Nummer Neun von Avialle ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Über ihnen verdunkelte sich bereits der Himmel, als die kleine Reisegruppe auf eine freie Fläche mitten im Wald trat, in deren Zentrum eine Tribüne prangte. Drei der vier Reisenden ließen den Blick wandern und machten sich ein Bild ihrer Umgebung. ‚Neun‘ hingegen gab einen stummen Seufzer von sich und schien überhaupt nicht begeistert. Dies wiederum bescherte ihr die Aufmerksamkeit ihres Herrn, dem sie eilig eine Erklärung lieferte. Ich hatte gehofft, Ichiro hier anzutreffen. Ihn in seinem Heim aufzusuchen, wird Misstrauen erwecken. Sie zögerte. Ihr Herr hatte alle Sklaven laufen lassen und schien sich in ihrem Metier nicht auszukennen, sonst müsste sie ihm ja wohl kaum den Weg zeigen. Das wiederum waren keine guten Voraussetzungen dafür, das Menschenkind zu finden. Warum auch immer er dies wollte. Ihr seid keiner von uns, das macht es noch schwieriger. Sesshomaru verengte die Augen. Ihm war bewusst, dass er es mit einer Gesellschaftsgruppe zu tun hatte, die Außenstehenden nicht gerade offen begegnete. Man kannte sich untereinander und es war fast unmöglich ohne einen guten Kontakt in dieses Netzwerk einzutauchen. Bisher ging er davon aus, dennoch voranzukommen. Er musste nur schnell und präzise sein. Wenn ihn sein neustes Anhängsel aber bereits nach so kurzer Zeit durchschaut hatte… „Dann finde einen Weg!“ Jaken hatte nicht mitlesen können und blickte nun verdattert zwischen den beiden Inus hin und her. ‚Neuns‘ Lippen wurden zu einer schmalen Linie und während sie mehrere Möglichkeiten überschlug, neigte sie einmal mehr den Kopf zur Seite. Ihr Besitzer schien es eilig zu haben, somit fiel der vernünftigste Vorschlag, bis morgen zu warten, weg. Dass er sie alleine gehen ließ, schien ihr auch unwahrscheinlich. Er vertraute ihr nicht und würde etwas für ihn Wichtiges persönlich erledigen wollen. Das waren zumindest ihre Erfahrungen mit neuen Herren, da bildeten Youkai mit Sicherheit keine Ausnahme. Irgendwie musste sie es also schaffen, ihn mit Ichiro zusammen zu bringen, ohne dass dieser Verdacht schöpfte. Da kam ihr ein Gedanke und zufrieden mit sich selbst begann sie abermals zu schreiben. Wir lassen den Kappa im Wald. Kenzos Ableben wird noch nicht bis hierher gedrungen sein, was uns einen Vorteil verschafft. Er hat einen guten Ruf. Mehr als eine hochgezogene Augenbraue bekam sie nicht. Ich habe den Auftrag, Euch in die Geschäfte einzuführen. Daher verfolgen wir den Weg der Ware, damit Ihr einen Eindruck von Allem bekommt. Erwartungsvoll beobachtete sie ihn. War er zufrieden mit ihrem Vorschlag? Auf die Schnelle fiel ihr aber nichts Besseres ein. Wenn er nicht einverstanden war, hatte sie ein Problem! Mit einem knappen Nicken erlöste der Fürst die Frau vor ihm. Es war fast schon amüsant, wie bemüht sie war, ihm alles recht zu machen. Wäre da nicht, dass es für eine Youkai ihres Blutes unter ihrer Würde war, ein solches Verhalten zu zeigen. Von Jaken war nichts anderes zu erwarten, aber sie sollte das nicht nötig haben. Andererseits schwafelte sie wenigstens nicht permanent, wie ein gewisser Kappa. Davon abgesehen erschien ihm ihre Idee durchaus sinnvoll. Mit Gewalt würde er nicht weit kommen, es galt geschickt vorzugehen. Hierfür