Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 1: Gefangen ------------------- Schwärze. Undurchdringliche Schwärze. Dunkelheit. Unendlich dunkel, so erdrückend, dass es fast schon schmerzte. Obgleich - ich empfand tatsächlich Schmerzen! Aber nicht im Bereich der Augen, sondern eher am Hinterkopf. Wieso Hinterkopf? Wo bin ich? Was ist geschehen? Das waren die ersten greifbaren Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich langsam aus einem Meer aus Dunkelheit wieder auftauchte. In diesem Augenblick war es mir unmöglich zu sagen, wo ich mich befand und was mir eigentlich widerfahren war. Sehen konnte ich immer noch nichts, was aber auch daran liegen mochte, dass meine Augen noch geschlossen waren. Mir war, als ob Zentnergewichte auf meinen Lidern ruhten, und nicht nur da, sondern auf dem gesamten Körper, denn ich konnte mich nicht einen Deut bewegen. In was für einer Lage befand ich mich nur? Und nun überfielen die Schmerzen meinen Körper mit aller Macht. Vom Hinterkopf ausgehend, strahlten sie wellenförmig in alle Richtungen aus, außerdem schien es mir, als seien vor allem die Gelenke zum Zerreißen gespannt. Was geschah denn nur mit mir? Mit aller Kraft, die ich in diesem Moment aufbringen konnte, versuchte ich, mich zu rühren, meine Hände zu bewegen, mir an den Kopf zu fassen, um etwas Linderung für meinen hämmernden Schädel zu erlangen. Es gelang mir nicht. Im Gegenteil, je mehr ich mich anstrengte, umso heftiger wurden die Schmerzen, jetzt vor allem an den Handgelenken, es brannte wie Feuer. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ich war gefesselt! Ich bewegte, um ganz sicher zu gehen, alle Gliedmaßen, zumindest versuchte ich es, hatte aber damit nicht den geringsten Erfolg. Irgendjemand hatte mir Handgelenke und Knöchel auf eine nicht gerade sanfte Art und Weise so fest zusammen geschnürt, dass die dafür verwendeten Stricke mir tief ins Fleisch schnitten. Auch am Rest meines Körpers hatte man nicht mit Schnüren gespart. So wie es sich anfühlte, hatte man diese mehrfach um meinen Leib geschlungen und mich dann in sitzender Position an einen Pfahl oder ähnlichem gefesselt. Nachdem ich mit meinen Überlegungen schon so weit gekommen war, wollte ich natürlich unbedingt herausfinden, wo ich mich befand und wie ich eigentlich in diese Lage gekommen war. Also unternahm ich einen erneuten Versuch, die Augen zu öffnen, und nach einem kurzen Moment der Anstrengung gelang es mir tatsächlich, die bleierne Schwere, die auf meinen Lidern lastete, langsam zu durchdringen. Sehen konnte ich jedoch immer noch nicht viel, aber das lag jetzt daran, dass ich mich offensichtlich im Inneren eines Zeltes oder ähnlichem befand, welches im Dunkel der Nacht lag und das nur ganz schwach von dem Schein eines Feuers, vielleicht eines Lagerfeuers, erhellt wurde. Langsam drehte ich meinen Kopf, sehr langsam, um das Hämmern und Pochen darin so erträglich wie möglich zu machen, und gewahrte zu meiner Linken zwei Gestalten, ebenfalls sitzend und offensichtlich in der gleichen Weise wie ich gefesselt. Die Person neben mir ergriff sofort leise das Wort, als sie meine Bewegungen gewahr wurde. „Nun, altes Greenhorn, endlich ausgeschlafen? Wurde auch mal langsam Zeit, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Sam? Sam Hawkens? Was um alles in der Welt...? Und dann, endlich, standen die letzten Ereignisse plötzlich glasklar und messerscharf vor meinem inneren Auge und ließen mich noch nachträglich zusammenzucken. Natürlich! Sam war kurz vor dem Zusammenstoß mit den Kiowas mit uns zusammengetroffen, genau in dem Moment, als wir die Goldsucher unter Einsatz unseres Lebens aus der größten Gefahr gerettet hatten. Wir, das waren Emery Bothwell, mein steinreicher Freund aus England, der uns nach den dramatischen Ereignissen vor fast sieben Monaten immer noch nicht verlassen wollte, weil er es einfach nicht übers Herz brachte; und den ich jetzt als die zweite, neben Sam Hawkens sitzende Gestalt erkannte, und Winnetou, mein.....Winnetou? Mein Blick schweifte noch einmal, diesmal sorgfältiger, durch das Zelt, auf der Suche nach meinem geliebten Blutsbruder. Ohne Erfolg. Wo war er? Wo war Winnetou? Ich schloss nochmals kurz die Augen, um nachzudenken, wann ich ihn zuletzt gesehen hatte. Bruchstückhaft glitten einige Szenen an mir vorüber. Wir hatten unser Lager aufgebaut, ich hatte mich um das Feuer gekümmert, Emery und Sam hatten Holz gesammelt und Winnetou die Pferde versorgt. Er wollte auch die erste Wache übernehmen, und so hatten wir anderen drei uns nicht lange danach hingelegt. Ich selbst musste wohl innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen sein, da wir einen sehr anstrengenden Tag hinter uns gehabt hatten. Was war dann geschehen? Ich dachte angestrengt nach, aber jetzt flimmerten nur einzelne Empfindungen durch meine Erinnerung; meine Kehle, plötzlich wie zugeschnürt, meine Brust, auf der ein furchtbarer Druck lastete, wie ein Alp, durchdringende Kriegsschreie, dir mir in den Ohren dröhnten... Natürlich! Die Kiowas mussten uns überfallen haben! Und nun befand ich mich zusammen mit meinen Gefährten als Gefangener in einem ihrer Zelte, aber wo genau? Und wo war Winnetou? Ich hob meinen Kopf, immer noch unter pochenden Schmerzen, erneut an, und versuchte, Sam Hawkens mit meinen Augen zu fixieren, was mir im Moment noch schwer fiel, da meine Umgebung mir immer wieder vor den Augen verschwamm. „Sam?“ fragte ich leise. „Was gibt es, altes Greenhorn?“ antwortete dieser in seiner gewohnt launigen Weise. „Wisst Ihr, wo wir hier sind? Und vor allem, wo ist Winnetou?“ Bei meiner letzten Frage verdüsterte sich das Gesicht meines alten Freundes deutlich, das konnte ich sogar trotz des flackernden Halbdunkel erkennen. Dementsprechend zögerlich antwortete er: „Tja, wo genau wir uns hier befinden, kann ich Euch auch nicht sicher sagen, geliebter Sir! Genau wie Ihr wurden auch wir beide von den Indsmen ein wenig schlafen gelegt, wenn ich mich nicht irre. Wir vermuten aber, dass sie uns in die Nähe des San-Juan-Rivers gebracht haben, dort lagert im Moment der Hauptteil der Kiowas, und unser Lager war davon ja nicht allzu weit entfernt.“ Ich wartete einige Augenblicke, um ihn meine zweite Frage beantworten zu lassen. Er aber biss sich nur auf seine Lippen, und sein Gesicht nahm wieder einmal jenen zerknautschten Ausdruck an, der ihn immer begleitete, wenn ihm Unangenehmes bevorstand. Nochmals fragte ich, diesmal deutlich drängender: „Und wo genau befindet sich Winnetou jetzt?“ Als Sam immer noch herumdruckste, wandte ich mich an Emery. „Emery, bitte, so antworte du mir wenigstens! Ist Winnetou etwas geschehen?“ Auch dem Engländer war anzusehen, dass er sich nicht gerade darum riss, mir zu antworten, und so räusperte er sich mehrmals, bevor er begann: „Wir wissen es nicht, Charlie! Als wir erwachten, befanden wir uns schon hier im Zelt, und er war nicht da. Bis jetzt ist auch noch kein Kiowa erschienen, der uns Auskunft hätte geben können – wobei ich mir sicher bin, dass diese roten Schufte uns auch keinerlei Fragen beantworten würden.“ In mir kroch wieder einmal eine mir nur zu gut bekannte Angst um den Apatschen hoch. Seit seinen schweren Verletzungen vor vielen Monaten hatte ich die furchtbaren Todesängste um ihn nie völlig abschütteln können, seitdem wachte ich sozusagen mit Argusaugen über meinen Freund. Hatte ich hier etwa versagt? „Wie lange befinden wir uns denn schon hier?“ wollte ich jetzt wissen. Auch hier erntete ich nur ein Schulterzucken von dem Engländer und die knappe Antwort: „Kann ich dir leider auch nicht sagen, Charlie, tut mir leid.“ Ich sah mich nochmals im Zelt um, schaute dann durch den schmalen Spalt des Eingangsloches nach draußen. Es herrschte tiefste Dunkelheit, und daraus leitete ich dann folgende Erkenntnis ab, die ich für meine Gefährten auch laut äußerte: „Es war später Abend, als wir uns schlafen legten, und jetzt ist es auch dunkel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir alle einen vollen Tag lang ohne Bewusstsein hier gelegen haben, dann würde es uns mit Sicherheit deutlich schlechter gehen. Wahrscheinlich ist eher, dass nur wenige Stunden seit dem Überfall vergangen sind!“ Sam und Emery nickten zustimmend. Ich forschte weiter, versuchte dabei meine innere Unruhe, die Sorge um Winnetou zu unterdrücken, die mich jetzt fest im Griff hatte, aber es war unbedingt notwendig, nun ruhig und überlegt vorzugehen, um uns und dann vielleicht auch Winnetou retten zu können. „Könnte es nicht eventuell möglich sein sein, dass der Apatsche sich hat retten können während des Überfalls? Dass er auf seinen Rundgängen während seiner Wache die herannahende Gefahr bemerkte und, da er keine Möglichkeit mehr hatte, uns zu warnen, sich vor der Übermacht versteckte und uns jetzt heimlich gefolgt ist?“ Ich stellte diese Frage voller Hoffnung, dass es so gewesen sein könnte, klammerte mich geradezu daran. Emery hatte diese Möglichkeit auch schon in Betracht gezogen und hielt sie sogar für ziemlich wahrscheinlich: „Wir kennen doch unseren Winnetou. Wem, wenn nicht ihm, sollten wir es zutrauen, sich hier anzuschleichen und uns zu befreien?“ Dieser Meinung war ich zwar auch, aber das ungute Gefühl ließ mich trotzdem nicht los. Außerdem, selbst wenn Winnetou wirklich frei sein sollte und schon unsere Rettung vorbereitete, wollte ich deswegen nicht bis dahin tatenlos herumsitzen, sondern ihm entgegen arbeiten. „Habt ihr schon mal versucht, eure Fesseln irgendwie zu lösen? Könnt ihr euch vielleicht in irgendeiner Weise bewegen?“ fragte ich die Gefährten, fieberhaft nach einer Möglichkeit zu unserer Befreiung suchend. „Tut mir wiederum leid, altes Greenhorn, aber die Kerls waren nicht so dumm, uns hier ungefesselt liegen zu lassen, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!“, ließ sich jetzt wieder Sam Hawkens mit seinem unnachahmlichen Gekichere hören. Er verlor niemals seinen Humor; in gefährlichen Situationen wie dieser hier verwandelte er ihn höchstens in eine Art Galgenhumor. Und Emery ergänzte: „Wir sind ebenso wie du nicht nur an Händen und Füßen gefesselt, sondern auch an einem Pfahl, und das wohl doppelt und dreifach. Ich kann meine Hände in keinster Weise bewegen, und unser guter Sam hier auch nicht. So wie ich das sehe, haben wir im Moment nicht gerade viele Möglichkeiten....“ Das sah ich zwar auch so, konnte mich aber absolut nicht damit abfinden, zumal ich alles daran setzen wollte, mehr über Winnetous Schicksal zu erfahren. Ich begann nochmals, mit aller Kraft an meinen Fesseln zu zerren, erreichte aber nur, dass mir in kürzester Zeit das Blut über die Handgelenke lief und Sam mir warnend zurief: „Haltet ein, haltet ein, geliebter Sir! Es bringt niemanden was, wenn Ihr Eure Hände unbrauchbar macht!“ „Ihr habt ja recht, Sam“, entgegnete ich, etwas verärgert über meinen Misserfolg. „Wir werden wohl erst einmal unser Hirn benutzen müssen!“ Sam kicherte wieder leise in sich hinein und meinte dann: „Richtig, altes Greenhorn; das hat Euch ja schon ein paarmal aus der Patsche geholfen, wenn ich mich nicht irre!“ „Und nicht nur ihm!“, ergänzte Emery lächelnd. Nun versanken wir in nachdenkliches Schweigen, jeder hing seinen Gedanken nach. Ich ließ mir nochmals die vergangenen Tage durch den Kopf gehen - vielleicht hatte ich etwas Wichtiges übersehen? Winnetou und ich hatten in den letzten Monaten die glücklichste Zeit unseres bisherigen Lebens im Pueblo seiner Mescaleros verbracht. Es war zwar noch nicht lange her, ungefähr fünf, vielleicht sechs Wochen, seit er wieder vollständig von seinen schweren Verletzungen genesen war, so dass wir erst seit kurzem lange, teils mehrtägige Ausflüge unternehmen konnten, aber auch vorher schon hatten wir jeden Tag in seiner ganzen Lebendigkeit von morgens bis abends intensiv ausgekostet. Als mein Freund noch nicht oder nur für kurze Zeit aufstehen durfte, hatte ich ihm stundenlang aus Büchern verschiedenster Thematik vorgelesen, wir hatten uns in unendlichen Diskussionen über politische oder historische Geschehnisse ergangen, wobei er mich mit seinen Gedankengängen auch ein übers andere Mal zum intensiven Nachdenken über meine teils starren und festgefahrenen Ansichten brachte, oder wir hatten einfach nur schweigend beieinander gesessen, vornehmlich draußen auf der Plattform, wo wir das bunte Treiben des Pueblo beobachteten, genauso wie die grandiose Naturlandschaft drumherum. Ich hatte meinen Blutsbruder vollständig für mich, die ganze Zeit über, vierundzwanzig Stunden am Tag, und das über Monate, und es war uns nicht eine Sekunde langweilig geworden, trotz seiner ärztlich verordneten Tatenlosigkeit; es gab niemals auch nur den Hauch einer Unstimmigkeit zwischen uns, obwohl wir noch nie so eine lange Zeit so nahe zusammen gewesen waren. Es war einfach nur pures Glück, und ich dankte jeden Tag unserem Herrgott mit voller Inbrunst, dass er meinen geliebten Freund ein zweites Leben geschenkt hatte und uns jetzt dieses Glück vergönnt war. In dieser Zeit hatte ich mich mehr und mehr in das alltägliche Leben der Mescaleros eingefügt und war einfach nur froh, dazuzugehören, zu diesem stolzen, freundlichen und mit der Natur untrennbar verbundenen Volk zuzugehören, von ihm vollständig akzeptiert zu werden. In der ersten Zeit hatte ich mich kaum eine Minute von Winnetou getrennt, aber nach wenigen Monaten, als er sich wieder im Freien ergehen durfte, hatte ich mit ihm zusammen Gelegenheit, alle mir noch nicht bekannten Sitten und Gebräuche und alltägliche Lebensgewohnheiten der Apatschen kennen und lieben zu lernen. Das alles hatte ich in vollen Zügen genossen, denn während meinen vorherigen Besuchen hatte ich ja nie genug Zeit dazu gefunden. Mehr als einmal wurde mir dabei auch bewusst, wie viel ich verpasst hätte, wenn ich nicht vor Monaten auf meine innere Stimme gehört hätte, die mich drängte, anstatt nach wie geplant nach Afrika dann doch in den Westen zu reisen, um meinen geliebten Blutsbruder aufzusuchen. Niemals werde ich die darauffolgenden Wochen vergessen! Niemals vergessen, wie Winnetou mir schwerverletzt auf seinem Iltschi auf Helmers Home entgegenkam, wie er dank der Hilfe des zufällig anwesenden Arztes Walter Hendrick tatsächlich dem Tod trotzen konnte, wie er sich mit meiner Unterstützung wieder zurück ins Leben gekämpft hatte, nur um dann, gerade wieder einigermaßen genesen, mir mein Leben zu retten, indem er sich in die Flugbahn der Kugel warf, die eigentlich mir gegolten hatte. Niemals werde ich vergessen, wie er daraufhin zum zweiten Mal in buchstäblich letzter Sekunde von Dr. Hendrick gerettet worden war, und anschließend Monate brauchte, um wieder vollständig gesund zu werden. In dieser Zeit wurde mir mit erschreckender Deutlichkeit vorgeführt, wie vergänglich das Leben ist. All die Jahre zuvor hatte ich mich immer wieder für Monate, teils sogar Jahre von Winnetou getrennt, um mein anderes Leben in Deutschland oder auf meinen weltweiten Reisen fortzuführen, hatte ihn mit seiner schweren Aufgabe als Häuptling aller Apatschen, mit all seinen Sorgen und Nöten, leichtfertig alleine gelassen und mich einfach bedenkenlos darauf verlassen, ihn zum verabredeten Zeitpunkt gesund und munter wiederzusehen, ohne auch nur den Hauch eines Gedankens daran zu verschwenden, in was für einer gefährlichen Zeit, in was für einem gefährlichen Gebiet er lebte und er nicht nur für sich, sondern auch für ein ganzes Volk die Verantwortung trug. Erst als ich zum ersten Mal diese fürchterliche Todesangst um ihn ausstehen und tagelang um sein Leben kämpfen musste, war mir bewusst geworden, wie sehr er mich brauchte, und vor allem, wie sehr ich ihn brauchte, wie unendlich lieb und teuer er mir war und dass er das Wichtigste und Kostbarste überhaupt auf dieser Welt für mich darstellte, das es mit allen Mitteln zu schützen galt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den unwiderruflichen Entschluss gefasst, für immer an seiner Seite zu bleiben, um ihm eine feste Stütze zu werden und ihm Halt und Hilfe für seine schwere Aufgabe zu bieten, so wie er es sich schon von Beginn unserer Blutsbrüderschaft an eigentlich von mir gewünscht hatte. Aus Liebe zu mir, aus Rücksicht auf meine Herkunft und meine Lebensweise hatte er mir gegenüber aber nie darüber gesprochen, sondern mich immer ziehen lassen, weil er mich einfach nur glücklich sehen wollte. Und wie sehr, wie sehr hatte er sich dann darüber gefreut, als ich ihm meine Entscheidung, für immer bei ihm zu bleiben, mitgeteilt hatte! Mir geht heute noch das Herz auf, wenn ich an den erst ungläubigen, dann langsam begreifenden und anschließend vor Freude aufleuchtenden und überglücklichen Gesichtsausdruck Winnetous denke! Und diese Freude, dieses Glück hätte ich ihm und damit auch mir soviel früher bereiten können, wenn ich nur einmal richtig nachgedacht hätte. Und über das allerhöchste Glück hatte ich erst recht nicht nachgedacht, weil ich es nie für möglich gehalten hätte, dass er oder auch ich überhaupt so empfinden könnten. Unsere innige Zweisamkeit während seiner ersten Genesungsphase hatte dazu geführt, dass wir uns auch körperlich näher gekommen waren, dass sich unsere große Liebe und Zuneigung zueinander jetzt auch in der körperlichen Liebe formvollendete. Erst seitdem fühlte ich mich, als sei ich endlich zu Hause angekommen, als sei mein jahrelanges Herumreisen in der Weltgeschichte nur eine Suche nach dem absoluten Glück gewesen, welches mir jetzt endlich beschieden wurde und diese Suche endgültig beendete. Es hatte sich in einer gewissen Art bewahrheitet, als Intschu tschuna uns damals prophezeite, dass unsere Seelen und unsere Körper Eins werden sollte, genauso fühlte es sich nämlich an, wenn ich mit meinem Winnetou zusammen war. Natürlich hatte ich mir meine Gedanken darüber gemacht, wie wir diese für unsere Mitmenschen unverständliche Form der Liebe im Alltag leben sollten, aber bei den Apatschen stellte sich das als unkomplizierter dar, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Ich konnte gar nicht genau sagen, ob sie etwas ahnten oder sogar mitbekommen hatten, aber wenn, dann nahmen sie es als eine Selbstverständlichkeit auf, die bei meinen Landsleuten ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Hier bei den Mescaleros aber wurde dadurch unser Zusammenleben deutlich vereinfacht, auch wenn wir diese Art der Liebe so geheim wie möglich versuchten zu halten, um niemanden in einen Gewissenskonflikt zu stürzen. Wir lebten diese Liebe aber um so mehr und um so leidenschaftlicher aus, wenn wir völlig allein für uns waren, und das war meistens auf unseren Jagdausflügen der Fall. Irgendwo fand sich immer ein sicherer Platz oder eine kleine Grotte, in der wir vor Überraschungen völlig sicher waren und dann in ungehemmter Leidenschaft und Begierde übereinander herfielen, bis wir nach gefühlten Ewigkeiten völlig erschöpft eng umschlungen nebeneinander liegen blieben und dieses unendliche Glück mit allen Sinnen genossen. So war es auch vor zwei Wochen gewesen. Damals konnten wir aber noch nicht wissen, dass wir uns Minuten danach in höchster Gefahr befinden würden.... Kapitel 2: Liebe und größte Not (zwei Wochen zuvor) --------------------------------------------------- Zwei Wochen zuvor: Ein herrlicher Morgen! Liebliches Vogelgezwitscher und ein strahlend blauer Himmel begrüßten mich, als ich unsere Wohnung im dritten Stockwerk des Pueblos verließ. Ich war erst ein paar Minuten zuvor erwacht, und, da Winnetou nicht wie gewohnt an meiner Seite lag, sofort aufgestanden, in der Annahme, völlig verschlafen zu haben. Der Stand der Sonne aber zeigte mir, dass das nicht der Fall war. Also reckte und streckte ich mich erst einmal genüsslich, bevor ich meinen Blick über das Pueblo und den großen Platz davor schweifen ließ, auf der Suche nach meinem Freund. Zuerst entdeckte ich Walter Hendrick, den Doktor, der Winnetou und mir ein lieber und treuer Freund geworden war und dem ich es niemals mehr vergessen würde, dass er meinen geliebten Blutsbruder in einem wahren Kraftakt wieder zurück ins Leben geholt hatte. Er hatte sich mittlerweile völlig in die Lebensweise der Mescaleros integriert; und obwohl er ursprünglich eigentlich vorgehabt hatte, nur wenige Monate, vielleicht höchstens ein oder zwei Jahre zu Studienzwecken bei den Indianern zu verbringen, war es jetzt schon abzusehen, dass er für immer hier bleiben würde, zumal ihn in seiner Heimat, in Deutschland, welche ihm das größte Unglück beschieden hatte, auch nichts mehr hielt. Walter saß jetzt, wie schon so oft von einer Horde Squaws umgeben, unter der großen Lebenseiche nahe am Ufer des Pecos, um die Frauen in seine ärztliche Kunst einzuweisen. Seine Anwesenheit unter den Apatschen hatte schon mehrere Male dazu geführt, dass erkrankte Kinder schneller genesen waren oder manche Erkrankungen erst gar nicht auftraten. Die Bewohner des Pueblos verehrten ihn als großen Heiler, zumal er ihnen ja auch ihren geliebten Häuptling erhalten hatte. Ich sah ihn auch jetzt wieder mit großem Enthusiasmus den Lehrmeister geben und musste unwillkürlich lächeln über dieses außergewöhnliche Bild. Weiter hinten sah ich Emery mit Old Surehand und Old Firehand im Gespräch. Richtig, die beiden Letztgenannten wollten sich ja heute für einige Zeit von uns verabschieden! Firehand musste nach seiner langen Abwesenheit endlich einmal wieder zu seiner „Festung“ zurückkehren, ein völlig versteckt liegendes, winzig kleines Tal inmitten eines Bergmassivs in der Nähe des San-Juan-Rivers, wo er mit einer Gruppe von Pelzjägern lebte; er wollte dort nach dem Rechten sehen, und Surehand hatte Lust, ihn zu begleiten. Dieser hatte für seine Verhältnisse schon unnatürlich lange an diesem einen Ort ausgeharrt und war jetzt froh, wieder einmal Prärieluft schnuppern zu können. Beide wollten aber in wenigen Wochen schon wieder zurück sein, denn auch sie konnten nicht vergessen, wie knapp Winnetou vor nicht allzu langer Zeit dem Tode entronnen war. Sie kannten ihn schon so lange; er war ihnen ein sehr guter Freund, über den sie gerade in den letzten Monaten mit fast schon väterlicher Sorge gewacht hatten, und irgendwie brachten sie es noch nicht übers Herz, ihn für längere Zeit zu verlassen. Und jetzt entdeckte auch ich meinen Freund, der sich der Gruppe näherte, und im Unterbewusstsein spürte ich, wie sich mein Herzschlag vor Freude ein wenig beschleunigte. Er hielt etwas in den Händen, was ich aus dieser Entfernung nicht genau erkennen konnte, aber ich ahnte, dass es wahrscheinlich ein kleines Abschiedsgeschenk für die beiden Westmänner war. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er früher als ich aufgestanden war. Schnell wusch ich mich und zog mich an, dann lief ich zügig hinunter zu der kleinen Gruppe, zu der sich jetzt auch der Doktor gesellt hatte, um mich ebenfalls gebührend von den beiden Freunden zu verabschieden. Winnetou begrüßte mich mit seinem mir so vertrauten innigen und liebevollen Blick, der wie schon so oft voller Wärme auf mir ruhte, den er mir aber gar nicht oft genug zuwerfen konnte und der mir jetzt wie jedesmal einen leisen Schauer über den Rücken jagte. Ich nickte ihm lächelnd zu und wandte mich dann an die Gefährten. Beide trugen nun jeweils eine kunstvoll verzierte und geschmückte Friedenspfeife in den Händen, wohl das Geschenk Winnetous, dass er ihnen gerade überreicht hatte. Sie bedankten sich dafür auch jetzt bei ihm in aller Ausführlichkeit, zumindest wollten sie es, aber Winnetou wehrte dieses Ansinnen schnell mit den Worten ab: „Meine Brüder mögen nun nicht mehr davon sprechen. Winnetou ist so dankbar und froh über die Hilfe und Unterstützung, die sie ihm in den letzten Monden zuteil werden ließen, dass diese kleine Gabe gar nichts davon wettmachen könnte. Er betet aber zum großen Manitou, dass dieser seine weißen Brüder gesund wieder zurück zu den Apatschen führen wird!“ „Na, da mach dir mal keine Sorgen, mein Freund!“ ergriff Surehand in seiner launigen Art das Wort und gab Winnetou einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Viel wichtiger ist uns, dass du auf dich aufpasst und uns in der Zwischenzeit keinen Kummer machst, hörst du? Und das gilt übrigens für euch beide!“ Mit diesen Worten wandte er sich jetzt auch an mich, während Firehand dazu bekräftigend nickte, und beide sahen mich bedeutsam an. Ich wusste sofort, dass sie mir auf diese Weise die Bitte mit auf den Weg gaben, weiterhin ein besonderes Augenmerk auf Winnetou zu haben und gut auf ihn aufzupassen. Lächelnd gab ich ihnen die Hand. „Seid unbesorgt, hier sind wir so sicher wie sonst nirgends. Ihr seid es hingegen, die allein durch teils gefährliches Gebiet reiten müsst, und deshalb bitte auch ich euch inständig, auf euch achtzugeben!“ Beide versprachen es nochmals hoch und heilig, dann umarmten sie uns zum Abschied, saßen auf und waren nun bereit, sich auf den Weg zu machen, wobei wir sie noch ein kleines Stück in die Prärie hinaus begleiten wollten. Walter Hendrick wandte sich jetzt Entschah-koh zu, dem Unterhäuptling Winnetous, der schon, ebenfalls hoch zu Ross sitzend, auf ihn wartete. Beide hatten vor, in Begleitung von zwanzig weiteren Apatschen der neuen Siedlung unserer Auswanderer von Helmers Home einen Besuch abzustatten, die etwa einen Tagesritt vom Pueblo entfernt lag. Der Doktor wollte dort nach dem Rechten sehen und schauen, ob irgendjemand ärztlicher Hilfe bedurfte, während die Mescaleros ihrerseits Hilfe bei den noch nicht völlig fertiggestellten Bauten anbieten wollten. Winnetou fühlte dem Arzt gegenüber die allergrößte Dankbarkeit aufgrund der Tatsache, dass dieser in den letzten Wochen und Monaten so unendlich viel Zeit und Mühen darauf verwendet hatte, sein Leben zu retten und ihn gesund zu pflegen. Aus diesem Grunde hatte er dem Doktor, kaum dass er wieder aufstehen durfte, auch das derzeit edelste Pferd seiner berühmten Zucht geschenkt. Er kannte dessen ungeschickte Reitkünste zu Genüge und sorgte deshalb auch dafür, dass Hendrick intensiven Reitunterricht bekam, so dass dieser sich inzwischen zu einem recht guten Reiter gemausert hatte, was hier in der Wildnis allerdings auch wirklich unabdingbar war. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich nun Emery, der entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht mit uns reiten wollte. Stattdessen sah er sich nach der herzlichen Verabschiedung auf dem großen Platz um; erst mit suchender, hoffender Miene, die sich dann aber sichtlich erhellte, als er Tsen-tainte (Weißes Pferd) entdeckte, eine sehr schöne, hochgewachsene, schlanke Apatschin, der unser Engländer offenbar äußerst zugetan war. Unwillkürlich lächelte ich in mich hinein, als Emery jetzt blindlings und strahlend auf sie zueilte, dabei einen im Weg liegenden Stein übersah und ins Stolpern geriet, wobei er nur mit Mühe verhindern konnte, im hohen Bogen der Länge nach auf den Boden zu schlagen. Ich sah hinüber zu Winnetou, der ebenfalls einiges an Anstrengung darauf verwenden musste, eine weiterhin unbewegte Miene zu machen. Old Surehand, der sich sonst schon mal gerne über die kleineren Missgeschicke anderer lustig zu machen pflegte, hielt sich bei dieser Szene zurück, wenn auch mühsam, da auch er mitbekommen hatte, dass unser liebenswerter Emery hier offenbar auf Freiersfüßen wandelte. Wir saßen jetzt ebenfalls auf, Winnetou trieb mit einem lauten Ruf seinen Iltschi an und schon ging es wie im Sturm hinaus in die Prärie. Sobald wir außer Hörweite waren, konnten Firehand und Surehand ihre Belustigung doch nicht mehr zurückhalten und begannen, aus vollem Halse zu lachen, wobei ich sofort mit einstimmte, denn die Vorstellung, Emery als gezähmten Ehemann einer Indianerin vor mir zu sehen, war einfach zu drollig und erfüllte mich mit größter Heiterkeit; selbst Winnetous belustigte Blicke sprachen hier Bände. Nach wenigen Minuten hatten wir uns von dem Lachanfall erholt, und ein paar Meilen weiter verabschiedeten wir uns dann endgültig von den beiden Freunden. Bis dahin hatten wir uns nördlich gehalten, jetzt wendeten mein Blutsbruder und ich unsere Pferde Richtung Osten, wobei Winnetou den schrillen Kriegsschrei der Mescaleros ausstieß, der hier gleichbedeutend war mit einem Abschiedsruf für die beiden Westmänner. Wir hatten schon abends vorher beschlossen, heute einen unserer geliebten Jagdausflüge zu unternehmen, und hielten deshalb auf die Gouadalupe Mountains zu, weil dort zu dieser Jahreszeit das meiste Wild zu erwarten war. Ungefähr zwei Stunden lang bewegten wir uns zwischen dem Rio Pecos und dem Hochland entlang, wodurch wir uns auch langsam der Siedlung unserer Auswanderer näherten, die ich auf Helmers Home kennengelernt hatte und die Winnetou zusammen mit Bloody Fox unter Lebensgefahr aus einer tödlichen Falle aus dem Llano Estacado gerettet hatte, wobei meinem geliebten Freund diese Rettungstat fast zum Verhängnis geworden wäre, da er dort aus dem Hinterhalt von einigen Geierbanditen schwerst verletzt worden war. Kurz darauf waren wir auf einer Anhöhe hoch über dem Rio Pecos angelangt und kamen an einem Felsmassiv vorbei, in dem sich eine kleine, sehr versteckt liegende Höhle befand, in der ich mit meinem Blutsbruder schon einige wunderbare und leidenschaftliche Stunden verbracht hatte. Unwillkürlich ließ ich meinen Hatatitla im Schritt verlangsamen und Winnetou tat es mir sofort gleich. Beide sahen wir uns an, beide brauchten wir kein Wort über die Gefühle zu verlieren, die uns in diesem Moment direkt wieder in ihren Bann zogen. Unser Jagdhunger war jetzt völlig vergessen, dafür spürten wir eine ganz andere Art von Hunger, den leidenschaftlichen Hunger aufeinander. Stumm lenkte ich meinen Rappen in Richtung Höhle; Winnetou folgte mir auf dem Fuße. Kurz vor der Grotte gab es ein lauschiges Fleckchen grasbewachsener Erde sowie einer kleinen Quelle, wo wir wortlos die Pferde anhobbelten. Dann nahm ich Winnetou bei der Hand und führte ihn, immer noch ohne ein Wort zu sprechen, in die Höhle. Achtung: wer kein Slash mag, sollte die nächsten Abschnitte überspringen, bis ich wieder Entwarnung gebe! Wenige Minuten später lagen wir, schon unserer Kleidung entledigt, nebeneinander auf dem Moosteppich, den wir wenige Wochen zuvor in der Grotte ausgelegt hatten, und unsere Hände wanderten zärtlich über den Körper des anderen, unsere Lippen folgten unseren Händen und schon versanken wir in unseren eigenen Kosmos aus Begierde, Liebe und Leidenschaft, vergaßen völlig die Welt um uns herum. Gott, was liebte ich diesen herrlichen Menschen! Seine weiche, bronzene Haut, die ihren ganz eigenen Duft nach Wildkräutern oder ähnlichem ausströmte, ich liebte seine sonore, aber sanfte Stimme, wenn er in sein leises Lachen ausbrach oder wenn er, wie jetzt auch, aufgrund seiner Erregung nur undefinierbare Wortbruchstücke von sich gab; ich liebte seine harten Muskeln, jeden einzelnen von ihnen, seine Narben, Zeugnisse seiner Tapferkeit und seiner Unbeugsamkeit Feinden gegenüber, und vor allem liebte ich sein Haar, dieses dichte, bläulich-schwarz schimmernde, volle und lange Haar, in dem sich meine Finger während unseres Liebesspiels ständig verflochten. Und nicht zu vergessen, seine Augen, diese unglaublichen schwarzen Augen, die ständig mit so viel Liebe, Wärme und Innigkeit auf mir ruhten, die mir seine Seele offenbarten, welche an Reinheit und Klarheit über allem stand; die wie diamantene Sterne am dunklen Firmament leuchteten. Und zu guter Letzt: ich liebte seine Lippen, diese wunderschönen halbvollen Lippen, über die ich mich jetzt in diesem Moment beugte und mit meinen Lippen ganz sanft liebkoste. Es dauerte nicht lange, und ich fand Einlass, und dann versanken wir in einen innigen und leidenschaftlichen Kuss, während meine Hände weiter seinen Körper erkundeten, diesen makellosen Körper mit der samtweichen Haut, den ich genauestens kannte und von dem ich doch niemals genug bekommen konnte. Als ich mich seiner intimsten Zone näherte, wollte Winnetou aufstöhnen, es gelang ihm nur dumpf, mein Mund verschloss ihn. Meine Hand glitt weiter hinunter, passierte seinen Bauchnabel, umkreiste ihn ein paarmal, glitt noch weiter hinunter, fuhr langsam an seinem hoch aufgerichteten Schaft hinauf, wieder hinunter, wieder hinauf, über seine schon feuchte Spitze, verteilte die Feuchtigkeit auf seiner Eichel, und mein Freund wand sich unter mir, sein Becken drückte sich mir entgegen, er wusste gar nicht mehr wohin in seiner Erregung, versuchte dann im Gegenzug, mich mit seinen wundervollen feingliedrigen Händen an allen möglichen Stellen, die er erreichen konnte, zu liebkosen, versuchte, sich meiner Männlichkeit zu nähern, aber wie so oft ließ ich es nicht zu, noch nicht. Allein seine heftigen Reaktionen, seine Erregung, seine Zärtlichkeiten versetzten mich in einen solch hochsensiblen, unkontrollierbaren Zustand, dass ich genau wusste, die geringste Berührung seinerseits würde mich zur Explosion bringen. Das war schon von Beginn an so gewesen, schon bei unserem ersten, eher zufälligem Zusammensein hatte ich mich in keinster Weise seiner erotischen Ausstrahlung erwehren können. Ich hatte ja geglaubt, dass das mit der Zeit vielleicht nachlassen würde, aber das Gegenteil war der Fall, es wurde von Mal zu Mal intensiver, erregender, und seitdem verlor ich wirklich jedesmal komplett die Beherrschung. Dafür aber genoss ich es jetzt umso mehr, ihn fast in die Raserei zu treiben, mit seinem Körper zu spielen, ihn zu reizen, zu verwöhnen, quälend langsam zu massieren. Irgendwann ließ ich meine Lippen meinen Händen folgen und sie umschlossen seine Erektion nur ganz leicht, hauchzart. Dadurch geriet er nun völlig in Ekstase, bemühte sich vergeblich, halbwegs ruhig liegen zu bleiben, kam mir mit seiner Mitte immer wieder entgegen, krallte seine Finger abwechselnd ins Moos oder in meinen Körper, ließ seinen Kopf in seinen Nacken sinken, die Lippen leicht geöffnet, die Augen geschlossen, der Ausdruck in seinem schönen Gesicht völlig entrückt und wie sehr liebte ich diesen Anblick! Mit allen Sinnen erspürte ich sofort, wenn sein Schaft zu pulsieren begann, und sofort unterbrach ich sämtliche Zärtlichkeiten, um seinen und damit auch meinen Höhepunkt so lange wie möglich herauszuzögern. Wir waren ganz unter uns, mussten keinerlei Rücksicht nehmen, brauchten keine Vorsicht walten zu lassen, und so konnte er ganz aus sich herausgehen, sein lautes Stöhnen und Keuchen war auch fast nicht mehr beherrschbar, von meinem mal ganz abgesehen.. Irgendwann war ich allein von seinem Anblick so hochgradig erregt, dass ich wusste, ich würde höchstens noch Sekunden durchhalten. Vorher aber wollte ich ihn auf den Gipfel der Genüsse treiben, ihn in einen Zustand grenzenloser Ekstase versetzen. So tief wie möglich ließ ich seine Erektion in meinen Mund hineingleiten, massierte ihn gleichzeitig mit meinen Lippen und mit meinen Händen, wobei die eine Hand seine Hoden sanft umfasste; und jetzt verlor er jegliche Kontrolle über seinen Körper. Sein Stöhnen war nur noch abgehackt zu hören, sein Atem flog, seine Lenden bewegten sich jetzt im schnellen Rhythmus meiner Handbewegungen mit, so dass er sich selber noch tiefer in meinen Mund trieb, und als es ihm dann dennoch gelang, sich so zu winden, dass er mit einer Hand meinen Schaft doch erreichte, ihn umfassen und massieren konnte, wurde ich so plötzlich und so schnell von einem solch heftigen Orgasmus überrollt, dass ich meinte, mir müsse das Herz jeden Augenblick stehenbleiben. Dadurch wurden meine Bewegungen noch schneller, ich nahm ihn noch tiefer in mir auf, fühlte ihn stärker und stärker pulsieren in meinem Mund, sein Rücken bog sich durch, sein ganzer Körper wurde ganz starr und in diesem Moment brach alles aus ihm heraus, mit einem langgezogenen Keuchen und tiefen Aufstöhnen überwältigte ihn der Höhepunkt, entlud er sich wieder und wieder in unkontrollierbaren Schüben, während ich ihn weiter massierte, bis seine Kontraktionen weniger wurden und irgendwann schließlich abebbten. Achtung: ab hier wird es wieder harmlos.... Einfach nur glücklich, nein, regelrecht selig lagen wir kurz darauf eng umschlungen beieinander und genossen unsere ungestörte Zweisamkeit ausgiebigst. Was war es nur für ein großes Glück, dass ich diesen herrlichen Menschen lieben durfte und selber auch von ihm geliebt wurde! Was war ich nur für ein Dummkopf gewesen, dass ich nicht eher erkannt hatte, in welchem Ausmaß ich ihn eigentlich liebte! Statt dessen hatte ich ihn immer wieder mit seiner schweren Aufgabe alleine gelassen, um weiter die Welt zu erkunden und meine Freiheit zu genießen, völlig gedankenlos, ohne mir jemals die Mühe zu machen, mich in ihn hineinzuversetzen und mich zu fragen, wie es meinem Freund eigentlich während unseren ständigen Trennungen erging. Ich hatte doch gewusst, wie einsam er ohne mich war, ohne seine Schwester, ohne Eltern, ohne nähere Verwandte....noch heute könnte ich mich für meine damalige Gedankenlosigkeit und meinen Egoismus ohrfeigen! Ich musste wohl bei diesen Gedankengängen ein ziemlich ernstes Gesicht gemacht haben, denn nun strich Winnetou mir mit seiner Hand sanft über meine Wange und fragte zärtlich, aber besorgt: „Scharlih? Lastet Kummer auf der Seele meines Bruders?“ Schnell wandte ich mich ihm zu. „Nein, hab keine Sorge, mein Bruder! Ich...“, hier stockte ich kurz, da ich über meine Schuldgefühle noch nie mit ihm gesprochen hatte. Er sah mich mit seinen Augensternen erwartungsvoll an, so dass ich gar nicht anders konnte, als weiterzusprechen: „Nun ja, ich gerate halt manchmal in Versuchung, mich regelrecht zu schämen für mein früheres Verhalten dir gegenüber. Ich fühle mich schuldig, weil ich dich wieder und wieder aus reinstem Egoismus verlassen habe, anstatt dir Unterstützung und Hilfe zu bieten bei der Führung deines großen Volkes.“ Winnetous Miene wurde ganz weich; er strich mir sanft eine Haarsträhne aus der Stirn und erwiderte: „Winnetou wünschte sich oftmals seinen Bruder an seiner Seite, aber niemals hätte er zugestimmt, dass dieser für immer bei den Apatschen lebt, wenn er innerlich noch nicht reif und bereit dazu ist. Das bist du erst jetzt, und deshalb kann von Egoismus hier überhaupt keine Rede sein. Mein Bruder darf sich nie wieder solchen Schuldgefühlen hingeben, da es keine Schuld gibt!“ Er sah mich mit seinem unnachahmlichen Ausdruck im Gesicht an, aus dem man genau ersehen konnte, dass er jetzt keinen Widerspruch mehr duldete, und dann nahm er mich fest in den Arm. Diese wenigen Worte von ihm hatten mein Herz sehr erleichtert, und seine liebevolle Geste ließ mir die Kehle zuschnüren und und die Tränen in die Augen steigen. Ich bemühte mich, diesen Gefühlsausbruch zu unterdrücken, was mir auch leidlich gelang, aber mein unvergleichlicher Winnetou fühlte sich mühelos in mein Innerstes ein und umarmte mich nur noch fester. Womit hatte ich es nur verdient, dass mir solch eine edle Seele an die Seite gestellt worden war? Wir lagen lange Zeit in dieser Position zusammen und fühlten überhaupt kein Bedürfnis mehr, heute noch jagen zu gehen. Im Gegenteil, mir war klar, dass es nur eine Ruhepause war, und dass unsere Begierde uns bald wieder überwältigen würde. Allerdings kam es dazu dann nicht mehr. Nach kurzer Zeit bemerkte ich, wie sich der Körper meines Freundes plötzlich anspannte; er richtete sich leicht auf und horchte. Ich tat es ihm gleich, konnte aber natürlich nichts vernehmen, denn Winnetous Gehör war einfach unvergleichlich gut. Einen Augenblick später schnellte er mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung in die Höhe, warf sich seine Kleidung über, eilte zum Ausgang der Grotte und lauschte hinaus. Ich war sofort hinter ihm, nachdem ich auch ich mich blitzschnell angekleidet hatte. Einen Moment lang vergewisserte er sich, dass er richtig gehört hatte, dann wandte er sich schnell zu mir und sagte hastig: „Dort unten rufen Menschen um Hilfe, es sind wahrscheinlich Kinder, und sie befinden sich in der Nähe des Flusses oder sogar im Wasser!“ Erst jetzt konnte ich ebenfalls Geräusche vernehmen, die wirklich nach Kindergeschrei klangen – tatsächlich, eben jetzt gellte ein schriller Schrei hoch zu uns, das klang nach höchster Not, nach Todesangst! Wir brauchten uns nicht abzusprechen, wir wussten beide, was der andere dachte und fühlte, und so handelten wir auch wie eine Person. Die Pferde wussten wir in Sicherheit, und da der Weg bis hinunter zum Fluss sehr steil und steinig war, mit großen Felsen durchsetzt, hätten wir mit unseren Tieren gar keine Möglichkeit gehabt, die große Strecke dort sicher hinunter zu gelangen. Winnetou sprang jetzt auch schon in riesigen Sätzen den Steilhang hinunter, so dass ich größte Mühe hatte, ihm zu folgen, denn gegen die Kletterkünste des Apatschen hatte ich absolut keine Chance - er bewegte sich hier wie eine Gams im heimischen Gebirge. Das Geschrei wurde immer lauter und klang immer panischer, und nach kurzer Zeit erblickte ich auch zwei, nein, drei Köpfe im Wasser. Der Pecos rauschte hier zwischen den Felsen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit daher, war zusätzlich noch durchsetzt mit Stromschnellen und tiefen Wirbeln sowie scharfkantigen Felsen. Diese Kinder, die da jetzt um ihr Leben kämpften, hatten überhaupt keine Möglichkeit, aus eigener Kraft ans rettende Ufer zu gelangen, und wenn ich ehrlich war, ich hatte in diesem Moment keine Ahnung, wie wir sie aus dieser Not retten wollten. Aber darüber durften wir gar nicht nachdenken, jetzt galt es, alles daranzusetzen, dass diese armen Geschöpfe überleben würden. Winnetou war jetzt auch schon weit vor mir am Flussufer angelangt. Dieses ging aber nicht sanft und flach ins Wasser über, sondern endete abrupt an einer hohen Steilkante, so dass man ungefähr zwei Meter tief ins Wasser springen musste. Winnetou hatte den Weg so gewählt, dass er jetzt eine kurze Strecke flussabwärts von den Kindern am Ufer stand; sie mussten also an ihm vorbeikommen. Der Pecos war hier nicht allzu breit, aber tief, und der Strom war, wie gesagt, reißend, bedrohlich zischte das Wasser an uns vorüber. Noch bevor ich meinen Freund erreicht hatte, hatte der schon seine Santillodecke mit seinen darin befindlichen Waffen und den kleinen Alltagsgegenständen abgelegt und war kopfüber ins Wasser gesprungen. Mir stockte der Atem, aber es gab keine andere Möglichkeit, also tat ich es ihm ohne Überlegung gleich. Kapitel 3: Todeskampf (zwei Wochen zuvor) ----------------------------------------- Ich wurde sofort von der Gewalt des Flusses mitgerissen. Es war unglaublich schwer, sich überhaupt an der Oberfläche zu halten, immer wieder drohten die Strömungen mich in die Tiefe zu reißen. Im Moment war es mir nur möglich, alle Kraft darauf zu verwenden, den Kopf oben zu halten, um Luft zu bekommen. Sehen konnte ich vor lauter Gischt nichts, und die Naturgewalt hatte mich fest im Griff, ich wurde hin und her gerissen, teils mit Wucht gegen die scharfen Felsen geschleudert, so dass ich bald gar nicht mehr wusste, wo ich mich befand. Die Kinder kamen mir in den Sinn; wie sollten sich die armen Wesen nur in dieser tosenden Flut halten können? Und wie sollte ich sie finden, da ich überhaupt nicht mehr Herr über meine Bewegungen und fast schon orientierungslos war? Und wo war Winnetou? Schon jetzt, nach wenigen Sekunden, spürte ich, wie kräftezehrend der Kampf mit den entfesselten Elementen war. Viel Zeit hatten wir nicht, wenn wir nicht nur die Verunglückten, sondern auch uns retten wollten. Ich nahm also all meine Kraft zusammen und versuchte, den fast schon teuflischen Wassermassen irgendwie meinen Willen aufzudrücken. Es gelang mir dann auch zumindest, meinen Bewegungen eine Richtung zu geben, und nun sah ich endlich Winnetou. Es war ihm tatsächlich schon gelungen, ein Kind zu ergreifen! Im Moment schwamm er halb auf den Rücken liegend und das Kind fest an seine Brust gedrückt haltend Richtung Ufer, und trotz meiner übergroßen Anstrengung konnte ich nicht umhin, ihn für seine Gewandtheit und seine schier unerschöpfliche Kraft zu bewundern. Es sah bei ihm fast schon leicht aus, als bereite ihm der reißende Strom kaum Schwierigkeiten. Jetzt war er am Steilufer angelangt; er fasste das Kind fester, und dann, mit einem unglaublichen Kraftakt, gelang es ihm, sich mit einer Hand an einer aus dem Erdreich des Hanges ragenden Wurzel festzuhalten und sich mitsamt dem Kind so hochzuziehen, dass er es halb ans Ufer legen, halb werfen konnte. Sofort danach verließen ihn dann aber doch seine Kräfte und das Wasser riss ihn wieder mit. In diesem Augenblick spürte ich einen heftigen Schlag an meiner Schulter, sah hin und bemerkte zu meiner Freude, dass eines der Kinder, offenbar ein Junge, wie ich im ersten Moment zu erkennen glaubte, von den Wassermassen in meine Richtung getrieben worden war. Ich ergriff ihn sofort, es gelang mir auch, ihn festzuhalten, und dann setzte ich alles daran, die Stelle zu erreichen, an der Winnetou der Kontakt zum Ufer gelungen war. Unter Aufbietung aller Kräfte brachte ich es auch tatsächlich fertig, den Jungen auf die gleiche Weise an das rettende Land zu befördern, aber danach konnte auch ich mich nicht mehr halten und glitt zurück in die reißenden Fluten. Wieder begann der Kampf mit der höllischen Naturgewalt, und erschrocken bemerkte ich, wie schnell ich an meine körperlichen Grenzen, an meine letzten Reserven angelangt war. Wie mochte es da Winnetou ergehen? Verzweifelt arbeitete ich mich durch die rauschenden Fluten und plötzlich sah ich meinen Freund in greifbarer Nähe, ich konnte ihn fast berühren. Gleichzeitig erkannte ich, dass auch er jetzt schwer zu kämpfen hatte, sich aber trotzdem zielsicher in eine bestimmte Richtung bewegte, und dann entdeckte ich auch schon den kleinen Kopf, der in kurzer Entfernung vor ihm einen Augenblick lang auftauchte, wenig später aber schon wieder in den Fluten verschwunden war. Winnetou aber ließ nicht zu, dass das Kind völlig unterging; mit einem wahren Hechtsprung schnellte er sich an die Stelle, wo die Wellen über den Kopf des Kindes zusammengeschlagen waren, tauchte unter und kam wenige Momente später mit einem kleinen Mädchen im Arm wieder hoch. Ich bündelte nochmals meine letzten Kräfte und schaffte es dann auch, ihm zu Hilfe zu eilen. Gemeinsam gelang es uns beiden, auch dieses Kind sicher an das Ufer zu hieven, dann aber konnten wir beide nicht mehr, die wilde Strömung riss uns wieder mit. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie sich Menschen dem Mädchen am Ufer näherten, viele Menschen, und sie schrien uns etwas zu, was wir aber aufgrund der tosenden Wassermassen nicht verstehen konnten. Kurze Zeit später musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mehr lange würde durchhalten können. So viel ich mich auch dagegen wehrte, das Wasser war stärker, wirbelte mich wie in einem Hurrikan herum, warf mich ein übers andere Mal gegen die spitzen Felsen, doch ich spürte seltsamerweise keine Schmerzen. Ich wusste aber, dass diese später um so stärker auftreten würden. Später? Wenn es überhaupt noch mal ein Später gab! Meine Kräfte verließen mich endgültig, und nur mein unbändiger Lebenswille ließ mich noch weiterkämpfen. Wo war nur mein Freund abgeblieben? Ich hoffte von ganzem Herzen, dass wenigstens er sich würde retten können, aber ich wollte es ihm auch nicht antun, dass er sich um mich Sorgen machen oder noch schlimmer, um mich trauern musste! Dieser Gedanke mobilisierte nochmals alles in mir, ich stieß mich vorwärts, auf das Ufer zu, aber es reichte nicht, ich wurde von unsichtbaren Kräften nach unten gezogen, das Wasser schlug jetzt schon über meinen Kopf zusammen. Nochmals kam ich hoch, wieder riss mich ein Strudel in die Tiefe; unwillkürlich schluckte ich Wasser. Unter Aufbietung der allerletzten Reserven gelang es mir noch ein Mal, den Kopf über die Wasseroberfläche zu bekommen. Verzweifelt schnappte ich nach Luft, hustete krampfhaft, schluckte wieder Wasser, keuchte, kämpfte, alles mit der bitteren Erkenntnis, dass ich beim nächsten Mal wohl nicht mehr würde auftauchen können. Plötzlich spürte ich etwas an meinen Beinen, spürte Hände, die sich um meine Mitte legten, einen Arm, der sich um meine Taille schlang, und dann ging es endlich, endlich Richtung Ufer! Ich sah zur Seite und erkannte Winnetou, der meinen Todeskampf bemerkt hatte. Trotzdem er selber völlig erschöpft sein musste, hatte er sich bis zu mir durchgekämpft, umfasste mich jetzt mit seinen starken Armen und dann gelang es ihm wirklich, mich leicht anzuheben, so dass ich die Grasbüschel am Uferhang packen konnte. Im gleichen Augenblick waren dann auf einmal weitere Arme da, die mich an beiden Händen festhielten und mich hochzogen. Endlose Sekunden später dann lag ich Gott sei dank endlich auf festem Boden! Schwer atmend, schwindelnd, hustend und absolut am Ende meiner Kräfte richtete ich mich aber dennoch sofort wieder auf, zumindest versuchte ich es, aber die fremden Hände hielten mich fest und ich hörte eine mir bekannte Stimme rufen: „Nein, Mr. Shatterhand, nein, bleibt jetzt erst einmal liegen! Ihr seid völlig am Ende, Ihr müsst Euch ausruhen, ich bitte Euch!“ Ich sah hoch, erkannte einige Siedler, erkannte den damaligen Treckführer Schumann, dann schüttelte ich den Kopf. „Winnetou....“ krächzte ich, mit einer Stimme, die sich gar nicht nach meiner anhörte, dann setzte ich mich schnell auf - woher ich dazu noch die Energie hernahm - ich wusste es nicht. Ängstlich sah ich mich um, erkannte noch mehr Siedler, aber Winnetou war nicht da. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Mit einem Satz war ich wieder auf den Beinen, wehrte die Auswanderer ab, die mich festhalten wollten, suchte mit panischen Blicken die Umgebung ab, dann den reißenden Fluss. Nicht eine Spur von dem Apatschen war zu sehen! Todesangst umfasste mit kalter Hand mein Herz; ich wollte es einfach nicht glauben, dass er schon wieder sein Leben für meines eingesetzt hatte. Ich rannte ein Stück weit flussabwärts, obwohl mich meine Beine eigentlich gar nicht mehr tragen wollten, und dann sah ich ihn! Zumindest kurz ragte ein Arm von ihm, dann sein Kopf aus dem tosenden Wasser heraus, nur um sofort wieder unterzugehen. Jetzt hielt mich gar nichts mehr. Ich rannte, so schnell es irgendwie ging, und seltsamerweise ging es trotz größter körperlicher Erschöpfung sogar schnell, weiter flussabwärts. Das Ufer stieg hier wieder an, mittlerweile waren es mehr als fünf Meter, die man bis zum Wasser überwinden musste, und dort unten stieß man dann sofort auf scharfe, spitze Felsen, so dass ein Herunterspringen hier unmöglich wurde. Diese Gegebenheiten blieben über eine längere Strecke so, und meine Verzweiflung wuchs ins Unermessliche. Ich sah den Apatschen auch nicht mehr, und dieser Umstand versetzte mich nun in eine grenzenlose Panik. Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper, ob vor Schwäche oder vor Angst, es war wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Was sollte ich nur tun? Wieder ins Wasser, und wahllos mit dem Strom schwimmen, in der Hoffnung, zufällig auf ihn zu treffen? Absoluter Wahnsinn. Ich rannte weiter, suchte weiter, und dann sah ich von weitem eine Stelle, an der das Ufer abflachte und von der aus man mühelos wieder ins Wasser gelangen konnte. Dorthin eilte ich jetzt, so schnell ich konnte, und während ich mir noch die Lunge aus dem Leib hetzte, sah ich plötzlich einen Arm, dann noch einen, dann einen Kopf mit langem dunklen Haar aus den Fluten auftauchen. Winnetou! In diesem Moment kämpfte er sich mit der allerletzten Energie aus dem tiefen, reißenden Strom ins flachere Wasser, dort aber verließen ihn dann seine Kräfte endgültig - er brach zusammen und blieb mit dem Gesicht halb im Wasser liegen! Ich schrie auf vor Entsetzen, beschleunigte meine Schritte, soweit es irgendwie noch ging, und nach mir endlos erscheinenden Sekunden erreichte ich endlich meinen Freund. Zitternd vor Angst hob ich seinen Kopf an und erkannte mit großem Schreck, dass er anscheinend keine Luft mehr bekommen hatte, da Mund und Nase von Wasser bedeckt worden waren. Sofort zog ich ihn weiter ans Ufer, Gott weiß, woher ich die Energie dazu nahm. Als wir uns endlich vollständig auf dem grasigen Boden befanden, legte ich ihn auf den Rücken und begann in fliegender Hast, ihn zu untersuchen. Großer Gott! Er atmete nicht mehr! Ich stöhnte gequält auf, rief laut seinen Namen, schüttelte ihn, keine Reaktion. Was, um Himmels Willen, sollte ich denn jetzt tun? Nochmals schüttelte ich ihn heftig, voller Verzweiflung, wieder brachte das keinen Erfolg. Und dann fiel mir Dr. Hendrick ein; ich sah den Arzt vor meinem geistigen Auge, wie er mit aller Kraft den Brustkorb meines Freundes bearbeitet hatte, als dieser mit einem Herzstillstand bewusstlos vor uns lag, ausgelöst durch das Eindringen einer Gewehrkugel direkt neben dem Herzen. Sollte diese Methode, die ich bis dahin noch gar nicht gekannt hatte, auch hier helfen? Ich dachte gar nicht weiter nach, ich handelte, und das wurde auch höchste Zeit, denn Winnetous Lippen liefen schon blau an. Ich riss ihm das Jagdhemd auf, legte beide Hände mittig übereinander auf seine Brust und begann, diese mit aller Gewalt in regelmäßigen Abständen einzudrücken, wieder und wieder und wieder. Nichts tat sich, aber ich machte weiter, was blieb mir auch anderes übrig? Um nichts in der Welt würde ich meinen geliebten Freund aufgeben, niemals. Eine lange, lange Zeit über - zumindest fühlte es sich für mich so an - sah es so aus, als würden meine intensiven Bemühungen überhaupt keinen Erfolg zeigen, und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde schrecklicher, verzweifelter, panischer. Und dann, ich glaubte, dass inzwischen Stunden vergangen sein mussten, bäumte Winnetou sich urplötzlich auf, ein Schwall Wasser ergoss sich aus seinem Mund, dann noch einer, und nun begann er fürchterlich zu husten, verkrampfte dabei völlig, zitterte unkontrolliert, hustete weiter, hustete sich die Lunge aus dem Leib. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn zu halten, ganz fest zu halten, dabei leicht auf seinen Rücken zu klopfen und ansonsten einfach abzuwarten, bis er es endlich überstanden hatte, während mich eine Welle der grenzenlosen Erleichterung überrollte und mir die Tränen dabei nur so aus den Augen rannen. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wurde er ruhiger, mit stockendem Atem und immer noch zitternd sank er in meinen Armen in sich zusammen. Behutsam legte ich ihn wieder auf den Rücken, behielt aber seinen Kopf in meinen Armen, streichelte dabei unentwegt seine Stirn und Wangen und flüsterte ihm leise und beruhigend zu: „Ganz ruhig, mein Bruder, du hast es jetzt überstanden! Versuche ganz ruhig zu atmen, ja? Ganz ruhig, es ist alles gut!“ Ich spürte, wie er sich bemühte, regelmäßiger zu atmen, aber er zitterte zu sehr, sein Atem ging immer noch stoßweise, er bekam ihn noch nicht unter Kontrolle. Ich sah mich suchend um, in der Hoffnung, dass uns die Siedler zu Hilfe kommen würden, sah sie auch, aber sie waren noch weit entfernt. Aufgrund seines völlig erschöpften Zustandes kühlte mein Freund nun auch rasch aus, aber weder er noch ich hatten trockene Kleidung oder Decken dabei, womit ich ihn hätte wärmen können. Zumindest musste er schnellstmöglich aus den durchnässten Sachen raus, und so hielt ich ihn mit einem Arm fest, während meine andere Hand ihn vorsichtig seiner Oberkleidung entledigte. Das Gleiche wiederholte ich noch einmal bei mir, und dann nahm ich ihn wieder fest in die Arme, um ihm soviel Wärme wie möglich zu spenden. Irgendwann ließ sein Zittern etwas nach, sein Atem wurde ruhiger, und dann öffnete er langsam die Augen. Lange sah er mich an, ein erleichtertes Lächeln erschien auf seinem schönen, jetzt aber vom Todeskampf schwer gezeichneten Gesicht. Ganz leise hauchte er: „Mein Bruder....dir ist nichts geschehen?“ Immer noch unter Tränen schüttelte ich den Kopf, antwortete dann stockend: „Dank dir! Dank dir ist mir nichts geschehen, mein lieber, guter Bruder!“ Seine Augen blickten sich suchend um, dann fragte er: „Die Kinder....Was ist mit den....“ Ich unterbrach ihn schnell, ich wollte nicht, dass er sich jetzt anstrengte und viel redete: „Wir haben die Kinder ans Ufer gebracht, die Siedler kümmern sich in diesem Augenblick um sie. Bitte, sprich jetzt nicht mehr, es strengt dich zu sehr an. Du musst dich nun ausruhen, ja?“ Er nickte nur, sah mich nun wieder mit seinen unglaublich schönen Augen lange an, meine Augen versanken förmlich in seinem Blick. Ich dachte daran, dass ich ohne seine Hilfe jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre, strich ihm nochmals liebevoll über die Stirn und sagte leise nur das eine Wort: „Danke!“ Im gleichen Augenblick hatte er wohl auch über meine eben geleistete Hilfe nachgedacht, denn von ihm kam jetzt genau im selben Moment ebenfalls ein gehauchtes „Danke, mein Bruder!“ über die Lippen. Trotz der widrigen Umstände, trotz der gerade überstandenen Todesgefahr mussten wir beide leicht lächeln aufgrund unserer wiederholten Übereinstimmung. Dann aber übermannte ihn die Erschöpfung endgültig und seine Lider schlossen sich wieder. Ich drückte ihn noch etwas fester an mich, streichelte weiter unentwegt über seinen Kopf und flüsterte ihm zu: „Du musst dich jetzt erst einmal erholen, mein guter Bruder. Ruh dich aus, ja? Ich werde hier wachen, und Hilfe ist auch unterwegs!“ Er nickte kurz, drückte mir leise die Hand, zum Zeichen, dass er verstanden hatte, aber seine Augen blieben nun geschlossen. Meine Hand lag die ganze Zeit über auf seiner Brust über seinem Herzen. Ich fühlte, dass sich seine Atmung mittlerweile wieder beruhigt hatte, doch inzwischen ging sie nur noch matt, mit großen Pausen dazwischen. Ich war unendlich besorgt, und in fast schon kindlicher Panik forderte ich ihn hastig auf: „Aber du atmest weiter, ja? Hol ganz tief Luft, atme, atme weiter, ruhig und langsam...“ Immer wieder leitete ich ihn zum Luftholen an, hatte richtiggehend Angst, dass er es vor Schwäche einfach vergaß. Anfangs versuchte er auch wirklich, meinen Anweisungen Folge zu leisten, aber nach und nach entglitt sein Geist seinem Körper, und kurze Zeit später war er dann auch nicht mehr ansprechbar. Dieser gnadenlose Kraftakt der letzten halben Stunde forderte nun seinen Tribut, und auch ich fühlte jetzt in Windeseile alle Anspannung von mir abfallen. Meine Knie waren butterweich, ich zitterte leicht und eine unglaubliche Müdigkeit überwältigte mich plötzlich. Am liebsten hätte ich mich jetzt einfach lang ausgestreckt und mich einem gnädigen Schlaf in die Arme geworfen, aber ich wollte auf jeden Fall weiter über meinen Blutsbruder, meinen Lebensretter wachen, zumindest bis Hilfe kam, koste es, was es wolle! Erschöpft schloss ich kurz die Augen, schüttelte dann ungläubig den Kopf. Himmel, was konnte das Leben doch manchmal verrückt spielen! In der einen Hälfte der Stunde durfte ich meinen geliebten Freund in die allerhöchsten Sphären der Lust katapultieren, in der anderen Hälfte musste ich mit allerletzter Kraft um sein Leben kämpfen und hatte erst im letzten Augenblick doch noch gewonnen! Wieder schüttelte ich den Kopf und dachte darüber nach, wie viel Glück wir eigentlich gerade wieder gehabt hatten. Das man so eine Hölle überhaupt überleben konnte! Während ich noch so dasaß und versuchte, wieder die Kontrolle über mein Seelenleben zu übernehmen, hörte ich hinter mir eilige Schritte. Schnell drehte ich mich um und sah zu meiner übergroßen Erleichterung mindestens zwanzig Siedler auf mich zukommen. Beim näheren Hinsehen erkannte ich, und jetzt wuchs meine Erleichterung ins Unermessliche, nicht nur Entschah-koh bei ihnen, sondern auch den Doktor! Der kam jetzt wirklich wie gerufen; meine Ängste und Sorgen verringerten sich auch sofort. Und noch ein sehr bekanntes Gesicht konnte ich entdecken: Emery! Ich wunderte mich zwar, warum er auf einmal bei den Siedlern war und nicht im Pueblo, aber die Aufklärung darüber konnte warten; im Moment fühlte ich mich nicht mehr sonderlich aufnahmefähig. Walter Hendrick hatte spätestens jetzt erkannt, dass irgendetwas nicht stimmte. Er beschleunigte erst seine Schritte, aber dann rannte er, so schnell er konnte, auf uns zu, erreichte uns auch als erstes und warf sich sofort an Winnetous Seite. „Was ist geschehen? Ist er....?“ Vor Aufregung geriet er regelrecht ins Stottern, seine Hände aber befanden sich schon am Puls des Apatschen an Handgelenk und Hals. Äußerst konzentriert, mit geschlossenen Augen erspürte er einige Augenblicke die Pulsschläge, stieß dann einen zittrigen Seufzer der Erleichterung aus. Während sich seine Hand jetzt auf die Brust meines Freundes legte und dessen Herzschlag ertastete, sah er mich erwartungsvoll an; er hoffte natürlich auf eine genaue Auskunft meinerseits. Mit etwas schleppender Stimme erklärte ich ihm den genauen Hergang der Geschehnisse. Walters Augen weiteten sich im Sekundentakt, und als ich ihm dann noch Winnetous Atemstillstand schilderte, wobei ich selbst ins Stocken geriet, so sehr nahm mich sogar nur die Erinnerung daran wieder mit, da erschrak er noch nachträglich furchtbar. Sofort begann er mit einer gründlichen Untersuchung, und Augenblicke später war auch Entschah-koh bei uns angelangt. Er hatte die Tasche des Arztes dabei, in der dieser seine wichtigsten Utensilien aufbewahrte, so dass er jetzt alles tun konnte, was getan werden musste, während sich der Unterhäuptling langsam neben Winnetou niederließ und ihn unendlich besorgt musterte. Dann warf er mir einen fragenden Blick zu, ich aber winkte ab; ich wollte warten, bis alle Siedler sich hier versammelt hatten, damit ich die Geschichte nicht ständig wiederholen musste, denn dazu hatte ich wirklich keine Kraft mehr. Emery war jetzt auch an meiner Seite, brachte aber vor Schreck kein Wort heraus, und den Siedlern, die jetzt nach und nach bei uns eintrafen, ging es genauso. Jeder von uns hatte sich von Herzen gewünscht, Winnetou nie wieder so sehen zu müssen, und nun war es doch wieder geschehen. Schweigend beobachtete ich die Mühen des Doktors und kämpfte dabei gegen eine enorme Müdigkeit an. Ich wusste aber, dass ich noch ein wenig durchhalten musste, zumindest bis ich endgültige Klarheit über Winnetous Gesundheitszustand hatte. Da jetzt alle um uns herum versammelt waren, nutzte ich die Zeit und erzählte unser Abenteuer nochmals, diesmal etwas ausführlicher. Atemloses Schweigen der Siedler begleitete meinen Bericht und das hielt, nachdem ich geendet hatte, auch noch einige Momente an. Dann löste sich der ehemalige Treckführer Schumann aus der Menge, ging auf mich zu und kniete bei mir nieder. Er wurde von den Auswanderern weiterhin hoch geschätzt und so hatten sie sich ihn einstimmig zu ihrem Wortführer auserkoren. Als er mich jetzt ansprach, konnte ich deutlich sehen, dass seine Augen sich mit Tränen füllten. „Mr. Shatterhand.....Mr. Shatterhand, Sir, Ihr wisst ja gar nicht, was wir alle Euch jetzt zu verdanken haben! Ihr habt Euer Leben eingesetzt, und Winnetou nun zum wiederholten Male, um uns allen oder einigen von uns vom sicheren Tode zu erretten, denn dieses Mal ….“. Er stockte sichtlich bewegt, die Tränen liefen jetzt an seinen Wangen hinab. Es dauerte einen Moment, bis er fortfahren konnte: „Diese Kinder....Es sind Kinder aus drei unserer Siedlerfamilien – könnt Ihr Euch eigentlich vorstellen, welch unsagbares Leid Ihr da verhindert habt?“ Völlig erstaunt sah ich ihn an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass diese Kinder Angehörige der Auswanderer waren, da ich uns zu weit entfernt von der Siedlung wähnte, als dass so junge Kinder sich hier aufhalten konnten. Ich schätzte ihr Alter auf vielleicht höchstens sieben, acht Jahre, zumindest grob, denn die Umstände hatten mir nicht erlaubt, sie genauer zu betrachten. Vielleicht würde Schumann mir jetzt erläutern, wie dieser Unfall von statten gegangen war, doch zuerst einmal war ich nur unendlich froh, dass diese guten Menschen nicht schon kurz nach ihrer Ansiedlung einen solch schrecklichen Verlust verkraften mussten. Ich drückte Schumann leicht die Hand und erwiderte: „Ich bin selbst mehr als froh darüber, dass Eure Kinder das überlebt haben. Könnt Ihr mir sagen, wie es den dreien geht?“ Das war das Stichwort für den Doktor, der seine Behandlung beendet hatte und sich jetzt von Entschah-koh einige wollende Decken geben ließ, in die er Winnetou einhüllte, damit dieser nicht noch weiter auskühlte. Mir reichte er dann auch eine, die ich dankbar annahm, denn allmählich spürte ich eine unangenehme Kälte mir bis in die Knochen kriechen. Dann berichtete Hendrick: „Ich habe mir die kleinen Herrschaften vorhin angesehen. Sie sind stark unterkühlt und natürlich völlig erschöpft, aber das wird wieder, sie müssen jetzt halt mal ein paar Tage Bettruhe einhalten.“ Ich nickte erleichtert, wollte aber nun natürlich genau wissen, wie es um meinen Freund stand. „Mach dir keine Sorgen, Charlie“, begann Walter Hendrick mir Auskunft zu geben. „Es ist zum Glück noch mal alles gut gegangen! Gott sei dank ist Winnetou ja inzwischen wieder kräftig und gesund, und das hat ihm geholfen, dass er diese Rettungstat wohl unbeschadet überstehen wird. Sein Herz schlägt wieder kräftig, er atmet auch wieder regelmäßig, und glücklicherweise befindet sich kein Wasser mehr in der Lunge, das hatte ich nämlich stark befürchtet. Es sind ein paar oberflächliche Schnittwunden und Prellungen vorhanden, wahrscheinlich von den Felsen im Wasser, aber die habe ich jetzt schon versorgt. Im Moment ist er natürlich sehr geschwächt, doch wenn er sich ein, zwei Tage Zeit nimmt, um sich zu erholen, wird er das Ganze bald schnell überstanden haben.“ Nun wandte er sich mir zu und fuhr fort: „Diese Erholung würde dir allerdings auch mehr als gut tun, du siehst nämlich auch nicht mehr wie der taufrische Morgen aus! Gestattest du mir, dass ich mir deine Verletzungen ansehe?“ Erst jetzt bemerkte ich, dass Teile meines Körpers ebenfalls mit Prellungen und Schnittwunden übersät waren. Ich nickte ihm zu, und während er seine Behandlung an mir fortsetzte, fragte ich Schumann nach Einzelheiten über den Unfall der Kinder aus. „Mr. Schumann, wie kamen die Kinder denn so weit von der Siedlung entfernt alleine an den Fluss?“ „Nun“, begann der Gefragte etwas zögerlich. „So alleine waren sie gar nicht. Ihre Väter, ich und fast alle Anwesenden hier waren auch dabei. Wir hatten vor kurzem in der Gegend Biberfallen aufgestellt und wollten nun schauen, ob wir erfolgreich waren. Die Kinder wollten unbedingt mitkommen und ich war der Meinung, dass es nicht schaden konnte und sie dabei auch etwas lernen würden!“ „Da habt Ihr natürlich recht! Aber wieso sind sie denn ins Wasser gestürzt und dann auch noch alle drei?“ forschte ich weiter nach. Schumann wirkte jetzt etwas peinlich berührt, als er weitersprach: „Nun ja....Ehrlich gesagt, wir haben einfach einen Augenblick nicht aufgepasst, da wir durch eine Gruppe Goldsucher abgelenkt worden waren, die zufällig zu uns gestoßen waren und uns völlig aufgelöst um Hilfe für zwei ihrer Kameraden baten. Den Kindern war wohl während unseres Gespräches die Zeit zu lang geworden; sie kamen deshalb auf die unsagbar dumme Idee, selber eine Biberfalle ausgerechnet an einer der gefährlichsten Uferstellen zu bauen. Dabei sind sie wohl an der Steilkante abgerutscht und in die Fluten gestürzt!“ Er sah mich ernst an, als er ergänzte: „Wenn Ihr nicht gewesen wärt – das wäre wirklich schlimm ausgegangen!“ Ich winkte ab und meinte: „Sprechen wir nicht mehr davon. Ich versichere Euch, dass hätte jeder andere auch getan!“ Er wollte widersprechen, sah mir meine Erschöpfung dann aber wohl an und schwieg erst einmal, um mir etwas Ruhe zu gönnen. Die hatte ich auch bitter nötig, aber zuerst musste ich dafür sorgen, dass unsere Pferde geholt wurden. Ich selbst hatte allerdings absolut keine Kraft mehr, diesen Gang zu tun, außerdem wollte ich um nichts in der Welt von Winnetous Seite weichen. Also erklärte ich Emery, wo er die Tiere finden konnte, und bat ihn, sie zu holen. Mir war es in diesem Moment völlig egal, ob der Engländer unsere kleine Höhle entdecken und vielleicht sogar verräterische Spuren darin finden könnte, ich wollte einfach nur noch zur Ruhe kommen. Kapitel 4: Motawateh -------------------- In der Gegenwart: Mich schauderte es noch immer bei der Erinnerung an die dramatischen Ereignisse am Pecos. Es war wieder einmal so furchtbar knapp gewesen, wieder einmal war Winnetou in letzter Sekunde dem weit geöffneten Rachen des Todes entronnen. Ich begann mich zu fragen, wie oft er sich schon in solch gefährliche Lagen befunden hatte, während ich durch die Weltgeschichte gereist war. Wie oft hatte er schon einsam gegen den schlimmsten aller Feinde gekämpft, während ich es mir in der Heimat gut gehen ließ? Ich saß nachdenklich, natürlich immer noch gefesselt, neben Sam und Emery in dem Zelt an diesem mir unbekannten Ort, und meine Gedanken kreisten um die schrecklichen Momente, als ich meinem Freund voller Verzweiflung und mit letzter Kraft das Wasser aus seiner Lunge gepresst hatte, schweiften dann ab zu meinen letzten Erinnerungen an unseren Lagerplatz am gestrigen Abend, wo er mir mit seinem unnachahmlich liebevollen Blick eine gute Nacht gewünscht hatte, bevor er die erste Wache antrat. Natürlich würde ich nie die Hoffnung aufgeben, bevor ich vor vollendeten Tatsachen stand, aber ich konnte mich einfach nicht den schwerwiegenden Ängste erwehren, die mir vorgaukelten, dass ihm jetzt wieder etwas Furchtbares zugestoßen sein könnte, dass er in vielleicht genau in diesem Moment schon wieder um sein Leben kämpfen musste, allein, wieder ohne meine Unterstützung, und das Herz wurde mir schwer. Ein leiser Seufzer entfuhr mir bei diesen niederschmetternden Gedankengängen, so dass sich Sam Hawkens neben mir wieder hören ließ: „Na, na, na, verehrtes Greenhorn, Ihr werdet doch jetzt wohl nicht so schnell den Mut verlieren? Das ist ja eine ganz neue Art von Euch, so kenne ich Euch ja gar nicht!“ Ich schaute ihn an und lächelte leicht, obgleich ich nicht wusste, ob er es in diesem diffusen Halbdunkel überhaupt sehen konnte. „Ich verliere nicht den Mut, Sam, habt keine Sorge. Ich dachte soeben nur nach....“ „Natürlich über Euren geliebten Blutsbruder, nicht wahr? Das war mir sofort klar, das kann man Euch nämlich an der Nasenspitze ansehen, wenn ich mich nicht irre! Wobei ich immer gedacht hatte, nur meine fabelhafte Nase wäre zum Hellsehen geeignet, hihihihi...“ Zum wiederholten Male kicherte er in sich hinein, während ich mich doch etwas wunderte, dass mir meine Gedanken so deutlich anzusehen waren, obwohl wir einander fast nicht sehen konnten. Sam sprach jetzt weiter, und seine Stimme bekam dabei einen weichen Klang, als er mich mit folgenden Worten zu beruhigen versuchte: „Eurem Winnetou ist bestimmt nichts geschehen, da bin ich mir völlig sicher, so wahr ich Sam Hawkens heiße! Wahrscheinlich sitzt er nur ein paar Schritte von uns entfernt irgendwo in einem Versteck und bereitet unsere Rettung vor - wir kennen ihn doch genau!“ Ich nickte bestätigend, genau das glaubte ich auch oder wollte es zumindest glauben, denn welchen Sinn hätte es gehabt, wenn auch der Apatsche von den Kiowas überwältigt worden wäre, aber nicht zusammen mit uns anderen gefangen gehalten würde? Dass sich Sam diesmal aber tatsächlich irrte, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand von uns wissen. Wir bekamen in den nächsten Minuten auch keine Gelegenheit mehr, weiter über unsere mögliche Befreiung durch Winnetou nachzudenken, denn jetzt tat sich offenbar etwas vor unserem Zelt. Mittlerweile begann der Tag zu grauen, und die erste Morgendämmerung erhellte unser Gefängnis ein wenig. So konnte ich erkennen, dass sich auf einmal mehrere Personen vor dem Eingangsloch bewegten. Plötzlich erscholl eine befehlende Stimme, das Fell vor dem Eingang wurde vollständig zurückgeschlagen und dann erschienen vier Indianer im Inneren, von denen einer mit sämtlichen Insignien eines Häuptlings behaftet war. Ich sah mir den Kerl genau an und konnte nach wenigen Sekunden fast mit Sicherheit sagen, dass ich ihn vorher noch nie gesehen hatte. Bisher waren mir nur der oberste Häuptling der Kiowas, Tangua, und dessen Sohn Pida bekannt, aber wir wussten ja, dass es mehrere umherstreifende Stämme der Kiowas in dieser Gegend gab, und vielleicht hatte ich es hier mit einem mir noch unbekannten Stamm zu tun. Dass es mit ziemlicher Sicherheit Kiowas waren, konnte ich an einigen Einzelheiten an der Kleidung und der Bewaffnung erkennen. Es war mir aber nicht möglich, zu erkennen, ob der kleine Trupp von Kiowas, mit denen wir vor ein paar Tagen kurz nach Sam Hawkens' Ankunft zusammengestoßen waren, auch hierher zu diesem Stamm gehörte. Der Anführer, dessen finstere Gesichtszüge wie grob eingemeißelt wirkten, trat jetzt zielsicher auf mich zu und fragte mich sofort und ganz direkt, absolut entgegen jeder indianischen Sitte: „Kennt mich der weiße Hund namens Old Shatterhand?“ Na, das war ja mal ein liebevolle Begrüßung! Da er das Gespräch sofort mit einer Beleidigung begann, sah ich auch keinen Grund, mich ihm gegenüber zurückzuhalten: „Wen sollte ich kennen? Wer bist du? Hast du überhaupt schon einen Namen?“ Das war so ungefähr die größte Beleidigung, die man einem Indianer gegenüber aussprechen konnte, vor allem einem, der offensichtlich schon lange in einem Alter war, in dem man sich als Krieger einen Namen gemacht haben musste, zumal er auch noch gut erkennbar als Häuptling gekleidet war. Dieser wurde jetzt auch sofort puterrot vor Zorn, trat ganz dicht an mich heran, holte aus, wollte zuschlagen, beherrschte sich aber im letzten Moment noch einmal, sich wohl an seine Ehre und Vorbildfunktion erinnernd, da seine ihn begleitenden Stammesgenossen schon zu murren begannen. Statt dessen zischte er mir, nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, so dass er mich mit seinem Geifer bespuckte, zu: „Räudiger Köter! Du wirst nicht mehr lange bellen können, denn schon bald wird deine stinkende Seele die meinige in den ewigen Jagdgründen für alle Zeiten bedienen müssen!“ „Du irrst!“ erwiderte ich, „Es werden noch viele Sommer vergehen, bevor ich in die Jagdgründe eingehen werde, während dem Namenlosen hier vor mir schon die Knie zittern aus Angst vor seinem baldigen Tod!“ Jetzt konnte der Rote sich tatsächlich nicht mehr halten; seine Hand griff nach seinem Messer, riss es aus dem Gürtel und stieß damit blitzschnell in Richtung meines Halses. Ich konnte einer vielleicht sogar tödlichen Verletzung nur dadurch ausweichen, indem ich mich mit einer noch schnelleren Bewegung zur Seite warf, wobei ich aufgrund der strammen Fesseln nur wenige Zentimeter Spielraum hatte. Trotzdem gelang es mir, dadurch keine Angriffsfläche mehr zu bieten, so dass mein Gegenspieler durch den Schwung, mit dem er die Bewegung ausgeführt hatte, an mir vorbei nach vorne gerissen wurde und drohte, gegen die Zeltwand zu fallen; er konnte sich nur noch mit Mühe an dem Pfahl festhalten, an dem ich gefesselt war. Sein Gesicht war mittlerweile weiß vor Wut, und als er wieder sicher stand, blitzten mich seine Augen mit einem solchen Hass an, dass es einem anderen wahrscheinlich angst und bange geworden wäre. Ich aber sah ihm offen und unbewegt ins Gesicht, und vielleicht war es die Ruhe, die ich dabei ausstrahlte, die bewirkte, dass er so allmählich wieder seine Gefühle unter Kontrolle bekam. Sein Hass und seine rasende Wut aber wichen in keinster Weise, seine ganze Körperhaltung drückte mit größter Intensität den Wunsch aus, mich sofort in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Irgendetwas in seinem Gesicht aber wirkte auf mich so, als ob er sich selber sagte, dass es im Moment lohnender sei, mich am Leben zu erhalten. Ich war wirklich gespannt, was jetzt kam, denn so langsam wollte ich doch erfahren, aus welchem Grund wir eigentlich überwältigt worden waren und jetzt hier festgehalten wurden. Und tatsächlich, in diesem Augenblick begann die Rothaut wieder zu sprechen, und zwar in einer Art und Weise, die mich hoffen ließ, jetzt doch Näheres zu erfahren. „Du nennst dich Old Shatterhand? Dein Name ist eine Lüge. Deine Hand ist gebunden, sie vermag noch nicht einmal einen Käfer zu zerschmettern. Aber ich will dem stinkenden Kojoten, der zu Unrecht ein Held genannt wird und der trotzdem den Namen Old Shatterhand trägt, dennoch wissen lassen, wer hier vor ihm steht!“ Mit teils herausforderndem, teils spöttischem Blick und hoch erhobenen Kopf hatte er sich in stolzer Haltung wieder vor mir aufgebaut, darauf wartend, dass ich das nun folgende Schweigen unterbrechen würde, um endlich seinen Namen zu erfahren. Den Gefallen tat ich ihm natürlich nicht, sondern ich sah ihn weiterhin mit stoischer Ruhe völlig unbeteiligt an. So vergingen ein paar Sekunden, und dann hielt es der Kiowa doch nicht mehr aus. Mit einer Miene, als verkünde er mir die Ankunft des Herrn, spie er mir förmlich entgegen: „Vor dir steht Motawateh, der tapfere und große Häuptling der Naishan-Kiowas!“ Auf diese großartige Ankündigung hin ließ ich aber immer noch keinen Laut hören, was den „großen Häuptling“ fast schon zur Raserei brachte. „Old Shatterhand hat wohl vor Angst seine Stimme verloren?“ versuchte er mich jetzt aus der Reserve zu locken. „Motawateh wusste, das der räudige weiße Hund ein Wurm ist, der sich selbst vor dem kleinsten Vogel in ein Erdloch verkriecht!“ „Du hast recht“, erwiderte ich jetzt. „Du bist tatsächlich der kleinste aller Vögel, denn ich habe noch nie von dir gehört, und meine Gefährten hier neben mir ebenfalls nicht. Du kannst also noch keine großen Taten vollbracht haben und scheinst nur bei deinen eigenen Stammesgenossen bekannt zu sein!“ Diese Bemerkung brachte mir nun doch einen gewaltigen Tritt in meine rechte Seite ein, dem ich auch nicht mehr ausweichen konnte. Ich ließ mich aber dennoch nicht aus der Ruhe bringen und meiner Miene konnte Motawateh auch nicht entnehmen, dass der Tritt von mir überhaupt bemerkt wurde. Mittlerweile bereitete es mir fast schon heimlichen Spaß, diesen doch sehr von sich eingenommenen Roten bis zur Weißglut zu reizen und ihn dadurch die Beherrschung verlieren zu sehen. Er sah mich jetzt lange mit einem äußerst finsteren Blick an, den ich gleichmütig erwiderte. Dann blitzte es plötzlich in seinen dunklen, bedrohlich wirkenden Augen auf; Augen, die so ganz anders waren als die seelenvollen und samtig-schwarzen Augen meines Winnetou, und er begann wieder zu sprechen: „Elender Wicht! Dein Hochmut wird dir ganz schnell vergehen. Du wirst, noch bevor sich der Mond wieder zeigt, heulen vor Angst und Schmerz! Noch bevor die Sonne sinkt, wirst du vor mir auf den Knien liegen und betteln um Gnade, Gnade für dich und deine Gefährten!“ Sein Gesicht hatte bei diesen Worten einen äußerst zuversichtlichen Ausdruck angenommen; er schien sich seiner Sache wirklich völlig sicher zu sein. Ich ließ ein herzhaftes Lachen hören und antwortete: „Du irrst schon wieder! Wie kannst du nur glauben, dass deine Worte zutreffen werden? Darauf kannst du wirklich lange warten!“ Anstatt wieder in Wut darüber zu geraten, dass ich ihn offen verlachte, ließ er jetzt nur ein unheilverkündendes Grinsen sehen. Dann stellte er mir eine Frage: „Auch lachen wirst du nicht mehr lange! Sind deine Augen mit Blindheit geschlagen? Hast du noch nicht bemerkt, dass einer der räudigen Hunde, die dich begleiteten, fehlt?“ Ich zuckte innerlich zusammen und musste schwer an mich halten, damit er mir meinen Schrecken und meine Überraschung über seine Äußerung nicht anmerkte. Seine Frage zielte offenbar auf Winnetous Abwesenheit. Wusste Motawateh, dass sich dieser bei uns befunden hatte? Hatte er Kenntnis über dessen Schicksal? War Winnetou vielleicht doch von den Kiowas ergriffen worden? Trotz dieser drängenden Fragen sah ich den Häuptling weiterhin unbeteiligt an und stellte die Gegenfrage: „So? Der unbekannte Kiowa-Häuptling scheint wirklich oft unter den Irrungen und Wirrungen seines Geistes zu leiden. Wer von meinen Gefährten sollte denn fehlen?“ Die Rothaut hatte nun aufgrund meiner neuerlichen Beleidigung die allergrößte Mühe, einen weiteren Wutanfall zu unterdrücken. Seine Gesichtsfarbe begann wieder ein herrliches Zinnoberrot anzunehmen, und ich glaubte sogar, ein leises Zittern in seinen Händen zu bemerken. Dennoch gelang es ihm mit größter Mühe, sich ein weiteres Mal zu beherrschen; er brachte sein Gesicht nochmals ganz nahe an meines heran und zischte mir mit einer gefährlich leise klingenden Stimme zu: „Und was ist mit dem elenden Pimo, dem Hund von Apatschenhäuptling, der gar nicht würdig ist, dass der große Motawateh seinen Namen überhaupt erwähnt?