucksvolle und edle Inu, keine Frage. Kein Funken Verstand war in ihrem Blick, nichts von der Sklavin war an der Gestalt vor ihm zu erkennen. Sesshomaru fand sich ihrem Biest gegenüber. Dem wilden, animalischen Teil eines jeden Youkai. So war das nicht geplant gewesen. Reizen hatte er sie wollen, aber nicht gleich ihr rationales Denken ausschalten. Jetzt hatte er ein ernstzunehmendes Problem. ‚Neun‘ hatte zweifelsohne nicht den Hauch einer Chance, die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen. Vielleicht hatte sie auch freiwillig der wilden Bestie in ihr die Führung überlassen. Ihre Überforderung war ihm nicht entgangen, aber das es gleich derart ausarten würde… Wenn es ihr Wille war, ihren Verstand auszuschalten, würde es verdammt schwer werden – für ‚Neun‘. Mit einem Sprung wich er einem Biss aus. Mit blanker Mordlust in den Augen setzte die Hündin hinterher, hieb mit den Pfoten nach ihm, schnappte immer wieder zu. Doch erwischen würde sie ihn nicht. Dafür waren die Bewegungen zu vorhersehbar, zu plump. Als hätte sie nie gelernt, mit dieser Gestalt umzugehen. Was eigentlich logisch war, wenn sie auch ihr Youki nicht kontrollieren konnte. Biest und Youki hingen zusammen, das eine ging nicht ohne das andere. Er wich noch eine ganze Weile aus, damit sie sich verausgabte. Vielleicht auch beruhigte, von alleine Herrin ihres Körpers wurde. Das Gegenteil war der Fall, er wurde immer schlimmer. Sie verfiel geradezu in blinde Raserei. Dann eben anders. Der DaiYoukai brachte genügend Abstand zwischen sie beide, ehe auch seine Augen die Farbe wechselten und er seine andere Gestalt annahm. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, stürzte sich ‚Neun‘ wieder auf ihn. Störte sich nicht im Mindesten daran, dass er größer und kräftiger war. Und im Gegensatz zu ihr, wusste er mit seinem Körper umzugehen, behielt einen klaren Kopf. Sie konnte nur verlieren. Ihm war dies klar, aber ihr nicht. Der Wechsel seiner Gestalt hatte sie nur weiter angestachelt. Sie war schlimmer als jeder Welpe, der bei seiner ersten Verwandlung durchdrehte – und dadurch, dass sie kein Jungtier mehr war, wurde das Ganze nicht gerade besser. Wer wusste schon, welche Veranlagungen sie besaß und unbewusst einsetzen würde? Um Giftangriffe musste er sich nicht sorgen, aber es gab noch genügend anderer Formen aktiver Fähigkeiten, die üble Verletzungen verursachen konnten. Bei ihm und bei ihr. Bei ihrem nächsten Vorstoß wich er nicht nach hinten, sondern zur Seite aus, ging direkt zum Gegenangriff über. Mit einem gezielten Biss in den Nacken packte er die Hündin und hielt sie fest. Da es kein richtiger Kampf war, übte er nicht genug Druck aus, um ihr dichtes Fell zu durchdringen und sie ernsthaft zu verletzen. Ihr Körper bäumte sich auf, wand sich in seinem Griff, versuchte zu entkommen. Ihre Kiefer klappten lautstark auf und zu, während sie blind nach allem schnappte, was sie möglicherweise erwischen konnte. Vergeblich, er ließ nicht locker, sondern verstärkte nun doch etwas die Intensität seines Bisses. ‚Neun‘ wechselte die Taktik und versuchte ihn mit einer ihrer Pfoten zu erwischen. Sesshomaru drückte seinen Kopf nach unten, zwang sie dazu, sich hinzulegen. Nahm ihr damit die nötige Bewegungsfreiheit. Sie versuchte zwar, sich dagegen zu stemmen, aber der Widerstand seiner Zähne brachte dies schnell zum Erliegen. Endlich lag sie still vor ihm, doch die Anspannung wich nicht. Solange sie ihre Niederlage nicht eingestand und sich unterwarf, konnte er nicht loslassen. Schlussendlich gab sie nach, ihr Körper erschlaffte. Nur langsam ließ er locker, jederzeit bereit wieder zuzuschnappen, sollte sie nochmals angreifen. Nichts dergleichen, zögerlich erhob sich die Inu, die Rute eingezogen, den Kopf gesenkt. Interessanterweise hatte sie auch in dieser Gestalt weder gebellt, noch geknurrt. Konnte sie es doch nicht? Aber er war sich sicher, einen Schrei von ihr gehört zu haben! Er verschob diesen Gedanken, denn gerade gab es Dringlicheres. Sesshomaru mochte die Hündin auf ihren Platz verwiesen haben, aber noch war die Sache nicht ausgestanden. Ihm gegenüber befand sich nach wie vor das Biest, keine Spur von der eigentlichen Persönlichkeit der Leibeigenen. Dennoch entschied er sich, wieder in seine übliche Erscheinungsform auf zwei Beinen zu wechseln, natürlich unter der aufmerksamen Beobachtung der Hündin. Diese legte die Ohren an und trat nervös mit den Vorderpfoten herum. Unentschlossen. „Es reicht.“ Obwohl er nicht sonderlich laut sprach, zuckte sie zusammen, wiegte den Kopf hin und her und fixierte ihn. Dann gab sich das Biest geschlagen, akzeptierte, dass er einen weiteren Ausbruch nicht tolerieren würde. Er war der Ranghöhere, auch das hatte es einsehen müssen. Der Wechsel war nicht zu übersehen, denn in dem ungewohnten Körper geriet ‚Neun‘ selbst im Stehen ins Straucheln. Selten hatte er einen so verwirrten Youkai gesehen – wenigstens war sie schlau genug, sich hinzusetzen, denn wahrscheinlich wäre sie sonst bei ihrem ersten Schritt bereits über die eigenen Pfoten gestolpert. Das gewohnte Schieflegen ihres Kopfes, wenn sie etwas nicht verstand und nachdachte. Geradezu hilfesuchend starrte sie ihn an, als sei er ihr einziger Anker, ihre Rettung. „Denk an deine gewohnte Gestalt“, war seine knappe Anweisung. Erfahrungsgemäß konnte die Rückverwandlung dauern, weshalb er nach guten zehn Minuten dennoch geduldig dastand und wartete. Druck war in einer solchen Situation kontraproduktiv. Die silberne Hündin erzitterte. Wurde kleiner. Gesundes Mittelmaß, wie er feststellte. Nicht die schnellste, aber auch keine von der lahmen Sorte. Die Sklavin kniete einige Meter vor ihm am Boden, noch immer starrte sie ihn an. Ihre Hände zuckten und ihr Atem wurde hektischer, doch sie tat ihr Bestes, wieder Herrin ihres Körpers zu werden. Was ihr gelang, auch wenn es ihr offensichtlich schwer fiel. ‚Neun‘ schlang die Arme um ihren Oberkörper und machte langsam aber sicher einen eher verstörten Eindruck. „Das eben war dein Biest, es hat dein Denken ausgeschaltet und deinen Körper dazu gebracht, deine wahre Gestalt anzunehmen“, er machte eine kurze Pause, „Das ist normal.“ Langsam, tatsächlich ein wenig beruhigt, nickte sie. Niemand schien ihr bisher so etwas erklärt zu haben. Kein Wunder, dass sie nicht wusste, was mit ihr geschah. „Spürst du es in dir?“ Sie blinzelte ihn mehrere Male an, runzelte die Stirn und horchte in sich hinein. Ihre Schultern verkrampften, doch abermals folgte eine bestätigende Kopfbewegung. „Verfolge die Energie, die von deinem Biest ausgeht.“ Einige Momente geschah nichts, dann spürte er ein Beben durch ihr Youki gehen. Ein Zeichen, dass sie erfolgreich war. „Jetzt dränge sie zurück, dämpfe den Energiefluss.“ Es kostete sie einige Anstrengung, wie er ihrer verkrampften Haltung entnahm, aber es funktionierte. Beinahe schon eine Erleichterung für ihn, dass sich ihm diese Präsenz nicht mehr aufdrängte. „Halte diesen Zustand.“ Gehorsam senkte sie den Kopf. Wortlos wandte er sich ab, um zum Lager zurückzukehren. Hinter sich ihre stolpernden Schritte. Zurück bei den anderen, ließ sich ‚Neun‘ augenblicklich auf den Boden fallen und rollte sich zusammen. Es bereitete ihr sichtlich Probleme, seiner Anweisung Folge zu leisten. Dafür aber, was in dieser Nacht geschehen war, hielt sie sich gut. Dies bewog ihn dazu, doch noch etwas von sich zu geben. „Gut gemacht.“ Kapitel 13: ------------ Dankbar darüber, dass ihr Herr ein Machtwort gesprochen hatte, schleppte sich ‚Neun‘ weiter. Anders konnte sie nicht bezeichnen, wie sie sich gerade fortbewegte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals in ihrem Leben so erschöpft gewesen zu sein. Körperlich als auch geistig. Zudem erforderte es ihre permanente Konzentration, ihr Youki zurückzuhalten. Einzig und allein der Gedanke daran, dass ihr sonst so wortkarger Herr ein Lob ausgesprochen hatte, gab ihr die nötige Kraft, nicht aufzugeben. Jetzt, da sie endlich etwas richtig zu machen schien und er zufrieden mit ihr war, war das Letzte, was sie wollte, ihn abermals zu enttäuschen. Wenn ‚Neun‘ es nicht besser wüsste, würde sie vermuten, dass ihr Schädel kurz vor dem Platzen stand. Nicht nur, dass sie in der Nacht ihre Gestalt gewechselt hatte, machte ihr zu schaffen. Rin hatte wenige Fragen gestellt – dafür aber genau die richtigen, um sie total aus der Bahn zu werfen. Jene, die ihr selbst nie in den Sinn gekommen waren. Worüber sollte sie da als erstes nachdenken? Einerseits war sie zutiefst erleichtert, dass ihr so etwas wie in der Nacht noch nie zuvor passiert war. Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, wenn kein erfahrener Youkai wie ihr momentaner Herr da gewesen wäre! Die Söldner ihrer Herren hatten immer einen gewissen Abstand zu ihr gehalten, obwohl sie selbst Youkai waren. Irgendetwas schien sie immer davon abgehalten zu haben, ihr zu Nahe zu kommen. Bei keinem von ihnen hatte 'Neun' je einen solchen… Ausbruch beobachtet. Nicht ein einziges Mal. Der Fürst aber hatte gesagt, dies sei normal… Nein, sie verstand einfach nicht, was da mit ihr passiert war. Was sie zudem verunsicherte, war, dass sie eine Erinnerungslücke hatte. Sie wusste noch, dass da etwas war, das sie von ihrer Hilflosigkeit befreien würde. Das Nächste, an was sie sich erinnern konnte, war, wie sie vor ihrem Herrn in ihrem anderen Körper stand und zunächst nicht wusste, was mit ihr nicht stimmte. Dazwischen herrschte gähnende Leere. Was war passiert? Zu gerne würde sie es wissen, bezweifelte jedoch, dass er ihr diese Frage beantworten würde. Außerdem hatte sie kein Recht dazu. Wenn es etwas gewesen wäre, von dem sie wissen sollte, hätte er es gesagt. So schienen die Ereignisse unbedeutend zu sein. Dennoch, so ganz ließ es sie nicht los. Als ob sie etwas verbrochen hätte… Sie runzelte kaum merkbar ihre Stirn und neigte den Kopf zur Seite. Auch das konnte nicht sein ...immerhin hatte er sie gelobt statt sie zu strafen. Abermals dachte sie an an Rins letzte Frage. „Weißt du deinen Namen?“ Bisher war es ‚Neun‘ nie in den Sinn gekommen, dass auch sie einst einen eigenen Namen besaß. Seit sie denken konnte, war sie Nummer Neun. Niemals wurde sie anders angesprochen, das war ihr Name. Aber Neun war eben kein Name, das hatte das Menschenkind richtig erkannt. Über was zerbrach sie sich da überhaupt den Kopf?! Es war unbedeutend für sie! ‚Neun‘ würde immer genau das sein: Eine Nummer, eine gehorsame Sklavin, die alles zur vollsten Zufriedenheit ihres Herrn tat. So war es und würde es auch in Zukunft sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Zumindest nicht lebendig. Unwillkürlich wanderte sie mit einer Hand zu ihrem Hals und fuhr darüber. Sprechen. Schon als kleines Kind hatte sie durch Beobachten gelernt, dass es eher nachteilig war, sich als Sklave akustisch zu äußern. Schweigen bekam einem besser. Also hatte sie nie angefangen, es zu versuchen. Warum auch etwas derart Unnützes erlernen? Nur was hatte sich an ihrer Situation geändert? Ein neuer Besitzer. Ein verwirrender Besitzer, der in ihren Augen nicht immer logisch handelte. Dazu das Mädchen, welches eine große Neugierde besaß. ‚Neun‘ ließ die Hand wieder sinken. Nein, bisher war sie mit Schweigen durchs Leben gekommen – und wer wusste schon, ob sie überhaupt in der Lage war, zu reden? Ihr Blick wanderte zu dem Mädchen. Was ging nur in ihrem Kopf vor? Was interessierte es Rin überhaupt, was mit ‚Neun‘ war? Sie sollte nicht so viel über Dinge nachgrübeln, die sich nicht ändern ließen. Ihr Leben war eben so, fertig. Und dennoch ...diese einseitige Unterhaltung wollte sie einfach nicht loßlassen... Das Eingreifen des Fürst war ihr nach wie vor das zweite große Rätsel, an dem sie knabberte und das sie nicht aus ihrem Kopf bekam. Natürlich war sie ihm dankbar, doch das bohrende 'warum' zerrte an ihren Nerven. Das wiederum brachte sie auch auf die Geschehnisse vor ihrer Verwandlung zurück. Erst tötete er sie fast, nur um sie dann zu nehmen. Das ergab keinen Sinn, erst recht weil er so … sanft zu ihr war. Unwillkürlich erinnerte sie sich an dieses unbekannte Gefühl und erschauderte. Ihr Blick blieb an seinem Rücken haften und zum gefühlt tausendsten Mal wollte sie verstehen, was in seinem Kopf vorging. Innerlich über sich selbst den Kopf schüttelnd, drängte sie diesen Wunsch beiseite. Er war der Herr, sie sein Sklave. Sie hatte lediglich zu gehorchen, nichts sonst. Es stand ihr nicht zu, sein Verhalten zu hinterfragen. Über was zerbrach sie sich überhaupt den Kopf? Es führte immer zu ein und demselben Ergebnis. ‚Neun‘ musste damit aufhören. Sie hatte einen Befehl erhalten und den würde sie befolgen. Bewusst fühlte sie nach ihrem Youki und überprüfte, ob es noch unterdrückt war. Nicht auszudenken, wenn sie vor lauter grübeln nachließ… Doch zu ihrer Erleichterung hatte sich nichts verändert und sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor sich. Nur, um den sorgenvollen Blick Rins auf sich zu spüren. ~~~ „Kagome! Sango!“ Beide Frauen hoben den Kopf beim Klang ihres Namens – da sprang Shippo bereits in ihr Sichtfeld. Die beiden waren gerade auf dem Weg zu den Feldern, als der aufgeregte Kitsune sie aufhielt. Es war bereits Abend, dennoch waren noch eine Handvoll Menschen dabei, die Felder zu richten. Zu eben jenen hatten die Freundinnen gewollt. „Was ist denn los?