bot sie ihm die perfekte Gelegenheit. Er bezweifelte, dass alle Sklaven derart eigenständig und komplex dachten… ‚Neun‘ orientierte sich, ehe sie sich nach links wandte und über das Gras zum dortigen Waldrand lief. Außer einigen Büschen, die den Weg versperrten war dort nicht viel zu sehen, doch die Inu schob an einer Stelle die Blätter zur Seite und trat hindurch. Auf der anderen Seite war ein schmaler Pfad, gerade breit genug, dass auch der Drache ihn nutzen konnte. Sesshomaru sog die Luft ein und stellte fest, dass der Weg den sie gingen, regelmäßig genutzt wurde. Unzählige alte Spuren, ebenso wie mehrere frische, keine halbe Stunde alt. Er identifizierte eine Hand voll Menschen und mindestens das Doppelte an Dämonen. Nennenswertes Youki war weit und breit nicht wahrzunehmen, wenn man von der Sklavin hinter ihm absah. Nach mehreren hundert Metern erreichten sie eine Weggabelung, aber nur die rechte Abzweigung wurde genutzt. Der DaiYoukai brauchte daher keinen Hinweis, um zu wissen, welchen Weg er einschlagen musste. Zwei weitere Abzweigungen später, spürte er eine leichte Berührung am Arm. Normalerweise würde er es nicht dulden, wenn man ihn einfach anfasste. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass sie nicht sprach und keine andere Möglichkeit hatte, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Abwartend lag sein Blick auf ihr und ‚Neun‘ deutete auf Jaken, dann auf den Boden unter sich. „Was wird das du-“ „Jaken, warte hier!“ „Ja Meister! Ich werde…“ Weiter hörten die beiden InuYoukai nicht zu, sondern liefen los. Nach gut einhundert Metern konnte Sesshomaru endlich etwas in dem dichten Wald sehen. Etwa ein Dutzend Hütten standen vor ihnen verstreut im Wald, alle sahen gleich aus, sodass nicht abzusehen war, wer wo wohnte. Der Geräuschkulisse nach waren längst nicht alle bewohnt. Er musste sich eingestehen, dass das kleine, unter dem Blätterdach verborgene Dorf nicht ganz einfach zu finden war. Vor allem, wenn man nicht wusste, wonach man Ausschau hielt. Seine Musterung wurde unterbrochen, als ihm etwas vor die Nase gehalten wurde. Auf keinen Fall die leeren Hütten betreten, in manchen davon befinden sich Fallen. Kaum dass er gelesen hatte, begann ‚Neun‘ abermals zu schreiben und hielt ihm das Brett hin. Dieses Mal war es keine Information für ihn, sondern wohl für diesen Ichiro. Erwartungsvoll wurde er angesehen, ‚Neun‘ wollte offensichtlich wissen, ob er mit dem Geschriebenen einverstanden war. Mit einem knappen Nicken bekam sie die Bestätigung. ‚Neun‘ machte auf dem Absatz kehrt und schritt zielstrebig auf eine der Behausungen zu. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Sesshomaru neben ihr lief. Diesem war dieses Vorgehen zwar nicht gerade recht, aber es würde effizient sein. Das war letztlich das Wichtigste an ihrem Vorhaben. Sofern ‚Neun‘ keine ausgezeichnete Lügnerin war, die selbst seine feinen Sinne zu täuschen vermochte, konnte er auch davon ausgehen, dass sie ihr Bestmöglichstes tat und ihm nicht in den Rücken fallen würde. Die Sklavin klopfte laut an der Tür, sodass es selbst ein Mensch nicht überhören konnte. Auf der anderen Seite waren Schritte zu vernehmen, missmutiges Gemurmel über den späten Besucher, dann öffnete ihnen bereits eine betagte Menschenfrau die Tür. Mehrere Sekunden lang musterte sie die Personen vor sich, ehe sie den Kopf drehte und rein rief: „Kenzos Kleine mit einem Fremden.