“ Wieder musste ich mich zusammennehmen, um weiterhin großes Desinteresse an seinen Worten zu heucheln. Er wusste von Winnetou! Es bestand aber immerhin noch die Möglichkeit, dass man unser Lager vor dem Überfall durch Späher belauscht und dabei natürlich auch Winnetou bemerkt hatte, während derselbige beim eigentlichen Angriff hatte fliehen können. Ich war mir jetzt sogar ziemlich sicher, dass Motawateh den Apatschenhäuptling nur erwähnte, um mir, vielleicht mit Hilfe einer List, zu entlocken, wo dieser sich jetzt befand. Er konnte ja nicht ahnen, wie sehr ich mir selber wünschte, den Aufenthaltsort meines Freundes zu kennen! Also behielt ich meine für den Indianer so ärgerliche Ruhe bei und antwortete: „Jetzt muss ich dem unbekannten Kiowahäuptling ein weiteres Mal recht geben. Er ist tatsächlich ein so erbärmlicher, unwürdiger Wurm, dass er es in keinster Weise wert ist, den weithin berühmten Namen des tapfersten und größten Häuptlings der Apatschen in den Mund zu nehmen!“ Das Zinnoberrot im Gesicht des Kiowa wurde noch drei Töne dunkler und ging schon teilweise ins Fliederfarbene über. Ich hatte genug Muße, diesen Farbwechsel zu beobachten, denn sein Gesicht befand sich immer noch wenige Zentimeter von meinem entfernt, und aufgrund der neuerlichen Beleidigung geriet sein Blut so in Wallung, dass er für Sekunden keine Worte fand. Sein Atem ging schnell und heftig, seine Fäuste ballten sich und seine Zähne knirschten. Neben mir sog Emery scharf die Luft ein; er hatte wohl große Sorge, dass ich im nächsten Moment das Messer der Rothaut zu spüren bekommen würde. Dieser allerdings behielt seine Stellung bei und spie mir mit einer tödlichen Drohung in seiner Stimme die Worte ins Gesicht: „Der stinkende Kojote, welcher sich dein Freund und Bruder nennt, wird von uns zermalmt werden - wir werden sein Fleisch den Geiern zum Fraß vorwerfen! Er ist wie giftiges Ungeziefer, aber er befindet sich in unserer Hand, und er wird die schlimmsten Martern ertragen müssen, wie sie noch keiner der tapferen Krieger der Kiowas zu sehen bekommen hat! Und dann werden wir dir seine Überreste einzeln vorlegen, so dass du wie ein altes Weib heulen und klagen wirst!“ Ich konnte und ich wollte nicht an die Wahrheit seiner Worte glauben; ich hatte ihn bisher als ein richtiges Großmaul eingeschätzt und war mir sicher, dass er mich nur bange machen wollte. Also lachte ich ihm ins Gesicht: „Der Häuptling der Apatschen ist dein Gast? Da hast du ja wirklich großes Glück, aber glaube ja nicht, dass dieses lange anhalten wird! Er wird sich nur so lange in deinen Zelten aufhalten, wie es ihm beliebt, genauso wie meine Gefährten hier und ich. Wenn wir von deiner Gastfreundschaft genug haben, werden wir schneller verschwunden sein, als dein Auge es zu fassen vermag!“ Ich trieb es wirklich auf die Spitze, aber zu schweigen, wäre eine große Dummheit gewesen, da ich so nichts über die weiteren Pläne und deren Gründe dafür von den Kiowas erfahren hätte, außerdem wollte ich mich auf keinen Fall von den Worten dieses Cholerikers werfen lassen. Der Häuptling konnte sich kaum noch zurückhalten, aber dann fiel ihm offenbar etwas ein, wovon er glaubte, dass es mir doch noch einen Schrecken einzujagen vermochte: „Der Pimo hatte viel Gold bei sich. Wenn der feige Kojote namens Old Shatterhand uns sagt, woher dieses Gold stammt, damit die Freunde der Kiowas diesen Reichtum an sich bringen können, wird Motawateh darüber nachdenken, ob er die Qualen des schändlichsten Sohnes der Apatschen abkürzen wird. Sterben aber wird er müssen, da er den Kiowas vor langer Zeit die Schlimmste aller Beleidigungen angetan hatte. Und da du sein Freund bist, bist du ebenso wie er unser Todfeind und wirst ebenfalls sterben müssen. Bis dahin werden wir euch strengstens bewachen, so dass es euch nicht möglich sein wird, auch nur das kleinste eurer Gliedmaßen zu bewegen. Ihr werdet euch niemals befreien können! Howgh!“ Er lachte leise auf, denn er hatte bemerkt, dass ich jetzt doch leicht zusammengezuckt war. Der Kerl hatte von Gold gesprochen, von Gold, welches er bei Winnetou gefunden haben wollte! Woher sollte er wissen, dass dieser tatsächlich eine nicht unbeträchtliche Menge bei sich führte, wenn es ihm nicht gelungen war, meinen Freund in seine Gewalt zu bekommen? Mir lief es heiß und kalt den Rücken herunter; trotzdem gelang es mir irgendwie, weiterhin eine kühle Gleichgültigkeit zur Schau zu stellen, als ich ihm entgegnete: „Dein Name müsste eigentlich „großer Mund“ lauten, denn deine Worte sind größer als deine Taten. Selbst wenn der Häuptling der Apatschen dein Gast sein sollte – und ich sage absichtlich „Gast“, denn er würde sich niemals ein deine Gefangenschaft begeben – so wäre es dir unmöglich, ihm seine Habseligkeiten abzunehmen!“ Motawateh erhob sich wieder zu seiner vollen Größe, sah mit einer Mischung aus Verachtung und Siegesgewissheit auf mich herab und sprach nun mit dem Brustton der Überzeugung: „Ich werde dir beweisen, dass sich der mutlose Schakal namens Winnetou in unserer Gewalt befindet. Gedulde dich eine kurze Zeit, und du wirst es mit eigenen Augen sehen!“ Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich um seine eigene Achse und verschwand mitsamt seinem Gefolge aus dem Zelt. Stumm sah ich meine Gefährten an. Beide erwiderten ungläubig meinen Blick, und in beiden Augenpaaren erkannte ich große Zweifel über das eben Gehörte. Emery brach dann auch als Erster das Schweigen: „Das kann nicht sein, Charlie. Wenn der Kerl Winnetou wirklich in seine Gewalt gebracht haben sollte, warum hält er ihn dann nicht mit uns zusammen in einem Zelt gefangen?“ Auch Sam wandte jetzt ein: „Dieser Indsman glaubt wohl, er könne uns an der Nase herumführen, wenn ich mich nicht irre! Meine Nase ist zwar dank ihrer fabelhaften Größe gegenüber Eurer absolut im Vorteil, was das Herumführen daran angeht, aber dennoch wird es wohl bald so sein, dass wir diesem Kiowa auf derselbigen herumtanzen werden, hihihi!“ Das gute Kerlchen ließ sich auch jetzt wie immer nicht aus der Ruhe bringen. Mein Gefühlsleben hingegen war doch etwas in Aufruhr geraten. Einerseits konnte und wollte ich es absolut nicht glauben, dass Winnetou von diesen Rothäuten tatsächlich überwältigt worden sein sollte, andererseits hatte Motawateh das Gold erwähnt, und woher sollte er davon sonst wissen? Winnetou trug im Augenblick wirklich eine nicht gerade kleine Menge an Nuggets bei sich, da wir in Kürze nach Farmington aufbrechen wollten, um für seinen Haushalt im Pueblo, für den Doktor und auch für die Siedler einige wichtige Dinge zu besorgen. Er hatte es jetzt schon bei sich, weil wir vor kurzem in die Nähe eines seiner Placers vorbeigekommen waren, und auf den Weg nach Farmington würden wir auf keines mehr treffen. Ich war jetzt wirklich gespannt, welche Art von Beweis der Kiowa-Häuptling für Winnetous Anwesenheit hier im Lager anführen wollte. Bis dahin konnten wir sowieso nichts anderes tun als abzuwarten, wobei ich mich bemühte, die nagende Sorge in mir zu unterdrücken. Wir verfielen nun in ein nachdenkliches Schweigen, wobei ich mir, auch um mich etwas abzulenken, die Geschehnisse nach der spektakulären Rettung der Siedlerkinder wieder vor Augen führte. Kapitel 5: Eine unvollständige Befreiung (zwei Wochen zuvor) ------------------------------------------------------------ Zwei Wochen zuvor: Nachdem Walter Hendrick die Behandlung unserer geringfügigen Verletzungen abgeschlossen hatte, raffte ich mich nochmals auf, wobei ich das Gefühl hatte, vor Müdigkeit von zentnerschweren Gewichten heruntergedrückt zu werden, und setzte mich wieder an die Seite meines Freundes, nahm seinen Kopf in meinen Schoß und hielt gleichzeitig seine Hand. Ich wandte ihm jetzt wieder meine ganze Aufmerksamkeit zu, die nur einmal noch kurz abgelenkt wurde, als ich Emery gewahr wurde, der sich jetzt mit einem weiteren Apatschen aufmachte, um Iltschi und Hatatitla sowie unsere am Ufer abgelegten Gegenstände zu holen. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich in dem Indianer Tsain-tonkee, den „Spähfuchs“ der Apatschen, der uns bei unserem Kampf gegen die Geierbande vor einigen Monaten eine große Hilfe gewesen war. Offensichtlich begleitete er den Engländer, weil er sich besser als dieser hier in der Gegend auskannte. Meine Gedanken schweiften kurz ab zu der kleinen Höhle, in deren Nähe wir die Pferde angehobbelt hatten und in der wir vor gerade mal einer guten Stunde eine so leidenschaftliche Zeit verbracht hatten. Würden die beiden die Grotte entdecken? Und wenn ja, konnten sie dort irgendwelche Spuren finden, die auf das besondere Verhältnis zwischen Winnetou und mir schließen ließen? Innerlich zuckte ich mit den Achseln, es war mir im Moment aufgrund meiner Erschöpfung wirklich völlig gleichgültig - und selbst wenn den beiden irgendetwas auffallen sollte, würde es an meinem Verhältnis zu meinem geliebten Blutsbruder in keinster Weise etwas ändern - soviel stand für mich fest. Im übrigen war ich mir seit geraumer Zeit sowieso nicht mehr so ganz sicher, ob Tsain-tonkee nicht doch etwas ahnte – es hatte in den letzten Monaten gewisse Andeutungen gegeben, die darauf hinwiesen. Er verhielt sich jedoch wie immer sehr höflich und und äußerst ehrerbietig uns gegenüber, und vor allem vor Winnetou hatte er größte Hochachtung, die er auch deutlich zeigte, und war ihm gegenüber unerschütterlich treu und ergeben. Somit konnte ich getrost davon ausgehen, dass er, wenn er wirklich von unserer körperlichen Liebe zueinander wusste, diese mit größtem Gleichmut und absoluter Selbstverständlichkeit hinnahm. Ich sah wieder hinunter zu meinem Freund, der ruhig und tief atmend mit geschlossenen Augen in meinem Schoß lag. Er war noch etwas blass, schien aber den gnadenlosen Überlebenskampf im Wasser ansonsten gut überstanden zu haben. Walter hatte sich jetzt auch wieder neben uns niedergelassen, horchte nochmals die Lunge des Apatschen ab und nickte mir anschließend beruhigend zu. Dann meinte er: „Am besten wird es sein, wenn wir hier an diesem Ort bleiben, bis er erwacht ist und sich wieder etwas erholt hat. Das wird wahrscheinlich ein paar Stunden dauern, aber anschließend wird er wohl in der Lage sein, zumindest bis zur Siedlung zu reiten, und dort könnt ihr beide euch ja wenigstens bis morgen ausruhen!“ Ich stimmte ihm zu, worauf er ergänzte: „Du solltest jetzt auch versuchen, etwas zu schlafen, du hast es wirklich bitter nötig!“ Etwas zweifelnd sah ich ihn an, denn eigentlich hatte ich vor, noch etwas über den Grund seines und Entschah-koh's Aufenthalt ausgerechnet an dieser Stelle hier zu erfahren; und auch die Tatsache, dass sich Emery nebst Tsain-tonkee hier befanden, einschließlich neun weiteren ihn begleitenden Apatschen, irritierte mich ein wenig, denn ich hatte ihn bis jetzt im Pueblo vermutet. Und, zu guter Letzt, was hatte es mit den Goldsuchern auf sich, auf die die Siedler während ihrer Biberjagd getroffen waren und deretwegen sie so abgelenkt waren, dass sie nicht mehr auf die Kinder geachtet und damit das ganze Unglück ausgelöst hatten? Allerdings spürte ich jetzt immer stärker eine bleierne Müdigkeit, die mich zu überwältigen drohte. Auch die Wunden, die zwar völlig unbedeutend waren, bereiteten mir im Moment Schmerzen; und da es Winnetou im Augenblick relativ gut ging und ich genau wusste, dass der Doktor ein wachsames Auge auf ihn haben würde, beschloss ich, mir dann doch einen kleinen Erholungsschlaf zu gönnen. Ich legte mich so, dass mein Freund weiterhin in meinen Armen liegen konnte, und war dann auch Sekunden später eingeschlafen. Ich erwachte, weil mir der köstliche Geruch gebratener Präriehühner in die Nase stieg und mich mein daraufhin laut knurrender Magen daran erinnerte, dass er überhaupt nichts gegen eine handfeste Mahlzeit einzuwenden hatte. Mein nächster Gedanke galt Winnetou und sofort schaute ich zu meiner anderen Seite. Er lag immer noch friedlich schlafend in meinen Armen, während Walter seine Hand hielt und ab und zu nach dem Puls tastete. Als er bemerkte, dass ich erwacht war, flüsterte er mir zu: „Keine Sorge, es ist alles in Ordnung, es geht ihm gut!“ Ich nickte erfreut und sah mich dann nach den anderen Anwesenden um. Einige von ihnen hatten sich im Kreis um das große Lagerfeuer herum versammelt, bereiteten das Essen zu und unterhielten sich leise, andere hatten sich genau wie ich einen schattigen Platz für ein kurzes Nickerchen gesucht. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, hatte ich über zwei Stunden geschlafen, und so war es auch kein Wunder, dass ich mich vollkommen erholt fühlte. Da ich zudem keinen geringen Hunger und Durst verspürte, versuchte ich, mich so vorsichtig wie möglich von Winnetou zu lösen, damit ich ihn nicht um seine wahrscheinlich noch sehr notwendige Ruhe brachte, aber meine Bemühungen waren vergeblich. Kaum hatte ich meinen Arm unter ihm weggezogen, begann er, sich zu regen. Ein tiefes Durchatmen, ein kurzes Blinzeln, und schon schlug er seine Augen auf und sah mich an, wirkte dabei aber im Augenblick noch etwas verwirrt. Sanft streichelte ich über seine Stirn und fragte ihn, immer noch etwas besorgt: „Wie fühlst du dich, mein Bruder?“ Einen Moment lang konnte er noch nicht genau einordnen, was geschehen war, das sah ich ihm deutlich an. Dann aber huschte ein spärliches Lächeln über sein Antlitz und mit einer leisen und etwas heiser klingenden Stimme flüsterte er: „Es geht mir gut, Scharlih - aber weiß mein Bruder, ob die Kinder die Gewalt des Wassers ebenfalls überstanden haben?“ Es war wie immer. Seinen eigenen Zustand schnell überspielend, hatte er nur Sorgen für seine notleidenden Mitmenschen; und dieser bei ihm äußerst ausgeprägte Zug der Nächstenliebe rührte mich jedesmal wieder zutiefst an. Zudem war ich weiterhin voller Dankbarkeit für seine mit allerletzter Kraft ausgeführte Rettungstat, der ich höchstwahrscheinlich mein Leben verdankte; und so nahm ich aufgrund meiner jetzt überquellenden Gefühle der Rührung und Freude über sein Erwachen sein Gesicht in meine Hände und küsste ihm die Stirn, bevor ich ihm antwortete: „Mein Bruder sei ohne Sorge, die Kinder sind versorgt und in Sicherheit...“ Ich wurde nun von dem Doktor unterbrochen, der noch etwas genauer ausführte: „Ich kann dir mit gutem Gewissen versichern, Winnetou, dass es ihnen soweit gut geht. Ich habe mich schon um sie gekümmert, sie befinden sich jetzt auf dem Weg zur Siedlung, wo sie natürlich ein paar Tage das Bett hüten werden.“ Mein Freund drehte bei diesen Worten schnell seinen Kopf in Richtung des Arztes und sah ihn überrascht an. „Wie ist es möglich, dass sich mein weißer Bruder hier befindet?“ fragte er leise. Auch ich hatte Interesse an der Antwort des Doktors, da ihn der Weg vom Pueblo der Apatschen zu den Siedlern, den er mit Entschah-koh hatte zurücklegen wollen, eigentlich ein paar Meilen weiter südlich vorbeigeführt hätte. Walter gab uns denn auch sogleich Auskunft: „Nun, wir waren ungefähr auf der Hälfte unseres Weges angelangt, als sich uns von hinten mit größter Eile ein Reitertrupp näherte. Das waren die verunglückten Kinder mit ihren Vätern und drei weiteren Begleitern, die die Kleinen so schnell wie möglich nach Hause bringen wollten, da diese völlig erschöpft und stark unterkühlt waren. Sie waren natürlich heilfroh, uns unterwegs zu treffen, da ich nun sofort eine hinreichende Erstversorgung leisten konnte. Anschließend wollten wir eigentlich mit ihnen zur Siedlung reiten, erfuhren dann aber von den Männern, dass ihr beide euch kurz zuvor in Lebensgefahr begeben habt, um die Kinder zu retten. Keiner von den Männern wusste, ob es schon gelungen war, euch ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Da es für mich deshalb unklar war, in welchem Zustand ihr euch befandet und man mit ziemlicher Sicherheit annehmen konnte, dass ihr auch der Hilfe bedurftet, kehrten Entschah-koh und ich schnellstmöglich um; und ich denke, das war eine gute Entscheidung!“ Bei diesen Worten warf er Winnetou einen bedeutsamen Blick zu. „Das war mal wieder äußerst knapp, mein Freund! Eigentlich hatte ich gehofft, nie wieder eine solche Situation mit dir erleben zu müssen....“ Er schüttelte kurz den Kopf, wie um die schreckliche Vorstellung abzuschütteln, was alles hätte geschehen können, und fuhr dann fort: „Es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn der Häuptling der Apatschen sich heute und morgen noch ein wenig schonen würde, um einer gesundheitlichen Gefährdung aus dem Weg zu gehen, so dass wir alle uns wirklich keine Sorgen mehr machen müssten!“ Ich musste jetzt doch etwas in mich hinein schmunzeln, denn das war eine recht geschickte Taktik unseres Doktors, Winnetou auf diese Art zur Ruhe zu zwingen, da er wusste, dass der Apatsche alles tun würde, um uns jegliche Unannehmlichkeiten zu ersparen. Dieser schenkte ihm jetzt auch ein leises Lächeln und versicherte: „Winnetou wird seinem weißen Bruder gerne seinen Wunsch erfüllen. Ist es ihm dennoch erlaubt, sich aufzusetzen?“ Dies wurde ihm von Hendrick gestattet. Er bedurfte dabei noch nicht einmal mehr meiner Unterstützung, und ich war äußerst froh und dankbar, dass unser Abenteuer offenbar keine schwerwiegenden Folgen für ihn gehabt hatte. Die anderen Anwesenden hatten inzwischen bemerkt, dass wir beide uns wieder unter den Lebenden befanden und kamen schnell zu uns herüber. Wir wurden denn auch sofort mit einem reichhaltigen Mittagsmahl versorgt, worauf vor allem ich herzhaft zulangte. Winnetou wurde jetzt natürlich von allen Seiten mit Lob und Dank nur so überhäuft, was er aber nach wenigen Augenblicken mit den Worten abwehrte: „Wenn meine weißen Brüder nicht möchten, dass Winnetou sich sofort entfernt, dann sollten sie jetzt nicht mehr von Dingen sprechen, die für Manitous Kinder eine Selbstverständlichkeit sein sollten! Der Häuptling der Apatschen würde viel lieber erfahren, was es mit den Goldsuchern auf sich hat, die sein weißer Freund Schumann vorhin erwähnte!“ Das Oberhaupt der Auswanderer hatte ihm nämlich Augenblicke zuvor in aller Kürze berichtet, wie der Unfall der Kinder von statten gegangen war und hatte dabei auch beiläufig die Fremden erwähnt, die ihn um dringende Hilfe gebeten hatten. Schumann kam der Aufforderung sogleich nach und berichtete: „Well, wie schon gesagt, wir waren gerade dabei, die Biberfallen zu leeren und neu aufzustellen, als wir aus dem hinter uns liegenden Wald lautes Hufgetrappel nahen hörten. Kurz darauf erschienen acht Reiter, die allesamt einen sehr verängstigten und aufgeregten Eindruck machten. Sie schienen heilfroh zu sein, auf andere Menschen treffen zu können, und baten uns sofort um unseren Schutz und unsere Hilfe. Wir waren natürlich zuerst recht verwundert, denn sie benahmen sich, als ob sie verfolgt werden würden, aber es war weit und breit niemand zu sehen. Aus ihren verworrenen Berichten wurden wir zuerst auch nicht schlau, dann aber, nachdem wir die Männer etwas beruhigen konnten, erzählten sie uns, dass sie Goldsucher seien und sich zwei Stunden zuvor noch an ihrem Lagerplatz befanden, wo sie die Nacht verbracht hatten. Sie waren gerade im Begriff gewesen, alles zusammenzupacken und weiter zu reiten, als sie plötzlich hinterrücks überfallen wurden. Zwei von ihnen wurden sofort niedergeschlagen, die anderen aufs gröbste beschimpft und bedroht, und so waren die im Westen recht unerfahrenen Leute völlig verängstigt und nicht in der Lage, sich zu wehren, obwohl die Anzahl der Banditen nur geringfügig größer war. Sie hatten es einem unglaublichen Zufall zu verdanken, dass sie sich befreien und fliehen konnten. Im Wald hinter ihnen waren auf einmal Geräusche zu vernehmen, die auf sich entfernende Personen hinwiesen. Die meisten Banditen nahmen sofort die Verfolgung auf; sie dachten wohl, einer der Goldsucher wäre entflohen. Nur ein oder zwei der Halunken blieben als Wächter zurück, aber ihre Aufmerksamkeit war permanent auf das Geschehen im Wald gerichtet, so dass sich die Überfallenden heimlich miteinander verständigen konnten. Da sie noch nicht gefesselt worden waren, nahmen sie all ihren Mut zusammen, überwältigten ihre Wächter, schnappten sich ihre Pferde und flüchteten, so schnell sie konnten. Einzig ihre niedergeschlagenen Kameraden mussten sie zurücklassen, und dass ist auch der Grund, warum sie jetzt Hilfe suchten. Sie wollen ihre Gefährten natürlich nicht ihrem Schicksal überlassen, wagen sich aber nicht, diese ohne die Anwesenheit mutiger und gut bewaffneter Männer aus der Gefahr zu befreien!“ Nachdem Schumann seinen Bericht beendet hatte, sah ich meinen Freund an, der sinnend zu Boden blickte. Ich kannte ihn so gut wie niemand sonst, und mir war nun sogleich vollkommen klar, dass er jetzt nicht mehr darüber nachdachte, ob, sondern nur noch, auf welche Weise er beziehungsweise wir den gefangenen Goldsuchern zu Hilfe kommen wollten. Schon hob er den Kopf und sah Schumann an, um weitere Einzelheiten zu erfahren: „Wo befinden sich die Männer jetzt, die Eure Hilfe erbaten?“ Der Deutsche antwortete: „Einige unserer Leute haben sie mit zur Siedlung genommen, wo sie sich erst einmal etwas von ihrem Schrecken erholen können. Wir hatten eigentlich vor, allesamt mitzureiten, aber dann geschah der Unfall unserer Kinder, so dass wir anderen uns um den Jungen und die Mädchen gekümmert haben.“ Winnetou nickte, aber jetzt hatte ich noch eine Frage: „Wie ist es möglich, dass Tsain-tonkee und Emery sich hier bei Euch befinden? Wir wähnten die beiden zur Zeit eigentlich im Apatschenpueblo.“ Auf meine Worte hin sah Winnetou mich einen Augenblick lang verwundert an; er hatte die beiden von mir Genannten ja noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Noch bevor Schumann mir diese Frage beantworten konnte, unterbrach ich ihn sofort wieder und meinte, an Winnetou gewandt, lächelnd: „Tsain-tonkee und Emery können meinem Bruder und mir unsere Frage selbst beantworten; sieh hinter dich, dort kommen die beiden gerade mit unseren Pferden zurück!“ In diesem Moment betraten die beiden Erwähnten tatsächlich unseren Lagerplatz und setzten sich sofort zu uns, wobei Emery dem Apatschen seine Hand auf die Schulter legte, sie kurz drückte und sein Gesicht einen höchst erleichterten Ausdruck annahm. Tsain-tonkee übte sich natürlich in indianischer Zurückhaltung, aber seine Augen leuchteten erfreut auf, als er seinen geliebten Häuptling offenbar gut erholt wieder vor sich sah. Winnetou gab ihnen ein beruhigendes Handzeichen, und dann stellte ich meine Fragen noch einmal. Der schweigsame Späher der Apatschen überließ dem Engländer das Antworten, und dessen Bericht hielt nun doch einiges an Überraschungen für uns parat! Emery begann also: „Nun, Mesch'schurs, wie ihr wisst, hatte ich überhaupt nicht die Absicht, heute einen Ausritt zu unternehmen, denn ich hatte mir eigentlich etwas anderes vorgenommen...“ Bei diesen Worten zwinkerte er mir unauffällig zu, und ich hatte sofort Tsen-tainte vor Augen, die schöne Apatschin. Unser Gefährte fuhr fort: „Ihr wart erst ungefähr seit zwei Stunden fort gewesen, da kam Tsain-tonkee von einem Botenritt zurück ins Dorf, und er war sehr in Eile. Kurz vor dem Pueblo war ihm eine Person am gegenüberliegenden Ufer des Pecos aufgefallen, die offenbar bemüht war, sich nicht von den Bewohnern sehen zu lassen. Unser Spähfuchs hier hatte ihn auch nur aufgrund seiner erhöhten Lage oben am Weißen Felsen und seiner außergewöhnlich guten Augen entdecken können. Um mehr über diesen Mann zu erfahren, hat er sich schnellstens so weit wie möglich an das Flussufer herangeschlichen und den Kerl dann auch tatsächlich erkannt – und jetzt darfst du einmal raten, Charlie, wer uns da wohl ausspionieren wollte!“ Ich zuckte kurz die Schultern und antwortete: „Tut mir leid, Emery, aber mir steht gerade nicht der Sinn nach Ratespielen, also berichte bitte doch einfach weiter, ja?“ Der Engländer folgte meiner Bitte und fuhr fort: „Es ist jemand, den keiner von uns jemals wiedersehen wollte, das könnt ihr mir glauben! Sagt irgendeinen von euch der Name 'Wayne' noch etwas?“ Auf seine Frage erntete er nur ratlose Blicke, also gab er rasch selber Aufklärung: „Gut, aber vielleicht erkennt ihr, wen ich meine, wenn ich den Begriff 'Geierbandit' davor setze?“ Jetzt konnte ich nicht mehr verhindern, dass mir ein überraschtes Keuchen entfuhr. Ein Geier namens Wayne! Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Entsetzt stieß ich hervor: „Wayne? Du meinst doch nicht wirklich diesen Wayne? Den Unteranführer der Geier, der Winnetou.....“Ich konnte den Satz nicht zu Ende bringen, die Erinnerung an das fürchterliche Attentat auf meinen Freund, das eigentlich mir gegolten hatte, war einfach zu schrecklich. Emery nickte, und nun liefen vor meinem inneren Auge wieder all die entsetzlichen Szenen ab, die sich nach dem Schuss dieses Verbrechers damals abgespielt hatten und die ich am liebsten für immer im Dunkel des Vergessens gelassen hätte. Winnetou ahnte natürlich sofort, wie es in mir aussah und legte mir beruhigend seine Hand auf den Arm. Das half, zumindest soweit, als dass ich wieder einigermaßen klar denken konnte. Auch den anderen Anwesenden war mittlerweile ein Licht aufgegangen, das konnte ich an den schockierten Gesichtern ringsherum deutlich erkennen. „Emery! Wie ist das möglich? Wie...“ Der Doktor, der zu dieser Frage angesetzt hatte, stockte mittendrin, auch er war zutiefst betroffen. Ich nahm mich mühsam zusammen und versuchte, möglichst ruhig zu erscheinen, als ich weiter nachforschte: „Der Kerl wurde doch damals ins Fort überführt, um dort abgeurteilt zu werden, oder nicht? Und soviel ich weiß, war der Halunke von Old Firehand so schlimm zugerichtet worden, dass kaum noch jemand daran glaubte, dass er es überhaupt bis dorthin überleben würde. Also, wie um alles in der Welt soll er es jetzt bis zum Pueblo geschafft haben? Ist mein roter Bruder sicher, dass er sich nicht geirrt hat?“ Ich wandte mich mit dieser Frage direkt an Tsain-tonkee, voller Hoffnung, dass er vielleicht doch einer Täuschung unterlegen war. Dieser aber antwortete mit größter Bestimmtheit: "Tsain-tonkee irrt sich nicht. Er vergisst niemals ein Gesicht, schon gar nicht das eines Verbrechers und erst recht nicht das eines Mannes, der beinahe für den Tod unseres Häuptlings verantwortlich gewesen wäre. Dieser feige Kojote war ganz sicher der Mann am Fluss. Allerdings ist sein Körper nicht frei von Beeinträchtigungen; er humpelt und die eine Hälfte seines Gesichtes ist völlig entstellt durch die Verletzungen, die unser weißer Bruder Old Firehand ihm zugefügt hatte!“ Diese Nachricht mussten wir jetzt erst einmal alle verdauen, und so breitete sich ein nachdenkliches Schweigen unter allen Anwesenden aus. Auch Schumann und seine Siedler waren regelrecht schockiert. Sie waren vorher von Emery nur grob über den Grund seines Hierseins informiert worden und dabei hatte der Engländer den Geier noch nicht erwähnt. Nun fuhr er mit seinem ausführlichen Bericht fort: „Leider befand sich der Halunke auf der anderen Seite des Pecos und war zudem noch in Begriff, sich in den nahen Wald zurückzuziehen. Ihr wisst, wie breit der Fluss an dieser Stelle ist, und somit bot sich für Tsain-tonkee keine Möglichkeit, schnell und vor allem ungesehen dort hinüber zu kommen und sich auf die Spur des Verbrechers zu setzen. Er tat das einzig Richtige, ritt schnellstmöglich zurück ins Dorf und informierte uns. Da ihr beiden sowie Entschah-koh nicht anwesend wart, traf ich dann die Entscheidung, selber mit unserem Spähfuchs sowie neun weiteren Kriegern der Fährte des Kerls zu folgen, denn ich wollte unbedingt wissen, wieso er sich plötzlich in den Weidegründen der Apatschen aufhält und was er vor hat; und ich denke, ihr stimmt darin mit mir überein!“ Ich nickte bestätigend, und Winnetou erwiderte lobend: „Mein weißer Bruder hat genau richtig gehandelt. Hatte er Erfolg bei der Spurensuche?“ Emery erzählte also weiter: „Wenn sich Tsain-tonkee in der Nähe befindet, hat man mit jeder Spurensuche Erfolg! Wir hatten kaum über den Fluss gesetzt, da hatte er die Fährte auch schon gefunden, und nun machten wir uns in aller Vorsicht auf den Weg, denn wir wollten den Kerl ja erst einmal finden und dann, wenn möglich, belauschen. Es dauerte auch gar nicht lange, da hatten wir ihn kurz in unserer Sichtweite. Wir ließen uns daraufhin so weit zurückfallen, dass er uns nicht entdecken konnte, und folgten ihm bis zu einer Lichtung im Wald, die nur ungefähr zwei Meilen von dem Lagerplatz der Goldsucher entfernt lag.“ Der Engländer unterbrach sich jetzt kurz, denn er hatte einen überraschten Blick meinerseits aufgefangen und klärte mich sogleich auf: „Du wunderst dich, weil ich den Aufenthaltsort der Goldsucher kenne? Der Grund wird dir gleich klar werden, gedulde dich noch ein wenig. Auf der Lichtung angekommen, lagerte sich dieser Wayne in einer solchen Weise, dass wir uns gleich denken konnten, dass dieser Platz als Treffpunkt dienen sollte. Wir brauchten auch gar nicht lange warten; nach gerade mal einer Viertelstunde näherten sich zwölf weitere Reiter, denen man die Verbrechervisage auf drei Meilen Entfernung ansehen konnte und die sich sofort zu unserem Freund setzten. Die Bäume standen nicht sehr dicht um die Lichtung herum und es befand sich auch nicht sonderlich viel Gesträuch dort, so dass das Anschleichen auf Hörweite äußerst lange währte, aber letztendlich ist es Tsain-tonkee und mir dann doch gelungen; allerdings hatten die Verbrecher bis dahin wohl schon das Wichtigste besprochen. Aus dem Wenigen, was wir dennoch erlauschen konnten, schlossen wir, dass sich ganz in der Nähe eine Gruppe Goldsucher aufhielt, die die Bande gleich im Anschluss ihrer Besprechung überfallen wollte, da die Digger schon in Kürze aufbrechen wollten. Die genauen Umstände, also woher die Halunken von ihren baldigen Opfern wussten und wie der Überfall von statten gehen sollte, erfuhren wir nicht mehr, denn es wurde dann auch sofort aufgebrochen. Tsain-tonkee und ich mussten dann erst einmal wieder zu den Unsrigen zurückkehren, ohne entdeckt zu werden, und das nahm natürlich Zeit in Anspruch. Wir machten uns anschließend so schnell wie möglich auf den Weg, um den Überfall noch irgendwie zu verhindern, kamen aber zu spät; die Goldsucher waren an ihrem Lagerplatz schon überwältigt worden. Wir hätten sie vielleicht in einem offenen Kampf befreien können, aber das Risiko, dass dabei ein Unschuldiger vielleicht verletzt oder gar getötet worden wäre, war uns zu groß, und so entschlossen wir uns zu einer List. Wir veranstalteten also etwas Lärm im den Lagerplatz umgebenden Wald und machten so die Schurken auf uns aufmerksam. Die meisten von ihnen nahmen auch sogleich unsere Verfolgung auf, wobei einige unserer Apatschen die Kerle weiter vom Lagerplatz weglockten, während wir anderen zu den Überfallenen zurückkehrten, um sie zu befreien. Diese sorgten aber im gleichen Moment für ein ziemliches Durcheinander: Es war ihnen zwar gelungen, ihre beiden Wächter zu überwältigen, allerdings ohne sie sofort dingfest zu machen. Sie flohen dann auch voller Angst Hals über Kopf und unter viel Lärm und Geschrei in Richtung Pecos, ließen dabei aber zwei ihrer Kameraden zurück, die bei dem Überfall niedergeschlagen worden waren und immer noch nicht ihre Besinnung wiedererlangt hatten. Die von dem plötzlichen Widerstand der Goldsucher überraschten Wächter stellten sich nun sogleich mit gezogenen Waffen zu den Bewusstlosen, um sie als Geisel zu benutzen, falls deren Gefährten nochmals zurückkommen sollten. Gleichzeitig kehrte auch der Großteil der anderen Banditen zurück, so dass wir keinerlei Möglichkeit mehr hatten, auch diese zwei Goldsucher ohne Gefahr für sie zu befreien. Wir beließen es also dabei, die Gruppe weiterhin zu verfolgen, und glücklicherweise haben sich die Verbrecher ein paar Meilen entfernt einen Lagerplatz gesucht, an dem sie sich allen Anschein nach wohl zwei Tage oder mehr aufhalten werden. Sie waren allerdings immer noch höchst wachsam, denn wahrscheinlich rechneten sie mit einer Befreiungsaktion der anderen Digger. Daher beschlossen wir, erst einmal den geflohenen Goldsuchern zu folgen; dabei trafen wir auf die Siedler, die sich um zwei der von euch bereits geretteten Kinder kümmerten, und somit waren wir die nächsten Stunden erst einmal damit beschäftigt, uns unendliche Sorgen um euch, aber vor allem um unseren geliebten Apatschenhäuptling hier zu machen!“ Mit einem gespielt tadelnden Blick auf meinen Freund hatte Emery nun seinen langen Bericht beendet, und einen Augenblick lang herrschte nachdenkliches Schweigen in der Runde. Winnetou durchbrach es als erster; er schüttelte kurz ungläubig den Kopf und meinte dann: „Diese Goldsucher müssen das Gehirn einer Kröte besitzen!“ Das war seine knappe Zusammenfassung des soeben Gehörten, und ich ergänzte zustimmend: „Das ist wirklich der einzig richtige Schluss, den man aus dem Verhalten dieser Menschen ableiten kann!“ Jetzt wandte ich mich an Emery und Schumann: „Habt ihr auch den Eindruck, dass es sich um äußerst unerfahrene Leute handelt?“ Schumann nickte, und der Engländer ergänzte: „Unerfahren? Das ist sogar noch sehr freundlich und zurückhaltend ausgedrückt! In meinen Augen sind sie nämlich mehr als dumm! Lassen sich am hellichten Tag an einem nicht viel Deckung bietenden Platz beschleichen, belauschen und dann sogar noch überwältigen – und laufen anschließend brüllend und voller Angst wie aufgescheuchte Hühner durch den Wald! So etwas habe ich vorher noch nie gesehen, außer im Theater vielleicht!“ Er schnaubte jetzt richtig vor mitleidiger Empörung. Wir hielten nun eine kurze Beratung ab, in deren Verlauf wir uns entschlossen, erst einmal die Siedlung aufzusuchen, um mit den sich dort aufhaltenden Goldsuchern noch einmal in Ruhe selber zu sprechen und dann zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollten. Es lag aber vor allem in unserer stillen, unausgesprochenen Absicht, Winnetou noch ein paar Stunden etwas Erholung zu gönnen, möglichst bis zum nächsten Tag, und ich hoffte sehnlichst, dass uns das auch möglich gemacht werden würde. Kapitel 6: Blutige Beweise -------------------------- In der Gegenwart: Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als ich das Geräusch vieler Schritte vor dem Zelteingang vernahm. Abermals wurde das Fell vor dem Eingang heftig zurückgeschlagen, und ein weiteres Mal trat Motawateh mit seinem Gefolge ein. Ein höhnisches Grinsen entstellte sein sowieso schon grobschlächtiges Gesicht nun noch ein wenig mehr; er kam mit schnellen Schritten auf mich zu, hielt mir etwas in seiner Hand entgegen und begann mit vor Spott triefender Stimme: „Sieht Old Shatterhand jetzt ein, dass mein Mund die Wahrheit spricht? Dieser Hund, der sich Häuptling der Apatschen schimpft, befindet sich in meiner Gewalt, wie du jetzt endlich erkennen wirst, und genauso wie du wird er sich noch vor Sonnenuntergang wünschen, niemals geboren worden zu sein!“ Ich warf einen Blick auf den Gegenstand in seiner Hand und spürte, wie mein Herzschlag für einen kurzen Moment aussetzte. Es war eine Kette – eine Kette, bestückt mit Grizzlykrallen und -ohren – Winnetous Halskette! Wie kam der Kerl an Winnetous Eigentum?? Ich sah noch etwas genauer hin und erkannte zu meinem Entsetzen, dass an der Kette Blut klebte – frisches Blut! Ich war nicht in der Lage zu verhindern, dass mir nun dasselbige aus dem Gesicht wich; Motawateh bemerkte es sofort und ließ daraufhin ein fast satanisch wirkendes Grinsen sehen. Ganz kurz sah ich zur Seite und erkannte, dass auch Emery und Sam blass geworden waren; sie hatten die Kette ebenfalls erkannt. Der Kiowa-Häuptling wartete nun einige Augenblicke ab, um zu sehen, ob ich meinem Schrecken jetzt auch mit Worten Ausdruck verleihen würde, aber den Gefallen tat ich ihm natürlich nicht. Er war wirklich nicht der Geduldigste, denn schon nach wenigen Sekunden höhnte er: „Der weiße Kojote hat wohl seine Stimme verloren? Du siehst, ich halte mein Wort: der Pimo ist mein Gefangener, er wird die schlimmsten Qualen ausstehen müssen, die je einem Menschen widerfahren sind, und seine Martern haben auch schon begonnen!“ Diese beunruhigenden Worte veranlassten mich jetzt doch, ihn nochmals genauestens anzusehen, in der Hoffnung, seine Mimik würde ihn der Lüge überführen. Er aber wirkte so selbstsicher und so zufrieden mit sich, dass es mir nicht leicht fiel, den Wahrheitsgehalt seiner Worte anzuzweifeln. Mich schauderte es innerlich, als ich darüber nachsann, was diese Rothäute meinem Freund alles schon angetan haben konnten. Freiwillig hatte dieser dem Kiowahäuptling mit Sicherheit nicht seine Kette überlassen! Motawateh hatte davon gesprochen, dass seine Folter schon begonnen hätte – was bedeutete das? Die Marterung eines solch bedeutenden Kriegers und Häuptlings, wie Winnetou es war, würde niemals still und heimlich vorgenommen werden; man würde dieses Ereignis unter den größten und aufwendigsten Feierlichkeiten über Tage hinweg durchführen. Wir aber hatten bisher keinerlei der dabei zwangsläufig entstehenden Geräusche wie Trommeln oder Kriegsgesänge vernehmen können, überhaupt war es die ganze Zeit über mucksmäuschenstill um unser Zelt herum gewesen, was fast schon auffällig war. Wie mochte es wohl meinem Bruder im Augenblick ergehen? An seiner Kette hatte ich Blutflecken entdeckt – waren diese wirklich von ihm? Konnte es nicht auch ein Trick dieses Schurken sein, um uns, und vor allem mich, bange zu machen? Und wenn ja, aus welchem Grund? Und wenn es wirklich das Blut Winnetous war, wie schwer mochte er verletzt sein? Befand er sich tatsächlich hier im Lager der Kiowas oder hatte er entfliehen können, war vielleicht bei seiner Flucht im Kampf verwundet worden? Die Sorge um den edelsten und besten meiner Freunde schnürte mir die Kehle zu und machte mir das Herz schwer. Vielleicht brauchte er genau jetzt, in diesem Moment, dringend meine Hilfe, und ich saß hier gefesselt in diesem Zelt fest, als Gefangener von Motawateh! Was konnte dieser nur von uns wollen? Aus welchem Grund hatte er uns überwältigt und gefangen genommen? Er hatte von Winnetous Gold gesprochen und von Freunden der Kiowas, die sich dieses Reichtums bemächtigen wollten – sollte das der Grund sein? Allerdings hatte er auch eine Beleidigung erwähnt, die ihm von Winnetou einst zugefügt worden war, und da die meisten Roten nicht nach Gold trachteten, andererseits aber jede ihnen jemals zugedachte Beleidigung irgendwie zu rächen versuchten, war das wohl der alleinige Grund für seinen offensichtlichen Hass auf meinen Freund. Und da ich, wie allgemein auch unter den indianischen Völkern bekannt, dessen engster Freund und Vertrauter war, genügte diese Tatsache dem Kiowa-Häuptling, um zu beschließen, mich Winnetous Schicksal teilen zu lassen. All diese Gedanken durchliefen mein Gehirn in Sekundenschnelle, und während dieser kurzen Zeit hatte Motawateh mich mit stillem, höhnischen Vergnügen betrachtet. Als ich jetzt immer noch nichts sagte und auch sonst, zumindest äußerlich, keinerlei Anzeichen von Angst und Schreck oder zumindest Sorge um den Apatschen sehen ließ, verließ ihn seine freilich nur kurz andauernde Geduldsphase schon wieder und er giftete in meine Richtung: „Glaubt die weiße Kröte namens Old Shatterhand es nun? Motawateh spricht keine Lüge, wenn er dir sagt, dass dieser räudige Kojote, der sich der Häuptling der Apatschen schimpft, in diesem Augenblick die größten Qualen ausstehen muss!“ Ich bemühte mich, meiner Mimik den Ausdruck absoluter Gleichgültigkeit zu verleihen, als ich ihm antwortete: „Das einzige, was ich hier sehe, ist eine Kette, wie es sie wohl viele gibt. Wer sagt mir, dass es wirklich die des berühmtesten aller Häuptlinge ist? Der unbekannte Kiowa hier vor mir wäre doch niemals Manns genug, ihm diese zu entwenden!“ Wieder wurde ich nun Zeuge eines höchst interessanten Farbwechselspiels in dem Gesicht des Angesprochenen. Er machte eine Bewegung, wie um mir einen weiteren Tritt zu verpassen, unterließ es aber doch, da er wohl zu der Einsicht gekommen war, sich durch seine vorherigen Unbeherrschtheiten schon zu sehr eines Häuptlings unwürdig verhalten zu haben. Seine Wut konnte er aber nicht gänzlich unterdrücken; sie war ihm deutlich anzusehen, als er mir jetzt entgegen zischte: „Elender Wurm! Dein Hochmut wird dir viel schneller vergehen, als dir lieb sein kann! Du wirst mir nicht weismachen können, dass du die Halskette deines Blutsbruders nicht erkennst!“ Lächelnd entgegnete ich ihm: „Vielleicht ist sie es wirklich. Aber selbst wenn es so wäre, dann ist das noch lange kein Beweis, dass sich der große Häuptling der Apatschen in deiner Gefangenschaft befindet! Wie sollte dir auch dieses Kunststück gelingen! Wahrscheinlich habt ihr Winnetou nach einem kurzen Kampf mit euch, aus dem er als Sieger hervorgegangen war, aus den Augen verloren und seine Kette wurde ihm während des Gefechts vom Hals gerissen. Beantworte mir eine Frage: Wenn er wirklich dein Gefangener ist, wieso hältst du ihn dann getrennt von uns fest und mühst dich stattdessen eine unverhältnismäßig lange Zeit ab, mir seine Anwesenheit zu beweisen, anstatt ihn sofort hierher ins Zelt zu schaffen? Hast du solch eine Furcht vor uns, dass du das dich nicht getraust, Winnetou und Old Shatterhand zusammen zu bringen, obwohl wir unbewaffnet und zudem gebunden sind?“ Das hochrote Gesicht des Indianers färbte sich noch einen Ton dunkler, aber es gelang ihm tatsächlich, seine Gefühle zu kontrollieren, zumindest für diesen Moment noch. Betont ruhig antwortete er dann auch: „Meine Krieger sind zur Zeit damit beschäftigt, dem Pimo das Fleisch vom Körper zu schälen. Wir glauben, dass ihr diesen Anblick nicht ertragen könntet und nur noch wie räudige Köter winseln würdet, aus diesem Grund befindet er sich nicht hier. Ich aber habe mit dir noch zu reden. Du alleine hast die Macht, die Qualen deines Freundes abzukürzen und ihn schnell sterben zu lassen. Du musst mir nur eine Frage wahrheitsgemäß beantworten!“ Ich sah ihn aufmerksam an, bemühte mich aber, mir mein großes Interesse nicht anmerken zu lassen, denn jetzt würde ich wahrscheinlich den Grund unserer Gefangenschaft erfahren. „Nur zu,“ entgegnete ich ihm denn auch mit großem Gleichmut, „Ich bin mir sicher, dass ich dir unzählige Fragen beantworten könnte und auch müsste, um deinen geistigen Horizont wenigstens etwas zu erhellen!“ Mit dieser spitzen Bemerkung hatte ich erreicht, dass Motawateh nun endgültig der Kamm schwoll und er vor mühsam unterdrückter Wut zu zittern begann. Er beugte sich soweit vor, dass seine Nasenspitze beinahe die meinige berührte, und flüsterte jetzt fast schon, mit zusammengebissenen Zähnen, um zu verhindern, dass er vor Zorn losschrie: „Jede deiner Unverschämtheiten mir gegenüber wird zur Folge haben, dass der Apatsche noch fürchterlicher gefoltert wird, als du es dir in deinen schlimmsten Alpträumen überhaupt vorstellen kannst! Ich sage es noch einmal: Du hast es in der Hand, ob und wie sehr er zu leiden hat, also sieh dich vor! Wirst du mir nun meine Frage beantworten?“ Innerlich amüsierte ich mich köstlich, trotz der nagenden Sorge um meinen Freund, über die Leichtigkeit, mit der ich diesen Kiowa zur Weißglut treiben konnte, und antwortete ihm deshalb in fast schon fröhlicher Weise: „Es ziemt sich nicht für einen Häuptling, Ungeduld zu zeigen, wusstest du das nicht? Aber damit du dich nicht weiter vor deinen Kriegern blamieren musst, bin ich bereit für deine Frage!“ Er stieß ein unwilliges Schnauben aus, ließ sich aber weiter nicht anmerken, dass ihn meine Zurechtweisung getroffen hatte, und begann jetzt endlich: „Die Kröte namens Winnetou hatte Gold bei sich, sogar nicht wenig. Woher stammt es? Wo liegt der Fundort?“ Der Häuptling musterte mich jetzt gespannt, da ich nicht sogleich antwortete, denn mir schossen in Sekundenschnelle mehrere Fragen durch den Kopf. Das konnte der Kerl doch jetzt nicht im Ernst glauben, dass ich ihm eine Bonanza meines Blutsbruders verraten würde! Dachte er wirklich, dass ich über dessen Goldgruben von ihm in Kenntnis gesetzt worden war? Überhaupt, wieso wandte er sich nicht an Winnetou selber, wenn er ihn doch in seiner Gewalt hatte? Und seit wann trachteten die Kiowas überhaupt so nach Gold? Etwas unentschlossen, wie ich mich jetzt weiter verhalten sollte, sah ich Motawateh prüfend an und zögerte kurz mit der Antwort, so dass diesem nun doch wieder der Geduldsfaden riss und er mich förmlich andonnerte: „Du sollst antworten, du Hund! Bedenke, dass der stinkende Kojote da draußen jede deiner Verweigerungen mit seinem Blut zu bezahlen hat!“ Aus Sorge um Winnetou entschloss ich mich nun doch, ihm zu Willen zu sein, obwohl es mir wahrhaftig nicht leicht fiel. „Wie kommst du dazu, zu vermuten, dass ich den Fundort eines Goldschatzes kennen sollte? Weißt du nicht, dass ein so großer Häuptling, wie es Winnetou ist, niemals irgendjemanden dieses Wissen weitergeben würde, sogar mir nicht, auch wenn wir uns noch so nahe stehen? Du behauptest, er wäre dein Gefangener; mit dieser deiner Frage beweist du mir aber das Gegenteil, denn sonst würdest du deinen Willen ja bei Winnetou selber einfordern!“ Motawateh, der schon wieder zornesrot im Gesicht war, schrie mich daraufhin voll ungeduldiger Wut an: „Wirst du mir endlich verraten, woher Winnetou sein Gold hat, du räudiger Köter?“ „Ich kann es dir nicht sagen, da ich keines seiner Verstecke kenne“, antwortete ich knapp und sagte damit auch die Wahrheit, denn mein Freund hatte mir in all den Jahren, die wir uns kannten, niemals eine solche Bonanza gezeigt, da er nicht riskieren wollte, dass ich irgendwann doch, wie fast alle Weißen, von dem „Tödlichen Staub“ ins Verderben gezogen werden würde. „Du kannst den großen Häuptling der Apatschen doch höchstpersönlich fragen“, riet ich Motawateh weiter. „Aber das wirst du nicht tun, du kannst es nicht tun, denn er befindet sich ja gar nicht hier in eurem Lager, richtig?“ Der Anführer der Kiowas konnte sich kaum mehr beherrschen. Sein mühsam unterdrückter Grimm ließ ihn nur noch heiser krächzen, als er mir erwiderte: „Ich glaube dir kein Wort! Der Apatsche, der so wenig Mut besitzt wie ein Präriehase, hat dein Blut getrunken und du seines; er vertraut dir darum mehr als jedem anderen. Du kennst das Versteck des Goldes, und du wirst es mir verraten, sonst wird der Pimo dafür fürchterlich büßen müssen. Ich werde dir soviel Zeit geben, die ihr Weißen fünf Minuten nennt, danach bringe ich dir einen weiteren Beweis für die Anwesenheit deines Freundes. Wenn du dann anschließend nicht mit der Wahrheit herausrückst, werden dir seine Schmerzensschreie in jeder Sekunde deines restlichen Lebens, welches aber nur noch kurz währen wird, in den Ohren klingen!“ Mit dieser unheilvollen Drohung verließ er zum zweiten Mal das Zelt. Ich sah meine Kameraden an. Emerys Gesichtsausdruck war so sorgenvoll, wie ich mich innerlich fühlte; und die Augen des stets heiteren Sam Hawkens hatten nun endgültig ihr lustiges Funkeln verloren. Trotzdem versuchte er, mir Mut und Zuversicht zu vermitteln. „Lasst Euch jetzt nur nicht von diesem Choleriker einen Bären aufbinden, mein geliebter Sir! Der Kerl klopft doch nur große Sprüche, um uns einzuschüchtern – aber das wird ihm nicht gelingen, so wahr ich Sam Hawkens heiße!“ Ich nickte nur, und jetzt fiel auch Emery ein: „Aber die Halskette – sie stammt doch von Winnetou, richtig, Charlie?“ Ich nickte und verspürte einen dicken Kloß im Hals, als ich erwiderte: „Ja, sie gehört ihm, soviel ist sicher. Es klebte Blut daran, und ich muss gestehen, dass mein Herz alles andere als frei von Sorge um ihn ist, wobei ich immer noch nicht richtig glauben kann, dass dieser Motawateh Winnetou in seiner Gewalt hat. Wieso hält er ihn dann nicht mit uns zusammen gefangen? Das ergibt für mich einfach keinen Sinn!“ Emery hatte sich über diesen Umstand wohl auch schon mehrfach Gedanken gemacht, denn er äußerte jetzt eine Vermutung. „Vielleicht ist es die Absicht des Kiowa, dich über Winnetous Schicksal im Ungewissen zu lassen, um dich zu zermürben, so dass du doch noch das Versteck des Goldes verrätst.“ „Emery, ich kann es nicht verraten, selbst wenn ich es wollte“, erwiderte ich. „Winnetou hat mich aus gutem Grund niemals über einen solchen Ort in Kenntnis gesetzt. Er war zwar immer wieder sehr bemüht, mir mit seinem Reichtum auszuhelfen, wenn ich mal wieder knapp bei Kasse war, aber so oft es irgendwie ging, habe ich versucht, selber für meinen Unterhalt aufzukommen, meistens durch schriftstellerische Aktivitäten, wenn wir in größeren Städten unterwegs waren. Ich wollte es nie zulassen, und Winnetou ebenfalls nicht, dass das Gold in unserer Freundschaft eine Rolle spielt oder sich sogar zwischen uns stellt.“ Einige Sekunden schwiegen wir, dann begann Emery von neuem: „Ich verstehe nur nicht, wieso dieser Motawateh sich so hartnäckig an dich hält? Er muss sich doch darüber im Klaren sein, dass diese Tatsache unseren Verdacht, dass sich Winnetou gar nicht in seiner Gewalt befindet, nur erhärtet! Wieso versucht er nicht, das Geheimnis aus dem Apatschen selber herauszupressen?“ „Weil er genau weiß, dass Winnetou es ihm niemals, auch nicht unter den schlimmsten Martern, verraten würde!“, antwortete ich. „Er bemüht sich zwar sehr, den Eindruck zu erwecken, dass er den berühmten Häuptling nur verachtet, aber in Wirklichkeit kann er dessen Eigenschaften und Fähigkeiten wohl sehr gut einschätzen und er ist sich deshalb sicher, dass seine Bemühungen, ihm den Ort eines seiner Placers zu entlocken, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.“ „Na, hoffentlich kommt er dann nicht auf den Gedanken, dich im Beisein von Winnetou zu foltern, damit dieser doch noch nachgibt – sollte er sich wirklich in Gefangenschaft befinden“, meinte Emery sorgenvoll. „Ich denke nicht“, entgegnete ich. „Denn auch in diesem Fall würde Winnetou sich und den Traditionen seines Volkes und seiner Väter nicht untreu werden. Er würde nichts verraten.“ „Auch wenn es sich um seinen besten Freund handelt?“, fragte Emery, fast schon entsetzt. „Er würde dein Leben für das Geheimnis des Goldes opfern? Das kann ich nicht glauben!“ „Es wäre aber so, denn unser Leben ist in den Augen der Kiowas sowie schon verwirkt“, begann ich mit meiner Erklärung. „Würde der Apatsche aus Angst um mich das Versteck verraten, würden wir trotzdem getötet werden, und mit diesem Verrat an seinem Volk hätte Winnetou zudem noch seinen und auch meinen Namen entehrt – weil wir dadurch unsere Furcht vor den Marterungen und dem Tod bewiesen hätten. Das würde Winnetou niemals zulassen!“ „Aber ob dieser aufgeblasene Kiowahäuptling das auch weiß?“ mischte sich jetzt Sam in unser Gespräch ein. „Der macht nämlich auf mich irgendwie den Eindruck, als ob er nicht einen Funken Ehre im Leib hat; vielleicht weiß er sogar gar nicht, was das ist, hihihi!“ Mein unerschütterlicher Sam hatte also seinen Humor schon wiedergefunden, wie er mit diesen Worten gleich bewies. „Der Kerl hat wahrscheinlich keine Ahnung, dass es Menschen gibt, die nicht aus Angst vor dem Tod gleich sogar mit dem Teufel jeden erdenklichen Pakt eingehen würden, wenn ich mich nicht irre! So wollen wir daher ernsthaft hoffen, dass er meinem geliebten Greenhorn hier nicht doch noch das ein oder andere Löchlein in die Gestalt sticht, das ergäbe nämlich einen ganz und gar unfeinen Gesamteindruck, hihihihi!“ Trotz unserer nicht gerade zur Erheiterung dienenden Lage musste ich nun doch ob der Worte des kleinen Mannes schmunzeln, wurde aber daraufhin sofort wieder ernst. „Wir sollten unser Gehirn nun aber allmählich wieder dazu benutzen, einen Weg zu finden, wie wir uns befreien können. Ich selber verspüre nämlich nicht das geringste Bedürfnis, noch eine weitere Nacht hier zu verbringen!“ „Ich auch nicht“, fiel Sam sofort wieder ein. „Obwohl ich es einfach traurig fände, wenn wir die Gastlichkeit dieses Ortes und die liebevolle Zuwendung der Kiowas so schnell wieder aufgeben müssten, und auch der unbekannte Häuptling dieser Indsmen hier mit seiner so überwältigenden Freundlichkeit uns gegenüber wird mir wirklich fehlen, wenn ich mich nicht irre!“ Eine Weile blieb es nun still; jeder von uns sann über einen Ausweg nach, dann schüttelte Sam so heftig den Kopf, dass seine Perücke hin und her rutschte und erklärte: „So - ich habe nachgedacht, aber im Augenblick fällt mir nichts ein, wenn ich mich nicht irre! Jetzt seid Ihr dran und nun könnt Ihr mal beweisen, dass aus dem ausgewachsenem Greenhorn tatsächlich ein halbwegs akzeptabler Westmann geworden ist, hihihih!“ Bei diesen Worten sah er mich herausfordernd an, konnte aber nicht verhindern, dass seine kleinen Äuglein lustig funkelten und sich in seinem dichten Bartgestrüpp ein Zucken um die Stelle herum, wo man den Mund vermuten würde, bemerkbar machte. Natürlich sprach er nicht im Ernst und dachte weiterhin über eine Lösung nach, aber um nichts in der Welt würde er sein launiges und humorvolles Wesen unterdrücken. Ich begann mich jetzt noch einmal genauestens im Zelt umzusehen, welches nun endgültig vom Tageslicht erhellt wurde, und suchte angestrengt nach einer Möglichkeit, um unsere Fesseln durchtrennen zu können. Es brannte kein Feuer im Zelt, womit wir die Stricke hätten irgendwie durchbrennen können, aber da wir ja noch zusätzlich an tief im Boden eingelassenen Pfählen gefesselt waren, hätte uns das auch nichts genützt. In Gedanken ging ich dann den gesamten Inhalt meiner Taschen durch. Ich war zwar überzeugt, dass die Indianer uns komplett unserer Sachen beraubt hatten, aber... Richtig - in einer versteckten Seitentasche meiner Weste bewahrte ich doch immer ein Taschenfedermesser auf, welches mir schon in so mancher Notlage aus der Patsche geholfen hatte! Sollte ich auch dieses Mal das Glück haben, dass die Kiowas es nicht entdeckt hatten? Ich versuchte mein Möglichstes, irgendwie an der besagten Stelle der Weste zumindest fühlen zu können, aber da meine Hände nicht wie so oft nach vorne, sondern nach hinten gebunden worden und zudem noch am Pfahl befestigt waren, waren sämtliche Bemühungen umsonst. Ja, wenn wir uns gegenseitig, auch mit gefesselten Händen, hätten betasten können, wäre die Sache vielleicht von Erfolg gekrönt worden, aber so.... Ich hatte aber weiter keine Zeit mehr, meine Anstrengungen fortzusetzen, denn jetzt wurden zum dritten Mal an diesem Morgen die Felle am Zelteingang zurückgeschlagen und Motawateh trat erneut ein. Wieder hielt er etwas in den Händen, und wieder ging er direkt auf mich zu und hielt es mir vors Gesicht, allerdings ohne ein Wort zu sagen. Doch wurde ich von ihm genauestens beobachtet, denn er wollte wohl keine auch noch so geringe Reaktion meinerseits verpassen. Ich warf einen Blick auf den Gegenstand, den er mir zeigte, und erschrak fast zu Tode. Diesmal hielt er eine lange Strähne seidig schwarzen, teils bläulich schimmernden Haares in den Händen, und diesmal bestand kein Zweifel, dass es von Winnetou war, denn daneben lag ein Teil der Klapperschlangenhaut, mit der mein Freund sein reiches Haar immer durchflochten hatte – und beide Teile waren vollgesogen mit Blut! Kapitel 7: Das Schicksal der Goldsucher (zwei Wochen zuvor) ----------------------------------------------------------- Wieder zwei Wochen zuvor: Wir beendeten in aller Ruhe unser Mahl und danach gab es leider keinen Grund mehr, unseren Aufbruch zu verzögern, so gern ich meinem Blutsbruder auch noch etwas Schonung und Erholung gegönnt hätte. Er selber verspürte allerdings offenbar überhaupt kein Bedürfnis mehr nach Ruhe, sondern war schon auf den Beinen, kaum dass auch der Letzte der Anwesenden die restlichen Bissen heruntergeschlungen hatte. Er erntete dafür einen kritischen Blick des Doktors, der sich ansonsten aber mit Belehrungen zurückhielt; er kannte meinen Winnetou mittlerweile zur Genüge und wusste, dass diesen jetzt nichts mehr halten konnte. Wir packten also alles zusammen, und dann machte sich die ganze Gesellschaft auf zu der neuen Siedlung unserer Auswanderer. Ich freute mich ehrlich auf ein Wiedersehen mit den deutschen Siedlern, die mir in den vergangenen Monaten sehr ans Herz gewachsen waren. Es waren alles rechtschaffene Leute, die sich nicht nur uns Weißen, sondern vor allem auch den Apatschen gegenüber stets freundlich, höflich und zuvorkommend verhalten hatten; niemals hatten sie auf irgendeine Weise ihre Mitmenschen glauben lassen, dass sie sich den Indianern gegenüber als höhergestellte Rasse fühlten, sondern sie hatten diese immer als ihnen ebenbürtig behandelt. Vor allem aber vor Winnetou besaßen sie allergrößte Ehrfurcht und hohen Respekt, denn er hatte ihnen unter Einsatz seines eigenen Lebens das ihrige erhalten, weshalb sie ihm seitdem absolut treu ergeben waren und diese Treue, ja, fast möchte ich sagen, innige Liebe, bewiesen sie ihm, wo immer sie konnten. Auch aus diesem Grund hatte Winnetou ihnen großmütig ein Stück Land auf dem Gebiet der Apatschen geschenkt, was die Siedler seitdem mit wahrem Feuereifer urbar machten, und der Erfolg konnte sich jetzt schon sehen lassen. Aus ihren ersten Ernten hatten sie die Apatschen mit großem Eifer mitversorgt, und dass innige Band der Freundschaft schlang sich seitdem immer enger um beide Volksgruppen. Mittlerweile war es später Nachmittag geworden, und da wir unsere Pferde jetzt ein wenig anstrengten, sollte es wohl möglich sein, kurz nach Einbruch der Dunkelheit an unser Ziel zu gelangen. Unwillkürlich hielt ich mich während des Ritts so nahe wie möglich an Winnetou, um notfalls eingreifen zu können, sollte er wider Erwarten doch noch von einem Schwächeanfall übermannt werden. Innerlich schmunzelnd musste ich feststellen, dass Walter Hendrick offenbar von den gleichen Sorgen geplagt wurde und die ganze Zeit über knapp hinter meinem Freund ritt. Winnetou selbst konnte sich natürlich wieder vollständig in mich hineinfühlen und versuchte, meine Bedenken zu zerstreuen, indem er sich voller Tatendrang zeigte und mit mir über die Ereignisse hinsichtlich der Goldsucher diskutierte. Ihm war wirklich keinerlei Schwäche mehr anzumerken, und so legte sich meine Besorgnis auch allmählich. Trotzdem konnte ich kaum meinen Blick von ihm wenden. Wie er so aufrecht im Sattel saß, jeder Zoll von ihm ein Mann, ein Anführer, ein Wunder an körperlicher, seelischer und geistiger Schönheit und Vollkommenheit - ich konnte nicht anders, als ihn immer wieder liebevoll anzusehen. Ich war so froh und so dankbar, dass es mir vor wenigen Stunden glücklicherweise irgendwie gelungen war, ihn wieder zurück ins Leben zu holen, und verspürte jetzt solche Hochgefühle, an seiner Seite sein zu dürfen, dass mein Herz förmlich überquoll. Irgendwann bemerkte er meine innigen Blicke und sah mich mit seinen wunderschönen dunklen Sternenaugen lange an. Um seine Mundwinkel herum spielte ein leises Lächeln, und dann ergriff er für einen kurzen Moment meine Hand und drückte sie zärtlich. Unsere Herzen, unsere Seelen waren in diesem Augenblick eins, wir waren in unserer grenzenlosen Liebe und unserem Glück vereint. So verlief der weitere Ritt ohne besondere Vorkommnisse, und am späteren Abend erreichten wir schließlich glücklich unser Ziel. Die Siedler waren im Vorfeld schon durch die Väter der Kinder von den Geschehnissen am Pecos informiert worden und hatten unsere Ankunft kaum noch erwarten können, so dass die Begrüßung dementsprechend freudig, herzlich und hochemotional ausfiel. Unter großem Hallo und teils auch unter Tränen wurden Winnetou und ich fast schon von den Pferden gezogen, von allen Seiten schüttelte man uns die Hände oder schloss uns gleich einfach in die Arme. Unterdessen berichteten die uns begleitenden Siedler den daheimgebliebenen Bewohnern noch einmal genauestens von unserer Rettungstat, und die Information über die Tatsache, dass Winnetou dabei fast den Tod gefunden hätte, führte dazu, dass jetzt wirklich niemand mehr an sich halten konnte. Es herrschte ein Durcheinander, welches sich nicht beschreiben lässt! Mein Freund und ich wurden unter Bravo- und Hurra-Rufen regelrecht ins Haus der Schumanns gespült, Hände legten sich auf unsere Schultern, zwangen uns auf die Stühle, setzten uns in Windeseile Getränke und ein reichhaltiges Abendmahl vor und dann bestürmten uns die Auswanderer mit ihren Fragen und Glückwünschen, es wurde gelacht und geweint, alle riefen durcheinander, so dass wir überhaupt nicht zu Wort kamen. Zwischendurch ließ ich meinen Blick in die Runde schweifen, um zu sehen, ob ich ein fremdes Gesicht entdecken konnte, denn natürlich war ich sehr neugierig auf die Goldsucher, die bei den Siedlern Schutz gesucht hatten. Ich konnte aber niemanden erkennen, zu groß war das Gewimmel und Gewühl in der Stube. Nach einer halben Stunde etwa legte sich dann endlich die Aufregung. Irgendwie hatte jeder zwischenzeitlich in dem Raum einen Platz gefunden, der zwar groß, aber nicht unbedingt für fast achtzig Personen ausgelegt war, und ich konnte es Winnetou ansehen, dass er sich in einer solch bedrückenden Enge nicht gerade sehr wohl fühlte. Wir hatten inzwischen fertig gegessen und mussten dennoch alles aufbieten, um uns der vielen Versuche der Damen zu erwehren, die uns immer wieder von neuem auftischen wollten, was uns aber nur leidlich gelang. Irgendwann aber führten die Gespräche dann doch noch zu dem naheliegenden Thema, nämlich auf das der Rettung der Goldsucher, und mit großem Interesse folgten wir dem ausführlichen Bericht der Männer, die mit den flüchtenden Diggern gesprochen hatten. Viel Neues erfuhren wir allerdings nicht mehr, und so fragte ich einen dieser Männer namens Peter Regner: „Master Regner, wo befinden sich die Herrschaften denn im Augenblick? Ich kann sie hier nicht entdecken!“ Er erwiderte: „Das könnt Ihr auch nicht, Mr. Shatterhand, denn die Leute waren sehr erschöpft und haben sich schon vor geraumer Zeit zur Ruhe gelegt. Ich kann sie aber wecken lassen, wenn Ihr es wünscht?“ „Nein, um Himmels Willen, gönnen wir ihnen die Ruhe!“, antwortete ich schnell. „Wir werden ihnen morgen früh noch etwas auf den Zahn fühlen....“ Ich unterbrach mich, weil ich einen Blick von Winnetou aufgefangen hatte, der fast schon sehnsüchtig wirkte. Ich sah ihm an, dass er dem Gedränge und der stickigen Luft hier im Raum am liebsten sofort entfliehen wollte, und da es mir einerseits ebenso erging und ich andererseits immer bestrebt war, alles für sein seelisches und körperliches Wohlbefinden zu tun, was mir möglich war, leitete ich unseren Abschied von der überfürsorglichen Gesellschaft mit folgenden Worten ein: „Ladies und Gentlemen, wir danken Euch von Herzen für den zutiefst freundlichen Empfang und Eurer liebenswerten Gastfreundschaft, aber es ist schon spät, und da ich davon ausgehe, dass wir morgen in aller Frühe aufbrechen werden, um die Gefangenen aus den Händen der Verbrecher zu befreien, möchten der Häuptling und ich uns jetzt lieber schon verabschieden, um uns doch noch ein wenig Schlaf gönnen!“ In vielen Gesichtern spiegelte sich nicht wenig Enttäuschung wieder; die guten Leute hatten sich doch sehr über unsere Anwesenheit gefreut, und vor allem die Ladies hätten Winnetou noch liebend gerne länger in ihrer Nähe gehabt, aber alle zeigten größtes Verständnis für mein Anliegen. Ihnen war die große Gefahr natürlich mehr als bewusst, in der der Apatsche und ich uns befunden hatten, und alle wussten, wieviel Kraft und Mühen uns die vergangenen Ereignisse gekostet hatte. Frau Schumann hatte natürlich schon längst dafür gesorgt, dass uns ein ruhiges Gästezimmer mit einem gemütlichen Bett zur Verfügung gestellt wurde; Emery, der Doktor und die Apatschen dagegen hatten in den anderen Häusern der Siedler ein weiches Nachtlager erhalten. Also zogen wir uns langsam zurück, und ich sage absichtlich langsam, denn noch einmal wurden wir beim Verlassen des Raumes von allen Seiten mit Dank und Lob überschüttet, so dass es recht lange dauerte, bis wir in unserem Zimmer erleichtert aufatmen konnten. Ich schloss schnell die Tür ab, zog dann meinen Freund sofort und ohne Umschweife in meine Arme und drückte ihn dabei eng an mich. Er erwiderte die Umarmung augenblicklich, und so hielten wir uns für einige lange Momente ganz fest; genossen diese kostbaren Sekunden mit allen Sinnen. Leise flüsterte ich ihm ins Ohr: „Ich bin so unendlich froh, dass du überlebt hast, mein Bruder!“ Er antwortete ebenso leise: „Winnetou wird alles tun, was in seiner Macht steht, um dich nicht verlassen zu müssen, Scharlih – aber du musst mir dieses Versprechen ebenfalls geben, ja? Du musst wissen, dass du einfach alles für mich bedeutest!“ Ich nickte nur, stumm vor Rührung und drückte ihn dann kurz noch fester an mich, küsste ihn sanft und konnte nicht verhindern, dass sich in mir schon wieder alles zusammenzog; gleichzeitig spürte ich deutlich, dass es ihm ebenso ging. Etwas widerstrebend lösten wir uns dann aber doch einige Augenblicke später voneinander. Wir hatten das Zimmer zwar ganz für uns allein, ich hatte es auch abgeschlossen, aber drumherum befanden sich einfach zu viele Leute, die vielleicht doch eventuelle Geräusche vernehmen könnten, die wir, und vor allem ich, in unserer Leidenschaft meistens nicht zu verhindern in der Lage waren. Und es war wahrscheinlich auch ganz gut so, dass wir uns jetzt zurückhielten, denn ich war der Meinung, dass Winnetou sich ruhig noch etwas Schonung und Erholung gönnen sollte, zumindest in dieser Nacht noch. Also begaben wir uns schnell zur Ruhe, wobei ich es mir aber nicht nehmen ließ, meinen Freund sofort wieder fest in die Arme zu schließen und diese Stellung beizubehalten, bis wir eingeschlafen waren. Der nächste Morgen erwachte wieder einmal mit einer diesem Land so vertrauten strahlenden Schönheit. Ich schlug die Augen auf, und erneut galt mein erster Gedanke meinem geliebten Blutsbruder - der Schreck des gestrigen Tages saß mir wohl immer noch deutlich in den Knochen. Winnetou schlief noch fest. Er hatte des Nachts zwar ein paar Mal husten müssen, ansonsten schien es ihm aber gut zu gehen. Zärtlich betrachtete ich sein wunderschönes Antlitz, welches im Schlaf einen so sanften, fast schon engelsgleichen Ausdruck aufwies. Ich konnte mich daran gar nicht sattsehen und musste wirklich an mich halten, um ihm nicht einen Kuss auf seine halbvollen, leicht geöffneten Lippen zu drücken. Allerdings konnte ich mich dann doch nicht der Versuchung erwehren, ihm eine Strähne seines samtig-weichen schwarzen Haars aus dem Gesicht zu streichen, woraufhin seine langen, dunklen Wimpern sofort zu flattern begannen und er einen Augenblick später langsam seine Lider öffnete. Ein warmer, liebevoller Blick traf mich, den ich lächelnd erwiderte, und nun konnte ich einfach nicht mehr widerstehen, ich musste diesen herrlichen Menschen küssen. Er schlang seine Arme um meinen Nacken, zog mich noch näher heran und erwiderte innig meine Zärtlichkeiten. Bevor uns unsere Gefühle endgültig übermannen konnten, löste ich mich von meinem Freund und frage ihn leise: „Wie geht es dir, mein Bruder?“ „Es ist alles gut, Scharlih“, antwortete er sanft. „Mein Bruder muss wirklich keine Sorge mehr haben.“ Noch einmal zog er mich liebevoll in seine Arme, dann aber besannen wir uns doch endlich auf unsere kommenden Aufgaben und standen schnell auf. Doch noch bevor wir uns ankleiden konnten, klopfte es. Ich schloss die Tür auf, und herein trat Walter Hendrick, der unbedingt noch einmal einen Blick auf unsere Blessuren und vor allem auf Winnetou werfen wollte, bevor dieser sich wieder in neuerliche Abenteuer und Gefahren stürzte, wie der Doktor halb im Scherz, halb im Ernst bemerkte. Schmunzelnd ließen wir ihn gewähren. Er stellte bei Winnetou noch eine leichte Reizung der Atemwege fest, die aber im Moment keinen Grund zur Besorgnis ergab, solange sich dieser Zustand nicht verschlechterte. Anschließend gingen wir hinunter in die Stube, wo uns ein schmackhaftes und wirklich üppiges Frühstück erwartete. Ich langte herzhaft zu und sah mit Freude, dass auch mein Freund mit großem Appetit aß. So ausgeruht und frisch gestärkt ging es anschließend hinüber zu einem noch nicht ganz fertiggestelltem Gebäude, welches einmal der Saloon werden sollte. Dort befand sich der größte Raum der Siedlung, und dort traf sich heute morgen alles, was zwei Beine hatte, einschließlich der Goldsucher, und auf diese war ich wirklich äußerst gespannt. Als ich die Männer dann zum ersten Mal sah, war ich doch aufs höchste überrascht. Es waren ausnahmslos junge, unerfahrene Gesichter, die uns teils freudig, teils neugierig entgegen sahen. Keiner dieser Leute sah aus, als hätte er jemals die Städte des Ostens verlassen. Und das sollten Goldsucher sein? Die Digger, denen ich bisher begegnet war, hatten stets verwegene Gesichter, waren mutig bis zur Selbstaufgabe, mit allen Wassern gewaschen und vor allem geschickt im Umgang mit jeglichen Waffen, vor allem mit Schusswaffen. Diese Jünglinge hier wirkten dagegen, als hätten sie in ihrem Leben noch kein Gewehr in den Händen gehalten, geschweige denn daraus geschossen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt gut beritten waren und wenn doch, hatten sie eigentlich schon einmal über längere Zeit im Sattel gesessen? Alles an ihnen sah so neu, so gepflegt aus, besaß aber allen Anschein nach keine gute und vor allem haltbare Qualität. Was wollten diese jungen Männer hier im Westen, wo man abends stets damit rechnen muss, dass man den nächsten Tag nicht erlebt oder überlebt? Jetzt konnte ich mir im übrigen auch genauestens vorstellen, wie diese augenscheinlichen Neulinge vor den Banditen Hals über Kopf Reißaus genommen hatten. Ich brauchte Winnetou gar nicht anzusehen, um zu bemerken, dass er genau den gleichen Eindruck von der kleinen Gruppe gewonnen hatte. Trotzdem begrüßte er die Jünglinge auf seine ruhige, höfliche Weise, und ich tat es ihm nach. Es war gut zu sehen, dass nicht mehr viel fehlte, und einige der Burschen wären fast vor uns auf die Knie gegangen, solch eine Ehrfurcht empfanden sie wohl. Vor allem Winnetou schien einen unglaublichen Eindruck auf sie zu machen, denn bei ein oder zwei der Leute zitterten sogar leicht die Hände, als sie sie ihm zum Gruß reichten. Über das schöne Gesicht meines Freundes flog ein leises Lächeln, und spätestens damit hatte er all ihre Herzen im Sturm erobert. Wir setzten uns mit Schumann, Emery, Entschah-koh sowie Tsain-tonkee an einen etwas abgelegenen Tisch, um erst einmal in Ruhe die Geschichte der jungen Digger zu hören, damit wir uns einen Plan zurechtlegen konnten. Zuerst berichteten sie uns nochmals über den Moment ihrer Gefangennahme und der anschließenden ziemlich chaotischen Befreiung samt überstürzter Flucht, und danach bekamen wir den wahren Grund ihres Aufenthalts im für sie so unbekannten und dadurch gefährlichen Westen zu hören, der uns auch wirklich zu Herzen ging. Die insgesamt zehn jungen Männer, von denen sich im Moment zwei in Gefangenschaft der Schurken um den Geier Wayne befanden, waren allesamt miteinander verwandt; es waren teils Brüder, teils Cousins, teils waren sie miteinander verschwägert. Sie alle bildeten die männliche Seite einer großen Familie, deren Mittelpunkt der Urgroßvater William Butterfield darstellte. Die gesamte Familie war zwar sehr arm, aber es waren alles rechtschaffene und fleißige Leute, die sich liebevoll umsorgten und stets füreinander da waren. Vor einigen Wochen nun war ein großes Unheil über diese Familie hereingebrochen. Ein Enkel dieses William Butterfield hatte insgesamt sieben Kinder, alle noch sehr jung an Jahren. Eines der Kinder hatte sich spätabends mit einer Kerze in den am Haus angrenzenden Stall geschlichen, weil es nochmals einen Blick auf ein neugeborenes Kalb werfen wollte, welches erst ein paar Stunden zuvor das Licht der Welt erblickt hatte. Unglücklicherweise wurde der etwa fünf Jahre alte Junge dabei von dem Kälbchen heftig angestubst, so dass ihm die Kerze aus der Hand fiel. Sie landete im Stroh, welches im Nu Feuer fing, dass sich rasend schnell ausbreitete. Der kleine Junge konnte sich im letzten Moment noch zu seinen Eltern retten, aber da brannte der Stall auch schon lichterloh und das Feuer begann jetzt auf das Wohnhaus überzugreifen. Den Eltern gelang es gerade noch eben in größter Not, alle Kinder vor den höllischen Flammen in Sicherheit zu bringen, zu einem Löschversuch allerdings blieb dabei überhaupt keine Zeit mehr und dieser wäre höchstwahrscheinlich auch vergebens gewesen. So kam es,wie es kommen musste, das Wohnhaus mit allen angrenzenden Stallungen und Wirtschaftsgebäuden wurde völlig zerstört und damit auch die Lebensgrundlage der Familie zunichte gemacht. Zu all dem Übel kam hinzu, dass die Mutter der sieben Kinder aufgrund des Schocks und der mühsamen Rettung der Kinder, wobei sie bis an ihre körperlichen Grenzen und wohl auch darüber hinaus gegangen war, wenige Tage nach dem tragischen Unglück ernsthaft erkrankte und es im Augenblick kaum Hoffnung auf Heilung gab, so dass sie nicht in der Lage war, für ihre Kinder zu sorgen. Somit hatte die Familie ein schwerkranke Mutter, sieben kleine Kinder und einen völlig niedergeschlagenen Vater, der im Moment überhaupt keinen Ausweg mehr sah, zu verkraften, noch dazu war ihr Heim bis auf die Grundmauern zerstört worden. Seitdem hatten die Kinder und die Eltern Unterschlupf bei ihren Verwandten gefunden, wodurch sie aber voneinander getrennt worden waren, da keiner in der Lage war, diese Großfamilie gemeinsam unterzubringen. Niemand wusste im Augenblick, wie es weitergehen sollte, da die anderen Familienmitglieder kaum sich selbst ernähren konnten und jetzt noch diese zusätzliche Last aufgebürdet bekommen hatten. Den hochbetagten Urgroßvater hatte dieser entsetzliche Schicksalsschlag seiner Familie sehr betroffen gemacht. Dann aber erinnerte er sich an ein Geschenk eines Indianers, dem er in jungen Jahren einmal das Leben gerettet hatte und der ihm daraufhin ein Stück Leder vermacht hatte, auf dem angeblich der Fundort einer Goldader, also einer sogenannten Bonanza, verzeichnet sein sollte. Das Familienoberhaupt hatte diesen vermeintlichen Schatz immer für ein Ammenmärchen gehalten; er konnte sich nämlich nicht vorstellen, dass eine einfache Rothaut im Besitz solcher Reichtümer gewesen sein sollte. Jetzt aber, wo ein großer Teil seiner Familie in größter Not lebte, besann er sich wieder auf diese sagenhafte Karte, rief die männlichen Mitglieder zu einem Familienrat zusammen und besprach die Angelegenheit ausführlich mit ihnen. Die jungen Leute waren sogleich im hohen Grade begeistert von der Aussicht, mit Hilfe des Goldes dem Elend ein Ende zu bereiten und allen eine sorgenfreie Zukunft ermöglichen zu können. Obwohl der Urgroßvater immer noch voller Skepsis war, was den Wahrheitsgehalt des Schatzes betraf, wurde er von allen anderen überstimmt und man begann ohne Umschweife mit den Vorbereitungen zu dieser waghalsigen und gefährlichen Reise, deren Risiken die im Westen völlig unerfahrenen Männer überhaupt nicht einschätzen konnten. Die gesamte Familie legte ihre wenigen Ersparnisse zusammen und verkaufte alles von ihrem Hab und Gut, was sie irgendwie entbehren konnte, um eine geeignete Ausrüstung für die angehenden Goldsucher zu besorgen, waren aber dann durch ihre Gutgläubigkeit und Unwissenheit dabei ordentlich übers Ohr gehauen worden, wie ich später feststellen musste. So waren die Schusswaffen zwar ganz hübsch anzusehen, aber relativ wertlos, das Pulver bestand nur zur Hälfte aus den dafür vorgesehenen Bestandteilen, der Rest war aus Kohlenstaub und anderem wertlosen Zeugs hinzugemischt worden, und ihre Trapper-Bekleidung hatte nicht einmal den ersten Regenguss überdauert; sie ging teilweise schon aus den Nähten. Die ersten fünf Tagesreisen hatte die Gruppe dann auch mehr recht als schlecht überstanden und dabei wohl auch mehr Glück als Verstand gehabt, dass sie bis dahin noch keinem feindlichen Indianerstamm in die Arme gelaufen war. Die Gefangennahme durch die Banditen hatte sie jetzt zudem noch völlig verschreckt - die Männer wirkten im Augenblick äußerst konfus und waren nicht in der Lage, rational zu handeln oder auch nur einen halbwegs logischen und durchführbaren Plan zu entwickeln. Am liebsten hätte ich die jungen Menschen postwendend wieder nach Hause geschickt, denn in dieser menschenfeindlichen Wildnis hier mit all ihren versteckten Gefahren waren sie unrettbar verloren; es war fast schon ein Wunder zu nennen, dass sie es überhaupt bis hierher geschafft hatten! Aber die Geschichte dieser von solch einem großen Unglück heimgesuchten Familie rührte mich doch sehr an. Den Männern hier vor mir war anzusehen, dass sie alle das Herz auf dem rechten Fleck trugen. Es waren fleißige, ehrliche und gottesfürchtige Menschen, das hatte ich schon aus diesen ersten Gesprächen mit ihnen heraushören können, und sie verdienten es, dass man ihnen Hilfe zuteil werden ließ. Aber wie sollte die nur aussehen? Mit den jungen Leuten war beileibe kein Staat zu machen, sie würden jedem Unternehmen nur hinderlich werden und durch ihre Unerfahrenheit die möglichen Gefahren wahrscheinlich sogar heraufbeschwören. Ich brauchte nur einen Blick auf meinen Winnetou zu werfen, um zu sehen, dass er sich mit genau den gleichen Gedanken trug. Sein Herz war voll des Mitleids für die vor ihm sitzenden Jünglinge, ich sah es in seinen Augen, die mit Wärme und Zuneigung auf ihnen ruhten. Jetzt sah er mich an, und beide teilten wir denselben unausgesprochenen Gedanken. Wir würden helfen, wie, das würde sich noch finden. Im Augenblick aber stand die Rettung der beiden gefangenen Goldsucher im Vordergrund. Dank Emery und Tsain-tonkee wussten wir genau, wo die Verbrecher lagerten; und in der Art und Weise, wie sie ihren Lagerplatz aufgebaut hatten, hatte Emery erkennen können, dass sie dort wahrscheinlich mehr als zwei Tage verbringen wollten – genug Zeit für uns, so dass wir uns diesem Ort vorsichtig nähern und ihn auskundschaften konnten, bevor wir zur Tat schritten. Die Schurken lagerten etwa vier Stunden nordwestlich von der Siedlung entfernt. Winnetou und ich berieten uns kurz mit Emery und Entschah-koh und beschlossen dann, ungefähr zur Mittagszeit aufzubrechen, damit wir am späteren Nachmittag einen in der Nähe liegenden Berg erreichen würden, der mit zahlreichen großen Felsen sowie vielen Bäumen besetzt war; also ein idealer Platz, der uns und den Pferden als Versteck dienen sollte. Im letzten Tageslicht wollten wir dann die Lagerstätte der Verbrecher genauestens ausspionieren, um anschließend im Schutz der Dunkelheit eine wie auch immer geartete Befreiungsaktion zu beginnen. Kapitel 8: Folter ----------------- In der Gegenwart: Wie gebannt starrte ich die Haarsträhne an; konnte meinen Blick gar nicht mehr davon lösen. Jetzt gab es für mich überhaupt keinen Zweifel mehr, dass sich mein Freund in der Gewalt der Kiowas befand, denn es war ganz eindeutig Haar von seinem Kopf. Ich konnte mir auch nicht mehr vormachen, dass es ihm bei einer möglichen Flucht herausgerissen worden sein könnte, die Strähne war dafür zu groß und es war ersichtlich, dass man sie sauber abgeschnitten hatte. Nach einigen Sekunden gelang es mir dann doch, mich von dem beängstigenden Anblick abzuwenden und Motawateh anzusehen, wobei ich meine ganze Willenskraft aufbringen musste, um weiterhin einen unbeteiligten Eindruck zu machen. Das Gesicht des Häuptlings war jetzt ein einziger Ausbund an Niedertracht, es strotzte nur so vor Häme und bösartigem Spott. Mit einem zynischen Lächeln beobachtete mich der Kiowa auf das Genaueste und registrierte schließlich sichtlich zufrieden, dass ich Mühe hatte, die Kontrolle zu bewahren. Wieder baute er sich hoch erhobenen Hauptes und voller Siegesgewissheit vor mir auf und sprach: „Nun? Wird die feige Krähe, die hier vor mir sitzt, jetzt dem großen Häuptling der Kiowas verraten, woher der elende Pimo das Gold hat?“ Ich musste wirklich eiserne Disziplin wahren, um weiterhin äußerlich ruhig zu erscheinen, als ich ihm antwortete: „Und wenn der unbekannte Kiowa mir noch so oft die gleiche Frage wieder und wieder stellt, meine Antwort wird sich doch nicht ändern. Ich kenne keinen einzigen der Orte, an welchem das Gold des größten Häuptlings der Apatschen versteckt liegt, denn ich wurde nie in das Geheimnis eingeweiht. Damit musst du dich halt zufrieden geben!“ Motawateh hatte offensichtlich fest damit gerechnet, dass ich spätestens jetzt vor Angst um meinen Freund einknicken und alles ausplaudern würde, was ich über das Gold wusste. Dass ich dieses immer noch nicht tat, sondern mich ihm weiterhin kaltblütig entgegenstellte, ließ den Kiowa nun völlig die Beherrschung verlieren. Er krallte seine Hände in meine beiden Schultern und begann mich aufs Heftigste zu schütteln, so dass mein Kopf mehrmals gegen den Pfahl hinter mir schlug, ohne dass ich es verhindern konnte. Dabei brüllte er mich mit hochrotem Kopf in ohrenbetäubender Lautstärke an: „Du Hund!! Damit sprichst du dein Todesurteil und das des Apatschen aus!! Du...“ „Das hast du doch schon längst gefällt, erinnerst du dich nicht mehr?“, unterbrach ich ihn, woraufhin er mir, jetzt außer sich vor Wut, die Faust ins Gesicht schlug, so dass das Blut aus einer Platzwunde an der Lippe nur so floss. „Du hast nur zu reden, wenn Motawateh es erlaubt!“, herrschte er mich zornig an. „Alles, was ab jetzt geschieht, hast du dir selber zuzuschreiben! Du hattest die Wahl zwischen einem schnellen Tod für den Apatschen und dich, oder den fürchterlichsten Martern, die du dir nur denken kannst. Du hast dir die Hölle, die dich jetzt erwartet, selbst erwählt. Der San-Juan-River wird sich rot färben von eurem Blut, und euer Gewinsel wird noch tagelang über die Berge und durch die Täler hallen!