“ Auf Kagomes Frage hin atmete Shippo mehrmals durch, ehe er wieder sprechen konnte. „Kohaku ist zurück! Er hat sie gefunden!“ Wen, musste er natürlich nicht erwähnen und kaum hatte er in die entgegengesetzte Richtung gezeigt, als die von ihnen eingeschlagene, machten Miko samt Dämonenjägerin kehrt. Erstere hielt aber noch ein Mal inne „Shippo, informierst du unsere fleißigen Feldarbeiter?“ „Klar!“, schon lief der junge Youkai eilig weiter, um möglichst schnell wieder zurück zu sein. Kagome und Sango indes eilten zwischen den Hütten hindurch und ihnen schlossen sich die restlichen der Verbliebenen an, hatte sich die Nachricht doch anscheinend schnell verbreitet. Am Rande des Dorfes blieben sie schlussendlich stehen. Bis zum nächsten Stück Wald war es ein gutes Stück, daher würde es noch etwas dauern, bis die Heimkehrenden bei ihnen angelangt waren. Um sie herum brach Getuschel aus und manch erleichterter Laut war zu vernehmen, wenn jemand einen vermissten Verwandten erkannte. Auch Kagomes Blick ging über die Gesichter, ordnete ihnen Namen zu und überlegte sich bereits, wie sie auf die Nachricht vom Verlust geliebter Familienmitglieder reagieren würden. Und auf Kaedes, dies würde alle schwer treffen und ließ der Miko das Herz schwer werden. Abermals ging sie alle durch und Sango neben ihr sprach aus, was Kagome ebenfalls festgestellt hatte. „Rin fehlt.“ „Sie wird mit Sicherheit bei Sesshomaru sein“, sprach sie ihren Verdacht aus. Die Dämonenjägerin zögerte. „Müsste sie dann nicht längst zurück sein? Sesshomarus Gruppe wäre schneller gewesen.“ Dem konnte Kagome nicht widersprechen, aber sie äußerte einen anderen Gedanken. „Wenn er sie überhaupt wieder hierher bringt.“ Jetzt war es an Sango, zögerlich zu nicken. „Warten wir ab, was sie uns zu erzählen haben. Vielleicht klärt sich alles von selbst.“ Ihre Unterhaltung endete abrupt, als Kirara in ihrer kleinen Form auf sie zukam, nur um umgehend in Sangos Arme zu springen. Die beiden Frauen schmunzelten und wandten sich den ersten Neuankömmlingen zu. Es war bereits Nacht, als Kagome mit dem letzten Verwundeten fertig wurde und sich auf den Weg zu ihrer Unterkunft machen konnte. Sie teilte sich, mangels Alternativen, eine Hütte mit Shippo, Sango und deren Kindern. Kohaku würde ebenfalls bei ihnen unterkommen. Mittlerweile hatte sich auch die Aufregung wieder gelegt. Der schöne Moment, in dem sich Familien wieder vereint in den Armen gelegen hatten, war schnell verstrichen. Die Menschen waren müde von den Geschehnissen, hungrig… Dann erreichten sie endlich ihre Heimat, nur um festzustellen, dass diese ebenfalls Spuren davon getragen hatte, sie nicht in ihre sicheren Behausungen zurückkehren konnten. Kagome hatte sich die Zeit genommen und mit jedem, den sie notdürftig versorgte, zumindest ein paar Worte gewechselt. Ihnen gegebenenfalls ihr Beileid ausgesprochen und jedes Mal war auch der Name Kaede gefallen. Dadurch war die Miko nicht nur körperlich erschöpft, sondern auch geistig. Sie sehnte sich danach, endlich zur Ruhe kommen zu können. Zumindest für ein paar Stunden, ehe sie am nächsten Morgen der Realität ins Auge sehen musste. Natürlich freute sie sich, dass beinahe alle Bewohner des Dorfes da waren, aber es brachte eben auch Probleme mit sich. Ihre räumliche Situation hatte sich verschärft und auch mit der Nahrung würde es schwierig werden. Blieb nur zu hoffen, das InuYasha und Miroku nicht allzu lange brauchen würden. Mit einem schweren Seufzer betrat sie den kleinen Raum und ließ den Blick schweifen. Die Zwillinge schliefen bereits tief und fest, ebenso wie Shippo, der bei ihnen lag. Sango und ihr Bruder saßen noch am Feuer und schienen sich leise unterhalten zu haben. „Das hat aber lange gedauert“, bemerkte Sango, während sich Kagome bei ihnen niederließ. Diese legte erst Pfeil und Bogen ab, ehe sie ihre Freundin müde anlächelte. „Viele haben noch mit mir sprechen wollen. Die Menschen sind voll Trauer und Sorge… Ihnen fehlt es an Hoffnung.“ Verstehend nickten die Geschwister und Kohaku erklärte leise: „Ich hatte ihnen nichts Genaueres gesagt, um eben dies während der Reise zu verhindern.“ „Dir macht niemand einen Vorwurf, es war richtig, was du getan hast“, die Miko machte eine kurze Pause. „Dennoch, es wird schwer für uns alle werden. Wir müssen aber dafür sorgen, dass keiner von ihnen aufgibt. Wenn einer anfängt…“ Den Blick nachdenklich auf die Nekomata auf ihrem Schoß gerichtet, dachte Sango laut nach: „Wir haben hier genug Arbeit. Teilen wir sie so ein, das jeder etwas zu tun hat und nicht zum Nachdenken kommt.“ „Zumindest bis eure Männer zurück sind. Wenn sie sehen, dass wir wieder mehr Nahrung und Saatgut haben und auch der Wiederaufbau voran schreitet, werden sie auch neue Kraft und Hoffnung schöpfen“, fügte ihr Bruder hinzu. Bei seiner Wortwahl horchte Kagome auf „Wir? Du bleibst also?“ „Vorerst ja. Ich werde euch gewiss nicht im Stich lassen.“ Ehe die Miko ihrer Freude über diese Nachricht Ausdruck verleihen konnte, ergriff Sango bereits das Wort. „Du hast von der Sache mit Rin gehört?“ Augenblicklich wich das Lächeln aus dem Gesicht der Gefragten: „Ja, habe ich. Wenn sie jemand findet, dann ja wohl Sesshomaru.“ „Hoffen wir es…“, murmelte die Dämonenjägerin, ehe sich schweigen über sie legte. ~~~ Hungrig blickte ‚Neun‘ hinüber zum Feuer. Jaken und Rin hatten Fische gefangen und diese brieten gerade. Zur Abwechslung Mal hatte die Sklavin sich nicht um die Nahrungsbeschaffung kümmern können, denn ihr Herr hatte sie anderweitig gefordert. Schon am Vortag hatte er zu ihrer aller Überraschung bereits am Nachmittag Halt gemacht und ihnen mitgeteilt, dass sie im Schutze des kleinen Hains auch die Nacht verbringen würden. Sie hatte ihre Chance gleich genutzt, um noch eine weitere Runde zu schlafen. Am Abend wurde sie von Rin geweckt, die sich mit einem ehrlichen, schuldbewussten Blick entschuldigte – aber weit und breit hatte die Kleine keine Möglichkeit gesehen, sich zu versorgen, daher hatte sie sich an ‚Neun‘ gewandt. Diese hatte sich umgesehen und festgestellt, dass ihr Herr nicht da war, also war sie der Bitte des Kindes nachgekommen. Rin hatte ihre Blicke beim Essen bemerkt und ihr ebenfalls etwas angeboten, sodass auch die Inu ihren Hunger hatte stillen können. Dass sie schon wieder das Bedürfnis hatte, essen zu müssen, sollte ihr eigentlich zu denken geben. Dabei lag der Grund auf der Hand. Kaum hatten sie ihr karges Mahl am Abend beendet, war der Fürst aufgetaucht und hatte ‚Neun‘ mitgenommen. Es hatte eine weitere Lektion im Umgang mit ihrem Biest und ihrem Youki gegeben, an deren Ende sie sich einmal mehr zurück ins Lager geschleppt hatte und an Ort und Stelle eingeschlafen war. Das Ganze war aber auch anstrengend… An diesem Tag hatten sie ebenfalls bereits am Mittag ihr Lager aufgeschlagen, nur hatte ihr Herr sie umgehend mit sich genommen. Jaken und Rin hatten da bereits entschieden, dass sie am nahegelegenen Fluss Fische fangen würden. Es hatte die Sklavin seltsamerweise berührt, als das Menschenkind ihr strahlend verkündete, dass heute Mal sie die Youkai versorgen würde und nicht umgekehrt. Sie kannte das Gefühl nicht, das die Fürsorge des Kindes in ihr ausgelöst hatte. Ihre Verwirrung hatte sie aber nicht mehr zum Ausdruck bringen können, da ihr Herr sich bereits entfernte. Kurz löste sich ihr Blick von dem verlockenden Fisch und wanderte zu besagtem Youkai. Auch heute hatte er sie im Umgang mit ihren Kräften unterwiesen und ‚Neun‘ hatte sich große Mühe gegeben. Das Unterdrücken ihres Youkis fiel ihr mittlerweile überraschend leicht, sie musste nicht mehr ihre gesamte Konzentration dafür aufbringen. Wie sie aber merkte, war das noch längst nicht alles, was sie seiner Meinung nach können musste. Zu ihrer eigenen Enttäuschung gelang es ihr nicht immer, seinen Anweisungen nachzukommen. Auch wenn er selbst sie nicht rügte und geduldig blieb, es machte ihr zu schaffen. Wenn er sie wenigstens bestrafen würde! Aber er tat nichts dergleichen, sondern machte mir einer stoischen Ruhe weiter, die ihresgleichen suchte. Dabei hatte sie das doch gar nicht verdient. Immerhin versagte sie, kam seinen Forderungen nicht nach. Das durfte nicht passieren. Beim nächsten Mal würde sie es besser machen. ‚Neun‘ ballte unwillkürlich die Hände. Sie musste besser werden! Immerhin wusste sie doch jetzt etwas, das sie tun konnte, um ihn zufrieden zu stellen. Also musste sie es auch tun! Eine andere Option stand nicht zur Debatte. „Essen ist fertig!“ Rins fröhlicher Ausruf brachte ihr sofort die vollständige Aufmerksamkeit der Inu ein. Diese ließ sich nicht zwei Mal bitten und begab sich zu Jaken und Rin ans Feuer, um ihren Anteil entgegen zu nehmen – der zu ihrer Überraschung größer als erwartet ausfiel. Die Kleine bemerkte ihre Überraschung und strahlte ‚Neun‘ an. „Ich habe mir extra viel Mühe gegeben, damit es für uns alle reicht!“ Ein kleines Lächeln stahl sich auf die Lippen der Sklavin und sie senkte dankbar den Kopf. Gerade als sie sich erheben und auf ihren Platz gehen wollte, legte sich eine Hand auf ihren Arm und ließ sie inne halten. Es war wieder das Kind, welches sie aufgehalten hatte. „Bleib doch sitzen, du musst nicht gehen.“ Zögerlich sank ‚Neun‘ zurück, wich dabei dem Blick des murrenden Kappas aus. Offenbar war es nicht seine Idee gewesen, sie mit ihnen essen zu lassen… Unschlüssig, ob sie nun darauf reagieren sollte, blieb sie wo sie war und konzentrierte sich lieber auf ihr Mahl. Denn wenn sie es richtig einschätzte, würde sie heute noch eine weitere Einheit absolvieren dürfen… Da brauchte sie alle Energie, die sie kriegen konnte. Abermals sah sie sich im Lager um und stellte fest, das Ah-Uhn sich am Flussufer in der Sonne ausgestreckt hatte und vor sich hin döste. Ihr Herr saß nach wie vor einige Meter entfernt an einen Baum gelehnt, hatte aber die Augen geschlossen. Ob er schlief? So ganz sicher war sie sich da nicht. Nachdenklich kaute sie auf dem nächsten Bissen herum und neigte unwillkürlich den Kopf. Was ihr Herr wohl vor hatte? Ohne Grund lehrte er sie mit Sicherheit nicht den Umgang mit ihren Kräften. Dass er es aus Gutmütigkeit tat, schloss sie von vornherein aus. Irgendetwas musste er also damit bezwecken… Da schlug er die Augen auf und erwiderte ihren Blick – umgehend sah sie nach unten und zog den Kopf ein. Jetzt hatte er sie auch noch beim Starren erwischt… Doch wieder blieb ein Tadel aus und sie wandte sich den anderen zwei am Feuer zu. Von ihnen hatte zum Glück keiner ihren Fauxpas bemerkt, denn Jaken und Rin hatten begonnen miteinander zu zanken. Nichts Ungewöhnliches, wie sie mittlerweile wusste. Schien irgendwie dazu zu gehören… Man könnte meinen, die beiden konnten sich nicht ausstehen. Die Sorge des Kappas, als Rin ohnmächtig war und seine Freude über ihr Erwachen sprachen da aber gänzlich andere Sprache. Irgendetwas hatte das Menschlein an sich, anders konnte sich ‚Neun‘ nicht erklären, warum sie unter dem Schutz eines Fürsten stand. Überhaupt war es schon sehr verwunderlich, wie vertrauensvoll Rin mit der bunt gemischten Gruppe umging. Auch in der vergangenen Nacht schien sie einen schlechten Traum gehabt zu haben – abermals hatte sie Trost beim Fürsten gesucht und diesen auch erhalten. Das war geradezu absurd. Ebenso wie die Fürsorge, die sie ihr zuteilwerden ließ. Sie sollte sich nicht um jene Sklavin sorgen, die ihr ihre Kette angelegt hatte. Dennoch tat sie es. Das war entgegen jedweder Vernunft. Nur warum wunderte sie sich überhaupt? In dieser Gruppe schien sich so oder so niemand für solcherlei Dinge zu interessieren. ‚Neun‘ bekam kaum mit, wie sie ihr Mahl beendeten und wurde erst zurück in die Realität gerissen, als ihr Herr sich erhob und sie auffordernd ansah. Hatte sie sich also nicht getäuscht. Mit mehreren Schritten Abstand, folgte sie dem Fürsten und betrachtete dabei gezwungenermaßen seine Rückansicht. Ein Schauder lief über ihren eigenen Rücken. Berührungen ließen sich bei ihren Übungseinheiten nicht vermeiden und irgendwie hatte sie dadurch ein Vertrauen zu ihm aufgebaut, das sie bisher zu keinem anderen Herrn hatte. Wenn diese sie berührt hatten, war es selten angenehm für ‚Neun‘ gewesen. Sie verband mit den Meisten einfach nichts Positives. Nicht, dass sie ihre Herren angeekelt hätten, aber sie mochte es eben nicht. Zu grob waren sie, interessierten sich nicht dafür, wie es ihr ging. Selbstredend hatte sie ihr rücksichtsloses Verhalten dennoch nie in Frage gestellt, sondern stumm akzeptiert… Der Fürst aber hatte sie seit vorletzter Nacht nicht mehr verletzt. Wenn er sie anfasste, passierte nichts. Außer vielleicht, dass sie einen Fehler korrigieren konnte und somit ihrem Ziel, ihn zufrieden zu stellen, näher kam. Aber da war noch mehr. Sie bekam die Erinnerung an den gemeinsamen Akt nicht aus dem Kopf. All das, was sie dabei empfand, war ihr bisher unbekannt gewesen. Sie mochte diese neuen Empfindungen aber – und er hatte sie ihr gezeigt. Mit gewissen Erstaunen über sich selbst, musste ‚Neun‘ feststellen, dass sie sich nicht nur so bemühte, weil er ihr Herr war und sie dies tun musste. Nein, sie WOLLTE ihm tatsächlich gefallen. Kapitel 14: ------------ Die Tage im Dorf vergingen wie im Fluge. Es