“ „Was wollen sie?“, eine dunkle, kratzige Stimme, die vermutlich zu einem älteren Mann gehörte. „Keine Ahnung. Neun hat ihr Brett dabei, aber das nützt mir ja nichts.“ Ein Seufzer war zu vernehmen „Lass sie rein.“ „Ihr habt es eh gehört“, murmelte die Frau und trat zur Seite. ‚Neun‘ ging voraus und machte sich nicht die Mühe, sich umzusehen, war sie doch nicht zum ersten Mal hier. Ihr Hintermann tat dies aber. Von innen sah die Behausung auch nicht viel besser aus, als von außen. In der Mitte befand sich eine Feuerstelle über der ein Topf hing. Darum herum lagen mehrere Sitzkissen auf dem Boden. Links von ihnen befand sich ein kleines Regal mit Nahrungsmitteln und weiteren Kochutensilien. Rechts war ein einfacher Schreibtisch zu sehen, auf dem einige Papiere lagen. An der Wand war wieder ein Regal in dem sich weitere Dokumente befanden. An der gegenüberliegenden Wand musste sich die Schlafstelle befinden, wie zwei ordentlich zusammengeräumte Futons samt Bettzeug verrieten. Das Augenmerk des Fürsten richtete sich auf den Mann mit dem ergrauten Haar, der auf einem Kissen am Feuer saß und vor sich eine Tasse dampfenden Tee stehen hatte. Dieser musterte den Besuch mit gerunzelter Stirn. „Neun, nun zeig schon her!“ Ichiro machte keinen Hehl aus seiner schlechten Laune wegen der Störung am Abend. Die Gerufene tat schnell die letzten Schritte, kniete sich hin – wohlgemerkt nicht auf eines der Kissen – und übergab ihm mit einer kurzen Verbeugung das Brett. „Und das kann nicht bis morgen warten?“, alles andere als zufrieden gab er das Holz zurück, während ‚Neun‘ entschuldigend lächelte und die Frage verneinte. Ein weiterer Laut der Unzufriedenheit, ehe Ichiro auch Sesshomaru bedeutete, dass dieser sich setzen konnte. Was dieser auch tat, sorgsam verbergend, was hinter seiner teilnahmslosen Miene vor sich ging. Dieser Mensch war herablassender, als gut für ihn war. Es konnte es kaum erwarten, ihn wortwörtlich einen Kopf kürzer zu machen. Währenddessen schenkte die Dame des Hauses ihm eine weitere Tasse Tee ein und stellte diese vor ihrem Besuch ab, ehe sie sich in eine Ecke zurückzog und tat, als wäre sie nicht da. Die Höflichkeit gebot es zwar, zumindest einen Schluck zu nehmen, doch dies ignorierte der DaiYoukai geflissentlich. Er wollte Antworten und dann weiter. Ichiro hingegen trank in aller Ruhe, ehe er sich voll und ganz seinem Gast widmete. „Wurde auch mal Zeit, dass Kenzo diesen Tomi absägt. Euer Herr bringt regelmäßig Ware, gute Verfassung, schön erfasst. Nur immer diese Verspätungen! Es ist immer wieder eine kleine Herausforderung, euch noch einzuschieben.“ „Das wird nicht mehr vorkommen“, eine neutrale Antwort, die dem Auktionator aber zu reichen schien. „Gut zu wissen. Dein Herr oder Neun wird dir alles Weitere erklären können.“ Ein dezenter Hinweis darauf, dass sie verschwinden sollten. Doch Sesshomaru hatte noch nicht die gewünschte Information. „Tomi war in vielerlei Dingen nicht sehr zuverlässig und sorgsam.“ Mit dieser Aussage erreichte er den gewünschten Effekt, der Alte richtete sich auf und sein Blick wurde forschend. „Soll heißen?