“ Er hatte inzwischen von mir abgelassen, aber befand sich mit seinem Gesicht immer noch dicht vor mir, so dass ich deutlich erkennen konnte, dass seine Augen vor Wut regelrecht Funken sprühten. Einen Augenblick noch verblieb er in dieser Stellung, dann drehte er sich abrupt um und verschwand aus dem Zelt, und seine Krieger taten es ihm gleich. Eine bleischwere Stille legte sich nun wie dichter Nebel über den Raum. Ich war im Augenblick zu geschockt, um irgendetwas zu sagen, und den Gefährten ging es ebenso. Die blutige Haarsträhne hatte der Indianer vor mir liegen lassen, und ihr Anblick ließ mich nicht los, ich fühlte fast so etwas wie eine tödliche Bedrohung von ihr ausgehen. Meine Gedanken kreisten rasend schnell um Winnetous Schicksal, obwohl ich ja gar nicht wissen konnte, wie dieses genau aussah, aber im Augenblick hegte ich die allerschlimmsten Befürchtungen. Für mich stand jetzt fest, dass Winnetou irgendwo von den Kiowas gefangen gehalten wurde, und das blutdurchtränkte Haar verhieß nichts Gutes über seinen Zustand. Trotzdem war es mir völlig unverständlich, warum man ihn von uns isoliert hatte. Auch die Tatsache, dass es um das Zelt herum so verdächtig still war, passte nicht zu den üblichen Gebräuchen der Kiowas, die solch wertvolle Gefangenen manchmal tagelang bis zu ihren Weidegründen schleppten, um sie vor dem ganzen Volk, auch den Alten, Frauen und Kindern, über Tage hinweg zu martern. So ein Ereignis wurde stets die ganze Zeit über in großer Lautstärke gefeiert, denn es brachte dem Sieger einen umso größeren Ruhm ein, je höhergestellt der oder die Todgeweihten waren. Von solchen Feierlichkeiten aber war bisher überhaupt nichts zu hören gewesen, noch nicht einmal die üblichen Geräusche eines Indianerdorfes wie das Wiehern oder Getrappel von Pferden oder lautes Durcheinanderrufen der Bewohner konnten wir vernehmen. Doch, gerade jetzt in diesem Augenblick drangen Geräusche ins Zelt herein! Es klang so, als wenn ein heftiger Streit zwischen zwei Personen ausgebrochen wäre. Zwei wütende Männerstimmen brüllten sich in höchster Lautstärke an, und in einer glaubte ich Motawateh zu erkennen. Ich lauschte angestrengt, konnte aber leider nicht verstehen, was der Grund des Zwistes war. Allerdings meinte ich herauszuhören, dass die andere Person kein Indianer sein konnte, denn laute Streitigkeiten unter Rothäuten waren äußerst selten. Waren Weiße hier im Lager? Und wenn, waren sie uns freundlich oder feindlich gesinnt? Wussten sie überhaupt von unserer Anwesenheit oder waren sie sogar selber Gefangene? Konnten wir von ihnen Hilfe erwarten? Während ich in solche Grübeleien versunken war, lauschte ich nebenher auf weitere Stimmen von draußen. Die Streitereien waren zwar noch im Gange, aber leiser geworden. Nun wandte sich Emery zu mir: „Charlie, ist alles in Ordnung mit dir? Der Kerl hat ja nicht gerade sanft zugeschlagen....“ „Das ist gar nicht der Rede wert, Emery, keine Sorge“, beruhigte ich ihn. „Und das ist jetzt auch wirklich nicht wichtig – viel dringender ist die Suche nach einem Ausweg! Ich denke, dass Winnetou schnell unsere Hilfe braucht; wir müssen ihn so bald wie möglich finden!“ „Tja, da könntet Ihr recht haben“, meldete sich Sam Hawkens zu Wort. „Aber kann mir das ehrenwerte Greenhorn hier vor mir mal erklären, wie es das anstellen will? Ich weiß nicht, ob Ihr es schon bemerkt habt – aber wir sind allesamt mehrfach gefesselt, und die Indsmen sahen nicht unbedingt so aus, als ob sie diesen Zustand in absehbarer Zeit ändern würden, wenn ich mich nicht irre!“ „Ich weiß ja, Sam, ich weiß!“ entgegnete ich ihm. „Aber vielleicht kommen wir mit einer List weiter. Vielleicht... hm...es könnte ja sein, dass der Häuptling sich auf einen Kampf einlässt, einen Zweikampf mit mir, so eine Art Gottesurteil?“ „Hm“, machte jetzt auch der Engländer. „Du hattest den Kerl doch schon bis aufs Blut gereizt, und er wirkte nicht so, als ob er sich in einem ehrlichen Kampf mit dir messen wollte. Aber... du könntest es versuchen. Wenn es dir gelingt, dass du ihn beim nächsten Mal wieder aufs Äußerste beleidigen kannst, und ihm dann so ein Gottesurteil vorschlägst, vielleicht geht er ja darauf ein, und wenn es nur deshalb ist, um nicht vor seinen Kriegern seine Würde zu verlieren!“ „Ja, das wäre möglich – ein Versuch ist es jedenfalls wert, und irgendetwas muss ich tun! Alles ist besser als hier weiterhin untätig herumzusitzen!“ Obwohl es völlig unsinnig war, zerrte ich wieder an meinen Fesseln, was mir aber nur ein weiteres Mal Schmerzen und Striemen an den Handgelenken einbrachte. Ich war innerlich äußerst aufgewühlt, die Sorge um meinen Freund nagte an mir und machte es mir schwer, ruhig und überlegt zu handeln. Die Streitigkeiten unweit unseres Zeltes waren mittlerweile wohl beendet worden, und eine Zeit lang herrschte wieder eine fast schon gespenstige Stille. Ich legte mir im Geiste einige spöttische Bemerkungen zurecht, mit deren Hilfe ich hoffte, Motawateh so zu reizen, dass er einem Kampf mit mir nicht ausweichen würde, selbst wenn dieser noch so ungerechte Bedingungen für mich bereit halten sollte. Und dann wurde es rund um das Zelt doch wieder lebendig. Abermals wurden die Felle am Eingang zurückgeschlagen, aber diesmal hielten mehrere Krieger sie weit auf, denn nun wurde von vier weiteren Rothäuten ein längliches großes Bündel hereingetragen. Ich musste zweimal hinsehen, um zu erkennen, was es war, und konnte dann nicht verhindern, dass mir ein entsetztes Keuchen entfuhr. Es war der Körper eines Indianers, offensichtlich ohne Bewusstsein, an Händen und Füßen gefesselt, der bloße Oberkörper blutüberströmt, verunstaltet mit mehreren Stich- und Schnittverletzungen sowie einer offenen Wunde an der Stirnseite. Auch die Halskette fehlte, denn dieser Indianer war niemand anderes als – Winnetou, der Häuptling der Apatschen! Die Kiowas ließen ihn alles andere als sanft auf die Erde fallen, direkt vor unseren Füßen, aber doch so weit entfernt, dass wir ihn nicht berühren konnten. Neben mir sog Emery vor Entsetzen scharf die Luft ein. Im gleichen Augenblick trat Motawateh ein, der immer noch sehr wütend wirkte, sich aber auch die offensichtliche Zufriedenheit über mein Erschrecken nicht verkneifen konnte. Er machte nicht mehr viele Worte, als er mir erklärte: „Die Krähe, die sich Häuptling der Apatschen schimpft, krächzt nicht mehr. An allen Lagerfeuern wird man darüber lachen, dass er nicht einmal die Martern eines halben Tages ertragen konnte, ohne dass sein Körper aufgab! Er stirbt, und ihr alle werdet nun die Ehre haben, ihm dabei zuzusehen und nichts dagegen tun zu können! Der weiße, feige Hund hier vor mir hat sich das selber zuzuschreiben, da er nicht willens ist, mir die gewünschte Auskunft zu geben. Aber sollte er sich vielleicht doch noch entschließen, mir die Wahrheit zu sagen, werde ich ihn und seine Gefährten anschließend freilassen und ihnen sogar das stinkende Aas mitgeben, welches hier vor uns auf dem Boden liegt!“ Abwartend und voller Spannung sah er mir jetzt ins Gesicht. Ich war in diesem Augenblick überhaupt nicht fähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Völlig geschockt starrte ich auf den leblosen Körper meines Freundes, der auf dem Rücken lag und sich nicht rührte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht einmal irgendwelche Anzeichen erkennen, dass er überhaupt noch lebte. Aber über eines war ich mir direkt im Klaren: Der Kiowa log wie gedruckt. Selbst wenn ich von dem Placer meines Freundes gewusst hätte und es Motawateh verraten würde – er würde uns niemals freilassen. Unser Tod war eine beschlossene Sache. Mein Schweigen währte dem Häuptling zu lange; ihm riss schon wieder der Geduldsfaden. Nochmals donnerte er mich wütend an: „Nun? Wird sich Old Shatterhand auch diese letzte Gelegenheit, die Freiheit zu erlangen, entgehen lassen?“ Ich benötigte nur wenige Sekunden, um mich zu sammeln und meine furchtbare Angst um Winnetou tief in meinem Inneren zu verschließen. Kaltblütig antwortete ich: „Du wirst es niemals zu einem berühmten Häuptling bringen; dazu fehlt dir der Mut sowie die Klugheit! Dein Mund spricht die Unwahrheit, und deine Augen sagen mir, dass du dich vor meinen Kameraden und mir am liebsten wie ein Wurm in die Erde verkriechen und es auch sofort tun würdest, wenn wir nicht gebunden wären. Du wirst das Gold des großen Häuptlings der Apatschen nie zu Gesicht bekommen!“ „So stirb!“ zischte mir Motawateh entgegen. „Euch erwarten ab jetzt die furchtbarsten Qualen, erst die der Seele, dann die des Körpers! Die der Seele werden genau jetzt beginnen, da ihr ab nun dem elenden Pimo, den ihr euren Freund nennt, beim langsamen Sterben zusehen werdet!“ Er verabreichte Winnetou noch einen heftigen Fußtritt und verließ anschließenden wutschnaubend das Zelt. Ich sah ihm hinterher, bis er verschwunden war, und wandte mich dann, fast schon ungläubig, meinem Freund zu. Lähmendes Entsetzen hatte uns drei jetzt ergriffen. Der Engländer schüttelte mehrmals verzweifelt mit dem Kopf, und als ich kurz zu Sam sah, glaubte ich sogar, in seinen Augen das Glitzern von Tränen zu erkennen. Ich schaute wieder zu Winnetou mit dem Gefühl, dass mein Hirn einfach nicht begreifen wollte, was meine Augen erblickten. Wie sah er aber auch aus! Kopf, Gesicht und Oberkörper waren blutverschmiert, und das so massiv, dass man die einzelnen Wunden gar nicht mehr genau erkennen konnte und deshalb auch keine Möglichkeit für mich bestand, die Schwere der Verletzungen richtig einzuschätzen. Sein Gesicht konnte ich ebenfalls nicht sehen, da sein Kopf sich zur anderen Seite geneigt hatte, als man ihn hatte fallen lassen. Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich mit einer krächzenden Stimme, die ich gar nicht als meine eigene erkannte, ihn leise beim Namen rief. Er reagierte nicht; ich rief noch zwei-, dreimal, ohne Erfolg. Hatte ihn der Tod doch schon ereilt? Neben mir machte sich Sam bemerkbar:„Verdammt!“, fluchte er und von Emery kam nur ein „Herr im Himmel!“ Ich saß da wie betäubt. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Was hatte mein Freund in dem letzten Dreivierteljahr alles erleiden und erdulden müssen, und nun sollte das Ganze wieder von vorne beginnen? Aber so, wie es jetzt aussah, konnte ich froh sein, wenn es überhaupt noch einmal die Möglichkeit eines Neubeginns gab - wie um alles in der Welt sollten wir uns denn aus dieser Situation noch befreien können? Verzweifelt senkte ich den Kopf und schloss die Augen. Ich versuchte, mich zu sammeln, schien aber im Augenblick zu keinem klaren Gedanken fähig zu sein. Es sah jetzt tatsächlich so aus, als gäbe es keine Rettung mehr für uns, vor allem aber nicht für Winnetou. Es war wirklich eine furchtbare Situation und eine unglaubliche Qual für mich, meinen Freund nur wenige Schritte vor mir in völliger Hilflosigkeit und noch dazu schwer verwundet liegen zu sehen und ihm nicht helfen zu können – ein absolut perfider Plan des Kiowa-Häuptlings; er hatte diese Situation mit voller Absicht herbeigeführt, um mich leiden zu sehen und meine seelischen Qualen ins Unermessliche zu steigern. Diese trübseligen Gedanken währten aber nicht allzu lange; ich hatte mich früher ja schon mehrfach in scheinbar aussichtslosen Lagen befunden, war aber dabei immer mit großem Gottvertrauen und einem Zusammenspiel von Klugheit und Mut in der Lage gewesen, mich aus denselbigen doch noch zu befreien. Und auch dieses Mal konnte ich mich nochmals aufraffen, denn in meinem Kopf hatte sich jetzt ein einziger Gedanke breit gemacht, und der ließ sich auch nicht mehr vertreiben: Bevor ich nicht den letzten Atemzug getan hatte, würde ich immer auf einen Ausweg hoffen und auch dafür kämpfen, vor allem für meinen geliebten Blutsbruder! In diesem Moment zischte Emery mir in unterdrückter Aufregung zu: „Charlie! Charlie, ich glaube, er lebt! Sieh doch!“ Mein Kopf ruckte sofort wieder hoch, ich sah schnell zu Winnetou, dann wieder zu meinem englischen Freund und fragte hastig: „Bist du sicher? Hat er sich bewegt?“ „Nicht direkt“, entgegnete der Engländer. „Aber sieh hin! Sieh genau hin! Er atmet, allerdings flach und ganz langsam, aber ich bin fast sicher, dass es so ist!“ Ich folgte seiner Aufforderung, und nach einigen Sekunden glaubte ich ebenfalls, schwache Atembewegungen bei dem Apatschen erkennen zu können. Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich. Wir hatten also doch noch eine Chance, ihn und auch uns hier lebend herauszubekommen! Nur wie? Viel Zeit blieb uns nicht mehr in Anbetracht der vielen Verletzungen Winnetous, die zwar im Augenblick nur leicht, aber dafür unaufhörlich bluteten. Wieder versanken wir für einige Zeit in nachdenkliches Schweigen, da jeder für sich über eine Möglichkeit zur Flucht nachdachte. Ich konnte nicht genau sagen, inwieweit der Tag inzwischen fortgeschritten war, da sich im Zelt der Stand der Sonne nur schwer abschätzen ließ. Nach einer ganzen Weile aber hörte ich schwere Schritte, die sich dem Zelt näherten. Es hörte sich an, als ob der Verursacher hinken würde. Und dann trat eine große Gestalt herein, die ich aufgrund des Gegenlichtes nicht genau erkennen konnte, aber soviel war sofort klar: es war ein Weißer. Als er langsam auf uns zukam, sah ich, dass ich recht mit meiner Vermutung gehabt hatte, denn er hinkte nicht nur mit dem linken Bein, sondern schien auch auf der gleichen Seite Bewegungseinschränkungen in seinem Arm zu haben. Als dann aber das Licht auf sein Gesicht fiel, musste ich doch kurz nach Luft schnappen. Dieses Antlitz würde ich in meinem Leben nicht mehr vergessen, auch wenn es jetzt, ebenfalls auf der linken Seite, teilweise entstellt war – und zwar durch die Verletzungen, die ihm Old Firehand in seiner mörderischen Wut zugefügt hatte, nachdem der Unteranführer der Geierbande, denn niemand anderes als der stand hier vor mir, Winnetou fast erschossen hätte. Ich war fassungslos, als ich diesen Kerl so nah vor mir sah, und hätte alles darum gegeben, die Hände frei zu haben, um ihm die sofort um den Hals zu legen und ihn auf diese Weise für seine Tat zur Rechenschaft ziehen zu können. Statt dessen musste ich mit ansehen, wie der Schurke sich zu mir herunterbeugte und mich mit einem äußerst höhnischen Grinsen betrachtete, bevor er mich ansprach. „Tja, Mr. Shatterhand, diesmal sind die Karten wohl anders gemischt, nicht wahr? Und zwar zu meinen Gunsten, so wie ich das sehe! Wie fühlt Ihr Euch denn so als Ehrengast der Kiowas? Habt Ihr Euch schon eingelebt? Viel Zeit bleibt Euch ja nicht mehr, um Euch hier gemütlich einzurichten, wusstet Ihr das eigentlich schon?“ Wieder einmal musste ich mich im höchsten Grade dazu zwingen, mir keine Gemütsregung anmerken zu lassen. Ich tat ihm auch nicht den Gefallen, sofort Antwort zu geben, sondern dachte vielmehr angestrengt darüber nach, warum sich dieser Mensch im Lager der Kiowas befand und von diesen sogar offenbar als Gast aufgenommen worden war! Als Winnetou und ich ihn kurz vor der Befreiung der zwei Goldsucher hatten belauschen könnenn, hatten wir zwar einiges erfahren, unter anderem seinen vollen Namen, Wayne Thomson, sowie die Gründe, wie er seiner Verurteilung und Hinrichtung hatte entgehen können, genauso welche Absicht ihn in das Land der Apatschen getrieben hatte, aber dass er freundschaftliche Kontakte zu den Kiowas hegte, war uns bis dahin nicht bekannt gewesen. An meiner Statt antwortete dafür jetzt Emery auf die Fragen des Banditen: „Ja, jetzt traust du dich, uns unter die Augen zu kommen, jetzt, wo uns die Hände gebunden sind! Wären die Meinen frei, ich würde dir zeigen, wie ich mit Verbrechern zu verfahren pflege, du lumpiger Hundesohn!“ Seine Wut auf den Kerl war grenzenlos; er knirschte mit den Zähnen und sein Blick sagte uns, dass er seinen Wunsch sofort in die Tat umsetzen würde, sobald sich eine Möglichkeit dazu bot. Wayne Thomson schien von den Worten des Engländers nicht sonderlich beeindruckt zu sein, dennoch glaubte ich auch bei ihm Anzeichen mühsam unterdrückten Zorns zu erkennen, als er Emery entgegnete: „Halts Maul, du lausige Ratte! Du interessierst mich nicht, dein Leben ist sowieso schon Geschichte! Aber mit dir“, und damit wandte er sich wieder mir zu, „mit dir habe ich noch ein Wörtchen zu reden! Du hast einen elenden Tod vor dir, wie du vielleicht schon gehört hast, und die stinkende Rothaut hier hat es sowieso schon fast hinter sich. Du weißt aber von Motawateh, dass du auch schnell sterben könntest, wenn du nur ein wenig auskunftsfreudiger wärst!“ Aha! Daher wehte der Wind! Jetzt wurde mir schlagartig so einiges klar! Der laute Streit vorhin hatte mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen Motawateh und diesem Banditen hier stattgefunden, und mit Sicherheit war der Grund des Zwistes das Gold Winnetous gewesen! Er war also der unbekannte Freund, für den der Häuptling die Nuggets aus uns herauspressen wollte! Müßig zu fragen, wie die zwei wohl zueinander gefunden hatten, denn Gleichgesinnte schließen sich schnell zusammen, wenn es um fremdes Eigentum und große Reichtümer geht, die man erbeuten könnte. Aber wenn der Kerl hier vor mir glaubte, dass er mehr aus mir herausbekam als Motawateh, dann irrte er sich doch ganz gewaltig! Auch wenn ich genaue Kenntnisse über eine Bonanza Winnetous gehabt hätte, eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als solch einem Schurken zu Willen zu sein! Daher blickte ich ihm mit deutlicher Verachtung ins Gesicht, bevor ich mit kalter Stimme begann: „Du Abschaum in Menschengestalt hast dich umsonst hierher bemüht! Weder du noch dein indianischer Freund werdet jemals das Gold des Häuptlings der Apatschen zu sehen bekommen, also scher dich hier raus und begib dich wieder zu deinesgleichen!“ Offenbar war Thomson ein ebensolcher Choleriker wie der Kiowahäuptling und genauso schnell reizbar. Wütend sprang er auf, verabreichte mir einen heftigen Tritt in die Seite und drehte sich dann zu Winnetou, um diesem ebenfalls den Fuß in die Seite zu rammen. Gerade wollte er wieder zu sprechen beginnen, da unterbrach ihn auch schon Sam Hawkens, den ich noch nie so außer sich vor Wut gesehen hatte wie gerade jetzt. „Du feige Ratte!“, schrie er mit vor Zorn fast funkensprühenden Augen. „Was für ein Mut, sich erst an einem Wehrlosen und dann noch an einem Bewusstlosen zu vergreifen! Elender Wicht! Wenn ich jetzt könnte, wie ich wollte, ich würde dir den Hals umdrehen, wenn ich mich nicht irre!“ Thomson war allerdings von genauso großem Zorn erfüllt, als er Sam anschrie: „Maul halten! Wenn du nicht sofort still bist, werde ich dir mit deinem Riesenzinken dein Maul stopfen, also sieh dich vor!“ Sam aber ließ es sich nicht nehmen, zu entgegnen: „Mit meinem zarten Näschen wirst du doch gar nicht fertig, du Schuft! Aber du kannst gerne herkommen und es versuchen, nur dann wirst du dein blaues Wunder erleben, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!“ Doch Thomson achtete schon gar nicht mehr auf ihn, sondern baute sich jetzt bedrohlich vor mir auf und knirschte durch seine zusammengebissenen Zähne: „Das ist deine letzte Gelegenheit, Dutchman! Auf die Gnade Motawatehs solltest du gar nicht erst hoffen; der platzt nämlich fast vor Wut, weil diese elende Rothaut hier trotz massiver Folter keinen Ton verraten hat! Außerdem hat der Kerl die Kiowas einst beleidigt, deswegen hat einer der Krieger Motawatehs während der Martern mit dem Tomahawk unwillkürlich fester zugeschlagen als beabsichtigt, und so wird er sich dein Freund von dieser Welt wohl in Kürze verabschieden. Allerdings konnte Motawateh nun leider seine Rache nicht mehr vollenden und auch seinen größten Trumpf nicht mehr ausspielen, nämlich dich vor den Augen des Apatschen zu foltern, um ihm die schlimmsten Seelenqualen zuzufügen und auf diese Weise auch das Versteck des Goldes zu entlocken!“ „Glaube ja nicht, dass der Häuptling der Apatschen euch jemals das Geheimnis verraten hätte“, unterbrach ich ihn. „Ihr hättet ihn niemals zum Reden gebracht, trotz eurer perfiden Methoden, niemals! Er wäre auf alle Fälle standhaft geblieben!“ „Jaaa, er vielleicht“, erwiderte Thomson mit vor Bosheit triefender Stimme. „Es handelt sich bei ihm ja auch um eine gefühlskalte Rothaut, aber bei dir ist das, wie ich gehört habe, völlig anders, richtig?“ Als ich nicht antwortete, fuhr er fort: „Du könntest nicht einfach zusehen, wie dein Freund hier gemartert wird, wenn du die Macht hättest, das zu beenden, indem du das Versteck verrätst, nicht wahr? Und das werden wir deshalb jetzt auch gleich mal ausprobieren!“ Mit diesen Worten zückte er sein Messer, beugte sich zu Winnetou hinunter und setzte die Spitze auf dessen rechte Schulter, wobei er mir einen äußerst heimtückischen Blick zuwarf. Kapitel 9: Glück im Unglück --------------------------- Dreizehn Tage zuvor: Als die jungen Goldsucher ihre anrührende Geschichte zu Ende erzählt hatten, warfen Winnetou und ich uns nur einen kurzen Blick zu und hatten dann schon unsere Entscheidung, ihnen zu helfen, getroffen, die wir den Mitgliedern der Familie Butterfield auch sofort mitteilten. Es fehlte nicht viel, und sie wären uns daraufhin ungestüm um den Hals gefallen, nur die unnahbare Aura Winnetous hielt sie wohl noch im letzten Moment davon ab und ließ sie weiterhin respektvollen Abstand halten. Ich erklärte ihnen unser Vorhaben: „Mesch'schurs, wir werden heute zuerst alles daransetzen, Eure beiden Kameraden aus den Händen der Banditen zu befreien. Wir...“ „Dabei könnten wir doch helfen!“, rief einer der jungen Männer übereifrig dazwischen. „Wir reiten natürlich mit, und mit Euch und den anderen Westmännern werden wir die Halunken schon überwältigen, da bin ich mir sicher!“ Soso, jetzt auf einmal wurden diese Greenhorns, an denen Sam Hawkens die reinste Freude gehabt hätte, richtig mutig, dachte ich bei mir. Aber das fehlte noch, dass wir diese unerfahrenen Jungspunde auf ein solch gefährliches Unterfangen mitnehmen würden! „Nein, junger Freund“, entgegnete ich ihm deshalb freundlich, aber bestimmt. „Das ist eine Aufgabe, die Ihr lieber erfahrenen Männern überlassen solltet, die sich hier im Westen auskennen!“ „Aber wir.....“ begann er nochmals einen halbherzigen Versuch, sich uns anzubiedern, doch ich ließ ihn nicht ausreden: „Ihr könnt nun wirklich von Glück sagen, dass Ihr überhaupt noch am Leben seid! Eure Absicht mag ja eine löbliche gewesen sein, aber Eure Planung und die gesamte Ausführung waren erschreckend naiv, das muss ich Euch leider so hart sagen. Ihr habt keinerlei Erfahrung, seid noch nie richtig aus der Stadt herausgekommen; und da wolltet Ihr Euch allen Ernstes durch die Wildnis schlagen, umgeben von feindlichen Stämmen und weißem Gesindel? Tut mir leid, aber das ist nichts für Euch. Ihr werdet hier auf uns warten, und wenn wir Eure Kameraden befreit haben, danach werden wir Euch entweder wieder nach Hause bringen oder zu dem Ort begleiten, an dem die Bonanza Eures Großvaters liegt. Die genaue Entscheidung darüber liegt bei Winnetou. Niemand kennt dieses Land so gut wie er, und nur er kann Euch Gewissheit darüber geben, ob Eure Karte echt ist und es dieses Placer wirklich geben kann!“ Mit diesen Worten wandte ich mich wieder meinem Freund zu, und auch die Blicke der acht jungen Männer ruhten nun wie gebannt auf ihn. Der Apatsche verstand meine Aufforderung und begann, ein Familienmitglied nach dem anderen lange und intensiv ins Gesicht zu schauen. Einen Augenblick später fragte er den bisherigen Wortführer: „Wie ist der Name des jungen Bleichgesichts?“ „Peterson, Sir!“, antwortete der Gefragte eifrig. „Elias Peterson. Ich bin auch der älteste hier aus der Familie!“ Winnetou nickte ihm zu, und ich spürte, wie er innerlich in sich hineinlächelte aufgrund des Übereifers und regelrechten Gehorsams des fast noch jugendlich wirkenden Mannes ihm gegenüber. „So frage ich Euch“, fuhr mein Freund fort. „Habt Ihr Vertrauen zu Winnetou?“ „Natürlich, Sir!“, antwortete Peterson wie aus der Pistole geschossen. „Wir mögen zwar absolute Neulinge im Westen sein, aber soviel haben wir doch über Euch und Mr. Shatterhand gehört und erfahren, als dass wir genau wissen, dass Ihr jedes Vertrauens würdig seid!“ „So bittet Euch der Häuptling der Apachen, ihm einmal das Leder zu zeigen, welches Euer Großvater aus der Hand des Indianers erhalten hatte!“ Ohne zu Zögern kam der junge Mann der Aufforderung Winnetous sofort nach. Er trug das für ihn so wertvolle Leder ständig bei sich, so dass er nur in seiner Innentasche danach greifen musste. Als er es auf den Tisch legte, konnte ich erkennen, dass es wirklich sehr alt aussah. Nun nahm Winnetou es in die Hand, um es mit konzentrierter Miene von beiden Seiten zu betrachten und zu betasten. Nach einer kleinen Weile nickte er zum zweiten Mal und legte die Karte wieder vor sich auf den Tisch. Dann sah er Peterson ernst an und begann: „Dieses Leder wurde tatsächlich von der Hand eines Indianers gefertigt, und zwar von einem Krieger der Navajos. Sie bezeichnet eine Stelle am Ship Rock in der Nähe des San Juan River. Winnetou weiß, dass in dieser Gegend viel Gold im Fels verborgen liegt, da er selber eine solche Stelle dort gefunden hat. Es handelt sich dabei allerdings nicht um den hier auf dem Leder verzeichneten Ort. Dieser gehört auch deshalb rechtmäßig meinen weißen Freunden!“ Welche Wirkung die Worte des Apatschen auf die Männer hatte, lässt sich wohl denken! Sie jubelten auf, klatschten verzückt in die Hände und strahlten über das ganze Gesicht. Damit würde ihre Not endlich, endlich ein Ende haben! Sie konnten ihr Glück kaum fassen, und wenn sie nicht solch großen Respekt vor Winnetou gehabt hätten, dann wäre er mit ihren Fragen und Dankesreden förmlich bombardiert worden. So aber begnügten sie sich damit, ihm stumm die Hand zu schütteln und dabei nur leise und verhalten ihre Freude und ihren Dank zu äußern. Winnetou aber warf mir einen bezeichnenden Blick zu und sofort wusste ich, dass er mit mir allein sprechen wollte. Darum entschuldigte ich uns für ein paar Minuten bei der Gesellschaft und trat mit meinem Freund vor die Tür, wo wir uns kurz davon überzeugten, dass sich niemand in unmittelbarer Nähe befand. Nun begann Winnetou mit einer Frage: „Kennt mein Bruder die Gegend, in der sich der Ship Rock befindet?“ Ich antwortete: „Ja, wenn auch nicht so gut wie du. Wir waren dort einmal jagen, richtig?“ Winnetou nickte. „Richtig. Und glaubt mein Bruder, dass wir diese jungen Bleichgesichter unbeschadet bis dorthin geleiten werden können?“ „Hm!“, machte ich nachdenklich. „Wenn ich mich recht entsinne, müssen wir auf dem Weg dorthin an den Weidegründen der Kiowas vorbei. Das ist an sich schon gefährlich genug, und mit diesen Anfängern wird es mit Sicherheit nicht besser!“ Wieder nickte der Apatsche bestätigend. „Die Kiowas sind seit vielen Sommern den Bleichgesichtern nicht mehr wohlgesonnen, und mit so vielen Menschen werden wir kaum unbemerkt an ihren Spähern vorbeikommen!“ „Richtig“, ergänzte ich. „Zudem habe ich das ungute Gefühl, dass diese ausgemachten Greenhorns das Unglück nur so anziehen werden. Eigentlich sollten wir sie auf direktem Weg wieder nach Hause geleiten, damit sie gar nicht erst in Gefahr geraten können!“ „Um dann alleine zur Bonanza zu reiten und ihnen die Erträge daraus zu bringen?“ fragte Winnetou. „Hm!“, machte ich wieder. „Das wäre wahrscheinlich das Beste für die Familie, aber...“. „Aber wir würden uns für immer dem möglichen Verdacht aussetzen, dass wir uns selber am dem Gold bereichert haben könnten, auch wenn es für den Moment so aussieht, als würden die Bleichgesichter uns das niemals zutrauen!“, beendete der Apatsche meinen Satz. „Mein Bruder weiß, was der 'Tödliche Staub' selbst aus einem rechtschaffenen weißen Mann zu machen vermag.“ „Ja, das ist wahr!“, entgegnete ich. „Und sei es nur, weil sie durch ihren plötzlichen Reichtum in falsche Kreise geraten und von daher auf solch schlechte Gedanken gebracht werden.“ Ich sah ihn an. „Also bleibt uns wohl nur die Möglichkeit, die Familie unter unseren Schutz zu nehmen und zu ihrer Bonanza hin zu begleiten?“ „Ja“, sagte Winnetou schlicht. „Wir werden dann unsere Augen und Ohren für die jungen Bleichgesichter mit aufhalten müssen!“ Unser Ritt zum Ship Rock war damit also beschlossene Sache. Wir gingen wieder hinein, um den Goldsuchern das Ergebnis unserer Unterhaltung mitzuteilen, die daraufhin ihre bis dahin mühsam zurückgehaltene Freude und Begeisterung nun gar nicht mehr bändigen konnten und in laute Jubelrufe ausbrachen. Sie schüttelten uns überglücklich die Hände, aber als sie uns dann auch noch voller Übermut um den Hals fallen wollten, wehrten wir diese Liebesbezeugungen freundlich, aber energisch ab. Ich machte den jungen Leuten in aller Ernsthaftigkeit deutlich, dass sie unsere Abwesenheit zur Befreiung der Gefangenen dazu nutzen sollten, um sich noch einmal gut auszuruhen, denn diese kleine Reise zu dem erhofften Fundort des Goldes würde alles andere als erholsam werden - und die Familie konnte nun absolut gar keine Übung und Erfahrung, was das Überleben in der Wildnis anging, aufweisen. Ich hoffte wirklich von ganzem Herzen, dass die Männer den kommenden Strapazen und Aufregungen gewachsen sein würden! Mit Müh und Not gelang es Winnetou und mir, uns von den Butterfields und ihrer überschwänglichen Dankbarkeit zu lösen, denn nun mussten auch wir die letzten Vorbereitungen für die anstehende Befreiungsaktion treffen. Winnetou wechselte einige Worte mit seinem Unterhäuptling und wies ihn dann an, zurück zum Pueblo der Apatschen zu reiten, um einerseits den Bewohnern dort den Grund für unsere nun wohl länger andauernde Abwesenheit mitzuteilen, andererseits wollte er die Mescaleros auch unter dem Schutz und der Führung eines fähigen Kriegers wissen. Umsichtig wie immer gab er Entschah-koh alle nötigen Anweisungen für die kommende Zeit mit auf den Weg. Tsain-tonkee und die ihn und Emery begleitenden zehn Apatschen sollten mit uns reiten, um die Gefangenen aus der Gewalt der Banditen zu befreien; und Emery ließ sich dieses Abenteuer sowieso nicht nehmen. Somit waren wir vierzehn fähige und teils sehr gut bewaffnete Personen, die es mit den dreizehn Verbrechern wohl aufzunehmen vermochten. Der Doktor wollte derweil aufgrund seines ursprünglichen Vorhabens bei den Siedlern bleiben und gleichzeitig hier auf uns warten, da nicht auszuschließen war, dass es in nächster Zeit Verletzte geben konnte; die beiden Gefangenen würden sogar schon fast sicher seiner Hilfe bedürfen. Dass Emery uns nicht allein reiten ließ und sich derweil im Müßiggang übte, war mir natürlich von vornherein klar gewesen. Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn zu fragen: „Sag einmal, mein Freund, bist du sicher, dass du überhaupt die Zeit für solch einen Ausflug hast? Ich dachte, im Pueblo würden wichtigere Dinge auf dich warten?“ Einen Augenblick lang wirkte der Angesprochene etwas überrascht – er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass jemand seine Bemühungen, das Herz der schönen Apatschin zu erobern, bemerkt hatte. Er fasste sich aber schnell wieder, zwinkerte mir zu und antwortete mit einem verschmitzten Lächeln: „Oh, weißt du, diese wichtigen Dinge werden bis zu meiner Rückkehr auch noch wichtig bleiben! Außerdem: Gut Ding will Weile haben, nicht wahr?“ Lachend klopfte ich ihm auf die Schulter, dann kehrten wir zurück in das Haus der Schumanns. Mittlerweile hatte die Sonne fast ihren Höchststand erreicht. Uns wurde von unseren fürsorglichen Gastgebern noch ein schnelles, aber sehr schmackhaftes Mittagsmahl aufgedrängt, denn Joseph Schumann bestand auch in seiner Funktion als Vorstand der Siedler darauf, dass wir nur ordentlich gestärkt aufbrechen sollten. Also folgten wir, und das nicht ungern, seiner Aufforderung, bevor wir uns frisch und munter in die Sättel schwangen und voller Zuversicht und Tatendrang aufbrachen. Wir befanden uns westlich des Rio Pecos. Um zu dem Lager der Banditen zu gelangen, hatten wir uns jetzt ungefähr fünf Stunden lang nordwestlich zu halten, ohne die Pferde dabei sonderlich anstrengen zu müssen. Von West nach Ost fließt ein Fluss namens Hondo durch New Mexiko, der bei Roswell in den Rio Pecos mündet. Wenige Meilen östlich seiner Quelle lagerten die Verbrecher, nahe der östlichen Ausläufer der Sacramento Mountains. In diesem Vorgebirge wollten wir ein gutes Versteck für Menschen und Pferde finden, um die Befreiung der Gefangenen und das Ausspionieren der Bande unbemerkt angehen zu können. Während des Rittes wurde nicht allzuviel gesprochen; die Apatschen waren ja von jeher sehr schweigsam, und an Winnetous Seite hatte auch ich mir in all den Jahren diese Sitte angewöhnt, meine Umgebung mit allen Sinnen anzunehmen, ohne durch unnötiges Gerede die Aufnahmefähigkeit zu zerstören, und das nicht ungern. Einzig Emery konnte nicht allzu viel mit der Stille um ihn herum anfangen, und so versuchte er mal mit diesem, mal mit jenem ein Gespräch zu beginnen, fast immer ohne Erfolg. Als er sich dann schlussendlich an Winnetou heranmachte, um mit ihm über dessen lebensgefährlichen Rettungseinsatz für die Siedlerkinder im Pecos zu diskutieren, brauchte ihm der Apatschenhäuptling nur einen einzigen seiner unnachahmlichen Blicke zuzuwerfen, und der Engländer verstummte sofort. Schmunzelnd stellte ich fest, dass er einen Moment brauchte, um sich wieder zu sammeln, und sich dann direkt an meine Seite begab. Leise raunte er mir zu: „Geht es unserem Freund nicht gut? Er ist so still, wirkt so in sich gekehrt!“ Jetzt musste ich doch laut auflachen. „Emery, seit wann kennst du unseren Winnetou jetzt schon? Es geht ihm umso besser, je ruhiger und stiller er ist, das müsstest du doch langsam wissen! Warum soll man reden, wenn man seine Sinne sprechen und fühlen lassen kann? Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir noch genug Gelegenheiten für Gespräche haben, dessen sei sicher!“ „Hast ja recht“, murmelte mein Gefährte in sich hinein. „Ich bin wohl durch die Siedler und deren Überschwänglichkeit noch ein wenig aufgedreht. Ab jetzt genieße und schweige ich auch!“ Und an dieses Versprechen hielt er sich auch für den Rest unseres Rittes. Allerdings beobachtete ich meinen Winnetou jetzt für kurze Zeit doch etwas genauer, denn es konnte ja immerhin möglich sein, dass es ihm aufgrund des gestrigen Abenteuers nicht so wohl war. Nach einigen Minuten wusste ich aber, dass ich mir keine Sorgen machen brauchte. Er war völlig in sich versunken, wie so oft seit dem schrecklichen Tag vor fast einem Dreivierteljahr, an dem er dem Tod näher als dem Leben gewesen war. Seitdem er diesen einen kurzen Blick ins Jenseits hatte werfen können, befand er sich oftmals in einem innigen Zwiegespräch mit seinem Manitou, und jedes Mal hatte ich in solchen Momenten das Gefühl, als ob seine Seele für kurze Zeit seinen Körper verlassen hätte und sich in Gottes Hand befand. So war es auch jetzt, und deshalb achtete ich nun darauf, dass er in seiner Andacht nicht mehr gestört wurde. Am späten Nachmittag hatten wir dann unser Ziel erreicht. Ein gutes Versteck war schnell gefunden, und bei Anbruch der Dunkelheit brachen Winnetou und ich auf, um die Bande und die Lage der Gefangenen auszuspionieren. Niemand machte uns diese Ersterkundung streitig; sie alle wussten, dass vor allem Winnetou ein Meister im Auskundschaften war, der nun mal seinesgleichen suchte. Wir hatten etwa eine halbe Stunde strammen Fußmarsches zu bewältigen, bevor wir die von Emery gut beschriebene Stelle erreichten, ab der wir nun äußerste Vorsicht walten lassen mussten. Wir bewegten uns die ganze Zeit über in einem sehr lichten und mit nur wenig Unterholz oder Gesträuch behafteten Wald, welcher allerdings über einen weichen Moosboden verfügte, der uns das Anschleichen sehr erleichterte. Trotzdem mussten wir die größtmögliche Aufmerksamkeit auf unsere Deckung richten, die eigentlich nur die Baumstämme bieten konnten. Zusätzlich schien der Mond noch sehr hell, so dass es wirklich fast ein Kunststück zu nennen war, dass wir letztendlich, ohne bemerkt worden zu sein, so nah hinter den Banditen am Rand der Lichtung im hier zum Glück hohen Gras lagen und sie dabei fast berühren konnten. Genau vor uns saß Wayne Thomson, und bei ihm befanden sich drei Männer mit wirklich schäbig anmutenden Verbrechervisagen, die offensichtlich genauso charakterlos waren wie Thomson selber. Was ich empfand, als ich so nahe an diesen Halunken herankam, der Winnetou so schwer verletzt hatte und fast für seinen Tod verantwortlich gewesen wäre, kann man sich vielleicht denken. Wäre unsere Verantwortung für die Goldsucher nicht gewesen, ich weiß nicht, ob ich mich hätte beherrschen können! Sieben weitere Schurken saßen mittig auf der Lichtung am Feuer, bereiteten eine Mahlzeit zu oder tranken Whisky. Zwei fehlten noch, und ich nahm an, dass diese zur Wache eingeteilt worden waren und rund um das Lager patrouillierten, da wir während unserer vorsichtigen Annäherung zumindest eine Gestalt bemerkt hatten. Die Verbrecher vor uns sprachen zwar miteinander, aber das bisher Gehörte war für uns völlig belanglos. Ich ließ deshalb meinen Blick auf der Suche nach den beiden Gefangenen über das Lager schweifen und wurde auch bald fündig. Sie befanden sich wenige Meter entfernt rechts von uns, ebenfalls nahe am Rand der Lichtung, und waren natürlich gefesselt. Ein großer Vorteil aber in Hinsicht auf eine spätere Befreiung war, dass sie zumindest nicht noch zusätzlich an die Bäume gebunden worden waren. Leider standen genau an dieser Stelle nicht viele Bäume, und die wenigen waren auch noch sehr jung, verfügten also über keine dicken Stämme, hinter denen wir uns hätten verstecken können; auch war kein hohes Gras zum Verbergen vorhanden. Wir besahen uns noch einmal genau alle Einzelheiten, denn jede Kleinigkeit konnte für unser späteres Vorhaben wichtig sein. Gerade eben wollten wir uns vorsichtig wieder zurückziehen, da hörte ich einige Worte von Thomson, die mein Interesse erweckten. Es schien sich um seine Flucht aus dem Fort vor seiner geplanten Hinrichtung zu handeln, und so hörte ich natürlich ganz genau hin. „.....und die armen Trottel von der Armee waren nach den vier Wochen, die ich auf der Krankenstation verbracht hatte, tatsächlich vollständig davon überzeugt, dass ich noch viel zu schwach und hinfällig sei, um ordnungsgemäß hingerichtet werden zu können! Ich hatte mich halt gut verstellt, und da sie ihren Militärarzt bei dieser dreckigen Rothaut namens Winnetou gelassen hatten, der ich mein ganzes Elend hier an Arm und Bein...“, er zeigte dabei auf seine linken Gliedmaßen, die ihm Firehand damals, kurz nach seinem Attentat auf Winnetou, in seiner rasenden Wut zerschmettert hatte, „...eigentlich zu verdanken habe, waren sie nicht in der Lage, meinen Zustand richtig zu beurteilen. Man hatte mir zwar eine Wache vor die Tür gestellt, aber da der Mann mich für bewegungsunfähig hielt, konnte ich mich eines Nachts mühelos an ihn heranschleichen und erstechen – mit einem Messer, dass ich kurz zuvor einem anderen Soldaten gestohlen hatte. Ich zog dem toten Soldat die Uniform aus, zog sie selber an, und so gelang es mir, unbehelligt aus dem Fort zu entkommen, wobei ich sogar die Waffen des Soldaten und ein Pferd mitgehen lassen konnte! Haha, die dummen Gesichter der Kerle am nächsten Morgen hätte ich zu gerne gesehen!“ Bei diesen Worten ballte ich unwillkürlich die Fäuste vor mühsam gezügeltem Grimm. Selbst auf dem Krankenlager hatte der Schuft einen Mord begangen, und das war mit Sicherheit nicht sein erster gewesen! Doch darüber konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen, denn schon erzählte Thomson weiter: „Zwei Tage später bin ich dann auf Bill Daniels gestoßen, der mir erstens verriet, wo ihr und eure Truppe zu finden seid, und zweitens mir sogar die Mitteilung machen konnte, dass dieser Dreckskerl namens Firehand, der meine Gliedmaßen und mein halbes Gesicht auf dem Gewissen hat, bei den Apatschen untergekrochen war. Mit dem Schuft habe ich noch eine Rechnung offen, die sich gewaschen hat! Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er um einen gnädigen Tod winseln, das schwöre ich euch. Und wenn ich bei dieser Gelegenheit den räudigen Köter namens Winnetou gleich mitnehmen kann, umso besser! Ich schickte also Bill los, um euch mitzuteilen, wo und wann wir uns treffen können, und machte mich auf, um vorher die Welt von mindesten einer, besser noch von zwei stinkenden Ratten zu befreien.“ Mittlerweile zitterte ich schon etwas vor unterdrückter Wut. Alles konnte ich ertragen, und wenn dieser Verbrecher mich noch so schwer beleidigt hätte, es wäre mir egal gewesen. Aber wie der Halunke da gerade eben über meinen Winnetou gesprochen hatte, auf eine solch abfällige Art und Weise, da hätte es schon eines Wunders bedurft, um in mir nicht den größten Zorn auszulösen. Winnetou dagegen, der natürlich auch alles mit angehört hatte, blieb wie immer die Ruhe selbst und legte mir sanft seine Hand auf meinem Arm, um mich zu beruhigen und mir durch diese Geste stumm mitzuteilen, dass ihm die Worte des Banditen überhaupt nichts anhaben konnten. Dadurch gelang es mir, mich wieder etwas zu sammeln und dem weiteren Bericht Thomsons zu verfolgen. „Bei den Rothäuten angekommen, sah ich Old Firehand zusammen mit Old Surehand, die gerade für eine wohl längere Reise das Pueblo verließen. Ich überlegte kurz, ob ich ihnen folgen oder doch erst eine Gelegenheit abwarten sollte, um Winnetou vor die Flinte zu bekommen. Ich entschied mich für letzteres, da ich mir dachte, dass ich die Spur Firehands wohl mühelos wiederfinden würde. Also beobachtete ich einen halben Tag lang das Dorf der dreckigen Rothäute, um einen günstigen Augenblick zu erwischen, wurde dabei aber leider von einem Apatschen entdeckt – ich war mir zumindest sicher, dass er mich von dem hohen Felsen aus, auf dem er sich befand, gesehen hatte, und trat eiligst den Rückzug an. Ich dachte bei mir, dass ich vorerst keine Möglichkeit mehr haben würde, da die Kerle jetzt wohl gewarnt waren. Daher suchte ich unseren Treffpunkt auf, damit wir alle zusammen Firehand folgen können, denn gegen Firehand und Surehand tritt man besser mit so vielen Leuten wie möglich an. Na gut, jetzt sind uns halt die Goldsucher dazwischen gekommen, die uns wohl irgendwann ihr Goldversteck verraten werden, und das ist mir im Augenblick noch mehr wert als die Rache an Firehand. Der Kerl entwischt mir schon nicht - den hol ich mir noch!“ Es war ein wirklich hochinteressantes Gespräch, was wir da erlauscht hatten. Also auf Firehand und auch auf Winnetou hatte es diese elende Kreatur abgesehen! Sobald die Zeit es zuließ, mussten wir Firehand eine Warnung zukommen lassen, damit er ab sofort auf der Hut war. Ich war zwar fest davon überzeugt, dass wir Thomson noch heute Nacht überwältigen würden – und dann wollte ich ihn für seine Taten zur Rechenschaft ziehen, und zwar an Ort und Stelle, damit er nicht noch einmal die Gelegenheit zur Flucht haben würde – aber man konnte ja nicht wissen, ob es nicht noch weitere Verbrecher gab, die von ihm auf Firehand angesetzt worden waren! Was jetzt weiter erzählt wurde, war für uns nicht mehr von Belang, und so zogen wir uns in aller Vorsicht zurück, bis wir wieder sicheres Gelände erreicht hatten. Die Gefährten hatten unsere Rückkehr schon mit Spannung erwartet, und so berichteten wir schnell, was wir gesehen und gehört hatten. Emery geriet ebenso wie ich vorher in große Wut, als er von der Frechheit des Geiers hörte, und hätte alles darum gegeben, diesen jetzt genau in die Finger zu bekommen. Doch nun galt es erst einmal, einen vernünftigen Plan zu schmieden, um die zwei jungen Männer unbeschadet zu befreien und möglichst alle Banditen lebend gefangen zu nehmen. Eine heimliche Befreiung war aufgrund der fehlenden Deckung hinter den Gefesselten nicht möglich. Da wir aber vierzehn fähige Personen waren, die allesamt keine Schwierigkeiten haben würden, sich unbemerkt an das Lager heranzuschleichen, beschlossen wir, uns der Lichtung vorsichtig zu nähern und sie zu umkreisen, dabei die beiden Posten auszuschalten und anschließend durch unsere Übermacht die Banditen zu überraschen und zu überwältigen, bevor die überhaupt Gelegenheit bekamen, zu ihren Waffen zu greifen. Wir warteten also eine Zeit lang, bis das der Mond hinter den Bergen verschwunden war und die dadurch entstandene Dunkelheit uns einen besseren Schutz bieten konnte, dann griffen wir an. Die Wachen wurden von Winnetou und mir ausgeschaltet, und dann gelang es uns tatsächlich, die Bande völlig zu überraschen und mit gezogenen und durchgeladenen Gewehren hinter ihnen zu stehen, bevor sie überhaupt daran dachten, eine Bewegung der Abwehr zu machen! Winnetou und zwei seiner Apatschen waren im Nu bei den Gefangenen, die glücklicherweise nicht verletzt worden waren. Sie hatten allerdings Schwierigkeiten, ihre Gliedmaßen zu bewegen, da die Fesseln ihnen tief ins Fleisch geschnitten und die Blutzufuhr dadurch unterbrochen hatten. Die beiden standen also äußerst wackelig auf ihren Füßen, und als sie die ersten Schritte mit Unterstützung von Winnetous Kriegern tun wollten, sank einer von ihnen mit einem lauten Schmerzensschrei wieder zu Boden. Wir hatten die Banditen noch nicht entwaffnet, sondern hielten sie im Augenblick nur in Schach; durch den Schrei wurden alle einen Augenblick lang abgelenkt, und das war einer zu viel. Sofort hatte Thomson seinen Revolver gezogen, und jetzt flog uns das Blei nur so um die Ohren. Er hatte zuerst Winnetou im Visier, aber da dieser sich gerade bückte, um dem gefallenen Jüngling aufzuhelfen, verfehlte die Kugel nur um Zentimeter ihr Ziel. Gleich darauf hatte mein Freund sein Gewehr angelegt und schoss auf Thomson, aber auch diese Kugel ging fehl, weil der Schurke urplötzlich eine Rückwärtsbewegung machte, sich dann umdrehte und zwischen den Bäumen verschwand. Ich wollte ihm sofort nachsetzen, als ich einen scharfen Schmerz an der Wange verspürte. Ein weiterer Bandit hatte ebenfalls die Pistole gezogen und auf mich geschossen, doch zu meinem großen Glück war es nur ein Streifschuss. Augenblicklich war Winnetou neben dem Kerl und schlug ihn mit vor Zorn blitzenden Augen mit dem Kolben seines Gewehrs nieder, so dass dieser schon das Bewusstsein verloren hatte, bevor er überhaupt den Boden berührte. Die anderen Halunken wurden jetzt im Nu überwältigt und sofort gefesselt, damit sie nicht nochmals solch eine Gelegenheit zur Gegenwehr erhielten. Außer Thomson hatte allerdings noch ein Mitglied der Bande das Weite gesucht, und beide wurden jetzt von einer Handvoll Apatschen verfolgt. Die Chancen standen allerdings schlecht, dass die Verbrecher von ihnen gestellt werden würden, da es mittlerweile stockdunkel war und man die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Während Emery und der Rest der Apatschen sich um die beiden befreiten Goldsucher bemühten, wollte ich ebenfalls den Entflohenen nachsetzen, aber Winnetou hielt mich zurück. „Mein Bruder mag die Verfolgung meinen Kriegern überlassen!“, bat er mich, ging zu seinem Iltschi - die Pferde waren gerade von einem Apatschen aus ihrem sicheren Versteck geholt worden -, entnahm etwas seiner Satteltasche und kehrte zu mir zurück. Er hielt jetzt ein weiches Tuch in der Hand, legte seine Rechte unter mein Kinn, um meinen Kopf zu halten, während er mit seiner Linken begann, den Streifschuss an meiner Wange zu versorgen, so sanft und vorsichtig, dass ich keinerlei Schmerzen verspürte. Die Fürsorge und Zärtlichkeit, die mein geliebter Freund mir dabei zuteil werden ließ, bewirkten, dass mir ein Schauer nach dem anderen den Rücken herunterlief und ich wirklich an mich halten musste, um ihn nicht sofort in meine Arme zu schließen und fest an mich zu drücken. Kurz darauf kehrten die Apatschen, wie erwartet, unverrichteter Dinge zurück, was uns zwar ärgern musste, sich aber leider nicht ändern ließ. Wir sagten uns, dass wir die Kerle schon noch erwischen würden, denn der Rachedurst von Thomson würde ihn wahrscheinlich unweigerlich wieder in unsere oder in Old Firehands Nähe treiben, und dann Gnade ihm Gott! Kapitel 10: Gefangen und Gequält -------------------------------- Ich kam gar nicht mehr dazu, auch nur entsetzt aufzuschreien, geschweige denn, Thomson auf irgendeine Art und Weise an seinem schrecklichen Vorhaben zu hindern. Ich registrierte nur noch seinen Blick voller Heimtücke, den er mir zuwarf, bevor er mit dem Messer, dessen Spitze er meinem Blutsbruder auf die linke Schulter gesetzt hatte, ohne Umschweife vollends zustach. In meiner jetzt mit aller Gewalt durchbrechenden Wut und Panik um das Leben meines Freundes hatte ich zwar noch bemerkt, dass der Verbrecher seine Klinge offenbar nicht allzu tief in dessen Fleisch hatte eindringen lassen, aber diese Tatsache erfasste ich nur ganz am Rande, denn in diesem Augenblick war ich einfach nicht mehr zu halten. Ich brüllte auf vor Zorn, zerrte wie verrückt an meinen Fesseln, dass mir das Blut nur so an den Handgelenken herunterlief, erreichte aber damit nur, dass Thomson laut auflachte. Hätte ich nur meine Hände frei gehabt! Ich sehnte mich regelrecht danach, sie diesem elenden Schuft um den Hals zu legen und ganz langsam zuzudrücken! In diesem Moment hätte ich ihn ohne Umschweife getötet, dessen war ich mir sicher. Was für ein Mensch war das nur, der es fertigbrachte, einen wehrlos Daliegenden aus purem Eigennutz noch so zu quälen und zu misshandeln, nur aus der niederen Gier nach Gold! Das war nun wirklich nicht mehr menschlich zu nennen - das kam ja noch nicht einmal in der Tierwelt vor! Vor hilfloser Wut am ganzen Körper zitternd schwor ich mir, die Menschheit von dieser widerlichen Kreatur zu befreien, koste es, was es wolle, selbst wenn es das Letzte war, was ich in meinem Leben tun würde. Der einzige kleine Trost, der mir in dieser furchtbaren Situation noch blieb, war die Tatsache, dass Winnetou offensichtlich weiterhin in tiefer Bewusstlosigkeit lag und somit zumindest die Schmerzen nicht spüren konnte. Gerade wollte Thomson wieder zu sprechen beginnen, da wurde er von Sam und Emery richtiggehend niedergebrüllt, die beide vor Zorn nur so kochten und die sich, ebenso wie ich, dem völlig zwecklosen Versuch hingaben, ihre Fesseln zu sprengen. Da beide durcheinander riefen, konnte ich nur Bruchstücke verstehen, die unter anderem einige handfeste Beschimpfungen enthielten: „Dreckiger Hund! Widerlicher Bastard! Elende feige Ratte! Stinkender Kojote!“, und einiges mehr, und ich konnte meinen Gefährten da nur aus vollem Herzen zustimmen. Der ehemalige Unteranführer der Geierbande aber verstand hier überhaupt keinen Spaß; mit einem wahrhaft mörderischen Ausdruck im Gesicht ging er nun auf die Schimpfenden los und versetzte ihnen mehrfach ein paar saftige Backpfeifen, dass ihre Köpfe nur so flogen. Allerdings konnte auch das Emery mitnichten davon abhalten, weiterhin in aller Deutlichkeit mitzuteilen, was er von unserem Widersacher hielt. Thomson griff deshalb zu seinem altbewährten Mittel, zog wieder sein Messer und hielt es dem Engländer mit einer Miene, die mehr als deutlich zeigte, dass er zu allem bereit war, an die Kehle. Emery erstarrte, aber nur einen Augenblick, dann lachte er lauthals los und zischte anschließend dem Halunken mit einem freudlosen Grinsen zu: „Wenn du glaubst, dass mich dein nettes Spielzeug hier auch nur im Geringsten beeindruckt, dann befindest du dich aber ganz gewaltig auf dem Holzweg! Dreckiger, feiger Kojote!“ Und mit diesen Worten spuckte er zu guter Letzt dem Angesprochenen sogar ins Gesicht. Thomson wich tatsächlich, fast schon erschrocken, ein kurzes Stück zurück, fasste sich aber schnell wieder, und nun waren seine Augen, sein ganzes Innerstes erfüllt mit rasender Wut. Im ersten Moment war ich mir sicher, dass er an meinem Gefährten Rache nehmen und sofort zustechen würde, aber das tat er nicht, dazu war er in seinem Grimm gar nicht in der Lage. Statt dessen ließ er seine Faust mit voller Wucht gegen Emerys Schädel krachen, so dass dieser sofort besinnungslos in sich zusammensackte. Im nächsten Augenblick war der Mordbube schon wieder an Winnetous Seite, setzte ihm jetzt die Messerspitze auf die linke Brust, genau über dem Herzen, und fauchte uns wütend entgegen: „Will noch einer von euch seine Unverschämtheiten loswerden? Wenn es euch schon nichts ausmacht zu sterben, dann werdet ihr aber gewiss etwas dagegen haben, wenn die dreckige Rothaut hier durch eure Schuld jetzt das Zeitliche segnet!“ Ich war stumm vor Entsetzen, unfähig, auch nur einen Ton von mir hören zu lassen. Sam saß ebenfalls wie erstarrt und so kerzengerade, wie es unter seinen Banden nur möglich war, an seinem Platz. Wir getrauten uns nicht, auch nur die kleinste Bewegung zu tun aus Angst, den Kerl dadurch weiter zu reizen und ihn letztendlich zum Zustechen zu bewegen. Für endlos lange Sekunden blieb er in dieser für Winnetou so bedrohlichen Position, so dass ich irgendwann die Augen schloss, weil ich dieses entsetzliche Bild vor mir einfach nicht mehr ertragen konnte. Er hatte wohl auf eine solch hilflose Reaktion von mir gehofft, denn jetzt hörte ich ihn höhnisch auflachen und er sprach: „Ich wusste es doch, dass Ihr nicht so unantastbar und voller Stolz seid wie Ihr immer tut, Shatterhand! Ihr werdet mir jetzt auf der Stelle Rede und Antwort stehen und dabei hübsch bei der Wahrheit bleiben, ansonsten sehe ich mich leider gezwungen, meine Hand ein wenig tiefer sinken zu lassen!“ Ich hatte während seiner Worte meine Lider wieder geöffnet und sah jetzt, wie er mit seinem Messer fast schon spielerisch Winnetous Haut auf der linken Brust einritzte. Das Gefühl, vor hilflosem Zorn fast platzen zu müssen, wurde fast schon übermächtig. „Aufhören!“, stöhnte ich verzweifelt. „Lasst ihn doch aus dem Spiel! Ich bin es schließlich, von dem Ihr etwas wollt!“ „Ja, natürlich“, antwortete er mit einem zynischen Grinsen. „Aber Ihr würdet mir mit Sicherheit nicht die Antwort geben, die ich gerne von Euch hätte, selbst wenn ich Euch tagelang foltern würde! Aber wenn es um Eure heißgeliebte Rothaut hier geht, da wird Euer Herz doch erweichen müssen, nicht wahr?“ Es schüttelte mich regelrecht vor Grauen über diese Kreatur, die nicht mehr Mensch genannt werden konnte. Mir sind auf meinen Reisen schon viele wahrhaftige Schurken begegnet, und kaum einer von ihnen hatte mehr als einen Fingerhut voll moralischer Werte in sich getragen, aber so etwas wie diese Bestie hier war mir noch nie untergekommen. „So, und jetzt werdet Ihr mir wohl gütigst mitteilen“, begann Thomson wieder, „wo der Hundesohn hier das Gold her hat! Denn wo diese Klunker herkommen, wird mit Sicherheit noch viel mehr zu holen sein, richtig?“ Wieder ließ er während seiner Rede das Messer leicht kreiseln. Mir war jetzt richtiggehend übel aufgrund der für Winnetou fast schon ausweglosen Situation. Ich war ja gar nicht in der Lage, dem Kerl zu geben, was er verlangte! Da musste jetzt eine List her, irgendeine, und das schnell, sofort, aber in meinem Kopf dröhnte es nur so vor Sorge und Angst um den geliebten Freund, meine Gedanken kreisten nur um ihn und waren gar nicht fähig, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Meine hochgelobte Ruhe und Kaltblütigkeit waren dahin, nichts war mehr davon zu spüren. Mir blieb nur der eine Weg, diesen Dreckskerl so lange wie möglich hinzuhalten und schlussendlich irgendwie von seinem Vorhaben abzubringen. Obwohl ich wusste, dass Winnetou jede Äußerung von mir, die Wayne Thomson anfeindete, mit weiteren Verletzungen würde bezahlen müssen, konnte ich aber gar nicht anders, als dem Mörder mit knirschendem Unterkiefer zu entgegnen: „Wie tief muss ein Mensch sinken, um so zu werden, wie Ihr seid? Wie könnt Ihr Euch nur an einem völlig Wehrlosen vergreifen und darauf auch noch sichtlich stolz sein? Haltet Ihr das für mutig? So wie Euch habe ich noch nie einen Mann handeln sehen. So handelt überhaupt kein Mann, so handelt nur ein Mann, der Weiberröcke trägt! Ihr habt den Mut eines kleinen Mädchens, das.....“ Ich hatte mich zum Ende hin richtiggehend in Rage geredet, ohne dass ich mich noch im Zaum halten konnte, so sehr widerte mich der Kerl an. Tief in meinem Inneren hoffte ich wohl, dass er vielleicht doch noch so viel des ehrlichen Stolzes besaß, dass er sich durch meine Beleidigungen gezwungen sah, von Winnetou abzulassen und sich mit mir anzulegen, um sich zu rächen. Aber leider rührten sich durch meine Worte in ihm weder Stolz noch Moral, im Gegenteil, seine Messerspitze drang sofort noch ein Stückchen tiefer in die Brust des Apatschen ein, und er unterbrach mich mit einem jetzt schon fast satanischen Grinsen: „Nun? Seid Ihr sicher, dass Ihr in dieser Weise weitersprechen wollt? Bedenkt Euch wohl, denn Ihr seht ja: Das Herz Eures Freundes befindet sich in meiner Hand, oder besser gesagt, unter meinem Messer!“ Wieder schüttelte es mich, vor Furcht und Angst um das Leben meines geliebten Blutsbruders, vor Zorn, vor Abscheu, wahrscheinlich auch vor Hass auf Winnetous Peiniger. Ich zischte ihm zu: „Ihr widert mich an! Aber Ihr könnt mir Eure Frage noch so oft stellen, ich kann sie einfach nicht beantworten! Ich kann mich nur wiederholen: Niemals hat der Häuptling der Apatschen mich in die Geheimnisse seiner Goldminen eingeweiht, niemals! Es ist ein Schwur, ein Eid, der schon seit Generationen von Häuptlingen, ja, schon seit Jahrhunderten gilt: Niemals wird ein Außenstehender, und wenn er dem Apatschenvolk noch so nahe steht, diese Minen zu sehen bekommen. Und da Winnetou ein äußerst verantwortungsbewusster und loyaler Häuptling seines Stammes ist, hat er sich auch stets daran gehalten, das schwöre ich beim Leben meiner Freunde!“ Ich, gerade ich, der noch niemals einen Schwur getan hatte, weil ich so etwas stets für blanken Unsinn gehalten hatte, schwor einem Verbrecher, ihm die Wahrheit zu sagen! Allein daran musste jeder, der mich genau kannte, sehen, was ich von diesem Halunken hielt. Bis heute weiß ich allerdings nicht, was ich getan hätte, wenn ich tatsächlich die Orte, an denen sich Winnetous Placer befanden, gekannt hätte. Hätte ich sie dem Verbrecher letztendlich doch verraten, um das Leben meines Freundes zu retten? Kurz zuvor hatte ich im Zelt der Kiowas noch im Brustton der Überzeugung meinen Gefährten erklärt, dass Winnetou, selbst wenn ich vor seinen Augen zu Tode gefoltert werden würde, niemals das ihm anvertraute Geheimnis verraten würde. Wäre es wirklich so gewesen? Man konnte noch so sehr von der Richtigkeit seiner Wertvorstellungen überzeugt sein, spätestens wenn es einen direkt betraf, wie jetzt gerade meinen Freund und mich, war man sich der Sache dann doch alles andere als sicher. Hätte ich es wirklich fertiggebracht, das Leben meines Freundes zu riskieren? Hätte ich es fertiggebracht, zuzusehen, wie man ihn quält bis zum Tode, nur des Goldes wegen? Gold, was erstens nicht mir gehörte und zweitens überhaupt keinen Wert für mich besaß, und das nur eines Eides wegen, der mich eigentlich gar nichts anging? Hätte ich das jemals mit meinem Gewissen vereinbaren können? Wäre ich an der Tatsache nicht irgendwann seelisch und auch körperlich zugrunde gegangen, für den Tod meines besten Freundes und des wichtigsten Menschen, den es für mich auf der Welt gab, verantwortlich zu sein? Ja, das wäre ich, davon bin ich auch heute mehr als überzeugt – ich hätte ihn auf keinen Fall der Ehre wegen dem Tod preisgegeben! Dieses für mich so kostbare Leben zu opfern, hätte mich niemals wieder ruhig schlafen lassen. Und was wäre gewesen, wenn ich sein Leben gerettet hätte, indem ich die Fundorte verraten hätte? Wie würde Winnetou reagieren, wenn wir beide das überlebt hätten? Wäre ich in seinen Augen zum Verräter geworden? Würde er in mir ab dann nur noch den Feigling sehen, der seine inneren Werte aufgegeben, der sich dem Willen eines Verbrechers gebeugt hätte? Oder würde er vielleicht doch Dankbarkeit zeigen oder zumindest Verständnis für meine fürchterliche Lage aufbringen? Mir kam der Gedanke, dass das vielleicht einer der Gründe, vielleicht sogar der Hauptgrund dafür war, dass er mich niemals in sein Wissen eingeweiht hatte – wollte er mir dadurch einen solchen Gewissenskonflikt ersparen? Auf all die Fragen hatte ich im Augenblick keine Antwort, aber eines wusste ich ganz gewiss: Ich musste diesen Widerling dazu bringen, sein Messer von der Brust meines Freundes zu nehmen und von ihm abzulassen, und zwar sofort. Man konnte es Thomson gut ansehen, dass ihn meine eindringlichen Worte und der anschließende Schwur nun doch etwas nachdenklich machten. Er sah mir direkt in die Augen, so als prüfe er, ob ich wirklich die Wahrheit gesprochen hatte und ließ dabei seine Messerhand sinken. Jetzt galt es, dranzubleiben, nachzusetzen, ihn zu irgendwie zu zwingen, sich auf mich zu konzentrieren, um die Todesgefahr von Winnetou zu nehmen. Dann plötzlich hatte ich einen Einfall; wie aus dem Nichts sah ich die wohl im Augenblick einzige Möglichkeit glasklar vor mir. Und somit redete ich weiterhin energisch auf den Kerl ein: „Natürlich kann ich Euch nicht daran hindern, Winnetou zu töten, genauso wie anschließend meine Gefährten und mich! Tut also, was Ihr nicht lassen könnt, aber bedenkt dabei, dass Ihr damit Euch selbst jeder Möglichkeit beraubt, doch noch an das Gold zu kommen!“ Thomson wurde sofort wieder wütend: „Wollt Ihr mich veralbern? Ihr sagtet doch selber, dass Ihr angeblich die Lage der Bonanza nicht kennt, und die stinkende Rothaut hier kann ich wohl nicht fragen, oder? Zudem das schon mehrfach geschehen ist und er noch nicht einmal mit einer Wimper gezuckt hatte, als Motawateh ihn bei jedem Mal mit seinem Messer zu einer Antwort zu zwingen versucht hat! Wollt Ihr also jetzt doch vernünftig werden und mir sagen, was ich wissen will, oder soll ich diesen Indsman hier doch lieber vor Euren Augen langsam in Stücke schneiden?“ Seine Hand umklammerte das Messer wieder fester und bewegte sich nochmals auf die Brust des Apatschen zu. Schnell erwiderte ich: „Ich selber habe nun mal tatsächlich keinerlei Kenntnisse über die Goldminen der Apatschen, ich kann es Euch wirklich hoch und heilig versichern, da könnt Ihr machen, was Ihr wollt. Und auch Winnetou würde niemals sein Geheimnis verraten, selbst wenn er es könnte... zumindest nicht Euch!“ Die letzten Worte hatte ich mit einer besonderen Betonung ausgesprochen und spürte sofort, dass ich damit die Neugierde des Banditen geweckt hatte. „Was heißt das: Zumindest nicht mir?“, fragte er auch sofort nach. „Wollt Ihr damit sagen, er würde es jemand anderem verraten? Wem denn?“ Offensichtlich war der Kerl nicht gerade mit großer Intelligenz gesegnet worden, da er jetzt nicht auf das Naheliegende kam. Also versuchte ich weiter, ihn auf meine Fährte zu locken: „Ich könnte mir vorstellen, dass es mir gelingt, Winnetou unter diesen besonderen Umständen dazu zu bringen, Euch die Lage eines seiner Placer mitzuteilen – ich brauche dafür allerdings Zeit, um ihn von der einzigen Möglichkeit, uns zu retten, zu überzeugen!“ Jetzt richtete sich Thomson zu seiner vollen Größe auf, wobei sein Messer endlich aus dem für Winnetou so gefährlichen Bereich verschwand – und innerlich entwich mir ein erleichterter Stoßseufzer. Der Gesichtsausdruck des Verbrechers hatte nun etwas von einem Raubtier an sich, welches seine Beute nochmals musterte, bevor es zum tödlichen Sprung ansetzte. „Wie wollt Ihr das anstellen?“, fragte er mich angespannt. „Ganz einfach!“, setzte ich sofort nach. „Ich bin der Einzige, dem Winnetou vollkommen vertraut, und er schließt sich oftmals meiner Meinung an. Ich bin mir sogar sicher, ich könnte ihn überreden, Euch letztendlich zu Willen zu sein. Allerdings weiß ich nicht, wie schwer Ihr ihn verletzt habt und ob er überhaupt noch einmal zu sich kommen wird. Ich müsste ihn erst einmal untersuchen und dann alles daransetzen, dass er wieder ins Leben zurückkehren kann. Sicher aber ist: Wenn er erst einmal von Euch getötet worden ist, dann werdet ihr niemals an das Gold herankommen!“ Die zwingende Logik meiner Worte fand ihren Weg ganz allmählich in das Hirn des Mordbuben, das war für mich deutlich zu sehen. Aus den Augenwinkeln registrierte ich, dass Sam Hawkens unserem Wortwechsel hochgradig angespannt und mit angehaltenem Atem verfolgte und konnte förmlich spüren, dass er sich von Herzen wünschte, meine Taktik möge doch zum Erfolg führen! Wayne Thomson war zwischenzeitlich offenbar zu der Ansicht gelangt, dass es nicht schaden könne, meinen Worten vorerst Glauben zu schenken. Er sah abwechselnd zu mir und zu Winnetou, wohl um darüber nachzudenken, wie er jetzt weiter vorgehen sollte. Schließlich fasste er einen Entschluss, den er mit einem Nicken bekräftigte, um mir daraufhin mitzuteilen: „Ich kann es nicht alleine entscheiden, ob man Euch die Fesseln abnehmen wird, damit Ihr Euch um den Indsman hier bemühen könnt. Deshalb werde ich mich mit Motawateh beraten. Seid Euch aber über eines im Klaren: Jeder Versuch einer Flucht oder auch nur der geringsten Gegenwehr wird Euch, aber vor allem Eurer geliebten Rothaut zum Verhängnis werden – vor allem er würde hundertfach dafür büßen müssen!“ Nach dieser Ansage drehte er sich abrupt um und verließ das Zelt. Langsam, ganz langsam stieß Sam seinen angehaltenen Atem wieder aus, und auch mir schwindelte fast vor Erleichterung, dass ich den Verbrecher vorerst davon abhalten konnte, sich weiter an Winnetou zu vergreifen. Wir sahen uns an, und in den Augen des kleinen Mannes konnte ich die gleichen grauenvollen Sorgen um den Apatschen erkennen, die mich auch umtrieben. Ich sah wieder zu meinem Freund, der weiterhin unbeweglich in tiefer Bewusstlosigkeit lag, dem aber jetzt frisches Blut aus der neuen Schulterwunde den Oberkörper hinablief. Ich verging fast vor Angst um ihn - es war wirklich zum Verrücktwerden, zur Untätigkeit verdammt neben meinem verletzten Freund sitzen zu müssen und ihm überhaupt nicht helfen zu können! Ich hoffte von ganzem Herzen, dass meine List zum Erfolg führte und ich meinen Freund irgendwie hier herausbringen konnte, damit er die dringend notwendige Hilfe bekam. Dabei konnte ich noch nicht einmal sagen, ob es nicht schon zu spät war; davon war Motawateh ja überzeugt gewesen. Ich wurde von dem halblauten Rufen von Sam aus meinen trüben Gedanken gerissen. Diese galten Emery, dessen Kopf bis auf die Brust herunterhing; offensichtlich war er immer noch nicht bei Bewusstsein. Mein Herz wurde mir schwer angesichts dieser scheinbar ausweglosen Situation – wie um Himmels Willen sollte uns mit zwei Verletzten nur die Flucht gelingen? Emery reagierte genauso wenig wie Winnetou auf Sams Rufen, und ich konnte nur hoffen, dass er keine schwere Verwundung davongetragen hatte. Wenn sich wider Erwarten irgendeine Gelegenheit zur Flucht ergeben sollte, war ich dringend auf die Hilfe des Engländers angewiesen, ansonsten war die Sache beinahe aussichtslos. Verzweifelt atmete ich tief durch, und Augenblicke später betrat der Kiowahäuptling wieder das Zelt, dessen Laune sich augenscheinlich nicht unbedingt gebessert hatte. Mit wütender Miene kam er auf mich zu, sah mich einen Moment lang finster an, wandte sich um zu Winnetou und trat diesem wieder mit Wucht in die Rippen, woraufhin ich ihn wutentbrannt anfauchte: „Du feige Ratte! Ich habe noch niemals einen Krieger der Kiowas gesehen, der so niederträchtig und mutlos gehandelt hätte wie du! Noch nicht einmal eine alte, zahnlose Squaw würde so etwas tun!“ Weiter kam ich nicht, denn nun giftete der Rote zurück: „Schweig, augenblicklich! Old Shatterhand hat sich das selber zuzuschreiben! Warum muss er auch dem Bleichgesicht namens Thomson solche Lügen erzählen? Er weiß genau, dass....“. Jetzt unterbrach ich ihn, immer noch voller Zorn: „Old Shatterhand lügt nicht! Ich habe noch nie gelogen, im Gegensatz zu dem unbekannten Kiowa-Häuptling hier vor mir!“ Motawateh spuckte mir grimmig vor die Füße, als er erwiderte: „Deine Worte sind falsch. Old Shatterhand spricht mit gespaltener Zunge, wie eine Schlange! Du weißt, dass du den Apatschenhäuptling niemals dazu bringen wirst, ein seit Generationen gehütetes Geheimnis zu verraten! Zudem er...“ Wieder fiel ich ihm ins Wort. „Woher willst du das wissen? Willst du etwa ernsthaft behaupten, dass du Winnetou ebenso gut kennst wie ich? Ich sage dir im vollem Ernste, er vertraut mir mehr als jedem anderen, dass hast du heute morgen doch selber gesagt! Eure einzige Chance, an das Gold zu kommen, besteht darin, ihn am Leben zu lassen und nicht mehr weiter zu martern!“ Jetzt lachte der Kiowa laut auf: „Old Shatterhand hat wohl nicht zugehört heute morgen? Die Kröte namens Winnetou ist nicht mehr zu retten, er stirbt, daran kannst auch du nichts mehr ändern! Du willst mit deinen Lügen nur erreichen, dass man dir die Hände freigibt – angeblich, um Winnetou zu helfen, in Wirklichkeit aber nur, um Gegenwehr zu leisten!“ Er verpasste meinem Freund noch einen weiteren Fußtritt, ging dann hinaus und ließ mich in einer solch rasenden Wut zurück, dass es fast schon schmerzte. Vor dem Zelt wurde es plötzlich laut. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde dort lauthals gestritten, und diesmal konnte ich die Stimmen eindeutig dem Kiowa-Häuptling und Wayne Thomson zuordnen. Sie gaben sich keinerlei Mühe, leise zu sprechen, so erregt waren beide. Angespannt lauschte ich eine Weile, und nach ein paar Minuten war mir nicht nur der Grund des Streites zwischen dem Weißen und dem Roten klar geworden. Beide kannten sich offenbar schon länger und bildeten seither eine Art Zweckbündnis. Thomson hatte in dieser Zeit den Kiowas mehrere Siedlertrecks zum Ausrauben in die Hände geliefert und sie nebenbei auch mit Feuerwasser versorgt. Dafür konnte er jederzeit auf den Schutz des Stammes hoffen, wenn er mal wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Außerdem standen ihm immer so viele Krieger zur Verfügung, wie er für seine Raubzüge und seine gesetzeswidrigen Geschäfte benötigte. Als er jetzt durch Zufall auf die Goldsucher gestoßen war, hatte er sich wieder der Krieger Motawatehs bedient, um diese zu überfallen und das Leder zu stehlen, auf dem der Fundort des Goldes vermerkt war. Der Überfall war, wie wir ja wussten, misslungen, da die Kiowas statt auf die Digger auf uns gestoßen waren und wir sie auch mit der Hilfe von dem vorher zufällig hinzugekommenen Sam Hawkens in die Flucht schlagen konnten. Für Thomson gab es nun keine Möglichkeit mehr, die Goldsucher vor ihrem Eintreffen in Farmington, wo sie auf uns warten wollten, zu ergreifen, und so hatte er sich auf die einzige Chance konzentriert, die er noch hatte, um an sein Gold zu kommen, und das war Winnetou. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, wie schwierig es sein würde, aus uns das Geheimnis herauszupressen und hatte deswegen zunehmend die Nerven verloren. Im Moment stritt er sich mit Motawateh um das weitere Vorgehen. Der Kiowahäuptling wollte auf keinen Fall meine Fesseln lösen, damit ich Winnetou helfen konnte, da er sowieso nicht daran glaubte, dass dieser sein Geheimnis verraten würde, auch mir nicht. Insgeheim stimmte ich mit ihm da völlig überein, aber Thomson sah das anders und drohte Motawateh, ihm in Zukunft sämtlichen Alkohol vorzuenthalten, sollte dieser nicht alles Menschenmögliche tun, um doch noch an das Gold heranzukommen. Der Streit währte mittlerweile schon ein paar Minuten, doch jetzt entfernten sich die lauten Stimmen langsam, so dass mir wieder leisere Geräusche ans Ohr dringen konnten. Eines davon war ein unterdrücktes Stöhnen, welches zweifellos von Emery stammte, dessen Kopf sich jetzt auch zu bewegen begann. Sofort rief ich ihn an, und nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihm dann auch, langsam den Kopf zu heben und mich anzusehen, wobei sein Blick noch etwas verschwommen wirkte. Kurz darauf hatte er aber wieder alle fünf Sinne beieinander. Er schüttelte sich kurz, als ob er den letzten Schwindel vertreiben wollte und war dann wieder voll aufnahmefähig. Er konnte sich auch an alles bis dahin Geschehene erinnern, was sich unter anderem dadurch zeigte, dass er sich wieder in lauten Flüchen erging und unseren Gegnern die schlimmsten Konsequenzen androhte, sollte er jemals wieder die Hände frei bekommen. Wir erzählten dem Engländer kurz, was während seiner Besinnungslosigkeit geschehen war, und als er von den Misshandlungen gegenüber Winnetou erfuhr, bebte sein ganzer Körper vor ohnmächtiger Wut: „Wartet nur, bis ich die Kerle in die Finger bekommen“, zischte er. „Ich werde sie wie Würmer zerquetschen!“ Gerade wollte er uns in aller Ausführlichkeit unterbreiten, was er mit den Verbrechern im Falle unserer Freiheit zu tun gedachte, da wurde wieder einmal das Fell vor dem Zelteingang zurückgeschlagen und Wayne Thromson trat ein. Er beachtete Emery gar nicht, aus dessen Augen wahre Blitze schossen, sondern kam direkt auf mich zu. Ohne Umschweife begann er: „Motawateh erlaubt nicht, dass ich Euch auch nur eine Hand freigebe, damit Ihr Euch um die Rothaut hier kümmern könntet. Er ist der Meinung, dass Ihr daraus sofort eine Fluchtmöglichkeit herleiten würdet. Lächerlich! Selbst wenn ich Euch sämtliche Stricke abnehmen würde, kämt Ihr hier nicht raus!“ Ich sah ihn nur unverwandt an, zeigte sonst keine Reaktion. Fieberhaft suchte ich im Stillen nach einer Möglichkeit, den Kerl doch noch dazu zu bringen, mir die Fesseln abzunehmen. Thomson fuhr fort: „Der Häuptling ist übrigens fest davon überzeugt, dass Euer Indianer hier nicht mehr lange leben wird. Er wurde, wie Ihr seht, von einem Thomahawk an der Stirn getroffen, und dieser Hieb war so heftig, was zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht beabsichtigt war, dass er sofort bewusstlos zusammenbrach. Seitdem wird sein Puls immer schwächer. Motawateh hat seinen fähigsten Medizinmann zu Rate gezogen, und der hat ihm Winnetous baldigen Tod vorausgesagt, ohne dass er nochmal zu sich kommen wird.“ Wider Erwarten begann der Schurke jetzt lauthals zu lachen: „Das Gesicht des Häuptlings hättet Ihr mal sehen sollen! Er hatte sich seine blutige Rache an dem Apatschen in den prächtigsten Farben ausgemalt, wollte diesen vor Schmerzen brüllen sehen und jetzt hat er sich selber dieser Möglichkeit beraubt, hahahaha!“ Der Kerl schlug sich doch tatsächlich vor Lachen auf die Schenkel, und mich fröstelte innerlich angesichts der Gottlosigkeit des Verbrechers. Dieser erzählte unaufgefordert weiter: „Na ja, der Krieger, der mit dem Thomahawk zugeschlagen hatte, ist dem Apatschen jetzt schon mal in die ewigen Jagdgründe vorausgegangen, denn Motawateh hatte seine Wut an ihm ausgelassen, nachdem der rote Hund hier dafür bedauerlicherweise nicht mehr zur Verfügung stand!“ Wieder lachte Thomson lauthals los, und in den Gesichtern meiner Gefährten spiegelte sich der gleiche Ekel wieder, den ich auch vor dem Kerl empfand. Jetzt aber schien sich der Bandit wieder daran zu erinnern, warum er mir das alles überhaupt mitteilte. Er sah mich mit einem finsteren und zugleich doch erwartungsvollen Blick an und begann: „Ihr spracht davon, dass der Apatsche auf Euch hören wird und Euch sein Versteck verrät. Ich könnte mir vorstellen, dass sich dieser alberne Medizinmann mit seiner Vorhersage getäuscht hat und Euer Lieblingsindianer vielleicht doch noch mal erwacht.“ Er sah mich jetzt durchdringend an. „Da Ihr Eure Hände nicht benutzen könnt, werde ich sie Euch jetzt ersetzen. Also, was würdet Ihr nun tun, um die Rothaut wieder zur Besinnung zu bringen?“ Einen Augenblick lang starrte ich ihn fast sprachlos an. Glaubte der Kerl ernsthaft, dass ich ihm wirklich erlauben würde, Winnetou auch nur zu berühren? In Windeseile ging ich sämtliche Möglichkeiten durch, die mir blieben, nur um feststellen zu müssen, dass ich keine Wahl hatte. Wenn ich mich jetzt weigerte, ihm die gewünschte Auskunft zu erteilen, würde er seine cholerische Wut gnadenlos wieder an meinem Freund auslassen, soviel war sicher. Aber wenn es Thomson tatsächlich gelingen würde, dass der Apatsche wieder zu sich kam – würde ich dadurch nicht Winnetous Qualen nur verlängern? Oder würde sich eher vielleicht doch noch eine Möglichkeit bieten, in der wir einen Fluchtversuch wagen konnten? „Nun? Soll ich Euch Beine machen? Oder soll ich es auf meine Art versuchen, Euren Freund hier aufzuwecken?“ Thomson war schon wieder nahe dran, die Geduld zu verlieren, also erklärte ich ihm schnell, wie er am besten vorzugehen hatte. Es kostete mich allerdings unendlich viel Kraft, ruhig mit anzusehen, wie er seine dreckigen Finger erst an das Handgelenk und dann auf die Brust meines Freundes legte, um die Herzschläge zu zählen. Aber all das war besser als eine Messerspitze! Kurze Zeit später stand für mich fest: Wenn der Schurke sich nicht verzählt hatte, dann war davon auszugehen, dass Winnetous Herz sehr langsam und unregelmäßig schlug, außerdem war es wohl äußerst schwierig gewesen, die einzelnen Pulsschläge überhaupt zu ertasten. Ihm ging es alles andere als gut, und ich konnte mir eigentlich nicht mehr vorstellen, dass er ohne medizinische Hilfe überhaupt wieder zu sich kommen würde. Thomson bestand aber darauf, dass jetzt irgend etwas getan werden musste. Er war besessen von seiner Goldgier und wollte jede noch so kleine Möglichkeit ausschöpfen, um an sein Ziel zu kommen. Also riet ich ihm, meinem Freund mit kaltem Wasser getränkte Tücher so vorsichtig wie möglich auf die Stirn und in den Nacken zu legen, mehr konnten wir beim besten Willen nicht tun. Er folgte meiner Aufforderung, wobei ich mir aber auf die Lippen beißen musste, um nicht laut aufzustöhnen bei dem Anblick, denn sein Tun war alles andere als sanft oder vorsichtig zu nennen. Danach blieb er noch eine Weile abwartend neben uns sitzen, doch der Apatsche rührte sich nicht, und das hatte ich, ehrlich gesagt, angesichts seines schlechten Zustandes auch gar nicht erwartet. Trotzdem erklärte ich dem Banditen, dass er noch etwas Geduld haben müsse, da man manchmal bis zu einer Stunde oder mehr warten müsse, bis sich ein Erfolg einstellen würde. Geduld war aber alles andere als eine Stärke des Schurken, und so erging er sich nochmals in wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen, bevor er wütend das Zelt verließ und dabei ankündigte, später wiederzukommen. Zum Glück ließ er seine Wut nicht wieder an Winnetou aus; aber er hatte offensichtlich doch eine leise Hoffnung, dass dieser ihm noch nützlich sein konnte, und diese Hoffnung würde ich weiter schüren, so lange es nur ging. Mittlerweile war der Nachmittag schon angebrochen. Bisher hatte man uns weder Speise noch Trank gereicht, aber ich verspürte auch überhaupt keine Lust darauf; zu sehr hatten meine Sorgen um Winnetou mich in ihren Bann gezogen. Selbst die strammen Fesseln oder die Auswirkungen der Schläge konnten mir in diesem Zustand nichts anhaben, und meinen Gefährten ging es genauso. Außerhalb des Zeltes war kein Geräusch zu hören, aber da wir nicht sicher sein konnten, ob man uns nicht doch heimlich belauschte, unterhielten wir uns nur leise flüsternd. Plötzlich wurde unser Gespräch von einem heftigen Aufatmen, ja, fast schon einem unterdrückten Stöhnen unterbrochen. Ruckartig flogen unsere Köpfe in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und – es war niemand anderes als Winnetou, der sich ganz langsam zu bewegen begann und dabei tief Luft holte! Völlig gebannt beobachtete ich meinen Freund und konnte kaum glauben, was ich da sah. Er begann, nacheinander kurz alle Gliedmaßen, soweit es ging, zu bewegen, hielt die Augen aber noch geschlossen. Dabei registrierte er wohl, dass man ihn gefesselt hatte, und sofort lag er wieder bewegungslos und ließ keinen Ton mehr hören. Ich wusste sofort, warum. Er hatte natürlich bemerkt, dass er gefangen war, und vermutete jetzt, dass seine Bezwinger sich noch in seiner Nähe befanden. Winnetou und ich waren ja schon mehrfach gefangen gewesen und hatten immer wieder festgestellt, dass es sinnvoller ist, so lange wie möglich den Bewusstlosen zu spielen, da man so meistens mehr über die Pläne der Gegner in Erfahrung bringen konnte. Um ihn dahingehend zu beruhigen und ihm meine Anwesenheit mitzuteilen, rief ich ihn leise flüsternd, fast schon hauchend, beim Namen, so dass selbst Emery Schwierigkeiten hatte, mich zu verstehen. Ich aber war in großer Sorge, dass man außerhalb des Zeltes Winnetous Erwachen mitbekam, da ich mir denken konnte, dass man ihn dann wieder den schlimmsten Qualen aussetzen würde. Trotzdem ich so leise gerufen hatte, hörte Winnetou meine Worte und drehte sofort den Kopf in meine Richtung. Jetzt hatte er die Augen geöffnet, konnte mich aber dennoch nicht richtig erkennen, da ihm das Blut aus der Stirnwunde immer wieder in die Augen lief. Zum ersten Mal sah ich jetzt richtig sein Gesicht, und es war ein Anblick zum Gotterbarmen! Mein Freund rief genauso leise zurück: „Scharlih?“, und aus diesem einen geflüsterten Wort war seine ganze Liebe zu mir, seine Freude und gleichzeitig eine unbändige Erleichterung zu hören, die er auch gleich darauf leise und stockend äußerte: „Mein Bruder – Manitou sei Dank, du bist am Leben!