gab so viel zu tun und als InuYasha mit Miroku zurückkam, hatten sie neben Saatgut auch einige Werkzeuge dabei, die ihnen ihre Arbeit deutlich erleichterten. Lange waren die beiden nicht geblieben, sondern direkt am nächsten Tag wieder aufgebrochen. An diesem Abend stand Kagome allein auf einem Hügel und blickte auf das Dorf hinab. Zwei weitere Bewohner waren ihren Verletzungen erlegen, dafür schienen sich die anderen Verwundeten umso besser zu erholen. Manch einer war bereits auf den Beinen und trug auch einen kleinen Teil zum Wiederaufbau bei. Felder wurden gerichtet, die stehenden Hütten ausgebessert und die ersten Neuen waren bereits in Arbeit. Zwischen den Menschen herrschte auch ein viel festerer Zusammenhalt als früher. So ein Erlebnis schweißte zusammen, das konnte niemand bestreiten. Das Einzige, was ihr Sorge bereitete, war, dass sie weiter nichts über Rins Verbleib wussten. Sango war zu der Überzeugung gelangt, dass Sesshomaru sie so oder so nicht mehr im Dorf lassen würde. Kagome selbst war sich da nicht so sicher. Häufiger hatte sie sich mit Kaede – allein schon ihren Namen zu denken schmerzte – über deren Schützling unterhalten. Der Fürst hatte sie bei der alten Miko gelassen, damit sie wieder unter Menschen kam. Dorthin, wo sie hin gehörte. So wenig man es bei seiner Erscheinung und seinem Auftreten vermuten mochte, er sorgte sich um Rin, wusste aber auch, dass diese mehr brauchte, als nur einen Beschützer. Die menschliche Nähe konnte er nicht ersetzen, daher hatte er sie bei ihnen gelassen. Gleichzeitig auch eine Botschaft. Er traute es seinem Halbbruder zu, diesen Ort vor Gefahren zu bewahren. Dennoch, er würde Rin sicherlich herbringen. Dieses Dorf war das zu Hause der Waise und das würde er ihr nicht nehmen. Ein frischer Wind kam auf und ließ sie frösteln. Es wurde Zeit, ihren abendlichen Rundgang anzutreten und sich dann in ihre Hütte zurückzuziehen. Bei dieser Gelegenheit wollte sie auch Kaedes Grab aufsuchen. Zwei weitere Tage waren vergangen, in denen sich zusehends etwas im Dorf getan hatte. Kagome verließ soeben eine der Behausungen, in der einer ihrer Patienten lag, als sie mit ihren Sinnen zwei sich nähernde Personen bemerkte. Sofort stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen und sie lief zum Dorfrand, suchte mit den Augen die Umgebung ab. Sie hatte sich nicht getäuscht, Miroku und InuYasha waren zurück. Beide Männer waren schwer bepackt, was auf weiteres Material hoffen ließ. Die Freude war bei allen groß, erst recht, als sich zeigte, dass mehrere Bahnen Stoff unter den Mitbringseln waren. Diese schnappten sich gleich eine Gruppe von Frauen, die daraus Kleidung nähen würden. InuYasha förderte noch einen kleinen Beutel zutage, den er wortlos Kagome überreichte und sich dann abwandte. Darüber konnte sie nur den Kopf schütteln, besah sich aber den Inhalt und musste dann Schmunzeln. Er hatte ihr einige Kräuter mitgebracht, die nicht in der Nähe des Dorfes wuchsen und von denen sie Nachschub brauchte, da die Vorräte ja zerstört waren. Das war typisch InuYasha… Sie blickte sich suchend nach ihm um und fand ihn schließlich etwas abseits von der Menschenansammlung, die sich um ihn und Miroku herum gebildet hatte. Schnell war sie bei ihm angekommen. „Danke.“ Er nickte lediglich und schien mit den Augen die Anwesenden abzusuchen. Kagome wusste, nach wem er Ausschau hielt, obwohl der fehlende Geruch bereits Antwort genug war. „Er war nicht hier.“ Tröstend legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Eine Geste, die er früher nie zugelassen hätte. „Es geht ihr bestimmt gut. Sesshomaru wird sie gefunden haben.“ Ein widerwilliges Schnauben war die Antwort. InuYasha gab es nicht gerne zu, aber er sorgte sich nicht nur um Rin, sondern fühlte sich sogar ein Stück weit schuldig. Mehr noch als bei den anderen Dorfbewohnern, denn sein Halbbruder hatte Rin bei ihnen im Dorf gelassen. Die Akzeptanz und das bisschen Respekt, die er sich beim Kampf gegen Naraku bei seinem Bruder verdient hatte, konnte er getrost vergessen. Was das Schlimme daran war: Sesshomaru hatte verdammt noch mal recht. InuYasha selbst würde nicht anders reagieren, würde es um Kagome gehen. So lange hatten sich die beiden bekämpft, waren dann endlich auf einen grünen Zweig gelangt… Es war sogar genug Vertrauen vorhanden gewesen, dass sein Halbbruder in gewisser Weise sein Mündel in InuYashas Obhut gab. ~~~ Ein gewisser Alltag war für ‚Neun‘ eingekehrt. Ihre Reise, wohin auch immer, ging nur langsam voran, da sie immer wieder für ihre Übungseinheiten unterbrochen wurde. Langsam aber sicher schien sich ihr Körper an die veränderten Anforderungen gewöhnt zu haben. Zwar nahm sie an jeder Mahlzeit teil, aber fiel nicht mehr bei jeder Gelegenheit in einen komatösen Schlaf. Manchmal aber auch rasteten sie einfach so, ohne einen für sie ersichtlichen Grund. So war es auch jetzt. Während der Reitdrache wieder in der Sonne döste, tat der Kappa wichtig und behielt die Umgebung im Auge. Lächerlich, sie waren auf einer offenen Fläche, niemand würde sich hier anschleichen können. Dazu noch, dass sie es eh riechen oder hören würde, sollte sich ihnen jemand nähern. „Jetzt musst du den Stiel hier durch ziehen.“ Aufmerksam verfolgte sie die Hände Rins, die ihr vormachten, was sie selbst tun sollte. Was auch immer es sollte, es war Beschäftigung und schien der Kleinen wichtig zu sein. Also tat sie einfach, was von ihr verlangt wurde. Mit ihren Krallen musste sie ziemlich aufpassen und ihr zerbrechliches Werk musste öfters geflickt werden, doch dann schien das Menschlein zufrieden zu sein und zeigte ihre, wie sie das komische Gebilde schloss. ‚Neun‘ hielt es hoch, betrachtete es und legte den Kopf schief. Rin strahlte sie ein „Dein Blumenkranz ist wirklich schön geworden!“ Mehr als ein Blinzeln erntete sie nicht von Seiten der Youkai, die noch immer versuchte, den Sinn hinter dieser Aktion zu verstehen. Doch die Jüngere schien sich daran nicht zu stören, sondern stand auf. „Ah-Uhn, guck Mal, was wir tolles für dich haben!“ Träge hob der Drache beide Köpfe und gähnte erst mal. Derweil wurde ‚Neun‘ an der Hand gepackt und zu dem Reittier gezogen. Je ein Kopf besah sich einen Kranz und schnupperte daran. „Still halten“, murmelte Rin und legte dem Kopf vor ihr ihre Blumenkette um, ehe sie ‚Neun‘ auffordernd anblickte. Die zuckte gedanklich mit den Schultern und legte auch ihre Kette dem Drachen um. Das Menschenkind neben ihr klatschte in die Hände. „Toll! Komm, wir machen gleich noch welche.“ Wieder wurde die Sklavin an einer Hand gepackt und von dem Mädchen hinterher gezogen, das erneut auf jenes Stück Wiese zu hielt, auf dem sie bereits Blumen gepflückt hatten. Über die Schulter sah sich ‚Neun‘ den Drachen an, der bereits wieder döste. Begeisterung sah anders aus, also war sie zumindest nicht die Einzige, der offenbar der Sinn für so etwas fehlte. Ihre zweite Blumenkette bekam sie jedenfalls schon besser hin, als die Erste. Auch wenn sie sich doch fragte, wie sie in diese Situation gekommen war. Warum machte sie das alles mit? Es war keine Aufgabe ihres Herrn, dennoch hatte sie ohne zu zögern gehorcht, als die Kleine mit ihr Blumen pflücken gehen wollte. Ihre zweite Kette war kleiner als die erste. Also schien sie nicht für Ah-Uhn zu sein. Für wen dann? Auch Rin hatte dieses Mal deutlich weniger Blumen genommen. „Fertig! Halt den Kopf gerade.“ Etwas perplex saß ‚Neun‘ da und ließ zu, dass ihr Rin den Blumenkranz auf den Kopf setzte. Das Mädchen lächelte sie an. „Du bist wirklich hübsch!“ Eine Bezeichnung, von der ‚Neun‘ nicht sagen würde, dass sie auf sie zutraf. Aber da sie eh nicht widersprechen konnte, nahm sie diese Worte einfach hin. Irritiert sah sie dann, wie Rin den Kopf vorbeugte. Was sollte das denn jetzt wieder…? Dann aber dämmerte es ihr und vorsichtig legte sie Rin die Blumen um den Hals. Eine gänzlich andere Kette als jene, die sie der Kleinen zuvor angelegt hatte. Irgendwas daran tat ihr leid. Nur was? Sie verstand nicht, was da gerade in ihr vorging. Warum dachte sie überhaupt über so etwas nach? Doch der Mensch vor ihr schien sich zu freuen und begann, wie bereits öfters in den letzten Tagen, zu reden. So wirklich wollte die Youkai nicht alles glauben, was sie da zu hören bekam, wenn Rin von ihren früheren Reisen mit dem Fürsten erzählte, vom Kampf gegen Naraku – und von ihrer neuen Heimat. Von Dämonenjägern, einem Mönch und einer Miko, die gemeinsam mit einem Kitsune, einer Nekomata und einem Hanyou Seite an Seite kämpften. Das Klang selbst in Anbetracht ihrer eigenen seltsamen Reisegruppe zu verrückt. Welche Miko ließ sich denn auf Youkai ein? Selbst wenn es nur Hanyou waren. Überhaupt wollte sie ihren Ohren nicht trauen, als Rin zum ersten Mal vom jüngeren Halbbruder ihres Herrn erzählte. Immerhin sprachen sie von einem der vier Fürsten, einem offensichtlich stolzen und vor allem reinen InuYoukai. Ein Hanyou-Bruder passte da nicht ins Bild. Zum einen, weil auch der gemeinsame Vater ein Fürst gewesen sein muss und welcher hochrangige Youkai ließ sich schon auf einen schwachen Menschen ein? Zeugte auch noch einen Hanyou? Zum anderen erschien es ihr nicht sehr plausibel, dass ihr Herr einen solchen Bastard dulden würde. Wenn das heraus kam, würde das kein gutes Licht auf seine Familie werfen. Es wäre doch viel einfacher, diesen auszuschalten. Viel konnte ein Mischling einem Youkai doch eh nicht entgegensetzen. Zumindest jene, die ‚Neun‘ gesehen hatte. Auch wie schnell sie die Kontrolle verloren, weil das dämonische Blut zu stark war… Nur etwas Wahres musste an der Sache dran sein, solche Geschichten konnten nicht komplett frei erfunden sein. Vielleicht würde sie diese seltsame Truppe treffen, dann konnte sie sich selbst ein Bild davon machen… ‚Neun‘ hielt in ihren eigenen Gedanken inne. Seit wann interessierte sie so etwas? ‚Neun‘ machte einen Satz zur Seite. Nur weg aus der Gefahrenzone. An jener Stelle, an der sie bis eben stand, traf die grünlich leuchtende Klaue ihres Herrn den Boden. Glück gehabt, auch wenn er sie bisher nicht damit verletzt hatte. War sie zu langsam, stoppte er rechtzeitig seinen Angriff. Nur wenige Millimeter von ihrer Haut entfernt, aber immerhin. Woran das lag, wusste sie nicht sicher zu sagen, aber sie vermutete, es hing damit zusammen, dass er kein Interesse daran hatte, auf diese Art und Weise herauszufinden, wie ihr Körper mit seinem Gift klarkam. Sie auch nicht, wenn sie ehrlich war. Zwar wusste sie, dass ihr für Menschen tödliche Gifte nichts anhaben konnten… Aber zwischen dem Angriff eines solchen Youkais und einigen Beeren, die ihr unters Essen gemischt wurden, in der Hoffnung, sie damit auszuschalten, gab es dann doch gewaltige Unterschiede. Abermals musste sie sich mit einem Sprung in Sicherheit bringen. Zwar sollte sie auch selbst angreifen, doch fiel ihr dies schwer. Immerhin war das ihr Herr, gegen ihn konnte sie doch nicht die Hand erheben. Andererseits war es eine klare Anweisung seinerseits und sie bezweifelte, ihm ernsthaft schaden zu können. Also überwand sie sich, hob die Hand und lenkte ihr Youki dorthin. Etwas, das sie noch nicht sonderlich beherrschte – was sich umgehend rächte. Schon fand sie sich auf dem Boden wieder. Um ihren Hals lag in einer eindeutigen Geste die Hand ihres Herrn. Unter normalen Umständen wäre sie tot. Schon wieder. Warum versagte sie andauernd? „Du bist schneller geworden“, stellte er da fest. Sachlich, in keinster Weise ein Lob – aber sie wusste diese Worte durchaus zu schätzen. Erinnerten sie diese doch daran, dass sie zu Anfang dieser Übung kaum dazu kam, ihr Youki zu erfühlen, ehe er sie hatte. Dass sie es bereits in ihre Hand leiten konnte, war ein Fortschritt. Aber noch lange nicht gut genug, was ihr ebenfalls klar war. ‚Neun‘ traute sich nicht, zu nicken, daher schlug sie nur die Augen nieder. Ihre Position verunsicherte sie. Er war über ihr – und zwar so richtig. Sie lag zwischen seinen Beinen, während er über ihrem Körper hockte. Das machte sie tatsächlich nervös. Diese Nähe, die sie an etwas anderes erinnerte. Ruckartig löste er sich von ihr und augenblicklich vermisste sie etwas. Normal war das sicher nicht. Nie hatte sie dermaßen reagiert. Schnell erhob sie sich, drängte das Gefühl, wie immer, nieder und konzentrierte sich auf ihren Herrn. Dieser verzieh keine Unachtsamkeit, wie sie gelernt hatte. Zwei Stunden später beendete ihr Herr die Übung, nachdem sie es mehrmals hintereinander schaffte, ihre Youki-Sicheln zuverlässig abzufeuern. Nicht, dass sie ihn tatsächlich getroffen hatte, aber immerhin schaffte sie es, ihre Energie schnell genug an den gewünschten Punkt zu leiten und den Angriff auszuführen. Ehe sie auf den Boden befördert wurde, versteht sich. Sie atmete tief durch – und verzog das Gesicht. Schien so, als müsste sie sich wieder einen Fluss suchen, um sich und ihre Kleidung zu säubern. Fragend blickte sie zu ihrem Herrn, der ihr aber nicht wie sonst ein knappes Nicken schenkte, als Zeichen, dass sie gehen dufte. Stattdessen lief er einfach davon. Sie wusste, er konnte sich eigentlich schneller bewegen, tat dies aber nicht, damit sie folgen konnte. Was sie natürlich umgehend tat. Der Fürst ließ ihr die Möglichkeit, bis auf wenige Schritte aufzuholen, ehe er das Tempo