“ „Es ist nicht sicher, dass er die Menschen richtig transportiert hat oder sie nachträglich verletzt wurden“, sich auf dasselbe Niveau herablassen und Menschen als Ware bezeichnen wollte Sesshomaru nicht. Das fiel auch Ichiro auf, doch maß er dem nicht weiter Bedeutung zu. Neueinsteiger taten sich gerne schwer damit. Außerdem hatte der Neue etwas angedeutet, was weit wichtiger war. „Wenn einer unserer Käufer etwas feststellt…“, er unterbrach sein Gemurmel, als ihm in Erinnerung kam, dass er einem Youkai gegenüber saß, der alles hörte. „Was sollt ihr beiden also genau tun?“ „Wer waren die letzten Käufer?“ Der Mann wirkte wenig erfreut darüber, dass seine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet wurde. „Ihr sollt die letzte Lieferung überprüfen?“ Eine bestätigende Kopfbewegung. Nachdenklich nippte Ichiro erneut an seiner Tasse. „Zwei der Jungen gingen an Sei, wenn ich mich recht erinnere. Eines der Mädchen an Keiko – sie war für Setsuko da“, eine Denkpause folgte. „Ah, und die Letzte. Die Kleine hat Tomi persönlich übergeben. Uyeda hat sie gekauft.“ ‚Neun‘ schaltete schnell, ehe ihr Herr etwas sagen konnte. Sei und Setsuko sind irrelevant, Rin war die letzte Nummer. Ich kenne Uyeda. Er kauft im Auftrag anderer ein. Sie hielt das Brett zudem so, dass es nur der Inu sehen konnte. Sie wollten kein Aufsehen erwecken, da sollte Ichiro nichts derart Verdächtiges lesen. „In wessen Auftrag war Uyeda unterwegs?“ „Das weiß ich nicht.“ ~~~ ‚Neun‘ war angespannt. Körperliche Gewalt gehörte für sie zur Tagesordnung. Dennoch… Ihr neuer Herr hatte keine Sekunde gezögert und innerhalb weniger Minuten waren sie die einzigen, lebenden Wesen in dem Walddorf gewesen. Er hatte alle getötet. Innerhalb weniger Wimpernschläge einen wichtigen Teil des Händlerrings zerschlagen. Einfach so. Was ging nur in diesem Mann vor? Sein Verhalten war für sie undurchschaubar! – Sie musste sich auf das Wesentliche konzentrieren! Er wollte das Menschenkind finden und sie sollte ihm dabei behilflich sein. Was dann? Sie musste tief durchatmen und sich beruhigen. Sie konnte so oder so keinen Einfluss darauf nehmen. Alles, was ihr blieb, war sich fügsam zu verhalten und ihn zufrieden zu stellen. ‚Neun‘ hielt an und deutete auf den Eingang zu dem Freudenhaus, in dem sich Uyeda gerne aufhielt. Erst recht, wenn er gerade erst etwas eingenommen hatte. Es war bereits der vierte Halt, den sie machten, da auf ihrem Weg noch drei Dorfschenken lagen, die ebenfalls als Aufenthaltsort in Frage kamen. Sie hatte ihrem Herrn mitgeteilt, dass es keine Garantie gab, ihn dort tatsächlich anzutreffen. Dennoch merkte selbst sie, dass er die Geduld verlor. Hoffentlich war der Gesuchte hier… Den Kappa hatten sie bereits vor der Grenze der kleinen Stadt zurückgelassen, sodass es nur die beiden waren, die das Haus betraten. Da es Mittag war, war nicht gerade viel los. Das Hauptgeschäft fing später an, dennoch waren auch jetzt einige Frauen zu sehen, die die Hand voll Gäste an einem der größeren Tische betreuten und für ausreichend Sake sorgten. Uyeda war nicht unter ihnen. Dann fiel ihr Blick auf eines der Separees, wo ein einzelner Mann saß. Er hatte den Schädel bis auf einen Zopf am Hinterkopf kahl rasiert und trotz seines finsteren Gesichtes, hielten sich gleich drei junge Frauen bei ihm auf. Er war also in Spendierlaune. ‚Neun‘ nickte in seine Richtung und ging neben Sesshomaru zu dem Gesuchten hin, der sie nun ebenfalls bemerkte. Kaum hatte er die Sklavin erkannt, scheuchte er die Frauen von sich. „Wehe dir du hast schon wieder schlechte Nachrichten, Weib.