“ Offenbar hatte sich während meiner Bewusstlosigkeit bei unserer Gefangennahme etwas ereignet, was Winnetou im Glauben gelassen hatte, dass ich vielleicht getötet worden war. Mir selber traten jetzt die Tränen in die Augen, so unendlich froh war ich, den geliebten Freund bei Bewusstsein zu sehen! Sofort erklärte ich ihm die Lage und betonte nochmals, wie wichtig es jetzt war, dass wir so leise wie möglich waren. Es fiel mir schwer, aber ich musste ihm auch von der Folter ihm gegenüber berichten, damit er die für ihn so gefährliche Situation richtig einschätzen konnte. Während meines Berichtes hoffte ich von ganzem Herzen, dass niemand unserer Feinde hereinkommen würde. Winnetou verstand sofort, vor allem begriff er die seelische Not, in der ich mich befunden hatte und immer noch befand, und tat alles, um mich zu beruhigen. Es war deutlich zu sehen, dass die Martern und der dadurch entstandene Blutverlust ihn sehr geschwächt hatten, und auch wenn er alles daransetzte, um sich seine starken Schmerzen nicht anmerken zu lassen, ich konnte sie in seinen Augen sehen. Es ging ihm überhaupt nicht gut, und bei seinem Anblick war es wirklich ein Wunder zu nennen, dass er überhaupt wieder zu sich gekommen war. Für uns aber, und wahrscheinlich vor allem für mich, täuschte er nun Stärke und fast schon Wohlbefinden vor. Wie gerne, oh wie gerne hätte ich ihn jetzt in meine Arme genommen, um ihm Trost und Halt zu spenden! Es war einfach zum Verzweifeln! Während er meinem leise geflüsterten Bericht lauschte, bemerkte ich, dass er seine Hände, die ihm auch auf den Rücken gefesselt waren, ständig hin und her bewegte. Als ich ihn nach dem Grund fragte, antwortete er: „Diese feige Kröte namens Motawateh irrt sich, wenn sie glaubt, uns vollständig in ihrer Hand zu haben. Die Kiowas nahmen an, dass Winnetou nicht mehr erwachen wird und haben ihn deshalb viel zu nachlässig an den Händen gefesselt. Winnetou denkt, dass er nach kurzer Zeit die Fesseln lösen kann!“ Welche Wirkung seine Worte auf uns hatten, kann man sich wohl denken. Zum ersten Mal, seitdem ich am Morgen wieder zu mir gekommen war, tauchte so etwas wie ein Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont auf! Trotzdem bat ich den Apatschen voller Sorge: „Ich bitte dich, mein Freund, sei vorsichtig! Du hast so viel Blut verloren, deshalb darfst du dich auf keinen Fall zu sehr anstrengen! Du musst dich wirklich schonen, hörst du?“ Winnetou nickte nur, während er weiterhin unermüdlich an seinen Fesseln zerrte. In der Zwischenzeit begann er uns zu berichten, was seit dem Überfall der Kiowas alles geschehen war. Kapitel 11: Höchstes Glück -------------------------- Dreizehn Tage vorher: Umsichtig wie stets hatte Winnetou direkt nach den Schüssen und der Flucht der zwei Verbrecher das Feuer am Lagerplatz bis auf einige wenige glühende Zweige gelöscht, damit wir nicht hell beleuchtet zum möglichen Ziel werden würden, falls die Fliehenden wider Erwarten ihre Verfolger auszutricksen versuchten und durch einen Umweg zurück zum Lager schlichen, um sich zu rächen. Mir gab mein Freund jetzt einen dieser glühenden Zweige in die Hand, nachdem er sich mit mir in den Schutz der Bäume zurückgezogen hatte. Mit diesem sollte ich die völlig unbedenkliche und darum eigentlich gar nicht erwähnenswerte Wunde an meiner Wange beleuchten, damit Winnetou sie jetzt gründlicher und genauer versorgen konnte als vorhin. Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass dies nun wirklich nicht nötig sei, aber da die kleine Verletzung immer noch leicht blutete, ließ er sich nicht davon abhalten und wollte darüber auch überhaupt nicht mehr mit mir diskutieren. Ich ließ ihm also seinen Willen – etwas anderes wäre mir, ehrlich gesagt, auch gar nicht übriggeblieben – und musste mir währenddessen eingestehen, dass ich es im Stillen sogar sehr genoss, von meinem geliebten Freund so umsorgt zu werden, zumal er es auf eine solch feinfühlige, fürsorgliche und liebevolle Weise tat, dass mir wirklich das Herz aufging. Wie gerne wäre ich in diesem Moment mit ihm alleine gewesen! Wie sehr liebte ich diesen herrlichen Mann! Die Apatschen, die von ihrer voraussehbar erfolglosen Verfolgungsjagd auf die beiden Verbrecher zurückgekehrt waren, hatten inzwischen die gefangenen Banditen geknebelt und auf ihre Pferde gebunden, während Emery und die restlichen Krieger sich um die befreiten Goldsucher bemühten, die ihr Abenteuer zwar gesund und unverletzt überstanden hatten, allerdings immer noch regelrecht unter Schock standen. Winnetou ging, nachdem er sich meiner Verletzung doch um einiges länger als nötig gewidmet hatte, zu den Unglücklichen herüber, um sich von ihrer körperlichen Unversehrtheit zu überzeugen, damit er sicher sein konnte, dass sie den Ritt zurück zu den Siedlern auch ohne gesundheitliche Folgen überstehen würden. Ich trat auch hinzu, da ich mir denken konnte, dass die verängstigten Männer in dieser Situation uns Weißen doch mehr Vertrauen schenken würden als den ihnen unbekannten Indianern. Deshalb sprach ich eine kleine Weile beruhigend auf sie ein und erklärte ihnen, wer wir waren und aus welchem Grund wir uns ihrer angenommen hatten. Den Jünglingen war die Erleichterung über ihre Befreiung deutlich anzusehen, und nachdem sie nun wussten, wer wir waren – Winnetous und mein Name war ihnen schon vorher bekannt gewesen – schlug ihre Stimmung schon fast ins Fröhliche um; sie waren sich jetzt gewiss, dass ihnen von nun an nichts mehr geschehen konnte. Wir hatten vor, an unserem Lagerplatz in den Hügeln den Rest der Nacht zu verbringen, wollten aber den Weg dorthin in völliger Dunkelheit und Stille zurücklegen, um vor einer eventuellen Verfolgung Thomsons und seines Kumpans sicher zu sein. Ich instruierte die verhinderten Goldsucher deshalb auf das Genaueste, damit sie keinen Fehler begingen, durch den sie uns alle in Gefahr bringen konnten. Emery trat jetzt auch hinzu und erkundigte sich zwischendurch kurz nach einer möglichen Gefährlichkeit meiner Wunde, wobei ich ihn aber schnell beruhigen konnte. Daraufhin schlug er mir nicht gerade sanft auf die Schulter und meinte: „Hast mal wieder Glück gehabt, nicht wahr? Du und Winnetou, ihr scheint es aber auch wirklich für euch gepachtet zu haben – und Gott sei Dank ist dem so!“ „Ja“, erwiderte ich mit einem nur angedeuteten Lächeln. „Gott sei Dank! Ich möchte auf diese gefährlichen Momente aber dennoch gerne verzichten, vor allem, wenn es um Winnetou geht und er immer nur so gerade eben mit dem Leben davonkommt!“ „Ach, um den mach dir mal keine Sorgen!“, entgegnete der Engländer mit einer wegwerfenden Handbewegung launig: „Der ist wie eine Katze, eine Katze mit mindestens sieben Leben!“ „Hm“, machte ich skeptisch. „Ich hoffe einfach mal, dass du damit recht behältst...“ Wieso kribbelte meine Kopfhaut nur so unangenehm bei diesen Worten? In mir brandete auf einmal ein ungutes Gefühl auf, eine Ahnung, als ob sich Emerys Worte in nicht allzu ferner Zukunft ins Gegenteil verkehren würden, und ich hoffte von ganzem Herzen, dass diese Ahnung niemals eintreffen würde! Nun waren alle notwendigen Maßnahmen abgeschlossen und somit machten wir uns auf den Weg zu unserem vorherigen Lagerplatz. Winnetou setzte sich sofort an die Spitze und machte den Anführer, denn in dieser Hinsicht war Emerys Vergleich mit der Katze richtig: Mein Freund hatte ebenso gute Augen wie eine solche und führte uns nun mit einer Sicherheit durch die stockdunkle Nacht, die ihresgleichen suchte. Emery und ich hielten uns an der Seite der jungen Mitglieder der Familie Butterfield und sahen uns während des mehr als halbstündigen langsamen Rittes immer wieder genötigt, die erleichterten Männer zur Ruhe zu mahnen. Deren Freude über den glücklichen Ausgang ihrer Gefangennahme äußerte sich nämlich darin, dass ihre zuerst nur flüsternd geführte Unterhaltung immer lauter zu werden drohte und sie ihrer überschäumenden Glücksgefühle kaum mehr Herr werden konnten. Die restlichen Apatschen bewachten die Gefangenen und sorgten dafür, dass diese nicht auf die Idee kamen, durch laute Geräusche oder Ähnlichem auf sich aufmerksam zu machen – rufen konnten sie ja aufgrund der Knebel nicht. Wir kamen dann auch ohne Störung an unser Ziel, und während wir den Lagerplatz für den Rest der Nacht herrichteten, machten sich Winnetou und Tsain-tonkee daran, die Umgebung sorgfältigst nach unerwünschten Gästen abzusuchen. Wenn es jemanden gelingen würde, feindliche Späher aufzuspüren und zu stellen, dann diesen beiden, so viel war sicher. Sie ließen sich auch viel Zeit für ihre Aufgabe, so dass ich fast schon unruhig werden wollte, als wir das Lager schließlich vollständig hergerichtet sowie die Pferde versorgt hatten und nun auf die Rückkehr der beiden warteten. Da sie aber zu unserer aller Sicherheit einen großen Umkreis abgesucht hatten, und das äußerst gründlich, verging über eine halbe Stunde, bis die beiden Apatschen wieder im Lager auftauchten. Sie taten das so leise und standen dann beide so plötzlich und unerwartet wieder in unserer Mitte, dass sie damit den beiden jungen Butterfields einen heillosen Schrecken einjagten, woraufhin Emery sich äußerste Mühe geben musste, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Wir nahmen noch ein kurzes Nachtmahl zu uns und legten uns anschließend zur Ruhe, während Tsain-tonkee und ein weiterer Apatsche die erste Wache übernahmen. Winnetou und ich waren von der Nachtwache befreit worden, darauf hatten Emery und auch Tsain-tonkee bestanden, und wir hatten es uns gerne gefallen lassen. Wir lagen wie üblich beieinander, und zu meiner Freude konnte ich feststellen, dass mein Freund, kaum war das Feuer bis auf eine winzige Glut heruntergebrannt und das Lager in tiefe Dunkelheit getaucht, ganz dicht zu mir heran robbte, sich mir zugewandt auf die Seite legte und wie zufällig seinen Arm auf meinen Oberkörper sinken ließ. Mir wurde unter dieser Berührung heiß und kalt zugleich, mein ganzer Körper reagierte augenblicklich und in mir zog sich alles zusammen. Himmel, was löste dieser Mann mit nur einer Berührung alles in mir aus! Um nicht in weitere Verlegenheiten zu geraten, nahm ich seine Hand in meine beiden Hände und drückte sie fest an mich. Ein wohliger Seufzer entfuhr ihm, woraufhin ich ihm so leise wie möglich zu hauchte: „Ich liebe dich so sehr!“ Sein darauffolgendes Lächeln konnte ich zwar nicht sehen, aber deutlich spüren, und seine Antwort bestand aus einem leisen Streicheln meines Handrückens mit seinem Daumen. Kurze Zeit später hörte ich an seinen regelmäßigen und tiefen Atemzügen, dass er eingeschlafen war. Ich selber sah in das sich hoch über uns wölbende Firmament, welches ich auch immer in Winnetous Augen erkannte, betrachtete die unendliche Weite mit ihren blinkenden Sternen und genoss mein Glück in vollen Zügen, bis mich irgendwann ebenfalls der Schlaf in seine sanften Arme nahm. Allerdings hatte ich mich zuvor ebenfalls auf die Seite gedreht und eine solche Lage eingenommen, dass sie auf unsere Gefährten, sollten sie auf uns aufmerksam werden, nicht befremdlich wirken würde. Ich war tatsächlich leicht verwundert, dass Winnetou sich nicht selbst von alleine darum bemüht hatte. War es ihm mittlerweile im Kreise seiner Apatschen schon gleichgültig, wie diese unsere Beziehung beurteilten? Dann blieb aber noch Emery, der uns zwar ein sehr guter Freund, von dem ich aber trotzdem sicher war, dass er über das tatsächliche Ausmaß unserer Gefühle zueinander bestenfalls hochgradig erschrocken sein würde. Über die Gefangenen brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, sie lagen etwas abseits und konnten uns nicht sehen, und den beiden Butterfields traute ich eine solch genaue Beobachtungsgabe schon mal gar nicht zu. Oder war es ein Zeichen von Winnetous grenzenlosem Vertrauen zu mir, dass er sich sicher war, ich würde schon für alles Notwendige sorgen? Was es auch war, ich war so froh über die Tatsache, dass er sich in dieser Hinsicht etwas öffnete und seine Gefühle nicht nur zuließ, sondern sie auch, zumindest vor mir, deutlich zeigte. Als ich am nächsten Morgen erwachte, sagte mir der Stand der Sonne, dass es fast neun Uhr sein musste. Winnetou war schon fort; er hatte zur Sicherheit nochmals unsere Umgebung auskundschaften wollen. Für mich gab es im Augenblick nichts zu tun; das Frühstück hatten meine Gefährten schon vorbereitet und selbst unsere Pferde waren von den uns begleitenden Apatschen mitversorgt worden. Ich hatte also Zeit, mich mit unseren beiden Neuzugängen etwas intensiver zu befassen, und das tat ich dann auch. Vor allem interessierte mich die Tatsache, warum die Ganoven so sicher gewesen waren, dass es bei den angehenden Goldsuchern etwas zu holen gab. Als Winnetou und ich die Banditen belauscht hatten, war Wayne Thomson ja fest davon ausgegangen, dass die Butterfields Kenntnis über ein Goldversteck hatten, und ich wollte wissen, warum. So gewissenlos und mordgierig der Unmensch auch war, er war nicht dumm und musste auch bemerkt haben, dass die Jünglinge völlig unerfahren waren und keineswegs die Fähigkeiten von erfolgreichen Goldsuchern besaßen. Also setzte ich mich zu den beiden jungen Männern, die übrigens Frederic und Martin hießen, und fragte sie behutsam nach den Geschehnissen seit ihrer Abreise aus Carlsbad aus, denn dort war der Großteil der Familie beheimatet. Unterdessen brachte mir der aufmerksame Emery ein reichhaltiges Frühstück und setzte sich dann dazu. Viel Neues erfuhren wir allerdings nicht, wir hatten das meiste schon bei den Siedlern von den restlichen Familienmitgliedern gehört. Dann aber berichtete Frederic während seiner Erzählung von einem Abend, den die Gruppe in einer von haushohen Felsen umgebenden Talmulde verbracht hatte. Dort war ihr Gespräch auch zwischenzeitlich auf den sagenhaften Goldschatz des alten Indianers gekommen, und sie hatten dabei in den höchsten Tönen von ihrem zukünftigen Reichtum geschwärmt. Frederic war sich aber sicher, dass sie an diesem Abend das Leder, auf dem das Versteck eingezeichnet war, mit keinem Wort erwähnt hatten. Auch ich war davon überzeugt, denn ansonsten hätten die Banditen, die zu dem Zeitpunkt, dessen war ich mir sicher, die Familie auf einem der hohen Felsen belauscht hatten, sofort angegriffen und sich des Leders bemächtigt, wobei die jungen Männer wohl nicht mit dem Leben davon gekommen wären. Kurz darauf kam Winnetou von seinem Kundschaftergang zurück und signalisierte uns, dass zur Zeit keine Gefahr drohte. Er setzte sich sofort ans Lagerfeuer, und ich spürte, dass er mit mir etwas besprechen wollte. Emery, der heute anscheinend Gefallen daran fand, unsere Bedienung zu spielen, brachte meinem Freund ebenfalls ein schmackhaftes Frühstück und wurde von diesem daraufhin mit einem leisen Lächeln belohnt sowie mit einem dankbaren Blick aufgefordert, sich zu ihm zu setzen. Ich tat es den beiden gleich, und dann begann Winnetou: „Meine Brüder wissen, dass wir die Banditen nicht mit zu den Siedlern nehmen können?“ Ich nickte, und Emery meinte: „Nein, dass sollten wir den guten Leuten nun wirklich nicht antun! Aber wo lassen wir die Kerle dann? Wenn es nach mir ginge – ich würde sie ja schnell im Pecos versenken und wir hätten der Welt einen Gefallen getan...“ Ich warf ihm einen gespielt strafenden Blick zu, woraufhin er ergänzte: „Aber natürlich sind wir im Gegensatz zu diesen Halunken menschenfreundlich und entledigen uns ihrer auf eine viel liebevollere Art und Weise, richtig? Das sollte mir dein strenger Blick doch sagen, Charlie?“ Ich nickte abermals und wollte gerade antworten, da kam Winnetou mir zuvor: „Mein weißer Bruder ist sicher ebenso wie wir der Meinung, dass man Böses niemals mit Bösem vergelten sollte! Doch genug davon. Winnetou hat einen Vorschlag zu machen und möchte wissen, ob seine Brüder damit einverstanden sind.“ Der Engländer sah den Apatschenhäuptling jetzt erwartungsvoll an, während ich zu ahnen glaubte, was er vorhatte, und deshalb in Gedanken schon einmal überlegte, wo sich das nächstliegende Soldatenfort befand. Winnetou schien meine Gedanken zu erraten, denn er machte eine kurze Pause und sah mir gespannt ins Gesicht, weshalb ich mich aufgefordert fühlte, zu fragen: „Das nächstgelegene Soldatenlager ist Fort Summer, richtig?“ „Mein Bruder hat das Richtige erraten!“ antwortete mein Freund mit einem mir zu Herzen gehenden Lächeln. Da er nicht weitersprach, erklärte ich dem etwas ratlos dreinschauenden Emery unser weiteres Vorgehen, sein Einverständnis natürlich vorausgesetzt. „Wir werden heute noch nicht zur Siedlung reiten, sondern einen Abstecher nach Fort Summer machen, wo man nicht nur die Ganoven einem ordentlichen Gericht zuführen wird, sondern wir auch die Familie Butterfield mit einer vernünftigen Ausrüstung versorgen können; ist es nicht so, mein Bruder?“ Winnetou warf mir als Antwort abermals einen liebevollen Blick zu und ergänzte dann: „Winnetou wird einen seiner Krieger als Boten zur Siedlung schicken, damit man dort nicht um uns besorgt wird, denn wir werden das Fort erst gegen Abend erreichen. Somit kehren wir frühestens am morgigen Abend zur Siedlung zurück.“ Emery und ich erklärten uns natürlich beide einverstanden mit Winnetous Vorhaben. Dieser hatte sich aber noch mehr Gedanken gemacht, die er uns jetzt ebenfalls mitteilte: „Winnetou würde, wenn wir glücklich vom Ship Rock zurückgekehrt sind, auf dem Weg zurück zum Pueblo einen Umweg über Farmington machen.“ Farmington war die dem Ship Rock am nächsten gelegene größere Stadt und lag direkt am San-Juan-River. Ich fragte meinen Freund: „Farmington? Möchtest du so schnell dorthin, damit die Familie Butterfield das Gold baldigst umgetauscht bekommt?“ „Auch das“, entgegnete Winnetou. „Ich möchte aber außerdem noch einige wichtige Dinge besorgen, die im Pueblo benötigt werden. Auch der Doktor hatte schon vor kurzem angedeutet, dass er seine Vorräte gerne bald wieder auffüllen möchte; und hatte mein Bruder Scharlih nicht auch vor, ein Telegramm in seine Heimat zu senden?“ Ich nickte bestätigend, und da auch Emery gegen diesen Abstecher nichts einzuwenden hatte, war der anschließende Ritt nach Farmington beschlossene Sache. Nachdem alle Menschen und auch die Pferde versorgt waren, brach die ganze Gesellschaft auf. Wenn ich sage, dass die Menschen versorgt waren, so meine ich nicht die Gefangenen; diese hatten zwar genug Wasser bekommen, aber wir alle waren der Meinung, dass eine kleine Hungerkur zur Strafe für ihre Taten keinesfalls schaden konnte. Während des Rittes überzeugten wir unser ständig, dass wir nicht verfolgt wurden. Teilweise ließen Winnetou oder ich uns weit zurückfallen, da wir die Hoffnung nicht aufgeben wollten, dass uns Thomson in weiter Entfernung auf der Spur war und wir diesen ausgemachten Schurken endlich in unsere Hände bekamen. Allerdings wussten wir auch, dass die Chancen dafür nicht gut standen, denn auf ihrer Flucht hatten die beiden Verbrecher ihre Pferde zurücklassen müssen, so dass erst einmal einige Zeit vergehen konnte, bis sie sich Ersatz besorgt hatten. Aus diesem Grund erreichten wir dann auch gegen Abend unbehelligt das Fort. Kaum erfuhren die Posten, wer ihnen da einen Besuch abstattete, wurden uns auch sofort die Tore geöffnet und wir mit ausgesuchter Höflichkeit hereingebeten. Noch während ich mich über die ausgesprochene Freundlichkeit der Soldaten wunderte, kam uns aus der Offiziersunterkunft der Kommandant des Forts auch schon lächelnd entgegen. Man kann sich vielleicht unser Erstaunen und unsere Freude vorstellen, als wir in ihm den Offizier Ronald Collister erkannten, der uns damals in der Schlucht mit seinen Soldaten zu Hilfe geeilt war und die Geierbande in Gewahrsam genommen hatte! Er war kurz nach den besagten Ereignissen nach Fort Summer versetzt und gleichzeitig zum Kommandanten desselben befördert worden. Aufgrund seiner damaligen tiefen Bewusstlosigkeit hatte Winnetou Collister natürlich nicht kennenlernen können, und um so überraschter war er deshalb, als dieser ihn voller Überschwang und äußerst herzlich begrüßte. Ich hatte ja damals schon bemerkt, dass der Offizier dem Apatschen gegenüber den größten Respekt und Bewunderung entgegenbrachte, und das nicht nur wegen dessen früherer Rettung der Siedler sowie seiner Hilfe für diese, sondern auch aufgrund der vielen anderen Heldentaten, die er schon vorher von ihm vernommen hatte. Deshalb freute sich der Kommandant jetzt wirklich außerordentlich, Winnetou nun endlich persönlich begrüßen zu dürfen und erklärte ihm auch sofort und ohne Umschweife, dass mein Freund jederzeit soviel Hilfe und Beistand aus Fort Summer einfordern konnte und auch sollte, wie es nötig war. Er lud uns herzlich ein, für diesen Abend und diese Nacht seine Gäste zu sein und ließ auch gleich seine besten Unterkünfte für uns herrichten. Uns wurde kaum Zeit zum Durchatmen gelassen, da wir ständig nach unseren Wünschen gefragt wurden und ob wir alles zu unserer Zufriedenheit vorgefunden hätten. Kurz darauf rüsteten sich die beiden verhinderten Goldsucher mit Emerys und meiner Hilfe mit haltbaren Gegenständen und Bekleidungsstücken aus, die sie für die kommende Reise zum Ship Rock benötigten, und vergaßen dabei auch ihre bei den Siedlern wartenden Verwandten nicht. Auch hier hatten wir Mühe, alles ordnungsgemäß bezahlen zu können, denn der Kommandant wollte sich unbedingt für die Gefangennahme der Banditen erkenntlich zeigen, da er der Meinung war, dass ihm dadurch viel Arbeit abgenommen worden wäre. Später am Abend ließ Collister dann alles auftischen, was die Küche hergab, so dass sich die Tische unter der Last fast bogen. Auch der Militärarzt, der Dr. Hendrick in den schrecklichen Tagen damals bei der Behandlung des schwerst verletzten Winnetou zur Seite gestanden hatte und der sich zufällig auch in diesen Tagen auf Fort Summer aufhielt, gesellte sich dazu und begrüßte vor allem meinen Freund aufs Herzlichste. Gemeinsam mit dem Kommandanten erkundigte er sich immer wieder nach Winnetous Befinden und gab seiner Freude über dessen vollständige Genesung lautstark Ausdruck. Ich konnte sehen, dass es Winnetou fast zu viel wurde; er gab mir dann auch mit einem Blick zu verstehen, auf keinen Fall etwas über seinen lebensgefährlichen Zustand nach der Rettung der Siedlerkinder aus dem Fluss verlauten zu lassen. Natürlich tat ich ihm den Gefallen und instruierte auch schnell Emery darüber. Voller Stolz aber beobachtete ich an diesem Abend, wie es meinem Freund gelang, sämtliche Herzen für sich einzunehmen, allein durch seine edle und fast schon königliche Ausstrahlung, wobei er sich trotzdem einer höflichen Zurückhaltung und einer Liebenswürdigkeit bediente, die einfach alle Anwesenden begeisterte. Kommandant Collister suchte aus diesem Grund auch oftmals unsere Nähe, ohne sich aber besonders aufzudrängen, und berichtete zwischenzeitlich von seinen Bemühungen, höhere Stellen von Winnetous Liebe zum Frieden und seinem Einsatz für die Gerechtigkeit, unabhängig der Hautfarbe der Beteiligten, zu informieren. Sogar die Gouverneure von Texas, New Mexico und Arizona hatte er, so oft es ging, zu überzeugen versucht, dass man zumindest den Apatschen so weit wie möglich bei den Friedensbemühungen und der Neuordnung des Landes entgegenkommen müsste. Er war zwar mit seinen Forderungen nicht immer auf Gegenliebe gestoßen, doch zumindest hatte man ihm oftmals Verständnis entgegengebracht, teilweise wurde Collister sogar das Versprechen gegeben, sich der Apatschen und ihrer Belange in Zukunft vermehrt anzunehmen. Winnetou bedankte sich in seiner freundlichen Art bei dem Kommandanten für dessen Mühen, und auch ich äußerte meine Zufriedenheit über diese endlich einmal guten Nachrichten. Man durfte halt die Hoffnung nie aufgeben, dass sich in Zukunft doch etwas zum Guten ändern würde! Der Abend war äußerst kurzweilig und verging darum auch sehr schnell. Vor allem Emery lief mal wieder zur Höchstform auf und unterhielt die ganze Gesellschaft mit seinen äußerst interessanten Erzählungen über verschiedene Begebenheiten in seinem Leben, die er zugleich mit einer gehörigen Portion Humor untermauerte. Aber irgendwann gehen auch die schönsten Stunden vorbei, und so zogen wir uns gegen Mitternacht in unsere Zimmer zurück. Emery, Winnetou und ich teilten uns eine Unterkunft, und somit musste ich in dieser Nacht auf die Nähe meines geliebten Blutsbruders verzichten. Bevor wir am nächsten Morgen aufbrachen, versprach uns der Kommandant, streng darauf zu achten, dass die Ganoven von einem ordentlichen Gericht abgeurteilt werden und vorher auch garantiert keine Möglichkeit mehr zur Flucht bekommen würden. Ihm war es immer noch sehr unangenehm, dass Thomson damals aus dem Gewahrsam der Soldaten entwischt war, obwohl Collister sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Fort aufgehalten hatte und deshalb auch nicht zur Verantwortung zu ziehen war. Zudem sicherte er uns zu, in den nächsten Tagen besonders die Augen aufzuhalten, ob sich der ehemalige Unteranführer der Geier auf der Suche nach unseren Spuren nicht vielleicht doch noch in der Gegend herumtrieb. Nach einer äußerst herzlichen Verabschiedung und der guten Gewissheit, in diesem Fort immer auf Hilfe und Unterstützung bauen zu können, machten wir uns auf den Weg zurück zu den Siedlern. Während des ganzen Rittes bemerkten wir nichts Außergewöhnliches, obwohl wir allesamt vermehrt die Augen und Ohren offenhielten. Zwischendurch umrundeten wir abwechselnd die Gruppe in größeren Umkreisen, aber von Thomson und seinem Kumpan war keine Spur zu entdecken. Ich ging davon aus, dass die Banditen erst einmal damit beschäftigt waren, sich gute Pferde zu besorgen. Danach würden sie wohl aufgrund des Zeitverlustes größere Schwierigkeiten haben, unsere Spuren wiederzufinden. Ich nahm mir aber trotzdem vor, alles daranzusetzen, diesen gefährlichen Verbrecher irgendwann zu fassen, da ich in ihm eine große Bedrohung sah, vor allem für Old Firehand und natürlich erst recht für meinen Winnetou. Ich hatte wegen dessen Verletzung sowieso noch eine Rechnung mit Thomson offen, und die würde ich begleichen, koste es, was es wolle! So erreichten wir ohne Störung oder besondere Vorkommnisse am Abend die Siedlung der deutschen Auswanderer, wo uns zum dritten Mal innerhalb weniger Tage ein begeisterter Empfang bereitet wurde. Die Mitglieder der Familie Butterfield lagen sich binnen Minuten tränenüberströmt in den Armen und fanden vor Glück keine Worte mehr, während die Siedler unseren Erfolg lautstark feierten. Wieder einmal wollten sie uns mit Lob und Dank überhäufen; und als dann auch noch die Butterfields in diese völlig übertriebene Lobhudelei mit einfielen, hatten wir endgültig genug und verbaten uns freundlich, aber bestimmt jede weitere Dankesrede, da wir uns sonst gezwungen sähen, den Abend außerhalb der Siedlung zu verbringen. Das wollte natürlich niemand riskieren, und somit hielt sich ab diesem Zeitpunkt die ganze Gesellschaft merklich zurück. Trotzdem wurden wir mit einer solch liebevollen Gastfreundschaft verwöhnt, wie ich sie selten woanders erleben durfte. Am Ende eines fröhlichen Abends wurden uns wieder die gleichen Räumlichkeiten wie zwei Tage zuvor überlassen, und trotz aller Annehmlichkeiten waren Winnetou und ich froh, als wir uns dann letztendlich doch zurückziehen konnten. Gewohnheitsmäßig schloss ich die Tür ab, bevor wir uns noch kurz erfrischten, uns der Kleidung entledigten und uns schließlich beide zur gleichen Zeit mit einem lauten Aufseufzen in das große Doppelbett fallen ließen. Wir sahen uns an, und beide brachen wir gleichzeitig in leises Gelächter aus, als uns bewusst wurde, wie sehr auch der jeweils andere unter den übertriebenen Freundlichkeiten unserer Gastgeber „gelitten“ hatte. Kurz darauf lagen wir, beide auf der Seite liegend, uns schweigend gegenüber und genossen einfach nur unser Zusammensein, sahen uns dabei tief in die Augen. Winnetou strich mir mehrere Male durch die Haare, seine wunderbaren Augensterne saugten dabei meinen Blick förmlich auf. Leise flüsterte er: „Deine Augen...“ Ich erwiderte ebenso leise: „Was ist mit ihnen?“ „Sie sind von einem solchen Blau....“, antwortete er versonnen. „So unendlich.....“ Ich lächelte. Er fuhr fort: „Sie sind wie das Blau des Himmels am Ende eines sonnigen Tages...wie kann ein Mensch nur solch blaue Augen haben?“ Wieder lächelte ich und erwiderte: „Und ich frage mich auch immer, wie die deinigen so dunkel, fast nachtschwarz sein können, so dass ich jedesmal den unendlichen Sternenhimmel darin bewundern darf...“ Nun umspielte seine Lippen ein leises Lächeln. * Achtung: Slashwarnung! * Lange Zeit sahen wir uns nur an, und irgendwann bemerkte ich, dass in seinen Augen regelrechte Flammen aufloderten. Ich selber hatte meine nur mühsam unterdrückte Begierde die ganze Zeit über in meinem Innersten zu verbergen versucht, aus Sorge, es könnte jemand unfreiwillig Zeuge werden, sollten wir uns unserer Leidenschaft doch noch hingeben. Jetzt jedoch konnte ich mich einfach nicht mehr beherrschen; ich sah die Sehnsucht in den Augen meines Freundes und spürte, wie meine Lust sich hemmungslos Bahn brach. Langsam hob ich meine Hand. Meine Fingerspitzen legten sich unendlich sanft auf seine Stirn, fuhren dann wie in Zeitlupe weiter über seine Wangen, seine Lippen, seinen Hals, während er mich mit seiner Hand in meinen Nacken zu sich heranzog. Nach kurzem Zögern begann er, meinen Mund mit seinen herrlichen Lippen sanft und vorsichtig zu erkunden, woraufhin ich ein Aufstöhnen mühsam unterdrücken musste. Gleichzeitig ließ ich meine Hand weiter über sein Gesicht, seinen Hals und seinen Oberkörper gleiten, während ich mich so legte, dass ich mit meiner anderen Hand sein wundervolles, samtig glänzendes, schwarzes Haar berühren konnte und meine Finger sich sofort darin verflochten. Auch er begann jetzt, mit seiner feingliedrigen Linken über meinen Rücken zu streicheln, während seine Rechte immer noch in meinem Nacken lag und verhinderte, dass ich den Kopf auch nur wenige Millimeter bewegen konnte. Jedes Mal, wenn sich seine Hand auf meinem Rücken zu weit nach unten bewegte, schoss ein weißglühender Blitz durch meinen Körper, und innerhalb von Sekunden war ich bretthart. Wieder wollte ich aufstöhnen, doch sein Mund verschloss mich, und das war wahrscheinlich auch gut so. Aufgrund meiner steigenden Begierde fuhr ich nun mit meiner Hand schneller über seinen Körper, und die Finger der anderen Hand begannen, seine Haare richtiggehend zu durchwühlen. Seine Linke wanderte jetzt nach vorne auf meine Brust, umspielte und reizte meine Brustwarzen und meine Lust steigerte sich ins Unermessliche. Es kostete mich größte Mühe, nicht laut zu werden, wobei mir Winnetous Lippen auf meinem Mund etwas halfen. Doch dann löste er den innigen Kuss und ließ seine Lippen an meinem Kinn und Hals entlang abwärts wandern, nahm aber gleichzeitig seine Rechte aus meinem Nacken und legte deren Finger auf meine Lippen. Sie fanden auch sofort Einlass und erkundeten nun meinen Mund, während seine Lippen auf meinen Brustwarzen angelangt waren und das Spiel seiner Finger dort heiß und fordernd fortsetzten. Ich hätte mein lautes Aufstöhnen nicht mehr verhindern können, aber seine Hand sorgte jedes Mal dafür, dass es nur leise und unterdrückt meinem Mund entfliehen konnte. Meine Erregung erreichte nun ungeahnte Höhen und so presste ich meinen ganzen Körper an den meines Freundes, wobei ich zu meiner Freude deutlich spüren konnte, dass die Leidenschaft auch ihn vollständig mitgerissen hatte. Ich fasste ihn an den Hüften und drückte ihn so an mich, dass unsere Schäfte sich berührten, und während seine Hand meinen leisen Aufschrei minimierte, vergrub er sein Gesicht in meine Brust, um nicht zu laut zu werden. Ich erkannte, dass ich schon wieder kurz vor der Explosion stand, und er schien es auch zu bemerken, denn sofort löste er seinen Unterkörper von meinem, kniete sich nun hin, drückte mich mit beiden Händen rücklings auf unser Lager, wobei seine Rechte meinen Mund aus verständlichen Gründen nicht verließ. Mit ungezügelter Begierde widmete er sich mit seinen heißen Lippen weiter meinen Brustwarzen, und ich wusste mittlerweile vor Erregung nicht mehr, wohin mit meinen Händen. Sie fuhren ruhelos durch sein seidiges Haar, glitten über seinen ganzen Oberkörper, dann ließ ich sie wieder auf meine Stirn sinken, um sie kurz darauf wieder den Körper des Apatschen erkunden zu lassen; sie suchten nun ihrerseits die dunklen Spitzen seiner Brust, um diese mal zärtlich, mal fest und mal hart zu reizen. Gleichzeitig umspielten meine Lippen zärtlich seine Finger, saugten und leckten daran und ich empfand selbst die größte Lust dabei. Ich sehnte mich danach, ihn auch an seiner empfindlichsten Stelle berühren zu dürfen, seine Erregung zu spüren, zu schmecken, ins Unendliche zu steigern, aber er ließ mir keinen Raum, sondern fixierte mich kraftvoll auf dem Bett, so dass ich mich kaum bewegen konnte. Während seine Zunge weiterhin meine Brust umspielte und seine Lippen mal sanft, mal hart an den Spitzen saugten, glitt seine Linke ganz langsam an meinem Körper weiter nach unten, wobei ich das Gefühl hatte, dass er keinen Quadratzentimeter Haut ausließ, um sie zu liebkosen. Irgendwann aber waren seine Finger an meinen Lenden angelangt, berührten aber nicht das Zentrum meiner Lust, sondern umspielten nur die direkte Umgebung und trieben mich so in eine wahre Raserei. Ich konnte nicht anders, ich wand mich unter ihm, versuchte, meine Position zu verändern, aber er hielt mich gnadenlos fest. Immer wieder entfuhr mir ein lustvolles Stöhnen, welches er dann sofort mit seiner Hand unterdrückte oder zumindest eindämmte. Irgendwann aber hielt er es selber nicht mehr aus; mit einem Mal umfasste seine Hand vorsichtig meinen Schaft, gleichzeitig ließ er ihn tief in seinen Mund gleiten, und ich glaubte, vor Erregung gleich vergehen zu müssen. Aufgrund seines Positionswechsels musste seine Hand nun meinen Mund verlassen, dafür aber hielt sie meinen Oberkörper immer noch fest nach unten gedrückt, wodurch ich mich weiterhin kaum bewegen konnte. Als er dann noch begann, meinen Schaft langsam und lustvoll zu massieren, mal ganz sachte, mal kräftiger, da musste ich meinen Unterarm zu Hilfe nehmen und ihn vor den Mund pressen, damit mein Stöhnen und Keuchen außerhalb des Zimmers nicht zu hören war. Mit seinen Händen und seinen Lippen brachte er mich fast um den Verstand, und es sah nicht so aus, als ob er seine überlegene Position aufgeben wollte, bevor er mich nicht in die höchsten Höhen der Lust katapultiert hatte. Trotzdem versuchte ich immer wieder, mich in solch einer Weise zu drehen und zu wenden, dass ich auch seine Männlichkeit berühren und verwöhnen konnte, um meine unstillbare Liebe zu ihm auch in dieser lustvollen Form beweisen zu dürfen, aber er gab nicht einen Fingerbreit nach, so dass ich mein Verlangen nach ihm nur in seinem Haar und teilweise auf seinem Oberkörper austoben konnte. Er massierte mich weiter, schneller jetzt, ließ mich noch tiefer in seinen Mund gleiten, seine andere Hand rieb immer noch an meinen Brustwarzen, und ich wusste, ich würde nur noch Sekunden durchhalten können. Ich war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, mein Atem flog nur noch, immer wieder drängten meine Lenden sich ihm verlangend entgegen, Blitze zuckten vor meinem inneren Auge, mein Körper glich einem einzigen heißen Lavastrom, und das einzig Bewusste, was ich noch bei halbwegs klaren Verstand tat, war der Versuch, nicht zu laut zu werden, und es gelang mir wohl auch so leidlich. Es gab für mich nicht den Hauch einer Möglichkeit, ihm etwas von seiner Leidenschaft zurückzugeben, und so gab ich dann auch irgendwann auf und ließ mich einfach in meine Lust und Erregung fallen. Er spürte das wohl auch, verwöhnte mich jetzt noch etwas schneller, ließ mich noch etwas tiefer in seinen Mund gleiten und dann sah ich nur noch Sterne, als meine Lust in einem wahren Feuerball explodierte, eine gefühlte Ewigkeit lang, und mich in einem Zustand der absoluten Glückseligkeit zurückließ. Schwer atmend erspürte ich noch für einige Momente die Nachbeben dieses einmaligen Augenblickes, aber dann dachte ich an meinen Freund und wusste, jetzt, genau jetzt würde ich ihm alles geben, was ich an Liebe für ihn besaß. Er hatte mich während meines Höhepunkts fast schon versonnen beobachtet, so dass meine plötzliche Bewegung für ihn völlig überraschend kam. Ich schnellte hoch, packte ihn schon fast hart an den Schultern und drückte ihn kompromisslos rücklings in die Kissen. Ohne großartiges Vorgeplänkel machte ich mich sofort über seinen hoch aufgerichteten Schaft her, und das mit einer solch heftigen Leidenschaft, dass es mich selber überraschte. Winnetou konnte gerade noch seinen Aufschrei mit den Händen, zumindest halbwegs, unterdrücken, und dann ließ ich ihm keine Luft mehr zum Atmen. Mit beiden Händen massierte ich seine Männlichkeit, mal langsam, mal schnell, mal sanft, mal fester, und ließ meine Zunge und meine Lippen gleichzeitig seine Eichel umspielen. Zwischenzeitlich umfasste eine Hand ganz sanft seine Hoden, drückte sie leicht, um sich dann schnell wieder seiner Erregung zu widmen, und nun musste ich meine ganze Kraft einsetzen, um ihn in einer einigermaßen ruhigen Lage zu halten, solch eine rasende Begierde entfachte ich in ihm. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich seines altbewährten Hilfsmittels, eines Kissens, zu bedienen, und dennoch war sein Keuchen und Stöhnen deutlich zu hören, zumindest für mich. Er war schon durch seine Handlungen mir gegenüber hochgradig erregt gewesen, so dass es nun nicht mehr lange dauerte, bis ich ihn soweit hatte. Mir blieb kaum mehr Zeit, seine unglaublich seidige Haut über dem harten und heißen Fleisch zu lecken, zu genießen. Als ich das erste Pulsieren seines Schaftes in meinem Mund spürte, ließ ich meine Zunge noch einige Male heftiger über die empfindlichste Stelle seiner Eichel gleiten und verstärkte den Druck meiner Hand, ließ sie gleichzeitig schneller werden. In diesem Augenblick verlor er komplett die Kontrolle über seinen Körper und ließ sich vollständig gehen. Seine Atmung bestand nur noch aus einem zittrigen Keuchen, mehrmals schnappte er heftig nach Luft und zu guter Letzt griff er mit beiden Händen über sich und hielt sich mit aller Kraft an einem Bettpfosten fest, als sich sein Orgasmus in ihm Bahn brach und seinen Körper mehrere Sekunden lang regelrecht durchschüttelte. Ich fühlte und schmeckte und genoss seine Lust mit allen Sinnen, während ich ihn langsam und leicht weiter massierte, und dabei wünschte mir, in diesem Moment für alle Ewigkeit verharren zu können. Es vergingen mehrere Minuten, bevor Winnetou überhaupt wieder zu irgendeiner Regung fähig war. Er sah mich an, lächelte mich an, und bei diesem schönen Anblick ging mir wieder einmal das Herz auf. Unendlich glücklich ließ ich meinen Kopf mit einem leisen Seufzer auf seinen Bauch sinken, wobei meine Hand, vielleicht sogar unwillkürlich, auf seinem Schaft liegen blieb. Dadurch bemerkte ich, dass er gar nicht richtig erschlafft war, sondern eine gewisse Härte beibehalten hatte. Ob das nur an der Lage meiner Hand lag? Das wollte ich jetzt genau wissen, und da ich mich, was seiner vorherigen heftigen Ekstase geschuldet war, in fast dem gleichen Zustand befand, fiel mir das auch gar nicht schwer. Ganz langsam, unendlich vorsichtig schloss ich meine Hand wieder fester um seine Männlichkeit und begann, sie ebenso vorsichtig und langsam zu bewegen. Seine Reaktion erfolgte prompt: Er zuckte zusammen, sog zischend die Luft ein und sein Schaft versteifte noch mehr, richtete sich sogleich wieder zu voller Größe auf. Mir ging es ganz genauso, heiß und kalt schossen die Pfeile der Lust durch meinen Körper und ließen meine Atmung sofort heftiger werden. Es war unfassbar, mit welch einer Begierde sich unsere Körper nacheinander sehnten! Meine Erregung war schon wieder vollständig entflammt und somit hielt ich mich auch gar nicht mehr mit langen Einleitungen auf. Während meine Hand ihn wieder schneller und härter massierte, richtete ich mich auf, um auch meinen Mund zum Einsatz zu bringen. Winnetou, der sich ebenfalls kurz aufgerichtet und mich mit einem fast schon ungläubigen Blick bedacht hatte, ließ sich nun laut aufstöhnend wieder in die Kissen sinken, beide Hände dabei an seine Stirn haltend, um sie dann links und rechts von ihm mit aller Kraft in die Laken zu krallen, als meine Zunge nun noch schneller seine Spitze liebkoste. Sein Schaft, heiß und prall, füllte meinen Mund ganz aus, ich ließ ihn noch tiefer hineingleiten, und meine Leidenschaft und meine Gier nach ihm und seiner Lust kannte keine Grenzen mehr. Er war dabei, zum zweiten Mal völlig die Beherrschung zu verlieren. Ich verwöhnte ihn nach allen Regeln der Kunst und er konnte nicht anders, als sich hilflos dem Rhythmus meiner Hand und seiner Lenden zu unterwerfen, wobei er sich fast die Knöchel blutig biss, um sein Keuchen und Stöhnen zu unterdrücken. Seine Hände wussten nicht, wohin, versuchten Halt zu finden, krallten sich wieder in die Laken, in meine Schultern, dann legte er sie auf meinen Kopf und ließ sie auch dort. So konnte er deutlich den Rhythmus erspüren, mit welchem ich mich seiner Erregung widmete, und so ganz allmählich nahm er ihn mit seinen Händen auch an, unterstützte meine Bewegungen. Das wiederum steigerte meine Begierde nun ins Unermessliche, ich intensivierte meine Bemühungen noch ein wenig mehr und brachte ihn damit fast um den Verstand. Alles bewusste Denken, alles Fühlen war fort, einzig der geliebte Freund und unsere Leidenschaft und Begierde aufeinander existierten noch für mich. Winnetou erging es nicht anders, denn jetzt umfasste er meinen Kopf etwas fester, und er übernahm, wie durch einen wahrhaft animalischen Instinkt geleitet, die Führung, und das mit einer Wildheit und einer Härte, die ich mir nie hätte träumen lassen, die mir aber außerordentlich gut gefiel. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Sein ganzer Körper versteifte sich plötzlich, er hielt den Atem an, und dann entlud er sich mit einem tiefen Aufstöhnen wieder und wieder in meinem Mund, während ich mich, die ganze Zeit über schon an seinem Körper reibend, auch nicht mehr zurückhalten konnte und von einem nicht minder heftigen Orgasmus überwältigt wurde. Diesmal brauchten wir bedeutend länger, um wieder zu Atem zu kommen, aber das war wahrscheinlich auch kein Wunder. Später lagen wir, im wahrsten Sinne des Wortes zutiefst befriedigt, eng umschlungen nebeneinander und konnten uns nicht vorstellen, uns jemals wieder voneinander lösen zu müssen. Aber dieser Moment lag noch in weiter Ferne, berührte uns im Augenblick auch gar nicht, denn für uns zählte nur noch das Hier und Jetzt. Kapitel 12: Was in der Nacht geschah ------------------------------------ Ein Gemisch aus Schweiß und Blut, welches immer noch stetig, wenn auch in geringen Mengen, aus seinen Wunden floss, lief meinem Freund über das Gesicht, während er alle Anstrengungen darauf verwendete, die Fesseln zu lockern. Er bemühte sich krampfhaft, seine körperliche Schwäche zu überspielen, konnte aber nicht verhindern, dass sein ganzer Körper nach kurzer Zeit vor Anstrengung zu zittern begann. Meine Nerven waren inzwischen zum Zerreißen gespannt. Einerseits war ich fast krank vor Sorge um das Leben und die Gesundheit des Apatschen und konnte seine Qualen gar nicht mehr mit ansehen, hätte ihn am liebsten zur absoluten Ruhe gemahnt; andererseits aber litt ich unter der steten Befürchtung, dass einer unserer Peiniger wieder das Zelt betreten würde. Sollten die Mordgesellen entdecken, dass Winnetou wieder bei Bewusstsein war, dann war unser aller Leben keinen Pfifferling mehr wert, von dem Winnetous mal ganz zu schweigen. Sie würden ihn den unfassbarsten Qualen aussetzen, damit Thomson doch noch an sein Gold kam und Motawateh seine Rachegelüste befriedigen konnte. Winnetou war sich natürlich auch völlig im Klaren darüber, dass wir unter einem enormen Zeitdruck standen, und somit arbeitete er weiter unermüdlich an seinen Fesseln, während er uns mit knappen Worten berichtete, was in der letzten Nacht geschehen war. Wir waren auf dem Rückweg vom Ship Rock unterwegs nach Farmington gewesen und hatten unser Lager an einem Nebenarm des San Juan Rivers aufgeschlagen. Winnetou hatte, wie schon erwähnt, am späten Abend die erste Wache angetreten, während Emery, Sam und ich uns zur Ruhe gelegt hatten. Wahrscheinlich waren wir aufgrund des anstrengenden Tages, der hinter uns lag, fast sofort eingeschlafen. Die Wache meines Freundes sollte zwei Stunden andauern. Während der ersten Stunde war alles ruhig geblieben; er hatte, trotzdem er das Lager auch in einem größeren Umkreis mehrmals und äußerst umsichtig abgesucht hatte, keinerlei Auffälligkeiten entdecken können. Nach einiger Zeit aber vernahm er plötzlich ganz leise das Geräusch eines knackenden Zweiges, das offensichtlich auf der gegenüberliegenden Seite des Lagerplatzes verursacht worden war. Sämtliche seiner Sinne waren sofort wie elektrisiert; er duckte sich schnell wie ein Panther tief in das Gebüsch, welches den gesamten Lagerplatz umgab und kroch so nah wie möglich an uns Schlafende heran, um uns vor der herannahenden Gefahr zu warnen, möglichst ohne vorher selber entdeckt zu werden. Doch noch bevor er den Rand des Gebüsches ganz erreicht hatte, brach auf der gegenüberliegenden Seite die Hölle los. Mindestens fünfzig Kiowas stürzten sich mit durchdringendem Kriegsgeschrei auf uns und ließen uns nicht den Hauch einer Chance. Ehe auch nur einer von uns richtig wach war, waren sie schon über uns, schlugen uns mit ihren Gewehrkolben nieder, um uns anschließend zu entwaffnen und zu fesseln. Winnetou sann kurz darüber nach, ob er trotz der geballten Übermacht versuchen sollte, uns irgendwie zu Hilfe zu kommen, musste aber einsehen, dass das nicht nur völlig zwecklos, sondern auch reiner Selbstmord gewesen wäre. Er zog sich also wieder tiefer ins Gesträuch zurück, um auf einen günstigen Augenblick zu warten, in dem er uns aus der Gefahr befreien konnte. Leider aber wussten die Kiowas wohl, dass auch Winnetou Mitglied unserer kleinen Gesellschaft gewesen war. Vielleicht hatten sie ihn sogar auf seinem Rundgang während der Wache gesehen und wollten ihn dort gerade überwältigen, als er, alarmiert von dem Geräusch des brechenden Zweiges, in den Büschen verschwand. Wie auch immer, die Indianer entfachten in Windeseile das Feuer neu, so groß, dass es die Umgebung hell erleuchtete; anschließend setzten sich einige von ihnen mit gezückten Messern an unsere Seite, hielten die Klingen an unsere Kehlen, während der Wortführer laut in die Nacht hinaus rief: „Die feige Ratte namens Winnetou möge aus seinem Loch hervorkriechen! Wir wissen, dass er sich in der Nähe befindet! Wenn er nicht binnen einer Minute ohne Waffen und mit hocherhobenen Händen am Feuer erscheint, werden die hier liegenden Bleichgesichter erstochen, und Winnetou wird als die ängstlichste Kröte aller Apatschen in die Geschichte eingehen!“ Entsetzt musste mein Freund feststellen, dass ihm nicht nur kaum Zeit blieb, um einen Ausweg zu finden, sondern er dass er auch eigentlich gar keine andere Wahl hatte, wollte er nicht unser aller Leben aufs Spiel setzen. In fieberhafter Eile suchte er nach einem Versteck für seine Waffen, damit diese nicht auch noch in die Hände der Kiowas fielen, und dann war die ihm zur Verfügung stehende Zeit auch schon um. Nochmals überlegte er kurz, ob sich ihm nicht doch vielleicht eine andere Möglichkeit bot, dann aber musste er mit ansehen, wie einer der Roten sein Messer, welches sich direkt an meiner Kehle befand, etwas tiefer in meine Haut ritzte, während der Anführer wieder laut rief: „Will der elende Wurm, der sich Häuptling des dreckigen Stammes der Pimos nennt, nicht doch hervortreten? In wenigen Augenblicken wird sein Blutsbruder sein Leben verlieren, und an allen Lagerfeuern des Westens wird man sich erzählen, dass die Schuld daran nur der räudige Köter namens Winnetou trägt!“ Es half alles nichts, Winnetou musste sich ausliefern, um unsere beiden Gefährten und mich nicht dem Tod preiszugeben. Das folgende Geschehen schilderte er mir jetzt mit nur wenigen, schmucklosen Worten: „Winnetou wurde sofort gefesselt und wie seine Brüder, die immer noch ohne Besinnung waren, auf sein Pferd gebunden. Zuvor hatte der Unteranführer versucht, sich seines Iltschi und Old Shatterhands Hatatitla zu bemächtigen, was die klugen Hengste aber zu verhindern wussten. Auch fragte man nach Winnetous Waffen, aber er ließ keinen Ton über seine Lippen kommen. Die roten Männer suchten lange danach, doch sie fanden nichts. All dies ließ den Zorn des Anführers ins Unermessliche steigen.“ Er stockte kurz, um wieder zu Atem zu kommen, denn in seinem schlechten Zustand war selbst das Reden höchst anstrengend. Unter anderen Umständen hätte es mich schon belustigt, als ich mir das Bild vor Augen führte, wie der Kiowa-Unterhäuptling mehrmals auf unsere Rappen aufzusteigen versuchte und mit Sicherheit jedes Mal im hohen Bogen abgeworfen worden war. Aber mein Herz wurde mir schwer, als ich daran dachte, auf welche Weise diese widerliche Rothaut seine Wut über all die Misserfolge anschließend an meinem geliebten Blutsbruder ausgelassen haben musste! Dieser fuhr jetzt wieder fort: „Winnetou weiß, dass das Hauptlager der Kiowas sich im Augenblick einen und einen halben Tagesritt von unserem gestrigen Lagerplatz entfernt befindet, und in diese Richtung ritten wir auch. Dann aber wurde schon zwei Stunden später angehalten und gelagert, und Winnetou erkannte Motawateh, den lügnerischen und hinterlistigen Häuptling der Naishan-Kiowas, und Wayne Thomson, den nicht weniger hinterlistigen ehemaligen Unteranführer der Geierbande, die beide dort gewartet hatten. Motawateh schickte dreißig seiner Krieger weiter zum Hauptlager des Stammes, ließ die anderen Roten zwei Zelte aufbauen und brachte euch in diesem hier unter, während er mit Thomson und Winnetou sowie zwei seiner Krieger ein anderes betrat. Vorher konnte ich mir die Lage der Zelte und die Umgebung aber noch genauestens einprägen. Die anderen Kiowas kümmerten sich zur gleichen Zeit um die Pferde; sie führten sie zu einem in einer kleinen Senke gelegenen Wasserlauf, und daher weiß Winnetou genau, wo sich unsere Tiere befinden. Zuvor hatte auch Motawateh versucht, sich unsere Rappen untertan zu machen, natürlich mit dem gleichen für ihn unbefriedigenden Ergebnis.“ Bei diesen Worten umspielte ein leises Lächeln Winnetous Lippen; trotz seiner Schmerzen und der nicht gerade zur Heiterkeit neigenden Situation bereitete ihm die Vorstellung des durch die Luft wirbelnden Motawateh noch nachträglich wohl ein gewisses Vergnügen. Seine Mimik wurde aber sofort wieder ernst, als er weitersprach. „Winnetou wusste: Jetzt wurde er nur noch von diesen vier Männern bewacht, und eine bessere Gelegenheit würde sich nicht mehr ergeben. Er wollte seine Bewacher ausschalten und sich mit einem ihrer Messer befreien, um dann seine weißen Brüder zu retten. Fast wäre es ihm gelungen. Da mir die Hände nach vorne gefesselt worden waren, konnte ich Thomson und die zwei Krieger niederschlagen. Doch in dem Moment, als ich Motawateh ebenfalls niedergerungen hatte, kamen sieben der Krieger von den Pferden wieder zurück. Sie waren in der Überzahl und konnten mich daher überwältigen. Motawateh war nun voller Zorn und ließ diesen an mir aus, so dass ich für eine kurze Zeit ohne Besinnung war und nicht weiß, was währenddessen geschah.“ Er hatte diese Geschehnisse so nüchtern erzählt, als ob sie ihn gar nichts angingen, aber ich kannte meinen Blutsbruder genau und konnte mir jetzt denken, wie dramatisch der ganze Überfall in Wirklichkeit abgelaufen war, und wie sehr Winnetou nach seinem missglückten Fluchtversuch unter der Rache des Kiowa-Häuptlings zu leiden gehabt haben musste. Zuerst hatte er es nur seinem unfassbar guten Gehör zu verdanken gehabt, dass man ihn nicht wie uns sofort überwältigt hatte. Ich war mir sicher, dass Motawateh die allerbesten seiner Krieger für diesen Überfall ausgesucht hatte, denn sie hatten sich an uns heranschleichen können, ohne auch nur das kleinste Geräusch zu verursachen – zumindest fast. Anschließend hatte mein Freund seine Freiheit aufgegeben, um unser Leben zu retten, war aber vorher noch so geistesgegenwärtig gewesen, seine Waffen vor den Feinden zu verstecken, und zwar trotz der höchsten Eile, in der er sich befand, so gut, dass sie tatsächlich nicht gefunden wurden. Später hatte er trotz Fesseln, trotzdem er vier wohl äußerst gut bewaffneten und vor allem mordlustigen Männern alleine gegenüber stand, es gewagt, sie anzugreifen, und ich bin sicher, er hätte sich und uns gerettet, wenn nicht zu allem Unglück genau in diesem Moment die anderen Krieger aufgetaucht wären. Was dieser Choleriker namens Motawateh in seiner rasenden Wut dann meinem Freund angetan hatte, konnte ich mir mehr als gut denken, obwohl ich es mir eigentlich gar nicht vorstellen wollte. So, wie Winnetou aussah, hatte er zu diesem Zeitpunkt schon Furchtbares durchleiden müssen, und mich schüttelte es jetzt noch nachträglich vor unterdrückter Wut, wenn ich daran dachte. Mein Freund hatte eine kurze Pause sowohl von seinem Bericht als auch von den Bemühungen, die Fesseln zu lösen, eingelegt, in der er äußerst erschöpft die Augen schloss und mehrere Male tief durchatmete. Allein das Reden strengte ihn schon sehr an, und das Lockern der Stricke um die Handgelenke, die zudem noch auf dem Rücken gebunden waren, verbrauchte mehr Kräfte, als ihm eigentlich zur Verfügung standen, von seinen Schmerzen mal ganz abgesehen. Aufgrund seiner steten Bewegung bluteten seine Wunden nun unaufhörlich. Meist waren es nur dünne Rinnsale, aber das Ganze währte ja schon viele Stunden lang, so dass ich die große Befürchtung hegte, dass sein Körper diese Strapazen nicht mehr lange ertragen konnte. Auch Emery und vor allem Sam beobachteten meinen Freund mit feuchten Augen, und in ihren Gesichtern spiegelte sich dieselbe furchtbare Angst um ihn, die auch ich empfand. Ich verging fast vor Sorge und Mitleid, und meine Hilflosigkeit drückte mir schwer auf die Seele. Irgendetwas musste man doch für Winnetou tun können! Aber es gab für mich überhaupt keine Möglichkeit, sein Leid in irgendeiner Weise zu lindern, und so konnte ich ihn nur leise flüsternd fragen: „Hat mein Bruder starke Schmerzen?“ Er sah mich daraufhin mit seinen dunklen Augen in bezeichnender Weise an, und ich erkannte, dass ich eine Frage gestellt hatte, die er nicht wahrheitsgemäß beantworten wollte und konnte, da unsere Kameraden zugegen waren und er Derartiges niemals ihnen gegenüber zugeben würde. Also antwortete er auch nur vage: „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, Winnetou kann es aushalten.“ Dass diese Antwort sich in keinster Weise dazu eignete, mich zu beruhigen, kann man sich wohl denken. Der Apatsche aber ließ mir keine Möglichkeit, dass ich weiterhin meinen trüben Gedanken nachhängen konnte, sondern fuhr mit seinem Bericht fort. „Als Winnetou erwachte, war es noch mitten in der Nacht. Man hatte ihn mit Hilfe von Wasser wieder zu sich kommen lassen, und Motawateh stand mit gezücktem Messer daneben, an seiner Seite der weiße Bandit sowie ein weiterer Kiowa. Winnetou wurde nun den Rest der Nacht immer wieder nach der Lage seiner Bonanzas gefragt, worauf er natürlich keine Antwort gab, was dem mutlosen Kiowa-Häuptling dann jedes Mal als Anlass diente, seine Rachegelüste zu befriedigen. Als die feigen Kojoten feststellen mussten, dass sich der Mund des Häuptlings der Apatschen niemals öffnen würde, benutzten sie nun dessen Gefährten, vor allem seinen weißen Blutsbruder, um das Gold aus Winnetou herauszupressen. Jedes Mal, wenn sie wieder umsonst gefragt und auch mit Hilfe ihres Messers von Winnetou keine Antwort erhalten hatten, verließ einer der Männer das Zelt, um nach kurzer Zeit wieder zurückzukehren und zu berichten, auf welche furchtbare Weise man seine Freunde gemartert hatte und dass man dieses noch solange weiterführen wollte, bis Motawateh und Thomson die Lage der Goldverstecke erfahren würden. Winnetou war sich zwar fast sicher, dass man nur seine Seele foltern und ihn damit erpressen wollte, aber immer blieb ein Stachel des Zweifels in seinem Herzen zurück und drückte sein Gemüt nieder.“ Hier stockte mein Freund erneut, und mir, der ihn besser kannte als jeder andere, war nun überdeutlich bewusst, dass es ihn im Augenblick unendlich viel Kraft kostete, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und seine Tränen zu unterdrücken. Mir ging es ja ganz genauso, und er tat mir unglaublich leid. Was musste er in den letzten Stunden gelitten haben! Natürlich, ich hatte ja genau die gleichen seelischen Qualen durchlebt wie er, hatte mich auch vor Angst und Sorge um ihn verrückt gemacht, aber immerhin hatte ich Sam und Emery in meiner Nähe gewusst, an denen ich doch etwas Trost und Halt gefunden hatte, während Winnetou völlig auf sich alleine gestellt gewesen war! Das alles war ein äußerst perfider Plan Motawatehs gewesen, der uns ganz bewusst voneinander getrennt hatte, um den jeweils anderen in einer zermürbenden Ungewissheit zu lassen. Ich musste wirklich an mich halten, um mich auf Winnetous nächste Worte konzentrieren zu können. „Die Wut des Weißen und des Roten wuchs während dieser Nacht immer weiter, denn Winnetou tat das, was jeder furchtlose Apatsche in solchen Situationen tun würde: Er verlachte die räudigen Hunde, die weder ihre Zunge im Zaum halten konnten noch in irgendeiner Weise Mut oder Ehre oder Würde aufzeigten. Am frühen Vormittag dann wurde mir berichtet, dass mein weißer Blutsbruder seine Martern nicht überlebt hätte. Ich wusste nicht, ob ich das glauben konnte, denn ich war mir sicher, dass...“, hier brach er kurz ab, fuhr dann aber scheinbar ruhig fort: „...dass ich deinen Tod gespürt hätte. Es gab aber keine Möglichkeit für mich, die Wahrheit herauszufinden, also ließ ich die Hundesöhne der Naishan nicht merken, wie sehr mich ihre Nachricht getroffen hatte. Statt dessen beleidigte ich den Kiowa, der mich gerade wieder das Messer hatte spüren lassen, auf eine solche Weise, dass dieser vor Zorn erblasste, seinen Thomahawk erhob und zuschlug – ich kann mich danach an nichts weiter erinnern, bis zu diesem Zeitpunkt, als ich hier im Zelt erwachte und zu meiner großen Freude meine weißen Brüder so gut wie unverletzt wiedersehen durfte!“ Winnetous Stimme war am am Ende immer leiser geworden, geriet dann ins Stocken und verstummte jetzt ganz. Seine unendliche Erleichterung darüber, dass er uns in einem einigermaßen akzeptablen Zustand vorgefunden hatte, konnte man bei seinen letzten Sätzen wirklich deutlich heraushören! Er schloss nun wieder erschöpft die Augen und blieb erst einmal ganz ruhig liegen. Mir war jetzt so einiges klar geworden, dennoch wollte und musste ich noch so vieles fragen, so vieles mit ihm besprechen, um unsere Befreiung zu planen, aber es war klar, er musste nun mit seinen wenigen Kräften haushalten und ganz sparsam damit umgehen. Also ließ ich ihm die Momente der Ruhe, die er benötigte, um seine augenblickliche Schwäche zu überwinden. Der Tag neigte sich jetzt langsam seinem Ende entgegen. Zum ersten Mal, seitdem mein Blutsbruder zu sich gekommen war, meldeten sich jetzt auch wieder der Engländer und Sam Hawkens zu Wort. Der kleine Mann räusperte sich mehrmals leise, wie um seine innere Bewegung zu überwinden, und fragte mich dann: „Eines will mir nicht so recht in meinen Kopf. Aus welchem Grund hat diese unbekannte Rothaut namens Motawateh uns heute morgen versucht weiszumachen, dass man nicht nur uns, sondern auch Winnetou am heutigen Abend an ihren berühmten Marterpfahl stellen würde, obwohl die Gauner zu diesem Zeitpunkt doch über Winnetous schlechten Zustand Bescheid wussten? Sie hatten ja sogar geglaubt, er werde....nun ja, er werde die nächsten Stunden nicht überleben...?“ Bevor ich antworten konnte, hatte Emery mir schon vorgegriffen: „Ich war ja heute morgen schon der Meinung gewesen, dass die Kiowas die Absicht hatten, Charlie zu zermürben, indem sie ihn über Winnetous Aufenthaltsort im Ungewissen ließen. Zudem ließen sie keine Gelegenheit aus, die schrecklichsten Marterungen zu erwähnen, die man ihm schon angetan hätte und auch noch anzutun gedachte, genauso wie sie uns glauben ließen, dass es uns spätestens am Abend ebenso ergehen würde. All das, zusammen mit der Aussicht auf einen schnellen, schmerzlosen Tod oder sogar eine Freilassung, falls wir die Goldverstecke doch verraten würden, geschah nur, um Charlie zum Reden zu bringen – oder siehst du es anders?“ Mit dieser Frage hatte sich Emery wieder an mich gewandt. „Nein, da bin ich ganz deiner Meinung“, erwiderte ich und sah dabei zu Winnetou, der immer noch die Augen geschlossen hielt. „Und ich bin mir sicher, dass die Kiowas versucht hatten, Winnetou mit der gleichen Taktik zu zermürben, ist es nicht so, mein Bruder?“ Auf meine Frage hin nickte mein Freund leicht mit dem Kopf, seine Lider blieben aber geschlossen. Er sah so unglaublich erschöpft aus, seine Gesichtszüge waren gezeichnet von Leid und Schmerz, und mein Mitgefühl für ihn kannte keine Grenzen mehr. Dieses Gespräch wurde natürlich äußerst leise geführt, denn immer noch waren wir in größter Sorge, dass ausgerechnet jetzt Thomson oder Motawateh das Zelt wieder betreten würden. Daher hätte ich am liebsten Winnetou jetzt angetrieben, weiterzumachen, dranzubleiben, nicht aufzugeben, denn umso schneller wäre ja die akute Gefahr gerade für ihn zumindest vorerst gebannt gewesen, aber er benötigte diese kurze Ruhepause so dringend; die Gefahr, dass er wieder das Bewusstsein verlieren würde, war ansonsten zu groß, wuchs sie ja schon jetzt von Minute zu Minute weiter an. Eine kleine Weile herrschte nachdenkliches Schweigen im Zelt, dann aber wandte ich mich doch wieder Winnetou zu, denn ich bekam allmählich große Bedenken, dass sein Bewusstsein langsam eintrüben könnte, wenn ich nicht versuchte, ihn durch Ansprache wach zu halten. „Mein Bruder – warum hat Motawateh das große Bedürfnis, sich an dir zu rächen? Er und auch Thomson sprachen von einer Beleidigung, die du dem Kiowa zugefügt haben solltest?“ Auch nachdem ich meine Frage ausgesprochen hatte, blieb mein Freund noch regungslos und stumm liegen. Fast schon wollte meine Angst Überhand nehmen, dass er nun doch von einer Ohnmacht übermannt worden war, als plötzlich kurz ein abfälliges Lächeln über sein Gesicht glitt, bevor er noch leiser als vorhin antwortete: „Motawateh ist eine feige Kröte! Das ist aber nicht nur heute so, seine Mutlosigkeit begleitet ihn schon seit vielen Jahren. Winnetou wollte vor einigen Sommern an den Gräbern seines Vaters und seiner Schwester zum großen Manitou beten und ihrer gedenken. Als er kurz vor Sonnenuntergang am Nugget Tsil eintraf, überraschte er dort den Kiowa, der damals noch nicht Häuptling und deshalb Winnetou auch völlig unbekannt war, mitsamt zehn weiteren Kriegern, welche die Gräber ausrauben wollten. Dem Häuptling der Apatschen gelang...“ Er wurde von einer Bewegung am Zelteingang unterbrochen. Und jetzt wurde meine schlimmsten Befürchtungen tatsächlich wahr, denn zu meinem größten Schrecken trat mit einem Mal Wayne Thomson ein, der uns mit grimmigen Blicken musterte. Hatte er Winnetou gehört? Mein Freund war so leise gewesen, dass selbst ich mich hatte anstrengen müssen, um ihn zu verstehen. Schnell warf ich ihm einen verstohlenen Blick zu. Er hatte sofort wieder seine Augen geschlossen und lag bewegungslos, mimte den Bewusstlosen. Ein Stoßgebet nach dem anderen sandte ich nun in den Himmel, hoffte von ganzem Herzen, dass sich dieser Widerling nicht schon wieder an dem Apatschen vergreifen würde. Leider aber musste ich feststellen, dass Thomson, der wirklich zu allem fähig war, sich wohl nicht mehr lange würde beherrschen können. Er sah Winnetou einen Moment lang an, dann fragte er mich: „Und? Ist die dreckige Rothaut zwischendurch erwacht?“ Innerlich seufzte ich auf vor Erleichterung – der Kerl hatte offenbar doch nicht bemerkt, dass mein Freund seine Besinnung wiedererlangt hatte! Ich sah ihm kalt ins Gesicht und antwortete: „Nein, wie Ihr seht, zeigt Eure Behandlung keinen Erfolg. Ihr habt ihn zu schwer verletzt, darum müsst Ihr Euch jetzt halt in Geduld üben. Vielleicht dauert es die ganze Nacht, bis sein Körper sich wenigstens etwas erholt hat!“ Jetzt konnte ich nur hoffen, dass der Schurke wirklich nicht gerade die Weisheit für sich gepachtet hatte, so wie ich ihn anfangs eingeschätzt hatte. Würde er nur ein wenig sein Hirn anstrengen, musste er doch einsehen, dass sich aufgrund des andauernden Blutverlustes Winnetous Zustand umso mehr verschlechterte, je mehr Zeit verstreichen würde! Der Umstand, dass er seine Chancen schwinden sah, doch noch an das Gold Winnetous zu kommen, verursachte bei dem Halunken eine äußerst miese Laune, die er jetzt auch verbal äußerte: „Ach, hol Euch doch der Teufel! Ich habe keine Lust mehr, noch länger zu warten!“ Mit diesen Worten kniete er zu meinem Entsetzen bei dem Apatschen nieder, griff ihm mit der Hand in den Nacken, hob seinen Kopf an, sah ihm prüfend ins Gesicht, und als er keinerlei Reaktionen erkennen konnte, ließ er seinen Kopf unsanft wieder zu Boden fallen. Meine Fäuste ballten sich hinter meinem Rücken und ich knirschte vor mühsam zurückgehaltener Wut mit den Zähnen; wenn dieser Hundesohn mir jemals in die Hände fallen sollte, dann gnade ihm Gott! Er aber war noch nicht fertig. Nochmals legte er seine Hand auf Winnetous Brust, um dessen Herzschlag zu ertasten, fand ihn erst nicht, und dann schien ihm das Ergebnis auch nicht zu gefallen. Wieder stieß er einen lauten Fluch aus, packte meinen Freund an beiden Schultern und schüttelte ihn aufs Heftigste, während er schrie: „Verfluchte Rothaut! Mach endlich die Augen auf, verdammt noch mal!“ Auch diese Aktion erbrachte natürlich nicht den gewünschten Erfolg, und somit ließ er den Körper des Apatschen wieder mit voller Wucht auf den Boden krachen, stand auf und trat ihm nochmals vor Wut in die Rippen. Winnetou hatte das alles über sich ergehen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken; nicht die kleinste Regung oder das Zucken eines Muskels wies darauf hin, dass er diese neuerliche Peinigung bei vollem Bewusstsein durchstand und alles mitbekam. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn, trotz meines übergroßen Zorns und meiner fast schon an Raserei grenzenden Wut, für seine stoische Ruhe und diese unglaubliche Selbstbeherrschung einfach nur bewundern! Er hatte die Wucht, mit der Thomson in hatte fallen lassen, und auch die seines Fußtrittes durch unmerkliches Anspannen bestimmter Muskeln abzumildern gewusst, so dass sich die neuerlichen Schmerzen wohl in Grenzen hielten und auch die Gefahr abgewehrt wurde, dass mein Freund durch die schmerzhafte Behandlung erneut das Bewusstsein verlieren könnte. Aber leider war das noch nicht alles, was Thomson in seiner ungeduldigen Wut an Quälerei einfiel. Meine Gefährten völlig ignorierend, die ihn mit zornigen Flüchen nur so überschütteten, zog er wieder sein Messer, und jetzt wurde mir wirklich himmelangst um meinen Freund. Wenn es diesem nur endlich gelingen würde, seine Hände freizubekommen! Ich war mir sicher, trotz seines schlechten Zustandes und seiner Schwäche hätte er den feigen Schurken mühelos überwältigen können, aber leider war es ihm ja nicht möglich, an seiner Befreiung weiterzuarbeiten, während Thomson sich im Zelt aufhielt. Dieser trat aber jetzt auf mich zu – zum Glück, wie ich bei mir dachte – hielt mir seine Waffe ganz dicht vor die Augen und zischte: „Kann es sein, dass Ihr Euch gar nicht so recht bemüht habt, dass Euer Freund hier wieder zu sich kommt? Vielleicht wollt Ihr ja gar nicht, dass....“ „Wie kann man nur so dumm sein!“, zürnte ich unbeherrscht los, zitternd vor Wut. Ich konnte einfach nicht mehr an mich halten, die letzten Stunden hatten zu sehr an meinen Nerven gezehrt. „Wenn Ihr Euch weiterhin so an ihm vergreift, schwinden seine Chancen, dass er überhaupt noch mal zu sich kommt, doch von Minute zu Minute! Und Ihr braucht ihn, verdammt, um Euch noch eine Möglichkeit offen zu halten, an Euer verfluchtes Gold zu kommen! Ich würde alles tun, um ihm irgendwie helfen zu können, Himmel noch mal!“ Thomson zuckte ob meines plötzlichen lauten Ausbruchs erst leicht zurück, grinste mich dann aber höhnisch an, wandte sich wieder Winnetou zu, zückte urplötzlich wieder das Messer und setzte zwei, drei schnelle Schnitte auf dessen Brust, nicht tief, aber wieder floss Blut. Ich brüllte auf vor rasendem Zorn, ebenso wie Sam und Emery, aber das ließ den Kerl völlig kalt. Er richtete sich wieder auf, und seine Augen wiesen einen fast schon irren Ausdruck auf, als er mit einem höllischen Grinsen auf dem Gesicht in meine Richtung rief: „Dem ist nicht mehr zu helfen, und Euch wohl auch nicht! Einem Indianer helfen!Wo hat man denn sowas schon mal gehört? Einer dreckigen Rothaut! Hahaha! So etwas Verrücktes wie Euch habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen!“ Er begann tatsächlich, lauthals zu lachen, wurde dann aber noch einmal ernst, als er mir mit grimmiger Miene drohte: „Ich lege mich jetzt aufs Ohr, und Ihr habt die ganze Nacht Zeit, Eure heißgeliebte Rothaut zum Leben zu erwecken. Wie Ihr das anstellt, ist mir egal, Ihr könnt ihm ja etwas vorsingen oder sonst was erzählen, hahaha! Glaubt aber ja nicht, dass einer von Euch dafür von seinen Fesseln befreit wird! Sollte der Indsman morgen früh immer noch nicht in der Lage sein, mir zu sagen, was ich wissen will, zerfleische ich ihn vor Euren Augen, so wahr ich hier vor Euch stehe!“ Und mit diesen unheilschwangeren Worten verließ er, jetzt wieder aus vollem Herzen lachend, das Zelt. Kapitel 13: Eine gefährliche Begegnung (11 Tage zuvor) ------------------------------------------------------ 11 Tage zuvor: Am nächsten Morgen wurden wir durch ein lautes Klopfen an der Tür geweckt. Wir fuhren hoch und stellten erstaunt, fast schon erschrocken fest, dass der Vormittag mittlerweile weit vorangeschritten war. Normalerweise waren wir stets bei Sonnenaufgang munter, aber ich konnte mir schon denken, aus welchem Grund uns dieser Tiefschlaf beschert worden war... Vor der Tür ertönte nun die leicht belustigt klingende Stimme Emerys: „Sagt einmal, lebt ihr noch, ihr beiden? Ist alles in Ordnung?“ „Natürlich!“, antwortete ich schnell, wobei ich mich wirklich zusammennehmen musste, um meine aufkommende Heiterkeit zu unterdrücken. Das fiel mir nicht leicht, und Winnetou machte es mir auch nicht gerade einfacher, denn er lächelte mir leise, aber unverhohlen ins Gesicht. Ich sah ihm an, dass er sich im Stillen köstlich amüsierte, da es mir nun überlassen blieb, unsere massive Verspätung zu erklären, denn von ihm, dem Schweigsamen, wurde natürlich keine erwartet. Leider fiel mir im Augenblick überhaupt keine Ausrede ein, und so rief ich noch einmal schnell Richtung Tür: „Entschuldige bitte unsere Verspätung, wir werden sogleich herunterkommen!“ Natürlich gab sich Emery damit nicht zufrieden, zumindest nicht ohne noch eine Frage hinterher zu schicken: „Bist du denn damit einverstanden, wenn der Doktor euch einen kurzen Besuch abstattet? Der gute Mann hatte schließlich gestern Abend keine Gelegenheit mehr gefunden, sich von eurer intakten Gesundheit zu überzeugen. Er wollte sich vor allem mal die Schmarre in deinem Gesicht ansehen sowie nochmals Winnetous Lunge abhören. Aufgrund eurer Verspätung beginnt er aber allmählich, sich Sorgen zu machen!“ Etwas entnervt ließ ich meinen Blick gen Himmel, in diesem Fall gen Zimmerdecke schweifen und sah wieder kurz zu Winnetou herüber, dessen Elfenbeinzähne nun in ihrer ganzen Pracht zu bewundern waren. Er rührte sich nicht und lächelte mich nur weiterhin erwartungsvoll an; seine ganze Haltung drückte aus, dass er gespannt war, wie ich reagieren würde. Mein Mund formte ein tonloses, ironisches „Danke sehr!“ in seine Richtung, dann wandte ich mich wieder zur Tür und rief Emery zu: „Dann melde unserem überfürsorglichen Walter doch bitte, dass wir uns pudelwohl fühlen...“ - bei diesen Worten senkte Winnetou seinen Blick zu Boden, krampfhaft bemüht, seiner Belustigung nicht laut Ausdruck zu verleihen; er dachte natürlich genau wie ich an die letzte Nacht - „...und dass wir einfach nur mal ausgeschlafen haben, da in den nächsten Tagen an eine durchgehende Nachtruhe wohl kaum mehr zu denken sein wird!“ Emery antwortete nun auch zu unserem Glück in seiner gewohnt launigen Art: „Wird gemacht! Ich sehe euch dann später...“. Seine Schritte entfernten sich von der Tür, und ich stieß den unwillkürlich angehaltenen Atem langsam wieder aus. Winnetou stand immer noch lächelnd an Ort und Stelle und sah gedankenverloren auf unser Bett hinab. Ich ahnte, was ihm durch den Kopf ging, denn auch ich dachte mit einer gewissen Portion Wehmut daran, dass wir in den nächsten Tagen auf die intensive Nähe des jeweils anderen würden verzichten müssen. Dann aber schalt ich mich selber einen Narren; in den letzten Monaten war ich so oft mit ihm intim gewesen wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben überhaupt mit einem Menschen. Es sollte doch wohl somit möglich sein, sich ein paar Tage lang in Enthaltsamkeit zu üben! Allerdings war ich auch noch nie in meinem Leben einem Menschen begegnet, der mich so sehr, und das nicht nur körperlich, in seinen Bann gezogen hatte, wie es Winnetou tat. Mein Freund aber trug sich noch mit einem anderen Gedanken herum. Er wandte sich wieder mir zu, ließ seinen unvergleichlichen Blick lange und innig auf mir ruhen und begann dann, vorsichtig fragend: „Scharlih?“ „Ja, mein Bruder?“, entgegnete ich, gespannt wartend, was ihn beschäftigte. Winnetou hingegen suchte offensichtlich nach den richtigen Worten: „Glaubst du, dass....bist du sicher, dass unsere so heftigen Empfindungen....ob das alle Menschen in einer solchen Intensität fühlen können wie wir? Ob Mann und Frau es genauso fühlen können? Ich meine....“ Hier stockte er wieder, überlegte, wie er mir seinen Gedankengang nahebringen konnte. Ich aber wusste ja schon, was er meinte, trat auf ihn zu und legte meinen Arm um ihn, während er weitersprach: „Winnetou hat des öfteren rote Krieger über ihr Zusammensein mit ihren Squaws sprechen hören, und er hatte immer das Gefühl, dass es den Männern nur darum ging...ja, eigentlich wollten sie nur ihre Pflicht erfüllen...“. Hier brach er ab, warf mir einen fast hilflosen Blick zu. Verstand ich, was er sagen wollte? Ja, ich verstand ihn. Wahrscheinlich wurden ihm unsere wahrhaft heftigen Intimitäten, die mittlerweile in einem so wilden Rausch wie gestern Abend gipfelten, langsam etwas unheimlich. Und ich wusste auch, was ich ihm antworten sollte, waren mir doch schon ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen! Leise lächelnd drückte ich ihn an mich und begann: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie ähnlich sich die Menschen doch sind, unabhängig von ihrer Hautfarbe und Nationalität! Auch ich habe einige Male die gleichen Beobachtungen gemacht wie du; auch ich habe schon derlei Gespräche von Männern mitbekommen, es scheint wirklich überall das Gleiche zu sein! Doch ich kann mir schon vorstellen, worin der Unterschied besteht: Wir müssen bedenken, wie oft es vorkommt, dass Mann und Frau heiraten, ohne dass einer den anderen liebt; das gibt es sowohl bei den weißen wie auch bei den roten Völkern. Zumindest die Frauen dürfen äußerst selten ihren zukünftigen Ehemann alleine aussuchen, sie werden oftmals gezwungen, einen bestimmten Mann zu ehelichen – sei es durch ihre Väter, durch wirtschaftliche Not, durch den Mann selber! In diesen Beziehungen fehlt schlicht und ergreifend die Liebe, oder sie findet nur einseitig statt. Und wie oft benutzt der Mann seine Frau nur, einerseits um sich abzureagieren, andererseits um, wie du schon richtig sagtest, seine Pflicht zu erfüllen, denn es fehlen einfach die Gefühle füreinander. Zwischen uns beiden ist das aber völlig anders: Uns ist das große Glück vergönnt worden, dass wir einander lieben. Wir lieben den anderen mehr als unser eigenes Leben, wir wünschen einander nur das Beste, und ich bin mir sicher, dass solch heftige Empfindungen, wie wir sie während unseres Zusammenseins immer wieder verspüren, nur möglich sind, wenn man einander wirklich und wahrhaftig liebt! Und das ist mit Sicherheit unabhängig davon, ob diese Gefühle zwischen Mann und Frau oder gleichgeschlechtlichen Paaren stattfinden.“ Winnetou hatte nun auch seinen Arm um meine Taille gelegt und schwieg für kurze Zeit. Er dachte über meine Worte nach und kam dann wohl zu einem übereinstimmenden Ergebnis, das er auch in Worte kleidete: „Mein Bruder Scharlih spricht die richtigen Worte. Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Beziehung zu Mann oder Frau, sondern nur, ob geliebt wird oder nicht.“ Er nickte noch einmal bestätigend, zog mich dann in seine Arme und hielt mich ganz fest. Ich erwiderte seine Umarmung, presste ihn förmlich an meinen Körper und legte meine Stirn sacht an seine, während ich ihm zuflüsterte: „Ich liebe dich, mein Freund!“ Er hob seinen Kopf etwas an, küsste mich leicht auf den Mund, ließ dann seine Lippen hauchzart an meiner Wange entlang bis zu meinem Ohr streifen und flüsterte: „Mein Bruder – Winnetou kann keine Worte finden, die den Umfang seiner Liebe zu dir beschreiben könnten...“. Daraufhin schlang er seine Arme um meinen Nacken und ließ sich wieder in unsere Umarmung fallen. Für eine kurze Zeit verweilten wir so, genossen einfach nur die Wärme und die Nähe des anderen, bis ich schließlich seinen Kopf in meine Hände nahm und ihn lange und intensiv küsste. Ich war so unendlich glücklich mit diesem Mann! Es fiel mir wieder einmal so schwer, ihn schließlich loslassen zu müssen, aber wir wurden unten in der Stube der Schumanns erwartet und unsere Verspätung war ja jetzt schon etwas auffällig. Auch Winnetou löste sich nun äußerst widerstrebend von mir, strich mir noch einmal federleicht mit seinem Handrücken über die Wange und warf mir einen letzten liebevollen Blick zu. Nach einer kurzen Morgentoilette machten wir uns dann auf den Weg nach unten, auf in ein neues Abenteuer. In der Stube wurden wir als erstes durch Walter Hendrick begrüßt. Er warf einen prüfenden Blick auf uns beide und erkannte wohl anhand unserer Mienen, dass es uns wirklich gut ging und seine ärztliche Kunst in keinster Weise benötigt wurde. Damit gab er sich dann auch zufrieden. Es dauerte nicht lange, dann war unsere ganze Gesellschaft reisefertig. Wir, das waren die zehn Butterfields, Tsain-tonkee mit ebenfalls zehn Apatschen, Emery, Winnetou und ich. Zumindest dachte ich, dass es bei diesen vierundzwanzig Personen bleiben würde. Allerdings hatte ich Dr. Hendrick nicht in meine Berechnungen mit einbezogen, aus gutem Grund übrigens, denn ich traute ihm einen solch abenteuerlichen Ritt, und dann noch am Rande eines feindlichen Gebietes, eigentlich gar nicht zu. Walter Hendrick aber war ganz anderer Meinung. Für ihn stand schon seit unserem Entschluss, den Ship Rock aufzusuchen, fest, dass er uns begleiten würde. Als er dann am gestrigen Abend erfahren hatte, dass Winnetou anschließend die Stadt Farmington zwecks einiger Besorgungen aufsuchen wollte, war er überhaupt nicht mehr zu halten gewesen, denn er wollte und musste seine medizinischen Vorräte dringendst auffüllen. Ich war allerdings der Meinung, dass er uns auch genauso gut eine Liste mit seinen Wünschen würde mitgeben können, denn ansonsten kam zu den zehn Greenhorns der Familie Butterfield noch ein elftes hinzu! Deshalb nahm ich ihn kurz beiseite, um ihm seine mangelnde Erfahrung im Westen sowie seine fehlenden Schießkünste vor Augen zu führen, wonach er mir aber lächelnd antwortete: „Die brauche ich an eurer Seite auch gar nicht, mein lieber Charlie! Was ich aber brauche, sind eine Reihe bestimmter Medikamente und medizinisches Material, und das muss ich unbedingt persönlich auswählen können, darin hast du leider nicht das richtige Geschick, wenn ich ehrlich bin. Und was ihr ebenfalls gut gebrauchen könnt, ist ein Arzt, wenn diesen jungen Männern in ihrem Übermut oder auch euch anderen wegen genau dieses Übermutes etwas passiert – auch darin hast du nicht gerade allzu viel Erfahrung, mein Freund, und deshalb sind wir gleichberechtigt, was die nötigen Fähigkeiten anbelangt, findest du nicht auch?