wieder anzog, sodass ihr Abstand gleich blieb. Erst nach einigen weiteren hundert Metern bemerkte sie, dass sie nicht auf den Weg zurück zum Lagerplatz waren. Sesshomaru warf einen Blick über die Schulter zurück. Seine neuste Begleitung folgte ihm nach wie vor. Gut so. Ihre Kondition hatte sich wesentlich verbessert, ebenso wie sie bei allem anderen stetig Fortschritte machte. Bis sie ihr Ziel erreicht hatten, wäre sie ihrer vorläufigen Aufgabe gewachsen. Dass sie dieser nachkommen würde, bezweifelte er nicht. Außerdem schien Rin die Youkai mittlerweile zu mögen, was ein weiterer Pluspunkt war. Als er vor zwei Tagen zurück kam (zurückkam) und die Inu mit dem Blumenkranz auf dem Kopf sah, wusste er sofort, dass das Rins Werk war. Auf der einen Seite ein Zeichen für ihn, dass das Menschenkind langsam wieder zu ihren alten Freuden zurück fand, aber auch dafür, dass sie ‚Neun‘ vertraute. Ein klein wenig konnte er ‚Neun‘ aber noch fordern. Eben noch hatte er sie kurz gemustert – dann war er weg und sie sah lediglich einen gelben Orb verschwinden. Was zum… Egal was das gerade war – sie musste sich beeilen, hinterher zu kommen, ehe sie ihn komplett verlor. ‚Neun‘ streckte ihre Fühler aus, spürte einen Hauch von seinem Youki, dass er wohl mit Absicht frei ließ, damit sie ihn finden konnte. Ihr Herr entfernte sich abermals urplötzlich weiter von ihr. Das sie ihn einholen sollte war offensichtlich, nur wie? Verbissen presste sie die Lippen aufeinander, konzentrierte sich auf jenen Punkt, an dem sie ihn spürte. Mehr unbewusst als bewusst nutzte sie ihr Youki – und staunte nicht schlecht, als sie plötzlich wieder hinter ihm war. Vor Überraschung kam sie ins straucheln und rannte fast gegen einen Baum, ehe sie sich fing. Was konnte sie denn noch alles?! Sesshomaru spürte ‚Neuns‘ Youki. So ganz die Kontrolle hatte sie nicht, aber das war zweitrangig. Was für ihn mehr zählte, war, dass sie tatsächlich in der Lage war, ihn einzuholen und dies auch tat – auf dieselbe Weise, wie er sie abgeschüttelt hatte. Da sah er auch darüber hinweg, dass sie beinahe mit einem Baum kollidierte. Denn das ‚Neun‘ absolut keine Ahnung von ihrem Körper hatte und zu was dieser fähig war, wusste er mittlerweile zur Genüge. Egal bei was, ihre erste Reaktionen waren Überraschung und ungläubige Blicke. Ihm stellte sich lediglich die Frage, wie jung sie war, als sie von ihren Eltern getrennt wurde. Denn das war sie ohne Zweifel gewesen, so wenig wie sie wusste. Auch erklärte sich ihre Unterwürfigkeit so, hatte sie doch scheinbar von klein auf dieses Verhalten eingebläut bekommen. Für den heutigen Tag reichte es aber. Daher verlangsamte er seine Schritte, führte sie noch tiefer in das Waldstück hinein, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Hinter ihm blieb sie ebenfalls stehen, während sich vor ihnen der Dampf einer großen, heißen Quelle ausbreitete. Wenn er es recht bedachte, konnte er selbst diese Gelegenheit ebenso nutzen. Verunsichert beobachtete ‚Neun‘ ihren Herrn, der zwischen den Dampfschwaden hindurch ging. Unweit vom Rand der Quelle löste er seinen Brustpanzer, als auch seine Schwerter und legte diese ab. Was sollte sie jetzt tun? Hier stehen und abwarten, bis er fertig war? Oder sollte sie sich einen anderen Platz suchen, um sich zu säubern? Nur nebenbei registrierte sie, wie er sich vollständig entkleidete und in das Wasser stieg. War ja nicht das erste Mal, dass sie einen Mann unbekleidet sah, zumal es auch nur seine Rückseite war. Mehrere Minuten lang geschah nichts und nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. Dann hörte sie den Fürsten, der es sich bereits gemütlich gemacht hatte. „Komm.“ Mit vorsichtigen Schritten trat ‚Neun‘ näher heran, ehe sie ihr Haarband löste und den Schlüssel daneben ins Gras legte. Dann erst schälte auch sie sich aus ihrer Kleidung, nur um dann inne zu halten. Sie konnte die Stücke doch nicht in dem Wasser säubern, in dem ihr Besitzer saß. Nun, wenn er fertig war, könnte sie sich noch darum kümmern. Vorausgesetzt, er ließ ihr genug Zeit… Eine andere Möglichkeit sah sie aber nicht, weshalb sie den Stoff nah am Rand der Quelle ablegte, um ihn direkt greifen zu können. Dann erst stieg sie in das entspannend warme Nass. Nicht, dass ihr die kühlen Flüsse etwas ausmachten, aber sie wusste den Luxus von heißen Quellen durchaus zu schätzen. Da sie nur selten die Gelegenheit dazu bekam, genoss sie es umso mehr. Auch wenn sie nach wie vor nicht wusste, was sie davon halten sollte, dass ihr Herr sie mit sich zusammen baden ließ. Da das Becken nicht sonderlich tief war, suchte sie sich, ebenso wie ihr Herr, eine geeignete Stelle und ließ sich dort nieder. Natürlich in angemessenem Abstand zu ihm. Ihre geschundenen Muskeln entspannten sich zusehends, was sie sehr genoss und für einige Minuten die Augen schloss. Doch so wirklich kam sie nicht zur Ruhe, weshalb sie bald wieder zu dem Fürsten sah. Dieser schien im Gegensatz zu ihr keinerlei Probleme zu haben. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie sie nur in diese Lage hatte geraten können. Nur so langsam arrangierte sie sich damit und musste zugeben, dass ihr neuer Besitzer durchaus Vorteile hatte. Mit all dem Unbekannten würde sie schon irgendwie fertig werden. Trotz der Gefahr erwischt zu werden, musterte sie sein Gesicht, welches gerade nicht ganz so kalt wirkte. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein, weil sie diese unterkühlten, goldenen Augen nicht sehen konnte. Manch einer ihrer Besitzer hatte eine beeindruckende Ausstrahlung gehabt, doch gegen ihn verblassten sie alle. Schon allein ein Blick von ihm… ‚Neun‘ zuckte zusammen, denn er starrte zurück. Sofort senkte sie den Blick und zog den Kopf ein. Das war doch nicht mehr normal… Die Wasseroberfläche geriet in Aufruhr und sie ahnte, dass er auf sie zukam. Am liebsten würde sie sich ganz klein machen, ließ es aber bleiben. Ihre Haltung war bereits demütig und sie wollte keine falsche Bewegung machen. Sie spürte eine klauenbewährte Hand auf der Haut an ihrem Nacken und ohne das sie es verhindern konnte, stellten sich an ihrem gesamten Körper die Haare auf. ‚Neun‘ war wie erstarrt. Auf der einen Seite fürchtete sie sich vor einer Zurechtweisung, doch dem gegenüber standen diese zarten Berührungen, die sie ebenfalls durch ihn erfahren hatte. Er bewegte sich, strich ihr über die vor Spannung harten Muskeln und ließ sie erschaudern. Alles nur mit einer so einfachen Geste. Langsam wandte sie den Kopf zur Seite und erschrak fast, als sie merkte, wie nah er ihr schon wieder war. Da sie nicht wusste, was sie davon halten sollte, wagte sie es doch, den Blickkontakt zu suchen, um so einen Hinweis zu erhalten, was er vorhatte. ‚Neun‘ schluckte, als sie bemerkte, dass sich seine Mundwinkel leicht anhoben. Obwohl er ohne Zweifel gefährlich war, strahlte er aber gerade etwas anderes für sie aus. Eine Sicherheit, die sie in dieser Form bisher nicht kannte. Die sie Vertrauen fassen ließ. Von ganz allein löste sich ihre verkrampfte Haltung und sie drehte sich leicht. Neugierig darauf, was der Fürst an diesem Abend noch mit ihr vorhatte. Kapitel 15: ------------ Mit gerunzelter Stirn prüfte ‚Neun‘ den Stand der Sonne. Sie waren seit dem Morgen ohne Unterbrechung unterwegs, keine der sonst üblichen Übungseinheiten war von ihrem Herrn eingeschoben worden. Bald wäre es Abend und dennoch machte er keinerlei Anstalten, einen Platz zum Rasten zu suchen. Ein immenser Unterschied zu sonst. Was wohl der Auslöser war? Ihr Blick blieb am Rücken ihres Besitzers hängen. Es enttäuschte sie auf gewisse Weise, dass er sich heute nicht mit ihr beschäftigte. Als sie vor einigen Tagen in der Quelle saßen, hatte er nichts weiter mit ihr getan. Eine Tatsache, die sie tatsächlich kurz Bedauern verspüren ließ – ehe sie sich ihres Ranges besann und das Gefühl verdrängte. Sie durfte nichts von ihm einfordern. Umso mehr hatte sie die Übungsstunden genossen. Einerseits, weil sie dort zeigen konnte, was für eine gute Sklavin sie war; Aber auch, weil sie ihm dann näher war, während des Reisens mit der Gruppe. So wirklich wusste sie nicht, was sie davon halten sollte. Auch wenn sie nicht genau benennen konnte, was es war – sie wusste nur, dass sie anders zu ihm stand, als zu ihren bisherigen Herren. Manche davon hatte sie mehr gemocht als andere, aber es hatte nie etwas an ihrem Verhalten geändert. Sie hatte ihnen allen gute Dienste erwiesen. Anders bei ihm. Des Öfteren erwischte sie sich dabei, wie sie nach einem so seltenen Lob von ihm lechzte, nach einer Berührung… Jede Form der Aufmerksamkeit von ihm sog sie geradezu auf. War das gut? Sie wusste es nicht. Nur in einem war sie sich sicher: Sie fürchtete den Tag, an dem er ihrer überdrüssig werden sollte und sie nicht mehr haben wollte. Rins Stimme riss sie aus ihren Gedanken „Sakura? Nein, das passt nicht…“ Aus den Augenwinkeln blickte sie zu dem Mädchen, welches neben ihr lief und angestrengt überlegte. Am Morgen hatte das Kind entschieden, dass ‚Neun‘ doch kein Name sei und begonnen zu überlegen, wie sie wirklich heißen könnte. Seit dem grübelte sie über alle ihr bekannten Namen nach und sprach viele laut aus – auf Jakens Gemecker hin hatte sie erklärt, dass jeder doch irgendwie auf den eigenen Namen reagierte. Und wenn Rin per Zufall ‚Neuns‘ Namen aussprach, würde von dieser bestimmt eine Reaktion kommen. Am Anfang hatte sie es noch mit Namen versucht, die ihrer Meinung nach zu der Sklavin passten. Kirschblüte gehörte nicht dazu, daher kam er wohl so spät. Warum sich Rin nur solche Mühe machte? Es war ‚Neun‘ schleierhaft, zumal es sie nicht im Geringsten störte, mit ihrer Nummer angesprochen zu werden. Sie hatte sogar versucht, es für das Menschenkind klar verständlich zu machen – Jaken hatte vorgelesen, was sie für Rin auf die Tafel geschrieben hatte. Gebracht hatte es nichts, die Kleine war von ihrem Vorhaben schlicht nicht abzubringen. Ein äußerst eigensinniger Mensch, wie Neun nicht zum ersten Mal feststellen musste... Nun, bald würden ihr mit Sicherheit die Ideen ausgehen. So langsam wiederholten sich manche auch. Ihre Ohren zuckten und abermals ließ sie den Blick umherschweifen. Die Gruppe wanderte durch einen Wald, der ungewöhnlich ruhig war. Kein Oni war in der Nähe. Ein Schatten glitt über sie hinweg und ließ ‚Neun‘ zum Himmel sehen. Ein paar vereinzelte, weiße Wolken durchbrachen das helle Blau, ein paar Vögel… Was ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war ein Falke gewesen, der sich aber entfernte. „Das ist doch…“ Abermals wandte sie sich Rin zu, doch diese starrte auf einen alten Brunnen, der sich vor ihnen auf einer Lichtung mitten im Wald befand. Die Miene des Kindes hellte sich auf, sie schien sich zu freuen – warum auch immer. Sie schien diesen Ort zu kennen, aber mehr konnte sich ‚Neun‘ auch nicht zusammenreimen. Die Gruppe hielt sich aber nicht lange dort auf, sondern wanderte weiter. Ihre Nasenflügel bebten, als sie tief durchatmete und die neuen Gerüche analysierte, die ihr zugetragen wurden. Schien so, als würden sie sich einer Menschensiedlung nähern. Bisher hatten sie diese gemieden, also konnte dies nur eines bedeuten. Sie mussten das Dorf erreicht haben, in dem Rin bisher lebte. Am Dorfrand stand eine bunt gemischte Gruppe und verabschiedete sich für die Nacht. Für sie alle war es in einer Hütte zu eng geworden und da mittlerweile die ersten neuen Unterkünfte fertig gestellt waren, waren Miko und Hanyou samt Kitsune umgezogen. Sie waren so ziemlich die Letzten, die noch auf den Beinen waren. Kein Wunder, denn längst hatte es begonnen zu dämmern. InuYashas Kopf flog herum und augenblicklich schien er sich anzuspannen. Etwas, das seinen Freunden nicht entging und auch diese wachsam in dieselbe Richtung blicken ließ. Shippo, der auf Kagomes Schulter saß, verengte die Augen und beugte sich vor, um mehr zu sehen. „Ist das nicht…“ Kohaku bestätigte. „Sesshomaru ist zurück.“ Sie brauchten keine Worte, um zu wissen, dass es ihnen allen ähnlich ging. Auf der einen Seite war es natürlich gut, dass es „nur“ der DaiYoukai war, der sich ihrem Dorf näherte und kein später Angreifer. Andererseits wusste keiner von ihnen einzuschätzen, wie er sich ihnen gegenüber verhalten würde. Sollte er Rin gefunden haben, standen ihre Chancen auf ein friedliches Aufeinandertreffen nicht allzu schlecht. Falls nicht, hatten sie ein Problem. InuYasha indes hatte einen weiteren, bekannten Geruch ausgemacht. „Rin ist bei ihm.“ Diese Aussage ließ einige erleichtert aufatmen, aber die Anspannung verflog nicht vollständig. Dafür war es noch zu früh. Langsam konnten sie die Neuankömmlinge besser sehen. Die altbekannte, hochgewachsene Gestalt des DaiYoukais befand sich einige Meter vor seinem Gefolge. Etwas an dem Bild irritierte sie aber – der zweiköpfige Drache war nicht schwer zu erkennen, ebenso wenig der viel kleinere Kappa daneben. Was störte, war das neben dem Drachen zwei Personen liefen. Eine davon war eindeutig Rin, doch die zweite war ihnen völlig unbekannt. „Eine Inu...“, stellte Shippo leise fest. Kohaku fügte hinzu: „Hinagiku erwähnte, dass der Sklavenhändler eine dämonische Sklavin hatte, die Sesshomaru mit sich nahm.