“ Tatsächlich war ihre letzte Begegnung nicht gerade positiv verlaufen. ‚Neun‘ hatte einen Handel absagen müssen, da Kenzo ein besseres Angebot erhielt und direkt verkaufen konnte. Dennoch setzte sie sich, verbeugte sich mit einem leichten Lächeln und gab mit einer Handbewegung zu verstehen, dass es nicht allzu schlimm war. Da ihr Begleiter nicht den Anschein erweckte, abermals das Gespräch führen zu wollen, schrieb sie ihr Anliegen auf. Uyeda überflog die Zeilen, ehe er mit Blick auf Sesshomaru äußerte: „Gehört er zu Kenzo?“ Einstimmiges Nicken, auch wenn es einem von ihnen zutiefst widerstrebte, sich abermals als einer von ihnen ausgeben zu müssen. „Ich war für den Daimyo Shigekazu einkaufen.“ Ebenso unauffällig, wie die Youkai gekommen waren, gingen sie wieder. Wenig später war das Geschrei mehrerer Frauen zu hören, als diese feststellen mussten, dass einer ihrer Gäste nicht einfach nur eingeschlafen, sondern tot, war. Das bekam die kleine Gruppe aber nicht mehr mit. Stattdessen befanden sie sich längst auf dem Weg zum Anwesen des Daimyos, dessen Name auch Sesshomaru ein Begriff war. ~~~ Rin bemühte sich nach Leibeskräften, mit den anderen drei Mädchen mitzuhalten. Ihre gemeinsame Aufgabe war es, die gesamten Gänge zu reinigen – an einem Tag. Bisher lagen sie gut in der Zeit. Ob das so bleiben würde, war fraglich. Rin musste wirklich die Zähne zusammenbeißen, um trotz ihrer Schmerzen Schritt zu halten. Am Vortag war es nicht bei der einen Ohrfeige geblieben. Der Soldat, welcher sie erwischt hatte, brachte sie zum Haushofmeister und erst dort erhielt sie ihre richtige Strafe. Ihr gesamter Körper schmerzte und war von blauen Flecken übersät. Wenn sie schon dachte, die Bewohner ihres früheren Dorfes waren gnadenlos, so war sie nun eines Besseren belehrt worden. Dazu kam auch noch die Maßregelung dafür, dass sie mit ihrer Tagesarbeit nicht fertig wurden. Ihre zwei Leidensgenossinnen hatten Rin dafür einige unfreundliche Blicke zu Teil werden lassen. Keine der Frauen und Mädchen hatte auch nur ein nettes Wort mit ihr geredet, stattdessen ging man ihr aus dem Weg. Oder wohl eher dem Ärger, den sie in den Augen der anderen Sklaven mit sich brachte. Bei der Ausgabe des Abendessens hatte man sie wie Luft behandelt und sie hatte sich ihre Portion mühsam ergattern müssen. Beim Frühstück das gleiche wieder. Als dann die Aufgaben verteilt wurden, hatten die drei anderen Rin als aller erstes in die Mangel genommen und ihr nahe gelegt, nicht noch eine Gruppenstrafe zu verursachen. Ihr Körper zitterte bereits vor Anstrengung, doch sie durfte sich keine Pause erlauben. Wer wusste schon, was passieren würde, sollte sie zurückfallen oder nicht alles schaffen. Die kollektive Strafe war sicher – und damit auch, dass sie die anderen gegen sich aufbrachte. Auf beides konnte sie gut verzichten. Zumal sie kein weiteres Mal schuld daran sein wollte, dass andere aufgrund ihres Verschuldens mit ihr leiden mussten. An