“ Nach dieser längeren und in einem wirklich sehr überzeugenden Ton gehaltenen Rede musste ich nun doch lachen; Walter konnte manchmal recht anhänglich sein und ließ vor allem Winnetou und mich nicht gerne ohne ihn ziehen. Also zog ich Winnetou zu Rate. Dieser musterte unseren Doktor erst erstaunt, dann mit einem prüfenden Blick, und da wusste ich schon, wie seine Entscheidung ausfallen würde. Seitdem Hendrick sich mit seiner so liebevollen, selbstlosen und wahrhaft aufopferungsvollen Pflege um meinen Freund gekümmert hatte, und das monatelang, obwohl er Winnetou ja vorher gar nicht gekannt hatte, seitdem hatte Walter bedingungslos dessen Herz erobert und konnte von ihm fast alles verlangen. Aus diesem Grund schlug mein Freund dem Arzt dessen Wunsch auch nicht ab; im Gegenteil, ich war mir sogar sicher, dass er sich vornahm, ein besonderes Augenmerk auf ihn zu richten und dafür zu sorgen, dass Hendrick auf unserem Ritt keinen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein würde. Seine Reitkünste hatten sich ja auch in den letzten Monaten deutlich verbessert, und da Winnetou ihm das zur Zeit beste Pferd seiner berühmten Zucht geschenkt hatte, sollte der Doktor eigentlich keine Schwierigkeiten haben, mit uns mithalten zu können. Unser Weg zum Ship Rock würde uns bis in die nordwestlichste Ecke New Mexicos führen; und wenn nichts Besonderes geschah, dann sollten wir wohl nach fünf Tagen unser Ziel erreicht haben. Die Siedler hatten uns die Taschen mit Proviant dermaßen vollgepackt, dass es für bestimmt für die doppelte Zeit reichen würde und wir daher keine unnötige Zeit mit Jagen vergeuden mussten. Der Abschied war wieder einmal ein äußerst herzlicher; man wünschte uns alles Gute und viel Glück und bat uns dringendst, auf dem Rückweg nochmals in der Siedlung Station zu machen, was wir auch versprachen, wenn nicht irgend etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommen würde. Dann endlich brachen wir auf. Schon in diesen ersten Minuten bekam ich ein ungutes Gefühl bei dem Anblick der Familie Butterfield, deren Mitglieder sich alle schon den ganzen Vormittag über in recht aufgekratzter Stimmung befanden und die sich jetzt, im Augenblick des Aufbruchs, alle auf einmal ihre Hüte vom Kopf rissen, diese in die Luft warfen und jubelnd den Beginn einer neuen und besseren Zeit für sich und ihre Lieben daheim feierten. Und mit dieser ausgelassenen Meute sollten wir es durch unwegsame Wildnis, über den Rio Grande, durch die Ausläufer der Zuni Mountains und zu guter Letzt entlang des feindlichen Kiowa-Gebietes schaffen? Ich sah mich gezwungen, den Herrschaften erst einmal eine gehörige Ansprache zu halten. Emery kam direkt hinzu, und zu zweit machten wir den Butterfields eindringlich klar, dass wir sofort umkehren und sie bei ihren Familienangehörigen in Carlsbad abliefern würden, sobald sie unseren Anweisungen nicht mehr Folge leisten sollten. Wir hielten ihnen vor, wie unglaublich wichtig es war, sich in solchen Gegenden, wie wir sie durchreiten wollten und mussten, so ruhig wie möglich zu verhalten; außerdem wurden die jungen Leute von uns nochmals an ihre Gefangenschaft durch Thomson und seine Bande erinnert - und das half. Man konnte ihren Gesichtern ansehen, dass niemand der Männer nochmals eine solche Todesangst durchleben wollte, wie sie sie in den Händen der Verbrecher wohl erlitten hatten, und ab diesem Moment ritten sie folgsam und ruhig zwischen uns und hielten sich, zumindest vorerst, an sämtliche unserer Anweisungen. Die ersten beiden Tagesreisen verliefen friedlich und ohne besondere Vorkommnisse, wir kamen gut voran und auch die angehenden Goldsucher machten keinerlei Probleme. Natürlich waren wir weiterhin in Sorge über den Verbleib von Thomson und seinem Kumpan, deshalb umritten immer zwei von uns, die Butterfields sowie der Doktor natürlich ausgenommen, die ganze Gesellschaft in einem großen Umkreis. Genauso hatten wir es auch auf dem Weg nach Fort Summer gehandhabt, um auszuschließen, dass sich der Erzschurke in unserer Nähe befand. Winnetou und ich ließen uns zusätzlich oftmals weit zurückfallen und suchten nach Spuren von etwaigen Verfolgern, konnten aber keinerlei Anzeichen von feindlichen Wesen entdecken. Somit sah ich am Morgen des dritten Tages frohgemut und guter Dinge der Weiterreise entgegen, auch meine Bedenken hinsichtlich der Butterfields waren verschwunden. Wie sehr ich mich da allerdings getäuscht hatte, sollte dieser Tag auf eindringliche Weise zeigen! Die Sonne stand fast im Zenit, und Winnetou, der wie meistens ein Stück weit voraus ritt, um das Gelände auszukundschaften, hatte schon begonnen, sich nach einem geeigneten Lagerplatz umzusehen, an dem wir zwei Stunden rasten und die größte Mittagshitze abwarten konnten. Wir befanden uns auf einer Hochebene oberhalb des Rio Grande und wollten diesen auch heute noch überqueren. Diese Hochebene bestand aus kurzem Präriegras und war von großen Felsblöcken durchsetzt. Hier und da taten sich kleine Schluchten auf, die wir ab und zu durchqueren konnten, die aber oftmals ins Nichts führten. Die jungen Männer unterhielten sich unseren Anweisungen gemäß leise miteinander, bis auf einmal einer von ihnen laut aufschrie: „Habt Ihr das gerade auch gesehen, Mesch'schurs? So ein großes Tier ist mir ja noch nie unter die Augen gekommen!“ Es war der junge Frederic, einer der beiden Unglücklichen, die wir aus den Händen der Banditen befreit hatten und der mir damals schon als nicht gerade sehr mutig erschienen war. Er war mit seinem Pferd mittlerweile seitlich aus der Gruppe ausgebrochen und starrte ängstlich, aber gleichzeitig auch neugierig auf einen mannshohen Felsen, hinter dem sich eine kleine, kaum zwei Meter breite und nicht sehr tiefe Schlucht auftat. Sofort wendete ich meinen Hatatitla und ließ ihn in Richtung des jugendlichen Mannes traben, wobei ich ihm laut zurief: „Schreit doch nicht so laut, Master Frederic! Was gibt es denn so Dringendes, was Euch zu einem solchen Aufstand verleiten lässt?“ „Eine Schlange!,“ rief er mir nicht weniger laut als vorher entgegen. „Ich bin mir sicher, das war eine Schlange! Und was für ein riesiges Vieh! Ihr müsst Euch das ansehen, sie steckt hier hinter dem Felsen!“ Etwas genervt schloss ich kurz die Augen, bevor ich mich ihm weiter näherte und dabei mahnend zurief: „Das werde ich mit Sicherheit nicht tun und Ihr auch nicht, Frederic! Schlangen sind hier keine Seltenheit, aber viele davon sind giftig. Kommt also schnell da weg!“ Leider aber hatte er sich dem Felsen schon zu weit genähert, und sein unerfahrener Rotschimmel, welcher am Felsen sofort begonnen hatte, zu grasen, geriet in Blickkontakt mit der Schlange. Ich konnte erkennen, dass es sich dabei um eine Klapperschlange von über einem Meter Länge handelte, die sich sofort zusammengerollt hatte und nun bedrohlich anfing zu rasseln. Frederics Pferd erschrak daraufhin heftig, sprang mit allen Vieren fast gleichzeitig in die Luft, so dass sein Reiter beinahe abgeworfen wurde, und begann dann, Hals über Kopf die Flucht nach vorne anzutreten. Leider wählte es nicht den sichersten Weg, also direkt hinter Winnetou her, der weit vorne an der Spitze unserer Gesellschaft ritt und dem es deshalb ein Leichtes gewesen wäre, das flüchtende Tier wieder einzufangen, sondern es schnellte hart an der Kante der engen Schlucht entlang, die hier zwar nicht tiefer als drei Meter war, aber wenn Pferd und Reiter hier stürzen sollten, würde es trotzdem mit Sicherheit alles andere als glimpflich abgehen, dessen war ich mir gewiss. Natürlich hatte ich meinen Hengst sofort herumgerissen und nahm die Verfolgung auf, doch das noch junge Tier von Frederic entwickelte in seiner Panik eine Schnelligkeit, die ich ihm niemals zugetraut hätte. Ich wusste zwar, dass es auf alle Fälle meinem Hatatitla unterlegen sein würde, aber bis ich Pferd und Reiter eingeholt hatte, konnte noch ein großes Unglück geschehen. Undeutlich hörte ich hinter mir die Schreie und Schreckensrufe der restlichen Familienmitglieder; und als ich mich kurz umdrehte, gewahrte ich drei oder vier Apatschen, die sich zu meiner Unterstützung an meine Fersen geheftet hatten, unter ihnen natürlich auch Tsain-tonkee. Und dann sah ich links von mir einen flüchtigen Schatten auftauchen, der sich kurze Zeit später als rasend schneller Reiter entpuppte – Winnetou! Er hatte natürlich das Unglück bemerkt, und seine Position weit vorne an der Spitze unserer Truppe war eine Günstigere gewesen als meine, denn er war schneller bei dem flüchtenden Tier, weil er ihm auf seinem diagonalen Ritt den Weg abschneiden konnte. Es dauerte auch nicht lange, da kam er dem unglücklichen Butterfield so nahe, dass er nach dessen Pferd fast greifen konnte. Leider aber war der junge Mann, der sich kaum noch auf seinem Rotschimmel halten konnte, so in Panik geraten, dass er die nahende Hilfe nicht bemerkte. Mittlerweile schrie er vor Angst so laut, dass er sein Tier damit nur noch konfuser machte. Es bemerkte Winnetou, der sich ihm seitlich näherte, und wohl auch mich knapp hinter ihm, und sein Fluchtinstinkt trieb es nun hart an die Kante der Schlucht. Die ersten Steine bröckelten schon in die Tiefe, und das Pferd begann, gefährlich zu straucheln. Endlich war es Winnetou gelungen, sich Ross und Reiter so weit zu nähern, dass er Hilfe bringen konnte. Er tat einen einzigen panthergleichen Satz – und saß nun direkt hinter Frederic im Sattel! Sofort beugte er sich an dem jungen Mann vorbei und bemühte sich krampfhaft, die fast auf den Boden schleifenden Zügel zu ergreifen, während er gleichzeitig hart kämpfen musste, um Frederic im Sattel zu halten. Dieser drohte nämlich aufgrund seines nun noch vermehrt strauchelnden Pferdes herunterzustürzen, und er wäre dabei unweigerlich in die Schlucht gefallen. Jetzt aber waren es beide Reiter, die sich in größter Gefahr befanden, wie ich entsetzt feststellen musste! Frederics Rotschimmel schnellte nämlich mittlerweile so nah am Rand der Schlucht entlang, dass ein Sturz fast schon unvermeidlich schien. Winnetou, dem es inzwischen gelungen war, die Zügel des Tieres zu ergreifen, mühte sich nach Kräften, das Pferd zum Stehen zu bringen, erreichte aber nur, dass es langsamer wurde, aber die lebensgefährliche Stellung an der Kante beibehielt und dort nun höchst nervös umhertänzelte. Gerade in dem Augenblick, als einer der Hinterhufe den Halt verlor und ins Nichts wegbrach, hatte ich Pferd und seine Reiter erreicht, griff nun auch sofort nach den Zügeln, ließ meinen Rappen alle Viere fest in den Boden stemmen, schlang die Zügel um meinen Sattelknauf und erreichte damit, dass der Rotschimmel, dessen zweiter Hinterlauf nun auch an der Kante wegzurutschen drohte, doch noch einen festen Halt fand und sich so weit nach oben tasten konnte, dass er schließlich mit allen Vieren wieder festen Boden unter den Hufen fand. Langsam ließ ich jetzt meinen Hengst rückwärts gehen und zog damit das verängstigte Tier weiter von dem Rand der Schlucht weg und damit aus der akuten Gefahrenzone heraus, während Winnetou den völlig entnervten und vor Angst schlotternden jungen Mann festhielt - dieser machte nämlich den Eindruck, als ob er sich keine Sekunde mehr im Sattel würde halten können. Endlich konnten wir sicher sein, dass wir die schlimme Situation wieder im Griff hatten. Ich sprang ab und half meinem Freund, Frederic aus dem Sattel zu heben, der sich daraufhin sofort auf den Boden kauerte, sein Gesicht in beide Hände verbarg und am ganzen Körper haltlos zu zittern begann. Ich setzte mich dazu, legte meinen Arm um seine Schulter und sprach leise und beruhigend auf ihn ein, während Winnetou sich um den Rotschimmel bemühte und es ihm nach kurzer Zeit auch gelang, das Tier soweit zur Ruhe zu bringen, dass es sich, allerdings immer noch mit schlotternden und bebenden Flanken, Hatatitla und Iltschi anschloss, die beide schon wieder seelenruhig zu grasen begonnen hatten. Ich warf dem Apatschen einen äußerst erleichterten Blick zu, als er zu uns trat, denn das hätte auch ins Auge gehen können! Es hatte wirklich nicht viel gefehlt, und er wäre zusammen mit Frederic und dem Rotschimmel in die Schlucht gestürzt. Winnetou sah meine Erleichterung und nickte mir sofort beruhigend zu, setzte sich an meine Seite und gemeinsam erwarteten wir den Rest der Gesellschaft, die sich in höchster Eile genähert hatten und uns jetzt endlich erreichten. Kapitel 14: Schmerzhafter Widerstand ------------------------------------ Ich kann meine Wut, meinen rasenden Zorn, den ganzen Strom an verzweifelten Gefühlen gar nicht mehr beschreiben, die mich überrannten, als diese Bestie namens Thomson das Zelt verlassen hatte. Ich musste mich unendlich zusammennehmen, um meine Tränen zurückzuhalten, die hinter den Augenlidern brannten und jetzt mit Macht hervordrängen wollten; daher senkte ich kurz den Kopf und schloss die Augen, um wieder Herr über meine Gefühlslage zu werden. Als ich sicher war, dass ich mich irgendwie würde beherrschen können, sah ich wieder zu Winnetou. Er hatte die Augen geschlossen, atmete ganz flach, lag völlig bewegungslos, während das Blut aus den neuen Wunden langsam, aber stetig in verschiedenen kleinen Rinnsalen den Oberkörper hinunter sickerte. Ich getraute mich noch nicht, ihn anzusprechen, denn man konnte ja nicht wissen, ob sich dieser wahnsinnige Verbrecher vielleicht doch noch vor dem Zelt befand und lauschte, in der Hoffnung, eventuell ein Lebenszeichen meines Freundes zu erhaschen. Als ich einen Blick auf meine Gefährten warf, konnte ich erkennen, dass sie im Augenblick zu keiner Reaktion fähig waren; ihr Entsetzen und ihr Grauen über das unbeschreiblich bestialische Auftreten von Thomson stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Wieder sah ich zu Winnetou, der immer noch kein Lebenszeichen von sich gab. Geschah das nur aus Vorsicht, weil auch er vermutete, dass sich der Schurke noch in Hörweite befand? Oder hatte er aufgrund der ihm erneut zugefügten Verletzungen und der damit verbundenen Schmerzen nun doch wieder das Bewusstsein verloren? Unwillkürlich musste ich an meinen schrecklichen Alptraum in der Nacht vor dem Überfall der Kiowas, also vorgestern Abend, denken, aus dem ich schweißgebadet hochgeschreckt war und nur mit äußerster Müh und Not hatte verhindern können, dass der schon geträumte Angstschrei meine Lippen tatsächlich verließ. Wie hatte Winnetou daraufhin gesagt, der natürlich sofort erwacht war und leise und beruhigend auf mich eingeredet hatte? „Der letzte Gang zu den Sternen....er ist so leicht zu gehen, Scharlih....“. Mit Schaudern erinnerte ich mich an mein Erschrecken nach diesen Worten und an mein ungutes Gefühl, eine Vorahnung könne in denselben liegen. ....Der letzte Gang ...ist so leicht.... Im Takt meines vor Angst und Verzweiflung pochenden Herzens erschienen diese Worte immer wieder vor meinem inneren Auge, ließen mich nicht mehr los, verschmolzen mit meinem Puls und den langsamen Atembewegungen meines Freundes. Ich war jetzt so intensiv in Winnetous Anblick versunken gewesen, dass ich vor Schreck zusammenzuckte, als er auf einmal tief Luft holte und sofort wieder die Arbeit seiner Hände in seinem Rücken fortzusetzen begann, wobei er die Augen weiterhin geschlossen hielt. Nun aber hielt ich es einfach nicht mehr aus, ich musste wissen, wie es ihm ging, obwohl sein Zustand ja nun wirklich offensichtlich war. Trotz der Gefahr, belauscht zu werden, riskierte ich, ihn so leise wie möglich beim Namen zu rufen. Er öffnete daraufhin langsam seine Lider und drehte seinen Kopf so, dass er mich ansehen konnte, und beides schien ihm sehr schwer zu fallen. Jetzt seinen Blick zu beschreiben, den er mir zuwarf - es ist noch heute für mich nicht leicht! Voller Wärme, voller Liebe für mich, aber auch voller Schmerz, Sorge und Erschöpfung; und ich hätte schreien mögen vor innerster Qual über dieses Leid, welches ihm wieder angetan worden war und immer noch angetan wurde! Eines aber konnte ich in diesen einzigartigen Augensternen nicht entdecken: Resignation. Im Gegenteil, sie verhießen Mut und eine unvergleichliche Zuversicht, auch dieses Mal wieder einem schrecklichen Schicksal entgehen zu können. Jetzt nickte er mir noch einmal kurz zu, schloss dann erneut die Augen und konzentrierte sich wieder völlig auf seine Aufgabe. Hier erübrigten sich Worte, sie wären auch absolut unnütz gewesen, und er brauchte seine ganze Kraft für das Lösen der Fesseln. Meine angespannten Nerven hatten sich mittlerweile wieder, auch durch Winnetous Blicke, etwas beruhigt, so dass ich nun über unser weiteres Vorgehen nachdenken konnte. Wenn wir sehr viel Glück hatten, hielt sich der elende Verbrecher an seine Worte und legte sich jetzt wirklich zur Ruhe. Sollte das auch auf die anderen Anwesenden, vor allem Motawateh, zutreffen, so bedeutete das, dass wir nun die ganze Nacht über Zeit haben würden, uns von den Fesseln zu befreien und unsere Flucht zu planen und durchzuführen. Allerdings gab es einige Hindernisse, die wir überwinden mussten. Zuerst einmal war es überhaupt nicht sicher, dass es Winnetou wirklich gelingen würde, sich zu befreien, bevor die Erschöpfung ihn völlig übermannte und sein Körper ihm schlicht und ergreifend den Dienst versagen würde. Dann war es ja auch durchaus möglich, dass sich zumindest Motawateh noch einmal vor der Nachtruhe von dem richtigen Sitz unserer Fesseln überzeugen wollte, und wenn er dann auf die Idee kam und die des Apatschen überprüfte, dann wäre unser Schicksal wohl endgültig besiegelt. Und drittens: Auf keinen Fall würde ich diesen Ort ohne meine Waffen und ohne unsere Pferde verlassen. Winnetous Waffen waren von ihm selber gut versteckt worden, wir würden wohl ohne große Probleme früher oder später an sie herankommen. Auch wusste mein Freund genau, wo sich die Pferde befanden, er hatte sich ja sowieso einen ausführlichen Überblick über das feindliche Lager verschaffen können. Aber hatte er auch beobachtet, wohin unsere Waffen und die sonstigen Gegenstände, die meine Gefährten und ich bei uns trugen, geschafft worden waren? Zumindest in Bezug auf die Gewehre war das äußerst wichtig, und deshalb unterbrach ich nun die Stille und sprach meinen Freund leise an: „Winnetou?“ Er öffnete die Augen, sah mich fragend an. „Konnte mein Bruder in der Nacht erkennen, wohin unsere Waffen verbracht worden sind?“ Und wieder einmal zeigte sich nun, wie sehr sich jeder von uns in die Gedanken des anderen einzufinden vermochte, dass wir sogar meistens zur gleichen Zeit genau das Gleiche dachten und fast immer zu dem gleichen Ergebnis kamen. Er antwortete: „Sie befinden sich im Zelt Motawatehs, ebenso wie all die anderen Gegenstände, die man euch nahm. Der Kiowa-Häuptling hatte nie vor, diese Beute mit seinem Stamm zu teilen, er wollte sie hier verstecken. Winnetou hofft, dass das noch nicht geschehen ist, so dass wir auf unserer Flucht heute Nacht keine unnötige Zeit verlieren müssen, wenn wir sie wieder in unseren Besitz nehmen.“ „Wie sollen wir vorgehen, wenn wir frei sind?“ fragte ich weiter. Ich hatte erkannt, dass es jetzt von größter Bedeutung war, von dem Apatschen alle Einzelheiten über die Umgebung des Zeltes und die Beschaffenheit des Lagers zu erfahren, da über dem ganzen Szenario immer die dunkle Bedrohung lag, dass mein Freund vorher das Bewusstsein verlieren könnte und uns somit sämtliche Möglichkeiten genommen wurden, eine etwaige Flucht genau zu planen. Und so begann Winnetou, der sich natürlich auch der drohenden Gefahr bewusst war, uns die genauen Details zu erläutern. Es strengte ihn ungemein an, und wieder einmal blutete mir das Herz bei seinem Anblick, aber ich konnte es ihm nicht ersparen. Wir erfuhren nun, wo genau sich Motawatehs Zelt mit unseren Waffen befand, wie weit der Weg zu unseren Pferden war, wie viele Wachen dort abgestellt waren und viele andere scheinbar unnütze Kleinigkeiten, die aber so ungemein wichtig für das erfolgreiche Gelingen einer Flucht waren. Anschließend besprachen wir uns auf das Genaueste, welche Aufgabe jedem von uns zufallen sollte, sobald Winnetou das Lösen seiner Fesseln geglückt war. Zudem war es von großer Wichtigkeit, alle möglichen Situationen durchzusprechen, die bis zur vollständigen Befreiung auftreten konnten. So musste zum Beispiel die Frage geklärt werden, ob Wayne Thomson, sollte er lebend in unsere Hände geraten, an Ort und Stelle getötet werden sollte, oder ob wir ihn mitnehmen wollten, um ihn einem Savannengericht zu unterziehen; gleiches galt auch für Motawateh abzuklären. Bei den anderen Kriegern waren wir uns einig: Wer sich uns in den Weg stellen sollte, dessen Leben war verwirkt. Hier war nämlich jede zarte Rücksichtnahme gleichbedeutend mit einer weiteren Lebensgefahr für uns und einem möglichen Scheitern der Flucht. Während dieser sehr, sehr leise geführten Absprachen hatte Winnetou weiterhin die ganze Zeit über unermüdlich an seinen Fesseln gearbeitet, und mittlerweile lief ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Seine Augen hatten einen erhöhten Glanz angenommen, und ich war mir sicher, dass nun eine meiner ganz großen Befürchtungen allmählich Gestalt annahm: das Wundfieber! Vierzehn, fünfzehn Stunden war es ungefähr her, seit ihm die ersten Verletzungen beigebracht worden waren; keine der Wunden war in irgendeiner Weise behandelt worden, im Gegenteil, er lag hier auf dem staubigen und schmutzigen Boden, das musste so eine Infektion ja begünstigen! Auch wenn es mir kaum mehr möglich erschien, diese niederschmetternde Tatsache erhöhten meine Sorgen um den Apatschen um ein Vielfaches. Was sollte, was konnte ich nur tun, um ihm zu helfen? Nichts! Ich konnte nichts anderes tun als hoffen und beten, dass er sich seiner Fesseln entledigte, bevor einer unserer Feinde wieder das Zelt betrat oder ihn seine Kräfte endgültig verließen. Leider aber schien es so, als ob meine Gebete heute nicht erhört werden sollten. Noch während ich meinen Freund voller Mitgefühl und ängstlicher Sorge betrachtete, stieß Sam ein leises und warnendes Zischen aus, um uns auf die sich dem Zelt nähernden Schritte aufmerksam zu machen. Entsetzt starrte ich auf den Eingang, und als ich Motawateh erkannte, der mit grimmiger Miene eintrat, konnte ich nicht anders; ich schloss für einen Moment völlig entnervt die Augen. Das war der Mensch, den ich neben Thomson im Augenblick am wenigsten ertragen konnte und den ich in keinster Weise in meiner, vor allem aber in Winnetous Nähe haben wollte! Winnetou selber lag natürlich sofort wieder still; nichts deutete mehr darauf hin, dass er bei Bewusstsein war. Der Kiowa-Häuptling sah jedem von uns prüfend ins Gesicht, und als er an meinem angelangt war, ließ er ein höhnisches Grinsen sehen. Offenbar war es mir nach den letzten, so sehr an den Nerven zerrenden Stunden nicht mehr möglich, ein unbeteiligtes Gesicht zu zeigen. Er konnte mir meinen Kummer und meine Ängste um meinen besten Freund wohl ansehen, und diese Tatsache war für ihn höchst zufriedenstellend. Er stellte mir nochmals die Frage, die ich am heutigen Tage schon so oft gehört hatte, allerdings schien er kein großartiges Interesse mehr an der Beantwortung derselben zu haben, sein fast schon gelangweilter Tonfall machte das deutlich: „Und? Ist Old Shatterhand nun bereit, das Goldversteck des vor ihm liegenden Hundesohnes zu verraten?“ Ich hatte mich entschlossen, ihm kurz und knapp zu antworten, ohne ihn zu reizen und dadurch zu verhindern, dass er seinen Zorn wie früher am heutigen Tage an Winnetou ausließ. Also entgegnete ich in ruhigem Ton: „Motawateh weiß, dass ich keine Kenntnis über einen solchen Platz habe, er hat das heute schon oft von mir gehört, und daran hat sich auch jetzt nichts geändert!“ „So hat das mutlose Bleichgesicht endgültig sein eigenes Todesurteil gesprochen, genau wie das seiner Gefährten und des räudigen Kojoten, welcher hier auf dem Boden liegt!“ Mit diesen Worten trat er zu Winnetou, und mir stellten sich wieder sämtliche Nackenhaare auf. Nicht noch einmal! Nicht schon wieder Winnetou! In Gedanken schrie ich den Kiowa an: „Scher dich weg von ihm! Rühr ihn nicht an!“ Aber natürlich wurden meine stummen Schreie nicht erhört. Motawateh kniete sich neben meinem Freund nieder, tastete nach dessen Herzschlag, legte ihm kurz die Hand auf die Stirn, und als er sich wieder erhob, glaubte ich, noch nie einen Gesichtsausdruck gesehen zu haben, welcher zufriedener ausgesehen hatte als jetzt der des Kiowa-Häuptlings. In einem vor Hohn triefenden Tonfall begann er: „Leider wird sich der elende Wurm namens Old Shatterhand nicht mehr lange an dem Anblick des dreckigen Pimos erfreuen können! Der stinkende Körper hier vor uns wird bald den letzten Rest Leben aushauchen, der noch in ihm ist, um dann zu Sand und Staub zu zerfallen, welchen der Wind über alle Berge und Täler wehen wird!“ Er spuckte auf Winnetou herab und trat ihm dann auch noch zu allem Überfluss zweimal heftig in die Seite. Das wütende Knirschen meiner Zähne musste jetzt überdeutlich zu hören sein, so glaubte ich jedenfalls, und ich musste schwer an mich halten, um das zornige Beben zu unterdrücken, welches meinen Körper übermannen wollte. Trotzdem ließ ich kein einziges hasserfülltes Wort gegen den Kiowa hören, um ihn nicht zu weiteren Misshandlungen gegenüber meines Blutsbruders zu treiben. Im Gegenteil, ich gab meinem Gesicht einen möglichst resigniert aussehenden Ausdruck, so dass Motawateh ruhig denken sollte, dass ich sämtlicher Hoffnung und Zuversicht beraubt worden sei. Dieses Vorhaben schien sogar zu funktionieren. Der Indianer ließ ein verächtliches Lachen hören und trat dann an jeden einzelnen von uns heran, um unsere Fesseln zu überprüfen. Aber jetzt brach mir wirklich der Angstschweiß aus – wenn er diese Vorsichtsmaßnahme auch bei Winnetou durchführte, dann war alles verloren; er würde die gelockerten Fesseln bemerken und erkennen, dass der Apatsche daran gearbeitet hatte. Mein Freund würde ab dann mit Sicherheit den fürchterlichsten Qualen ausgesetzt werden! Diesmal aber wurden meine Stoßgebete ausnahmsweise erhört; Motawateh rührte Winnetou nicht mehr an. Nachdem die Überprüfung wohl zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war, rief er laut ein paar Worte in der Mundart der Kiowas, und schon traten einige weitere Krieger herein, die alle möglichen Arten von indianischen Speisen sowie einige Wasserkrüge ins Zelt trugen. Sie stellten die Sachen vor uns hin, und dann erklärte der Kiowa-Häuptling: „Sobald die oberste Kröte der Apatschen aus dem Leben getreten ist, werden wir aufbrechen, um Old Shatterhand, Sam Hawkens und das andere Bleichgesicht zu den Dörfern der Kiowas zu bringen, um sie dort einen heldenhaften und ehrenvollen Martertod sterben zu lassen!“ Zu uns gewandt fügte er in höhnischem Ton hinzu: „Ihr seht, wie gut wir euch behandeln, denn diese Ehre wird längst nicht jedem zuteil! Die meisten weißen Hunde hätten wir sofort erschossen!“ Er hob wieder seine Stimme und verkündete laut: „Um euren Tod für euch und für uns so ehrenvoll wie möglich zu gestalten, werden wir euch weder Hunger noch Durst leiden lassen. Im Gegenteil, wir werden euch gut mästen, so dass ihr im Vollbesitz eurer Kräfte sein werdet und so lange wie möglich am Marterpfahl bestehen könnt! Und in Zukunft wird man an allen Lagerfeuern davon erzählen, dass der tapferste Häuptling der Kiowas Winnetou und Old Shatterhand überwinden konnte!“ Na, das waren ja mal entzückende Aussichten! Erst sollte ich meinem Freund beim langsamen und qualvollen Sterben zuschauen, dann so viel essen dürfen, wie es nur ging, um anschließend so lange wie möglich die schlimmsten und schmerzhaftesten Qualen aushalten zu können, die man sich nur denken kann! Wäre die ganze Situation nicht so ernst und vor allem für Winnetou nicht so furchtbar gewesen, hätte ich Motawateh laut ins Gesicht gelacht. So aber schwieg ich und hörte scheinbar ruhig zu, wie er weitersprach: „Um euch jeden Gedanken an Flucht von vornherein zu vereiteln, werdet ihr zum Essen natürlich nicht die Hände frei bekommen, meine Krieger werden euch füttern. Morgen früh werden wir dann sehen, ob wir aufbrechen können oder ob dieser Hund hier tatsächlich doch noch einmal die Sonne aufgehen sieht!“ Er verpasste Winnetou noch einen letzten Tritt, drehte sich dann ruckartig um und verschwand. Seine Krieger wollten die Anweisungen ihres Häuptlings natürlich befolgen und begannen, mit ihren schmierigen Händen in das Essen zu langen, um es uns in den Mund zu schieben. Da hatten sie aber die Rechnung ohne uns gemacht, denn natürlich weigerten wir uns standhaft, diese „Gaben“ anzunehmen. Um nichts in der Welt hätte ich mich wie ein Kind füttern lassen, selbst wenn die Hände der Roten so rein wie Schnee gewesen wären! Meine Kameraden dachten natürlich genauso, weshalb man sofort nach dem Häuptling rief. Dieser kam dann auch schnell wieder hinzu und ließ seine Untergebenen einen nochmaligen Versuch starten, der natürlich ebenfalls fehlschlug. Motawateh hatte wieder einmal seine Gesichtsfarbe gewechselt, dunkelrot vor Zorn schrie er uns an: „Ihr seid euch wohl zu vornehm, um die Speisen der Kiowas zu genießen? Gut, so werdet ihr halt zusätzlich Hunger leiden! Und damit ihr wisst, was euch entgeht, werden wir das Essen hier stehen lassen, so könnt ihr euch wenigstens daran satt sehen!“ Voller Wut warf er ein Stück Büffelfleisch nach mir, traf mich aber nicht. Er sah es aber gar nicht mehr, da er sich schon umgedreht hatte und vor Zorn kochend das Zelt verließ; seine Krieger folgten ihm auf dem Fuße. Mit angehaltenem Atem warteten wir, bis vor dem Zelt wieder tiefste Stille herrschte, erst dann wagten wir, erleichtert aufzuatmen. Welch ein Glück! Man hatte nur unsere Banden überprüft, nicht aber die Winnetous! Doch bei dem Gedanken an meinen Freund wurde mir sofort wieder das Herz schwer. Wann endlich würden seine Qualen ein Ende finden? Alle drei sahen wir gebannt zu ihm hin; er hielt die Augen geschlossen und bewegte sich immer noch nicht. Kurz blickte ich zu Sam und Emery, die beide mit vor Sorge zusammengekniffenen Lippen den Apatschen beobachteten. Niemand von uns getraute sich, ihn anzusprechen; zu groß war die Angst vor der Erkenntnis, dass er uns nicht mehr antworten konnte. Doch mit einem Mal bewegte er sich dann doch, wobei er sofort wieder damit begann, seine Hände schnell hin und her zu bewegen, und unwillkürlich entfuhr mir ein Seufzer der Erleichterung. Er hörte das, sah zu mir herüber und ließ sogar ein leises Lächeln sehen, als er mir zuflüsterte: „Winnetous Leben liegt in der Hand des guten Manitou. Er beschützt ihn und seine Freunde und leitet Winnetous Hände, wie mein Bruder gleich sehen wird!“ Seine Bewegungen wurden jetzt kräftiger, schneller, man konnte sehen, dass er nun all seine verbliebenen Reserven einsetzte, und innerhalb kürzester Zeit lag er wieder in Schweiß gebadet. Schon wollte ich ihm Einhalt gebieten und ihm sagen, dass er sich dringendst schonen musste, da gab es einen heftigen Ruck – und Winnetou hatte seine Hände frei! Neben mir konnte Emery nur noch mit Müh und Not einen Freudenschrei unterdrücken, und auch mir fiel es äußerst schwer, nicht laut zu werden, so sehr übermannte mich die Erleichterung. Jetzt aber musste es schnell gehen. Ich hatte Winnetou gesagt, dass sich in der versteckten Tasche meiner Weste vielleicht noch das kleine Taschenmesser befand, wenn die Kiowas es nicht doch gefunden hatten. Zuerst aber musste er die Stricke um seine Fußgelenke mit den Fingern lösen, was natürlich deutlich länger dauerte, und als er sich aufrichtete, konnte er seine Schmerzen und seine Erschöpfung in keinster Weise mehr vor uns verbergen. In Gedanken feuerte ich ihn an, durchzuhalten, nur noch ein wenig, gleich war es geschafft – und dann hatte mein Freund sich endlich all seiner Fesseln entledigt! Er erlaubte sich nur ein kurzes Durchatmen, dann kroch er sofort zu mir, wobei er eine solch deutliche Blutspur hinterließ, dass mir das Herz schwer wurde, so schwer, dass ich meinen Blick schaudernd abwenden musste. Winnetou wusste, wo genau sich mein Messer befinden musste, tastete einige Augenblicke danach und hielt es dann tatsächlich in den Händen! Schnellstmöglich schnitt er die Riemen durch, die meinen ganzen Körper an den Pfahl gefesselt hielten, und machte sich dann daran, die Stricke an meinen Händen zu durchtrennen. Kaum war auch das geschehen, riss ich ihm schon das Messer aus der Hand und drückte ihn sanft, aber bestimmt mit der hastigen Aufforderung zu Boden: „Bleib liegen! Ich erledige das Übrige!“ Winnetou ließ sich auch tatsächlich ohne Widerspruch zu Boden sinken und schloss völlig erschöpft die Augen - er war jetzt wirklich am Ende seiner Kräfte. Mittlerweile zitterte er unaufhörlich, nicht nur vor Schwäche, sondern auch vor Kälte, bedingt durch den hohen Blutverlust und wahrscheinlich auch wegen des beginnenden Wundfiebers. Und dabei war es so wichtig, dass er sich irgendwie zumindest etwas erholte, wenn er die anstrengende Flucht bewältigen und vor allem überleben wollte! Ich tat noch einen Schnitt mit dem Messer, dann war ich auch die Fesseln an den Füßen los und somit endlich frei. Rasch sprang ich zu Emery; drei, vier Schnitte, und schon war auch er auf den Beinen. Wir ignorierten dabei das Kribbeln und Stechen in unseren Gliedmaßen nach Kräften, welches einsetzte, als das Blut wieder zu zirkulieren begann. Jetzt nahm Emery mir schnell das Messer mit den Worten aus der Hand: „Kümmere dich um Winnetou, ich schneide Sam los!“ Ich folgte nur zu gerne seiner Aufforderung und war sofort wieder an der Seite des Apatschen. Fieberhaft untersuchte ich nun meinen Freund in aller Kürze, um erst einmal einen Überblick über die Schwere seiner Verletzungen zu erlangen. Ich erkannte in diesem Augenblick dann auch das ganze Ausmaß seines Zustandes – und war, gelinde gesagt, schockiert. Es sah so aus, als würden sich auf Brust und Schultern Stichverletzung an Stichverletzung aneinanderreihen, und zu allem Übel konnte ich spüren, dass sein Körper aufgrund des Fiebers fast schon glühte. Durch das viele Blut waren die einzelnen Wunden noch nicht zu erkennen, daher war ich gezwungen, seinen Oberkörper zuerst grob von dem Lebenssaft zu reinigen, und aus diesem Grund war das Wasser, was uns die Kiowas dagelassen hatten, für mich jetzt wirklich Gold wert! Ich riss Emery, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten, sein Halstuch vom Körper, tränkte es mit dem Wasser und machte mich daran, die Wunden des Apatschen mit größter Vorsicht zu säubern sowie Gesicht und Körper, so gut es ging, von dem schon teilweise geronnenen Blut zu befreien. Er ließ das alles ohne irgendeine Reaktion mit geschlossenen Augen über sich ergehen. Inzwischen war auch Sam von seinen Fesseln befreit worden. Sofort zog er sich seinen unmöglichen steifen Lederrock aus und deckte den Körper meines Freundes damit zu, da er sah, wie sehr dieser aufgrund des Blutverlustes auskühlte. Er, der sonst immer eine launige Bemerkung auf den Lippen hatte, übte sich in dieser kritischen Situation in ernstem Schweigen und handelte lieber. Endlich war ich mit meiner Aufgabe soweit vorangeschritten, dass ich die Messerstiche, die man Winnetou zugefügt hatte, erkennen und zählen konnte. Es waren acht an der Zahl, verteilt im Schulter- und Brustbereich, nur ein einziger befand sich unterhalb der Rippen. Zusätzlich hatte Wayne Thomson ihm in seiner rasenden Wut noch einige Schnitte zugefügt, die aber nicht allzu tief waren. Zum Glück – wenn man in so einer Situation überhaupt von Glück sprechen durfte – hatten die Kiowas die Stiche so gezielt gesetzt, dass sie zwar starke Schmerzen bereiten sollten, aber aufgrund der geringen Tiefe und ihrer Lage nicht lebensgefährlich waren, denn zu diesem Zeitpunkt war Motawateh ja noch davon ausgegangen, den Apatschenhäuptling zu den Dörfern der Kiowas schaffen zu können, um dort die eigentlichen Marterungen durchzuführen. Das hier sollte ja nur ein „kleiner“ Vorgeschmack werden, da Motawateh seine Rachsucht nicht mehr länger hatte beherrschen können; außerdem hatte er sich maßlos über die Verschwiegenheit Winnetous geärgert, der konsequent auf alle Fragen nach dem Gold stumm geblieben war. Jetzt aber waren die Verletzungen in ihrer Summe allemal bedrohlich geworden, allein aufgrund des schon so lange währenden Blutverlustes sowie des beginnenden Wundfiebers. Äußerst vorsichtig tupfte ich meinem Freund nun das Blut von der Stirnwunde, die wohl mit am gefährlichsten war, vor allem aufgrund der Heftigkeit, mit der ihn der Thomahawk getroffen hatte, Gott sei dank nur mit der flachen Seite. Zudem hatte diese Wunde am stärksten und am längsten geblutet, sich aber mittlerweile zum Glück wieder etwas geschlossen. Ich konnte nur hoffen, dass die nur hauchdünne Kruste nicht wieder aufbrach und dass der brutale Schlag, der auch für die lange Bewusstlosigkeit verantwortlich gewesen war, das Gehirn nicht zu sehr erschüttert hatte. Dessen, was Winnetou jetzt am meisten bedurfte, war viel Flüssigkeit, also hob ich vorsichtig seinen Kopf an, um ihm zu helfen, etwas Wasser zu sich zu nehmen. Mein Kopf befand sich dadurch nun ganz nah an seinem, als er auf einmal die Augen aufschlug, mich mit einem langen und innigen Blick voller Liebe bedachte und mir schließlich so leise, dass es außer mir niemand hören konnte, zuflüsterte: „Winnetou war in größter Sorge um seinen lieben Bruder - Mein Herz ist so unendlich froh, dich gesund vor mir zu sehen!“ Mir traten die Tränen in die Augen, so sehr berührten mich seine liebevollen Worte. Wie gerne hätte ich mich jetzt an seine Seite gelegt und ihn in meine Arme gezogen, um ihm bis zu seiner Genesung einfach nur Trost und Wärme und vor allem Liebe zu spenden! Leider aber befanden wir alle uns immer noch in größter Gefahr, und daher galt es nun, dass jeder sich mit höchster Konzentration seiner ihm zugeteilten Aufgabe widmete, um unsere Flucht nicht von vornherein zum Scheitern zu verurteilen. Winnetou konnte natürlich in keinster Weise helfen, er hatte vor allem dafür zu sorgen, dass er irgendwie noch so viel Energie zusammenbekam, wie er für den gefährlichsten Moment, nämlich dem Moment des Ausbruchs, dringend benötigen würde. Kapitel 15: Versteckte Gefahren (Acht Tage zuvor) ------------------------------------------------- Acht Tage zuvor: Der Erste, der uns erreichte, war unser Doktor, und zwar nicht nur aufgrund seines schnellen Pferdes, sondern vor allem wegen seiner mal wieder übergroßen Besorgnis um die Gesundheit aller Beteiligten an diesem doch recht kritischen Zwischenfall. Er brachte seinen Rappen eher zufällig so gerade noch hart vor uns zum Stehen, sprang im gleichen Moment aus dem Sattel, geriet dadurch ins Stolpern und wäre fast der Länge nach hingeschlagen, konnte sich aber im letzten Augenblick noch abfangen. Um ihn erst einmal wieder halbwegs zu beruhigen, rief ich ihm schnell zu: „Walter, sorge dich nicht, es ist ja alles in Ordnung!“ Ich erreichte damit zumindest, dass Hendrick kurz erleichtert durchschnaufte, bevor er uns drei mit kritischen Blicken musterte und dann entschied, dass es offensichtlich doch nur Frederic war, der seiner Hilfe bedurfte. Schnell suchte er sich ein paar Utensilien aus seiner Satteltasche zusammen, bevor er sich neben dem jungen Mann setzte und behutsam begann, diesen aus seiner Schockstarre zu befreien. Winnetou und ich überließen dem Doktor nun alles weitere und zogen uns zurück, wurden dann aber sofort von dem Rest der Gesellschaft umringt. Während die Butterfields sich zum Teil auf ihr immer noch am Boden kauerndes Familienmitglied stürzten und direkt von Hendrick wieder des Feldes verwiesen wurden, überschüttete uns der andere Teil mit Ausrufen der Bewunderung sowie mit wirklich von Herzen kommenden Dankesworten. Einzig Emery behielt seine Gelassenheit bei. Er legte uns seine Hände auf die Schultern, drückte kurz zu und ließ so erkennen, dass er doch sehr erleichtert über den glücklichen Ausgang dieser nicht gerade ungefährlichen Situation war. Wir wehrten all diese gut gemeinten Nettigkeiten ab, so gut wir konnten, und besprachen dann mit Emery und Tsain-tonkee das weitere Vorgehen für die zweite Tageshälfte. Nach einer kurzen Beratung waren wir uns einig, dass an eine Weiterreise für den Rest des Tages nicht mehr zu denken war. Die gesamte Familie Butterfield befand sich immer noch in heller Aufregung, von dem jungen Frederic einmal ganz zu schweigen. Wir würden von Glück reden können, wenn wir ihn überhaupt noch mal auf ein Pferd bekommen würden, aber am heutigen Tage, mit seinen vor Angst immer noch schlotternden Knochen, würde das ein Ding der Unmöglichkeit sein. Kein Pferd, und wenn es das zahmste und friedfertigste auf Erden wäre, würde dem Jüngling heute noch gehorchen; selbst wenn es am Zügel eines anderen Reiters geführt werden würde, konnte man sicher sein, dass die Angst Frederics sich auf das Tier übertragen und es ganz konfus machen würde. Kaum waren wir zu diesem Ergebnis gekommen, schwang Winnetou sich mit einem einzigen eleganten Satz auf seinen Iltschi und ritt davon. Während ihm alle Weißen mit Ausnahme von Emery etwas verwundert hinterher sahen, wusste ich, ohne dass er auch nur ein Wort zu mir gesprochen hatte, sehr genau, was er vorhatte, ebenso wie seine Apatschen. Er suchte jetzt nach einem geeigneten Lagerplatz für den Rest des Tages und die kommende Nacht. Wir hatten uns in den letzten beiden Tagen schon bis auf wenige Meilen an die Grenzgebiete der Kiowas angenähert, und so wurde die richtige Wahl eines Lagerplatzes von Tag zu Tag wichtiger, um vor einer unerwünschten Entdeckung geschützt zu sein. Eine gute Dreiviertelstunde dauerte Winnetous Suche, dann hatte er ungefähr eine Meile entfernt einen geeigneten Ort gefunden. Während dieser Zeit gelang es dem Doktor, Frederic Butterfields Zustand wieder soweit zu normalisieren, dass man fast glauben wollte, es hätte nie eine Gefahr für ihn bestanden. Nur die Art und Weise, wie er sein Pferd kritisch beäugte, als wieder aufgesessen werden sollte, um zu unserem Nachtlager zu gelangen, ließ vermuten, dass noch einige Zeit vergehen mochte, bis er wieder ohne Angst ein Pferd würde reiten können. Ich muss sagen, ich war mittlerweile recht froh über Winnetous Zustimmung, Walter Hendrick mitreisen zu lassen; allein seine heutige Mitwirkung war wirklich Gold wert! Nach einer halben Stunde hatten wir unseren Lagerplatz erreicht. Die Butterfields sowie der Doktor sorgten für ein gewisses Maß an Behaglichkeit, während die Apatschen die direkte Umgebung absicherten und auch sofort die Wachen einteilten. Emery hatte zwei der verhinderten Goldsucher rekrutiert, um mit ihnen innerhalb des gesicherten Gebietes genug Holz für die kommenden Stunden zu sammeln. All diese Handhabungen wurden von sämtlichen Beteiligten fast schon routiniert durchgeführt, da wir diese Aufgabenverteilung während der letzten beiden Nächte auch schon so oder so ähnlich beibehalten hatten. Winnetou teilte mir währenddessen seinen Wunsch mit, den Nachmittag auf eine doch noch sinnvolle Art zu nutzen. Er wollte sich mit mir zusammen möglichst nah an die Weidegründe der Kiowas heranwagen, um herauszufinden, inwieweit der Stamm Späher an seinen Grenzen aufgestellt hatte und wo genau diese sich befanden. Auf diese Weise würden wir dann auch einen Weg suchen können, wie wir mit der ganzen Gesellschaft möglichst unbeobachtet an diesem uns feindlich gesinnten Indianervolk vorbeikommen konnten. Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, ihn zu begleiten, denn ich war dankbar für die Gelegenheit, mal wieder einige ungestörte Stunden mit meinem geliebten Blutsbruder verbringen zu dürfen. Diese Möglichkeit hatte sich seit unserer wunderbaren Nacht bei den Siedlern leider nicht mehr ergeben, so dass ich mir schon wieder sehnsüchtig wünschte, ihn wenigstens für einige Zeit mal wieder für mich ganz alleine haben zu dürfen. Wir ritten also mehrere Stunden lang, etwas nordöstlich von unserer eigentlich geplanten Route abweichend, in höchster Aufmerksamkeit und schweigend nebeneinander her, ohne jedoch irgendwelche Besonderheiten entdecken zu können. Unser Weg war kein gerader, sondern führte uns teilweise kreuz und quer durch dichtes Gebüsch, dunkle Wälder, kühle Täler sowie luftige Höhen. Direkt am Anfang überquerten wir auch den Rio Grande, der zu dieser Jahreszeit so wenig Wasser führte, dass an bestimmten Stellen ein problemloser Übergang möglich war. Auch hier suchten wir beide Uferbereiche äußerst gründlich ab, denn mein Freund wollte sichergehen, dass wir etwaige feindliche Späher eher entdeckten als sie uns, und er wusste natürlich genau, wie dieses Vorhaben am geschicktesten anzugehen war. Zwischendurch ließ Winnetou seinen Blick immer wieder innig auf mir ruhen; seine fast schon fühlbare Liebe zu mir machte mir das Herz so warm und mein ganzes Innerstes war erfüllt von einem unbeschreiblichen Glück. Ich war dann auch weniger diszipliniert als er, denn irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und ergriff seine Hand, um sie liebevoll zu drücken und einfach einen Teil von ihm so nah wie möglich bei mir zu haben. Es war schon später Nachmittag und wir hatten immer noch keine Spur eines feindlichen Wesens bemerken können, als ich in Winnetous Antlitz so etwas wie einen Hauch von Besorgnis zu entdecken glaubte. Natürlich fragte ich sofort nach dem Grund, was ihm ein leises Lächeln auf das schöne Gesicht zauberte. Er sah mich an, seine nachtschwarzen, einzigartigen Augen ließen mich wieder einmal vor Liebe erschauern, und dann meinte er: „Es ist nicht möglich, dass Winnetou etwas vor seinem Bruder Scharlih verbergen könnte! Selbst wenn der Apatsche sich selber noch nicht einmal sicher ist über das, was ihm durch den Kopf geht, bemerkt es sein geliebter Bruder sofort!“ Schmunzelnd drückte ich ihm wieder die Hand, sah ihn aber weiterhin fragend an. Er fuhr deshalb auch fort: „Winnetou ist etwas unsicher aufgrund der Tatsache, dass wir so nahe an den Weidegründen der Kiowas immer noch nicht auch nur den geringsten Anhaltspunkt für ihre Anwesenheit gefunden haben. Jeder indianische Stamm hat an den äußersten Punkten seiner Grenzen immer umherziehende Wachposten aufgestellt, und wir hätten schon seit einiger Zeit wenigstens einmal Überbleibsel eines Lagers oder sonstige Spuren von ihnen entdecken müssen, zumal wir uns genau dort bewegten, wo sich solche Späher in der Regel aufhalten.“ Er hatte Recht, und ich war mir sicher, dass mir das kurze Zeit später wahrscheinlich auch aufgefallen wäre. So überlegte ich laut: „Sollte es denn möglich sein, dass man uns schon entdeckt hat?“ „Und dass die Kundschafter sich zurückgezogen haben, um uns in Sicherheit zu wiegen?“ ergänzte Winnetou meine Gedanken. „Möglich wäre es durchaus“, meinte ich. Winnetou sann einen Augenblick über unsere Situation nach, dann sagte er: „Wir haben keine andere Wahl. Einen Umweg zu machen würde bedeuten, die Chuska- und die Zuni-Mountains teilweise überqueren zu müssen, und das ist mit diesen unerfahrenen Bleichgesichtern einfach nicht möglich!“ Ich nickte bestätigend, denn auch ich glaubte, dass ein Ritt durch ein Gebirge mit unseren ausgemachten Greenhorns das reinste Selbstmordkommando wäre. „Allerdings sollten wir uns hier noch einmal genauestens umsehen, vielleicht finden wir doch noch Spuren etwaiger Späher“, begann ich wieder von Neuem, denn ich wollte lieber ganz sicher gehen. Winnetou stimmte mir bei, und daraufhin suchten wir noch einmal in aller Vorsicht und mit größtmöglicher Aufmerksamkeit das Grenzgebiet ab, zumindest den Teil, an dem wir auf unserem Weiterritt vorüber kommen mussten. Erst als das letzte Tageslicht im Scheiden inbegriffen war, gaben wir unsere erfolglose Suche auf; erfolglos deshalb, weil wir auch diesmal nicht den geringsten Beweis einer Anwesenheit feindlicher Krieger bemerkt hatten. Als wir uns wieder in sicherer Entfernung wähnten, besprachen wir uns noch einmal ausführlich, dann atmete Winnetou tief durch und schloss unsere Überlegungen mit den Worten ab: „Wir werden halt mit den Augen eines Luchses dieses gefährliche Gebiet durchqueren und die so unvorsichtigen jungen Butterfields in den nächsten Tagen noch mehr unter unsere Beobachtung stellen müssen!“ Ihm zustimmend ergänzte ich lächelnd: „Auf jeden Fall besser als heute Mittag, richtig?“ Bei diesen Worten schüttelte ich verständnislos den Kopf. „Wie kann man nur blindlings auf eine Schlange zureiten? Bisher ging ich ja davon aus, dass jedermann schon als Kind gelernt haben sollte, wie gefährlich diese Tiere sein können...“ Winnetou sah mich an, einen Hauch der Belustigung in seinem schönen Antlitz aufweisend: „Jedes Kind der roten Rasse wird, sobald es laufen kann, über diese Gefahren belehrt. Versäumt man bei den Bleichgesichtern solche Vorsichtsmaßnahmen oder vergessen die meisten Kinder diese Belehrungen wieder, sobald sie dem Schoß der Mutter entwachsen sind?“ „Weder das eine noch das andere“, entgegnete ich schmunzelnd. „Aber ein Großteil meiner Landsleute glaubt sich erhaben über solche gutgemeinten Ratschläge, sobald sie das Erwachsenenalter erreicht haben. Sie meinen dann, alles besser zu wissen und besser zu können. Nun – Hochmut kommt vor dem Fall, das haben wir heute mal wieder deutlich gesehen!“ „Howgh! So ist es!“ bekräftigte Winnetou, trieb seinen Hengst an und dann machten wir uns wieder auf den Weg zurück zu den Unsrigen. Unterwegs warf ich immer wieder einen Blick auf meinen Freund, und wie immer, wenn ich das tat, war ich von seiner stolzen, königlichen Haltung hoch zu Ross sowie seinen schönen, ebenmäßigen Zügen, die man selbst jetzt in der Dämmerung gut erkennen konnte, völlig fasziniert. Ich musste mir eingestehen, dass ich gar keine Eile hatte, zu unseren Gefährten zurückzukehren, viel lieber wäre ich mit meinem Blutsbruder die ganze Nacht alleine geblieben. Es war für mich in den vergangenen Monaten zu einer schönen Gewohnheit geworden, ihn ständig bei mir zu haben, ich hatte ihn sogar meistens für mich ganz allein gehabt. Aber in den letzten paar Tagen war das kaum möglich gewesen, und gerade deshalb sehnte ich mich wieder nach solch einer Situation. Und wie jedes Mal, wenn ich mich in letzter Zeit gedanklich so intensiv wie im Augenblick mit meinem Winnetou beschäftigt hatte, überkam mich nun auch wieder dieses seltsame Kribbeln meiner Kopfhaut; ein völlig diffuses Gefühl der Unruhe, welches ich nicht richtig zu fassen vermochte und schon gar nicht beschreiben konnte. Ob es wohl damit zu tun hatte, dass wir in diesen Tagen zum ersten Mal wieder, seitdem mein Freund von seinen schweren Verletzungen genesen war, in ernste Gefahr geraten waren und wir uns wahrscheinlich auch in der nächsten Zeit nicht in Sicherheit wiegen konnten? War es die Sorge um ihn, dass ihn wieder eine Kugel treffen könnte, und wenn es nur eine verirrte Kugel war? Ich wusste es nicht, aber ich hoffte inständig, dass mein Gefühl mich in dieser Hinsicht täuschte! Wir waren vielleicht noch eine halbe Stunde von unserem Lager entfernt und die Dunkelheit war schon längst hereingebrochen, da hielt ich es nicht mehr aus. Ich griff Iltschi in die Zügel und zwang Winnetous Pferd ebenso wie meines, stehen zu bleiben. Mein Freund warf mir einen verdutzten Blick zu, aber da war ich schon abgestiegen, ergriff seine Hand und nötigte ihn dazu, ebenfalls abzusteigen. Er tat es und fiel mir fast in die Arme, als ich ihn schnell und heftig zu mir hinunterzog, und schon hielt ich ihn in einer sehnsuchtsvollen Umarmung fest umschlossen. Sofort begann er, diese in gleicher Weise zu erwidern. Wir hielten uns fest wie Ertrinkende, als hätten wir uns monatelang nicht gesehen. Warum war das nur so? Was geschah hier mit uns? Schon begann ich mich suchend umzublicken. Sollte es nicht möglich sein, hier irgendwo...? Winnetou war es dann, der mich zur Ordnung rief. Er las meine Gedanken, löste sich sanft von mir, sah mir tief in die Augen, schüttelte leicht den Kopf und sagte leise, während seine Hand langsam an meiner linken Wange entlang bis zu meinem Kinn fuhr: „Wenn wir noch länger ausbleiben, wird man um uns besorgt werden, wenn die Gefährten es nicht jetzt schon sind, da wir erst im Dunkeln heimkehren. Vielleicht hat man schon jemanden ausgesandt, uns zu suchen, und wenn man uns in einer solchen Lage vorfände...“ Ich nickte und zog ihn noch einmal fest in meine Arme. „Du hast ja recht, mein Freund! Aber manchmal ist mir, als ob ich dich niemals wieder loslassen könnte... Versprich mir, dass du in den nächsten Tagen besonders gut auf dich aufpasst, ja? Riskiere nicht zu viel, ich bitte dich!“ Winnetou zog sich ein Stück von mir zurück, so dass er mir in die Augen schauen konnte, und ich sah in den seinigen einen überraschten und fragenden Ausdruck, als er mir antwortete: „Meint mein Bruder, dass Winnetou heute unvorsichtig war?“ „Nein, natürlich nicht!“, entgegnete ich schnell. „Winnetou weiß, dass ich nie so über ihn denken würde! Es ist nur.... ich habe vor Monaten lernen müssen, wie schnell ein geliebter Mensch einem anderen genommen werden kann, und – ich mache mir einfach Sorgen um dich!“ Winnetou hielt meine Hände fest und sah mich einfach nur an, mit einem Blick, den ich nicht zu durchschauen vermochte. Als er nichts sagte, kroch in mir das ungute Gefühl hoch, er könnte mich falsch verstanden haben, und darum ergänzte ich hastig: „Natürlich weiß ich um deine Fähigkeiten und spreche dir auf keinen Fall deinen Mut und deine Klugheit ab, aber....“ Weiter kam ich nicht, denn jetzt war er es, der mich mit einem heftigen Ruck an sich zog und meinen Mund mit seinen herrlichen Lippen verschloss. Unendliche Sekunden oder Minuten später entließ er mich aus diesem innigen Kuss, strich mir zärtlich über die Wange und flüsterte: „Winnetou weiß, dass sein Bruder in der letzten Zeit wegen ihm durch die Hölle gegangen ist. Doch trotz allem kann und darf sich der Häuptling der Apatschen nicht wie eine alte Squaw in seinem Wigwam verstecken! Mein Bruder glaube fest an den großen und guten Manitou, von dem Winnetou weiß, dass er ihn und uns leitet und beschützt. Winnetous Leben liegt in seiner Hand!“ Es lag eine solche Sicherheit, ein solches Vertrauen in seinen Worten, dass er mich damit im Augenblick wirklich beruhigen konnte. Ich schloss ihn nochmals gerührt in die Arme, dann endlich saßen wir auf und legten den Rest unseres Weges im schnellen Tempo zurück. Tatsächlich hatten die Gefährten uns schon sehnlichst erwartet und reagierten sehr erleichtert auf unsere Rückkehr. Sie waren sich fast schon sicher gewesen, dass wir eine unangenehme Begegnung gehabt hatten, somit beruhigten wir sie schnell mit der Auskunft, dass nichts Außergewöhnliches geschehen war. Emery und den Apatschen gegenüber waren wir allerdings mitteilsamer und berichteten ihnen über Winnetous Ahnung von einem eventuellen Hinterhalt der Kiowas. Emery horchte auf und warf unseren angehenden Goldsuchern einen bezeichnenden Blick zu. Er hatte da so seine Zweifel, ob man mit diesen unerfahrenen Leuten an einer solchen Gefahrenquelle ohne Verlust von Gesundheit oder sogar Leben vorbeikommen können würde. Er äußerte diese Zweifel auch uns gegenüber und meinte dann: „Auf jeden Fall sollten wir unseren Greenhorns dahinten nichts von solch eventuellen Schwierigkeiten erzählen, die bekommen ja sonst vorher schon Angstzustände, und dann ist an ein Weiterkommen mit den Herrschaften gar nicht mehr zu denken!“ Natürlich hatte er recht, und seit dem Vorfall am Mittag wuchsen auch bei mir die Zweifel über ein gutes Gelingen unseres Unternehmens, aber wir hatten diese Vorbehalte auch schon vorher gehabt und unsere Entscheidung dennoch in dieser Hinsicht gefällt; wir würden sie jetzt nicht ändern, nur weil die ersten Schwierigkeiten aufzutreten drohten. Winnetou war meinem Bericht und Emerys Einwand wie üblich schweigend gefolgt und blickte jetzt auch sehr nachdenklich zu der Familie Butterfield hinüber. Ich sah ihm an, dass er sich mit einem noch unausgereiften Gedanken befasste, wollte ihn aber nicht eher danach fragen, als bis er mit sich selbst einig war. Es war jetzt höchste Zeit, sich zur Ruhe zu begeben, denn wir wollten die heute verlorenen Stunden am morgigen Tage aufholen; außerdem stand die Überquerung des Rio Grande an und deshalb hatten wir beschlossen, morgen noch früher als gewöhnlich aufzubrechen. Winnetou machte wie üblich noch einmal seine Runde um das Lager, denn er verließ sich am allerliebsten auf sich selber, vor allem wenn es um die Sicherheit aller ging. Anschließend suchte er wie an jedem der letzten Abende den Doktor auf, um sich zu überzeugen, dass es diesem an nichts fehlte und er die Reise ohne Beeinträchtigungen fortsetzen konnte. Zu guter Letzt kam er wieder zu mir, und wir legten uns nahe beieinander zu Ruhe, zumindest so nahe, wie es möglich war, ohne die Aufmerksamkeit der restlichen Gesellschaft zu erregen. Wir waren übrigens im Augenblick noch von den Nachtwachen befreit, das würde sich aber ändern, sobald wir das für uns gefährliche Gebiet erreichten. Die Sonne war noch nicht vollständig aufgegangen, da saß unser ganzer Trupp schon reisefertig in den Sätteln. Eine Stunde später hatten wir dann auch den Rio Grande erreicht und zogen uns dort erst einmal mit den Butterfields in dicht belaubtes Unterholz zurück, während Winnetou mit seinen Apatschen nochmals die gesamte Umgebung nach feindlichen Spuren absuchte. Es wäre ja fatal gewesen, wenn wir uns mitten in dem Fluss befänden und währenddessen zur Zielscheibe von mordlustigen Kiowas avancieren würden! Bevor wir die Flussüberquerung angingen, wurden unsere Greenhorns nochmals genauestens instruiert, wie sie sich im Flussbett mit ihren Pferden zu verhalten hatten. Zur Sicherheit hatten wir beschlossen, die Butterfields in Zweierreihen hintereinander reiten zu lassen, wobei sie jeweils rechts und links von einem Apatschen sowie Emery und mir flankiert werden sollten. Wir wollten damit verhindern, dass die jungen Leute aufgrund ihrer jetzt doch spürbaren leichten Nervosität unruhig wurden und diese Unruhe auf ihre Pferde übertrugen. Den verhinderten Schlangenjäger namens Frederic wollten Emery und ich mit einem seiner Brüder zwischen uns nehmen und seinen Rotschimmel dabei von uns am Zügel führen lassen, denn diesem Jungen traute ich noch nicht zu, solch eine Flussüberquerung, zu der es doch einer mutigen und sicheren Geisteshaltung bedurfte, alleine zu bewältigen. Dem Doktor war es zwar, wodurch auch immer, gelungen, Frederic die größte Angst vor weiteren Unfällen zu Pferd zu nehmen, aber sein ganzes Wesen war dennoch von einer gewissen Unsicherheit durchdrungen und uns somit Mahnung genug, ihn vermehrt im Auge zu behalten. Insgesamt war die ganze Sache ein relativ heikles Unternehmen und ich machte mir Sorgen, ob diese Geschichte wirklich ohne Zwischenfälle oder gar Unfälle von statten gehen würde, aber da wurde ich glücklicherweise eines Besseren belehrt. Wider Erwarten ging nämlich hier wirklich alles gut. Die Jünglinge benahmen sich tatsächlich fast schon vorbildlich und ritten in Ruhe und Ordnung zwischen uns durch das Wasser, welches uns meistens bis an die Steigbügel reichte, teilweise auch darüber hinaus. Winnetou machte, wie immer ganz vorne an der Spitze reitend, wieder einmal den Führer und behielt den gesamten Uferbereich scharf im Auge, um gegen unliebsame Überraschungen gewappnet zu sein. Aber nichts geschah, alles blieb ruhig, und wir erreichten das gegenüberliegende Ufer ohne auch nur den kleinsten Zwischenfall. Innerlich atmete ich erleichtert auf, und Emery konnte ich ansehen, dass es ihm nicht anders erging. Er schielte zu mir hinüber, lächelte breit und signalisierte mir durch das Antippen seiner Hutkrempe, dass er sicher war, dass wir das Schlimmste am heutigen Tag überstanden hätten. Woher sollten wir auch wissen, wie sehr er sich da täuschte? Der Rest des Tages verlief ebenso friedlich und ohne besondere Vorkommnisse, wie er begonnen hatte. Wir behielten unsere Vorsichtsmaßnahmen bei, indem wir den ganzen Trupp ständig weitläufig umrundeten und Winnetou teilweise weit voraus ritt, um eventuelle Feinde oder ihre Spuren so früh wie möglich zu entdecken. Er war der absolut geeignete Mann dazu, denn er vermochte sich auf solchen Kundschafterritten förmlich unsichtbar zu machen, wobei er selber nicht die geringsten Kleinigkeiten übersah. Hin und wieder, wenn ich meinem Freund während meiner Ritte begegnete, sah ich den Ausdruck des Zweifels und des Misstrauens über sein Gesicht huschen. Ich wusste, gerade die Tatsache, dass wir immer noch nicht auf auch nur die kleinste Spur eines Kiowa gestoßen waren, machte ihn unruhig und erhöhte seine Aufmerksamkeit um so mehr. Am späten Nachmittag dann hatten wir ein riesiges Waldgebiet erreicht. Wir mussten es auf dem Weg zum Ship Rock fast der Länge nach durchreiten und würden dafür wahrscheinlich noch einen Großteil des morgigen Tages benötigen. Heute rasteten wir, nachdem wir noch weitere drei Stunden geritten waren, in einem sehr dicht belaubten Teil des Waldes, am Fuße einiger Ausläufer des Mount Taylor, dessen Felsen uns zu drei Seiten hin einen außerordentlich guten Schutz boten. Auch hier wurden wieder die üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen, und als Winnetou und ich von seinem allabendlichen Erkundungsgang, zu dem ich ihn diesmal begleitet hatte, wieder zurückgekehrt waren und uns zum Nachtmahl am Feuer niedergelassen hatten, da trat Frederic Butterfield auf uns zu, sichtlich unsicher und mit einer solch betretenen Miene, dass ich Mühe hatte, mir meine Belustigung nicht anmerken zu lassen. Mit ausgesuchter Höflichkeit bat er, sich kurz zu uns setzen zu dürfen, und natürlich wurde ihm das erlaubt. Abwechselnd sah er Winnetou und mir ins Gesicht, und gerade die ausdruckslose Miene des Apatschen sowie dessen dafür um so mehr sprechenden und den Jüngling mit scharfen Blick beobachtenden Augen bewirkten, dass der sich kaum getraute, ihn geradeheraus anzusehen, sondern sich lieber mir zuwandte, als er das Gespräch begann: „Mr. Shatterhand....Ich wollte es Euch schon....also, ich meine, ich wollte es Winnetou und Euch schon gestern Abend sagen....und dann eigentlich den ganzen heutigen Tag über, aber Ihr wart immer so schnell wieder davongeritten.... also, was ich eigentlich sagen wollte, ist....“ Hier stockte er und machte ein solch verlegenes Gesicht, dass ich mir ein Lächeln beim besten Willen nicht mehr verkneifen konnte und ihm mit sanfter Stimme entgegenkam: „So sagt ruhig, was Euch auf dem Herzen liegt, Master Frederic! Wir hören zu!“ Der junge Mann schluckte noch einmal, dann überwand er seine Scheu und begann: „Ich.... ich wollte mich bei Euch für meine Dummheit wegen der Schlange gestern ernsthaft entschuldigen und bitte Euch von ganzem Herzen, mir das zu glauben und sie anzunehmen...? Es tut mir außerordentlich Leid, dass ich Euch dadurch in Lebensgefahr gebracht hatte!“ Fast schon ängstlich hielt er seinen Blick zu Boden gesenkt. Mein Lächeln wurde breiter; ich war gerade im Begriff, ihm zu antworten, da kam Winnetou mir zuvor. Ich sah, dass auch er lächelte, als er sprach: „Mein kleiner weißer Bruder kann sicher sein, dass weder Old Shatterhand noch Winnetou ihm weiter zürnen werden. Wenn das Bleichgesicht verspricht, in Zukunft auf unsere Anweisungen zu hören und sich nicht mehr aus Neugier in solche Gefahren zu begeben, dann wird es so sein, als sei der gestrige Vorfall niemals geschehen!“ Über das Gesicht des jungen Butterfield glitt ein solch erleichterter Ausdruck, dass es wirklich der Zauberei bedurft hätte, ihm noch weiter böse zu sein. Ich schloss mich natürlich Winnetous Worten an, und Frederic versprach uns hoch und heilig und das gleich mehrfach, in Zukunft keinerlei Unvorsichtigkeiten mehr zu begehen. Die nächsten Tage sollten zeigen, dass er sich auch wirklich daran hielt, aber wer hätte wissen können, dass dafür Andere an seine Stelle traten, sogar noch am heutigen Abend? Wir hatten von den fürsorglichen Siedlern, wie schon erwähnt, so viel Proviant mit auf den Weg bekommen, dass auf unserer Reise keinerlei Notwendigkeiten bestanden, jagen zu gehen. Nun ist aber ja allgemein bekannt, dass frisch zubereitetes Fleisch deutlich besser schmeckt als getrocknetes, welches wir in unseren Taschen hatten. Einige der Jünglinge waren aufgrund der wenigen Widerstände, die sich uns in den letzten Tagen entgegengestellt hatten, und vor allem gerade durch die heutige problemlose Überquerung des Rio Grande sehr selbstsicher, fast schon ein wenig übermütig geworden, hatten sie sich doch „bewiesen“, dass sie einer solch recht gefährlichen Reise durchaus gewachsen waren. Dazu kam, dass bei den jungen Männern der Appetit auf Frischfleisch wuchs, zudem sie es überhaupt nicht gewohnt waren, längere Zeit von trockenem Dörrfleisch zu leben. Das folgende Geschehen erschloss sich uns dann erst spät am Abend, als die zwei Jünglinge, die darin verwickelt waren, sich wieder soweit beruhigt hatten, dass sie uns, immer noch am ganzen Körper zitternd, zumindest einigermaßen zusammenhängend den Hergang berichten konnten. Wir hatten den Herrschaften aufgrund unseres doch recht sicheren Lagers erlaubt, sich innerhalb der bewachten Umgebung etwas die Beine zu vertreten. Sie nutzten das auch redlich aus und waren dabei meist in Zweiergruppen unterwegs. Nun kam es, dass einer der Männer namens George, der zusammen mit seinem Cousin Morton unterwegs war, auf die Spur eines Wildtieres traf, und beide Butterfields waren sofort felsenfest davon überzeugt, dass es sich hierbei nur um ein Wildschwein handeln konnte. Anstatt nun einen von den im Westen erfahrenen Männern um Hilfe zu bitten, kamen sie auf die glorreiche Idee, sich den fetten Braten selber zu schießen, um sich anschließend von der gesamten Gesellschaft als große Jäger feiern zu lassen. Die beiden unverbesserlichen Greenhorns folgten also der Spur, von der jedes in der Wildnis geborene Kind sofort erraten hätte, dass es sich keinesfalls um ein Wildschwein handelte, sondern um etwas viel Gefährlicheres. Selbst diese beiden hätten es eigentlich nach wenigen Metern bemerken müssen, so deutlich waren die Spuren zu erkennen, aber in ihrem Eifer nach Ruhm und in ihrer Geltungssucht waren sie wie im Fieber und sahen nicht nach links oder nach rechts. Natürlich trafen sie dabei, wohl etwas abseits der Fährte, auf einen Apatschen, der mit vier anderen eine Postenkette rund um das Lager bildete. Sie tischten ihm schnell eine handfeste Lüge auf, indem sie behaupteten, dass sie von Emery und mir zum Beeren-Sammeln geschickt worden wären und sich dabei auch etwas weiter entfernen dürften. Der Apatsche glaubte den Männern leider, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass die Jünglinge eine solch dreiste Lüge erfinden würden. Da die beiden einige Meter von ihrer „Wildschwein-Spur“ entfernt auf den Krieger getroffen waren, hatte dieser die Fährte nicht gesehen, sonst hätte er sofort Alarm geschlagen. Die beiden Unvernünftigen drangen also weiter in das mittlerweile sehr undurchdringliche Dickicht vor und gelangten schließlich an eine mehrere dutzend Meter hohe Felsengruppe, in welcher sie, etwas getarnt durch einen Vorhang aus herabhängendem Efeu, eine Höhle auszumachen glaubten. Genau konnten sie es nicht erkennen, da die Dämmerung mittlerweile eingesetzt hatte. Aber spätestens jetzt hätten ihre sämtlichen Sinne sie vor der drohenden Gefahr warnen müssen, doch beide Butterfields hatten diese in ihrem Jagdfieber wohl komplett ausgeschaltet. Ja, sie befanden sich auf einer Jagd, auch auf einer Sammlung nach „Beeren“, nur dass diese „Beeren“ leider anders geschrieben wurden! Kapitel 16: von Bären und Büffeln (sieben Tage zuvor) ----------------------------------------------------- Sieben Tage zuvor: Winnetou, Emery und ich saßen zusammen mit dem Doktor sowie Tsain-Tonkee am indianisch geschürten Feuer, als ein grauenvolles Brüllen und Fauchen die Stille zerriss, gefolgt von mehreren, in höchster Todesangst ausgestoßene Schreie. Sofort waren wir auf den Beinen, schnappten uns die Gewehre, Walter Hendrick natürlich ausgenommen, und bedeuteten den übrigen Butterfields, ruhig am Feuer sitzen zu bleiben, um auf uns zu warten. Vier Apatschen ließen wir zu ihrem Schutz zurück, wir anderen aber hasteten überstürzt in die Richtung, aus der die fürchterlichen Geräusche zu hören gewesen waren. Natürlich war uns allen sofort bewusst, was uns am Ende erwarten würde; deutlicher konnte sich ein Grizzly ja gar nicht zu erkennen geben! Während wir mit Riesenschritten durch das dichte Gebüsch hetzten, dröhnte erneut das typische heisere und wahrlich nervenzerfetzende Brüllen des Grauen Bären durch den Wald, und wieder war daraufhin das angstvolle Kreischen menschlicher Wesen zu hören. So schnell wie jetzt waren wir selten gelaufen, denn uns graute vor der schauderhaften Vorstellung, zu spät zu kommen! Wenige Augenblicke später hatten wir dann auch den Ort des Schreckens erreicht, und zum Glück schien mittlerweile der Mond so hell, dass man auch Einzelheiten erkennen konnte. Aber dadurch bot sich uns jetzt auch eine grässliche Szenerie, welche uns wahrhaftig das Blut in den Adern gefrieren ließ! Selten habe ich ein solch riesiges Tier gesehen wie jetzt diesen Grizzly, der sich, auf beiden Hinterbeinen stehend, unmittelbar vor Morton und George Butterfield hoch aufgerichtet hatte und die zwei vor Schreck völlig erstarrten Männer bedrohte, wobei er sie noch um einiges überragte. Ich erkannte, dass Morton bereits aus einer Fleischwunde am Arm heftig blutete; der Bär hatte ihn mit seinen riesigen Pranken also schon erwischt. Wie wir später erfuhren, hatten unsere beiden verhinderten Bärenjäger das Tier erst als einen Grizzly erkannt, als sie ihm schon viel zu nahe gekommen waren. Seine Höhle, vor der er geschlafen hatte, lag etwas erhöht in der mehrere Meter ansteigenden Felswand. Von unten hatten unsere Schützlinge den Koloss im Halbdunkel nicht richtig erkennen können; sie hatten ihn wahrscheinlich für einen großen Stein gehalten. Der Bär hingegen hatte mit dem Rücken zu ihnen gelegen und war so lange liegen geblieben, bis sich die beiden Männer dicht genug hinter ihm befanden. Sofort hatte er sich daraufhin mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, die man einem solchen Riesen gar nicht zutrauen mochte, umgedreht und aufgerichtet, so dass für Morton überhaupt keine Möglichkeit mehr zu einem Rückzug gegeben war, woraufhin ihm das Tier schon innerhalb dieser ersten Bewegung den Arm aufgeschlitzt hatte. Es war jetzt deutlich zu sehen, dass nur noch Sekunden vergehen würden, bis der Koloss, der auch durch die vorhergehenden Angstschreie der Jünglinge aufs Äußerste gereizt schien, zum endgültigen Angriff übergehen würde. Winnetou und ich waren am schnellsten bei dem Grauen. Wir mussten uns gar nicht erst absprechen, sondern handelten sofort als eine Einheit, denn unsere Entscheidung über unser Vorgehen hatte in dem Moment festgestanden, als wir die Situation überblicken konnten. Unsere Gewehre konnten wir hier nicht gebrauchen - wir hätten das Tier nur von vorne mit einem gezielten Schuss in die Augen oder mitten ins Herz zur Strecke bringen können, und dieser musste sofort tödlich sein, sonst wäre das Leben der beiden Butterfields im gleichen Moment verwirkt gewesen. So ein Schuss war aber nicht möglich, da die beiden genau in unserem Schussfeld standen. Winnetou und ich brauchten dennoch nur einen Blick miteinander zu wechseln, da wusste der eine schon, was der andere dachte, und so geschah es dann auch. Wir hatten so oder so ähnlich schon oft gehandelt, wenn wir den Grauen Bären gejagt hatten. Eigentlich stellte sich jetzt nur noch die Frage, wer von uns beiden sich in die unmittelbare Gefahr begeben sollte, doch ich kam nicht mehr dazu, diese zu stellen, denn schon sprang Winnetou mit einem lauten Schrei in die Lücke zwischen dem Bären und den beiden völlig verängstigten Männern. Er wedelte mehrmals mit den Armen, um sicherzugehen, dass die gesamte Aufmerksamkeit des Grizzlys jetzt ihm galt und nicht mehr den Butterfields - und dann, als der Bär sich mit einem erneuten ohrenbetäubenden Brüllen blitzschnell in seine Richtung bewegte, sprang mein Freund ebenso schnell wieder zurück. Ich hatte mich im gleichen Moment von der Seite so nahe wie möglich an das Tier herangewagt, und als der Koloss sich vor Winnetou, der erneut stehengeblieben war, wieder hoch aufrichtete, war meine Zeit gekommen. Mein Messer hatte ich schon längst griffbereit gehalten und stieß es nun so schnell wie möglich zwei Mal hintereinander dem Bären zwischen die beiden wohlbekannten Rippen. Es bedurfte einer unglaublichen Kraftanstrengung, den Stahl überhaupt durch den schweren Herzbeutel zu stoßen, und beinahe noch schwieriger war es, ihn wieder herauszuziehen. Rasch zog ich mich nun zurück, und auch Winnetou hielt ausreichend Abstand. Gespannt beobachteten wir jetzt den grauen Riesen. Dieser wankte bedrohlich, drehte sich dann aber urplötzlich in meine Richtung und schickte sich an, nun auf mich loszugehen. Sofort war der Häuptling der Apatschen an seiner Seite, um dem Bären zwei weitere Male – nun aber sein Messer - tief in das Herz zu stoßen. Blitzschnell sprang mein Freund wieder zurück, und nun warteten wir beide ab, ob der Koloss nochmal zu einem weiteren Angriff fähig sein würde. Aber alle vier Messerstiche hatten ihr Ziel wohl sehr gut getroffen. Der Grizzly stieß ein letztes Mal ein fürchterliches Brüllen aus, kurz darauf ging ein Zittern durch seinen Körper; er fiel um wie ein gefällter Baum und regte sich nicht mehr. Einen Augenblick herrschte Totenstille, dann aber brachen sämtliche Anwesende in einen ohrenbetäubenden Jubel aus, mit Ausnahme der beiden Butterfields, die leichenblass auf dem Boden hockten und zu keiner Regung, geschweige denn zu irgendwelchen Worten fähig waren. In dem Moment, als der Graue Riese sich Winnetou zugewandt hatte, war Emery herbei gesprungen und hatte die beiden Greenhorns in höchster Eile aus der Gefahrenzone gebracht. Er saß jetzt bei den unglücklichen Helden und versuchte zu verhindern, dass den beiden durch den erlittenen Schock noch nachträglich die Sinne schwanden. Ich holte erst einmal tief Atem und sah meinen Blutsbruder an. In dessen Gesicht zuckte kein Muskel, mit keiner Regung verriet er seine Gedanken oder ließ sich anmerken, dass wir gerade einen äußerst gefährlichen Nahkampf mit einem ausgewachsenen, nein, sogar riesigen Grizzly-Bären absolviert hatten, was bei den meisten Menschen wohl den unweigerlichen Tod zur Folge gehabt hätte. Er atmete sogar so langsam und ruhig, als ob er gerade aus dem tiefsten Schlaf erwacht wäre. Ich aber konnte anhand seiner minimal zusammengezogenen Augenbrauen erkennen, wie sehr es in ihm brodelte. Greenhorns durch eine ihnen unbekannte Wildnis zu geleiten, war schon oft unsere Aufgabe gewesen und es war ganz natürlich, dass so ein Vorhaben ein gewisses Maß an Problemen mit sich brachte. Aber solch einen ausgemachten Leichtsinn, wie ihn heute Abend diese beiden jungen Männer an den Tag gelegt hatten, war mit Sicherheit Grund genug, in einen anständigen Wutausbruch zu verfallen! Auch ich kochte vor Zorn, und den behielt ich verständlicherweise nicht lange für mich. Mit wenigen Schritten näherte ich mich den völlig verschreckten Greenhorns, baute mich vor ihnen auf und herrschte sie wutentbrannt an: „Seid Ihr eigentlich noch zu retten? Was fällt Euch ein, Euch einfach auf eigene Faust so weit vom Lager zu entfernen und damit auch uns alle dermaßen in Gefahr zu bringen? Und nicht nur das, mit dem Lärm, den Ihr dadurch veranstaltet habt, könntet Ihr jede Menge Feinde angelockt haben, ist Euch das eigentlich klar? Wie kann man nur so dumm sein?“ Die Gescholtenen sanken daraufhin so weit in sich zusammen, wie es noch irgendwie ging und hielten ihre Köpfe noch tiefer, obwohl sie jetzt schon fast den Boden berührten. Ich aber war noch lange nicht fertig, sondern hielt ihnen nun eine so gewaltige Standpauke, wie sie sie in ihrem Leben wohl noch nicht zu hören bekommen hatten. Das hätte ich wahrscheinlich noch eine kleine Ewigkeit so weitergeführt, wenn mir Emery nicht die Hand auf die Schulter gelegt und mich sanft von den verhinderten Helden weggeführt hätte. „Lass sie, Charley!“, versuchte er mich zu besänftigen. „Die sind im Moment doch gar nicht mehr aufnahmefähig! Außerdem bin ich der Meinung, dass die Todesangst, die die Herrschaften ausgestanden haben, eigentlich schon Strafe genug ist, glaubst du nicht auch?“ Er sah mich fragend an. Mein Zorn war aber noch lange nicht verraucht, und so zürnte ich weiter: „Sie haben nicht nur sich, sondern uns alle mit dieser unendlich dummen Aktion in Gefahr gebracht! Was, wenn sie vor dem Bären ausgerissen und das Tier dadurch in unser Lager gelockt hätten? Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Winnetou von dem Tier hätte verletzt oder sogar getötet werden können!“ „Ach, und du nicht?“, lächelte Emery mich jetzt an. „Und außerdem: Winnetou und sich von einem Grizzly besiegen lassen – das glaubst du doch nicht wirklich im Ernst, oder?“ „Er ist ebenso wie ich nicht unverwundbar, das weißt du genau! Da genügt ein winziger Augenblick der Unaufmerksamkeit, ein einziger Fehltritt oder eine erneute Störung durch diese Unglücksraben da drüben, und auch Winnetou hätte ein Opfer des Grizzlys werden können!“, beharrte ich weiter auf meinem Standpunkt, wenn auch zugegebenermaßen etwas störrisch. Ich dachte nämlich in diesem Moment wieder an meine unerklärliche Unruhe, was meinen Blutsbruder anbelangte, und daher war es mir ein Gräuel, zusehen zu müssen, wie die Butterfields in ihrer übergroßen Dummheit meinen Freund durch solch irrsinnige Handlungen immer wieder in Gefahr brachten! Dass mir die Tatsache, Thomson und seinen Kumpan vielleicht irgendwo hinter und feindliche Kiowas zusätzlich vor uns zu wissen, fast noch größere Kopfschmerzen bereitete, davon wollte ich gar nicht erst reden. Emery betrachtete mich jetzt daher auch mit etwas verwunderten Blicken, war er doch solch heftige Gefühlsausbrüche meinerseits überhaupt nicht gewöhnt. Mir tat es zwar leid, ihm gegenüber so unwirsch reagiert zu haben, aber der Zorn hielt mich weiterhin fest in seinem Bann umklammert und ich wollte ihm jetzt einfach noch mehr Luft verschaffen! Ich öffnete also schon wieder den Mund, um Emery nochmals den Leichtsinn der Jünglinge vor Augen zu führen. Dabei wollte ich ihm auch mit aller Deutlichkeit die Gefahr nahebringen, in der Winnetou sich dank dieses Leichtsinns befunden hatte, um sein Verständnis für meine Wut zu erwecken, als mein Blick zufällig auf Winnetou traf. Dieser hatte sich erst einmal zu dem Bären niedergebeugt und ihn genauestens untersucht, um sich seinen Groll nicht anmerken zu lassen und um Zeit zu gewinnen, seine Beherrschung wiederzuerlangen. Dabei hatte er unwillkürlich meine Worte gehört, ich war ja auch laut genug gewesen. Er erhob sich wieder und versuchte, meinen Blick einzufangen. Als ich in seine dunklen, sprechenden Augen sah, erkannte ich, dass meine Sorge um meinen Freund auffällig wurde und ich mich jetzt schnellstens zur Ordnung rufen sollte, um Winnetou nicht in eine unangenehme Lage zu bringen. Ich sammelte mich also einen Moment lang, dann legte ich Emery die Hand auf die Schulter und sagte in einem leichten Ton, wobei ich mir etwas mühsam ein Lächeln abrang: „Tut mir Leid, alter Freund, verzeih mir meine harschen Worte! Aber soviel Dummheit auf einmal, da fällt es selbst mir schwer, dabei ruhig zu bleiben!“ Emery haute mir seine Pranke ebenfalls, aber mit deutlich mehr Wucht auf meine Schulter und erwiderte grinsend: „Ist schon gut! War es doch auch für mich mal ein seltenes Erlebnis, dich in einer solch unbeherrschten Wut zu sehen – da könnte man ja richtig Angst bekommen....“ Er lächelte breit bei diesen Worten, aber seine Augen blieben ernst und es war ihm anzusehen, dass er mit meiner Erklärung nicht vollständig zufrieden war. Die Apatschen waren jetzt mit dem Bären beschäftigt, denn sein Fleisch würde in den nächsten Tagen unseren Speiseplan ungemein bereichern. Zwischendurch ließen die Krieger immer wieder bewundernde Ausrufe hören, da jeder unserer Messerstiche sein Ziel genau getroffen hatte. Die Männer erkannten damit den Mut und die Kaltblütigkeit an, mit der wir diesem riesigen Tier entgegengetreten waren. Ich trat hinzu, um mitzuhelfen, wobei ich die verhinderten Bärenjäger keines Blickes würdigte – es fiel mir immer noch schwer, meinen Zorn endgültig herunterzuschlucken. Winnetou hingegen hatte sich wieder vollständig unter Kontrolle. Sein gutes Herz und seine Menschlichkeit geboten ihm, sich um die stark blutende Armverletzung von Morton Butterfield zu kümmern, denn unser Doktor befand sich ja noch an unserem Lagerplatz. Mein Freund sprach während seiner Bemühungen zwar kaum ein Wort, behandelte den jungen Mann aber so gefühlvoll und vorsichtig, dass dieser es danach wagte, ihm zwar zaghaft, aber äußerst dankbar zuzulächeln. Anschließend traf der Apatsche, umsichtig wie immer, den Entschluss, nochmals die Umgebung des Lagers großräumig abzusuchen, denn durch den von den Butterfields verursachten Heidenlärm war es durchaus möglich, dass nun doch Feinde angelockt worden waren. Sogleich bot ich ihm meine Unterstützung an, und so huschten wir wenige Augenblicke später in entgegengesetzte Richtungen davon. Jeder suchte mit äußerster Sorgfalt einen Halbkreis ab, an dessen Endpunkt wir wieder zusammentreffen wollten. Das kostete natürlich viel Zeit, denn wir mussten uns möglichst ohne jedes Geräusch durch dichtes Gestrüpp arbeiten, und das im Stockdunklen. So trafen wir erst nach über einer Stunde wieder zusammen, aber keiner von uns hatte auch nur die Spur eines verdächtigen Umstandes entdeckt, so dass wir beruhigt ins Lager zurückkehren konnten. Unterwegs flüsterte Winnetou mir zu: „Noch eine solche Unbedachtheit der Bleichgesichter, und Winnetou schickt sie augenblicklich zurück zu ihren Familien, damit sie bei ihren Müttern vielleicht doch noch das Nachdenken erlernen können!