“ Viel mehr wussten sie nicht, die ehemaligen Gefangenen hatten nur wenige Worte über ihre Zeit in den Verliesen verloren. „Jedenfalls scheint er nicht auf Ärger aus zu sein. Sonst hätte er Rin nicht dabei“, äußerte Kagome ihre Vermutung. Wenn er sein Mündel dabei hatte, musste es einfach ein gutes Zeichen sein. Mittlerweile war die Gruppe deutlich näher gekommen und Rin beschleunigte ihre Schritte, lief an ihrem Meister vorbei und fiel freudestrahlend als erstes Kagome um den Hals. Diese musste, trotz ihrer Nervosität wegen Sesshomaru, ebenfalls lächeln und drückte das Mädchen an sich. Die Freude Rins war nicht zu übersehen, sie strahlte sie alle an und sogar InuYasha wurde kurzerhand von ihr gedrückt. Der Fürst wiederum stand nur wenige Schritte entfernt und beobachtete aufmerksam das Geschehen. Die Begeisterung Rins war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie hier am besten aufgehoben war. Ihre Freude hielt jedoch nur so lange an, bis sie eine einzige Frage stellte: „Wo ist Kaede?“ InuYasha saß gemeinsam mit Shippo in der Hütte und wartete. Sein Halbbruder hatte ihn keines Blickes gewürdigt und auch sonst keinerlei Anzeichen gemacht, in irgendeiner Form Notiz von seiner Anwesenheit zu nehmen. Das war noch schlimmer, als wäre er auf ihn los gegangen, um ihn für sein Versagen zu strafen. Doch diese blanke Ignoranz… Sehr zu seinem Leidwesen blieb Shippo still und gab ihm damit keinerlei Anlass, seinem Ärger Luft zu verschaffen. Warum er überhaupt so gereizt war, konnte der Hanyou selbst nicht sagen. Sollte er nicht froh sein, dass Sesshomaru so gelassen geblieben war? Immerhin hatte dieser nach Kagomes Versicherung, sich um Rin zu kümmern, lediglich genickt und war seiner Wege gegangen. Jaken, Ah-Uhn und auch fremde Youkai im Schlepptau. Nichts sonst. Kagome war daraufhin mit Rin gegangen, um sie zu Kaedes Grab zu bringen. Interessierte es Sesshomaru tatsächlich so wenig, wie es Rin ging? Aber das passte nicht zu seinem bisherigen Verhalten, wenn es um sie ging. Nur wie sonst war zu erklären, dass er sie absetzte und einfach verschwand? Seine Grübelei wurde unterbrochen, als Kagome die Hütte betrat. Allein. Sofort zuckten die fragenden Blicke von Shippo und InuYasha zu ihr. Leise erklärte die Miko „Sie wollte allein sein. Wenn sie nicht kommt, werde ich noch mal nach ihr sehen.“ Sie lächelte dabei gezwungen, denn auch Kagome wusste nicht wirklich, was sie von dem kurzen Besuch des Youkais halten sollte. Ebenso wenig, wie sie mit Rin umgehen sollte. Für Kagome war der Verlust von Kaede bereits schwer zu verkraften, wie musste es da erst für die Waise sein? Kaede war ihre Hauptbezugsperson im Dorf gewesen. Rin blickte nur kurz auf, als sie bemerkte, dass sich jemand zu ihr gesellte, kaum dass Kagome gegangen war. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sich ‚Neun‘ neben ihr im Gras niederließ und den Kopf schief legte, als ihr Blick auf das Grab fiel. Natürlich freute sie sich sehr, als sie bemerkte, wo sie waren. Sie hatte es kaum erwarten können, Kaede, Kagome und die anderen wiederzusehen. Die kurze Pause, die ihr Meister vor ihrer Ankunft noch einlegte, um ihr und ‚Neun‘ einige Anweisungen zu geben, hatte ihre Vorfreude eher noch angeheizt. Umso erdrückender war das Schweigen gewesen, als sie nach Kaede fragte. Mit einem Ruck war sie zurück auf den Boden der Tatsachen geholt worden, hatte da erst überhaupt registriert, dass das Dorf gänzlich anders aussah, als sie es in Erinnerung hatte. Ein wenig tat es ihr Leid, Kagome gebeten zu haben, sie allein zu lassen. Sie wusste, die anderen vermissten Kaede ebenfalls und trotzdem hatte die junge Miko sich bemüht, sie zu trösten. Abermals liefen ihr einige Tränen über die Wangen. Wäre Sesshomaru-sama hier, könnte sie sich in sein Fell kuscheln. Zwar würde sie von ihm keine Worte des Trosts hören, aber bei ihm fühlte sie sich nach wie vor am sichersten. Als würde seine pure Anwesenheit alles Übel dieser Welt von ihr fernhalten. Eine Hand wurde auf ihren Rücken gelegt und streichelte unbeholfen auf und ab. Obwohl ihr nicht danach zumute war, Rin musste etwas lächeln. „Danke Neun.“ So ganz allein hatte ihr Meister sie doch nicht zurückgelassen. Nur zeigte sich seine Fürsorge etwas anders als sonst üblich – er hatte ihr ‚Neun‘ mitgegeben. Dass die Yokai noch einige, explizitere Anweisungen erhalten hatte, als Rin bereits mit Kagome Richtung Grab unterwegs gewesen war, würde Rin nicht wundern. Ob dazu auch gehörte, sich so um sie zu kümmern? Obwohl ‚Neun‘ offensichtlich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Wäre Kaede hier, würde sie diese einfach nach ihrer Meinung fragen. Die alte Miko hatte immer einige kluge Worte parat gehabt. Rin zog die Beine an, schlang ihre Arme darum und legte den Knopf auf ihren Knien ab. Sie hatte sich nicht verabschieden können, dabei gab es so viel, das sie noch hatte sagen wollen. Längst war es deutlich dunkler geworden und abgekühlt. Dessen wurde sie sich erst bewusst, als ‚Neun‘ ihr eine Decke um die Schultern legte. ‚Neun‘ hatte sich stillschweigend zu dem Menschenkind gesetzt, dessen Wohlergehen von nun an erster Stelle für sie stand. Sie hatte von ihrem Besitzer noch einige genaue Anweisungen erhalten und sich dann mit einer Decke aus Ah-Uhns Satteltasche von der Gruppe getrennt. Ihr Körper erzitterte bei dem Gedanken, dass sie nun auf sich und ihren eigenen Instinkt gestellt war. Selbstständig arbeiten war nichts Unbekanntes für sie, ebenso wenig wie eine gewisse Verantwortung zu übernehmen. Doch diese Aufgabe nun… Das waren vollkommen ungewohnte Ausmaße. Ihr Herr war nicht in der Nähe, kontrollierte ihre Arbeit nicht umgehend. Sie war auf sich allein gestellt. Musste im Ernstfall selbst Entscheidungen treffen. Das machte ihr Angst. ‚Neun‘ war aber gewillt, ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie würde ihren Besitzer nicht enttäuschen. Wenn er wieder kam, sollte er sehen, dass sie dem allen gewachsen war. Dass er ihr nicht zu viel zugetraut hatte. Mit aller Gewissenhaftigkeit und all ihrem Pflichtbewusstsein würde sie ihr Bestes tun und seine Erwartungen erfüllen! Die erste Herausforderung ließ aber nicht lange auf sich warten. Rin war offensichtlich sehr traurig und wie sie wusste, brauchten Menschen in solchen Situationen jemanden, der ihnen Halt gab. Nur wie tat man das? Warum war diese Miko überhaupt gegangen? Die war schließlich ein Mensch und musste das doch können! Da sie es nicht besser wusste, streichelte sie dem Mädchen etwas über den Rücken. Diese Geste hatte sie schon einige Male in ihrem Leben beobachten können und sie schien in einer solchen Situation angebracht zu sein. Ganz daneben schien sie nicht zu liegen, denn Rins Tränen versiegten und sie lächelte sogar ein wenig. Mehr wusste sie nicht zu tun, weshalb ihre Gedanken wieder abschweiften. Bei der Ankunft im Dorf war sie ziemlich verwirrt gewesen. Natürlich, durch Rins Erzählungen hätte sie vorbereitet sein sollen – aber dennoch, diese Gruppe… Schon allein die Miko mit dem Kitsune auf der Schulter war ein vollkommen abstruser Anblick gewesen. Dazu noch der Hanyou, der ihren Herrn nicht aus den Augen ließ und anscheinend mit allem möglichen rechnete… Der Mönch und die zwei weiteren Menschen waren da fast nicht erwähnenswert. Dennoch, auch wenn die Frau und der junge Mann gewöhnliche Kleidung trugen – ihr Auftreten gegenüber den Youkai, die wachsame Haltung, all das verriet ihr, dass sie es mit mehr als einfachen Bauern zu tun hatte. Diese waren leicht einzuschüchtern und hätten ängstlich reagiert. Des Weiteren war der Hanyou in dem Dorf geduldet, was ebenfalls nicht der Regel entsprach. An Rins Geschichten schien sehr viel mehr wahr zu sein, als ‚Neun‘ bisher angenommen hatte. Nur was bedeutete das wiederum für sie selbst? War es gut oder schlecht für sie, dass in diesem Dorf Youkai und Hanyou waren? Gut, weil sie wohl ebenfalls geduldet werden würde, was ihr einiges erleichtern würde. Schlecht, weil nicht abzuschätzen war, inwieweit sie von den nicht menschlichen Wesen toleriert werden würde. Das wiederum konnte zu Problemen führen, denn sie würde sich nicht von ihrer Aufgabe abbringen lassen. Sie würde abwarten müssen, wie sich die Dinge entwickelten. Noch konnte sie keinen von ihnen einschätzen. Ein Anfang wäre es wohl, nicht offen zu zeigen, wie wenig sie von Hanyous hielt… Nebenbei registrierte sie wie Rin anfing zu frieren und legte dieser die Decke um. Beim Anblick des Dorfes hatte sie sich umgehend gefragt, ob die Versorgung des Menschen gesichert war. Einen Schlafplatz eingeschlossen. Ihr Herr schien ähnliche Befürchtungen zu haben, denn als sie fragen wollte, ob sie eine Decke mitnehmen durfte, wies er sie bereits an, ebendies zu tun. Das einzige, was sie nicht wirklich wunderte und Fragen aufwarf, war die überschwängliche Begrüßung seitens Rin. Die schien alles und jeden zu mögen, egal welcher Art derjenige angehörte. In dem Moment, in dem sie daran dachte, bewies ihr das Mädchen, wie recht sie damit hatte. Rin schien immer weiter wegzudämmern und kam im Halbschlaf der einzigen Wärmequelle näher. Mit anderen Worten: Noch ehe ‚Neun‘ erfasste, was das Menschenmädchen vorhatte, hatte sich diese bereits an ihre Brust gekuschelt. Das war ihr in ihrem bisherigen Leben noch nie passiert. Nicht nur ein Kind… noch nie hatte jemand auf diese Art ihre Nähe oder ihren Schutz gesucht. Musste sie irgendetwas beachten? Einfach sitzen bleiben? Aber sollte sie die Kleine nicht lieber zu ihrer Unterkunft bringen? Dies erschien ihr am klügsten, weshalb ‚Neun‘ die Decke um Rin fester zog, ehe sie nach ihren Schreibutensilien griff. Während auf ihrem rechten Arm das Hauptgewicht ihrer schlafenden Fracht lastete, stützte sie mit dem linken Arm diese ab, während sie bemüht vorsichtig aufstand. Die Miko hatte gesagt, sie würde sich um Rin kümmern, also würde sie diese auch zu der Frau bringen. Schnell hatte sie die Fährte der Menschenfrau aufgenommen und folgte dieser hinein ins Dorf. Hier wurde es aufgrund der vielen Gerüche schwieriger, dennoch fand ‚Neun‘ recht schnell den Weg zu einer neu erbauten Hütte. Dort drinnen roch sie ebenfalls den Hanyou und den Kitsune-Welpen. Interessant. Was bei der Priesterin wohl falsch gelaufen war? Normal war das sicher nicht! Aber all das Grübeln brachte ihr nichts. Sie musste da rein, fertig. Alles Weitere würde sich zeigen. Kagome und InuYasha hatten sich mehr oder weniger darüber unterhalten, was sie mit Rin machen sollten. Zu einem Ergebnis waren sie nicht wirklich gekommen. Shippo hatte sich schnell ausgeklinkt und schlief bereits tief und fest. Noch während sie redeten, hatte Kagome einen weiteren provisorischen Schlafplatz für die Waise eingerichtet. Fehlte nur noch das Kind. Mittlerweile war es auch ziemlich spät geworden, weshalb die Miko InuYasha bitten wollte, sie zu Kaedes Grab zu begleiten. Allein wollte sie nicht durch die Dunkelheit laufen. So weit kam es aber nicht, denn der Vorhang, welcher momentan als Tür diente, wurde zur Seite geschlagen. Das erste, was ihnen ins Auge stach, war silbernes Haar – es dauerte mehrere Augenblicke, bis sie die Youkai erkannten, welche Sesshomarus Gruppe begleitete. Gleich darauf registrierten sie, dass die Fremde die schlafende Rin auf den Armen trug. Außerdem war diese in eine Decke gewickelt und hatte sich mit beiden Händen in dem Oberteil der Youkai festgekrallt. Eben diese stand da wie bestellt und nicht abgeholt, blickte ratlos in die Runde. InuYasha öffnete bereits den Mund, um eine zweifelsohne weniger freundliche Aussage zu tätigen, doch Kagome war schneller und deutete auf das für Rin gedachte Lager. „Du kannst sie dorthin legen.“ Die Unbekannte nickte ihr zu und setzte sich in Bewegung. Aufmerksam sahen Hanyou und Miko dabei zu, wie sich die Youkai hinkniete, erst ein Brett und ein Stück Kohle ablegte, ehe sie sehr vorsichtig und umsichtig Rin auf ihr Lager bettete. Zumindest schien das der Plan gewesen zu sein. Doch die Schlafende hielt sich nach wie vor am Haori der Frau fest. Die Situation wurde noch absurder, als die Inu sehr umständlich versuchte, den Griff des Mädchens zu lösen und gleichzeitig nicht auf dieser zu landen, denn um Rin abzulegen, hatte sie sich ziemlich weit nach vorne gebeugt. Das sich ihr bietende Bild brachte Kagome doch zum Schmunzeln, vor allem als die Youkai aufgab und eindeutig nicht mehr weiter wusste. Einen Moment zögerte die Priesterin, aber da InuYasha anwesend war… „Leg dich einfach neben sie.“ Ihr Vorschlag schien überdacht und als gut befunden zu werden. Nach einigen zögerlichen Mometen und mit größter Vorsicht, um das Kind nicht zu wecken, legte sich die Youkai neben Rin nieder, die sich umgehend an die Inu schmiegte. Jetzt, da ihr Problem gelöst war, atmete die Fremde tief durch und musterte dann die beiden Sitzenden. Wieder war es Kagome, die das Wort ergriff: „Was genau sollst du hier machen?“ Mehr als ein Stirnrunzeln kam nicht. Jetzt schaltete sich InuYasha ein „Antworte gefälligst!“ Doch wieder kam nichts, was den Hanyou unwillkürlich dazu brachte, ein Knurren auszustoßen. Dafür erntete er eine Reaktion, denn die Youkai zeigte ihm die Zähne. Nach wie vor aber kein Ton von ihr. Ehe das weiter ausarten konnte, erklang ein „InuYasha…“, Kagomes warnende Tonfall ließ den Hanyou zusammenzucken. Er trug nach wie vor den vermaledeiten Rosenkranz. Die Miko wandte sich indes wieder der Youkai zu. „Du gehörst doch zu Sesshomaru, oder?