diesem Abend war Rin eine der ersten, die ihren Futon ausgebreitet hatten und sich niederlegten. Sie wusste selbst nicht, wie sie den Tag durchgestanden hatte, ohne zusammenzubrechen. Tatsache war aber, sie hatte durchgehalten. Nicht, dass es irgendwen interessierte, wie es ihr ging oder jemand gar ein paar lobende Worte verlauten ließ. Immerhin hatte sie ihre abendliche Ration ohne die Schikanen des vorherigen Tages erhalten. In dem Versuch, eine halbwegs bequeme Position zu finden, drehte sich Rin auf die Seite – nur um es sofort zu bereuen. Ihre schmerzenden Arm und Schulter noch zusätzlich mit dem Gewicht ihres Körpers zu belasten, war keine gute Idee. Auf dem Rücken war es besser auszuhalten, daher legte sie sich entsprechend hin. Diese Lage war zwar nicht ganz so quälend, hatte aber den Nachteil, dass sie sich nicht zusammenrollen konnte. Dabei wollte sie nichts sehnlicher, als sich unter der Decke so klein wie möglich zu machen. Warum taten Menschen anderen Menschen so etwas an? Nahmen ihnen die Freiheit und fügten ihnen Schmerzen zu – warum das alles? Was hatten sie davon? Es war doch nicht so schwer, Angestellte zu finden, die die anfallenden Arbeiten verrichteten. Es war nicht nötig, Dörfer zu überfallen und die Bewohner zu verschleppen. Ihre Zimmergenossinnen mochten sich damit abgefunden haben, aber Rin konnte das nicht. Wollte es nicht. Es war nicht richtig! Ebenso wollte sie nicht wahrhaben, dass hier jeder sich selbst der Nächste war. Jeder, den sie bisher getroffen hatte, wollte selbst möglichst unbeschadet durch den Tag kommen, kümmerte sich nicht um die Probleme der anderen. Das war bei Kaede im Dorf undenkbar. Als InuYasha und die anderen verkündeten, eine letzte gemeinsame Reise anzutreten, hatten sich gleich mehrere Familien angeboten, die Kinder von Sango und Miroku so lange bei sich aufzunehmen. Kohaku hatte ebenfalls ohne zu zögern auf Kirara als Begleitung verzichtet, damit diese mitgehen konnte. Dabei war es selbst für einen Dämonenjäger nicht ungefährlich, allein unterwegs zu sein. Aber das hatte der junge Mann nicht weiter beachtet, sondern wollte nur seiner Schwester eine Freude machen – und Kirara hatte ebenso wenig dagegen gehabt. Eigentlich müssten sie längst von ihrem Auftrag zurück sein. Vielleicht war auch Kohaku bereits eingetroffen, um seine vierbeinige Begleiterin abzuholen. Oder Sesshomaru-sama. Es war nur eine Frage der Zeit – Rin stockte in ihren eigenen Gedanken. Die Spur zu den Händlern zurückzuverfolgen sollte für jeden der Halbbrüder einfach sein. Nur was dann? Niemand wusste, dass sie hier war. Woher auch? Eine eisige Kälte ergriff Besitz von ihrem Körper. Sollte es das gewesen sein? Sesshomaru-sama hatte sie bisher immer gefunden. Würde er es auch dieses Mal schaffen? Ohne jegliche Spur auf ihren Verbleib? Sie kniff ihre Augen zu, als könnte sie damit vor der Wahrheit fliehen. Überall um sie herum leises Rascheln. Dieser Raum war voller Menschen - und doch fühlte sich Rin einsamer als je zuvor. Ihre Finger krallten sich in die dünne Decke, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie kämpfte die aufkeimende Panik und damit ihre Tränen nieder. Das einzige, was ihr blieb, war ein banges Hoffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)