“ Er sagte das in einem ruhigen, gefassten Ton, aber allein die Art und Weise, wie er die Worte aussprach, sagte mir, dass auch er sich nicht wenig über unsere Schützlinge ärgerte. Zurück am Lagerfeuer wurde mit allen Anwesenden, ausgenommen natürlich den Butterfields, ausführlich besprochen, was mit dem Bären geschehen sollte. Schnell war klar, dass wir soviel von seinem Fleisch wie möglich braten und mitnehmen wollten, aber was sollte mit dem wertvollen Fell geschehen? Es war zu schwer, um hinter einem Reiter aufs Pferd geschnallt zu werden; also würden wir ein separates Packpferd benötigen, und das hatten wir natürlich nicht. Schweren Herzens entschlossen wir uns darum, das Fell so zu behandeln, dass es ein Vergraben in die Erde für Tage oder Wochen ohne Schäden überstehen würde, denn wir hofften auf eine Möglichkeit, es innerhalb dieses Zeitraumes dann doch noch zum Pueblo transportieren zu können. Als das mit Hilfe fast aller Apatschen, mit Ausnahme der Wachposten natürlich, geschehen war, legten wir uns endlich zur Ruhe. Während ich ganz allmählich wegdämmerte, verfolgte mich noch das Gemurmel des Doktors, der auf die zwei verhinderten Bärenjäger einredete in dem Bemühen, ihnen irgendwie den Schreck und die Ängste zu nehmen, die beide natürlich noch fest im Griff hatten. Die Jünglinge hatten uns übrigens kurz zuvor noch Rede und Antwort stehen müssen, da wir natürlich genaustens wissen wollten, wie es zu diesem Desaster hatte kommen können. Allerdings befanden sie sich immer noch in einem enormen Schockzustand und daher war es fast nicht möglich, mehr als ein zusammenhangloses Gebrabbel aus ihnen herauszubekommen. Nur mit viel Geduld und durch ständiges Nachfragen erschloss sich uns nach einiger Zeit das ganze Geschehen und nötigte uns mehr als einmal ein ungläubiges Kopfschütteln ab. Am nächsten Morgen hatte kaum die Dämmerung eingesetzt, da war Winnetou schon wieder auf den Beinen, um ein weiteres Mal das Gebiet rund um das Lager abzusuchen. Wir hatten zwar nicht darüber gesprochen, aber da ich vorhatte, den Butterfields noch einmal vor versammelter Mannschaft ordentlich ins Gewissen zu reden und Winnetou das wahrscheinlich ahnte, nahm ich an, dass er nicht dabei sein wollte und deshalb zu seinem ausführlichen Rundgang angetreten war. Währenddessen ließ ich unsere Schützlinge allesamt vor Emery und mir antreten und klärte sie mit seiner Hilfe unbarmherzig über jeden einzelnen Fehler auf, den sie sich in den vergangenen Tagen und vor allem am gestrigen Abend geleistet hatten. Anschließend machte ich ihnen mit großem Nachdruck deutlich, dass wir nicht gewillt waren, ihnen auch nur noch den geringsten Ausrutscher durchgehen zu lassen, ansonsten würden wir sie entweder postwendend nach Hause bringen oder sie einfach hier in der Wildnis sitzen lassen. Ich glaube, dass die Jünglinge spätestens jetzt erkannt hatten, wie todernst es mir mit meiner Ansprache war; eifrig nickend standen sie aufgereiht wie die Schulbuben vor mir und versprachen hoch und heilig, sich in Zukunft all unseren Anordnungen zu fügen und, vor allem, keine Alleingänge mehr zu unternehmen. Unsere zwei Helden hatten ihren Schockzustand mit Hilfe des Doktors so gut wie überwunden, und auch Mortons Arm war erst von Winnetou und dann auch von Hendrick so gut versorgt worden, dass er keinerlei Schmerzen verspürte und nur wenig in seinen Bewegungen eingeschränkt war. Es war den jungen Männern aber anzusehen, dass ihnen sämtlicher Übermut und jeglicher Abenteuersinn abhanden gekommen war – ihnen würde es in Zukunft ein Leichtes sein, sich an unsere Regeln zu halten! Außerdem entschuldigten sie sich auch nochmal in aller Form bei mir, und ich nahm diese Entschuldigung natürlich an, bat sie aber gleichzeitig, diese auch an Winnetou zu richten, wenn er wiederkam, was sie dann später auch taten. Jetzt gab ich auch endlich meine gestrenge Miene auf und bat die jungen Männer lächelnd zum Frühstück, was sie alle dankbar und auch sehr erleichtert annahmen. Nun schmeckte ihnen das wunderbar zubereitete Bärenfleisch doppelt so gut, das war ihnen allen deutlich anzusehen. Auch ich freute mich sehr über diese unerwartete köstliche Mahlzeit und genoss sie in aller Ruhe. Winnetou allerdings hatte, bevor er aufgebrochen war, noch gar nichts zu sich genommen, und ich begann ihn nun sehnsüchtig zu erwarten, zumal er schon über eine Stunde fort war. Ich überbrückte die Zeit, indem ich ihm ein besonders gutes Stück vom Schinken zubereitete, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Rückkehr meines Freundes zu warten und die Sorge um ihn, die wieder einmal in mir hoch kriechen wollte, so gut wie möglich zu unterdrücken. Eineinhalb Stunden waren mittlerweile vergangen, da kam der Apatsche endlich wieder. Er setzte sich sofort an meine Seite, und ich gab mir große Mühe, mir meine Freude und Erleichterung nicht zu sehr anmerken zu lassen, denn natürlich zog er die Blicke aller Anwesenden auf sich, so dass ich gezwungen war, Haltung zu wahren. Während ich ihm den Bärenschinken reichte, berichtete Winnetou mit knappen Worten, dass ihm trotz sorgfältigster Suche kein Umstand aufgefallen war, der Anlass zur Sorge geben musste; wir konnten also getrost davon ausgehen, dass wir auf weiter Flur alleine waren und nicht verfolgt wurden. Trotzdem wollte der leise Hauch des Zweifels nicht aus Winnetous Gesicht weichen, und er bestand darauf, dass wir so schnell wie möglich aufbrachen. Ich aber nötigte ihn dazu, sitzen zu bleiben und in Ruhe zu Ende zu essen, während Emery und ich das Zusammenpacken und Aufsitzen leiteten und vor allem unsere Greenhorns nach Kräften unterstützten. In kürzester Zeit waren wir dann auch reisefertig. Weiter ging es jetzt, genau den Teil des Weges entlang, den Winnetou und ich vorgestern ausgekundschaftet hatten, immer an den Ausläufern der Zuni- und der Chuska Mountains entlang. Kleinere Flüsse und kurze Täler wurden dabei durchquert, und während sich die Familie Butterfield geradezu vorbildlich benahm und alle Anweisungen widerspruchslos befolgten, hatten die Apatschen sowie Emery und ich unsere Augen und Ohren überall. Allerdings war es in diesem unübersichtlichen Gelände nicht einfach, auf Spuren eventueller Verfolger oder Späher zu achten, trotzdem wir genauso wie in den Tagen zuvor unseren Trupp immer wieder weitläufig umrundeten und vor allem Winnetou und ich uns auch mal weiter entfernten. Doch aufgrund der Landschaft wurden unseren Erkundungsritten manchmal einfach natürliche Grenzen gesetzt. Der Tag ging dahin, und soviel wir uns auch anstrengten und trotz größtmöglicher Aufmerksamkeit fanden wir wieder einmal nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Anwesenheit von Spähern der Kiowas, von Verfolgern wie Wayne Thomson mal ganz zu schweigen. War das nun gut oder schlecht? Was die Kiowas anbelangte, da teilte ich Winnetous leise Sorge, dass wir hier eventuell in einen Hinterhalt gelockt werden sollten. Und in Bezug auf Thomson war ich mir mittlerweile sicher, dass dieser unsere Spur verloren hatte und uns im Augenblick nicht mehr gefährlich werden konnte. Wie hätte ich auch ahnen können, dass ich in dieser Hinsicht so dermaßen irrte? Woher sollte ich wissen, dass dieser Verbrecher weitaus gerissener war, als ich es jemals für möglich gehalten hatte? Woher sollte ich wissen, dass ihn der Hass auf Winnetou und seine unbändige Gier nach Gold zum Äußersten trieben? Ich würde noch heute alles dafür geben, wenn ich diesem Erzschurken früher auf die Schliche gekommen wäre und dadurch Winnetous Qualen vielleicht hätte verhindern, vollständig verhindern können! So aber ritten wir auch noch den nächsten Tag völlig unbehelligt durch dieses eigentlich für uns so gefährliche Gebiet, welches an die Weidegründe der Kiowas angrenzte und trotzdem keinen einzigen feindlichen Indianer preisgab. Mein Gefühl der Unruhe ließ mich allerdings nicht im Stich, sondern blieb beharrlich an meiner Seite, wuchs von Tag zu Tag sogar noch ein wenig mehr. Ich wich meinem Winnetou, wann immer es nur ging, nicht mehr von der Seite, und irgendwann fiel mein angespanntes Verhalten sogar Emery auf, obwohl ich es so gut wie möglich zu verstecken versuchte. Er fragte mich dann auch ganz direkt, worüber ich mir eigentlich Sorgen machte, und da Winnetou in diesem Moment weiter vorne ritt, uns also nicht hören konnte, erzählte ich dem Engländer, dem ich schon immer mein ganzes Vertrauen geschenkt hatte, von meinen unguten Ahnungen, auch mit dem Hintergedanken, dass vier Augen sicherlich mehr sehen können als zwei. Emery reagierte auch genauso, wie ich es von ihm erwartet hatte: Er nahm meine Bedenken sehr ernst und hielt nun seinerseits auch vermehrt Augen und Ohren offen. Er kannte mich ja zur Genüge und wusste, dass meine Ahnungen uns schon manches Mal vor Schlimmerem bewahrt hatten. Aber zwei Tage lang geschah nichts, rein gar nichts und unsere Reise verlief bis zum Morgen des dritten Tages völlig unspektakulär. Dieser aber brachte ein weiteres Abenteuer mit sich, welches nur leider nicht so glimpflich ablief wie bei den letzten Geschehnissen! Winnetou war am späten Vormittag wieder einmal etwas weiter voraus geritten, um sich als Kundschafter für uns zu betätigen. Ich hatte mich noch kurz mit unseren Schützlingen unterhalten und wollte gerade aufbrechen, um unsere Gesellschaft zu unserer Sicherheit weitläufig zu umkreisen, da sah ich Winnetou wider Erwarten im schnellen Galopp zurückkommen. Das war sehr auffällig und konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten, also ritt ich ihm schnell entgegen. Dann aber konnte ich mich nur noch wundern über sein Gesicht, welches vor Vergnügen fast schon strahlte. Bevor ich auch nur eine Frage stellen konnte, kam er mir zuvor und rief mir freudig zu: „Der große Geist meint es heute sehr gut mit uns! Wir werden wieder frisches Fleisch bekommen – Büffelfleisch!“ Recht erstaunt parierte ich mein Pferd direkt vor ihm. „Was? Sag nicht, du hast weiter vorne eine Bisonherde entdeckt? Die Zeit dafür ist doch noch gar nicht da!“ „Mein Bruder hat recht!“, entgegnete er breit lächelnd. „Aber es kommt doch immer wieder mal vor, dass sich eine Herde zu früh auf den Weg macht, und somit wird uns heute wirklich ein großes Glück zuteil!“ Man konnte förmlich spüren, wie das Jagdfieber meinen Freund gepackt hatte, und das war richtig ansteckend. Trotzdem hatte ich Bedenken, die ich jetzt auch äußerte: „Meint Winnetou nicht, dass wir durch eine Büffeljagd auf jeden Fall den Kiowas auffallen werden?“ Der Apatsche sah mich kurz an und erwiderte dann im Brustton der Überzeugung: „Ob wir jagen oder nicht - es spielt keine Rolle mehr, denn wir sind ihnen mit Sicherheit schon längst aufgefallen!“ Überrascht von der Endgültigkeit seiner Aussage starrte ich ihn an, aber dann begriff ich. Gerade die Tatsache, dass wir in all der Zeit nicht die geringste Spur von den Rothäuten entdeckt hatten, genügte Winnetou zu der Erkenntnis, dass diese uns zumindest beobachteten, wenn nicht sogar in eine Falle locken wollten. Die letztere Möglichkeit erschien ihm aber eher unwahrscheinlich, wie er mir jetzt auch mitteilte. „Warum sollten sie uns über eine so lange Zeit im Auge behalten, ohne uns anzugreifen? Gelegenheiten dazu hatten sich ihnen in den letzten Tagen viele geboten, warum haben sie diese nicht wahrgenommen?“ Ich musste ihm Recht geben, denn auch mir fiel keine vernünftige Antwort auf diese Frage ein. Dafür konnte ich den Grund erkennen, warum die Kiowas uns nur beobachteten und nicht angriffen. „Wenn sie uns gesehen haben, dann mussten sie auch deine Krieger und dich entdecken. Du hast gesagt, die Kiowas sind seit vielen Sommern den Bleichgesichtern nicht mehr wohlgesonnen, aber wie steht es denn mit den Apatschen?“ Winnetou antwortete: „Wir haben schon eine lange Zeit das Kriegsbeil nicht mehr gegeneinander ausgegraben, aber mein Bruder weiß genau wie ich, dass das Verhältnis zwischen unseren Stämmen kein freundschaftliches ist.“ „Hm“, meinte ich. „Trotzdem könnte es gut möglich sein, dass ihnen die Tatsache ausreicht, dass ihr im Augenblick nicht in Feindschaft lebt. Wenn wir Weißen alleine unterwegs gewesen wären – ich bin mir sicher, man hätte uns schon längst angegriffen. So aber ist es gut möglich, dass die Kiowas sich nur davon überzeugen wollen, ob wir in ihre Jagdgründe eindringen oder ihr Volk unbehelligt lassen!“ „Howgh!“ stimmte Winnetou zu. „Auch der Häuptling der Apatschen glaubt, dass dieser Gedanke der naheliegendste ist!“ Nachdem sich diese Meinung bei uns festgesetzt hatte, kehrten wir zu den Gefährten zurück und unterrichteten sie von der bevorstehenden Büffeljagd, was bei allen Anwesenden große Freude auslöste, sogar bei den Butterfields. In manchen Gesichtern glaubte ich schon wieder einen Hauch von Übermut zu entdecken, weshalb ich die Herrschaften nochmals ermahnte, sich auf jeden Fall bedingungslos unseren Anordnungen zu fügen. Sie versprachen es alle, aber auch sie hatte das Jagdfieber gepackt und ihre Augen glänzten voller Vorfreude darauf, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Herde freilebender Bisons zu Gesicht zu bekommen. Emery hatte die gleichen Vorbehalte wie ich kurz zuvor, was diese Jagd und die damit verbundene Gefahr einer Entdeckung durch die Kiowas anging, aber als wir ihm unsere Sicht der Dinge darlegten, schloss er sich schnell unserer Meinung an; er konnte sich das Ganze ja auch nicht anders erklären. Wir bereiteten uns also eilig, aber gründlich auf die Jagd vor, instruierten unsere Schützlinge aufs Genaueste, wie sie sich zu verhalten hatten und wo genau sie sich währenddessen aufhalten durften, damit sie nicht in Gefahr gerieten, von der fliehenden Herde überrannt und zu Brei getrampelt zu werden. Nicht einen Schuss sollten die Jünglinge abgeben dürfen, denn sie hätten einen Bison niemals da getroffen, wo es ihm ans Leben ging, nämlich seitlich hinter dem Schulterblatt oder in die Augen. Im Gegenteil, sie würden so ein Tier, wenn überhaupt, mit viel Glück an einer nicht tödlichen Stelle treffen und den Büffel dadurch aufs Äußerste reizen, so dass sich der Schütze augenblicklich in Lebensgefahr befinden würde. Aufgrund dieser Jagdvorbereitungen unterließen wir es an diesem Tag, wie sonst unsere Ritte rund um unsere Truppe durchzuführen. Wie sehr, ach wie sehr wünsche ich mir heute, wir hätten das gerade an diesem Tag nicht unterlassen! Denn gerade heute hätten wir wahrscheinlich etwas für uns äußerst Wichtiges entdeckt und vor allem Winnetou wäre dadurch viel Leid erspart geblieben! Die Büffelherde befand sich nur zwei, drei Meilen vor uns in einem kleinen, abgelegenen Seitental, und dieser Umstand hatte auch dazu beigetragen, dass sie uns noch nicht entdeckt oder auch nur gewittert hatten. Wir beschlossen, fünf Apatschen den hinteren Ausgang des Tales besetzen zu lassen. Diese fünf Männer sollten dann ganz langsam vorrücken und dadurch die Herde in unsere Richtung treiben, so dass wir wohl ohne große Schwierigkeiten eine junge Büffelkuh würden schießen können. Mehr sollte es auf keinen Fall werden, denn meine roten Freunde töteten nie mehr Tiere, als sie unbedingt zum Leben benötigten, und genauso hielt ich es auch. Unser Vorrat an Bärenfleisch war im Übrigen schon fast wieder aufgebraucht, so dass uns diese Bisons gerade recht kamen. Wir hatten unsere Vorbereitungen abgeschlossen, die Jagd konnte also beginnen. Gespannt warteten wir auf den Moment, in dem die Mescaleros die Büffelherde aufschrecken und zu uns treiben würden. Und dann war es endlich soweit! Am Ende des Tales konnte man eine große Staubwolke erkennen, die rasch näher kam. Ich packte meinen Bärentöter fester, ebenso wie die Zügel von Hatatitla, der auch schon ganz aufgeregt schien und nervös umher getänzelt wäre, wenn ich ihn nicht fest zwischen die Schenkel genommen hätte. Ich sah wieder nach vorne – jetzt konnte man schon Einzelheiten erkennen; die Büffel rasten auf uns zu, vorneweg ein riesiger Bulle, der sicherlich gut zwei Meter hoch war und an die dreißig Zentner wiegen durfte. Auf ihn galt es besonders zu achten, denn wenn dieser Koloss einen von uns angreifen würde, wäre es höchstwahrscheinlich um denjenigen geschehen. Hochgradig angespannt beobachteten wir die Herde, die immer näher kam, bis sie schließlich soweit herangekommen war, dass Winnetou das Signal zum Angriff geben konnte. Er hob kurz den Arm, und schon stürzten wir auf die Bisons zu. Diese erschraken natürlich heftig und stoben sofort nach allen Seiten davon, so dass wir uns schnell auf eine Kuh einigen konnten, die etwas abseits lief und somit leicht von der Herde getrennt werden konnte. Das geschah auch sofort durch die restlichen Apatschen, während Winnetou, Emery und ich die Kuh von den anderen Seiten umringten. Mein Freund und ich verständigten uns nun mit einem einzigen Blick, woraufhin wir uns etwas zurückhielten, um Emery den Vortritt zu lassen. Wir beide hatten ja schon das Vergnügen mit dem Bären gehabt; nun sollte der Engländer mal wieder sein Können beweisen dürfen! Er stutzte, aber nur kurz, dann nahm er unser Angebot dankend an, legte sein Gewehr an und traf mit nur einem einzigen gezielten Schuss das Tier mitten ins Leben. Die Büffelkuh zuckte zusammen, stolperte noch einige Meter vorwärts und brach dann tot zusammen, während der Rest der Herde weiter talauswärts raste Einige Apatschen ließen nun laute Jubelrufe hören, in die sich aber mit einem Male sehr laute Entsetzensschreie mischten, die von der gegenüberliegenden Seite des Tales zu kommen schienen! Sofort waren alle Blicke auf die in Frage kommende Stelle gerichtet, und dann konnten wir kaum glauben, was wir da sahen. Kapitel 17: Unverhofft kommt oft (vier Tage zuvor) -------------------------------------------------- Vier Tage zuvor: Wieso um alles in der Welt waren auf einmal zwei der Butterfields im Talkessel direkt am Rande der davon stürmenden Herde zu sehen? Dort hatten sie doch überhaupt nichts zu suchen! Und noch dazu Elias Peterson, der Älteste der verhinderten Goldsucher, den ich bisher eigentlich für den Vernünftigsten und den Besonnensten unter all den Jungspunden gehalten hatte! Als ich jetzt das Geschehen drüben richtig überblicken konnte, stockte mir für einen Augenblick der Atem. Unser guter Frederic, der sein durch die Klapperschlange verursachtes Abenteuer doch gerade erst vollständig überwunden zu haben schien, hatte, so sah es zumindest aus, sein Pferd wieder einmal nicht mehr unter Kontrolle gehabt und war dem der Herde voran preschenden Leitbullen im vollen Galopp viel zu nahe gekommen. Warum er überhaupt die sichere Hochebene verlassen hatte, auf welcher wir die Butterfield-Familie zurückgelassen hatten, entzog sich im Moment meiner Kenntnis. Der riesige Bulle jedenfalls bemerkte die vermeintliche Bedrohung durch Pferd und Reiter und schoss jetzt geradewegs auf beide zu. Frederic tat das einzig Richtige, was er im Rahmen seiner Möglichkeiten tun konnte: Er gab dem Pferd die Sporen und flüchtete im rasenden Galopp vor dem wütenden Koloss, und das in einer Geschwindigkeit, die ich dem doch recht unbeholfenen Reiter überhaupt niemals zugetraut hätte! Trotzdem war abzusehen, dass er über kurz oder lang wohl von dem Bullen eingeholt werden würde, denn trotz dieser riesigen Fleisch- und Knochenmasse können Bisons eine Schnelligkeit entwickeln, die es mit der eines Pferdes ohne Schwierigkeiten aufnimmt. Hinzu kam, dass Frederic sein Tier alles andere als im Griff hatte und dieses auch dadurch und aus Panik vor dem angreifenden Riesen immer wieder ins Straucheln geriet. Elias Peterson wiederum, der übrigens nur deshalb einen anderen Nachnamen trug, weil er in die Familie hinein geheiratet hatte, war wohl dem leichtsinnigen oder auch unfähigen Frederic nur gefolgt, um Schlimmeres zu verhindern, musste aber jetzt tatenlos zusehen, wie dieser in sein Unglück rannte, oder besser gesagt, ritt. Hier musste etwas geschehen, und zwar schnell, sonst war der junge Mann unrettbar verloren! Zwischen uns und dem flüchtenden Butterfield befand sich immer noch ein Großteil der davonjagenden Herde; uns blieb aber keine Zeit, um das Ende derselben abzuwarten, also nahmen Winnetou, Tsain-tonkee, Emery und ich das Wagnis auf uns und lenkten unsere Rosse mitten durch die Tiere hindurch. Das war natürlich alles andere als ungefährlich und erforderte großen Mut, Geschicklichkeit sowie die absolute Beherrschung des eigenen Pferdes. Oftmals mussten wir eine kurze Strecke Seite an Seite mit den Bisons reiten, bis wir eine Lücke fanden, durch die wir dann hindurch schlüpfen konnten. Das Ganze nahm deshalb auch einige Zeit in Anspruch, und als Winnetou und ich als erstes an der anderen Talseite ankamen, mussten wir zu unserem Schrecken erkennen, dass der massige Leitbulle Frederic schon sehr, sehr nahe gekommen war. Die beiden befanden sich noch ein gutes Stück vor uns, und darum holten wir jetzt alles an Geschwindigkeit aus unseren Rappen heraus, was noch irgendwie möglich war. Meter für Meter kamen wir so näher an den Verfolgten heran, gleichzeitig aber schloss auch der Bulle mit jeder Sekunde, die verging, weiter auf. Es war buchstäblich eine Jagd auf Leben und Tod, und es war abzusehen, dass Frederics Pferd das nur noch wenige Augenblicke durchhalten würde. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit, wie wir das Schlimmste verhindern konnten; allerdings war es mir in dem Lärm und dem Getöse der dahin donnernden Hufe von den Pferden und Büffeln nicht möglich, mich mit Winnetou auch nur durch wenige Worte zu verständigen. Worte waren dann aber auch gar nicht mehr nötig; wir wechselten nur einen Blick miteinander und uns war klar, wie wir zu handeln hatten. Wir hatten auch nur die eine Wahl: Der Bulle musste irgendwie von Frederic abgelenkt werden, und das übernahm jetzt Winnetou. Er ließ seinen Iltschi in einem wahren Kraftakt bis auf eine halbe Pferdelänge rechts vor dem Koloss aufschließen, stieß mehrmals hintereinander den Kriegsschrei der Apatschen aus und ruderte gleichzeitig mit beiden Armen, so dass das Leittier unweigerlich auf ihn aufmerksam werden musste. Winnetous Rufen reizte es wohl noch zusätzlich, denn das massige Tier ließ tatsächlich von Frederic ab, senkte den Kopf und schoss jetzt mit riesigen Sätzen auf meinen Freund zu, um ihn und sein Pferd auf die Hörner nehmen zu können. Gleichzeitig schloss ich auf der anderen Seite zu dem Bullen auf, nahm den Bärentöter in Anschlag und zielte auf einen Punkt hinter dem linken Schulterblatt des Kolosses. Wenige Meter, bevor das Tier Winnetou erreicht hatte, traf es meine Kugel, und zwar so gut, dass es mitten im Lauf stoppte, ein tiefes Brüllen ausstieß, einen Moment lang wankte und dann an Ort und Stelle leblos zusammenbrach. Emery, dessen Pferd ja bei weitem nicht an die Schnelligkeit unserer Rappen herankam, hatte mittlerweile Frederic erreicht, griff jetzt dessen Rotschimmel in die Zügel und sorgte dafür, dass das Tier zum Stehen kam. Sofort half er dem vor Angst nur so schlotternden Jüngling herunter, was gar nicht so einfach zu sein schien, da der sich vor Panik regelrecht in die Pferdemähne und den Sattelknauf gekrallt hatte und seine Finger kaum davon zu lösen waren. Kurz darauf hatte Emery den Unglücksraben aber dann doch irgendwie aus den Sattel gezogen, legte sich dessen Arm um seine Schultern und schleifte ihn mehr oder weniger zu einem sicheren Platz zwischen den Bäumen an der hier nur leicht ansteigenden Wand des kleinen Tales, wo sich der junge Mann wie ein nasser Sack zu Boden plumpsen ließ und sich dann erst einmal nicht mehr rührte. Somit wäre diese schlimme Geschichte beinahe tatsächlich zu einem guten Ende gekommen, aber leider nur beinahe. Winnetou, der sich nur wenige Meter vor dem heran springenden Bullen befunden hatte, wollte nach dessen Zusammenbruch seinen Rappen jetzt gerade wieder in unsere Richtung lenken, da er sich noch sehr nahe an den letzten vorbeirasenden Büffeln befand und diese Gefahrenzone natürlich schnell verlassen wollte. In diesem Augenblick aber war es schon geschehen. Eine vorbei hetzende Büffelkuh wurde von einem neben ihr laufenden Bullen von ihrem Weg abgedrängt und steuerte dadurch nun direkt auf Iltschi zu. Sie war schon viel zu nahe gewesen, als dass Winnetou noch hätte ausweichen können, so dass er nur noch die Zeit fand, seinen Hengst sich etwas um die eigene Achse drehen zu lassen. Er konnte aber dadurch nicht verhindern, dass die Kuh im vollen Lauf noch die Hinterhand des edlen Tieres streifte. Durch die Wucht des Aufpralls wurde Iltschi halb herumgerissen, kam heftig ins Straucheln und stürzte schwer auf die Seite. Das Ganze ging so schnell, dass es meinem Freund gerade noch gelang, sein rechtes Bein, welches sonst unweigerlich zwischen Pferdeleib und dem festgetretenen Talboden eingeklemmt worden wäre, in Sicherheit zu bringen. Er konnte aber nicht mehr verhindern, dass es ihn sofort mit roher Gewalt aus dem Sattel schleuderte, noch bevor er Zeit fand, gezielt abzuspringen – es gelang ihm auch nicht mehr, sich abzurollen, und somit stürzte er mit voller Wucht schwer zu Boden, und das auch noch mit dem Rücken zuerst! Im ersten Augenblick war ich wie erstarrt. Es schien mit einem Mal ganz still geworden zu sein – die Herde war vorbei gestürmt, nur noch entfernt war das dumpfe Trommeln ihrer Hufe zu hören, ansonsten ließ der aufgewirbelte Staub die ganze Szenerie völlig unwirklich erscheinen und hüllte alles in einen grau-braunen Nebel, der sämtliche Geräusche verschluckte. Winnetou regte sich nicht, und sofort fühlte ich die Angst um ihn mit kalter Hand nach meinem Herzen greifen. Ich schrie auf, nein, brüllte seinen Namen, war gleichzeitig mit einem einzigen Satz vom Pferd gesprungen und hetzte jetzt mit Riesenschritten auf meinen Freund zu. Iltschi hatte sich glücklicherweise sofort wieder erhoben; er näherte sich langsam seinem Herrn und begann, ihn vorsichtig zu beschnobern. In diesem Moment hatte auch ich Winnetou endlich erreicht und sah ihm fast schon panisch ins Gesicht. Er hielt die Augen geschlossen, aber deutlich konnte ich die krampfhaften Bewegungen seines Brustkorbes erkennen. Er hatte Schwierigkeiten, Atem zu holen, denn offenbar war ihm komplett die Luft weggeblieben, was bei dem heftigen Aufprall auch kein Wunder war. Aber was konnte ich jetzt tun? Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, rief ihn leise beim Namen. Er öffnete tatsächlich kurz die Augen, schloss sie aber sofort wieder und verzog schmerzvoll das Gesicht, während er sich weiter angestrengt bemühte, irgendwie wieder zu Atem zum kommen. Ich hoffte jetzt von ganzem Herzen, dass er sich keine ernsthafte Rückenverletzung zugezogen hatte, denn diese entwickeln bekannterweise ja oftmals schwerwiegende Folgen. Jetzt aber galt es erst einmal, ihm zu helfen, irgendwie wieder Luft in seine Lungen zu bekommen. Zum Glück blieb ich nicht alleine; nach wenigen Sekunden war Emery an meiner Seite, mit vor Schreck verzerrten Gesichtszügen. Ich brauchte gar nichts zu erklären, er erfasste sofort die Situation und handelte. Im fast schon rauen Befehlston wies er mich an, mit beiden Händen kurz unterhalb des Brustkorbes dem Apatschen kräftig in den Oberbauch zu drücken und wieder loszulassen, währenddessen er die Arme meines Freundes im gleichen Rhythmus über dessen Kopf und dann wieder zurück an den Leib führte. Wir brauchten diese Maßnahme nur zwei, drei Mal durchzuführen, da gelang es Winnetou endlich, mit mehreren tiefen, zittrigen und offenbar schmerzhaften Atemzügen wieder Luft zu holen. Zumindest über diese Tatsache war ich, wie man sich vorstellen kann, schon einmal grenzenlos erleichtert! Dann plötzlich krallte mein Freund seine Hand in den Halsausschnitt meines Jagdhemdes, zog sich daran etwas in die Höhe, sah mich mit einem angstvollen Ausdruck im Gesicht an und fragte keuchend: „Scharlih - ... ist Iltschi....?...“ Das Sprechen fiel ihm dabei doch noch sichtlich schwer. Sofort drückte ich ihn wieder zu Boden und bemühte mich gleichzeitig, ihm etwas von seiner Sorge zu nehmen: „Sei ganz ruhig, mein Bruder, er steht hier hinter dir und ängstigt sich eher um dich! Im Moment habe ich auch nicht den Eindruck, als wenn er sich bei dem Sturz großartig etwas getan hätte, er war ja auch sofort danach wieder aufgesprungen!“ Winnetou nickte sichtlich erleichtert, während sein Blick trotzdem noch etwas besorgt nach seinem Rappen suchte. Doch wenige Augenblicke später, noch bevor ich mich nach seinem Befinden erkundigen konnte, wollte er sich tatsächlich schon wieder aufsetzen, wahrscheinlich sogar aufstehen, aber wir hielten ihn beide energisch zurück und erlaubten ihm nur, sich in etwas erhöhter Position in meinen Schoß zu legen – zu groß war unsere Angst vor einer eventuellen Rückenverletzung, außerdem konnte er sich bei diesem schweren Sturz nun wirklich Gott weiß was gebrochen haben! Auf unseren Doktor Hendrick, der während der Jagd oben auf der Hochebene bei den Butterfields geblieben war, war zum Glück wie immer Verlass. Schon als Frederic eher gegen seinen Willen hinunter ins Tal „geritten“ kam, keimte in dem Arzt die Ahnung auf, dass er hier jetzt vielleicht bald gebraucht werden könnte. Somit hatte er sich ebenfalls, im Gegensatz zu Frederic allerdings in sehr vorsichtiger Weise, gerade auf dem Weg nach unten befunden, als die Büffelkuh mit Iltschi zusammenstieß. Jetzt kam er im schnellen Galopp auf uns zugeeilt, sprang richtiggehend flink, zumindest für seine Verhältnisse, aus dem Sattel und eilte an Winnetous Seite. Erklären brauchten wir ihm nichts mehr, er hatte alles mitbekommen und überzeugte sich jetzt erst einmal davon, ob mein Freund wirklich wieder ohne Probleme durchatmen konnte. Anschließend begann Hendrick mit einer gründlichen Untersuchung, da auch er die große Gefahr einer Rückenverletzung oder diversen Knochenbrüchen als gegeben sah. Winnetou sah ein, dass ihm keine andere Wahl blieb, als das alles über sich ergehen zu lassen – Emery und ich blieben nämlich eng an seiner Seite und er wusste genau, wir würden auf keinen Fall zulassen, dass er sich erhob, bevor der Doktor nicht die Erlaubnis dazu gegeben hatte. Zudem stand auch Tsain-tonkee hinter uns, der seine Apatschen weggeschickt hatte, um die Büffelkuh auszunehmen, und auch er sah nicht so aus, als ob er seinem Häuptling ein Aufstehen gegen den Willen des Arztes durchgehen lassen würde. Während Hendrick seiner Arbeit nachging, warf ich des Öfteren einen Blick auf Frederic Butterfield. Der saß immer noch wie ein Häufchen Elend an dem Platz, zu dem Emery ihn hingeschleppt hatte. Er rührte sich nicht und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, doch ab und zu zuckten seine Schultern und verrieten, dass er emotional wohl völlig aufgelöst war. Schon wurde er von den ersten Familienmitgliedern umringt, die es jetzt auch bis nach unten geschafft hatten und die sich nun bemühten, ihm Trost zu spenden. Ich selber aber verspürte nicht das geringste Mitleid mit dem jungen Mann, im Gegenteil, in mir kochte es schon wieder und dieser Zorn steigerte sich von Minute zu Minute. Hatte dieser Unglücksrabe nicht aus seinem Abenteuer mit der Schlange gelernt? Ich konnte es nicht fassen, dass er durch seine unglaubliche Dummheit ein weiteres Mal sich und andere in Gefahr gebracht hatte, und gerade weil es schon wieder Winnetou getroffen hatte und es auch noch gar nicht sicher war, ob dieser ohne gesundheitlichen Schaden davongekommen war, wuchs meine Wut jetzt ins Unermessliche. Sobald ich es vor mir verantworten konnte, Winnetou für kurze Zeit alleine bei unseren Freunden zu lassen, würde ich mir das Bürschchen vornehmen, und diese Unterhaltung würde alles andere als freundlich ausfallen, da konnte er aber sicher sein! In diesem Moment war ich wirklich soweit, das ganze Unternehmen abzubrechen und die unvorsichtigen Herrschaften postwendend nach Hause zu begleiten! Jetzt aber wurde meine Aufmerksamkeit wieder auf Winnetou gelenkt, der gerade eben mit Hilfe des Doktors vorsichtig aufstand, dann aber leicht zu schwanken begann – offensichtlich überfiel ihn in diesem Moment ein leichter Schwindel, so dass Emery und ich sofort eingriffen und ihn links und rechts stützten. Er atmete einige Male tief durch, während Hendrick ihn noch etwas besorgt musterte, und tat dann, als er sich wieder sicher fühlte, auf dessen Geheiß hin einige vorsichtige Schritte. Anscheinend verspürte er keine oder nur geringe Schmerzen beim Gehen, so dass er rasch schneller wurde und auf direktem Wege Iltschi entgegenging, der wenige Meter entfernt seelenruhig zu grasen begonnen hatte, um seinen geliebten Hengst erst einmal genauestens nach etwaigen Verletzungen abzusuchen. Sogleich wandte ich mich an den Arzt und fragte ihn nach dem Gesundheitszustand meines Blutsbruders, doch Hendrick konnte mich schnell beruhigen. „Mach dir nicht zu viele Sorgen, Charlie! Er hat sich zum Glück nichts gebrochen, nur der Rücken weist verständlicherweise mehrere starke Prellungen auf, die sicherlich noch einige Tage recht schmerzhaft sein werden. Ich würde ihm gerne ein Mittel dagegen geben, aber unser Freund hier gibt natürlich nicht zu, dass er überhaupt Schmerzen hat – da ist ihm wirklich nicht zu helfen!“ Die letzten Worte hatte der Doktor mit einem Anflug von fast schon verzweifelter Ironie etwas lauter ausgesprochen. Es fiel ihm sichtlich schwer, Winnetou helfen zu wollen, aber nicht zu dürfen, denn er hatte meinen Freund wirklich lieb gewonnen und wollte zu gerne alles für ihn tun, was in seiner Macht stand. Ich ließ einen erleichterten Stoßseufzer hören, denn mir war klar: dass die Sache so glimpflich ausgegangen war, konnte man wirklich Glück nennen, denn solch einen heftigen Sturz hätten nicht viele so relativ unbeschadet überstanden, schon gar nicht, wenn man wie Winnetou mit großer Wucht mit dem Rücken zuerst aufprallte. Das erinnerte mich jetzt auch schon wieder an die Ursache des Unfalles, und die war ja wohl zweifelsfrei in dem unsinnigen Auftauchen von Frederic Butterfield zu sehen. Wieder kroch die Wut in mir hoch und die Blicke, die ich dem Jüngling nun erneut zuwarf, sprachen wohl Bände. Dem Doktor blieben meine Gefühlsregungen nicht verborgen und er erkannte sofort, dass dem jungen Goldsucher in den nächsten Augenblicken ein heftiges Donnerwetter von meiner Seite aus bevorstand. Zu meinem Erstaunen ergriff er aber plötzlich Partei für den jungen Mann, indem er mich über den wahren Sachverhalt aufklärte: „Charlie, diesmal muss ich unseren Frederic aber in Schutz nehmen! Er kann eigentlich nichts dafür, dass er sich plötzlich im Tal wiederfand - das war nun wirklich nicht seine Absicht!“ Ich starrte ihn ungläubig an und erwiderte: „Ist ihm mal wieder sein Pferd durchgegangen, oder worauf willst du hinaus, Walter?“ Er antwortete: „Nicht direkt. Ich habe das Ganze genau beobachtet, da ich mich fast direkt daneben befand. Wir alle wollten natürlich eure Jagd im Tal genau beobachten und hielten uns darum so nahe wie möglich an der Kante der Hochebene auf. Allerdings verhinderte dort ein großes Gesträuch, dass wir alles richtig sehen konnten und deshalb kamen wir auf die Idee, uns auf die Pferde zu setzen, um über diese Büsche hinweg schauen zu können. Nun war es leider so, dass Frederic sich genau neben dem Pfad befand, den ihr nutztet, um ins Tal zu gelangen. Er saß also auf seinem Pferd, hielt sich so nahe wie möglich am Rand der Hochebene auf, als das Tier, welches schon die ganze Zeit über unruhig hin und her getänzelt war, irgendwie ins Stolpern geriet und dabei auf die Seite strauchelte. Schon befand es sich halb auf dem Pfad und da es dort, wie du weißt, ja gleich steil abwärts geht, wurde es durch seinen eigenen Schwung direkt bergab getrieben. Frederic bemühte sich nach Kräften, aber er konnte das Tier einfach nicht mehr aufhalten, dafür hat er auch viel zu wenig Erfahrung. Es kam, wie es kommen musste, die zwei stolperten mehr herab, als dass sie ritten, und der eigene Schwung trug sie, als sie unten angekommen waren, direkt in die Nähe des Leitbullen – es war einfach nicht mehr aufzuhalten!“ Immer noch etwas verärgert sah ich Hendrick zweifelnd an. Er nickte, als er weitersprach: „Dieses Mal war es wirklich ein Versehen! Das Einzige, was du ihm höchstens vorwerfen kannst, ist eine gewisse Unbedachtheit in seinem Handeln – Frederic zeigt sich nun einmal von einer wenig vorausschauenden Seite!“ „Hm!“, machte ich und warf wieder einen Blick hinüber zu dem Häuflein Elend, in das sich der junge Butterfield verwandelt hatte. „Wenn du das so siehst....“ „Ja, genau so sehe ich es!“, beteuerte Walter Hendrick noch einmal. „Ich kann deinen Ärger sehr gut nachvollziehen und bin ebenfalls äußerst erschrocken darüber, in welche Gefahren diese Jünglinge sich und gerade auch euch immer wieder bringen, aber, ehrlich gesagt, ich glaube, das ist dem Knaben und seinen Angehörigen dahinten im Augenblick wohl mehr als bewusst!“ Damit hatte er bestimmt recht, soviel konnte ich an der Haltung der ganzen Familie, die sich um Frederic versammelt hatte, auch ablesen. Natürlich war es keine Absicht gewesen, das war mir auch vorher schon klar gewesen, aber wie lange sollten wir diese mit Übermut gepaarte Unerfahrenheit der Familie noch tolerieren? Bis es einem von uns wirklich ans Leben ging? Noch vor wenigen Minuten hatte nicht mehr viel gefehlt, und mein Freund hätte diesen Tag nicht überlebt! Und gerade wenn es ihn betraf, gerade wenn sein Leben in Gefahr geriet, sank meine Toleranzgrenze neuerdings deutlich nach unten. In diesem Moment wäre es mir wirklich am liebsten gewesen, wir hätten die ganze Gesellschaft wieder nach Hause geschickt! Aufseufzend zuckte ich mit den Achseln. „Du hast natürlich recht, Walter, aber so ganz allmählich habe ich genug davon, dass wir, vor allem Winnetou, immer wieder unser Leben für diese Herrschaften riskieren müssen!“ Damit wandte ich mich ab und ging ein paar Schritte auf den Rand des Talkessels zu, um mit den Butterfields zumindest noch ein paar deutliche Worte zu wechseln. In dem Augenblick aber kam Winnetou, der sich von Iltschis Wohlbefinden überzeugt hatte, auf mich zu. Er maß mich mit einem langen, prüfenden Blick, in dem ich erkennen konnte, dass er genau wusste, wie es in mir aussah. Dann legte er mir die Hand auf die Schultern und sagte: „Komm, mein Bruder! Lass uns zu dem jungen Bleichgesicht gehen, um zu schauen, ob es sich wirklich nicht verletzt hat!“ Das war deutlich! Mit diesen Worten sagte er mir nicht nur, dass ich mir um ihn keine Sorgen mehr machen sollte, sondern vor allem, dass er Frederic Butterfield in keinster Weise zürnte, sich im Gegenteil sogar um dessen Gesundheit sorgte! Wenn also Winnetou, der ja am meisten unter der Unvorsichtigkeit des Jünglings zu leiden gehabt hatte, diesem nicht nur verzeihen konnte, sondern ihm sogar helfen wollte, dann war es ja nur recht und billig, wenn ich seinem guten Beispiel folgte. Ich ergriff also seine Hand, die noch auf meiner Schulter lag, drückte sie kurz, und dann machten wir uns auf den Weg zu unseren Schützlingen. Ich hielt mich aber absichtlich etwas hinter Winnetou, um ihn möglichst unauffällig beobachten zu können. Hinkte er vielleicht nicht doch ein wenig? Verriet sein Gang nicht doch mühsam unterdrückte Schmerzen? Ich konnte jedoch keine Bewegung erkennen, die darauf hindeutete, was aber gar nichts heißen musste, denn der Apatsche verstand es meisterhaft, seine wahren Empfindungen vor seiner Umgebung zu verbergen. Ich war allerdings auch nicht der Einzige, der solche Beobachtungen anstrebte – hinter mir lief Walter Hendrick und sein Blick war ebenfalls unverwandt auf Winnetou gerichtet, verriet somit ebenfalls die Sorgen, die er sich um meinen Freund machte. Wir hatten noch nicht ganz den Rand des Talkessels erreicht, als plötzlich ein lautes Geschrei von der anderen Seite des Tales herüber scholl, dessen Echo von einer Wand zur anderen rollte, bis es leiser wurde und schließlich ganz verschwand. Im ersten Moment konnten wir das Gebrüll gar nicht richtig zuordnen, dann aber wiederholte es sich und nun erkannten wir, dass uns jemand rief, nein, uns sogar voller Freude etwas zurief! Winnetou und ich hatten uns schon längst umgedreht, die Gewehre im Anschlag, als sich aus dem Wald auf der anderen Seite des Seitentales eine kleine, gedrungene Gestalt löste, die ihr Gewehr, welches eher einem langgezogenen Knüppel als einem Schießprügel ähnelte, weiterhin laut rufend über ihren Kopf schwenkte. Mittlerweile konnte man deutlich sehen, dass das Männlein auf keinem gewöhnlichen Pferd ritt, sondern ein Maultier sein eigen nannte, und spätestens jetzt war klar, dass uns da niemand anderer als Sam Hawkens die Ehre gab! Hocherfreut über dieses unerwartete Zusammentreffen mit meinem einstigen Lehrer lief ich ihm sofort entgegen und Winnetou folgte mir auf dem Fuße. Sam hatte uns in diesem Augenblick auch schon erreicht und sprang so leichtfüßig und geschmeidig von seiner Mary herunter, wie man es ihm aufgrund seiner kurzen Beinchen gar nicht zugetraut hätte. „Mensch, was für eine Freude, altes Greenhorn!“ rief er laut, als er sich in meine Arme stürzte. „Da reitet man so ahnungslos durch die Wildnis und trifft ausgerechnet hier auf den alten Shatterhand, inmitten einer Horde Büffel! Aber das ist ja nicht das erste Mal, dass Ihr Euch mit denen anlegt, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ „Hallo, Sam!“, rief ich erfreut und drückte ihn dabei voller Überschwang an mich. „Die Freude ist ganz auf unserer Seite! Was verschlägt Euch denn hierher?“ „Na, was wohl?“, kam es von dem Kleinen zurück. „So was kann auch nur ein Greenhorn fragen, wenn ich mich nicht irre! Die Büffel natürlich, was denn sonst! Mein Magen meinte zu mir, dass er mal wieder Lust auf eine schmackhafte Büffel-Lende habe, und dem musste ich mich doch beugen, hihihi!“ Nun löste Sam sich von mir und wandte sich Winnetou zu, woraufhin seine Miene einen besorgten Ausdruck annahm. „Wie freue ich mich, den Häuptling der Apatschen wiederzusehen!“, begrüßte er meinen Freund überschwänglich. „Ich hoffe, Ihr habt diesen schweren Sturz ohne schlimme Blessuren gut überstanden?“ Erstaunt sah ich ihn an. Hatte er dieses Beinahe-Unglück etwa mitbekommen? Winnetous Gesicht ließ darauf schließen, dass auch er das Wiedersehen mit dem kauzigen Westmann sehr begrüßte. „Winnetou ist ebenfalls erfreut darüber, den berühmten Sam Hawkens wiederzusehen! Es ist sehr lange her, dass unsere Wege sich gekreuzt haben!“ „Ja, das will ich wohl meinen, wenn ich mich nicht irre!“, erwiderte Sam. „Aber Ihr habt mir damit noch nicht meine Frage beantwortet, mein Freund! Geht es Euch gut?“ Winnetou lächelte leise und antwortete: „Mein Bruder mag sich keine Sorgen machen, Winnetou ist nichts geschehen!“ Na, das war ja wohl mal eine saftige Untertreibung, dachte ich bei mir. Dann aber fragte ich Sam: „Habt Ihr denn alles mitbekommen, was hier geschehen ist, lieber Sam?“ „Natürlich, verehrter Sir!“, lachte dieser. „Ich befand mich da drüben auf der Hochebene und wollte eben die Herde beobachten, als ich Euch sah! Natürlich war ich noch viel zu weit weg, um Euch zu Hilfe zu kommen, wenn ich mich nicht irre. Doch nun sagt einmal“, und damit wandte er seinen Kopf den Butterfields zu. „Was für einen Kindergarten schleppt Ihr denn da mit Euch herum?“ fragte er mich jetzt ganz direkt. „Na, erlaubt einmal!“, erwiderte ich augenzwinkernd. „Das sind immerhin angehende Goldsucher! Wir begleiten sie nur bis zu ihrer Bonanza, von der wir mit großer Wahrscheinlichkeit den Fundort kennen!“ Sam kicherte in sich hinein, er hatte mein Augenzwinkern richtig gedeutet. „Da habt Ihr aber noch etwas vor Euch, wenn ich mir die letzte Stunde so betrachte! Man könnte fast meinen, Ihr seid ein wenig lebensmüde, wenn ich mich nicht irre!“ Jetzt musste auch ich lächeln. „Na, so schlimm wird es schon nicht werden, lieber Sam! Eigentlich sind die Herrschaften ja ganz umgänglich...“ „Ja, bestimmt, zumindest dann, wenn sie Euch nicht gerade in Lebensgefahr bringen, hihihi! Und dabei befindet sich doch einer unter Euch, der dem Tod vor kurzem erst so gerade eben noch entronnen ist, nach all dem, was man so hört! Was glaubt Ihr wohl, wie erschrocken ich war, als ich von den Ereignissen bei Helmers Home erfuhr!“ Jetzt maß der kleine Mann Winnetou mit prüfendem Blick von oben bis unten. „Ich hatte damals noch einen Auftrag zu erledigen, von dem ich nicht zurücktreten konnte, sonst hätte ich Euch wohl schon viel eher besucht. Ich bin nämlich gerade auf dem Weg zu Euch, um mich mit meinen eigenen Augen zu überzeugen, dass Ihr dieses schreckliche Attentat tatsächlich ohne Folgen überstanden habt, wenn ich mich nicht irre! Nach all den Schauergeschichten, die man mir über die damaligen Geschehnisse berichtet hatte, ist es ja nun wirklich ein großes Wunder zu nennen, dass Ihr tatsächlich allem Anschein nach vollkommen wiederhergestellt seid!“ Er sah dabei meinen Freund mit einem so drolligen, gleichzeitig aber auch sorgenvollen und fragenden Ausdruck an, dass dieser breit lächelnd einen Schritt auf ihn zutrat, seine beiden Hände ergriff und ihm versicherte: „Mein Bruder Sam Hawkens kann ganz beruhigt sein. Der Häuptling der Apatschen spürt schon lange nichts mehr von der Kugel des feigen Banditen!“ „Na, das hoffe ich doch auch sehr!“ Sam zog kurz die Schultern hoch, so als würde er innerlich erschauern. „Das wäre aber auch ein nicht wiedergutzumachender Verlust gewesen, wenn ich mich nicht irre....Aber da habe ich ja ein unglaubliches Glück gehabt, dass ich Euch jetzt hier durch so einen Zufall treffe! Ohne die Büffel wäre ich wohl einfach ein paar Meilen entfernt an Euch vorbei spaziert und dann am Pueblo angekommen, um dort ein langes Gesicht zu ziehen, wenn ich mich nicht irre!“ Lachend legte ich einen Arm um seine Schultern und sagte: „Ja, da haben wir alle großes Glück gehabt, sonst hätten wir auf Eure kostbare Anwesenheit verzichten müssen, lieber Sam! Aber jetzt kommt erst einmal mit, ich möchte Euch den anderen Herrschaften vorstellen!“ Somit gingen wir zu dem Rest der Gesellschaft. Die Butterfields hockten alle noch auf einem Haufen neben dem unvorsichtigen Verursacher des Büffel-Unfalls, sahen uns aber jetzt doch recht neugierig entgegen. Selbst Frederic hatte seinen Schrecken vergessen und starrte die kauzige Gestalt von Sam Hawkens mit offenem Mund an. Ich stellte ihn der Familie sowie unserem Doktor vor, denn die Apatschen kannten ihn natürlich und auch Emery war ihm vor einigen Jahren einmal begegnet. Die beiden begrüßten sich somit auch recht herzlich, und für unseren Doktor Hendrick hatte der kleine Mann nur warme Worte übrig: „Ist mir eine große Ehre, Euch kennen lernen zu dürfen, wenn ich mich nicht irre! Es wurde mir in den letzten Monaten schon so viel über Eure Heilkünste berichtet, dass ich Euch unbedingt einmal die Hand schütteln wollte. Wahre Wunder sollt Ihr ja an unserem geliebten Apatschenhäuptling vollbracht haben! So etwas gefällt dem alten Sam Hawkens, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Der Doktor fühlte sich bei dieser Rede sichtlich geschmeichelt, wehrte die Lobeshymnen aber dennoch verlegen ab: „Nein, nein, also von Wunder vollbringen kann man hier nun wirklich nicht sprechen! Vielmehr sind Winnetous Lebenswille und seine enorm robuste Konstitution ein wahres Wunder zu nennen, da brauchte ich gar nicht mehr viel beizutragen!“ So so, dachte ich da bei mir; also konnte nicht nur Winnetou gnadenlos untertreiben, sondern unser guter Walter ebenso! Für die Butterfields hatte Sam zwar auch eine nette Begrüßung übrig, bei genauem Hinsehen konnte man allerdings des öfteren ein mitleidiges Zucken der Mundwinkel beobachten. Ich war sehr gespannt darauf, wie er diesen echten, wahrhaftigen Greenhorns im Laufe des Tages noch begegnen würde! Wir standen alle noch am Anfang der leicht ansteigenden Wand der Schlucht; jetzt aber wurde beschlossen, in der Nähe einen guten Platz zum Lagern zu suchen. Der war auch schnell nur wenige Meter entfernt in einem kleinen Waldstück gefunden, welches eine hübsche Lichtung beherbergte. Während die Apatschen nun allesamt mit dem Ausnehmen der Büffelkuh beschäftigt waren, mit Ausnahme meines Winnetou natürlich, setzten wir anderen uns in Ruhe zusammen und besprachen die heutigen Ereignisse sowie die der vorangegangenen Tage. Für Sam stand es außer Frage, dass er uns begleiten wollte; hatte er doch sowieso vorgehabt, Winnetou aufzusuchen. Außerdem war er ganz der Mann, der sich niemals ein mögliches Abenteuer entgehen ließ, allein die Aussicht darauf entzündete in ihm eine recht drollige Vorfreude. Was mich anbelangte, kann ich nur sagen, dass ich wirklich sehr froh über seine zusätzliche Unterstützung bei unserem immer riskanter werdenden Vorhaben war. Je mehr gute Westmänner vorhanden waren, die unsere Schützlinge in die Schranken weisen konnten, desto besser! Zudem würde das auch wieder zusätzlichen Schlaf für uns bedeuten, da wir durch Sam noch einen sehr erfahrenen Mann mehr zur Nachtwache einteilen konnten – ein willkommener Nebeneffekt! Ich signalisierte meinem ehemaligen Lehrer, unbemerkt von den Butterfields, dass wir ihm später noch einige wichtige Dinge würden mitteilen müssen, wie das auffällige Fehlen sämtlicher Späher der Kiowas, aber das musste warten, bis sich eine Gelegenheit dazu ergab. Immer noch galt bei uns die Devise: Je weniger die verhinderten Goldsucher über anstehende Probleme oder eventuelle Schwierigkeiten informiert waren, umso leichter würden wir mit ihnen durch die nächsten Tage kommen. Sam hörte sich inzwischen all die Berichte über die letzten Vorkommnisse mal staunend, mal kopfschüttelnd, mal lächelnd an, gratulierte uns noch im Nachhinein voller Hochachtung zu der Überwindung des Grizzlys und zeigte sich zwischendurch immer wieder ehrlich erfreut über das unvorhergesehene Zusammentreffen. Doch schon jetzt ließ er die eine oder andere spitze Bemerkung gegenüber unseren Schützlingen fallen, und mir bereitete es darum ein heimliches Vergnügen, wenn ich an die kommenden Tage dachte. Sam würde Zeit genug haben, sich an diesen ausgemachten Greenhorns anständig zu reiben! Der Tag verging wie im Fluge; schon hatten die Apatschen einige saftige Stücke Büffel-Lende zubereitet und gemeinsam ließen wir es uns erst einmal schmecken. Selbst die Butterfields langten ausnahmslos alle zu, auch Frederic, der zwar noch äußerst kleinlaut wirkte, aber das hatte offenbar keine Auswirkungen auf seinen mächtigen Appetit. Winnetou hatte auf jeden Vorwurf verzichtet, und ich tat es ihm somit gleich, auch wenn das mir weitaus schwerer fiel, als man mir äußerlich ansah. Mein Freund hatte in der ganzen Zeit kein Wort gesprochen, auch jetzt nach dem Essen hielt er sinnend den Kopf zu Boden gesenkt. Schon lag mir die Frage auf der Zunge, ob er sich nicht wohl fühlte, da hob er plötzlich seinen Kopf und sah die Butterfields, die sich alle lebhaft unterhielten, einen nach dem anderen scharf an. Er musste seine Stimme gar nicht erheben, um Gehör zu finden, ihr sonorer Klang ließ sofort jeden aufhorchen und direkt schweigen, wenn er zu sprechen begann. So war es auch jetzt, trotzdem fügte der Apatsche höflich die Bitte hinzu: „Würden meine weißen Brüder Winnetou für einen Augenblick ihr Ohr leihen?“ Emery warf mir einen leicht erstaunten Blick zu, denn erstens war es äußerst ungewöhnlich, dass mein Freund von sich aus das Wort ergriff, wenn es nicht unumgänglich war, und zweitens glaubte er genau wie ich, dass Winnetou von einer Strafpredigt für die unvorsichtigen Jungspunde schon längst abgesehen hatte. Emerys Blick verriet deshalb jetzt genau das, was ich auch dachte: „Oh je, meine Herren, jetzt zieht wohl besser eure Köpfe ein...“ Es kam aber völlig anders, denn mein Winnetou zeigte mir, dass er in all den Jahren nicht verlernt hatte, mich zu überraschen. Elias Peterson, der Älteste, antwortete dem Apatschenhäuptling auf seine Frage sofort wie aus der Pistole geschossen: „Natürlich, Häuptling Winnetou! Wir sind alle ganz Ohr!“ Dabei sah er Martin Butterfield scharf an, der es gerade eben wagte, seinem Nachbarn etwas zuzuflüstern, und dieser zuckte kurz zusammen und verstummte ebenfalls sofort. Für die meisten unsichtbar glitt ein winziges Zucken über Winnetous Mundwinkel, welches zeigte, dass er sich innerlich über die dienstbare Beflissenheit der jungen Männer sehr amüsierte. Doch als er zu reden begann, war sofort klar, dass er im tiefsten Ernst sprach: „Meine jungen Brüder haben in den vergangenen Tagen feststellen müssen, dass unsere Reise alles andere als frei von Gefahren ist. Und bisher waren es nur unsere natürlichen Feinde, die den Söhnen der Familie Butterfield und somit teilweise auch uns das Leben schwer gemacht haben.“ Leicht belustigt registrierte ich, wie die Köpfe aller Angesprochenen betreten zu Boden sanken. Emery und Sam taten es ihnen gleich, aber nur aus dem Grund, weil sie Mühe hatten, ihr Kichern zu unterdrücken. Unbeirrt fuhr Winnetou fort: „ Da sich hier in der Nähe ein den Bleichgesichtern feindlich gesonnener Kiowa-Stamm befindet, wird die Möglichkeit einer gefahrvollen Begegnung mit menschlichen Feinden in den nächsten zwei Tagen bestimmt nicht weniger, sondern wahrscheinlich eher noch größer werden. Winnetou glaubt nicht, dass sich unsere unerfahrenen weißen Brüder bei einem möglichen Überfall auch nur in irgendeiner Weise selbst werden verteidigen können, und wir anderen können nicht immer überall sein. Es steht daher durchaus zu erwarten, dass einer von ihnen in einer solchen Situation vielleicht seine Gesundheit oder sogar sein Leben einbüßen könnte!“ Das betretene Schweigen der zehn Männer hatte sich jetzt in eine deutliche Betroffenheit umgewandelt. Mir erschloss sich zwar im Moment noch nicht der Grund, warum Winnetou unsere Schützlinge nun doch in unser Wissen einweihte, aber die Antwort darauf würde ich mit Sicherheit bald erfahren. Die Tatsache, dass er den Leichtsinn der Männer heute schmerzhaft am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, konnte nicht die Ursache dafür sein, das war nicht Winnetous Art zu denken. Er kam jetzt auch direkt zur Sache: „Winnetou möchte seinen jungen Freunden daher einen Vorschlag machen: Er bietet ihnen an, dass er alleine zum Berg des Goldes reitet. Die Bonanza, die Winnetou dort kennt, liegt etwas näher als die, welche auf der Karte des alten Indianers verzeichnet ist. Der Häuptling der Apatschen macht sich wie alle aufrichtigen roten Männer aber nichts aus dem Gold. Er würde also gerne, während alle Anwesenden hier in diesem Tal in einem sicheren Lager warten, sein eigenes Finding Hole leeren und die Erträge daraus seinen jungen Brüdern hier schenken, so dass diese sich nicht mehr weiterhin den noch zu erwartenden Gefahren und ihrer eigenen Unfähigkeit werden aussetzen müssen!“ So, das saß! Mit nur einem einzigen Halbsatz hatte Winnetou seinem ganzen Ärger Luft gemacht, den er seit dem Bärenabenteuer stillschweigend heruntergeschluckt hatte! Die Gesichter unser Schützlinge sprachen jetzt auch Bände; dieser deutliche Vorwurf hatte sie doch getroffen. Ich dagegen konnte meinem Winnetou, zumindest in dieser Sache, nur von Herzen zustimmen, allerdings nicht bei seinem Vorhaben, ganz alleine durch gefährliches Gebiet zu reisen. Meine ungute Ahnung hatte mich nämlich beileibe nicht verlassen, im Gegenteil, und allein aus diesem Grund würde ich es niemals zulassen, dass mein Freund sich einer solchen Gefahr aussetzte! Dafür hatte ich nicht die Entscheidung getroffen, hier im Westen bei ihm zu bleiben; und gerade nach den Ereignissen damals in der Schlucht, als er unter meinen Händen beinahe gestorben wäre, würde es mir nie wieder in den Sinn kommen, ihn alleine einer möglichen Gefahr entgegen reiten zu lassen. Im Augenblick hatte ich aber gar keine Möglichkeit, meinen Unmut diesbezüglich zu äußern, denn in den Reihen der Butterfields war nach Winnetous Worten und dem kurzen Moment, den es brauchte, um ihren Sinn zu verstehen, ein wahrer Proteststurm losgebrochen. Alles rief und brüllte durcheinander, man konnte überhaupt nichts verstehen, aber dass sich die Familie mit dem Vorschlag meines Freundes nie und nimmer einverstanden erklären würde, dass war überdeutlich heraushören. Unsere Heißsporne waren einerseits wirklich überwältigt von dem großzügigen und vor allem selbstlosen Angebot des Apatschenhäuptlings, andererseits aber war es schon seit Monaten ihr großer Traum, so selbstständig wie möglich das Goldversteck zu finden und auszunehmen. Jetzt, wo sie schon so nahe dran waren, sollten sie das Geschenk eines anderen annehmen und dafür auf ihr eigenes Erfolgserlebnis verzichten? Das kam ihnen gar nicht erst in den Sinn. Ihr Selbstwertgefühl würde darunter stark leiden, und das konnte ich auch gut verstehen. Allerdings wäre es auch mir deutlich lieber gewesen, wenn sie auf Winnetous Vorschlag eingegangen wären, denn somit würde es ihnen nicht mehr möglich sein, eine Gefahr nach der anderen für sich und auch für uns heraufzubeschwören! In diesem Fall würde ich natürlich darauf bestehen, dass zumindest ich Winnetou begleitete, und da würde er mich auch niemals umstimmen können. Doch über all das hätte ich mir überhaupt keine Gedanken zu machen brauchen, denn Familie Butterfield weigerte sich beharrlich, Winnetous Angebot anzunehmen. Sie lobten zwar allesamt überschwänglich dessen Großzügigkeit und bedankten sich bei dieser Gelegenheit noch einmal ausführlich und sichtlich dankbar für seine und auch die Hilfe von uns anderen, ließen sich aber durch nichts und niemanden von ihrem Entschluss abbringen. Die jungen Männer waren einfach zu nah dran, die wohl einzige Bonanza, die sie in ihrem Leben je zu Gesicht bekommen würden, auszunehmen, und auf dieses Glücksgefühl wollten sie auf keinen Fall verzichten, zumal sie sich dann auch ihr Leben lang höchstwahrscheinlich selber vorwerfen würden, feige gehandelt zu haben. Mein Freund ließ das ganze Palaver ruhig über sich ergehen, und erst als die angehenden Goldsucher allmählich leiser wurden und ihn wieder gespannt ansahen, ergriff er nochmals das Wort. Offenbar bestand für ihn die Möglichkeit, dass die Familie sich auch aus dem Grund weigerte, weil sie mehr oder weniger unbewusst fürchtete, Winnetou könnte sich irgendwann auch an ihrem Gold vergreifen, was natürlich völlig absurd war. Trotzdem versuchte er es noch einmal: „Winnetou wird das Gold natürlich nur aus seinem eigenen Finding Hole holen, und er verspricht seinen weißen Brüdern, ihre Bonanza niemals auch nur anzurühren!“ Auf diese Worte hin brach erneut ein Sturm der Entrüstung los, dieses Mal aber nur deshalb, weil ihnen ein solch abstruser Gedanke überhaupt zugetraut worden war. Wieder rief alles durcheinander, und Winnetou musste sich mehrere Minuten lang unendlich viele Beteuerungen und Beschwörungen anhören, unter anderem die, dass ausnahmslos alle Familienmitglieder ihm bedingungslos vertrauten und niemals jemand von ihnen auch nur ansatzweise auf einen solchen Gedanken gekommen wäre. Auf dem Gesicht des Apatschen glaubte ich währenddessen einen leisen Anflug von Anerkennung zu erblicken. Ihm imponierte wahrscheinlich die Beharrlichkeit, mir der die Familie auf einer gemeinsamen Weiterreise trotz der möglichen Gefahren bestand – Mut war etwas, was Winnetou immer anerkannte, und die Entscheidung unserer Schützlinge war schon mutig zu nennen. Sie hätten es sich auch einfach machen können: Das Gold von Winnetou annehmen und dadurch ohne Sorge vor Überfällen oder Ähnlichem nach Hause zurückkehren zu können wäre ja jetzt für sie wirklich ein Leichtes gewesen! Wieder wartete mein Freund ab, bis endlich wieder Ruhe eingekehrt war, dann bestimmte er abschließend: „Gut! Winnetou respektiert den Entschluss seiner jungen Freunde und wird alles Notwendige zu ihrer Sicherheit dazutun. In ungefähr zwei Tagen werden wir die Goldmine erreichen; Winnetou und seine weißen Brüder sowie die tapferen Krieger der Apatschen werden dafür sorgen, dass wir diese auch gefahrlos erreichen. Howgh!“ Damit war alles gesagt. Sam, Emery, Tsain-tonkee und ich stimmten bedenkenlos zu, und die Butterfields zeigten sich sichtlich erleichtert, dass sie den Höhepunkt ihrer Reise doch noch miterleben durften. All diese Besprechungen, das Ausnehmen der Büffel-Kuh und das Braten ihres Fleisches, um wieder genügend Vorrat zu bekommen, nahmen fast den ganzen Nachmittag ein. Daher lohnte es sich nicht mehr, für zwei oder drei Stunden weiter zu reiten, zumal wir hier im Tal einen ganz vorzüglichen Lagerplatz vorgefunden hatten. Ich intervenierte dahingehend besonders hartnäckig, hatte ich doch ein großes Interesse an einer längeren Rast. Ich war nämlich der Meinung, dass Winnetou sich unbedingt eine längere Zeit als nur ein paar kurze Nachtstunden erholen sollte, und wenn ich mir den Doktor so anschaute, war dieser sicherlich bereit, mich bei meinem Vorhaben mit aller Macht zu unterstützen. Er wusste genauso gut wie ich, dass gerade Prellungen und eventuell angeknackste Rippen vor allem am Tag danach erst so richtig schmerzhaft wurden; und wenn uns morgen früh auffallen sollte, dass mein Freund darunter litt, dann hofften wir, dass wir ihn gemeinsam von einer Weiterreise vorerst abhalten konnten. Winnetou hatte natürlich meine Blicke und auch die des Doktors bemerkt und richtig gedeutet; jetzt legte er kurz seine Hand auf meinen Arm. Ich sah ihn an und erkannte in seinen Augen seine Zustimmung für mein Vorhaben, denn er war sich natürlich völlig im Klaren darüber, dass ich mich seit seinem Sturz von seinem Rappen um seine Gesundheit sorgte. Somit wollte er mich beruhigen, allein durch die Tatsache, dass er sich mir und dem Doktor nicht widersetzte. Jetzt erst, als entschieden war, dass wir hier lagern würden, schickten wir Späher aus, um die Umgebung zu erkunden. Eigentlich war Winnetou dafür der fähigste Mann, aber ich gab natürlich nicht zu, dass er das Lager verließ; und da ich ihm jetzt nicht gerne von der Seite weichen wollte, übernahmen einige Apachen mit Tsain-tonkee sowie Emery diese Aufgabe. Nach allem, was ich heute weiß, kann man diesen Männern nicht den geringsten Vorwurf machen wegen der furchtbaren Dinge, die drei Tage darauf geschehen sollten. Sie hatten das Umfeld des Lagers mit der höchstmöglichen Umsicht erkundet und ich bin mir sicher, dass auch Winnetou und ich nicht den kleinsten Anhaltspunkt dafür entdeckt hätten, dass wir während unserer Beratungen vorhin schon belauscht worden waren! Oder wären meinem unvergleichlichen Winnetou nicht vielleicht doch zumindest einige winzige Bruchstücke möglicher Spuren aufgefallen? Wäre das die entscheidende Wende in der ganzen Sache gewesen, die dafür gesorgt hätte, dass die schrecklichen Ereignisse im Kiowazelt sich gar nicht erst hätten entwickeln können? Ich weiß es nicht, ich weiß auch nicht, ob ich heute, da ich die ganze Sache überblicken kann, nicht doch genauso gehandelt hätte wie damals. Ich kann mir höchstens vorwerfen, dass ich mich nicht an der Spurensuche beteiligt hatte, obwohl die Möglichkeit, dass ich einen schärferen Blick als Tsain-tonkee gehabt hätte, äußerst gering war. Somit fühlten wir alle uns vollkommen sicher, als die Späher ohne schlechte Nachrichten zurückkamen, und verbrachten daher den späten Nachmittag sowie den Abend in einer geselligen Runde, die durch Sam's Anwesenheit ungemein bereichert wurde. Er wusste viel Interessantes zu erzählen und tat das auf eine so drollige und lustige Weise, dass selbst die Apatschen alle Mühe hatten, ihre Ernsthaftigkeit zu bewahren, und die Stunden schienen nur so dahinzufliegen. Zwischendurch nahm der Doktor so unauffällig wie möglich Winnetou zur Seite, um sich nochmals zu vergewissern, dass es diesem soweit gut ging. Außerdem wollte er sichergehen, dass er am Mittag wirklich keine Verletzung, wie zum Beispiel einen möglichen Rippenbruch, übersehen hatte und sich gleichzeitig vergewissern, dass die Rückenprellungen sich nicht doch verschlimmert hatten. Ich verblieb währenddessen bei den Gefährten, ertappte mich aber immer wieder dabei, dass ich mit einem Auge in das Halbdunkel wenige Meter neben mir schielte, wohin die beiden sich zurückgezogen hatten. Innerlich schalt ich mich einen Narren, aber ich konnte die Sorgen um meinen Freund nicht abstellen – es ging einfach nicht! Als die beiden nach einiger Zeit wieder in unseren Kreis zurückkehrten und Winnetou sich wie gewohnt neben mich setzte, versuchte ich erst aus seinem und dann aus dem Gesicht des Doktors Rückschlüsse auf das Ergebnis der Untersuchung zu ziehen. Während Winnetous Miene völlig unbewegt blieb, zwinkerte mir der Arzt, der um meine Sorgen natürlich genau wusste, fröhlich zu und zeigte mir gleichzeitig ein beruhigendes Lächeln. Unwillkürlich stieß ich einen erleichterten Seufzer aus, bemühte mich dann aber sofort wieder, der Unterhaltung zu folgen. Doch dann spürte ich eine leise Berührung an meiner Hand, auf der Seite, wo mein Blutsbruder saß. Flüchtig sah ich hinunter und erblickte Winnetous Linke, die sich meiner Hand genähert hatte. Sofort ergriff ich sie und drückte sie leicht; er erwiderte den Druck augenblicklich. Kurz sahen wir uns an, und das leise Lächeln sowie der innige Blick, den er mir jetzt schenkte, durchfluteten meinen Körper mit einer Wärme, die mir so unendlich wohltat! Ich konnte seine Liebe zu mir förmlich fühlen, und sie ließ mich in einem grenzenlos glücklichen Zustand zurück. Und um mich gänzlich zu beruhigen, neigte er seinen Kopf zu mir und flüsterte mir leise ins Ohr: „Hab keine Sorge, mein Bruder, Winnetou geht es wirklich gut!“ Ich nickte lächelnd und drückte noch einmal kurz seine Hand; dann lösten wir uns voneinander und widmeten uns wieder unseren Gefährten. Kapitel 18: Spuren - erst verhindert, dann gesucht... (drei Tage zuvor) ----------------------------------------------------------------------- Drei Tage zuvor: Nach einem langen, aber sehr unterhaltsamen Abend wurde es jetzt doch allmählich Zeit für die Nachtruhe; es war ja schon weit nach Mitternacht. Ich hatte mir die Wache zwischen vier Uhr morgens und dem Morgengrauen erbeten, denn in diesen Stunden finden erfahrungsgemäß die meisten Überfälle statt, und da verließ ich mich doch am liebsten auf mich selber. Natürlich hatte Winnetou im gleichen Augenblick entschieden, mich währenddessen zu unterstützen, denn zur Zeit wurde aus Sicherheitsgründen immer nur zu zweit gewacht. Ich hatte sein Ansinnen aber sofort vehement abgewehrt, denn ich bestand darauf, dass er sich nach seinem schweren Sturz eine längere Erholungspause gönnte. Ich konnte es in seinen Augen sehen, spürte seine Gedankengänge regelrecht in meinem Kopf – jedem anderen hätte er sich unter allen Umständen widersetzt, aber da ich es war, der ihn zu dieser Ruhe aufforderte, gab er nach und fügte sich. Er wollte auf keinen Fall, dass ich mir noch mehr Sorgen machte als ich es sowieso schon tat. Winnetou war wie immer stets darauf bedacht, mir jeden Tag so angenehm wie möglich zu gestalten, und nur deshalb überwand er jetzt auch seinen Stolz, der ihn sonst dazu antrieb, vor den Anwesenden niemals ein Zeichen der Schwäche erkennen zu lassen. In der ersten Hälfte der Nacht aber konnte ich mich noch zu ihm legen, und ich tat das so nahe wie nur irgend möglich, ohne dass es den anderen auffallen konnte. Winnetou lag auf dem Rücken, die Arme im Nacken verschränkt, und sah versonnen in den Sternenhimmel, der sich uns heute Nacht mal wieder in seiner ganzen Pracht und Schönheit offenbarte. Als ich an seine Seite trat, schenkte er mir wie so oft ein inniges Lächeln, welches so voller Liebe zu mir war, dass ich innerlich wieder einmal erneut erschauerte, und dann sah er zu, wie ich es mir neben ihm bequem machte. Ich drehte mich gleich auf die Seite, natürlich meinem Freund zugewandt, und zog mir meine Decke bis hoch zu den Schultern, so dass auch der schärfste Beobachter nicht erkennen konnte, wo genau sich darunter meine Hände befanden. Nun zog ich auch Winnetous Decke nach oben, und sofort löste er die Hände aus seinem Nacken, schob sie unter die Decke und ergriff damit die meinigen, die schon seinen Körper berührten. Eine Zeitlang lagen wir so nebeneinander, schweigend und im gegenseitigen innigen Einverständnis, welches jedes Wort überflüssig machte. Die Augen meines Freundes waren wieder in den Sternenhimmel gerichtet, und es war einfach unfassbar schön zu beobachten, wie dieser sich in dem samtigen Schwarz seiner Augen spiegelte. Meine Blicke glitten mehrmals an seiner schlanken und sehnigen Gestalt, die sich unter der Wolldecke schemenhaft abzeichnete, herauf und herunter. Und dann überkam mich das Gefühl der unendlichen Liebe zu ihm so plötzlich, schwallartig, so intensiv, dass es fast schon schmerzte. Wie hätte ich mich denn dem Drang, ihn sofort zu berühren, an mich zu drücken, zu liebkosen, auch nur ansatzweise erwehren können? Ich machte einen schwachen, erfolglosen Versuch, aber es war nicht mehr aufzuhalten, meine tiefe Liebe zu dem Engel neben mir schrieb nun ihr eigenes Drehbuch. ---------- Achtung: Slashwarnung! ---------- Vorsichtig löste ich meine Rechte aus seinen Händen und ließ sie sanft und zart über seinen nackten Oberkörper gleiten, wobei ich immer darauf achtete, dass sie unter der Decke möglichen zufälligen Blicken der Gefährten verborgen blieb. Zuerst wie unabsichtlich, dann immer offensichtlicher berührten meine Finger zwischendurch dabei seine Brustwarzen, spielten mit ihnen, rieben sie sanft. Die Reaktion auf meine Liebkosungen erfolgte prompt: Er zuckte mehrere Male kurz zusammen, krallte seine Hände in meine Hand, dann in meinen Arm, sein Atem wurde schneller, aber er blieb stumm. Kein Laut kam über seine Lippen, doch ich wusste, er benötigte dafür seine ganze Beherrschung. Jetzt sah ich mich erst einmal vorsichtig um. Mein Freund und ich lagen etwas abseits der Gefährten unter dem tiefhängenden Geäst einer dicht bewachsenen Tanne; der Schein des kleinen Lagerfeuers erreichte uns nicht. Emery, der sonst meist in unserer Nähe lag, war in dieser Stunde zur Wache eingeteilt, ebenso wie Tsain-Tonkee. Sam lag einige Meter weiter weg unter der nächsten Tanne, mit dem Rücken zu uns, und dahinter befanden sich die anderen Apatschen. Unsere Schützlinge lagen auf der gegenüberliegenden Seite des herunter brennenden Lagerfeuers, ebenso wie Walter Hendrick. Im Übrigen sah es so aus, und ich durfte auch getrost davon ausgehen, dass alle Anwesenden schon schliefen. Hinter uns befand sich außerdem ein dichtes Gesträuch, das uns vor den eventuellen Blicken einer zu nahe kommenden Nachtwache verbarg. Auch der Mond schien noch nicht, und unsere Körper waren in dieser Dunkelheit unter den Decken kaum zu erkennen; es war eigentlich gar nicht möglich, dass jemand auch nur würde erahnen können, was darunter gerade geschah. Trotzdem war es ein Spiel mit dem Feuer, und ich war mir dessen auch absolut bewusst. Andererseits hatte ich meinen Winnetou in den letzten Stunden sehr intensiv beobachtet und war zu der Erkenntnis gelangt, dass seine Rückenprellungen ihm doch mittlerweile Schmerzen bereiteten. In mir brannte deshalb der heiße Wunsch, ihn so gut wie möglich davon abzulenken, und ich war mir sicher, dass es mir gelingen konnte, auch ohne mich ihm noch mehr und in zu auffälliger Weise zu nähern. Meine Hand verließ darum nun langsam den Oberkörper des Apatschen und begann eine zärtliche Wanderung nach unten, liebkoste dabei unendlich sanft seinen Oberbauch, seinen Nabel, glitt tiefer....Ich hörte ihn kurz nach Luft schnappen, aber auch dieser Laut hatte so leise seine Lippen verlassen, dass es unmöglich ein anderer außer mir hätte hören können. Zufrieden lächelte ich in mich hinein und setzte das sanfte und doch so hungrige Spiel meiner Finger fort. Noch tiefer ließ ich sie gleiten, ließ sie vorsichtig den Verschluss seiner Leggins öffnen, dann ging es weiter nach unten, bis sie den schon hoch aufgerichteten Schaft meines Geliebten erreicht hatten. Dort angekommen hielt ich kurz inne, um abzuwarten, ob Winnetou seine nun heiß auflodernde Flamme der Lust so unter Kontrolle hatte, dass er auch wirklich nicht das geringste Geräusch von sich gab. Es gelang ihm tatsächlich, wenn auch das leise Zittern seines Körpers eine ungeheure Erregung verriet. Dass es mir ebenso ging, war wohl nur zu gut verständlich, dazu bedurfte es noch nicht einmal eine Berührung seinerseits - es genügte schon vollkommen, dass ich diesen herrlichen Körper neben mir liebkosen und verwöhnen und dabei seine lustvollen Reaktionen beobachten durfte. Ich wusste, uns beiden, vor allem aber mir, war es noch nie gelungen, sich längere Zeit über dem anderen hinzugeben, ohne unserer Leidenschaft durch geräuschvolle Laute der Wollust Ausdruck zu verleihen; und mir war klar, dass es über kurz oder lang auch in dieser so ungewöhnlichen Situation dazu kommen würde, kommen musste. Ich durfte meine erregenden Handlungen also nicht über einen längeren Zeitraum hinweg durchführen, sondern musste schnell zum Kern der Sache kommen, sonst würden wir unweigerlich auffallen. Deshalb ließ ich meine Finger auch nur wenige Male sacht über die samtig weiche Haut seines Schaftes gleiten, dann nahm ich die ganze Hand zu Hilfe, schloss sie sanft, aber fest genug um das schon pulsierende heiße Fleisch und begann, sie im erst noch langsamen Tempo herauf und herunter zu bewegen. Winnetous Selbstbeherrschung, die er in diesem Moment aufbrachte, war wirklich bewundernswert. Selbst ich konnte nur mit Mühe ein Stöhnen aufgrund dieser lustvollen Handlung unterdrücken, wie musste es dann erst ihm ergehen? Aber gerade deshalb genoss ich dieses Spiel wie noch niemals zuvor! Mein Freund atmete nun, immer noch fast unhörbar, tiefer und heftiger, er hatte mittlerweile die Augen geschlossen und den Mund leicht geöffnet. Ach, wie gerne hätte ich ihn jetzt geküsst, ihn mit meinen Lippen verwöhnt, und nicht nur den Mund, sondern seinen ganzen Körper! Innerlich stöhnte ich auf, solch eine Sehnsucht und Begierde nach seiner Nähe, seiner Wärme war in mir erwacht. Aber das war unter diesen Umständen einfach nicht möglich, mir blieb nur meine Hand, die ihn jetzt etwas schneller verwöhnte, woraufhin sich seine Linke in das Moos neben ihm und seine Rechte sich schmerzhaft in meinen Oberschenkel verkrallte, aber noch immer ließ er keinen Ton hören. Ich war mir aber sicher, dass zumindest für diesen Augenblick all seine Schmerzen in Vergessenheit geraten waren! Meine Bewegungen wurden nun noch etwas schneller, ebenso wie im gleichen Moment seine Atmung, aber trotzdem gelang es ihm weiterhin, keinen Laut von sich zu geben. Mir wurde bewusst, dass auch ich schon längst die Kontrolle über meinen Körper verloren hatte; ich spürte, dass ich nahezu bretthart war. Schon ging mir die Überlegung durch den Kopf, wie ich denn wohl wieder Herr über diese Situation werden konnte, da spürte ich Winnetous linke Hand, die sich jetzt von meinem Oberschenkel aus in Richtung Zentrum meiner Erregung bewegte. Kaum war er dort angelangt, hatte er auch schon seinerseits seine Hand um mein pralles Glied gelegt und begann, sie langsam und lustvoll zu bewegen. Und jetzt hatte ich die größten Schwierigkeiten, irgendwie noch ruhig liegen zu bleiben und vor allem, keinen Ton von mir zu geben. Himmel, was hatte ich da nur angefangen? Soviel Selbstbeherrschung konnte es doch gar nicht geben, wie ich nun aufbringen musste, um diese erregenden Momente irgendwie auszuhalten! Es ging nicht, wir mussten das hier ganz schnell zu Ende bringen, denn lange würde ich mich nicht mehr halten können, soviel war sicher. Ich massierte Winnetou darum noch schneller, schloss meine Finger noch kräftiger um seine Männlichkeit und genoss seine Reaktionen, so minimal er sie auch zeigte, zeigen durfte, mit allen Sinnen. Seine Atmung hatte sich in ein zittriges, lautloses Keuchen verwandelt, er presste die Lippen zusammen, um nur ja keinen Laut von sich zu geben, sein Schaft pulsierte, die erste Feuchtigkeit war auf seiner Eichel zu spüren, und zusätzlich zu seinen Liebkosungen, denen er mich weiterhin aussetzte, führte das alles dazu, dass sich meine Welt nach nur wenigen Sekunden in einem gewaltigen Höhepunkt auflöste, der mir völlig den Atem nahm. In diesem Moment hätte ich meine Lust am liebsten nur so herausgeschrien, und genau jetzt keinen Laut von mir geben zu dürfen fiel mir so unendlich schwer! Nur unterschwellig registrierte ich, dass ich währenddessen sekundenlang in meine linke Hand biss, um ja keine Aufmerksamkeit zu erregen, und meinen Freund dabei gleichzeitig, wenn auch nur leicht, weiter massierte. Nachdem ich mich dann aber halbwegs wieder in der Gewalt hatte, galt für mich nur noch, Winnetous Glück vollkommen zu machen; ich verwöhnte ihn nun um so schneller, heftiger, ließ meine Hand auch mehrfach über seine Eichel gleiten, berührte sie mit den Fingern an ihrem empfindlichsten Punkt. Mittlerweile bebte er am ganzen Körper, und ein wenig später hatte er dann endgültig den Kampf verloren; er presste den Unterarm vor den Mund und ließ sich schließlich vollständig in einen unglaublich heftigen Orgasmus fallen, der ewig zu dauern schien und ihm dabei einfach alles an Selbstbeherrschung abverlangte. Wie unendlich froh war ich, dass ich es sein durfte, der in ihm diese Glücksgefühle auslöste, der ihn in die höchsten Sphären der Lust katapultieren konnte, so dass er alles um sich herum vergaß! Ich beließ meine Hand an seinem Schaft und genoss auf diese Weise ausgiebig jede seiner Reaktionen, bis ich irgendwann spürte, dass seine Kontraktionen und sein Zittern nachließen, seine Atmung sich beruhigte. Nachdem er sich dann etwas erholt hatte und wieder gewahr wurde, wo er sich eigentlich befand, nahm er meine Hand in seine beiden Hände und führte sie an seine Brust. Wir sahen uns an, und Winnetou schüttelte mit einem gespielten Tadel in seinem Blick leicht den Kopf, welchen ich schmunzelnd erwiderte. Nun lächelten wir uns zu, seine Augen formulierten eine lautlose Liebeserklärung an mich und kurz darauf waren wir auch schon eingeschlafen. ----------------- Ab hier wird's wieder harmlos... ----------------- Der nächste Morgen brach an, aber im Gegensatz zu meinen sonstigen Gewohnheiten musste ich geweckt werden und in der ersten halben Stunde hatte ich auch wirklich Mühe, meine Müdigkeit abzuschütteln. Natürlich hätte ich das auf meine unterbrochene Nachtruhe schieben können, weil ich zwischendurch zwei Stunden lang zusammen mit einem der Apatschen über Mensch und Tier gewacht hatte; aber da auch Winnetou nicht von alleine erwachte und ich ihn sogar mehrmals leicht an der Schulter rütteln musste, bis er endlich die Augen aufschlug, lag der Verdacht nahe, dass unser nächtliches intimes Zusammensein daran nicht ganz unschuldig war. Als mein Freund mich mit vom Schlaf noch leicht verschleierten Augen ansah, versuchte ich in ihnen und in seinen Gesichtszügen zu ergründen, ob er Schmerzen hatte und wenn ja, wie heftig diese waren. Er aber schenkte mir ein warmes, liebevolles Lächeln, strich mir kurz mit seiner Hand sachte über die Wange und war im nächsten Augenblick schon mit einer einzigen fließenden Bewegung aufgesprungen. Meine unausgesprochene Frage hatte er natürlich bemerkt, weshalb er mir jetzt liebevoll die Hand auf den Unterarm legte und mir zuraunte: „Scharlih, glaube mir, es ist alles gut, Winnetou verspürt wirklich keine Schmerzen mehr!“ Ich aber sah ihn weiterhin zweifelnd an, woraufhin er mit einem schelmischen Ausdruck im Gesicht hinzufügte: „Spätestens seit heute Nacht hat deine Liebe zu mir über meine Schmerzen gesiegt, mein Bruder, und dafür danke ich dir!