“ Ein Nicken. Immerhin etwas, womit sich arbeiten ließ. „Und wie heißt du?“ Da ihr rechter Arm von Rins Körper blockiert wurde, hob die Unbekannte die linke Hand, griff nach etwas an ihrem Hals und hielt es hoch. Erst jetzt nahmen InuYasha und Kagome die Goldkette wahr. Ihnen wurde eine Marke, ebenfalls aus Gold, entgegen gehalten. Mehr für sich murmelte die Priesterin „Nummer Neun…“ und schluckte dann. Sie blickte zu ihrem alten Weggefährten, der ebenso wie sie stockte. Bei ihnen in der Hütte lag eine Sklavin, die bisher kein Wort mit ihnen gesprochen hatte und ihre Nummer als Namen ansah. Was hatte Sesshomaru ihnen da nur wieder dagelassen?! Kapitel 16: ------------ Die Nacht im Dorf verging relativ entspannt. Kagome hatte sich schlussendlich niedergelegt um zu schlafen – wenn auch mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Sie vertraute darauf, dass InuYasha über ihren Schlaf wachte, weshalb sie dennoch die nötige Ruhe und Erholung fand. Der Hanyou selbst hatte kein Auge zugetan. Er traute der Leibeigenen nicht über den Weg, egal ob sein Bruder sie geschickt hatte oder nicht. Wenn dem überhaupt so war. Sie hatte ihnen gegenüber keinerlei Auskunft gegeben, was nicht sonderlich vertrauensfördernd war. Daher hatte er sie lieber im Blick behalten. Was sie nicht besonders gestört hatte. Mit einem letzten, wenig freundlichen Blick zu ihm, hatte sie die Augen geschlossen und die Nacht über gedöst. Unterm Strich hatte er von den Anwesenden die am wenigsten erholsame Nacht. Und wofür? Um einer Youkai beim Ruhen zuzusehen. Noch bevor die Dämmerung einsetzte, tat sich endlich etwas. Die Sklavin schlug die Augen auf, verengte diese und atmete hörbar mehrmals ein und aus. Er selbst roch nichts, aber das musste nichts heißen. Es war durchaus möglich, dass sie als reinblütige Inu schlichtweg einen ausgeprägteren Geruchssinn besaß. Zwar lag Rin nach wie vor an sie gekuschelt da, hatte aber den Griff ihrer Hände gelöst. Das ausnutzend, entwand sich die Frau den Armen des Mädchens, ohne diese zu wecken und deckte sie wieder ordentlich zu. Lautlos verließ sie daraufhin die Hütte. InuYasha dachte nicht lange nach, sondern stand umgehend auf, um ihr zu folgen. Wer wusste schon, was sie vor hatte? ‚Neun‘ verzog den Mund unwillig, als sie ihren Verfolger bemerkte. Nicht genug, dass er sie die gesamte Nacht über angestarrt hatte, als würde sie jeden Moment angreifen oder sonst was Gefährliches tun – nein, sein Gestank wollte gar nicht mehr aus ihrer Nase verschwinden! Dem Ganzen setzte seine Verfolgung die Krone auf. Unwillkürlich bleckte sie die Zähne und dachte an einige Szenen in den Kerkern ihrer Herren, wenn ein Hanyou nicht spurte und in den Genuss einiger Erziehungsmaßnahmen kam. Zwar war dies nie eine ihrer eigentlichen Aufgaben gewesen, aber manchmal hatte es sich ergeben, dass auch sie sich um solch einen Fall kümmern durfte. Aber das war vergangen. Sie musste sich wohl oder übel mit der Anwesenheit des Bastards abfinden. Wobei… Ihre Stimmung hellte sich etwas auf und kaum hatte sie die letzten Hütten hinter sich gelassen, schoss sie in Energieform davon. Daher dauerte es nicht lange, bis sie den Grund für ihren Aufbruch erreicht hatte. Drei Oni, mit schweren Keulen in den plumpen Händen, wie sie von einem Versteck in den Baumkronen aus feststellte. Es war nur der Hauch ihres Geruches gewesen, der sie hatte aufmerksam werden lassen. An sich waren sie weit genug vom Dorf entfernt, sodass kein Handlungsbedarf bestand. Nur war es ein willkommener Vorwand gewesen, um von dem Hanyou weg zu kommen. Zudem war jeder Gegner gleichzeitig Übung, welche sie dringend benötigte, um den Ansprüchen ihres Herrn gerecht zu werden. Sollte er wiederkommen und sie keine sichtbaren Fortschritte gemacht haben, wäre es eine Schande. Das würde sie niemals zulassen, er sollte zufrieden mit ihr sein. Sehen, dass sie kein faules Stück war, sondern auch dann an sich arbeitete, wenn er nicht daneben stand. ‚Neun‘ suchte sich einen anderen Ast, von dem aus sie eine bessere Ausgangsposition hatte, hob die rechte Hand und lenkte ihre Youkai dorthin. Das, was ihr an Kraft und Erfahrung fehlte, machte sie durch ihre Schnelligkeit wett. Präzise musste sie sein, damit der erste Schlag auch tödlich war – und nach Möglichkeit sollte sie sich nicht selbst besudeln… Diese Vorsätze vor Augen ging sie zum Angriff über. InuYashas Laune hatte sich mit dem Verschwinden der Youkai massiv verschlechtert. Durch ihre Aktion hatte sie ebenso noch mehr Misstrauen bei ihm erweckt, weshalb er grob jene Richtung einschlug, in die sie sich entfernt hatte. Bald schon konnte er sie riechen, ebenso wie den Gestank von Blut. Die Quelle war nicht schwer ausfindig zu machen und wenige Minuten später besah er sich den Schauplatz des Kampfes. Sofern es überhaupt ein richtiger Kampf gewesen war. Es gab kaum Spuren, die auf einen solchen hindeuteten. Dennoch, die leblosen Körper mit den sauber aufgeschlitzten Kehlen ließen keinen anderen Schluss zu. Von der InuYoukai war aber nichts zu sehen. Ihrem Geruch folgen fiel ebenfalls aus, da sie sich anscheinend wieder in Energieform fortbewegt hatte. Unzufrieden mit diesem Ergebnis machte sich InuYasha auf den Rückweg zum Dorf. Sicher war sicher, denn sollte die Frau etwas im Schilde führen, wollte er vor Ort sein und eingreifen können. Was der Hanyou nicht wusste, war, dass sich sein Beobachtungsobjekt auf die Suche nach einer heißen Quelle gemacht hatte, um schnellstmöglich die Blutflecken aus ihrer Kleidung zu bekommen. Insofern war es wohl für alle Beteiligten besser, dass er sie nicht fand. Kagome war die nächste, die mit Einbruch der Morgendämmerung erwachte. Ihr erster Blick ging zu jener Stelle, an der InuYasha am Abend noch gesessen hatte. Dort war er aber nicht. Sofort wandte sie den Kopf und sah zu Rin. Auch dort fehlte ein dämonisches Wesen, das dort hätte liegen sollen. Was war in der Nacht geschehen? Gab es eine Auseinandersetzung? Obwohl es so kurz nach dem Erwachen einiges mehr an Konzentration forderte, tastete sie mit ihren imaginären Fühlern nach den Vermissten. InuYashas altbekannte Energie befand sich am Rande der Siedlung und kam auf sie zu. Von der fremden Youkai aber keine Spur, sie befand sich nicht in der Nähe. Nicht wirklich beruhigt erhob sich die Miko und trat vor die Tür, um auf ihren langjährigen Weggefährten zu warten. Kaum dass er vor ihr stand, wollte sie auch schon wissen „Ist etwas passiert?“ Ein undefinierbares Grummeln war die Antwort. Ein Hinweis für Kagome, dass, was auch immer los war, das Ergebnis ihn nicht zufrieden stimmte. Rasch musterte sie InuYasha, fand keinerlei Verletzungen oder sonst etwas, dass ihr weiter helfen konnte. „Lass uns frühstücken“, schlug sie daher vor, wohl wissend, dass er mit gefülltem Magen eher gewillt war, Auskunft zu geben. Rin drehte sich erneut unruhig im Halbschlaf, tastete vergeblich nach einer Wärmequelle. Zum ersten Mal seit Tagen erwachte sie, ohne den immer warmen Körper eines Youkai neben sich vorzufinden. Diese Feststellung, zusammen mit dem Geruch nach Essen, ließ sie wacher werden und die Augen aufschlagen. Sie starrte die Decke einer Hütte an und überlegte fieberhaft, wo sie war. Stück für Stück sickerten die Ereignisse des vergangenen Tages in ihr Bewusstsein und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Kaede war… In dem Versuch, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, setzte Rin sich auf. Am Feuer saßen InuYasha und Kagome, letztere rührte in einem kleinen Topf. Auch Shippo kehrte zurück ins Reich der Erwachten und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Wie war sie hierhergekommen? Sie saß mit ‚Neun‘ draußen… Und in der Nacht hatte definitiv jemand neben ihr gelegen und ihr damit einen ruhigen Schlaf ermöglicht. War das ‚Neun‘? Nur wo war sie jetzt? „Guten Morgen, Rin“, die Worte der jungen Miko rissen diese aus ihren Gedanken und sie erwiderte den Gruß mit einem Lächeln – nur, um sogleich wieder fragend in die Runde zu blicken. „Wo ist denn Neun hin? Sie war doch hier, oder nicht?“ Irritiert stellte das Mädchen fest, wie sich InuYashas Gesicht verdunkelte, während Kagome alarmiert zu diesem sah. Lediglich Shippo schien ebenso wenig wie sie zu wissen, was vor sich ging. „Du meinst diese silberhaarige Youkai mit der Goldkette?“, hakte Kagome sicherheitshalber nach. Irgendwie hatte sie gehofft, dass Rin ihnen den Namen der Unbekannten verraten könnte. Dass sie aber ebenfalls die Nummer benutzte, sprach dagegen. Eifriges Nicken war die Antwort. „Ja genau, das ist Neun. Sesshomaru-sama hat sie von dem Sklavenhändler mitgenommen. Eigentlich ist sie ganz lieb.“ Ein Kommentar verkniffen sich Shippo und Kagome dazu. Immerhin fand Rin auch Sesshomaru toll – etwas, das nach wie vor nur schwer nachvollziehbar war. „Ach, wenn sie so nett ist, warum gibt sie keine vernünftigen Antworten?“, wollte aber InuYasha in seinem gewohnt rauen Ton wissen. Davon nicht im Geringsten beeindruckt, lächelte Rin ihn an: „Weil sie nicht spricht. Wenn sie etwas mitzuteilen hat, schreibt sie es immer mit einem Stück Kohle auf ein Brett.“ Jetzt da sie es sagte, bemerkte Rin eben jene Gegenstände neben ihrem Lager. Für sie hieß das, dass die Leibeigene garantiert zurückkehren würde. „Willst du damit sagen, sie ist stumm?“, Neugierde war in Shippos Augen zu erkennen, ebenso wie ein gewisser Unglaube. Letzteres wuchs an, als die Gefragte zustimmte. Auch die Erwachsenen im Raum wollten dem nicht so wirklich Glauben schenken. Doch Rin schien überzeugt, also brachte es nichts, etwas dagegen zu sagen. Was das anging, war das Mädchen äußerst eigenwillig, wie sie längst wussten. ‚Neun‘ hatte es nicht eilig damit, zurück ins Dorf zu gehen. Endlich konnte sie befreit atmen, ohne ständig das Halbblut zu riechen. Nur sie konnte nicht ewig fortbleiben, schließlich hatte sie eine Pflicht zu erfüllen. Zumindest musste sie nicht ewig lang warten, bis ihre Kleidung getrocknet war. Ihr Herr hatte ihr gezeigt, wie sie ihr Youki dafür nutzen konnte. Eine praktische Eigenschaft, die sie gerne bereits früher beherrscht hätte. Sie ließ den Gedanken fallen, änderte ja doch nichts an der Vergangenheit. Was brachte es ihr da, zu grübeln? Auf dem Rückweg kümmerte sie sich nebenbei noch um das Frühstück. Hauptsächlich war die Nahrung für Rin gedacht, aber ‚Neun‘ zweifelte keinen Moment daran, dass diese mit den anderen Bewohnern der Hütte teilen würde. Daher nahm sie etwas mehr mit, als sie es eigentlich für das Kind tat. Ihr feines Gehör verriet ihr, dass mittlerweile in mehr Hütten Leben eingekehrt war, als bei ihrem Aufbruch. Noch aber war niemand unterwegs, weshalb sie ungesehen zu ihrem Ziel gelangte und das Tuch beiseite schlug. Sofort lagen vier Augenpaare auf ihr. Davon war nur eines erfreut, sie zu sehen. „Da bist du ja, Neun!“ Nicht zum ersten Mal war sie mit der Fröhlichkeit des Menschenkindes überfordert. Wer bitte freute sich über ihre Anwesenheit? Das war doch selbstverständlich und nichts, was es extra zu erwähnen galt. ‚Neun‘ tat das Erstbeste, was ihr einfiel und lächelte schwach zurück. Eine richtige Entscheidung, denn Rin strahlte noch mehr. Mit einer seltsamen Selbstverständlichkeit wurde sie von Rin am Feuer platziert, während sich auch der Kitsune zu dem kleinen Kreis gesellte. Zwischen dem Hanyou und ihr war das Feuer. Besser als neben ihm zu sitzen, da war sie sich sicher. Obwohl, am besten wäre es, wenn sie überhaupt nicht in einer Hütte mit ihm sein musste… Wunschdenken. Da die Miko für die Essenszubereitung zuständig schien, hielt sie dieser die zusammengeschlagenen Blätter hin, in denen sie ihre Ausbeute verpackt hatte. Die Beeren aber, die in ein anderes Blatt gewickelt waren, reichte sie Rin. „Danke!“, die Kleine zögerte keinen Moment mit dem Auspacken – und, wie ‚Neun‘ es nicht anders erwartet hatte, bot sie auch dem Fuchs auf ihrer anderen Seite etwas an. Ebenso wie ihr selbst, aber ‚Neun‘ hatte bereits beim Pflücken ihren eigenen Hunger gestillt und lehnte ab. Deutlich langsamer und bedachter wickelte derweil die Miko ihr Päckchen auf und musterte die enthaltenen Wurzeln genau, ehe auch sie sich bedankte und daran machte, die ziemlich dünne Suppe um die neuen Zutaten zu ergänzen. Doch sie gab nicht alles in den kleinen Topf, sondern nur die Hälfte. Den Rest packte sie wieder ein. „Shippo, bringst du die bitte zu Sango rüber?“ ‚Neun‘ legte den Kopf schief. Seltsame Menschen waren das. Noch immer war das Mahl, das die Miko kochte, eher mager, aber dennoch gab sie einen Teil ihres Essens an andere ab. Vielleicht lag es aber auch genau daran. Als die Priesterin einer Gemeinschaft, war es für die junge Frau wohl eher selbstverständlich, alles zu teilen. Obwohl ‚Neun‘ auch genug Priesterinnen und Priester einfielen, die ebenso wie Räuber und Banditen nur ihren eigenen Vorteil im Sinn hatten… Also doch keine Eigenschaft, die dieser Gruppierung entsprach. Stille legte sich über die so unterschiedlichen Personen, die auch nicht brach, als Shippo zurückkam. Dass sie der Auslöser war, war der Youkai nur allzu bewusst. Während sie darauf warteten, dass das Essen fertig wurde, wandte sich die Miko ‚Neun‘ zu. „Du bist also Nahrung suchen gegangen.