“ Mit diesen Worten hatte er mir, zumindest vorerst, wirklich meine Sorge um ihn genommen; ich musste sogar leise auflachen, schlang dabei meinen Arm um seine Schultern und zog ihn kurz an mich, bevor wir uns dem kleinen Bachlauf zuwandten, der sich nicht weit entfernt vom Lager durch das Waldstück schlängelte. Dort wuschen wir uns erst einmal mit aller Sorgfalt und genossen dabei das frische, kühlende Nass. Währenddessen schielte ich immer wieder auf Winnetous unbekleideten Oberkörper, vor allem auf den Rücken, denn dort zeichneten sich allmählich die Folgen seines gestrigen Sturzes ab: der Hauptteil seiner Rückenpartie war von großflächigen dunklen Blutergüssen und Prellungen übersät, die spätestens morgen in allen Farben schillern würden. Ich nahm mir vor, auf jeden Fall vor der Weiterreise unseren Doktor auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, vielleicht ließ Winnetou sich ja doch noch überreden, etwas gegen seine Schmerzen zu tun, von denen ich relativ sicher war, dass sie meinen Freund plagten und er sich nur hervorragend unter Kontrolle hatte. Während ich noch über eine Möglichkeit nachdachte, wie ich Winnetou vielleicht sogar eine Unterbrechung der Reise für mindestens einen Tag schmackhaft machen konnte, damit er doch noch Zeit für eine ausgiebige Erholung fand, wurde ich plötzlich von oben bis unten mit kaltem Wasser übergossen. Heftig schrak ich zusammen, da ich so in Gedanken versunken war und nicht bemerkt hatte, wie mein Bruder eine wie eine Schüssel geformte Baumrinde randvoll mit der erfrischenden Flüssigkeit gefüllt und mir dann diese mit dem größten Vergnügen über den Kopf geschüttet hatte. Mein Gesicht musste wohl sehr dem eines dummen Augusts aus dem Zirkus geähnelt haben, denn Winnetou brach jetzt in sein leises, von mir so sehr geliebtes herzliches Lachen aus – er konnte sich sogar eine Zeit lang gar nicht richtig beruhigen! Ich konnte gar nicht anders, ich fiel mit ein und so saßen wir beide mehre Minuten am Ufer und versuchten, unseren Heiterkeitsausbruch irgendwie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die von uns doch sehr ungewohnten Geräusche hatten jetzt zwei Männer an das Ufer gelockt: Als Erster näherte sich uns der Doktor mit neugierigem Gesichtsausdruck, um der Ursache des Gelächters auf den Grund zu gehen und sich gleichzeitig noch einmal den Verletzungen meines Freundes zu widmen; kurz danach kam auch noch Tsain-tonkee schnellen Schrittes herbei, und zwar aus den gleichen Gründen. Er hatte während des gestrigen Abends einige Heilkräuter gefunden und daraus eine gut riechende Salbe hergestellt, die die Blutergüsse auf Winnetous Rücken schneller heilen lassen würde und gleichzeitig sogar noch schmerzlindernd wirkte. Ich dankte dem umsichtigen Apatschen für seine Mühe und nahm die Salbe direkt an mich. Zuerst aber wollte der gewissenhafte Arzt Winnetou noch einmal einer kurzen Untersuchung unterziehen, die dieser, wenn auch wohl innerlich seufzend, über sich ergehen ließ. Doch auch heute konnte Hendrick keine weiteren Verletzungen – zum Glück – feststellen, wodurch mir allerdings ein Argument weniger für eine Reiseunterbrechung zur Verfügung stand. Nachdem Walter seiner Aufgabe in der, wie bei ihm üblich, gründlichen Weise nachgekommen, aber leider wieder mit seinem Wunsch, meinem Freund ein Schmerzmittel verabreichen zu dürfen, gescheitert war, nötigte ich diesen nun dazu, es sich bäuchlings auf dem weichen Moos am Ufer des kleinen Wasserlaufes bequem zu machen, und er fügte sich dem auch widerspruchslos. Jetzt begann ich, die Salbe vorsichtig auf seinen Rücken aufzutragen und sanft einzumassieren; dabei achtete ich genau auf jedes Zucken, jede Muskelbewegung meines Winnetou, um erkennen zu können, wo ihn die Schmerzen am meisten beeinträchtigten und wie heftig sie waren. Er aber hatte sich mal wieder absolut unter Kontrolle und zeigte keinerlei Reaktion auf meine Behandlung, sondern lag so entspannt vor mir, meine Massage dabei sichtlich genießend, dass jetzt auch meine Gedanken von seiner möglichen Pein abwichen und sich statt dessen mit seinem makellos geformten, schlanken, aber gestählten und sehnigen Körper beschäftigten. Aber daraus begann sich schon wieder eine unter den gegebenen Umständen völlig unangemessene Leidenschaft zu entwickeln, dich mich in ihrer Intensität doch etwas erschreckte, und somit musste ich mich nach den wenigen Minuten, die es noch brauchte, um die Salbe vollständig einzumassieren, fast gewaltsam zur Ordnung rufen. Zu meinem Glück trat jetzt nochmals Tsain-tonkee zu uns, der an Winnetou die Frage richtete, ob und wann wieder aufgebrochen werden sollte. Und bevor ich überhaupt eine Möglichkeit bekam, Winnetou zu einer Reiseunterbrechung, zumindest für den heutigen Tag, zu überreden, hatte der schon in seiner üblichen bestimmenden Art, der man einfach nichts entgegenzusetzen hatte, festgesetzt, dass in einer halben Stunde wieder aufgebrochen werden sollte. Tsain-tonkee nahm diese Anweisung mit einem stummen Nicken entgegen und kehrte wieder zu den Gefährten zurück, um diese über Winnetous Wunsch zu informieren und um vor allem den Butterfields zur Seite zu stehen, damit diese auch wirklich in einer halben Stunde reisefertig waren. Ich aber warf meinem Freund einen zweifelnden Blick zu, in dem er dann wohl auch meinen Wunsch, er möge sich doch noch etwas Ruhe gönnen, erkannte. Mit seinem schönen, mir immer wieder zu Herzen gehenden Lächeln legte er seinen Arm um meine Schultern und stellte mir mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck die Frage: „Würde mein Bruder Scharlih, wenn er an meiner Stelle wäre, denn heute anders handeln als Winnetou?“ Damit hatte er mich natürlich wieder voll erwischt und entlockte mir somit auch ein breites Grinsen. Aber zum Glück kam mir im gleichen Moment die passende Antwort in den Sinn: „Würde mein Bruder Winnetou, wenn er an meiner Stelle wäre, sich weniger Sorgen machen als ich sie mir um ihn mache?“ Einen Augenblick lang stutzte er, dann senkte er den Kopf und gab gleichzeitig ein Geräusch von sich, welches sich wie unterdrücktes Husten anhörte, doch an seiner ganzen Körperhaltung konnte ich ablesen, dass er größte Mühe hatte, nicht abermals laut loszulachen. Jetzt legte ich ebenfalls meinen Arm um seine Schultern, wir sahen uns lächelnd in die Augen und verließen den Wasserlauf im innigen Einverständnis. Somit verließen wir dieses für uns so ereignisreiche Tal und ritten zuversichtlich in den neuen Tag hinein. Die Gegend wurde nun zunehmend hügeliger, denn wir näherten uns allmählich den Ausläufern der Chuska-Mountains. Jetzt mussten wir nicht mehr, wie in den Tagen zuvor, nur ab und zu kleinere Täler durchreiten, die die Hochebene manchmal unterbrachen, sondern es wechselten sich nun Berg und Tal fast ständig miteinander ab. Obwohl Winnetou sich gestern so überzeugt von seiner Meinung gezeigt hatte, dass die Kiowas, wenn sie uns wirklich schon entdeckt hatten, uns wahrscheinlich nicht feindlich gesonnen sein würden, solange wir sie nicht behelligten und in ihre Jagdgründe eindrangen, ließ er trotzdem die gleichen Sicherheitsvorkehrungen gelten, die wir schon in den letzten Tagen durchgeführt hatten. Wieder umkreisten wir, soweit es das Gelände zuließ, unsere Gesellschaft in unregelmäßigen Abständen, und wieder ritten mein Blutsbruder und ich teils weit voraus, um die vor uns liegende Gegend auszukundschaften. Wir taten das auch jetzt wieder nicht auf dem direkten Weg, sondern bewegten uns meistens etwas seitlich davon, links wie rechts, um die Möglichkeit zu erhöhen, eventuelle Spuren von Kiowa-Spähern auch wirklich zu entdecken. Auf einem solchen Ritt befanden wir uns am frühen Nachmittag, kurz nachdem wir von einer ausgiebigen Mittagsrast wieder aufgebrochen waren. Schweigend und höchst aufmerksam saßen wir nebeneinander auf den Pferden und nahmen unsere Umgebung mit allen Sinnen auf. Zwischendurch ließ Winnetou seinen Blick immer wieder prüfend auf seinem Iltschi ruhen, wie er es auch schon den ganzen Vormittag über getan hatte, denn es konnte ja sein, dass sich erst jetzt die Nachwirkungen einer gestern vielleicht übersehenen Verletzung bemerkbar machten – dass ich es meinem Freund gleich tat, meine Aufmerksamkeit dabei allerdings ihm selber galt, erfasste er wohl gar nicht richtig. Zum Glück kamen wir beide dabei zu dem gleichen beruhigenden Ergebnis; weder Winnetous noch Iltschis Zustand gaben Anlass zur Besorgnis. Wir befanden uns mal wieder am Ende eines langen Tales, welches wir teils hart am Rand des Talbodens, teils auf den sanft ansteigenden Hängen durchquerten, als Winnetou erneut einmal mehr bewies, dass seine scharfen Augen wirklich ihren Meister suchten! Niemals hätte ich auf diese Entfernung den frisch abgeknickten kleinen Ast einer wuchtigen Tanne entdeckt, die mindestens einhundert Meter entfernt auf einem etwas erhöhten Vorsprung wuchs. Der Apatsche aber sah ihn und handelte sofort. Im nächsten Augenblick war er aus dem Sattel und legte sich flach auf den Boden, so dass er von den uns umgebenden Büschen verdeckt wurde. Ich tat es ihm sofort gleich, ohne den Grund für sein Handeln zu kennen; gleichzeitig flüsterten wir unseren Pferden einen Befehl in der Mundart der Apatschen zu, so dass die Hengste sich im nächsten Moment hinlegten und keinen Ton mehr hören ließen. Winnetou informierte mich derweil im Flüsterton über seine Entdeckung, und dann galt es, unser weiteres Handeln zu überdenken. Wir beide waren der Ansicht, dass dieser abgeknickte Ast nur eines bedeuten konnte: es mussten sich Kiowas in der Nähe befinden. Wer sonst sollte in dieser abgelegenen Gegend, und dann noch abseits des „Weges“, an einem schwer zugänglichen Hang, unterwegs sein? Man konnte ja noch nicht einmal von einem „Weg“ sprechen, es war einfach der einzige gangbare Pfad, der durch das Gelände führte und wohl nicht oft von Menschen genutzt wurde. Ein Tier konnte diesen Ast auch nicht geknickt haben, denn für Rotwild war er durch seine Höhe nicht zu erreichen, und ein Bär hätte mehr als nur einen Ast beschädigt, da wären mit Sicherheit auch die umliegenden Büsche in Mitleidenschaft gezogen worden. Entweder waren die dort vermuteten Indianer schon weiter geritten, aber dann konnten sie noch nicht allzu weit entfernt sein, denn Winnetou glaubte zu erkennen, dass die Abbruchstelle nicht viel älter als eine Stunde sein konnte – oder sie hatten in der Nähe gelagert, und das hieß für uns, allergrößte Vorsicht walten zu lassen. Wir schlichen uns also, jede Deckung ausnutzend, erst einmal zu der Tanne hin, wo sich Winnetous Vermutung über das Alter des abgeknickten Astes bestätigte. Und dann entdeckten wir einen Umstand, der uns vollends davon überzeugte, dass wir es hier mit Indianern zu tun hatten. Mein Freund bückte sich und hob einen Wollfaden auf, wie er an indianisch gewebten Decken zu finden war. Auch an dem abgeknickten Ast konnten wir so einen dünnen Faden entdecken, und Winnetou zog daraus folgenden Schluss: „Es ist mindestens ein Reiter vorbeigekommen, ein roter Mann, denn nur Indianer tragen ihre Wolldecken auch mal um die Schultern. Er muss mit dieser Decke an dem Ast hängen geblieben sein, der daraufhin abbrach. Außerdem blieb ein Wollfaden an dem Rest des Astes hängen und ein weiterer fiel zu Boden.“ Ich nickte nur, denn auch ich war zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Er ließ daraufhin seinen Blick umherschweifen, denn Spuren waren trotz größter Anstrengung keine zu erkennen, dafür war das Gelände an vielen Stellen einfach zu felsig, und diese Stellen hatten die Kiowas natürlich wohlweislich genutzt. Ziemlich am Ende des Tales, etwa nochmal fünfhundert Meter entfernt, befand sich eine kleine Baumgruppe, ebenfalls an einer etwas erhöhten Position am Hang. Sollten sich die Indianer gelagert haben, dann wäre das dort ein sehr geeigneter Platz für ihr Vorhaben gewesen, zumal man von dort mindestens ein Viertel des Tales überblicken konnte. Danach bog die Schlucht rechts ab, und das war unser Glück, denn sonst hätten die Rothäute vielleicht in Kürze unsere Gefährten erkennen können, die uns ja die ganze Zeit über langsam nachfolgten. Uns selbst konnten die Indianer noch gar nicht entdeckt haben, da wir immer am Hang entlang geritten waren; und so, wie ich unseren Weg jetzt überblicken konnte, waren wir wohl immer von Bäumen oder hohem Gebüsch verdeckt gewesen. Erst an der Stelle, wo Winnetou die Tanne erblickt hatte, hätte man uns zum ersten Mal sehen können, und wir hofften jetzt, dass wir uns da schnell genug in Deckung gebracht hatten. Natürlich mussten wir uns jetzt sehr vorsichtig an die Baumgruppe heranschleichen, um Gewissheit zu erlangen und um die dort lagernden Indianer, wenn sie sich denn wirklich dort befanden, zu belauschen. Genauso wichtig aber war es, dass die Gefährten gewarnt wurden, denn es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis sie in diesem Teil des Tales eintrafen und somit unweigerlich von eventuell vorhandenen Feinden gesehen werden mussten. Das hieß also, wir mussten uns trennen. Es wäre nicht klug gewesen, wenn wir beide zusammen zurückkehrten, um unsere Freunde zu warnen, und dann wieder gemeinsam zur Baumgruppe schlichen, denn bis dahin würde viel zu viel Zeit vergehen und die Kiowas könnten schon längst fort sein. Es war aber wichtig, zu erfahren, ob es sich wirklich um Kiowas handelte und was sie dort oben zu suchen hatten – besser, man war dem Feind immer einen Schritt voraus! Es war aber auch nicht möglich, zusammen den vermeintlichen Lagerplatz der Indianer zu beschleichen und anschließend die Gefährten zu warnen, denn bis dahin würden diese schon längst in Sichtweite herangekommen sein. Mir aber graute verständlicherweise davor, Winnetou alleine in die unbekannte Gefahr zu schicken und deshalb setzte ich alles daran, ihn davon zu überzeugen, mir diese Aufgabe anzuvertrauen. Wie so oft jedoch waren meine Mühen umsonst, denn Winnetou besaß die schärferen Augen und Ohren, und gerade in einer solchen Situation, wo es galt, jede noch so kleine Spur zu entdecken und jedes noch so leise Geräusch zu erlauschen, war er dafür einfach besser geeignet als ich. Auch glaubte ich, ihm ansehen zu können, dass es ihm genauso erging wie mir und er froh war, dass es nicht ich war, der in die unmittelbare Gefahrenzone hinein musste. Schweren Herzens trennte ich mich also von meinem Freund, nicht aber ohne ihn mehrmals und in eindringlichster Weise zur größten Vorsicht anzuhalten und ihn inständig zu bitten, auf sich aufzupassen. Er versprach es mit großem Ernst, und wie so oft in letzter Zeit vermittelte er mir dabei den Eindruck, dass er von der Erfüllung seines Versprechens vollkommen überzeugt war. Er zeigte dabei die gleiche unerschütterliche Sicherheit, mit der er damals, nach dem Mordanschlag von Thomson bei Helmers Home, mir zugesichert hatte, dass er am Leben bleiben würde, auch wenn man zu dem damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht davon ausgehen konnte. Er hatte Recht behalten, und diese Sicherheit war es, die mich nicht nur ein wenig, sondern sogar weitestgehend beruhigte und ihn mit ruhigem Herzen ziehen ließ. Ich nickte Winnetou also nochmals zu und sah ihm einen Moment lang nach, als er sich wie ein Berglöwe in die Büsche schlich und binnen kürzester Zeit weder zu hören noch zu sehen war. Dann begann ich den Rückweg, der auch nicht gerade ungefährlich war, denn sollten hier Indianer in der Nähe sein, konnten die sich natürlich überall befinden, nicht zuletzt also auch auf meinem Weg zu dem Rest unserer Gesellschaft. Aber alles ging gut, ich traf weder auf feindliche Gesellen noch auf andere Spuren, nur auf meinen Hatatitla, der zusammen mit Iltschi stumm und regungslos immer noch am selben Platz lag, an dem wir sie zurückgelassen hatten. Iltschi ließ ich auch jetzt zurück, denn es konnte für Winnetou immer einen Grund geben, der ihn zu einer raschen Flucht zwang und dann war er auf sein Pferd natürlich angewiesen. Nach einiger Zeit kam ich wohlbehalten bei unseren Freunden an, die doch schon recht weit vorangekommen waren, und berichtete ihnen in aller Kürze über die neuesten Entwicklungen. Wir besprachen uns kurz und kamen überein, dass ich mit Sam und Emery schnellstens zu dem Ort zurückkehrte, an dem ich mich von Winnetou getrennt hatte, während der Rest der Gesellschaft sich unter der Leitung von Tsain-tonkee hier im Tal ein sicheres Versteck suchen und da auf unsere Rückkehr warten sollte. So schnell wie möglich machten wir drei uns dann auch sogleich auf den Rückweg, denn vollkommen beruhigt würde ich erst sein, wenn ich Winnetou wohlbehalten wieder an meiner Seite wusste. Auch der Weg zurück hielt keine Schwierigkeiten für uns bereit, und so gelangten wir wieder unbehelligt an dem Ort an, wo der edle Rappe meines Blutsbruders immer noch auf seinen Herrn wartete. Wir sorgten dafür, dass unsere Pferde es ihm gleich taten, wobei Emerys und Sams Pferd ein paar Meter entfernt im Schutz einiger Bäume angebunden werden mussten, da sie keine indianische Dressur besaßen und niemals auf Befehl so lange wie Iltschi und Hatatitla liegengeblieben wären. Wir überlegten mehrere Minuten lang hin und her, ob wir hier auf Winnetou warten oder ob wir hinter ihm her kriechen und uns ebenfalls als Späher betätigen sollten. Wir entschieden uns dann für das Letztere und wollten uns deshalb gerade in die Büsche schlagen, um mit größtmöglicher Vorsicht an die besagte Baumgruppe heranzuschleichen, als zu meiner hellen Freude plötzlich der Apatsche wie aus dem Boden gewachsen mitten unter uns stand und uns zufrieden zulächelte. Mir war sofort klar, dass er erfolgreich gewesen war. Ich drückte ihm kurz meine Hand in die Schulter, um ihm zu zeigen, wie froh ich war, dass ich ihn unverletzt wieder sah, er erwiderte meinen Gruß und winkte uns dann, ihm zu folgen. Wortlos nahmen wir unsere Pferde an den Zügeln und führten sie hinter Winnetou her ein großes Stück tiefer in das Tal hinein, wo wir uns schließlich wenig später im Schutz mehrerer dicht bewachsener Laubbäume und mannshoher Büsche niederließen. Dann berichtete Winnetou uns leise, und was wir nun zu hören bekamen, war wirklich von allergrößter Bedeutung für uns und dem Ziel unserer Reise! Kapitel 19: Lauschangriff (zwei Tage zuvor) --------------------------------------------- Zwei Tage zuvor: Mein Freund hatte sich unbemerkt bis an die Baumgruppe heranschleichen können und dort tatsächlich zwei Kiowa-Krieger erblickt, die deutlich als Kundschafter zu erkennen waren und unter den Bäumen offenbar für längere Zeit rasten wollten. Winnetou gelang es, sich den beiden so weit zu nähern, dass er jedes Wort, das sie sprachen, erlauschen konnte, und dieses Gespräch war äußerst wichtig für uns. Die beiden Späher redeten nämlich die ganze Zeit über von nichts anderem als von einem geplanten Überfall auf unsere Gesellschaft! Über den dafür geeignetsten Zeitpunkt waren sich der Häuptling dieser Männer und seine Ratsversammlung aber noch nicht ganz einig geworden, weshalb man die beiden Kundschafter losgeschickt hatte, um uns zu belauschen und daraus die beste Möglichkeit für einen Überfall abzuleiten. Offenbar wussten die Indianer, woher auch immer, dass wir auf Goldsuche waren und wollten solange warten, bis wir diesen Fundort aufgesucht hatten und sie uns dort ausrauben, abschlachten und anschließend die Bonanza leeren konnten. Sollte sich diese Möglichkeit durch irgendwelche Umstände doch nicht ergeben, wollten die Rothäute solange warten, bis wir von dem Goldversteck zurückgekehrt waren, um uns dann irgendwie in eine Falle zu locken. Dass die Kiowas von dem Gold wussten, war an sich schon verwunderlich genug, aber noch erstaunter waren wir, als Winnetou erzählte, dass wir sogar offensichtlich von ihnen schon belauscht worden waren! Fast wäre mir daraufhin ein „Uff!“ herausgerutscht, und ich sah meinen Freund voller Erstaunen an. „Ist das möglich? Wann soll das denn nur geschehen sein, mein Bruder?“, fragte ich ihn. „Winnetou denkt, dass die Kiowas gestern Nachmittag die beste Gelegenheit dazu gehabt hatten,“ antwortete er nachdenklich. „Wir alle waren durch die Büffel und die Ankunft Sam Hawkens abgelenkt worden und hatten erst viel später unsere direkte Umgebung auskundschaftet. Vielleicht hat der Lärm der Bison-Jagd die roten Männer angelockt, und zudem waren wir danach sehr unaufmerksam gewesen – unser vorläufiger Lagerplatz war noch nicht gesichert, und trotzdem waren die Gespräche teils in größter Lautstärke geführt worden!“ Ich dachte bei seinen Worten an das Geschrei der Butterfields, das sie erhoben hatten, nachdem Winnetou ihnen den Vorschlag gemacht hatte, seine eigene Bonanza zur Verfügung zu stellen, und nickte ihm zu. „Mein Bruder hat recht – und hatten wir nicht gerade gestern zu dieser Zeit vornehmlich von den Goldfunden gesprochen? Und vor allem, wann wir das Finding Hole erreichen würden?“ Ich stockte kurz, überdachte in aller Eile den Inhalt unserer gestrigen Gespräche und frage dann meinen Freund hastig: „Hatten wir dabei etwa auch den genauen Fundort des Goldes erwähnt?“ Der Apatsche schüttelte den Kopf, als er entgegnete: „Nein, Scharlih – Winnetou hat darüber auch schon nachgedacht, und er ist sich sicher, dass zwar von dem Gold gesprochen wurde, aber der Ship Rock nicht erwähnt wurde. Winnetou hat nur den Zeitpunkt laut gesagt, an dem wir am Fundort eintreffen werden.“ Einigermaßen beruhigt dachte ich weiter über die Bedeutung des Gehörten nach, als mein Freund meine Gedankengänge unterbrach, denn er hatte noch mehr erlauschen können. „Die beiden Krieger der Kiowas haben vor, unser Lager heute Abend noch einmal auszuspähen. Sie warten da oben bei den Bäumen, weil sie genau wissen, dass wir im Laufe des Tages durch dieses Tal kommen und wahrscheinlich auch hier in der Nähe die Nacht verbringen werden. Sie erhoffen sich dadurch, Genaueres über unseren weiteren Weg zu erfahren, damit sie einen vorteilhaften Ort finden können, an dem wir ihnen in die Falle gehen sollen.“ Ich war fast sprachlos. Nur langsam wurde mir klar, welch unglaubliches Glück wir gehabt hatten, dass Winnetou den Indsmen auf die Schliche gekommen war! Wir hätten später vielleicht diesen für uns dann völlig überraschenden Überfall abwehren können, aber ob das ohne Verlust von Leib und Leben vonstatten gegangen wäre, wagte ich zu bezweifeln. Eine Sache wollte mir nicht richtig in den Kopf, und deshalb fragte ich meinen Freund: „Wir hatten doch nach unseren gestrigen Gesprächen im Tal der Büffel Späher ausgeschickt, von denen wir wissen, dass sie die Umgebung unseres Lagerplatzes mit nun wahrlich äußerster Gründlichkeit abgesucht haben. Wieso haben die keine Spuren der Kiowas gefunden?“ Der Apatsche entgegnete daraufhin: „Winnetou kann das auch nicht sicher beantworten, mein Bruder, aber der Boden rund um unser Lager war von vielen felsigen Stellen bedeckt, und ein guter Späher konnte das sehr wohl zu unseren Ungunsten ausnutzen!“ Ich nickte und versank dann in nachdenkliches Schweigen. Unsere Lage konnte man nun wirklich nicht gerade als günstig bezeichnen. Man hatte uns belauscht, man kannte unser Vorhaben, teils sogar unseren Reiseweg, somit hatten wir kaum eine Möglichkeit, einem Überfall auszuweichen und den Indianern durch eine List zu entkommen, zumindest nicht mit diesen Greenhorns im Schlepptau. Wir wussten zwar jetzt, dass man uns noch einmal belauschen wollte, und somit hatten wir die Möglichkeit, diese Kundschafter aufzuspüren und gefangenzunehmen, aber was dann? Was würde uns das nützen, außer dass dem Haupttrupp der Kiowas sofort klar werden würde, dass wir ihre Absicht erkannt hatten? Sie würden uns trotzdem überfallen, und zwar bei der erstbesten Gelegenheit, die sich ihnen bieten würde. Nur warum? Warum waren wir ihnen so wichtig? Lag es am Gold? Das konnte ich mir eigentlich nicht richtig vorstellen, kannte ich doch die Haltung der Apatschen, die sich aus Gold nun mal so gar nichts machten, und ich hatte bisher angenommen, dass die anderen roten Völker genauso dachten. Deshalb fragte ich auch sofort Winnetou nach seiner Meinung. Er antwortete: „Auch ich habe mich über den Goldhunger der Kiowas gewundert, ich kenne den Grund aber ebenso wenig. Von meinem Vater weiß ich, dass einige Kiowa-Häuptlinge, unter anderem Tangua, genauso wie die Häuptlinge der Apatschen Kenntnisse über einige Goldadern haben, aber es sind längst nicht alle.“ „Kennt mein Bruder den Stamm, dem die beiden Kundschafter angehören?“, wollte ich jetzt wissen. „Nein“, entgegnete er. „zumindest bin ich mir nicht sicher, da sie keine Stammesabzeichen an sich tragen. Aber da wir uns hier an der Grenze zu dem Gebiet der Apsarokee-Kiowas befinden, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es sich dabei um einen anderen Stamm handeln könnte. Ob die Apsarokees aber Besitzer von Gold oder Silber sind, kann Winnetou nicht sagen!“ „Aber auch wenn sie es nicht wären, ist das doch eigentlich kein Grund, das Leben ihrer Krieger zu riskieren, um uns das Gold zu rauben!“, warf ich ein. „Aus eigenem Antrieb heraus wahrscheinlich nicht“, meinte mein Freund nachdenklich. „Aber wer weiß, vielleicht sind sie von außerhalb beeinflusst worden? Doch es ist nicht nötig, dass wir uns darüber jetzt den Kopf zerbrechen. Viel wichtiger ist die Überlegung, wie wir nun weiter vorgehen sollen.“ „Natürlich, Winnetou hat recht!“, brachte sich jetzt Emery ein. „Ich bin der Meinung, dass wir erst einmal schnellstens zu unseren Freunden zurückkehren und uns bis dahin überlegen, was wir tun werden. Auf keinen Fall dürfen wir die Kundschafter merken lassen, dass Winnetou sie entdeckt und sogar schon belauscht hat, deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit den Gefährten weiter so durch das Tal bewegen, als wenn wir völlig unwissend wären!“ Da mussten wir dem Engländer unbedingt recht geben, und so machten wir uns auf den Rückweg zu unserer Reisegruppe, dabei natürlich stets darauf bedacht, dass wir nicht noch im letzten Augenblick von den feindlichen Spähern bemerkt wurden. Als wir dann endgültig außer Sichtweite waren, ritten wir das letzte Stück durch das Tal nebeneinander her und berieten uns dabei. Allen war klar, dass wir irgendeine List würden anwenden müssen, um der Gefahr zu entgehen, und Sam Hawkens war es dann, der den vorerst vielleicht rettenden Gedanken hatte: „Mesch'schurs, ich bin der Meinung, dass wir eine wirklich sehr gastfreundliche Gesellschaft sind und deshalb unseren heute zu erwartenden Besuch auch dementsprechend behandeln sollten, wenn ich mich nicht irre!“ „Ah, Ihr meint, dass wir sie doch gefangen nehmen sollten, lieber Sam?“ fragte ich ihn. „Nein, nein!“ wehrte er lachend ab. „So ein Unfug kann auch nur von einem Greenhorn kommen, hihihi! Nein, im Gegenteil, ich denke, es wäre doch unhöflich von uns, wenn wir den Herrschaften nicht das geben sollten, was sie sich von uns erhoffen!“ Emery und ich sahen uns auf die Worte des kleinen Mannes hin etwas ratlos an, aber Winnetou glaubte zu wissen, worauf der kauzige Westmann hinaus wollte: „Mein weißer Bruder meint, dass wir die Kiowas lauschen lassen sollen? Damit sie das hören, was sie unserer Meinung nach hören sollen?“ „Da, hört Ihr das, verehrtes Greenhorn?“, versuchte Sam mich sofort wieder zu necken. „Nehmt Euch doch mal ein Beispiel an unserem roten Gentleman hier, da könnt Ihr noch was lernen, wenn ich mich nicht irre! Genau so meinte ich es; und wir gewinnen somit auch noch Zeit, uns bis heute Abend zu überlegen, welche Geschichte unsere unsichtbaren Gäste dann zu hören bekommen werden!“ „Das ist richtig brillant, mein Freund, das muss man Euch lassen!“ freute sich Emery über Sam's wirklich guten Einfall. Auch ich lobte meinen früheren Lehrmeister ausgiebig, woraufhin er über das ganze Gesicht strahlte, doch so richtig stolz war er wohl vor allem über den anerkennenden Gesichtsausdruck des Apatschen, der zwar nichts sagte, seine Augen aber dafür um so mehr sprechen ließ. Nun beeilten wir uns noch ein wenig mehr und kamen bald darauf beim Versteck unserer Gefährten an. Schnell informierten wir die Apatschen und den Doktor über die unerwartete Wendung, die die letzte Stunde genommen hatte, während Emery zur gleichen Zeit den Butterfields irgendeine harmlose Geschichte auftischte und somit dafür sorgte, dass die Jünglinge sich nicht ängstigten und sich deshalb auch weiterhin so unauffällig wie immer benahmen. Kurz darauf wurde wieder aufgesessen, denn wir wollten uns den feindlichen Spähern so schnell wie möglich zeigen, bevor diese noch Verdacht schöpften. Winnetou schickte jetzt Tsain-tonkee als Kundschafter voraus, der allerdings nur die unmittelbare Gegend vor uns zum Schein ausloten sollte. Mein Freund war sich sicher, dass es den Kiowas sonst auffallen würde, wenn wir diese in der hiesigen Gegend übliche und auch wichtige Vorsichtsmaßnahme ausfallen lassen würden. Gleichzeitig sollte der Apatsche auch nach einem geeigneten Nachtlager Ausschau halten, welches aber so günstig liegen musste, dass die Rothäute glauben würden, wir hätten es so gewählt, damit eventuelle Feinde nur schwer an uns herankommen konnten, in Wirklichkeit aber ein Auskundschaften für sie gut möglich war. Außerdem war es wichtig, dass wir die feindlichen Späher gleichzeitig selber, ohne die Gefahr ein Entdeckung, beobachten konnten, denn wir mussten ja wissen, wann diese kamen und auch wieder gingen. Wieder ritten Emery, Sam, Winnetou und ich nebeneinander her und berieten uns dabei über unser weiteres Vorgehen. Was sollten wir den Kiowas nur für eine Geschichte auftischen? Meine Gedanken kreisten unentwegt um diese Frage herum, und einen davon äußerte ich nun auch vor den Freunden: „Es wäre vielleicht von Vorteil, wenn wir einem Überfall nicht auswichen, denn das würde uns nicht viel nützen, aber wenn wir die Späher glauben lassen ließen, dass es ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Leichtes sein würde, ihr Ziel zu erreichen...?“ Winnetou nickte und fiel sofort mit ein: „Mein Bruder liest meine Gedanken! Wir müssen es so aussehen lassen, als ob wir schon im Besitz des Goldes wären und...“ Er unterbrach sich, denn offenbar kam ihm gerade ein guter Gedanke. Mehrere Minuten vergingen, in denen der Blick meines Freundes sinnend auf Iltschis langer Mähne ruhte. Kurz darauf nickte er dann auch mit einem sehr entschlossenen Gesichtsausdruck und teilte uns seinen vorläufigen Plan mit: „Die Kiowas wollen unser Gold. Sie waren sich noch unsicher über ihr Vorgehen: Sollen sie uns heimlich bis zur Bonanza folgen und uns dann dort überfallen? Oder warten, bis wir, beladen mit dem Staub des Todes, an einem für sie günstigen Ort vorbeikommen, um uns dort auszurauben? Ersteres wäre für uns nicht gut, denn Winnetou möchte nicht, dass sie dem Berg des Goldes zu nahe kommen. Also werden wir es heute Abend so aussehen lassen, als ob wir schon morgen den besagten Berg erreichen würden, der für einen Überfall aber überhaupt nicht geeignet scheint. Daher werden die Feinde sich dazu entschließen, uns an einem Ort zu überfallen, der sich dafür besser anbietet, am besten eine kleine Schlucht. Winnetou ist sich sicher, dass wir morgen, am späten Nachmittag, wenn wir den Weg zu dem vermeintlichen Berg von der Zeit abrechnen, nur eine einzige Schlucht passieren werden, die sich auch sehr gut für einen Überfall eignen würde – vor allem für einen Überfall durch uns!“ Ah, jetzt verstand ich, worauf er hinaus wollte! „Winnetou denkt, dass wir die Kiowas die Schlucht von beiden Seiten besetzen lassen sollen, wir aber befinden uns zu diesem Zeitpunkt schon hinter ihnen und schließen sie dann selber ein?“ „Genauso ist es, mein Bruder!“ Winnetou schenkte mir jetzt wieder einen seiner unnachahmlichen Blicke, der mein Innerstes erglühen ließ und mich gleichzeitig mit einer Wärme einzuhüllen schien, in die ich mich am liebsten sofort fallengelassen hätte. Es war wirklich ein Segen, von diesem Mann geliebt zu werden! Der Zauber dieses winzigen Augenblickes verflog aber sofort, als Sam sich einmischte: „Hihihi – auch ein blindes Huhn findet einmal ein Körnchen – da solltet Ihr Euch jetzt aber bloß nichts drauf einbilden, verehrtes Greenhorn! Im übrigen frage ich mich gerade: Wenn wir Westmänner und die Apatschen uns hinter den Kiowas befinden und diese letztendlich einschließen – wer bitte schön soll sich dann noch in der Schlucht aufhalten? Die verehrten Indsman möchten ja schließlich irgendjemandem in das Tal folgen, wenn ich mich nicht irre! Wir können doch wohl nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, dass unser Kindergarten da hinten dieser Aufgabe auch nur im Entferntesten gewachsen sein wird? Das könnte ja sogar unser Greenhorn hier besser, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Emery grinste in sich hinein, beantwortete dann aber Sam's Frage: „Ich glaube, dass wir unsere Schützlinge gar nicht erst in die Nähe der Schlucht lassen, sondern sie vorher in einem sicheren Versteck unterbringen sollten, oder was meint ihr?“ Wir nickten, und Winnetou ergriff wieder das Wort: „Mein weißer Bruder hat Recht. Wir bringen die Butterfields vorher in Sicherheit und werden uns selber als Köder in die Schlucht begeben, natürlich verkleidet, während meine Krieger beide Ausgänge hinter den Kiowas besetzen und sie somit mit uns einschließen werden. Zwei von uns werden dann die Feinde am vorderen Ausgang mit ihren Gewehren von vorne bedrohen, die anderen zwei die am hinteren Ausgang. So haben die Kiowas überhaupt keine Möglichkeit mehr, uns noch anzugreifen, ohne selber große Verluste zu erleiden. Und wenn wir dann, sobald die Kundschafter uns heute Abend belauschen werden, noch dazu den Anschein erwecken, dass sich nur noch die Greenhorns in die Schlucht begeben werden – natürlich mit ihrem Goldfund – und wir anderen uns noch am Fundort von ihnen trennen und in die entgegengesetzte Richtung reiten wollen, dann werden sie es auch nicht unbedingt für nötig halten, allzu vorsichtig zu sein und zu viele Krieger für den Überfall abzustellen!“ Emery musste jetzt schwer an sich halten, um nicht vor Begeisterung in die Hände zu klatschen, so sehr gefiel ihm dieser Plan. „Das ist wirklich eine vortreffliche Idee! Denn wenn die Indsmen mit keinen allzu großen Schwierigkeiten rechnen und deshalb nicht vorsichtig genug sind, wird es für uns deutlich leichter werden, sie zu überrumpeln! So machen wir es, so kann es gar nicht schief gehen!“ Sam war mit unserem Vorhaben offenbar ebenfalls mehr als einverstanden, was er jetzt auch äußerte: „Ja, wir werden dafür sorgen, dass unser liebenswerter Besuch am Ende ganz schön dumm aus der Wäsche gucken wird, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Auch ich war sehr zufrieden mit unserem Plan, mahnte aber zur Vorsicht: „Ja, lieber Sam, wenn wir es klug anstellen, wird die Sache gut gelingen, aber dafür müssen viele Kleinigkeiten beachtet werden und es darf auch nicht der geringste Fehler gemacht werden, sonst ist alles verloren. Im Gegensatz zu den Kiowas müssen wir also doppelt und dreifach vorsichtig und umsichtig sein!“ Winnetou nickte bestätigend und fügte noch hinzu: „Wir werden uns, sobald wir gelagert haben, nochmals genauestens absprechen, was wir in Anwesenheit der feindlichen Späher sagen werden. Zudem müssen wir unseren Schützlingen zumindest einen Teil der Wahrheit sagen, damit sie uns heute Abend nicht verraten werden, gleichzeitig aber sollten wir dafür sorgen, dass sie nicht übermäßig geängstigt werden, denn auch dadurch könnten sie Fehler machen!“ Wir stimmten ihm zu und beschlossen daher, alles weitere an unserem Lagerplatz zu besprechen. Jetzt unterhielten wir uns nur noch über belanglose Dinge, denn es musste ja davon ausgegangen werden, dass wir nun unter ständiger Beobachtung standen, und da durften wir unter keinen Umständen auffallen. Kurz vor dem Talausgang kam Tsain-tonkee von seinem Kundschafter-Ritt zurück, um seinen Häuptling von dem Ergebnis zu unterrichten. Er hatte in ungefähr zwei Meilen Entfernung einen für unser Vorhaben äußerst geeigneten Ort zum Lagern gefunden, den er Winnetou und uns jetzt beschrieb. Als er geendet hatte, konnten wir ihm nur Recht geben, seiner Beschreibung nach war der Platz wie für uns geschaffen. Winnetou dankte seinem Späher freundlich, hatte dann aber schon einen weiteren Auftrag für ihn. Nach einer kurzen Ruhepause sollte er sich zusammen mit einem der anderen Apatschen zu einem längeren Ritt aufmachen, um die besagte Schlucht aufzusuchen, die mein Freund für den Überfall der Kiowas und unseren Gegenschlag ausgesucht hatte. Tsain-tonkee sollte überprüfen, ob dieser Ort wirklich die einzige Möglichkeit für einen Angriff durch die feindlichen Indianer bot und gleichzeitig herausfinden, ob das alles auch in den zeitlichen Rahmen passte, den wir uns gesteckt hatten. Dieser Ort sollte ja so weit entfernt liegen, dass wir ihn am morgigen späten Nachmittag erreichen würden. Normalerweise würden wir viel schneller dort sein, aber wir mussten ja morgen so tun, als ob wir erst einen Umweg zu dem Fundort des Goldes machen würden, damit die Kiowas dachten, wir hätten die Taschen voller Gold, wenn sie uns überfielen. Wir hofften darauf, dass die Späher, die uns zur Zeit beobachteten, unseren beiden Kundschaftern keine große Beachtung schenken würden, so dass es nicht auffiel, wenn diese einen längeren Ritt unternahmen; auch konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie von anderen Kiowas verfolgt werden würden. Später am Nachmittag erreichten wir dann auch den von Tsain-tonkee ausgewählten Lagerplatz und zeigten uns äußerst zufrieden mit seiner Wahl. Sofort machten wir uns daran, alles so herzurichten, dass die feindlichen Besucher scheinbar äußerst günstige Umstände für ihren Lauschangriff vorfinden würden, während wir keine großen Schwierigkeiten damit haben würden, die Feinde selber zu beobachten. Nachdem wir damit fertig waren, setzten mein Freund und ich uns kurz ins Gras, um etwas zu ruhen, und dabei beobachtete ich unbewusst die Butterfields sowie unseren Doktor, die wie immer das Lager herrichteten, Holz holten, ein Feuer entfachten und für eine gewisse Bequemlichkeit sorgten, wie sie es auch in den letzten Tagen getan hatten. Wir alle hielten das für eine gerechte Aufteilung, denn dafür waren die Herrschaften ja von den Nachtwachen befreit und hatten auch sonst tagsüber nicht viel zu tun. Ich beobachtete nun den Doktor genauer, der gerade Winnetous und meine Decken ausbreitete. Einen Moment lang stutzte ich, dachte kurz nach. Mir fiel jetzt auf, dass der Arzt sich eigentlich seit Beginn unserer Reise an vor allem um unsere Bequemlichkeit gesorgt hatte und – er hatte auch jedes Mal den Schlafplatz von meinem Freund und mir ausgewählt. So auch gestern, als wir unter der Tanne wirklich vor fast allen Blicken geschützt gelegen hatten und auch deswegen eine so herrlich erfüllende Stunde erleben durften. Ob Walter das mit Absicht tat? Auch jetzt schien es so, als ob er darum bemüht war, dass wir am Abend soviel Ruhe wie möglich vor den Gefährten haben würden. Er wusste ja als einziger von dem wahren Verhältnis zwischen Winnetou und mir – ob er uns dadurch Gelegenheit geben wollte, dass wir uns, trotz der Anwesenheit so vieler Menschen, so nah wie möglich sein konnten? Ich sah Hendrick noch eine Weile zu. Dieser räumte unsere Sachen erst an den einen Platz, schien zu überlegen, sah sich nach den Gefährten um, um zu sehen, wo diese ihre Lagerstätte herrichteten und entschied dann, unsere Decken doch an einem anderen Platz auszubreiten. Da dieser tatsächlich noch geschützter vor den Blicken der anderen lag, kam ich zu dem Schluss, dass der Doktor damit wirklich eine gewisse Absicht zu verfolgen schien, was mir ein breites Lächeln auf das Gesicht lockte. Winnetou, der neben mir saß und wieder einmal völlig in sich versunken war, bemerkte meine veränderte Mimik trotzdem sofort und fragte nach dem Grund meiner Erheiterung. Ich teilte ihm meine Beobachtungen mit und jetzt musste auch er leise lächeln. „Winnetou ist froh, dass Manitou uns diesen Mann geschickt hat“, sagte er. „Einen so treuen und ehrlichen Freund, der sich um seine Mitmenschen so sehr sorgt, begegnet man nicht allzu oft!“ „Da gebe ich dir uneingeschränkt recht, mein Bruder“, antwortete ich. „Und nicht zu vergessen, einen besseren Arzt hätten wir nicht finden können, mit Ausnahme von dir!“ Jetzt schüttelte mein Freund den Kopf und entgegnete: „Nein, Scharlih – Winnetou hat sich schon mehrmals davon überzeugen können und das auch oft genug am eigenem Leib, dass der Doktor doch einiges mehr an Kenntnissen über die Heilung von Menschen besitzt als ich, aber Winnetou wird weiter von ihm lernen!“ Ich legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter und erwiderte: „Ja, wahrscheinlich ist es so, mein Freund, aber du darfst nicht vergessen, dass auch Walter von dir lernt und sich auch schon einiges von euren Heilmethoden angeeignet hat. Aber so sollte es doch eigentlich immer sein: Beide Rassen, beide Völker lernen voneinander und tauschen sich aus, so dass sich beide weiterentwickeln und nicht eines davon auf der Strecke bleibt und völlig unterdrückt wird! Ach, könnte es doch immer so sein....“ Ich ließ ein sehnsuchtsvolles Seufzen hören, so dass Winnetou mich lächelnd an sich drückte und dabei zustimmend nickte. Schweigend saßen wir so lange Zeit beieinander, jeder den Blick träumerisch in weite Ferne gerichtet. Gegen Abend wurde es dann ernst. Mit Jagen und dem Zubereiten des Essens brauchten wir keine Zeit zu vertrödeln, wir hatten genug gebratenes Bison-Fleisch dabei, dass es noch für mehrere Tage reichen würde. Jeder unserer Männer wurde genauestens instruiert, wie er sich in den kommenden Stunden zu verhalten hatte. Auch der Doktor wusste über die drohende Gefahr Bescheid, und er wollte die Aufgabe übernehmen, sich in dem entscheidenden Zeitraum um die Butterfields zu kümmern, denen wir natürlich nichts von dem geplanten Indianer-Überfall gesagt hatten. Emery hatte ihnen irgendeine harmlose Geschichte aufgetischt, und so machten unsere Schützlinge den ganzen Abend über auch den von uns gewünschten unbefangenen Eindruck. Winnetou würde, damit wir alle genau wussten, wann sich die feindlichen Kundschafter in der Umgebung unseres Lagers aufhielten, sich beizeiten auf den Weg machen und die Kiowas auf Schritt und Tritt verfolgen. Es gab dank der hervorragenden Lage unseres Nachtlagers nur einen einzigen Weg, auf dem sich die Späher vermeintlich unbemerkt uns nähern konnten, und da wollte mein Freund auf sie warten und ab dann nicht mehr aus den Augen lassen. Wir hatten ein paar Zeichen verabredet, mit denen er uns die Ankunft der Beobachter mitteilen konnte, ebenso wie den Zeitpunkt, wenn sie sich wieder entfernten. Ich hingegen würde mich in einiger Entfernung hinter ihm aufhalten, um ihn notfalls unterstützen zu können, falls es zu einem unvermuteten bösen Zwischenfall kommen sollte. Das entsprach auf jeden Fall meinem Wunsch, hatte ich mir doch schon vor Monaten geschworen, immer über meinen Winnetou zu wachen und ihn zu schützen, wo es nur ging! Inzwischen kam Tsain-tonkee mit dem ihn begleitenden Apatschen von seinem Kundschafter-Ritt zurück und erstattete uns sofort Bericht. Es war tatsächlich so, wie Winnetou vorausgesagt hatte: Die besagte Schlucht war die einzige weit und breit, die sich für einen Überfall eignete, das restliche Gelände, welches wir im Laufe des morgigen Tages durchqueren würden, fiel dagegen komplett aus. Bevor es völlig dunkel wurde – denn vorher würden die Späher auf keinen Fall hier auftauchen – schmiedeten wir noch einen guten Plan für den nächsten Tag; jedes Detail wurde besprochen, es durfte nichts vergessen werden. Wir überlegten uns, wo wir die Butterfields während der Zeit verstecken sollten, an der der Überfall in der Schlucht stattfinden würde. Tsain-tonkee hatte aber auch daran gedacht und schon eine relativ große, aber sehr versteckt liegende Grotte auf dem Weg zur Schlucht ausfindig gemacht. Dort würden sich also unsere Schützlinge und der Doktor in Sicherheit befinden, während wir anderen die Falle an der Schlucht vorbereiteten. Das konnte in der Zeit geschehen, in der die Feinde uns auf dem Berg des Goldes wähnten. Das Gelände dort war laut Tsain-tonkee so unübersichtlich, dass die Kiowas uns wahrscheinlich immer wieder aus den Augen verlieren und somit nicht bemerken würden, was wir eigentlich vorhatten. Außerdem wollten wir die Schlucht heute Abend mehrere Male laut erwähnen, so dass die Roten uns wahrscheinlich sowieso dort erwarten und gar nicht weiter unserer Fährte folgen würden. Mein Freund und ich beschlossen, uns morgen zudem selber an die Fersen der feindlichen Rothäute zu heften, um herauszufinden, ob sie wirklich diese Schlucht für den Überfall auf uns nutzen wollten. Vor allem mussten wir, bevor wir die Falle zuschnappen ließen, uns vergewissern, wie viele Kiowas genau beteiligt sein würden, denn nur so konnten wir ihren Angriff gezielt abwehren. Dann wurde es Zeit. Winnetou und ich verschwanden in der ersten Dämmerung in dem unseren Lagerplatz umgebenden Wäldchen, die anderen setzten sich so hin, dass man sich ihnen problemlos von hinten nähern und sie „belauschen“ konnte. Kurz darauf ertönte auch schon zweimal der Schrei einer Schleiereule, das war Winnetous Zeichen. Jetzt galt es! Der Doktor hatte sich mit den Butterfields etwas abseits von dem Rest der Truppe gesetzt und verwickelte diese in eine für sie interessante Unterhaltung, welche aber nur das Ziel hatte, sie von den Apatschen und Westmännern abzulenken. Sie sollten nicht hören, worüber die sich unterhielten, weil sie sich sonst sehr wundern würden, dass der Inhalt der Gespräche doch deutlich von dem Vorhaben abwich, das für den morgigen Tag eigentlich geplant war. Später am Abend informierten uns die Gefährten dann über den Verlauf ihrer Unterhaltung, denn Winnetou und ich hatten aufgrund unserer Horchposten ja nichts davon mitbekommen. Unsere Abwesenheit hatten die Freunde lautstark damit erklärt, dass wir uns im Augenblick ausgiebigst um unsere Hengste kümmerten, da eines der Tiere angeblich lahmte. Da alle Pferde weiter entfernt von unserem Lager an einer zweiten Lichtung an einem Wasserlauf weideten, konnten wir darauf vertrauen, dass die Kundschafter sich nicht weiter um diese Sache kümmern würden. Weiterhin unterhielten sich die Männer dann nicht minder laut über die Beschaffenheit des angeblichen Berges, wobei sie aber vermieden, die genaue Lage zu erwähnen, denn diesen Ort gab es ja hier in der Nähe gar nicht. Sie vermittelten dabei den Eindruck, als wäre die Gegend da oben so ungünstig beschaffen, dass jeder, der das Gespräch mitbekam, sich sofort sagen musste, dass man dort auf keinen Fall einen Überfall durchführen konnte, genauso wie auf dem Weg dort hoch und wieder zurück. Zuletzt wurde noch von der anschließenden Weiterreise gesprochen, die ja getrennt verlaufen sollte; zumindest sollten die Kiowas das denken. Sam Hawkens hatte während ihres fingierten Gespräches unseren Schützlingen lauthals den Weg bis nach Farmington beschrieben, wo sie ihre Schätze eintauschen könnten, damit den Lauschern auch der Grund für die „alleinige“ Weiterreise der Goldsucher klar wurde. Da wir alle, nachdem wir vom Ship Rock zurückgekehrt waren, sowieso diese Stadt aufsuchen wollten, schöpften die verhinderten Goldsucher während Sam's Ausführungen auch keinen Verdacht. Natürlich wurde auch die Schlucht erwähnt, weil die Gefährten laut „überlegten“, ob das ein guter Ort wäre, an dem die Butterfields am morgigen Abend rasten könnten. Dass wir den Fundort des Goldes schon morgen erreichen würden und nicht, wie von den feindlichen Spähern bei ihrem ersten Lauschangriff im Tal der Büffel gehört, erst am darauffolgenden Tag, erklärten die Männer so, dass wir einfach schneller als gedacht unterwegs gewesen wären, da man die Entfernung nicht so genau hatte einschätzen können. Alles in allem kann man sagen, dass an diesem Abend alles gut ging und unsere Pläne bis dahin reibungslos funktionierten. Weder Winnetou noch ich wurden von den Kiowas entdeckt, als diese wieder zurück huschten, mein Freund dagegen hatte sie von Anfang bis Ende im Blick gehabt und überzeugte sich dann auch noch einmal, ob die feindlichen Späher die Umgebung unseres Lagers tatsächlich verlassen hatten, indem er ihnen noch eine längere Zeit hinterher schlich. Später erzählte er mir, dass er sie gerne ganz bis zu ihrem Lager verfolgt hätte, um vielleicht den Häuptling der Roten zu belauschen, damit wir über die nächsten Schritte der Feinde sicher Bescheid wissen würden. Aber leider hatten die Späher in einiger Entfernung ihre Pferde versteckt, also befand sich ihr Lager nicht in der Nähe, und selbst wenn Winnetou seinen Iltschi dabei gehabt hätte, er hätte ihnen niemals in dieser Dunkelheit völlig geräuschlos folgen können – die Gefahr einer Entdeckung wäre unverhältnismäßig hoch gewesen. Nachdem er wieder zurückgekehrt war, setzten wir Westmänner und die Apatschen uns sofort zusammen und besprachen die Ereignisse in aller Ausführlichkeit. Vor allem eine Frage stand im Raum: Würden die Kiowas auf unsere List hereinfallen? Würden sie die besagte Schlucht auch wirklich als Falle für uns auswählen? Sie kannten diese Gegend hier ja wie ihre eigene Westentasche, und somit war es eigentlich fast nicht möglich, dass sie bei der guten Gelegenheit nicht zugriffen! Zumal wir ihnen die Sache noch einmal richtig schmackhaft gemacht hatten, indem wir ihnen suggeriert hatten, dass sie ja nur die unerfahrenen Butterfields zu überfallen brauchten, da Westmänner und Apatschen in die entgegengesetzte Richtung reiten wollten. Den Rest der Nacht verbrachten wir in angespannter Ruhe. Wer an der Reihe war, zu wachen, tat das in höchster Aufmerksamkeit, denn jetzt wussten wir die Feinde ja ganz sicher in der Nähe. Die Anderen versuchte zwar zu schlafen, aber das gelang nicht allen gleich gut. Nur die Butterfields machten eine Ausnahme, sie waren sich ja überhaupt keiner drohenden Gefahr bewusst, und da sie auch nicht sensibel genug waren, die angespannte Stimmung wahrzunehmen, die sich über unserem Lager ausgebreitet hatte, schliefen sie in der Nacht so friedlich wie die Kinder. Winnetou und ich waren es gewohnt, auch in Ausnahmesituationen die Ruhe zu bewahren, und so schliefen auch wir beide wie immer tief und fest, wenn wir nicht gerade zur Nachtwache eingeteilt waren. Doch trotz der großen Anspannung, und trotzdem sich alles auf den geplanten Überfall konzentrierte, vergaß ich nicht, meinen Freund zwischendurch immer wieder zu beobachten. Ab und zu berührte ich ihn wie zufällig mit einer Hand leicht an seinem Rücken, um zu sehen, ob er vielleicht doch kurz vor Schmerzen zusammenzuckte; und auch der Doktor, der sich zwar nicht mehr getraute, Winnetou in dieser hochkonzentrierten Situation für eine nochmalige Untersuchung zu sich zu bitten, ließ den Apatschen nicht aus den Augen und verfolgte, wo es nur ging, jede seiner Bewegungen. Aber dieser hatte sich entweder völlig unter Kontrolle oder es ging ihm wirklich wieder gut; zumindest ließ er sich auch nicht das Geringste anmerken. Seltsamerweise war mein ungutes Gefühl, diese Ahnung, dass irgendetwas Schlimmes in naher Zukunft geschehen würde, nicht völlig verschwunden, wurde aber gerade jetzt, wo die Gefahr uns doch so nahe war, nicht intensiver, im Gegenteil, ich nahm es kaum mehr wahr. Es verschwamm irgendwie, wie Nebelschwaden, die man sieht und doch nicht greifen kann. Der nächste Morgen verging wie im Fluge. Winnetou und ich entfernten uns so unauffällig wie möglich von unserem Lager und gingen mal wieder auf Kundschaft. Wir nahmen an, dass ab jetzt jeder unserer Schritte beobachtet werden würde, sollte man unseren Köder geschluckt haben, und davon wollten wir uns jetzt überzeugen. Beide gingen wir in getrennte Richtungen davon und trafen nach ungefähr einer Stunde wieder im Lager zusammen, wo wir den Gefährten das Ergebnis unserer Suche mitteilten. Winnetou begann: „Oben auf dem kleinen Hügel, der sich links vor die Bergkette schiebt, befindet sich ein Posten der Kiowas. Er sitzt weit oben in dem großen Hickory-Baum, der vorne aus dem Wäldchen herausragt. Dort hat er die Möglichkeit, einen sehr großen Umkreis unserer Umgebung zu überwachen, kann also dadurch unseren Aufbruch und auch einen Teil des Weges, den wir reiten werden, beobachten.“ Daraufhin ergänzte ich: „Und auf der gegenüberliegenden Hügelkette befindet sich ebenfalls ein Späher, auch er hat sich eine große Kiefer, die alle anderen überragt, als Ausguck ausgesucht. Hat mein Bruder Winnetou noch andere Späher oder ihre Spuren gesichtet?“ „Nein“, antwortete er schlicht. „Ich auch nicht“, fuhr ich fort. „Somit können wir wohl davon ausgehen, dass man uns unsere Geschichte abgenommen hat. Jetzt kommt es darauf an, dass wir keinen Fehler machen!“ Alle nickten bei meinen Worten. Wir hatten währenddessen natürlich darauf geachtet, ja keinen Blick zu den besagten Späher-Posten zu werfen, denn wir wollten nicht riskieren, dass die Indianer doch noch Verdacht schöpften. Während dieses Gespräches hatten wir nur kurz beieinander gestanden; jetzt lösten wir die Gruppe auch sofort wieder auf und begannen, in aller Ruhe zusammenzupacken. Dabei unterhielten wir uns zwanglos, und hier und da wurde auch schon mal gelacht. Vor allem Sam trug mit seinen lustigen Witzen zur allgemeinen Erheiterung bei, und auch Emery mit seiner launigen Art sorgte dafür, dass von der über dem Lager liegenden Anspannung kaum etwas zu spüren war und unsere Schützlinge dadurch auch weiterhin nicht das Geringste ahnten. Innerhalb kürzester Zeit waren wir wieder reisefertig und brachen auf. Winnetou wusste genau, bis wohin wir von den in den Bäumen sitzenden Spähern zu sehen waren, und als wir diesen Bereich verlassen hatten, begannen wir unseren Plan auszuführen. Die Butterfields waren völlig überrascht, als sie von mir plötzlich aufgefordert wurden, mitsamt dem Doktor dem voraus reitenden Tsain-tonkee und einem weiteren Apatschen ruhig zu folgen, ohne Aufsehen zu erregen oder unnötige Fragen zu stellen. Noch erstaunter waren sie, als ich mir Teile ihrer Oberbekleidung erbat, denn die würden wir brauchen, um die Kiowas zu täuschen. Tsain-tonkee und sein Apatsche wichen auch sofort von unserem Weg ab, denn Winnetou hatte es seinem besten Mann überlassen, die Familie zu der besagten Grotte zu führen, da der sich durch seine Kundschafter-Ritte hier mittlerweile auskannte. Mein Freund und ich hingegen verließen die restlichen Gefährten in dem Moment, als wir einen kleinen Bach überquerten, denn dadurch, dass wir beide nun für längere Zeit in seinem Bett ritten, wurden unsere Spuren verwischt und niemand, der uns vielleicht verfolgte, würde erkennen, dass wir uns von der Gruppe getrennt hatten. Genauso gut war kurz zuvor die Fährte der Butterfields und ihrer Führer verwischt worden, und wir hofften inständig, dass eventuelle Verfolger weiterhin den restlichen Apatschen sowie Emery und Sam folgen würden, die allesamt hintereinander ritten, so dass niemand erkennen konnte, um wie viele Pferde es sich eigentlich in Wirklichkeit handelte. Diese würden ungefähr bei der Hälfte der Strecke zur Schlucht ebenfalls vom Weg dorthin abbiegen, aber so, dass die Fährte dabei deutlich zu sehen blieb. An dieser Stelle, hatte uns Tsain-tonkee gesagt, ging es direkt steil bergauf, so dass unsere Verfolger vermuten mussten, dass unsere gesamte Gesellschaft hier zum Berg des Goldes abgebogen war. Sie würden dann hoffentlich von einer weiteren Verfolgung absehen, weil sie zum einen ja durch unsere Gespräche im Lager „wussten“, dass dort oben kein Überfall möglich war, und weil sie zum anderen den eigentlichen Angriff in der Schlucht vorbereiten mussten. Nach einiger Zeit schlugen mein Freund und ich einen Bogen und ritten ein ganzes Stück wieder in die Richtung zurück, aus der wir mit den Gefährten gekommen waren. Als wir uns unserer eigenen Fährte bis auf Sichtweite genähert hatten, ließen wir unsere Hengste einige Meter entfernt zwischen den Bäumen stehen und suchten uns einen Platz im dichten Gebüsch am Rande der Spur, wo wir vor den Blicken der Kiowas verborgen blieben. Lange mussten wir nicht warten. Kurz darauf hörten wir das leise Knacken eines zerbrechenden Zweiges, dann ein Rascheln, verursacht von Pferdehufen, die auf am Boden liegendes Laub traten – da kamen sie schon! Zwei Krieger, ohne Stammesabzeichen; wahrscheinlich die beiden, die auf den hohen Bäumen am Morgen ihre Posten bezogen hatten. Sie folgten unserer Fährte in gebührendem Abstand, schienen dieser aber keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, wahrscheinlich, weil sie das Ziel unseres Rittes genau kannten. Umso besser für uns, so würden diese Späher sich viel leichter täuschen lassen! Ab jetzt aber waren die Kiowas die Gejagten. Kapitel 20: Wer anderen eine Grube gräbt.... (zwei Tage zuvor) --------------------------------------------------------------- Zwei Tage zuvor: Wir folgten den nun voraus reitenden Kundschaftern der Kiowas in ausreichendem Abstand, wobei wir hofften, dass diese zumindest einmal eine kurze Rast einlegen würden, da wir sie, wenn möglich, unbedingt noch einmal beschleichen wollten. Wir hielten das für nötig, denn wir mussten schließlich herausbekommen, mit wie vielen Kriegern sie den Angriff in der Schlucht durchzuführen gedachten. Am frühen Nachmittag hatten wir dann tatsächlich das Glück auf unserer Seite. Nicht nur, dass die Kundschafter weder die abweichende Fährte der Butterfields noch unsere durch das Bachbett führende Spur bemerkt hatten, nein, sie hatten auch die Stelle entdeckt, an der unsere Freunde ihren vermeintlichen Ritt zu dem Berg des Goldes angetreten hatten. Dort berieten sich die Späher einige Augenblicke lang, woraufhin einer von ihnen zu unserem Schrecken der Fährte ein Stück weit folgte. Er kehrte glücklicherweise aber kurz darauf wieder um und winkte seinem Begleiter, den Weg zur Schlucht weiter zu verfolgen. Doch nicht lange danach verließen die beiden diesen direkten Weg und ritten eine Zeit lang in westlicher Richtung in einen Wald hinein, um sich anschließend aber wieder nach Norden zu wenden. Etwas überrascht folgten wir ihnen natürlich weiterhin, und kurze Zeit später erreichten wir schließlich eine Lichtung inmitten des Waldes. Dort lagerte eine große Schar Kiowas, die mindestens sechzig Krieger zählte. Offensichtlich handelte es sich hier um den Haupttrupp der Rothäute, und das war für uns natürlich sehr günstig, denn jetzt würden wir hoffentlich mehr über die Pläne und das Vorgehen, was den Überfall auf uns betraf, erfahren! Winnetou und ich ließen unsere Blicke über die Indianer schweifen, aber einen Häuptling konnten wir unter ihnen nicht ausmachen. Gar nicht weit von uns allerdings saßen drei offensichtlich ranghöhere Krieger, zu denen sich jetzt auch die beiden Kundschafter gesellten, denen wir die ganze Zeit über gefolgt waren. Wir konnten also getrost davon ausgehen, dass man dort die vergangenen und auch kommenden Ereignisse besprechen würde, also schlichen mein Freund und ich uns so vorsichtig wie möglich und so weit es nur irgendwie ging an die Männer heran. Als wir so nahe herangekommen waren, dass wir jedes Wort verstehen konnten, und dabei unter dem dicht belaubten Geäst einer Trauerweide verborgen lagen, mussten wir zu unserem Bedauern feststellen, dass man schon mitten im Gespräch war und wir vielleicht sogar für uns Wichtiges verpasst haben könnten. Im Augenblick war jedoch die Rede davon, was mit den Goldsuchern geschehen sollte, sobald sie in der Schlucht eingeschlossen worden sein würden. Der Wortführer der Krieger sprach sich dafür aus, nur ja kein Federlesens um die jungen Männer zu machen; man sollte sie einfach abschlachten und ihnen alles rauben, was sie bei sich trugen, und eben nicht nur das Gold. Das würden der Häuptling und sein fremder Kampfgenosse auch stets so halten, und wenn dieser Häuptling hier wäre, würde sein Befehl jedenfalls genauso lauten. Als ich diese Worte hörte, war meine Neugier natürlich geweckt. Wer war denn nun der Häuptling der Kiowa-Schar? Und vor allem, wer war dieser unbekannte Kampfgenosse? Ich sah kurz zu Winnetou herüber, der meinen Blick sofort erwiderte, aber im gleichen Moment den Kopf schüttelte, um mir mitzuteilen, dass auch er nicht mehr wusste als ich. Aber schon wurde weiter gesprochen, und da wurde es für uns richtig interessant. Die Krieger unterhielten sich nämlich jetzt über ihr weiteres Vorgehen und nun erfuhren wir, dass unsere List bis hierhin besser gelungen war, als wir zu hoffen gewagt hatten. Man hatte uns alles geglaubt: Unser fingiertes Gespräch am gestrigen Abend, den Ritt zu dem angeblichen Fundort des Goldes, die vermeintliche Tatsache, dass nur Greenhorns später die Schlucht durchqueren würden und derer man mit Leichtigkeit habhaft werden konnte. Jeden Krieger, den man für diesen Angriff zu viel einsetzte, empfanden die Rothäute als ein Zeichen der Feigheit, also wollten die Kiowas nur mit der allernötigsten Anzahl von Kämpfern antreten, und mehr als zwanzig sollten es deshalb auf keinen Fall werden - eine Tatsache, der wir natürlich besondere Bedeutung beimaßen. Die restlichen vierzig Rothäute wollten derweil den Weg weiter nach Norden zu ihrem uns unbekannten Häuptling antreten, der dort irgendwo am San-Juan-River lagerte und seine Krieger mit der zu erwartenden reichlichen Beute wahrscheinlich sehnsüchtig erwartete; dort sollten die zwanzig Männer, die den Überfall durchführen wollten, auch später wieder mit ihnen zusammentreffen. Mein Freund und ich hörten noch eine kleine Weile den weiteren Gesprächen zu, aber nichts davon war mehr für uns von Belang. Also zogen wir uns langsam, dafür aber völlig geräuschlos aus dieser unmittelbaren Gefahrenzone zurück und waren kurz darauf wieder bei unseren Pferden angelangt, die wir in ausreichender Entfernung an die Bäume gebunden hatten. Schnell nahmen wir sie an den Zügeln und schritten mit den Tieren einen großen Teil des Weges entlang, auf dem wir den feindlichen Spähern bis zu ihrem jetzigen Lager gefolgt waren. Nun suchten wir schweigend nach einem günstigen Platz, an dem wir uns kurz besprechen konnten, und bald darauf war auch schon ein geeigneter Ort gefunden, der sich in einem schwer zugänglichen und dichten Gesträuch befand. Es dauerte dann auch nicht lange, und unser weiterer Plan stand fest. In aller Eile saßen wir wieder auf und ritten, so schnell es ging, hinter den Gefährten her, die wir auch kurz vor der besagten Schlucht wieder einholten. Wir besprachen mit ihnen sofort alles Notwendige, und dann wurde es auch schon höchste Zeit, mit unserem Vorhaben zu beginnen, damit die geplante Falle felsenfest stand, bevor die Kiowas die Schlucht erreichen würden. Wir hofften allerdings, dass sie noch eine gewisse Zeit an dem Lagerplatz bleiben würden, an dem wir sie vorhin belauscht hatten, da sie ja im Glauben waren, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis die Butterfields vom vermeintlichen Berg des Goldes zurückkehrten. Winnetou und ich übernahmen nun zuerst eine der wichtigsten Aufgaben des Unternehmens, und zwar das genaue Auskundschaften des Eingangsbereiches und der direkten Umgebung des kleinen Tales, um dieses Gebiet intensiv auf die Durchführbarkeit unseres Planes zu überprüfen. Obwohl das Gelände gerade hier äußerst unübersichtlich erschien, fanden wir doch bald einen sehr brauchbaren schmalen Schleichweg, der sich kurz hinter dem Taleingang kreuz und quer durch die Wand der kleinen Schlucht schlängelte und wir uns somit auch kurze Zeit später, diesem Weg folgend, außerhalb des Tales wiederfanden. Zufrieden kehrten wir daraufhin schnell zu den Unsrigen zurück. Zeitgleich mit uns traf auch Tsain-tonkee wieder bei unseren Gefährten ein, der die Butterfields sicher in der besagten Grotte untergebracht und sie nun dem Schutz des anderen Apatschen und der Obhut des Doktors anvertraut hatte. Wir hofften sehr, dass die Greenhorns sich über die doch recht lange Zeit hin ruhig verhalten und nicht die Geduld verlieren würden. Aber mittlerweile hatte der Doktor unsere Schützlinge auch über den Ernst der Lage aufgeklärt, da sie sich jetzt ja nicht mehr in der unmittelbaren Nähe der Feinde aufhielten und somit sich und uns auch nicht mehr durch dumme Fehler in Gefahr bringen konnten. Eigentlich wäre es uns lieber gewesen, wenn sich Tsain-tonkee weiterhin als Schutz bei der Familie aufhalten würde, aber Winnetou wollte auf keinen Fall auf einen seiner besten Männer verzichten, sollte es hier zu einem Kampf kommen. Auch der hintere Talausgang war inzwischen ausgiebig begutachtet worden, denn jeder unserer Männer musste wissen, wo genau sein Platz war. Hier konnten wir aber nur Mutmaßungen anstellen, da es sich nicht sicher sagen ließ, wo genau die Kiowas sich verschanzen wollten, um die Goldsucher in der Schlucht einzuschließen, und dementsprechend mussten unsere Gefährten sich ja dort platzieren. Darum blieb Tsain-tonkee auch mit drei weiteren Apatschen in dem unmittelbaren Gelände rund um den Ausgang versteckt, während wir anderen wieder das Tal, welches sich insgesamt über eine Länge von gerade einmal wenigen hundert Metern erstreckte, nochmals in die rückwärtige Richtung durchritten und es durch den Eingang wieder verließen. Als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, begann das Warten. Nach unseren Berechnungen hatten wir noch ein, zwei Stunden Zeit, bis unsere Feinde hier erscheinen würden, um dann ihrerseits mit ihren Planungen zu beginnen. Wir zogen uns darum ein ganzes Stück weit in die Richtung zurück, aus der sie glaubten, dass wir von dort kommen mussten, und versteckten die Pferde tief zwischen den Bäumen. Wieder trennten Winnetou und ich uns von der Gesellschaft und verbargen uns nicht weit von der Stelle, an der die Kiowas vorbeikommen würden, damit wir ihre Ankunft beobachten konnten. Ab jetzt blieb uns nichts mehr zu tun, und so saßen wir eng beieinander, um uns für die kommenden schicksalsträchtigen Stunden zu wappnen. Selbst in solch hochkonzentrierten Augenblicken war es für mich jedes Mal wie eine Wohltat, wenn ich die Wärme meines Freundes so nah bei mir spüren konnte. In diesen Momenten wurde mir immer wieder überdeutlich bewusst, wie sehr ich ihn liebte, dass ich ihn zum Leben brauchte wie die Luft zum Atmen; dass einfach nichts wichtiger war auf dieser Welt als das Glück, die Gesundheit und das Leben meines geliebten Blutsbruders. Unwillkürlich schmiegte ich mich etwas dichter an ihn heran, um seinem warmen und lebendigen Körper noch näher zu sein, und obwohl er all seine Sinne auf die Ankunft und die zu erwartende Auseinandersetzung mit den Kiowas ausgerichtet hatte, ergriff er sofort die Gelegenheit, auch meine Nähe zu suchen, drückte mich an sich und ergriff meine Hand. Worte waren wie immer überflüssig, wir waren einfach nur froh und dankbar, einander zu haben und miteinander leben zu dürfen. Und dann wurde es wirklich ernst – sie kamen. Leise, fast unhörbar ritten die uns feindlich gesonnenen Indianer, kaum zehn Schritte entfernt, an uns vorüber, und nur ab und zu konnte man einen Huftritt oder ein leises Schnauben ihrer Pferde vernehmen. Wir zählten zwanzig Krieger und waren daraufhin fast schon erleichtert, denn wir waren uns sicher, dass wir es ohne große Schwierigkeiten mit diesen wenigen Leuten würden aufnehmen können. Schnell kehrten wir daraufhin zu unseren Leuten zurück. Eine gute Stunde warteten wir noch, bis wir uns sagen konnten, dass die Kiowas ihre Positionen an beiden Taleingängen bezogen hatten, wobei wir inständig hofften, dass sie Tsain-tonkee und seine Männer am hinteren Ausgang nicht entdeckt hatten. Emery, Sam und ich nutzten die Zwischenzeit, um unsere verbliebenen sechs indianischen Gefährten samt Winnetou mit den geborgten Kleidungsstücken der Butterfields auszustatten, denn wir mussten ja die Rolle der zehn angehenden Goldsucher übernehmen. Dabei hatte ich größte Mühe, das lange und dichte Haar meines Freundes unter einem Cowboy-Hut zu verstauen, denn seine glänzende Haarpracht hätte ihn ja unweigerlich verraten. Ich hatte ihn noch nie mit einem Hut auf dem Kopf gesehen und musste über diesen ungewohnten Anblick dann auch unwillkürlich breit lächeln. Er sah das, musterte mich einen langen Moment mit seinen herrlichen Augensternen, drehte sich dann um und flüsterte einem seiner Krieger einige Worte zu. Dieser übergab ihm daraufhin einen Gegenstand, den ich nicht sehen konnte. Winnetou drehte sich nun wieder zu mir, und ehe ich mich versah, hatte er mir die Adlerfeder des anderen Apatschen ins Haar gesteckt. Jetzt war es an ihm, ein herzliches Lächeln sehen zu lassen, und auch die anderen Anwesenden konnten sich ein Lachen teilweise nur mühsam verkneifen, während mein Grinsen nur noch breiter wurde. Dass mein ansonsten so ernster und in sich gekehrter Blutsbruder seit einigen Monaten immer öfter etwas von seinem feinsinnigen, sonst in seinem tiefsten Innersten verborgenen Humor durchblitzen ließ, und dann auch noch in einer jetzt so ernsten Situation, erfreute mich wirklich sehr und machte die leise Veränderung seines Wesens deutlich, die in ihm seit seiner Begegnung mit dem Jenseits vorgegangen war. Aber schnell wurden wir alle wieder ernst, denn jetzt galt es, höchste Konzentration zu wahren, um ja keinen Fehler bei unseren bevorstehenden Aufgaben zu machen. Wir saßen auf, und dann ritten wir hinein in ein nicht gerade ungefährliches Abenteuer. Ab jetzt schlüpften wir in die Rolle der unbefangenen Goldsucher, die sich aufgrund ihres gerade gehobenen Schatzes in einem Zustand voller Euphorie und in einem wahren Rausch der Glückseligkeit befinden mussten und deshalb ihrer Umgebung überhaupt keine Aufmerksamkeit widmeten. Wir lachten und scherzten und unterhielten uns so laut, wie es nur ging, wobei wir drei Weißen den Hauptpart übernahmen, da die zurückhaltenden Apatschen so einen Rollentausch nicht ohne weiteres vornehmen konnten, das ging ihnen einfach gegen die Natur. Zwischendurch ließen wir aber unauffällig unsere Blicke schweifen, um zu sehen, wo genau sich die Feinde verschanzt hatten. Alle konnten wir nicht entdecken, wobei wir natürlich davon ausgehen mussten, dass sich eine Hälfte der Krieger am hinteren Schluchtausgang verborgen hielt, aber Winnetou und ich konnten mindestens vier der Kiowas ausmachen, die sich zwischen den Felsen versteckt hielten, zum Glück so weit entfernt, dass ihnen der Schwindel mit unserer Verkleidung nicht auffallen konnte. Und dann ritten wir hinein in das Tal, welches uns, oder besser gesagt, den Butterfields, zur Todesfalle werden sollte, und gaben uns dabei so unbefangen wir nur irgend möglich. Doch kaum waren wir an einer Stelle angelangt, an der wir den Blicken der Feinde verborgen sein mussten, war unsere scheinbare Gelassenheit wie weggeblasen, und wir begaben uns schnellstmöglich auf unsere vorher besprochenen Positionen. Die sechs Apatschen warfen sofort ihre überflüssigen, geborgten Kleidungsstücke von sich, schlichen sich, tief geduckt und jede Deckung ausnutzend, ein kurzes Stück zurück in Richtung Eingang und schnellten dann den kleinen Schleichweg hinauf, den Winnetou und ich vor ein paar Stunden entdeckt hatten. Auf diesem Weg gelangten sie aus der Schlucht hinaus und würden somit in kürzester Zeit in den Rücken der Kiowas kommen, die den Taleingang besetzt hielten. Winnetou und Emery hatten derweil ihre Pferde sowie die der restlichen Apatschen hinter einigen Bäumen, zwischen denen teils mannshohe Felsblöcke lagen, in Sicherheit gebracht und schlichen sich jetzt, bewaffnet mit ihren Gewehren und Revolvern, wieder zurück in die Nähe des Eingangs an einen vorher ausgemachten Ort, wo sie vor feindlichen Kugeln und Pfeilen sicher waren, selber aber eine sehr gute Schussposition haben würden. Währenddessen begaben Sam und ich uns in Windeseile zum hinteren Ausgang der Schlucht, denn auch dort gab es einen solchen Platz, der für unsere Zwecke wie geschaffen war. Ich hatte mir diese Seite des Tales erbeten, denn Tsain-tonkee und seine drei Apatschen waren in der Minderheit und könnten eventuell Unterstützung durch meinen Henrystutzen gut gebrauchen. Kurz bevor wir unser Ziel erreichten, versteckten auch wir unsere Pferde an einem sicheren Ort. Wir brauchten nicht lange zu warten. Von vorne und von hinten erklang plötzlich das Kriegsgeschrei der Kiowas, und kurz darauf erschienen auch schon verwegen aussehende, bis an die Zähne bewaffnete Krieger, die weiterhin unentwegt brüllten, wahrscheinlich weil sie mit diesem nervtötenden Geschrei die vermeintlichen Greenhorns von vornherein in Angst und Schrecken versetzen wollten. Kaum aber hatten sie Sam und mich und unsere auf sie gerichteten Gewehre entdeckt, verstummte der Lärm augenblicklich, während sich in den Gesichtern der zehn feindlichen Krieger, die sich vielleicht noch dreißig Schritte vor uns befanden, der Ausdruck der Überlegenheit in Überraschung, gefolgt von leiser Besorgnis, verwandelte. Auch vom vorderen Taleingang konnte man das plötzliche Abbrechen des Kriegsgeschreis vernehmen, so dass wir davon ausgingen, dass sich Winnetou und Emery im Augenblick in der gleichen Position wie wir befanden. Gerade als sich die Überraschung der Kiowas zu legen begann, ertönte hinter ihnen der nicht minder gefährlich klingende Kriegsruf der Apatschen, und sofort darauf erschien Tsain-tonkee nebst seinen ihn begleitenden Apatschen im Rücken der Feinde, und vom vorderen Ende des Tales antworteten sofort und ebenso laut die dort bereitstehenden sechs Mescaleros, die sich jetzt auch unmittelbar hinter den Kiowas befanden. Die vor uns stehenden Krieger erstarrten, als sie wider Erwarten nun auch von hinten bedroht wurden. Ein, zwei Sekunden lang herrschte Totenstille, die ich auch bewusst abwartete, denn ich wusste, dass Winnetou beginnen würde. Und dann ertönte auch schon seine sonore Stimme durch das ganze Tal; er brauchte sie gar nicht sonderlich anzustrengen, um klar und deutlich damit auch bis zu zu uns durchzudringen. „Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen! Er befindet sich hier mit seinen Kriegern und einigen der berühmtesten Westmänner, denen man jenseits des Red Rivers begegnen kann. Wenn die feigen Hunde der Kiowas sich nicht sofort ergeben, werden sie den Untergang der Sonne nicht mehr erleben!“ Jetzt zeichnete sich in den meisten Gesichtern der Feinde deutliches Entsetzen ab, und hier und da war auch ein überraschtes „Uff uff! Winnetou!“ zu hören. Wieder ertönte die Stimme meines Freundes: „Wir geben den Kriegern der Kiowas zwei Minuten Zeit, sich zu entscheiden. Danach werden nur noch unsere Waffen sprechen!“ Wir duckten uns jetzt tief hinter dem Felsen, wo wir Schutz gesucht hatten, und ich wusste, dass Winnetou an der anderen Seite ebenso reagierte. Unsere Gewehre allerdings hielten wir, für unsere Gegner gut sichtbar, weiterhin im Anschlag. Die vor uns befindlichen Indianer benötigten einige Sekunden, bis sie ihre Fassung wiedererlangt hatten, dann drängten sie sich zusammen, um diese unvorhergesehene Wendung des Geschehens zu besprechen. Kurz darauf machte einer von ihnen, in dem ich einen der offensichtlich höher gestellten Krieger erkannte, die wir vor wenigen Stunden belauscht hatten, den schwachen Versuch, Zeit zu gewinnen, indem er laut rief: „Hier spricht Howahkan, der Unterhäuptling der Kiowas! Der Häuptling der Apatschen mag mich anhören! Um zu einer Entscheidung gelangen zu können, müssen wir uns erst mit den Kriegern besprechen, die sich am anderen Ausgang des Tales befinden!“ Ich hatte das vorausgesehen und antwortete jetzt an Winnetous Stelle: „Howahkan mag sich nicht wie ein Kind benehmen! Oder denkt er vielleicht, die tapferen Krieger der Apatschen sowie Sam Hawkens oder Old Shatterhand hätten kein Hirn im Kopf?“ Von dem Unterhäuptling kam jetzt ein überraschtes Keuchen: „Old Shatterhand? Uff!“ „Ja, hier spricht Old Shatterhand!“, antwortete ich. Winnetou hatte bei seiner ersten Ansprache sehr klug gehandelt, da er weder die genaue Anzahl seiner Apatschen noch die der vorhandenen Westmänner genannt hatte. Da wir uns den Kiowas so entschlossen und furchtlos entgegen gestellt hatten, mussten diese fast schon davon überzeugt sein, dass sich in ihrer unmittelbaren Nähe eine weitaus größere Anzahl an Gegnern befand, als es tatsächlich der Fall war. Um meinem Gegenüber keine Zeit zum Nachdenken zu lassen, sprach ich schnell weiter: „Ja, Old Shatterhand! Und der Unterhäuptling der Kiowas mag bedenken, dass nicht nur viele andere berühmte und tapfere rote und weiße Männer ihre Gewehre auf seine Krieger gerichtet haben, sondern auch, dass er nur noch eine Minute hat, um sich zu entscheiden!