“ Eine Feststellung, in der gleichzeitig eine Frage mitschwang. War sie der Frau Rechenschaft schuldig? Nein, ihr Herr hatte nichts dergleichen gesagt. Es würde aber wohl auch Spannung aus der Situation nehmen, würde sie antworten. Daher schüttelte sie den Kopf. Jetzt war auch Rins Interesse geweckt „Was hast du denn alles – Oh.“ Nachdenklich starrte die Kleine sie an, versuchte offenbar einen Satz so zu formulieren, dass ‚Neun‘ antworten konnte. Da aber mischte sich die Miko ein. „Ich kann lesen.“ Ihre Schreibutensilien musste die Sklavin nicht selbst holen – das tat eine hellauf begeisterte Rin bereits. Jaken war nicht der beste und geduldigste Vorleser, da war Kagomes indirektes Angebot willkommen. ‚Neun‘ nahm ihre Schreibutensilien entgegen. Oni. Mehr schrieb sie nicht, denn ihrer Meinung nach teilte dieses Wort alle relevanten Informationen mit. Die fragenden und verwunderten Blicke der anderen verrieten ihr jedoch das genaue Gegenteil. Selbst die Haltung des Hanyous war noch ablehnender geworden, wenn das überhaupt noch möglich war. Nur kurz wog ‚Neun‘ ab, ehe sie das Schreibmaterial weglegte, aufstand und die Hütte verließ. Sie konnte ihrer Aufgabe auch gut im Wald nachkommen, durfte sich nur nicht zu weit entfernen. Das war ihr allemal lieber, als sich weiter mit dem Hanyou in einem Raum zu befinden. Er verkörperte so ziemlich alles, was sie gelernt hatte abzulehnen. Ein Mischblut, dem es absolut an Benehmen mangelte. Ungewohnt daran war, dass sie nichts dagegen tun konnte. Er war kein Gefangener, um den sie sich kümmern musste. Er war frei, konnte sich aufführen wie er wollte und es wurde toleriert. Sie aber war die Fremde, die keinerlei Handhabe hatte. Da zog sie es vor, der Situation zu entfliehen, ehe das alles eskalierte. Wie konnte eine Miko nur irgendwelche Sympathien gegenüber einer solchen Kreatur hegen? Dass Rin den Hanyou mochte, sonst hätte sie ihn ja wohl kaum zur Begrüßung umarmt, war nicht weiter verwunderlich. Die Kleine schien so oder so alles und jeden zu mögen. Aber die Priesterin war erwachsen, die musste es doch besser wissen! Mit einer gewissen Erleichterung bemerkte sie, dass sie dieses Mal nicht verfolgt wurde. Wenigstens etwas… Schnell hatte sich ‚Neun‘ ein bequemes Plätzchen in den Baumkronen gesucht, das nicht zu weit vom Waldrand und somit vom Dorf entfernt war. Dort ließ sie sich nieder und atmete tief durch. Ihre Aufgabe fing wirklich wunderbar an… Was sollte sie nur machen? Irgendwie musste sie mit dem Hanyou auskommen. Ständig in den Wald zurückziehen war da keine Lösung. Viel lieber würde sie ein paar andere Dinge mit ihm machen… Ein Gedanke ließ sie in ihren Überlegungen inne halten. Hatte das Menschenkind nicht gesagt, der Mischling sei der Halbbruder des Fürsten? Es fiel ihr nicht schwer, sich die Erscheinung ihres Herrn vors Auge zu rufen, verglich dessen Auftreten und Aussehen mit dem InuYashas. Eine gewisse Verwandtschaft erschien durchaus möglich. Nur warum duldete ein hochrangiger Youkai so etwas in der näheren Verwandtschaft? Zwischen den Halbbrüdern lagen Welten! Niemals würde diese unmögliche Person auch nur ansatzweise an ihren Herrn heranreichen, da war sie sich sicher. Irgendeinen Grund musste es aber geben, anders konnte sie sich nicht erklären, warum das Halbblut noch lebte. Überhaupt, meistens wurden solche Bastarde nie alt… Das wiederum hieß für sie, dass sie besser vorsichtig sein sollte. Einen offenen Konflikt galt es sowieso zu vermeiden, auch wenn er es ihr nicht gerade einfach machte. Frustriert stieß sie die Luft aus. Nun, was hielt sie von der Miko? Richtig einschätzen konnte ‚Neun‘ diese noch nicht. Sie passte einfach in kein vorhandenes Schema. Die Zeit würde zeigen, ob sie sich mit der Frau besser arrangieren konnte. Dann war da noch der Kitsune-Welpe. Sonderlich alt konnte er noch nicht sein. Sie hatte ihn zwar nur kurz beobachten können, aber dennoch… Dieses aufgeweckte, junge Ding… Ein wenig hatte Shippo sie an Sieben erinnert. Aber wenn sie so darüber nachdachte, hatten die beiden nicht viel gemein. Außer ihrer Zugehörigkeit zur selben Art. Das Fuchsjunge schien all dem zu entsprechen, was man sich unter einem Jungen seiner Art vorstellte. Aufgeweckt, quirlig und garantiert für jeden Streich zu haben. Wieder tauchte vor ihrem geistigen Auge die Gestalt von Sieben auf. Er war älter gewesen. Aber nicht nur das unterschied sie. Ihrem ehemaligen Genossen hatten die für Kitsune so üblichen Attribute gefehlt. Nein, dachte sie bei sich. Eher wurden sie ihm aberzogen, damit er einen guten Sklaven abgab. Über was dachte sie da überhaupt nach? Sich wieder auf ihre Umgebung konzentrierend, stellte ‚Neun‘ fest, dass während ihrer Grübeleien mehr Zeit verstrichen sein musste, als angenommen. Auf den Feldern gingen die Menschen bereits ihrer täglichen Arbeit nach, ebenso im Dorf selbst. Der neue Tag hatte endgültig begonnen. Rin wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Nach ‚Neuns‘ Verschwinden hatte eine seltsame Stimmung geherrscht, sodass sie eigentlich froh war, als sie mit dem Essen fertig waren. Jetzt aber… Jeder hatte eine Aufgabe, half dabei, ihre Heimat aufzubauen. Was sollte sie tun? Kaede hätte- Heftig schüttelte Rin den Kopf. Sie wollte nicht daran denken. Kurzentschlossen machte sie sich auf die Suche nach Kagome. Vielleicht konnte sie ihr helfen, so wie sie es früher bei … Kaede auch getan hatte. Sie fand die Gesuchte schnell. Ihre ehemaligen Reisegefährten, sowie Kohaku befanden sich bei ihr und sie schienen angeregt über etwas zu diskutieren. Da es wichtig zu sein schien, wollte die Heranwachsende bereits kehrt machen, um nicht zu stören, als sie einige Wortfetzen erreichten. Namen von Kräutern, die nicht in der näheren Umgebung wuchsen, um genau zu sein. Ihr Interesse war geweckt und sie trat näher zu der Gruppe. Obwohl sie durcheinander sprachen, verstand Rin doch recht schnell, was das Thema der Diskussion war. „Ich kann doch gehen“, warf sie in einer kurzen Pause ein. Sofort wandten sich ihr alle zu. Sango sprach als erste. „Das ist zu gefährlich, Rin. Außerdem braucht Kagome ganz bestimmte Pflanzen.“ „Kaede hat mir genug darüber beigebracht, ich weiß also genau, wie die Kräuter aussehen und wo sie wachsen.“ Dem konnte niemand widersprechen, außer Kagome war Rin die einzige, die derartige Unterweisungen erhalten hatte. Erstere konnte aber nicht selbst auf die Suche gehen, ihr Weg würde sie zu weit vom Dorf weg führen. Zum derzeitigen Zeitpunkt war dies nicht machbar, selbst wenn InuYasha sie huckepack nahm. Die Menschen brauchten sie vor Ort. Kagome seufzte „Das mag sein, aber du brauchst dennoch jemanden, der auf dich aufpasst…“ Was wiederum zum zweiten Problem führte. Jede helfende Hand wurde gebraucht, wenn dann eine Gruppe ging, die eigentlich unentbehrlich war… Rin konnte sich nicht selbst verteidigen, weshalb einer allein nicht reichte. „Kohaku und Kirara können doch mit kommen.“ Die erhoffte Zustimmung kam nicht. Die Älteren zögerten – sollte Rin etwas passieren… Da lief das Mädchen aber bereits zum Dorfrand. „Warte, Rin!“ „Was hast du denn vor?“ Die Dämonenjäger bekamen keine Antwort, stattdessen legte das Mädchen die Hände wie einen Trichter um den Mund „Neun, komm mal bitte.“ Zwar war mittlerweile die gesamte Gruppe über die Anwesenheit der Sklavin informiert, dennoch zuckten einige zusammen, als innerhalb weniger Wimpernschläge die Youkai vor ihnen stand. Zuversichtlich stellte sich Rin neben sie und verkündete „Jetzt habe ich aber genug Begleiter.“ Kapitel 17: ------------ Nach wie vor nicht wirklich schlauer, was das ganze Theater sollte, beobachtete ‚Neun‘ die herumwuselnden Menschen. Rin hatte sich – bei was auch immer – durchgesetzt und jetzt schien alles für eine Abreise vorbereitet zu werden. Und sie? Stand an eine der Hütten gelehnt da, als würde sie all das nicht betreffen. Niemand nahm Notiz von ihr, die schräge Bande hatte anderes im Kopf. Dabei schien sie selbst ebenfalls involviert zu sein… Nun, früher oder später würde sie schon erfahren, um was es überhaupt ging. Rin und ein weiterer Mensch waren mit der Miko gegangen, um irgendwas genauer mit ihr durchzugehen. Da sie nicht dazu aufgefordert wurde, mitzukommen und sich der Hanyou den dreien anschloss, hatte sie ebendies unterlassen. Einer der Dorfbewohner näherte sich ihrem Standort – blieb aber stehen, als er bemerkte, dass er an ihr vorbei musste, um seinen Weg fortzusetzen. Sie selbst rührte keinen Muskel, schenkte ihm keine weitere Beachtung. Der Bauer derweil entschied sich für einen unnötig langen Umweg, was ‚Neun‘ nur mit einem abfälligen Schnaufen quittierte. Menschen waren so unfassbar armselig... Würde sie ihm schaden wollen, könnte sie das tun, egal was er tat. Als könnte ein so schwaches, langsames und einfältiges Wesen schaffen, ihr zu entkommen, wenn sie es darauf anlegte. Einfach nur dumm, stellte sie nicht zum ersten Mal in ihrem Leben fest. Menschen schienen schlichtweg unfähig zu sein, die eigene Situation realistisch einzuschätzen und ihre Unterlegenheit anzuerkennen. Nicht grundlos wurde mit Sklaven entsprechend umgegangen, anders lernten sie es nicht. Sie brauchten eine harte Hand, die sie führte und ihnen klare Grenzen setzte. Etwas anderes zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die Nekomata der Dämonenjäger setzte sich vor ihr auf den Boden. Kirara oder so ähnlich, wenn sie es bei Rins Geplapper richtig aufgeschnappt hatte. Ruhig erwiderte sie den prüfenden Blick der roten Augen. Nicht zum ersten Mal begegnete ihr eines dieser Wesen. Es waren treue und loyale Weggefährten, die selbst entschieden, wem sie sich anschlossen. ‚Neun‘ war niemand bekannt, der eine dieser Katzen hatte brechen und unterwerfen können. Einer ihrer früheren Besitzer hatte einen dieser Wegbegleiter gehabt. Ihr Herr, seinerzeit noch ein junger Knabe, hatte den alten Kater während eines kalten Winters verletzt gefunden und heimlich gesund gepflegt. Das betagte Tier erholte sich schnell – und entschied sich, zu bleiben. Er wurde Yukio getauft. Jahre später, als sie in den Besitz des mittlerweile jungen Mannes überging, hatte ‚Neun‘ herhalten müssen, wenn Yukio auf seine alten Tage doch Mal die Lust auf eine spielerische Rauferei packte. Die Geschichte des Katers hatte sie bei älteren Bediensteten aufgeschnappt. Trotz der für sie eher schmerzhaften Spielereien hatte sie die verschrobene Katze gemocht und seinen altersbedingten Tod bedauert. Durch diese Erfahrung war ihr auch mehr als bewusst, dass diese Wesen weit intelligenter waren, als es den meisten bekannt war. Eine Sache, in der ‚Neun‘ und sie sich ähnelten. Sie beide, so unterschiedlich sie auch waren, konnten zwar nicht sprechen, bekamen deswegen aber nicht weniger mit. Ähnlich wie auch Kirara sie versuchte einzuschätzen, tat ‚Neun‘ es bei dieser. Die dämonische Katze schien bereits älter und entsprechend lebenserfahren zu sein. Nur was wollte sie von ihr? Zeigte ausgerechnet jetzt Interesse und nicht bereits vorher? Da ‚Neun‘ durchaus etwas von dem Verhalten dieser Kreaturen verstand, blinzelte sie mehrmals, ehe sie den Blickkontakt abbrach und sich abwandte. In Katzensprache alles deutliche Signale, die zeigten, dass man nicht feindlich gesinnt war. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie die Nekomata mit den Ohren zuckte und perplex blinzelte. Sie schien nicht damit gerechnet zu haben, dass ‚Neun‘ ihr auf diese Weise begegnete. Doch der Moment war schnell vergangen und das so harmlos wirkende Kätzchen trat näher auf ‚Neun‘ zu. Diese kam ihr entgegen, indem sie sich hinkniete. Sich kleiner machte, ein weiteres Mal signalisierte, dass sie keine Gefahr war. Kirara umrundete sie, schnupperte hier und da an ihr. Schlussendlich sprang sie der Inu auf den Schoß und maunzte freundlich, unterstützt von mehrmaligem Blinzeln. Prüfung bestanden, wie es schien. Langsam, der Zweischwänzigen somit die Möglichkeit gebend, ablehnend zu reagieren, streckte die Sklavin ihr eine Hand entgegen, die Handfläche offen nach oben zeigend. Ihre Klauen wurden gemustert, ehe das Angebot angenommen wurde und die Katze auf ihre Hand sprang. ‚Neun‘ hob sie auf Augenhöhe, zwinkerte abermals. Die Geste wurde erwidert und sie bekam zusätzlich einen Nasenstupser. Damit gab es an diesem Ort zumindest eine Person neben Rin, die ihr nicht permanent misstraute. Da sprang Kirara zurück auf den Boden, verpasste ihr mit einer ihrer Pfötchen einen Klaps am Bein und machte im Anschluss einen Satz zurück. Die Leibeigene musste bei dieser Aktion der ach so erwachsenen Katze schmunzeln. Sollte sie…? Nach wie vor wollte niemand etwas von ihr. Also warum nicht? Schulterzuckend erhob sich die Youkai und folgte der Nekomata, die voraus lief. Dabei ließ sie ihr bewusst Vorsprung, denn in der kleinen Gestalt war sie eben langsamer. Erst als sie das Dorf und auch die dazugehörigen Felder hinter sich gelassen hatten, nahm Kirara ihre große Form an. Jetzt erst konnte das Spiel wirklich beginnen. ~~~ Gemeinsam mit Kagome wiederholte Kohaku die Liste der Pflanzen, die sie mitbringen sollten. Sie waren auf halbem Weg zur Hütte der Heilerin stehen geblieben, als es darum ging, was genau sie holen sollten. Es wäre wohl sehr viel einfacher, würde Kagome alles aufschreiben – nur brachte es bei der Konstellation der Gruppe nicht wirklich etwas. Die Waise konnte nicht lesen, Kohaku ebenso wenig. Zwar hatte sein Vater es ihn lehren wollen, doch war ihnen ein verhängnisvoller Auftrag zuvorgekommen. Damit war die einzige, die mit der Liste etwas hätte anfangen können, ausgerechnet diejenige, die stumm war. Also war sicherheitshalber auch Kohaku dazu verdonnert worden, die Liste auswendig zu lernen. Rin neben ihm bewegte stumm die Lippen, ebenfalls bemüht, alles lückenlos zu verinnerlichen. Während sie dies mit Kagome taten, waren ihre Freunde damit beschäftigt, ihren kargen Proviant zu richten. Viel konnten sie nicht entbehren, so oder so mussten sie sich unterwegs Nahrung suchen. Aber somit hatten sie zumindest etwas für den Notfall dabei. Als Kagome endlich zufrieden war, entließ sie Rin, damit diese ihre wenigen Dinge zusammensuchen konnte, die sie mitnehmen würde. Das Wichtigste war wohl eh eine Decke für die Nacht. Kohaku wollte sich ebenfalls abwenden, als ihm seine Schwester und sein Schwager bereits mit gepackten Sachen entgegenkamen. Selbst an seine Waffen hatten sie gedacht. Da Rin außer Hörweite war, nutzte Kagome die Gelegenheit: „Achte bitte auf Rin. Sie ist mir viel zu munter, in Anbetracht der Umstände.“ „Sie wird es so gut es geht verdrängt haben“, mutmaßte Sango nicht weniger sorgenvoll. Mehr brauchten sie dazu nicht sagen, in diesem Punkt waren sie sich alle einig. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Rin die Geschehnisse einholen würden. Unvermittelt mischte sich InuYasha ein, der bis eben eher teilnahmslos neben Kagome gestanden hatte und mehr oder weniger interessiert zuhörte. „Pass lieber auf den Kettenhund auf, nicht dass die etwas anstellt!“ Nachdenklich nickte Kohaku. Er war im Gegensatz zu allen anderen hier nicht so misstrauisch. Im Gegensatz zu ihnen, hatte er längere Zeit bei der Gruppe um Sesshomaru verbracht. Wenn er eines sicher wusste, dann das der Fürst die Dämonin niemals hier gelassen hätte, würde er an ihrer Loyalität zweifeln. Dafür war ihm Rins Sicherheit zu wichtig. Längst hatte er den Entschluss gefasst, möglichst unvoreingenommen zu sein und abzuwarten, wie sie sich verhielt und sich alles entwickelte. Dann erst würde er sein Urteil fällen. Eine Diskussion mit InuYasha wäre aber zum Scheitern verurteilt, weshalb er es vorzog ihm einfach zuzustimmen. Apropos. Ihm fiel etwas anderes auf und er musterte seine Schwester. Die anderen bemerkten seinen Blick und er antwortete auf ihre fragenden Blicke hin: „Kirara ist auch nicht bei dir.“ „Jetzt wo du es sagst…“, Sango drehte suchend den Kopf. Weit und breit keine Spur von ihrer langjährigen Weggefährtin. Miroku äußerte überlegend: „Vielleicht ist sie bei den Kindern?“ Seine Frau schüttelte den Kopf „Sie war bis Rin kam bei mir.“ „Neun ist auch nicht da. Hat einer von euch eine Ahnung, wo sie abgeblieben ist?“ Nach Kagomes Worten lagen aller Blicke auf InuYasha. Von diesem kam nur ein „Keh“ und er drehte sich demonstrativ weg. Kollektives Seufzen. Manche Dinge würden sich wohl nie ändern. Da stieß Rin wieder zu ihnen, sie hatte sich ein kleines Bündel zusammengeschnürt, welches eigentlich nur ihre Decke war. In all der Zeit des Reisens war das Kind genügsam geworden, es gewohnt mit dem Nötigsten auszukommen. „Ich bin fertig. Können wir?“ „Gleich, wir müssen erst noch unsere beiden anderen Begleiter finden“, erklärte ihr der junge Dämonenjäger. „Oh“, das Mädchen blickte schuldbewusst drein. „Die Arme, ich muss mich bei Neun entschuldigen. Erst rufe ich sie und dann lasse ich sie einfach stehen…“ Sie wirkte dermaßen bekümmert, dass ihr die Miko eine Hand auf die Schulter legte. „Sie wird es dir sicher längst verziehen haben.“ Da wurde der Blick der sonst so fröhlichen Rin ungewohnt ernst und ein Stück weit sogar trotzig. „Du verstehst nicht!“ „Was gibt es da zu begreifen? Die soll sich nicht so anstellen und fertig!“ Auch wenn InuYashas Äußerung wenig feinfühlig war, die anderen teilten sein Unverständnis. „Natürlich könnt ihr es nicht nachvollziehen! Keiner von euch weiß, was es heißt, eine Kette um den Hals zu tragen! Niemand von euch wurde wie ein Gegenstand angesehen und behandelt!“ Noch niemals hatten sie Rin so erlebt. Hätten bis eben steif und fest behauptet, dass dieses fröhliche, lebensfrohe Kind niemals in der Lage wäre, dermaßen … auszurasten. „Rin-“ „Nein!“, unterbrach diese den schwachen Versuch der Miko. Ehe alles weiter entarten konnte, stieß ein aufgewühlter Shippo zu ihnen. „Kirara kämpft gerade gegen Neun!“ Diverse Ausrufe waren zu hören, keiner bezweifelte die Aussage des Kitsunes und Rins Einwände gingen unter. Schnellen Schrittes machten sich die Freunde angeführt von Shippo auf den Weg zum Ort des Geschehens, Rin bei ihnen. Nur einen Moment hielten sie inne, damit Sango ihren Bumerang mitnehmen konnte. Dann ging es auch schon weiter. Schnell hatten sie einen freien Blick auf das Geschehen und der Großteil der Gruppe sah sich bestätigt. Lediglich Kohaku wurde stutzig und lockerte den Griff um seine Kettensichel. Ein schneller Blick über die anderen zeigte ihm aber, dass außer Rin und ihm alle glaubten, Kirara zu Hilfe eilen zu müssen. Zugegeben. Auch er hatte einen Schreckmoment gehabt, als er sah, wie die Inu Kirara von der Seite ansprang und umklammerte – nur hatte sich Kirara leicht befreien können und benutzte weder ihre gefährlichen Zähne, noch die Krallen bei ihrem Gegenangriff. Das passte nicht. Auch ‚Neun‘ machte keinerlei Anstalten, ihre ohne Zweifel nicht minder scharfen Klauen einzusetzen. Ehe er sie zurück halten konnte, warf seine Schwester aber bereits ihren Bumerang, um die beiden ‚Kämpfenden‘ auseinander zu bringen. Der Hanyou war ebenso wie die Miko an seiner Seite bereits darauf eingestellt, direkt hinterher die Sklavin anzugreifen. Noch ehe er sich überlegen konnte, wie er das Unausweichliche verhindern sollte, wurde ihm diese Entscheidung aus der Hand genommen. Ihr Plan ging auf, die beiden Dämonen trennten sich. Nur stellte sich Kirara augenblicklich vor ‚Neun‘, schirmte diese mit ihrem Körper ab und fauchte ihre vermeintlichen Retter an. Die Sklavin nahm die Deckung dankbar an, suchte Schutz und linste vorsichtig an der Nekomata vorbei zu ihnen. Derweil war die Truppe zum Stehen gekommen und sichtlich verwirrt. Rin eilte an ihnen vorbei „Ist alles in Ordnung mit dir?“, besorgt umrundete sie Kirara und als sie ‚Neun‘ unverletzt vorfand, nahm sie diese erleichtert in den Arm. Perplex hockte die Inu da, verstand ein Mal mehr nicht, was all der Trubel um sie herum sollte. Mit der Umarmung wusste sie noch weniger anzufangen. „Was ist hier verdammt noch mal los?!“, polterte da auch schon ein gewisser Hanyou dazwischen. „Ich habe keine Ahnung“, murmelten die Frauen synchron. „Dafür aber ich“, machte der junge Mann auf sich aufmerksam. „Das war kein Kampf. Sie haben lediglich miteinander gespielt.“ Kirara gab ein zustimmendes Brummen von sich und nickte. Ebenso wie ‚Neun‘, nur sah das außer Rin niemand. Die Dämonenkatze verwandelte sich in ihre kleine Form zurück und sprang ihrer Spielkameradin, die mittlerweile von dem Mädchen freigegeben wurde, auf die Schulter. Diese vertraute Geste gab der perplexen Gruppe den Rest. Wenig später entfernte sich eine kleine, bunt gemischte Gruppe vom Dorf, während eine nicht minder sonderbare Ansammlung an Gestalten ihnen nachsah. Kohaku hatte direkt weiter zum Aufbruch gedrängt und Rin hatte ihn dabei unterstützt. ‚Neun‘ und Kirara, die gemütlich bei ‚Neun‘ auf dem Arm lag und sich hinter den Ohren kraulen ließ, hatten dem ganzen nur aufmerksam zugesehen. Aus der kurzen Konversation entnahm die Inu zumindest ein paar Informationen. Offenbar sollte sie mit Rin, Kirara und dem Menschenjungen eine kleine Reise unternehmen. Na, ob das im Sinne ihres Herrn war? Er hatte aber nichts befohlen, was dergleichen untersagte. Also sollte das in Ordnung sein. Hoffte sie. Aber ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, waren sie aufgebrochen. Ihre Mundwinkel zuckten. Endlich war sie den vermaledeiten Hanyou los. Der Dämonenjäger führte die Gruppe an – mittlerweile mit Kirara an seiner Seite. Rin ließ sich zu ‚Neun‘ zurückfallen. „Entschuldige bitte, Neun.“ Die Sklavin runzelte die Stirn und legte verständnislos den Kopf schief. Was war denn nun schon wieder mit dem kleinen Mensch los? „Naja, ich habe dich erst einfach hergerufen und dann stehen lassen… Das ist nicht richtig.“ Sie reagierte darauf nicht sofort, sondern ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Für sie selbst war das nicht weiter schlimm. Es kam oft vor, dass sie für irgendwas total Dringendes gerufen wurde – nur um dann doch ewig lang warten zu müssen. Nur für das Mädchen schien das anders zu sein. Es tat ihr wohl wirklich leid. Sie versuchte sich daher in einem Lächeln und winkte mit einer Hand ab. Augenblicklich erhellte sich Rins traurige Miene. „Das passiert mir aber kein zweites Mal“, so wie sie es aussprach, schien es eine Art versprechen zu sein. Warum gab sich die Kleine nur solche Mühe? Es war ihr schleierhaft! Um diese, für sie eher unangenehme Situation zu beenden, deutete ‚Neun‘ auf den jungen Mann vor ihnen. Zu ihrem Glück schien Rin schnell zu verstehen. „Er heißt Kohaku. Weißt du, er ist damals, als Naraku noch lebte, mit uns gereist. Sango ist seine große Schwester.“ Verstehend nickte ‚Neun‘. Klang plausibel für sie. Irgendwie erschien ihr der Junge auch überlegter als seine Schwester… Hätte sie weniger gute Reflexe, der Knochenbumerang hätte sie voll erwischt. Dabei hatte sie hatte sich doch nur mit Kirara gerauft! Absolut nichts Ernstes! Im Gegensatz zu Yukio war diese Dämonenkatze auch deutlich umsichtiger… Sie verwarf den Gedanken. Wichtiger war endlich zu erfahren, warum sie das Dorf verließen. Daher machte sie mit der Hand eine kreisförmige Bewegung, die sie alle Einschloss und zeigte dann nach vorne, wohin auch immer ihr Weg führte. Dieses Mal brauchte Rin länger „Hm… Was meinst- Oh! Du weißt nicht, was wir machen?“ Nach einer bestätigenden Kopfbewegung seitens ‚Neun‘, bekam sie endlich eine Erklärung. Eine dämonische Aura in der Nähe ließ sie aufmerksam werden – aber ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war, war sie auch wieder weg. Wohl nur ein niederer Oni, der intelligent genug war, sein Heil in der Flucht zu suchen… ~~~ InuYasha ging einige Meter vor seinen Freunden zurück ins Dorf. Die anderen hatten es weniger eilig. „Tut mir leid, aber ich dachte wirklich, dass die beiden kämpfen…“, murmelte Shippo da leise. Er fühlte sich schlecht, weil er alle wegen nichts und wieder nichts alarmiert hatte. Nur wer hatte ahnen können, dass die beiden tobten? Immerhin sprachen sie hier von zwei erwachsenen Youkai, die doch eigentlich längst aus diesem Alter raus waren. „Es sah auf den ersten Blick danach aus. Es war gut, dass du so schnell reagiert hast. Es hätte auch etwas Ernstes sein können.“ Sango pflichtete ihrer Freundin sofort bei: „Genau. Wenn man eine InuYoukai und eine Nekomata so sieht, denkt man doch als letztes daran, das sie einfach nur miteinander spielen.“ Der junge Youkai war sichtlich erleichtert, dass ihm keiner böse war. Miroku klinkte sich ein „Wir haben der Youkai Unrecht getan.“ „Aber-“ Er ließ seine Frau nicht aussprechen „Ich rede nicht von der Situation gerade eben.“ Schweigen legte sich über die Gruppe. Selbst InuYasha weiter vorne, der natürlich mitgehört hatte, kam nicht umhin, dem Mönch zuzustimmen. Irgendetwas störte ihn schlichtweg an der Sklavin – und es lag nicht nur daran, dass sein Halbbruder sie kommentarlos dagelassen hatte. Dabei sollten doch gerade er und seine Freunde es besser wissen. Er warf kaum merklich einen Blick über die Schulter zurück. So lange waren sie gemeinsam gereist, hatten unzählige Kämpfe gemeinsam geschlagen. Ohne ihr Vertrauen ineinander hätten sie vieles nicht gemeistert. Ihr Start war aber jedes Mal ähnlich holprig gewesen, egal wer zu der Gruppe stieß. Sie hatten lernen müssen, mit den anderen umzugehen, sich auf sie einzulassen. Über die Grenzen ihrer Art hinweg. Wenn sie heute beisammen saßen, waren sie nicht länger eine zeitreisende Miko, die keine Ahnung von dieser Zeit und dem Leben dort hatte, ein grapschender Mönch, eine stolze Dämonenjägerin, ein verwaister Kitsune-Welpe und ein Hanyou. Das hatten sie längst hinter sich gelassen. Da hatte es durchaus eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet sie solche Probleme damit hatten, eine InuYoukai bei sich aufzunehmen. Wo lag also das Problem? Er bekam es einfach nicht zu fassen… Man konnte ‚Neun‘ an sich auch nichts vorwerfen. Sie war nicht sonderlich kooperativ oder mitteilsam, aber sonst… Verhielt sie sich absolut unauffällig. Andererseits war er sich sicher, dass sie wie so viele andere auch eine Abneigung gegen Hanyous hegte. Traute er ihr daher nicht über den Weg? Kurz bevor sich ihre Wege trennten, ergriff Kagome nochmal das Wort: „Versuchen wir es besser zu machen, sobald sie zurück sind.“ Die anderen drei stimmten ihr zu, während er sich nach wie vor nicht dazu äußerte. Noch hatte er sich für nichts entschieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)