“ Ich hoffte, dass meine Stimme ebenso gut für Winnetou zu hören war, so dass er über das Geschehen hier auch im Bilde war; und ebenso hoffte ich, dass auch meine Andeutungen die Kiowas dazu verleiteten, an eine große Anzahl von furchtlosen Gegnern zu glauben. Anscheinend hatte ich wirklich einen der stellvertretenden Anführer vor mir; und bei Winnetou und seinen Männern musste ein zweiter stehen, denn nach kurzem Zögern rief Howahkan laut einige Worte in der Mundart der Kiowas seinen am Taleingang stehenden Kriegern zu, und einer von ihnen antwortete kurz darauf ebenso laut. Am Tonfall der beiden meinte ich herauszuhören, dass sie die ganze Situation doch friedlich zu beenden gedachten, aber Winnetou, der im Gegensatz zu mir und zum Pech unserer Feinde der Sprache der Kiowas mächtig war, belehrte mich eines Besseren. Ich hörte ihn einen scharfen Warnruf in Apachi ausstoßen und reagierte sofort, keine Sekunde zu früh. Die feindlichen Krieger hatten sich nämlich blitzschnell zu Boden fallen lassen, und zwar so, dass fünf von ihnen Sam und mich ins Visier nahmen und die anderen fünf auf die vier Apatschen hinter ihnen anlegten. Wären wir jetzt nicht auf der Hut gewesen, wären wir wahrscheinlich in sehr große Bedrängnis geraten. Aufgrund von Winnetous Warnung aber schossen wir sofort, noch ehe die Kiowas den Boden erreicht hatten. Auf der anderen Talseite erklangen ebenfalls Schüsse, und ich hoffte von ganzem Herzen, dass es auch Winnetou gelungen war, mit seinen Männern die Oberhand zu behalten. Wir hatten zuvor abgesprochen, dass wir, sollte es zu Kampfhandlungen kommen, die Gegner möglichst nur verwundeten, und das hielten wir auch so gut es ging ein. Innerhalb kürzester Zeit lagen die meisten Kiowas am Boden, und die wenigen, die nicht verletzt waren, knieten mit erhobenen Händen vor uns und baten um Gnade. Sofort machten sich Sam und zwei der Apatschen daran, alle Gegner zu entwaffnen, natürlich auch die Verletzten, während Tsain-tonkee, der dritte Apatsche und ich sie weiterhin mit größtmöglicher Aufmerksamkeit in Schach hielten. Die Sorge um meinen Blutsbruder verleitete mich dazu, zwischendurch mit lauter Stimme seinen Namen zu rufen, und wie sehr war ich erleichtert, als ich sofort darauf seine Antwort vernahm! Mit wenigen Worten versicherten wir uns gegenseitig, dass bei dem anderen alles in Ordnung war, und jetzt fühlte ich mich, als würde eine riesige Last von mir abfallen. Ich erinnerte mich an mein ungutes Gefühl, welches mich die ganze Reise über begleitet und mich ständig vor einer Gefahr für Winnetou gewarnt hatte. War diese Gefahr jetzt vorüber? Die Feinde waren besiegt, hüben wie drüben lagen sie gefesselt und entwaffnet vor uns. Der Ship Rock war ganz in unserer Nähe, schon morgen würden wir, wenn die alte Karte des Indianers Recht behielt, die Bonanza unserer Schützlinge ausheben können. Danach sollte es nach Farmington gehen, wo das Gold umgetauscht und einige Einkäufe für die Mescaleros getätigt werden sollten, wobei Winnetou dafür sein eigenes Gold verwenden würde, welches er ebenfalls am Ship Rock aus seinem eigenen Finding-Hole bergen wollte. Im Anschluss daran würden wir die Butterfields nach Hause geleiten, um dann selber wieder zum Pueblo der Mescaleros zurückzukehren. Was sollte uns ab jetzt also noch großartig passieren? Zumindest bis Farmington waren wir von nun an auf jeden Fall in Sicherheit, da wir die Kiowas ohne Pferde und Waffen aus der Gefangenschaft entlassen wollten, so dass sie uns nicht folgen konnten. Da der Rückweg uns anschließend in einem großen Umweg über Carlsbad führen würde, wo unsere Schützlinge beheimatet waren, kamen wir dadurch auch nicht mehr in die Nähe der Jagdgründe der Kiowas, so dass uns von dort wohl auch keine Gefahr mehr drohen würde. Eigentlich hätte ich mich jetzt also völlig entspannen können, und mir war auch ein großer Stein vom Herzen gefallen – aber: ganz tief in mir blieb ein leise nagendes Gefühl der Unruhe zurück. Ich beschloss, dem vorerst keine Bedeutung mehr beizumessen, denn jetzt musste meine gesamte Konzentration der Unterwerfung der Kiowas gelten. Diese waren mittlerweile alle gefesselt worden. Diejenigen, die aufgrund ihrer Verletzungen nicht mehr laufen konnten, wurden von uns halb getragen, halb mitgeschleift, als wir uns zur Talmitte begaben, um dort mit Winnetou und seinen Männern zusammenzutreffen. Zufrieden sahen wir uns kurz in die Augen, dann übernahm mein Freund wieder das Wort und richtete es an Howahkan, der zwar einen Schulterdurchschuss erlitten hatte, trotzdem aber noch Herr seiner Sinne war und weiterhin die Rolle des Anführers inne hatte. Winnetou machte ihm unmissverständlich klar, dass die Kiowas auf verlorenem Posten standen und nur auf unsere Gnade hoffen durften, wenn sie sämtliche Pferde und fast alle Waffen, mit Ausnahme einiger Messer, abgeben würden. Nach einigem Zögern stimmte der Unterhäuptling letztendlich zu. Er wäre vielleicht sogar bereit gewesen, freiwillig in den Tod zu gehen, um sich und seinen Kriegern die Schande zu ersparen, vor seinem Volk als Unterlegener zu erscheinen, doch Winnetou gelang es, ihn davon zu überzeugen, dass darunter auch die Frauen und Kinder unserer Gegner ein Leben lang zu leiden hätten. Außerdem mochte sich Howahkan sagen, dass es nicht unbedingt als Schande gelten musste, von Winnetou und Old Shatterhand besiegt zu werden. Somit machten sich die geschlagenen Krieger, nachdem ihre Verwundeten auch mit unserer Hilfe versorgt worden waren, zum Talausgang davon. Eigentlich hätten sie die umgekehrte Richtung nehmen müssen, aber da wir die restlichen vierzig Kiowas, die mein Freund und ich am Mittag belauscht hatten, in nicht allzu weiter Entfernung wussten, schickten wir sie auf einem sehr großen Umweg zurück zu den Ihrigen, die sich dann mittlerweile alle am San-Juan-River befinden mussten, wenn die Unterlegenen bei ihnen ankamen. Dadurch würde sich für uns ein Vorsprung von mindestens drei Tagen ergeben, ehe die feindlichen Krieger in der Lage sein würden, uns zu folgen. Dann aber würden die allermeisten Spuren schon verwischt sein, so dass wir sicher sein durften, von ihnen ab jetzt nicht mehr belästigt zu werden. Winnetou wollte jetzt sofort mit Tsain-tonkee aufbrechen, um die Butterfields mitsamt dem Doktor zurück zu unserer Gesellschaft zu holen, damit wir sie in Sicherheit wussten, noch bevor es Nacht wurde. Ich aber bestand darauf, ihn zu begleiten, da wir zu dritt noch besser für den Schutz der teils übermütigen Jünglinge sorgen konnten, zumal man nie wissen konnte, was den unachtsamen Herrschaften als nächstes einfiel. Zumindest war das die Begründung, die ich meinem Freund lieferte - in Wirklichkeit aber hätte ich es einfach nicht ertragen können, ihn auch nur für wenige Stunden allein zu lassen und somit im Notfall keine Möglichkeit zu haben, ihn zu schützen oder ihm beizustehen. Er stimmte auch sofort zu, und ich war mir sicher, dass er meine wahren Beweggründe längst durchschaut hatte, zumindest deutete sein inniger Blick so etwas an. Ich hatte das Gefühl, dass er mit seinem Blick in diesem kleinen, aber doch gefühlt ewigen Moment förmlich meine Seele streichelte! Wir brachen also schnell auf und kamen dank unserer schnelle Pferde – auch Tsain-tonkee war sehr gut beritten – dann auch eher als gedacht ans Ziel, wo wir von den Butterfields und auch von Walter Hendrick schon sehnsüchtig erwartet wurden. Natürlich wollten alle sofort über sämtliche Geschehnisse der vergangenen Stunden unterrichtet werden, doch mir fiel auf, dass unser fürsorglicher Arzt, bevor er auch nur eine Frage stellte, uns drei erst einmal intensiv musterte, um festzustellen, ob wir auch wirklich unverletzt waren. Da er auf dem ersten Blick nichts entdecken konnte, fragte er mich dann auch sogleich aus, aber ihm ging es im Gegensatz zu den anderen vornehmlich um unsere Gesundheit. Ich beruhigte ihn dahingehend sofort, und nachdem dann die Neugier unserer Schützlinge in wenigen Sätzen zumindest halbwegs gestillt war, machten wir uns schnellstmöglich wieder auf den Rückweg, und auch hier blieben wir zum Glück unbehelligt. Das Lager der Kiowas, welches wir am Mittag belauscht hatten, lag ja auch in einiger Entfernung von uns; außerdem nahmen wir an, dass diese sich mittlerweile wahrscheinlich schon zu ihrer Hauptschar mit dem uns unbekannten Häuptling am San Juan-River aufgemacht hatten. Die Nacht verbrachten wir in dem Tal, dass uns am heutigen Tag eigentlich den Tod hätte bringen sollen, aber hier waren wir am sichersten, da wir für die Bewachung der Eingänge nur jeweils eine Person benötigten. Unsere Schützlinge benahmen sich an diesem Abend richtiggehend ausgelassen, einerseits aus der übergroßen Erleichterung heraus, dass sie den Weg bis hierher so gut wie unbeschadet überstanden hatten; sogar ein echter Indianer-Überfall war von uns ohne Verlust von Gesundheit oder Leben abgewehrt worden! Andererseits drang ihnen immer mehr ins Bewusstsein, dass der morgige Tag ihnen wahrscheinlich den größten Reichtum bescheren würde, den sie sich überhaupt vorstellen konnten, und allein der Gedanke daran ließ ihre Vorfreude förmlich überkochen. Mehrfach und letztendlich ernsthaft und in aller Deutlichkeit mussten wir die jungen Männer ermahnen, endlich Ruhe zu geben, denn wir alle konnten nach den Ereignissen der letzten Tage wirklich eine ordentliche Mütze voll Schlaf gut gebrauchen; und nach einer deutlichen Ansage von Emery hielten sie sich dann auch endlich an die Abmachung. Auch heute Abend hatte der Doktor das Lager für Winnetou und mich, so weit wie es eben ging, abseits von den Gefährten hergerichtet, und somit war es uns sogar möglich, uns ganz dicht beieinander zu legen, die Wärme des anderen zu spüren, uns mit den Händen zu berühren. Wir genossen diese kostbaren Momente mit allen Sinnen, und kurz darauf war ich auch schon wieder bereit, weiter zu gehen, denn der Wunsch, meinem Freund abermals das höchste Glück zuteil werden zu lassen, brannte so heiß in mir! Dann aber bemerkte ich, dass Winnetou unter den sanften Liebkosungen meiner Hände auf seinem Oberkörper tatsächlich schon eingeschlafen war. Die Ereignisse der vergangenen Tage, die Anspannung, der fehlende Schlaf und wahrscheinlich auch seine Rückenverletzung forderten nun doch ihren Tribut. Unter anderen Umständen hätte er diesem Ruhebedürfnis mit Sicherheit nicht so einfach nachgegeben, und es war wohl jetzt nur seinem übergroßen Vertrauen zu mir geschuldet, dass mein Freund es sich erlaubte, seine Wachsamkeit, die er auch im Schlaf, zumindest im Unterbewusstsein, beizubehalten pflegte, nun aufgab und sich vollkommen meiner Fürsorge und meinem Schutz anvertraute. Ganz still lag ich so nah wie möglich bei ihm, sein Kopf ruhte in meinem Arm, sanft streichelte ich über seine Stirn, vergrub meine Finger in seinem wundervollen Haar, und in Gedanken versprach ich ihm, über ihn zu wachen und ihn zu schützen, solange ich lebte. Eigentlich hätte auch Winnetou für zwei Stunden in der Nacht wachen müssen, aber da er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit von alleine nicht erwachte, hütete ich mich davor, ihn aus dem Schlaf zu reißen, als meine Zeit um war. Stattdessen teilte ich mir mit Emery seinen Part, zusätzlich zu unseren Wachen, womit der Engländer auch mehr als einverstanden war. Auch er war der Ansicht, dass dem Apatschen-Häuptling diese zusätzliche Ruhe nur gut tun konnte. Der Schlaf hatte meinem Freund tatsächlich äußerst wohlgetan, was man ihm am nächsten Morgen deutlich ansehen konnte. Wir hatten ihn auch jetzt nicht geweckt, sondern so leise wie möglich schon einmal alles zur Abreise vorbereitet, bis er dann irgendwann von alleine die Augen aufschlug. Selbst unsere übermütigen Heißsporne schlichen fast auf Zehenspitzen durch das Lager, denn auf Winnetou hatten sie schon von Anfang an immer besondere Rücksicht genommen, da sie ihn fast schon verehrten. Außerdem war ihnen wohl bewusst, wie viel sie dem Apatschen-Häuptling verdankten, und dass er für sie mehr als nur seine Gesundheit riskiert hatte. So ganz einverstanden war Winnetou natürlich nicht mit meiner Handlungsweise, aber der Doktor sprang sofort für mich in die Bresche und erklärte meinem Freund in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, dass ich genau richtig gehandelt hätte und diese längere Pause seiner Meinung nach sehr wichtig gewesen sei. Immer wenn Hendrick in solch gestrenger Art und Weise zu ihm sprach, hielt Winnetou sich mit seiner Meinung und seinem Willen merklich zurück. Er hatte nun mal größte Hochachtung vor dem Arzt und fügte sich diesem deshalb auch jetzt ohne Weiteres. Ganz früh am Morgen war unser Spähfuchs Tsain-tonkee wieder einmal zu einem Kundschafter-Ritt aufgebrochen. Er wollte die Spuren der besiegten Kiowas eine Weile verfolgen, um sicherzugehen, dass sie wirklich auf direktem Weg zu den Ihrigen zurückkehrten und nicht etwa doch auf die hinterlistige Idee kamen, uns nochmals hinterrücks aufzulauern. Jetzt eben, als ich Winnetou ein zartes Stück Büffelfleisch vorgesetzt hatte und sorgsam darauf achtete, dass er in Ruhe sein Frühstück genoss, kehrte der Apatsche wieder zurück. Er berichtete, dass es überhaupt keinen Grund zur Sorge gab, da die uns feindlich gesonnenen Rothäute unbeirrt ihrem Ziel entgegen ziehen würden, wie er aus ihren Spuren ohne Schwierigkeiten hatte ersehen können. Zufrieden nickte ich Tsain-tonkee zu und wollte ihn gerade mit einem kurzen Dank entlassen, da ergriff Winnetou das Wort. „Mein roter Bruder mag sich noch einen Augenblick zu uns setzen!“, bat er den etwas überrascht dreinblickenden jungen Krieger, der dem Wunsch meines Freundes dann aber sofort nachkam. Dieser sah Tsain-tonkee freundlich an und begann: „Winnetou denkt schon seit einigen Tagen über etwas nach, wollte aber abwarten, bis er mit dem Rat der Alten darüber sprechen konnte. Jetzt aber hat er endgültig Klarheit über sein Vorhaben, Tsain-tonkee aufgrund seiner herausragenden Fähigkeiten zu seinem Unterhäuptling zu machen; und er ist sich sicher, dass auch die Ältesten unseres Volkes seinem Vorschlag zustimmen, wenn Winnetou ihnen von den Taten und der großen Umsicht seines jungen Bruders berichten wird!“ Es war köstlich, jetzt das Gesicht des jungen Apatschen zu beobachten. Er, der sonst immer so beherrschte und ernst dreinschauende Mann, dem man selten eine Gefühlsregung ansehen konnte, hatte auf einmal seine Mimik nicht mehr unter Kontrolle. Deutlich konnte man eine Mischung aus Überraschung und großer Freude in seinen Gesichtszügen erkennen, allerdings nur kurz, dann gewann er seine Beherrschung wieder, nur das Leuchten in seinen Augen verriet das Glück, dass er wegen der Worte Winnetous empfand. Ich konnte meinem Blutsbruder in dieser Sache nur zustimmen. Tsain-tonkee hatte sich nicht nur auf dieser Reise, sondern auch schon vor Monaten während des Kampfes mit den Geiern bewährt, und es war nur recht und billig, dass er nun einen höheren Rang unter den Kriegern der Mescaleros einnahm. Sichtlich bewegt dankte er nun seinem Häuptling, voller Ehrerbietung, und verließ uns dann, wobei mir sein Gang beim genaueren Hinsehen regelrecht beschwingt vorkam. Winnetou sah ihm lächelnd hinterher, dann aber wandte er sich mir zu und schaute mich mit einem ernsten Ausdruck in seinen wunderschönen Augen an. „Winnetou hat gestern einen Fehler gemacht, mein Bruder“, begann er. Erstaunt schüttelte ich den Kopf. „Aber nein! Wie kommst du darauf? Und welchen Fehler meinst du?“ Ich wusste ja, dass mein Freund über sich selber viel strenger urteilte als über jeden anderen, aber das wolle ich ihm jetzt schnell wieder ausreden, denn in meinen Augen hatte er in den letzten Tagen mehr als umsichtig und klug gehandelt. Er antwortete: „Ich habe es unterlassen, die feindlichen Krieger zu fragen, welchem Kiowa-Stamm sie nun genau angehören. Sie trugen keine Stammesabzeichen, und deshalb kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob sie wirklich zu den hier ansässigen Apsarokee-Kiowas gehören. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch, eben weil der der Hauptteil des Stammes am San-Juan-River lagert, wie wir gestern ja erlauschen konnten. Allerdings besteht noch die Möglichkeit, dass es sich hier um einen der umherstreifenden Kiowa-Stämme handelt.“ „Hm!“, meinte ich. „Das ist richtig, aber würde es einen großen Unterschied machen, ob es sich nun um den einen oder den anderen Stamm handelt?“ Mein Freund zuckte mit den Schultern. „Winnetou ist sich da selber etwas unsicher. Aber zwei Dinge beunruhigen mich doch: Einerseits die fehlenden Stammesabzeichen – es fühlt sich für mich so an, als ob die roten Männer absichtlich nicht erkannt werden wollten, und wenn dem so ist, warum? Warum machen sie darum ein solches Geheimnis? Und zum Zweiten: Sollte es sich tatsächlich um einen umherziehenden Stamm handeln, würde das bedeuten, dass die hier an der Grenze ansässigen Apsarokee-Kiowas uns wahrscheinlich immer noch beobachten; und vielleicht planen auch sie einen Überfall?“ Sinnend sah ich zu Boden und dachte über Winnetous Worte nach. Was er da vorgebracht hatte, konnte ich nicht entkräften, ich konnte seinen leisen Befürchtungen nicht viel entgegensetzen. Allerdings glaubte ich nicht, dass uns jetzt noch Gefahr drohte, und das sagte ich ihm nun auch: „Vielleicht sieht mein Bruder im Augenblick zu schwarz. Er mag bedenken, dass wir uns ab jetzt mit jeder Meile, die wir Richtung Ship Rock reiten, von dem Grenzgebiet der Kiowas entfernen, so dass die Gefahr eines erneuten Überfalls immer geringer wird. Unser Ziel ist außerdem nicht mehr weit entfernt, und spätestens in Farmington befinden wir uns dann endgültig in Sicherheit!“ Er nickte und entgegnete: „Du hast wahrscheinlich recht, Scharlih. Trotzdem sollten wir unsere vielen Sicherheitsvorkehrungen weiter bestehen lassen.“ „Natürlich!“, bestätigte ich ihn sofort. „Wir werden jetzt auf keinen Fall nachlässig werden! Aber mein Gefühl sagt mir, dass wir die größte Gefahr nun hinter uns haben!“ Glaubte ich das wirklich? Wenn ich genau in mich hineinhorchte, musste ich mir eingestehen, dass sich meine diffuse Unruhe immer noch nicht gelegt hatte. Da ich dieses Gefühl aber schon die ganze Zeit über mit mir herumtrug, wir aber meiner Meinung nach die größte Gefahr seit gestern überstanden hatten, wollte ich mich dadurch einfach nicht weiter beirren lassen. Hätte ich es doch nur getan! Kapitel 21: Gold! ----------------- Mittlerweile hatten wir alles zusammengepackt und waren bereit für den Aufbruch. Wir hatten uns die Waffen der Kiowas genau angesehen und befestigten jetzt die besseren davon auf eines ihrer Pferde, welches uns als Packpferd dienen sollte. Keines der Gewehre war so gut, als dass wir es mit einem von unseren oder von den Butterfields ausgetauscht hätten, denn die Jünglinge waren ja erst vor kurzem von uns in Fort Summer mit hochwertigen Ausrüstungsgegenständen versehen worden, unter anderem natürlich auch mit vernünftigen Waffen. Bei den Pferden sah das schon anders aus. Da waren einige doch sehr gute Tiere dabei, welche wir gerne mit den teils schon altersschwachen Kleppern unsere Schützlinge getauscht hätten, aber die indianisch geschulten Pferde hätten nie und nimmer einen Weißen, und noch dazu solch unerfahrene Reiter, auf ihrem Rücken geduldet. Schweren Herzens beschlossen wir also, die Tiere ein paar Stunden lang mitzunehmen und dann an einer geeigneten Stelle freizulassen, wo wir nicht Gefahr liefen, dass die Kiowas sie fanden. Die Tiere würden sich sehr schnell an ihre neue Freiheit gewöhnt haben und sich vielleicht irgendwann sogar einer Herde Wildpferde anschließen. Dann ritten wir hinein in einen Tag, der für die Butterfields mehr als aufregend zu werden versprach. Dementsprechend nervös und zappelig benahmen sich die Jungspunde jetzt auch, und wieder bedurfte es so mancher Ermahnung unsererseits, um die ganze Bande einigermaßen ruhig zu halten. Natürlich versäumten wir es auch heute nicht, unsere Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, aber mittlerweile hatte sich bei allen Westmännern und Apatschen doch die feste Annahme eingeschlichen, dass wir wohl alles Gefährliche hinter uns gelassen hatten. Ich könnte jetzt nicht behaupten, dass wir deswegen nachlässiger geworden wären, aber vielleicht fehlte dem ein oder anderen Blick die entscheidene Schärfe der letzten Tage, vielleicht ging der ein oder andere nicht konsequent genug bis in den letzten Winkel auf Suche nach möglichen Spuren. Winnetou und ich waren wachsam wie eh und je, aber selbst ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass auch ich das letzte Quentchen an Aufmerksamkeit ausgeschöpft hatte wie in den Tagen zuvor, obwohl das nagende Gefühl der Unruhe in mir nie ganz verschwand. Der ganze Tag verlief zum Glück völlig ereignislos. Einmal entfernten Winnetou und ich uns von der Gesellschaft und ritten nochmals hinter den von uns besiegten Kiowas her, um wirklich sicherzugehen, dass sie keine weiteren Untaten planten. Hier waren wir auch besonders aufmerksam, denn genauso wie wir gestern falsche Fährten gelegt hatten, genauso könnten die feindlichen Krieger ja jetzt auch verfahren sein. Wir fanden aber nicht den kleinsten Hinweis auf abweichende Spuren und folgten ihnen bis zum Lager der sechzig Kiowas, die wir gestern vor dem Überfall belauscht hatten, und sogar noch darüber hinaus. Diese großen Entfernungen zu überbrücken war uns aber auch nur dank unserer pfeilschnellen Hengste möglich, die es zudem noch sichtlich genossen, sich wieder einmal längere Zeit im ausdauernden Galopp bewegen und so ihre hervorragenden Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis stellen zu können. Kurz nach der Mittagsrast ließen wir die Kiowa-Pferde frei und wenig später hatten wir dann auch schon den Fuß des Ship Rock erreicht. Ab jetzt kamen wir nur langsam und recht beschwerlich voran, denn hier ging es nun steil bergauf. Irgendwann hatten wir dann auch keine Möglichkeit mehr, den Weg weiter auf unseren Pferden zurückzulegen, also suchte Winnetou nach einem geeigneten und sicheren Platz für die Tiere, der auch rasch gefunden war. Ab hier ging es zu Fuß weiter. Die Kletterei in der heißen Nachmittagssonne wurde nun zunehmend anstrengender, aber weder die Indianer noch wir Westmänner ließen uns irgendetwas anmerken, selbst der Doktor kam für sein Alter – er war ja schon Anfang der Fünfzig – gut mit, ganz im Gegensatz zu unseren Schützlingen. Diese hechelten und stöhnten schon nach wenigen dutzend Höhenmetern zum Gotterbarmen, also zu einem Zeitpunkt, an dem wir anderen uns gerade erst einmal so richtig warmgelaufen hatten! Eine halbe Stunde hörten wir uns das nervenaufreibende Gequengel noch an, dann platzte Sam Hawkens der Kragen. „Bisher hatte ich ja geglaubt, Mesch'schurs, dass ich der Dienstälteste unter uns Gentlemen bin, wenn ich mich nicht irre! Wenn ich mir allerdings dieses altersschwache Gequake da hinter uns so anhöre, könnte man fast meinen, die Herrschaften, die sich da in unserem Schlepptau befinden, hätten mindestens das Dreifache meines Alters auf dem Buckel, hihihi! Dagegen fühle ich mich ja geradezu wie ein junger Hüpfer, wenn ich mich nicht irre!“ Wieder kicherte er in sich hinein, wurde aber jetzt vom Doktor unterbrochen, der ihm zu widersprechen wagte: „Augenblick einmal! Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Amt des Dienstältesten innehabe! Immerhin bin ich schon zweiundfünfzig Jahre alt!“ Natürlich hatte unser guter Sam auch gleich eine Erwiderung auf den Lippen: „Na und? Soll mich das jetzt beeindrucken? Außerdem – woher wollt Ihr wissen, dass ich nicht noch mehr Lenze zähle als Ihr? Nur weil mein wundervolles Haupthaar“ - er lupfte jetzt natürlich sofort seine Perücke, wohl in der Hoffnung, Hendrick einen ordentlichen Schrecken mit seiner verunstalteten, blutroten Kopfhaut einjagen zu können - „noch so schön dicht und schwarz ist – oder braun? Braun-schwarz? Na, spielt ja keine Rolle, auf jeden Fall könnt Ihr aufgrund meines falschen Skalps nicht auf mein wahres biblisches Alter schließen, wenn ich mich nicht irre!“ Fast alle konnten sich jetzt ein Lächeln nicht mehr verkneifen, denn die Farbe dieses seltsamen Fetzens, den Sam da auf dem Kopf trug, war mittlerweile wirklich unmöglich zu bestimmen! Während dieses kurzen Geplänkels hatten die Butterfields, die sich einige Schritte unter uns befanden, unaufhörlich weiter gejammert und gestöhnt, so dass sie Sams Aufmerksamkeit damit nun vom Doktor weg auf sich lenkten, und das bekam ihnen gar nicht gut. „Jetzt ist aber endgültig Schluss da unten mit dem Weibergeheul, wenn ich mich nicht irre!", polterte er mit einem Mal los. "Seid Ihr Männer oder Waschweiber? Wenn Ihr weiterhin so laut heult, bekommen ja selbst die hiesigen Kojoten Angst! Spart Euch die Kraft Eurer Lungen lieber für das Atmen statt für das Schreien auf, dann läuft es sich nämlich leichter! Eines lasst Euch jetzt ein für allemal gesagt sein, meine Herrschaften: Wenn Ihr hier unten zurückbleibt und wir anderen kommen lange vor Euch ans Ziel, räumen wir Eure Bonanza alleine aus und Ihr könnt dann schön dumm aus Euren verweinten Äuglein schauen und Löcher in die Luft starren, wenn ich mich nicht irre!“ Kopfschüttelnd wandte er sich jetzt an mich: „Ist das denn zu glauben? Da denkt man, in meinem Alter hat man schon alles gesehen, selbst das größte Greenhorn des gesamten Westens“ - bei diesen Worten warf er mir einen bezeichnenden Blick zu - „ist einem schon ein paarmal über den Weg gelaufen und dann stellt sich heraus: Es hat sich irgendwie verzehnfacht! Und diesen zehn gelingt es tatsächlich, dieses größte Greenhorn sogar noch bei weitem zu übertreffen, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Ich lächelte stillschweigend vor mich hin, während unter uns wirklich so etwas wie Ruhe eingekehrt war. Zwar brummten und murrten die Butterfields, hörbar beleidigt, noch leise vor sich hin, aber die Sorge, Sam Hawkens könnte es vielleicht doch ernst meinen und ihnen das Gold tatsächlich vor der Nase wegschnappen, ließ die jungen Männer auf einmal alle Kräfte zusammennehmen und nun folgten sie uns schon fast flotten Schrittes. Der Weg wurde immer steiler und bald gerieten auch wir anderen ordentlich ins Schwitzen, zumindest was uns Weiße anbelangte. Den Apatschen allerdings konnte man die Anstrengung kaum ansehen, und mein unvergleichlicher Winnetou sah immer noch so aus, als befände er sich auf einem gemütlichen Spaziergang. Jetzt hätte ich es auch verstehen können, wenn sich unsere Schützlinge ausgiebig beschwert hätten, aber sie bissen tatsächlich die Zähne zusammen und kämpften sich mit aller Kraft weiter nach oben. Wahrscheinlich fehlte ihnen jetzt auch die Puste, um überhaupt noch einen Ton von sich geben zu können, denn das Keuchen, welches zu uns hinauf drang, wurde immer lauter. Nun bekam Winnetou offensichtlich doch etwas Mitleid mit unserer ungeübten Begleitung und rief ihnen laut zu: „Meine jungen Brüder werden sich nicht mehr lange quälen müssen. In wenigen Minuten erreichen wir den Ort, der auf der alten Karte verzeichnet ist!“ Mehrfaches erleichtertes Aufstöhnen erklang hinter uns, zu weiteren Äußerungen der Freude fehlte den Goldsuchern allerdings schlichtweg der Atem. Verschmitzt lächelnd raunte mein Freund mir zu: „Ob die jungen Bleichgesichter diesen Weg überhaupt alleine bewältigt hätten?“ „Das wage ich doch sehr zu bezweifeln!“, antwortete ich. „Ich bin sogar überzeugt davon, dass sie es bei weitem nicht bis hierher geschafft hätten – spätestens am Rio Grande wäre ihre Reise ohne uns zu Ende gewesen. Diesen großen Fluss hätten sie niemals ohne Verlust von Leib und Leben überwunden!“ Winnetou nickte zustimmend und meinte dann: „Winnetous Finding Hole liegt noch bedeutend höher als diese Bonanza hier, aber an einer anderen Seite des Berges. Um es zu erreichen, müssen wir den Weg wieder herunter, dann den Berg ein ganzes Stück umrunden und von dort aus auf einem noch steileren Pfad wieder hinauf. Ist mein Bruder wie ich der Meinung, dass wir den Butterfields diesen doch sehr anstrengenden Weg gar nicht erst zumuten sollten?“ „Winnetou hat vollkommen recht“, antwortete ich. „Ich denke eher, dass diese Jungspunde überhaupt nicht in der Lage wären, solch eine Tortour noch einmal durchzuhalten. Was schlägt mein Bruder vor?“ Ich war mir nämlich sicher, dass mein Freund sich schon längst einen Plan zurecht gelegt hatte, und mit dieser Vermutung lag ich dann auch richtig. „Winnetou glaubt, dass es für die Bleichgesichter sicherer wäre, wenn sie so schnell wie möglich mit ihrem Gold nach Farmington gebracht werden würden. Alleine aber dürfen wir sie dort nicht hinschicken, da wären sie in ihrer Unerfahrenheit sofort in größter Gefahr. Und da Winnetou auch gar nicht will, dass irgendjemand außer seinem Blutsbruder überhaupt in die Nähe seiner Bonanza kommt, möchte er, dass die Familie mit allen Apatschen sowie dem Doktor, Sam Hawkens und Emery zu ihrer Begleitung und ihrem Schutz den Weg in die Stadt antritt.“ „Das ist ein sehr guter Gedanke!“, stimmte ich ihm sofort zu, auch weil ich froh war, dass er mich weiterhin an seiner Seite behalten wollte, selbst wenn ich dadurch dem Goldversteck so nahe kam, wie er es sonst wahrscheinlich nicht zugelassen hätte. Winnetou tat das wohl auch nur, weil er um meine Sorgen um ihn wusste und er mich auf diese Art beruhigen wollte. Trotzdem würde ich das Versteck nicht zu sehen bekommen, denn das letzte Stück dorthin würde er natürlich alleine zurücklegen. So aber konnte ich ansonsten ständig in seiner Nähe bleiben und er würde auf dem Weg nach Farmington nicht allein auf sich gestellt sein. Sehr zufrieden mit unserem Plan teilte ich ihn jetzt den Gefährten mit. Die Butterfields sahen so aus, als würden sie gleich in einen lauten Freudenjubel ausbrechen wollen, wenn ihnen dazu nicht die Puste gefehlt hätte, aber dass sie äußerst froh darüber waren, nicht noch einmal einer solchen Kletterei ausgesetzt zu werden, war ihnen deutlich anzumerken. Die Apatschen nahmen die Weisung ihres Häuptlings natürlich ohne Widerrede zur Kenntnis, obwohl ich auch in einigen von ihren Gesichtern ein leises Bedauern zu erkennen glaubte - ich war mir ziemlich sicher, dass sie alle lieber weiterhin ihren Anführer begleitet hätten. Der Doktor war mit dem Plan einverstanden, denn auch er fand ihn sehr vernünftig, ganz im Gegensatz aber zu Emery und Sam. Dieser erklärte uns lautstark und ohne Rücksicht auf die Jünglinge hinter uns, die natürlich jedes Wort mitbekamen, dass er keine Lust habe, diese Heißsporne in einem gemütlichen Ritt, wie auf einem Wanderausflug mit einer Volksschulklasse, bis nach Farmington zu chauffieren, während Winnetou und ich uns alleine der vielleicht noch ein oder anderen Gefahr stellen mussten. „Tut mir leid, aber wir lassen euch ganz bestimmt nicht mutterseelenallein weiter reiten, wenn sich hier in der Nähe immer noch ein Haufen Kiowas herumtreibt oder sogar dieser dreckige Bandit namens Thomson euch vielleicht auf der Lauer liegt! Das könnte euch aber so passen!“ ereiferte sich nun auch Emery. Über diesen lautstarken Protest musste ich jetzt doch lachen und wechselte einen Blick mit Winnetou, bevor ich den beiden, immer noch grinsend, antwortete: „Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass es Thomson bis hierher geschafft hat, ohne dass wir oder vor allem die Kiowas ihn bemerkt hätten! Und die Rothäute haben auch keinerlei Möglichkeiten, jetzt schon unsere Verfolgung aufzunehmen, also macht euch da mal keine unnötigen Sorgen!“ Die Mienen der beiden zeigten mir aber deutlich, dass sie weiterhin auf ihrer Meinung beharren würden, wobei aber vielleicht nicht unbedingt die Sorge um uns den Ausschlag dazu gab, sondern eher die Unlust, sich weiterhin mit den Jungspunden abgeben zu müssen. Winnetous Mundwinkel zuckten mehrfach, und ich konnte ihm ansehen, dass auch er dieselben Gedanken hatte, vor allem, was die Butterfields betraf. Leise flüsterte er mir zu: „ Wir könnten unsere beiden „Beschützer“ vielleicht weit unten am Berg bei unseren Pferden lassen, während mein Bruder und ich anschließend alleine hoch zum Finding Hole klettern!“ Ich nickte ihm lächelnd zu und erfreute unsere Gefährten dann mit der Nachricht, dass wir natürlich nichts gegen ihre reizende Gesellschaft einzuwenden hätten und wir uns freuen würden, wenn sie uns weiterhin begleiteten, was sie dann auch zufrieden zur Kenntnis nahmen. Winnetous Orientierungssinn hatte wie immer Recht behalten: Zehn Minuten später waren wir am besagten, auf der Karte des alten Indianers eingezeichneten Ort angelangt. Der Berg bildete hier einen Sattel, fast schon ein kleines Hochplateau, bevor er sich mit seinem restlichen Gipfel dann wieder hoch über unseren Köpfen bis in den Himmel zu erstrecken schien. Unsere Schützlinge ließen sich, nachdem auch sie ihr heißersehntes Ziel wenige Minuten später heftig keuchend erreicht hatten, erst einmal völlig erschöpft zu Boden sinken, wo sie zu unserem Glück auch eine Zeit lang sogar still sitzen blieben und sich bemühten, irgendwie wieder zu Atem zu kommen. Ihnen fehlte sogar die Kraft, sich entgegen ihren Vorsätzen sofort auf die Suche nach ihrer Bonanza zu begeben, obwohl sie darauf den ganzen Tag lang hingefiebert hatten. Auf dem Leder war keine genauere Ortsbezeichnung angegeben, aber der untrügliche Sinn für die Natur und sein Gespür für erdgeschichtliche Vorgänge sagten meinem Freund auch so, wo er zu suchen hatte. Es dauerte auch nicht lange, und er begann an einem Felsvorsprung am Fuß des Gipfels zu graben. Jetzt wollten die Butterfields, die ihn bis dahin voller Ungeduld und mühsam gebändigter Aufregung zugesehen hatten, mit einem Mal Winnetou unterstützen, doch er schickte sie sofort mit einem strengen Befehl wieder weg – unsere Heißsporne hätten mit Sicherheit, trotz ihrer Erschöpfung, jede Menge Fels und Erde aufgewühlt und ein riesiges Durcheinander veranstaltet, aber gefunden hätten sie dabei bestimmt nichts. Gespannt beobachtete auch ich meinen Freund, wie er mal hier und mal da vorsichtig grub oder auch nur einfach den Fels betrachtete oder kurz betastete. Dann, nach für die verhinderten Goldsucher wohl endlos erscheinenden Minuten, rief er sie herbei und wies sie an, vorsichtig an einer bestimmten Stelle zu graben, aber nur so viel, wie er es erlaubte. Den Männern gelang es auch tatsächlich, sich zu beherrschen; sie gruben so zurückhaltend wie möglich. Ein wenig später ertönte von dem Apatschenhäuptling ein kurzer Befehl, woraufhin sie sofort innehielten, er selber entfernte an einer bestimmten Stelle nur noch ein wenig Geröll – und nun wurde die Ruhe des Berges abrupt durch lautstarke Jubelrufe, Freudengebrüll und einen unglaublichen Lärm gestört, der von den umliegenden Felsen widerhallte und die Luft förmlich erzittern ließ. Die Familienmitglieder lagen sich sofort in den Armen, weinten und lachten gleichzeitig, hauten sich gegenseitig auf die Schultern, führten Freudentänze auf, ließen sich dann wieder tränenüberströmt zu Boden sinken – kurz, sie benahmen sich wie eine Horde Elefanten oder wie kleine Kinder, die gerade erfahren hatten, dass Weihnachten und Ostern in diesem Jahr auf einen Tag fallen würden. Obwohl das Geschrei und dieses kindische Gebaren meinem Freund absolut fremd war und ihm gegen die Natur ging, ließ er die Jünglinge lange Zeit gewähren; er sah ihnen sogar leise lächelnd eine Weile zu, und auch wir freuten uns herzlich für unsere Schützlinge. Ich konnte nur hoffen, dass ihnen das Gold auch wirklich Glück bringen und dass die Familie sich nicht, wie in ungezählten anderen Fällen auch, im Streit um den Reichtum entzweien würde. Nach einiger Zeit wurde es dann doch langsam ruhiger um unsere Glückspilze, und das war auch gut so, denn wir mussten ja noch den Abstieg antreten, wollten wir nicht hier oben übernachten. Also halfen jetzt alle Anwesenden mit, das Gold aus dem Berg zu holen, und nachdem wir so viel herausgebrochen hatten, dass es für die Butterfields für den Rest ihres Lebens mehr als reichen würde und wie wir auch gerade noch tragen konnten, entschieden die jungen Männer vernünftigerweise, das immer noch reichlich vorhandene Gold in der Mine zu belassen, weil sie es höchstwahrscheinlich niemals brauchen würden. Nun wurde es wirklich Zeit für den Abstieg, denn die Sonne sank immer schneller. Die Jungspunde liefen auf einmal so dermaßen beschwingt den Berg herunter, dass es dieses Mal wir waren, die kaum nachkamen, und wir mussten unsere neuen Glückspilze mehr als einmal zur Ordnung rufen, aus Sorge, es könnte einer von ihnen vor lauter Übermut unvorsichtig werden und abstürzen. Zum Glück aber ging dann doch alles gut, und als wir am Fuß des Berges angelangt waren, führte uns mein Blutsbruder durch mehrere Felsspalten hindurch auf eine lauschige und sehr versteckt liegende Lichtung, auf der wir unser Nachtlager aufschlugen. Es war sehr gut, dass diese Lichtung so tief versteckt in den Felsen lag und von Feinden noch nicht einmal per Zufall gefunden werden konnte, denn unsere Schützlinge feierten ihren neuen Reichtum bis tief in die Nacht. Wir übten uns in Nachsicht und ließen sie gewähren, denn das war für die vom Schicksal vorher so geplagte Familie eine solch außergewöhnliche Situation, die sie in ihrem Leben mit Sicherheit nie wieder erleben würde, und diese überschäumende Freude musste jetzt einfach mal raus. Wir anderen befanden uns aber auch in sehr fröhlicher Stimmung, denn wir hatten unser Ziel erreicht und hatten dabei auch noch alle Gefahren überstanden, die sich uns entgegengestellt hatten, ohne dass es dabei Verwundete oder gar Tote gegeben hatte, wenn man mal von der Rückenverletzung meines Freundes absah. Dieser hatte sich aber offensichtlich gut davon erholt, worüber ich mich auch am heutigen Abend selbst hatte überzeugen können, als ich ihm wie jeden Morgen und jeden Abend die Salbe von Tsain-tonkee auf seinem Rücken aufgetragen hatte. Die Haut war zwar noch teils bläulich verfärbt, aber ich konnte seine Muskeln schon kräftig massieren, ohne dass er auch nur den geringsten Schmerz dabei verspürte. Außerdem würde es nun nicht mehr lange dauern, bis wir Farmington erreicht hatten, wo wir uns ein paar Tage von der doch recht anstrengenden Reise erholen wollten, und insgeheim waren wohl alle, Apatschen wie Westmänner, recht froh, wenn man mal für einige Zeit nicht auf die junge Familie aufpassen musste. Irgendwann nach Mitternacht wurde es dann auch bei den Goldsuchern endlich ruhiger. Sie alle waren nach der schweißtreibenden und kräftezehrenden Kletterei doch rechtschaffen müde und legten sich jetzt nach und nach zur Ruhe. Die Gefährten und wir hielten es ebenso – müßig zu erwähnen, dass unser Doktor mal wieder für ein abseits von den Freunden liegendes Plätzchen für Winnetous und meine Decken gesorgt hatte. Aber die Lichtung war dafür nun doch zu klein, als dass wir uns so weit von den anderen entfernt befanden, dass ich meinen Freund ungesehen hätte in meine Arme ziehen können. Er wünschte mir somit liebevoll eine gute Nacht, seine Hände drückten dabei die meinigen und seine Augensterne ruhten mit einer unvergleichlichen Wärme auf mir, hüllten meine Seele mit seiner wunderbaren Liebe zu mir wie mit einer warmen Decke ein, und erfüllten mich damit mit einem Glück, welches sich nicht beschreiben lässt. Lächelnd legte ich mich neben meinen Freund, beobachtete noch eine Weile den wunderschönen Sternenhimmel über uns, bevor ich dann irgendwann langsam in den Schlaf hinüber driftete. Trotz des bisher optimalen Ausgangs unseres Unternehmens schlief ich wider Erwarten nicht gut in dieser Nacht. Immer wieder schreckte ich hoch, weil mir im Halbschlaf regelrechte Dämonen erschienen, Dämonen der Vorahnung? Glasklar standen mir zwischendurch entsetzlich reale Bilder vor Augen, real deshalb, weil sie wirklich so geschehen waren: Winnetou, wie er mit vor Schmerz verzerrter Miene in sich zusammensackte, nachdem die Kugel Wayne Thomsons ihn getroffen hatte; Winnetou mit leichenblassem Gesicht und blau angelaufenen Lippen, ohne Atmung; Winnetou während seines Herzstillstandes, als Dr. Hendrick sich schweißgebadet um ihn bemühte. Und immer wieder kam ich in diesen Träumen zu spät, um ihn zu retten. Ich wollte an seine Seite eilen, ich wollte alles tun, um ihm zu helfen, für ihn da zu sein, wie ich es ihm unzählige Male versprochen hatte, aber es ging nicht, ich konnte mich einfach nicht vom Fleck rühren! Und dann erschien mir im Schlaf das Schlimmste, das Unvorstellbarste, das, worum ich jeden Tag inbrünstig betete, dass es niemals geschehen möge: Hendrick ließ von seinen kraftraubenden Bemühungen ab, sah mich mit unendlich traurigen Augen an, zuckte die Schultern und schüttelte wortlos den Kopf. Mein Blick fiel jetzt auf meinen geliebten Freund und ich erfasste sofort die schmerzhafte und qualvolle Wahrheit: Er war von mir gegangen. Fort. Unrettbar verloren. Nun weinte ich hemmungslos über diesen für mich so unfassbaren und unersetzlichen Verlust, schrie meinen Kummer regelrecht heraus. Die fürchterliche Verzweiflung, die ich in diesem Alptraum verspürte, war so echt, so grausam real, dass ich mich sogar jetzt noch nicht nur ganz genau an sie erinnern, sondern sie auch förmlich fühlen kann, so dass es mich dabei genau wie seinerzeit innerlich erschauern lässt. Diese Bilder wiederholten sich in meinen Träumen immer wieder, und jedes Mal sah ich alles noch schärfer, noch realer vor mir, und jedes Mal erschütterte mich das Sterben Winnetous aufs Neue, aufs Entsetzlichste. Irgendwann fuhr ich dann plötzlich schweißgebadet auf, mit tränennassem Gesicht, und konnte gerade noch verhindern, dass ich vor Verzweiflung und Schmerz laut aufschrie, so wie gerade eben geträumt, als mein Freund wieder gestorben war, diesmal in meinen Armen. Kerzengerade und zitternd saß ich jetzt auf meinem Lager, starrte in die Dunkelheit und versuchte krampfhaft, mich irgendwie wieder zurechtzufinden. Mein Herz raste, ich atmete heftig und auch nicht gerade leise, während ich mich weiterhin bemühte, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Winnetou – tot? Das konnte, das durfte nicht sein, das konnte ich doch nur geträumt haben! Aber dieser grausame, quälende Schmerz, der jetzt mein Innerstes beherrschte, den ich sogar körperlich spürte – den bildete ich mir doch nicht ein? Dieses Gefühl des unrettbaren Verlustes, das Gefühl, das Wichtigste in meinem Leben für immer, unwiederbringlich, verloren zu haben, diese unerträgliche Leere in mir war so echt; ich wusste einfach, dass gerade ein Teil von mir gestorben war und nichts mehr so war, wie es sein sollte. Es fühlte sich an wie eine brennende, eiternde Wunde, die nie mehr aufhören würde zu bluten. Aber war das wirklich die Realität? Durch den Tränenschleier hindurch konnte ich den friedlichen Sternenhimmel sehen, die hohen Felsen, die den Platz umgaben, auf dem ich mich befand, und das ganze Szenario war jetzt irgendwie ein völlig anderes, wie ich es gerade eben noch vor mir gesehen hatte. Und nun kam auch langsam die Erinnerung an die vergangenen Tage, an den vergangenen Abend zurück, und eine leise Hoffnung brandete in mir auf. Ich schloss kurz die Augen und wollte dann zur Seite sehen, um mich zu vergewissern, dass ich das alles vielleicht wirklich nur geträumt hatte, getraute mich aber nicht recht; ich hatte richtiggehend Angst vor einem neuerlichen Schock. Und in diesem Augenblick spürte ich eine Hand auf meinem Arm, und die von mir so sehr geliebte Stimme meines Winnetou tönte sanft in meinen Ohren; für mich so schön und so heißersehnt wie Engelsgesang. Jetzt endlich drehte ich den Kopf und gewahrte meinen so unsagbar geliebten Blutsbruder vor mir, wunderbar lebendig, wunderbar gesund, und seine einzigartigen Augen ruhten fragend auf mir. In diesem Moment war es mir völlig egal, wo wir uns befanden, egal, ob die Kameraden schliefen oder wachten, egal, ob irgendjemand etwas bemerken könnte – ich riss meinen Geliebten abrupt, fast schon brutal in meine Arme, presste ihn an mich, fühlte seinen Atem, seinen Herzschlag, seine kostbare Lebendigkeit an meinem Körper und in diesem Augenblick glaubte ich, ihn niemals wieder loslassen zu können. Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen, ich konnte sie gar nicht unterdrücken, ließ sie jetzt auch einfach die Wangen hinunterlaufen. Daraufhin löste sich mein Freund fast schon erschrocken von mir, wobei er einige Kraft aufwenden musste, denn ich hielt mich an ihm fest wie ein Ertrinkender. „Scharlih!“ rief er so leise wie möglich, aber seine Erschütterung war trotzdem deutlich herauszuhören. Er hielt mich mit seinen Händen an beiden Schultern fest, brachte dadurch etwas Abstand zwischen uns, sah mir bittend in die Augen und versuchte es erneut. „Scharlih – was ist mit dir? Was ist dir im Schlaf denn so Schlimmes begegnet?“ Trotz meiner Tränen musste ich jetzt sogar leise lächeln. Mein unvergleichlicher Winnetou hatte sofort erkannt, dass ich einen furchtbaren Alptraum erlebt haben musste. Ich wollte ihm auch eigentlich gleich davon erzählen, aber immer noch standen mir die entsetzlich realen Bilder vor Augen, immer noch hatte ich das Gefühl, dass meine Seele, mein Herz, wie von Rasiermessern zerfetzt, unendlich schmerzten, und ich konnte das Schreckliche noch gar nicht aussprechen. Aber Winnetous sanfte Stimme hatte eine solch treibende Kraft, lockte mich mit ihrem so liebevollen und zärtlichen Ton, mich ihm doch zu offenbaren, und schließlich tat ich es auch, leise, stockend, während der Tränenstrom einfach nicht versiegen wollte. Mein Freund hielt mich währenddessen in seinen Armen, drückte mich immer wieder an sich, strich mir mit seinem Handrücken mehrmals sanft über das Gesicht, um die Tränen zu trocknen, flüsterte mir zwischendurch beruhigende Worte zu, und als ich geendet hatte, versank er in tiefes Schweigen. Ich aber legte meinen Kopf auf seine Schulter, fühlte die Wärme seines Körpers, und diese Wärme begann sich jetzt wohlig in meinem Innersten auszubreiten. Selten war ich von einer solchen Dankbarkeit erfüllt gewesen wie jetzt in diesem Augenblick, als sich die Erkenntnis endgültig in mir Bahn brach, dass ich meinen Geliebten doch nicht verloren hatte und er mich mit seinem Körper und seiner Liebe eng umschlungen hielt. Gleichzeitig machte sich aber auch eine tiefe Erschöpfung in mir breit, gepaart mit einer kaum noch zu unterdrückenden Müdigkeit. Ich fühlte mich so wohl, so selig, so geborgen und vor allem so unendlich glücklich, und da ich bis dahin überhaupt keinen erholsamen Schlaf genossen hatte und der Tag, vor allem wegen der langen Kletterpartie, auch sehr anstrengend gewesen war, wäre ich in Winnetous Armen wahrscheinlich in kürzester Zeit eingeschlafen, doch nun begann mein Blutsbruder zu sprechen, und seine Worte vertrieben sofort jede Müdigkeit. „Schau einmal hoch zu den Sternen, Scharlih. Such dir einen von ihnen aus und sieh ihn dir lange und ganz genau an, ja?“ Ich folgte sofort seiner Aufforderung, gespannt, was genau er jetzt vorhatte. Nachdem ich eine Zeit lang einen der funkelnden Himmelskörper intensiv beobachtet hatte, bekam ich das Gefühl, dass dieser immer größer wurde, immer heller, irgendwie auch wärmer erschien, und schlussendlich hätte ich fast darauf wetten können, dass mir dieser Stern gerade eben sogar zugezwinkert hatte. Unwillkürlich musste ich wieder lächeln, und mein Freund bemerkte es sofort. „Hast du es gesehen?“, fragte er mich. „Glaubst du mir, mein Bruder, wenn ich dir sage, dass die Sterne lebendig sind? Dass die Seelen unserer Ahnen, die Seelen unserer geliebten Verstorbenen, die Seelen von allen Menschen, die wir lieben und die uns vorausgegangen sind, in ihnen wohnen und durch sie zu uns sprechen? Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass wir niemals wirklich alleine sind? Wann immer wir mal wieder voller Sorge, voller Angst, voller Hoffnungslosigkeit sind, dann brauchen wir uns nur den Sternen zuzuwenden und unsere Lieben werden uns trösten, uns wieder Hoffnung geben und uns von dem guten Manitou erzählen, der über alles wacht, der unsere Ahnen aufgenommen hat und in seinen Armen geborgen hält, so wie auch wir einmal von seiner Geborgenheit und seiner Liebe umfangen sein werden. Wir sind es sogar schon, wenn wir es denn nur glauben und auch zulassen!“ Er drückte mich etwas fester an sich und schwieg eine Weile. Ich selber war wirklich unglaublich beeindruckt. Aus den Worten meines Freundes war eine solche Sicherheit, eine solche Überzeugung herauszuhören, sie enthielten eine Weisheit und gleichzeitig eine Anziehungskraft, der man sich einfach nicht entziehen konnte. Und dann sprach er auch schon weiter: „Scharlih, mein lieber Bruder, glaube mir: Der letzte Gang eines Menschen, dieser letzte Gang zu den Sternen – er ist so leicht zu gehen, mein Freund!“ Sofort schrak ich hoch, starrte ihn fast schon entsetzt an. Was sprach er da nur? Was meinte er damit? Sollten seine Worte bedeuten, dass auch er Vorahnungen hatte? Vielleicht sogar Todesahnungen? Mir lief es jetzt eiskalt den Rücken herunter, ein Schauder nach dem anderen durchfuhr meinen Körper, und als mein Geliebter sich anschickte, fortzufahren, hätte ich ihm am liebsten das Wort verboten, aus Angst, etwas zu hören, was ich einfach nicht hören wollte. Aber schon sprach er weiter: „Winnetou weiß das so genau, weil er diesen Weg doch schon einmal gegangen ist, erinnerst du dich, mein Bruder?“ Oh ja, und wie ich mich erinnerte! Wie sollte ich auch jemals diese schrecklichen Minuten, Stunden, ja Tage vergessen, in denen mein Winnetou um sein Leben gekämpft hatte, diese Minuten, in denen unser Doktor sein Herz wieder zum Schlagen brachte, diese Stunden, in denen er die Kugel aus Winnetous Brust herausoperierte, die eigentlich mir gegolten hatte, und in denen der Arzt anschließend alles tat, was in seiner Macht stand, um meinem Freund das Leben zu erhalten? Als dieser dann nach zwei Tagen zum ersten Mal wieder erwacht war – hatte er da nicht ein fast schon überirdisches Leuchten im Gesicht gehabt? Ein Lächeln, welches aus einer anderen Welt zu kommen schien? Und wie hatte er da zu mir gesagt: „Scharlih – ich hatte die Wahl, weißt du? Die Wahl, zu leben oder für immer in den Händen des guten Manitou zu bleiben!“ Oder direkt nach dem Anschlag, als der Doktor ihn nach seinem Herzstillstand wieder zurück ins Leben geholt und mein Freund mir mit letzter Kraft zugeflüstert hatte: „Ich kann die Sterne singen hören, Scharlih … Ich habe den Himmel gesehen … Es gibt nichts Schöneres, weißt du ….“ Wieder erschauerte ich, als ich den Zusammenhang zu seinen vorherigen Worten erkannte. Mir war ja schon seit längerer Zeit bewusst, dass in meinem Freund seit dieser Zeit eine leise Wesensveränderung vorgegangen war. Wie oft hatte ich seitdem das Gefühl gehabt, dass sein Geist, seine Seele sich manchmal gar nicht bei ihm befand, wenn er mal wieder völlig in sich versunken schien? Das Gefühl, dass er in diesen Momenten innige Zwiesprache mit seinem Manitou hielt? Wie oft hatte ich mich über seinen feinsinnigen Humor gefreut, der seit dem Anschlag immer öfter zutage trat, ganz entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung? Konnte es denn wirklich sein, dass er damals tatsächlich mit dem Jenseits in Kontakt getreten und seinem Manitou begegnet war? Ich jedenfalls war überzeugt davon, auch, dass er jetzt genau davon sprach. Und nun begann Winnetou weiter zu sinnieren: „Mein Bruder – ich bitte dich, glaube mir: Dort oben erwartet uns nichts als Frieden, Ruhe und absolute Vollkommenheit. Aller Hass, alles Böse ist dann fort, und nie mehr wieder wird uns die Angst oder die Hoffnungslosigkeit begegnen. Wenn Winnetou nun einst diesen Weg als erster gehen wird, und sein Bruder Scharlih ist gezwungen, dieses mit anzusehen, so darf er nicht traurig sein. Er möge sich dann immer sagen, dass sein Winnetou nun die vollendete Liebe und die vollkommene Geborgenheit in den Armen Manitous gefunden hat. Alles Elend, aller Schmerz, alles Leid aus Winnetous Leben wird vergessen sein, und der Apatsche wir dort sehnsüchtig auf seinen Blutsbruder warten. Zudem wird Winnetou einfach nur glücklich sein, wenn sein Scharlih zu diesem Zeitpunkt bei ihm ist und er in dessen Armen hinauf zu den Sternen gehen darf!“ Schon wieder liefen mir die Tränen mit aller Macht über das Gesicht; es war mir unmöglich, sie aufzuhalten. Seine Worte hatten so viel in mir aufgewühlt, aber ich hatte verstanden, was er mir sagen wollte. Er wusste genau, was ihn, was uns auf der anderen Seite erwartete, und hatte deshalb jede Angst vor dem Ungewissen verloren. Im Gegenteil, fast schon hatte ich das Gefühl, dass er sogar glücklich darüber sein würde, wenn es soweit war, denn er war sich vollkommen sicher, dass dann alles Leid, welches er bis jetzt schon durchlebt hatte und noch weiterhin durchleben würde, ein Ende hatte. Mir wurde bewusst, dass Winnetou wollte, dass ich dann nicht um ihn trauern, sondern mich für ihn freuen sollte, und ich konnte mir im Augenblick sogar vorstellen, dass mir das vielleicht wirklich gelingen könnte, wenn es nicht gleichzeitig bedeuten würde, für den Rest meines Lebens von ihm getrennt zu sein. Wie sollte ich das denn nur ertragen können? Oder war das einfach zu egoistisch gedacht? Ich wusste es nicht, ich wünschte mir nur, dass dieser Tag hoffentlich in noch weiter Ferne liegen würde. Dass es ja vielleicht auch mich als ersten von uns beiden treffen könnte – an diesen Gedanken verschwendete ich seltsamerweise keine einzige Sekunde. Mir war nur eines klar: Bis zu dem Tag der Trennung, der ja irgendwie doch unausweichlich war, würde ich jede Minute, die ich mit meinem geliebten Blutsbruder verbringen durfte, mit allen Sinnen genießen! Eines aber lag mir noch auf dem Herzen, und das sprach ich jetzt auch laut aus: „Ich verstehe dich ja, mein Bruder, ich verstehe dich wirklich!“ Mit diesen Worten richtete ich mich wieder auf und sah ihn entschlossen an, während er nochmals auf seine so wunderbar sanfte Weise mein Gesicht von den Tränen befreite. „Aber dennoch habe ich eine große Bitte an dich, Winnetou: Gib nicht leichtfertig dein Leben hin, auch wenn dir der Weg so einfach erscheint, ja? Ich liebe dich doch, ich liebe dich so sehr!“ Trotz der Dunkelheit sah ich, wie sich sein unvergleichliches und wunderschönes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Aber Scharlih“, begann er, in einem Ton, als hätte ich etwas absolut Dummes gesagt. „Winnetou wird dich niemals freiwillig verlassen! Du bist doch der Grund, warum ich überhaupt lebe, du allein bist der Sinn meines ganzen Daseins!“ Ich war sprachlos über diese Worte, die eine einzigartige Liebeserklärung an mich darstellten, und deshalb zog ich ihn auch einfach nur wieder in meine Arme, so fest ich konnte. Er erwiderte die Umarmung, und so saßen wir noch eine lange Zeit eng umschlungen zusammen, bis ich irgendwann spürte, dass mir die Augen zufielen. Ich bekam nicht mehr mit, dass mein Freund sich wieder hinlegte und mich dabei in seine Arme bettete. Ich spürte auch nicht, wie er, etwas später in der Nacht, mich wieder vorsichtig aus seinen Armen entließ und seine Wache antrat, und ich wurde auch nicht wach, als er nun auch noch meine Nachtwache mit übernahm, um meinen Schlaf nicht zu stören. Als ich am nächsten Morgen erwachte, allerdings um einiges später als gewöhnlich, fühlte ich mich so frisch und ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Hinzu kam, dass ich ein solches Glück und eine solche Zufriedenheit in mir spürte, dass es mich selber verwunderte. Ich horchte in mich hinein, ob sich meine seltsame Unruhe der vergangenen Tage vielleicht jetzt verflüchtigt hatte, aber im Augenblick war da nichts anderes als eine fröhliche Leichtigkeit vorhanden, und darüber war ich auch wirklich nicht unglücklich. Winnetou war natürlich schon längst aufgestanden, hatte auch schon gegessen und bereitete gerade mein Frühstück vor. Erst jetzt registrierte ich, dass er mich nicht für die nächtliche Wache geweckt hatte. Ich stand schnell auf, und als ich mich zu ihm setzte, begrüßte mich mein Freund mich einem innigen Lächeln und ergriff meine Hand. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihm meinen Unmut wegen seiner doppelten Wache kundzutun, doch er ahnte wieder einmal voraus, was ich sagen wollte und kam mir gleich zuvor. „Mein Bruder hatte seinen Schlaf heute Nacht viel nötiger gehabt als Winnetou. Er mag jetzt also nicht mehr davon sprechen!“ Ich nickte ergeben, innerlich wohl leise schmunzelnd, hatte es doch am gestrigen Morgen genau die gleiche Situation gegeben, da allerdings mit umgekehrten Rollen. Nach dem Frühstück war dann auch sehr schnell die Zeit des vorläufigen Abschieds von dem Großteil unserer Gefährten gekommen. Eigentlich waren wir davon ausgegangen, dass alle mit unserem Plan einverstanden waren, doch jetzt wurden wir von den Butterfields überrascht, die sich offenbar doch nur ungern von uns trennen wollten und sich deshalb am gestrigen Abend einen Weg überlegt hatten, wie sie uns, vor allem Winnetou, von unserem Alleingang vielleicht abbringen könnten. Schon seit einigen Minuten war mir aufgefallen, dass der Älteste von ihnen, Elias Peterson, Winnetou und mich die ganze Zeit über beobachtete. Ich überlegte gerade, ob ich ihn darauf ansprechen sollte, aber da hatte er sich wohl endlich ein Herz gefasst und kam zu uns herüber. Etwas unsicher sah er von einem zum anderen, warf auch einen Blick auf Emery und Sam, die sich ebenfalls bei uns befanden, und wandte sich dann letztendlich an den Apatschen. „Verzeiht mir, Häuptling Winnetou, wenn ich Euch jetzt störe, aber meine Familie und ich haben eine Bitte oder vielmehr einen Wunsch an Euch...“ Jetzt geriet er doch ins Stocken, denn mein Freund bedachte ihn mit einem seiner unergründlichen Blicke, wobei er äußerlich immer so ernst und unnahbar aussah, ich aber genau wusste, dass er sich insgeheim sehr wohl amüsierte. Ich musste jetzt innerlich auch über das betreten wirkende Gesicht des Jünglings schmunzeln, und Emery sowie Sam sahen ebenfalls so aus, als ob sie sich ein Lachen verbeißen müssten. Schüchtern fuhr der junge Mann nun fort: „Ja – ähm – ich wollte sagen....Häuptling Winnetou, wir haben uns überlegt....Wisst Ihr, wir haben gestern nun wirklich so viel Gold aus der Bonanza herausgeholt, dass wir es im Leben wahrscheinlich nicht werden ausgeben können, und das alles haben wir nur Euch zu verdanken. Es ist also doch gar nicht nötig, dass Ihr uns heute verlasst, um Euer eigenes Gold zu holen, denn wir haben ja hier so viel, und wir würden Euch gerne einen großen Teil davon schenken, zum Zeichen unserer Dankbarkeit! Ihr bräuchtet Euch also gar nicht von uns zu trennen und Euch dadurch unnütz in Gefahr zu begeben!“ Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Bis dato hatte ich unsere Schützlinge zwar als brave und ehrliche Männer kennengelernt, aufgrund ihrer Jugend zwar noch sehr unerfahren und ungestüm, aber trotzdem mit dem Herz auf dem rechten Fleck und ohne Falsch. Allerdings war ich bisher davon überzeugt gewesen, dass sie die Welt doch etwas oberflächlich betrachteten, aber jetzt wurde ich eines Besseren belehrt. Nicht nur, dass sie sich durch ihr Angebot als sehr großzügig erwiesen, nein, sie schienen auch durchaus besorgt um Winnetou zu sein und wollten ihm eventuelle Unannehmlichkeiten ersparen. Ein Blick in das Gesicht meines Freundes und ich wusste, dass ihn genau die gleichen Gedanken und Empfindungen beherrschten. Seine Mimik veränderte sich, wurde nun sehr weich, und er lächelte Peterson jetzt so herzlich an, dass dieser den Apatschen unwillkürlich regelrecht anstrahlte. Mein Freund ergriff nun das Wort: „Winnetou dankt den jungen Bleichgesichtern sehr herzlich für ihr großzügiges Angebot. Sie beweisen ihm damit, dass er recht gehandelt hatte, die Familie zu ihrer Bonanza zu führen, da sie sich das Gold wirklich verdient haben. Aber Winnetou wird niemals Gold oder Geld als Geschenk annehmen. Wenn seine jungen Freunde ihm einen Wunsch erfüllen möchten, dann diesen: Lasst niemals zu, dass das Gold Euch verdirbt oder Eure Familie entzweit! Lasst niemals Missgunst, Hass oder Habgier in Eure Herzen Einzug halten! Und wenn Ihr glaubt, dass Ihr soviel Geld nicht benötigt, dann gebt das, was Ihr entbehren könnt, den Menschen, die unschuldig in Not geraten sind. Das ist der größte Wunsch, den Winnetou an Euch hat. Werdet Ihr seine Bitte erfüllen?“ „Von...von Herzen gern!“, stammelte Elias Peterson, sichtlich bewegt. „Wir versprechen Euch, Häuptling Winnetou, wir werden ganz in Eurem Sinne handeln, wann immer es nötig und möglich ist!“ Der Apatsche nickte zufrieden. „Winnetou dankt Euch für dieses Versprechen. Und nun lasst uns Abschied nehmen. Es ist nur für kurze Zeit, schon bald werden wir uns ja in Farmington wiedersehen, also seid unbesorgt!“ Somit verabschiedeten wir uns voneinander, und dann ritten die Apatschen samt Walter Hendrick und den Butterfields auf geradem Weg nach Farmington, während wir anderen den Ship Rock nun halb umrundeten. Aus diesem Grund würden wir auch später auf einem anderen Weg in die Stadt reiten. Kurz darauf ritten wir auf einem steilen Pfad auch schon wieder bergauf. An der Stelle, ab der es jetzt nur noch zu Fuß weiterging, blieben Sam und Emery bei den Pferden, während mein Freund und ich wieder einmal eine sehr anstrengende Kletterpartie absolvierten. An einem schattigen Plätzchen unter mehreren Kiefern direkt an der Baumgrenze ließ Winnetou mich dann zurück, um das letzte Stück alleine zu gehen. Es wurde von uns wegen dieser Tatsache keinerlei Aufhebens gemacht, denn für mich war es ganz natürlich, dass ich niemals Kenntnis von seinen Goldgruben bekommen würde, ich wollte es auch gar nicht. Ich wusste, er tat es, um mich zu schützen, und damit bewies er einmal mehr seine tiefe Liebe zu mir. Zwei Stunden musste ich warten, dann kam er wieder, bepackt mit zwei Ledersäckchen, die etwa so groß waren wie meine Hand samt Handgelenk, und die sich verdächtig nach allen Seiten ausbeulten. Ich nahm ihm eines ab und wunderte mich einmal mehr, wie schwer dieses Edelmetall doch war. Am frühen Nachmittag hatten wir unsere Freunde wieder erreicht und machten uns an die letzten zweihundert Höhenmeter, die wir jetzt mit den Pferden bewältigen konnten. Es war interessant zu sehen, wie Sam und Emery auf das viele Gold reagierten: nämlich gar nicht. Sam machte sich überhaupt nichts aus dem Edelmetall; er sagte immer, das sei ihm viel zu schwer, um es mit sich rumzuschleppen, und aller Pomp und Tand dieser Erde sei sowieso „so unnütz wie ein Furunkel auf meinem Riesenzinken“, wie er sich immer auszudrücken pflegte. Auch der Engländer verschwendete keinen einzigen Blick auf die gut gefüllten Ledersäckchen, denn er war selber so reich, dass er sein Geld in diesem Leben sowieso nicht mehr ausgeben konnte. An diesem Tag herrschte eine große Hitze, die uns die Kletterpartie zusätzlich erschwert hatte. Auch jetzt noch, am späten Nachmittag, brannte die Sonne heiß auf Mensch und Tier, so dass wir früher als geplant ein Nachtlager suchten, welches auch schnell an einem Nebenarm des San Juan River gefunden war. Wir nahmen ein ausgiebiges Bad in dem kleinen Fluss, verzehrten dann genüsslich das Büffelfleisch, von dem wir noch genug Vorrat hatten, und schon begann die Sonne zu sinken. Emery und Sam sammelten noch etwas Holz, ich schürte jetzt das Feuer und bereitete unser Nachtlager vor, während Winnetou die Pferde versorgte. Er wollte auch die erste Nachtwache übernehmen und wünschte mir darum jetzt schon eine gute Nacht, wobei er wie immer meine Hände ergriff und mir einen liebevollen Blick mit seinen einzigartigen Augensternen zuwarf. Ich hätte ihn ihnen versinken können, und wie gern hätte ich meinen geliebten Freund an meine Brust gezogen, wenn die Gefährten nicht in der Nähe gewesen wären! So aber musste ich mich mit einem innigen Händedruck begnügen. Als er in der Dunkelheit verschwand, sah ich ihm noch lange nach, ohne natürlich irgendetwas zu erkennen, und ich hätte mir niemals vorstellen können, dass diese Nacht auf eine so schreckliche Art und Weise enden würde! Wir anderen legten uns kurz darauf aufs Ohr, denn wir waren durch die Hitze des Tages und vor allem ich durch die anstrengende Kletterei rechtschaffen müde. Vielleicht war es auch der Tatsache geschuldet, dass ohne die Butterfields eine richtig ungewohnte, aber wunderbare Stille herrschte, so dass wir alle sehr schnell einschliefen. Ich erwachte, weil ich plötzlich einen fürchterlichen Druck auf der Brust verspürte. Zuerst glaubte ich wieder an einen Traum, denn es saß mir wie ein Alp auf der Brust, jetzt auch auf der Kehle und schnürte mir fast die Luft ab. Plötzlich war die Luft erfüllt von durchdringendem Kriegsgeschrei, und noch bevor ich richtig erfassen konnte, dass wir gerade überfallen wurden, verspürte ich auf einmal einen fürchterlichen Schmerz an der Schläfe, mein Schädel schien zu explodieren, und dann wusste ich auch nichts mehr. Kapitel 22: Kampf auf Leben und Tod ----------------------------------- Wieder in der Gegenwart: Während sich meine beiden Gefährten rüsteten, um ihren Aufgaben nachzukommen, blieb ich erst einmal an Winnetous Seite, um ihm immer mal wieder einige Schlucke Wasser einzuflößen. Ständig überwachte ich dabei auch seine Atmung und seinen Herzschlag, und vor allem Letzterer gefiel mir von Mal zu Mal weniger, von dem steigenden Fieber ganz abgesehen. Und das war leider noch nicht alles, denn zusätzlich zu den Stich- und Schnittverletzungen entdeckte ich bei der weitergehenden Untersuchung meines Freundes jetzt auch noch großflächige Prellungen an dem linken seitlichen Brustkorb, die mit Sicherheit von den Fußtritten seiner Peiniger stammten und die, wenn es schlecht lief, vielleicht sogar für den Bruch einer oder mehrerer Rippen verantwortlich waren. Im Moment konnte ich einen solchen Bruch zwar noch nicht ertasten, aber das hieß nicht, dass die Rippen nicht zumindest angeknackst sein konnten. Sicher war auf jeden Fall, dass auch diese Verletzungen für starke Schmerzen sorgten. Winnetou blieb aber trotzdem während meiner Behandlung ruhig und mit geschlossenen Augen liegen, um zumindest wieder ein wenig Kraft zu sammeln, die er für unsere Flucht so dringend benötigte. Nur manchmal warf er mir einen seiner liebevollen Blicke zu, der mir einerseits zeigen sollte, dass er noch bei Bewusstsein war, vor allem aber wollte er mir dadurch etwas Ruhe einflössen, was ihm in seiner einzigartigen Weise auch, zumindest zum Teil, gelang. Er gab mir mit seinen unvergleichlichen Augensternen großen Halt und noch mehr Hoffnung; sorgte somit dafür, dass ich nicht den Mut verlor. Trotzdem konnte ich nicht anders, ich flüsterte ihm zwischendurch eindringlich, nein, eher schon ängstlich, zu: „Halte durch, mein Bruder, ich bitte dich! Gib nicht auf, bleibe bei mir, ja?“ Jetzt zuckten seine Mundwinkel, er versuchte sich sogar an einem leichten, aber doch verkrampft wirkenden Lächeln, während er mir leise flüsternd zusicherte: „Scharlih....Winnetou wird dich nicht verlassen – hast du das vergessen?“ Stumm und ergriffen schüttelte ich den Kopf, küsste ihm die Stirn, bemühte mich dann aber trotzdem, ihm irgendwie Trost zu spenden, denn ich sah ja, dass er Schmerzen hatte. „Du hast es bald überstanden, mein Freund! Nicht mehr lange, und wir sind hier raus; dann wirst du dich lange erholen können, nicht wahr?“ Er nickte stumm, und ich bekam immer mehr das Gefühl, dass ich eher mir selber mit diesen Worten Mut zusprach als ihm, denn er war sich offenbar sehr sicher, was das Gelingen unserer Befreiung und sein Überleben anging. Irgendwann wurde ich gewahr, dass auch Emery sich derweil neben uns gekniet hatte und mir bei meinen Bemühungen, die vielen Verletzungen des Apatschen zu versorgen, zu Hilfe kam. Wir bedienten uns dabei der Dinge, die im Zelt vorhanden waren, und das waren weiß Gott nicht sehr viele! Zwischendurch hörte ich den Engländer voller Zorn vor sich hin murmeln, er ergoss sich regelrecht in kleinere Wutausbrüche, was sich dann teilweise so anhörte: „Wenn ich diese Kanaille namens Thomson in die Finger bekomme....dann Gnade ihm Gott.... mit bloßen Händen werde ich ihn zerquetschen....zu Brei zerstampfen...was ist das nur für eine Bestie?... Hol ihn doch der Teufel...“ Wir wussten dank Winnetous Auskünften, wo genau sich das andere Zelt befand, in dem sich Motawateh aufhielt. Allerdings war uns nicht bekannt, ob auch Thomson in diesem Zelt nächtigte und sich vielleicht auch noch weitere Kiowas dort befanden oder rings um unser Zelt Wache hielten. Um das herauszufinden, begab sich Sam jetzt, unseren vorherigen Absprachen gemäß, Richtung Ausgang, legte sich dort der Länge nach hin und begann vorsichtig, ganz langsam und fast unhörbar, hinauszukriechen. Kaum war er soweit vorangekommen, dass er etwas sehen konnte, lag er erst einmal still und versuchte, sich einen Überblick über die Lage da draußen zu verschaffen und vor allem, um zu schauen, ob und wie viele Wächter sich vor unserem Zelt befanden. Offenbar war dem so - und ich hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre - denn Sam kroch jetzt ebenso leise wieder zurück und flüsterte uns zu: „Zum Glück haben sich direkt am Eingang keine Krieger postiert, aber ein Wächter sitzt, einige Meter vom Zelt entfernt, an einem kleinen Feuer. Wir müssen hier auf jeden Fall auf Nummer Sicher gehen und das heißt, dass Ihr ihn Euch holen müsst, Shatterhand! Ihr seid von uns allen am besten dazu geeignet, auch wenn Ihr trotzdem ein für alle Mal ein Greenhorn bleiben werdet, wenn ich mich nicht irre!“ Er hatte recht, es musste jetzt schnellstmöglich gehandelt werden. Ich warf einen besorgten Blick auf Winnetou, doch der sah mich mit einem auffordernden Ausdruck im Gesicht an und sagte nur: „Geh, mein Bruder!“ Und auch Emery drängte mich zum Handeln, wollte mich aber gleichwohl beruhigen: „Charley, mach schon! Ich bleibe hier bei ihm und passe auf!“ Ich nickte, legte dem Engländer kurz die Hand auf die Schulter, sah noch einmal sorgenvoll zu meinem Freund herab; wandte mich dann aber doch entschlossen dem Ausgang zu. Mir an Sam ein Beispiel nehmend, kroch auch ich hier wie eine Schlange durch die Lederbahnen, blickte mich draußen kurz um, sah den Kiowa am Feuer ungefähr vier Meter rechts von mir entfernt sitzen und schlich mich dann langsam durch das zum Glück recht hohe Gras auf ihn zu. Der Mann schien müde zu sein, er stierte in das indianisch geschürte Feuer und hatte sichtlich Mühe, die Augen geöffnet zu halten. Daher gelang es mir auch ohne große Schwierigkeiten, mich ihm von hinten zu nähern, ohne dass er auch nur das Geringste mitbekam. Hier sah ich mich nochmals um, um sicherzugehen, dass auch ja niemand anderer in der Nähe war, aber das restliche Lager schien im tiefsten Schlaf zu liegen. Dann ballte ich die Faust und schlug einmal hart zu. Sekundenbruchteile später kippte der Kiowa lautlos hinten rüber, wo ich ihn sofort auffing, um ihn dann langsam und leise zu Boden gleiten zu lassen. Ich verharrte kurz, um zu überlegen: Sollte ich mich mit dem Kerl direkt wieder zurück zu "unserem" Zelt begeben oder sollte ich sofort weiter, um herauszufinden, ob Motawateh sich alleine in dem anderen Tipi befand, welches sich vielleicht zwanzig Schritte von mir entfernt am Rande eines kleinen Wäldchens schmiegte? Da entdeckte ich Sam, der mich von unserem Eingang aus beobachtet hatte und mir jetzt durch Handzeichen zu verstehen gab, dass er sich um den Bewusstlosen kümmern würde, während ich mich weiter an den Kiowa-Häuptling heranschleichen sollte. Ich bewegte mich also abermals langsam und lautlos durch das hohe Gras, dabei fast auf dem Boden liegend, wobei ich aus den Augenwinkeln noch erkennen konnte, dass sich Emery in diesem Moment anschickte, den betäubten Kiowa zu schultern und in unser Zelt zu verfrachten. Sam hatte wohl lieber dem Engländer den Vortritt gelassen, der ihm an Größe und vor allem an Kraft nun mal eindeutig überlegen war. Es herrschte weiterhin tiefste Stille, als ich mich auf die dunkle Masse zubewegte, die sich nur noch wenige Schritte vor mir aus dem Boden erhob. Immer wieder suchte ich meine Umgebung nach weiteren Wächtern ab, aber offenbar war der Krieger eben am Feuer wirklich der einzige gewesen, eine Tatsache, die mich schon verwunderte. Andererseits konnte ich mir durchaus vorstellen, dass Motawateh sich seiner Sache sehr sicher war und er keinerlei Möglichkeiten sah, wie wir Gefangenen uns eigentlich noch befreien sollten; immerhin hatte er ja höchstpersönlich am Abend unsere Fesseln überprüft – Winnetous Bande Gott sei dank ausgenommen! Endlich war ich am Häuptlings-Zelt angekommen und lag erst einmal eine kleine Weile still, um zu lauschen und dadurch sicherzugehen, dass wirklich alles schlief und ich nicht doch schon entdeckt worden war oder vielleicht sogar verfolgt wurde. Mit Sorge dachte ich währenddessen an meinen Blutsbruder. Ich hoffte so sehr, dass wir so schnell wie möglich aus dieser Situation herauskamen, damit er endlich ärztlich versorgt werden konnte. Noch während dieses Gedankenganges fiel mir aber ein, dass wir uns noch gar nicht darüber einig geworden waren, wohin genau unsere Flucht uns eigentlich führen sollte! Bis nach Farmington? Dort wartete zwar Dr. Hendrick samt den Butterfields und Winnetous Apatschen auf uns, aber die Stadt war noch weit entfernt, mindestens eineinhalb Tagesritte – würde Winnetou das bis dorthin überhaupt noch durchhalten? Und konnten wir mit einem Schwerverletzten so schnell fliehen, dass wir vorher nicht eingeholt werden würden? Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf, denn diese Option schien mir keine allzu gute Lösung zu sein. Doch wie dem auch sei, jetzt galt es erst einmal, den Anführer dieser Mörderbande zu überwältigen, über alles andere konnten wir uns anschließend Gedanken machen. Während dieser kurzen Zeitspanne des angestrengten Lauschens waren mir keinerlei verdächtige Geräusche aufgefallen, also wagte ich jetzt den nächsten Schritt. Leise, unendlich vorsichtig hob ich eine der Lederbahnen des Zeltes an. Das ging sogar recht problemlos, denn die Tipis waren nicht allzu festgezurrt und das Leder nur lose über das Gestänge befestigt worden, da sie ja ohnehin nur für kurze Zeit hier stehen sollten, denn morgen wollten die Kiowas uns ja zu ihrem Hauptlager am San-Juan-River schaffen. Daher dauerte es auch nicht lange, bis ich die Tierhaut soweit hochgeschoben hatte, dass ich den Kopf in das Zelt hinschieben und mir einen Überblick verschaffen konnte – und wäre fast vor Schreck wieder zurück gezuckt, denn direkt vor mir lag Motawateh, so nah, dass ich ihn mit meiner Nase beinahe berührt hätte! Zu meinem Glück lag er offenbar im tiefsten Schlaf und hatte allen Anschein nach nichts von meiner unfreiwilligen Annäherung mitbekommen. Wieder blieb ich eine ganze Zeit lang still liegen, lauschte angespannt auf die tiefen Atemzüge des Kiowa-Häuptlings und versuchte gleichzeitig, den Innenraum des Zeltes mit meinen Blicken zu erfassen, was sich durchaus als schwierig erwies, da es drinnen nun mal stockfinster war. Nach einer Weile war ich mir aber doch sicher, dass sich Motawateh alleine in seinem Tipi aufhielt, was mir und meinem Vorhaben jetzt natürlich sehr gelegen kam. Ich schob mich also Millimeter für Millimeter weiter unter der Zeltplane hindurch, bis ich mich mit dem halben Oberkörper im Innenraum befand und dadurch eine ausreichende Bewegungsfreiheit meiner Arme erlangte. Da ich mich weiterhin in unmittelbarer Nähe Motawatehs befand, war es jetzt ein Leichtes, ihm meine Faust zweimal an die Schläfe krachen zu lassen, und das tat ich dann auch mit deutlich mehr Wucht, als eigentlich nötig gewesen wäre. Doch allein der Anblick dieser Bestie löste in mir pure Wut aus, da ich sofort wieder die Bilder meines gepeinigten Winnetou vor mir hatte; und eigentlich hätte ich den Kerl jetzt am liebsten geweckt und mit ihm einen Kampf auf Leben und Tod begonnen, so dass ich dadurch die Möglichkeit gehabt hätte, ihn dabei windelweich zu prügeln. Ich beherrschte meinen Zorn aber, als ich spürte, wie der Körper des Häuptlings erschlaffte, und handelte sofort. Mit äußerster Vorsicht schleifte ich den nicht gerade kleinen und auch nicht sehr leichten Mann unter die Zeltplane hindurch ins Freie; verharrte dort aber sofort erst einmal wieder, wobei ich mich vergewisserte, dass ich wirklich nicht bemerkt worden war. Aber immer noch lag alles im tiefsten Schlaf, kein Mensch war zu hören oder zu sehen. Also weiter, so schnell es irgendwie ging, ohne dabei laut zu werden, und nach mir ewig erscheinenden Minuten hatte ich es dann endlich geschafft. Als ich im Eingang unseres Zeltes erschien und Emery den Häuptling erkannte, stieß er einen kurzen Laut des überraschten Triumphs aus und griff sofort zu, um mich beim Hereintragen des Bewusstlosen zu unterstützen. Im Inneren ließ ich Winnetous Peiniger dann mit voller Absicht äußerst unsanft zu Boden krachen und hatte auch nicht die Spur eines schlechten Gewissens dabei! Wir hatten zwar zuvor ausgemacht, dass wir versuchen wollten, ein oder vielleicht sogar mehrere Geiseln zu nehmen, aber dass es mir beim ersten Versuch schon gleich gelingen würde, ausgerechnet den Häuptling in meine Gewalt zu bekommen, das hätten wir dann doch nicht zu hoffen gewagt. Wenn es jetzt doch auch noch gelänge, Thomson zu erwischen! Allerdings, so sagte ich mir, sollten uns Motawateh sowie der andere, ebenfalls noch betäubte Krieger, eigentlich genügen, um uns alle freizupressen. Doch vorher gab es noch Wichtiges zu tun: Da wir aber auf keinen Fall auf irgendeinen Zufall vertrauen wollten, war es nötig, herauszufinden, wo genau sich der Rest der Kiowas samt Thomson befanden; außerdem mussten wir so schnell wie möglich unsere Waffen und unsere Pferde wieder in unseren Besitz bringen. Also handelten wir weiter nach Plan. Sam war schon dabei, den Häuptling zu einem ebenso handfesten Paket zu verschnüren wie zuvor auch den anderen Krieger. Er würde auch weiterhin in unserem Tipi bleiben, da irgendjemand ja auch an Winnetous Seite sein musste, um ihn zu versorgen und im Notfall vor den Feinden zu schützen. Ich warf jetzt abermals einen Blick auf meinen Freund. Er hielt seine Augen wieder geschlossen, seine Atmung war flach, große Schweißperlen waren auf der Stirn zu erkennen – also alles andere als ein beruhigender Anblick für mich! Aber es half nichts, Emery und ich mussten jetzt wieder das Zelt verlassen. Der Engländer begab sich auf den schnellsten Weg zu den Pferden, er kannte ihn ja dank Winnetous Beschreibung. Ich selber kroch noch einmal durch das hohe Gras zum Tipi des Häuptlings zurück, da mein Blutsbruder dort unsere Waffen und unser restliches Eigentum vermutet hatte. Wieder kam ich ungesehen an mein Ziel, aber diesmal hatte ich unterwegs einen Großteil der Kiowas entdecken können: Sie lagerten im Schatten der Bäume hinter dem Häuptlingszelt und schienen sich alle im Land der Träume zu befinden. Wie sehr wünschte ich mir jetzt die Gefährten herbei! Mit einem unverletzten Winnetou und den anderen beiden erfahrenen Westmännern an meiner Seite wäre es ein Leichtes gewesen, die – ich zählte schnell durch: achtzehn Krieger, also mussten sich noch zwei bei den Pferden befinden - zu überwältigen und wieder Herr der Lage zu werden. So aber musste ich auf meine Fähigkeiten und auch auf mein Glück vertrauen, dass man mich abermals nicht bemerken würde, als ich wieder in das Häuptlingszelt schlich und es nach unseren Waffen absuchte. Ich konnte mich dabei nur auf meine Hände verlassen, denn im Inneren war es ja stockdunkel, so dass ich jeden Gegenstand erst abtasten musste, wobei natürlich immer die Gefahr bestand, dass ich etwas umwarf, und so ein lautes Geräusch hätte natürlich sofort die schlafenden Krieger auf den Plan gerufen. Im Gegensatz zum Verlauf des gesamten letzten Tages schien uns jetzt aber in dieser so wichtigen, über Freiheit oder Tod entscheidenden Stunde, das Glück hold zu sein. Ich musste gar nicht lange suchen, da ertastete ich in der Nähe des Schlafplatzes von Motawateh einige längliche Gegenstände, die sich nach kurzer Untersuchung als unsere Gewehre herausstellten! Sofort holte ich mir meinen Henrystutzen hervor und überprüfte, so gut es im Finstern ging, ob er möglicherweise Schäden aufwies, konnte aber zum Glück keine feststellen. Im Gegenteil, er war sogar noch geladen! Offenbar hatte Motawateh nicht verstanden, wie man dieses komplizierte Gewehr bedient, und es dann erst einmal ungenutzt weggelegt. Jetzt fühlte ich mich zum ersten Mal seit unserer Gefangennahme wieder wie ein freier Mann. Mit meinem Stutzen in der Hand war ich nun mal nicht so leicht zu überwinden, und das würden die Kiowas in Kürze zu spüren bekommen! Rasch sammelte ich die restlichen Gewehre sowie unsere Messer auf und nahm auch von den anderen Gegenständen, die uns gehörten, so viel mit, wie ich tragen konnte; den Rest würden die Rothäute nachher hoffentlich von alleine wieder herausrücken. Wieder musste ich auf mein Glück vertrauen, als ich den Rückweg antrat, und wieder gelang es mir, ungesehen mein Ziel zu erreichen. Sam hatte mich mit wachsender Ungeduld erwartet und konnte jetzt nur mühsam einen Freudenschrei unterdrücken, als er die Waffen in meiner Hand gewahr wurde; er nahm nun auch seine geliebte „Liddy“ sofort an sich, wobei man fast den Eindruck gewinnen konnte, dass er kurz davor stand, seinen alten Schießprügel an sich zu drücken und zu liebkosen. Motawateh war inzwischen aus seiner Ohnmacht erwacht, und ihm war anzusehen, dass er vor Wut fast platzte. Sein Gesicht hatte mal wieder eines seiner bemerkenswerten Farbenspiele angenommen, aber er konnte seinen Zorn nicht laut kundtun, denn er war von Sam natürlich sorgfältig geknebelt worden, damit er nicht um Hilfe rufen konnte. Aus seinen Augen sprühten daher nun regelrecht Blitze in meine Richtung, was mich aber nicht sonderlich interessierte. Da wir, bevor wir weiter handeln konnten, erst auf Emery warten mussten, nutzte ich diese Zeit lieber, um mich wieder meinem Freund zu widmen, deshalb begab ich mich jetzt auch sofort an Winnetous Seite. Mein Freund öffnete kurz die Augen, als er mich neben sich spürte, schenkte mir ein leises Lächeln und drückte leicht meine Hand, bevor sich seine Lider erneut schlossen. Ich legte mein Ohr auf seine Brust, um seinen Herzschlag besser erfassen zu können, da sein Puls kaum zu spüren war, aber das Ergebnis war auch nicht viel besser. Zudem strahlte sein Körper eine unnatürliche Hitze aus, da das Fieber ihn mittlerweile fest im Griff hatte, und all das half natürlich nicht im Geringsten, meine Ängste um meinen Geliebten irgendwie zu mindern. „Halte durch, ich bitte dich!“, flüsterte ich ihm leise ins Ohr. Er nickte nur, mit geschlossenen Augen, und ich versuchte weiter, ihm Trost und Mut zuzusprechen: „Es wird nicht mehr lange dauern, dann sind wir hier raus, und dann werden wir einen Ort finden, an dem du ganz in Ruhe genesen kannst. Du hast es bald geschafft, glaube mir, mein Bruder!“ Wieder nickte er, antwortete aber nicht, er war einfach zu erschöpft. Ich drückte nochmals seine Hand und legte dann, einer Eingebung folgend, vorsichtshalber das erbeutete Jagdmesser von Motawateh daneben, damit er im Notfall eine Waffe zu seiner Verteidigung bereit hatte. Meine Worte hatten mich daran erinnert, dass wir einen wesentlichen Teil unseres Vorhabens noch gar nicht geklärt hatten, und somit wandte ich mich jetzt an Sam, um ihn zu fragen: „Sam – wir haben noch gar nicht entschieden, in welche Richtung wir fliehen sollen! Bis Farmington ist es definitiv zu weit, das schafft Winnetou nicht mehr, außerdem könnten wir vorher möglicherweise von den Kiowas eingeholt werden. Habt Ihr vielleicht eine Idee?“ „Hm!“, kam es nur von dem kauzigen Westmann, der sich dabei gleichzeitig heftig am Kopf kratzte, wodurch seine Perücke gefährlich weit nach vorne rutschte und herunterzufallen drohte. „Wenn Ihr schon keine Lösung anzubieten habt – woher soll ich denn dann so schnell eine aus meinem nicht vorhandenen Hut zaubern, verehrtes Greenhorn? Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich die hiesige Gegend wie meine Westentasche kenne, da ich vorher noch nicht die Ehre hatte, hier des öfteren zu Gast zu sein, wenn ich mich nicht irre. Deshalb hatte ich mich bis gerade eben sogar der trügerischen Hoffnung hingegeben, dass Ihr schon längst einen gut durchdachten Plan unter Eurem echten Skalp mit Euch herumschleppt - und nun werde ich so enttäuscht! Aber ich sage es ja immer wieder: Einmal Greenhorn, immer Greenhorn, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ „Nein, tut mir leid, lieber Sam“, antwortete ich, „aber diesmal bin ich selber noch ratlos. Doch vielleicht hat Emery...“ Weiter kam ich nicht, denn jetzt drang das leise Flüstern meines Blutsbruders zu mir durch, so leise, dass ich die einzelnen Worte nicht verstehen konnte. Sofort beugte ich mich zu ihm hinunter und hielt mein Ohr nahe an seinen Mund, woraufhin er seine Worte, mühsam und stockend, wiederholte: „Mein Bruder denke.... an Old Firehands 'Festung'! Sie... liegt in südwestlicher.... Richtung von hier, der....Weg führt mitten...durch das Gebirge, also...werden die....feindlichen Krieger gerade dort....uns nicht vermuten....“ Er brach ab. Selbst diese wenigen Worte hatten ihn schon sehr angestrengt, also machte ich ihm schnell deutlich, dass ich ihn verstanden hatte: „Es ist gut, mein Bruder, sprich jetzt nicht mehr, ja?“ Und zu Sam gewandt, klatschte ich mir leicht die flache Hand vor die Stirn und meinte kopfschüttelnd: „Das ich da nicht von alleine drauf gekommen bin! Winnetou hat natürlich Recht – wir werden Old Firehand aufsuchen; er befindet sich ja zur Zeit mit Old Surehand und einigen anderen Fallenstellern in seiner sogenannten 'Festung'! Bis dorthin ist es höchstens ein halber Tagesritt, denke ich, vielleicht etwas mehr, wenn man bedenkt, dass wir Winnetou so schonend wie möglich dorthin bringen müssen. Und gerade weil der Weg durch schwieriges und bergiges Gelände führt, werden die Rothäute uns dort hoffentlich am wenigsten vermuten!“ „Nun, da habt Ihr natürlich vollkommen recht, geliebter Sir! Ich sage Euch ja immer, dass Ihr Euch ein Beispiel an unserem klugen Apatschenhäuptling nehmen solltet – Winnetou hat nämlich, im Gegensatz zu Euch, in seinem Oberstübchen immer die richtige Lösung parat, wenn ich mich nicht irre!“ Trotz der äußerst angespannten Situation kicherte mein ehemaliger Lehrer wieder einmal leise vor sich hin, aber das war halt seine Art, seine Nerven zu beruhigen. Ich war richtiggehend erleichtert über diese mehr als gute Lösung, vor allem, weil wir von Firehand und Surehand die beste Unterstützung und den besten Schutz erhalten würden, den man sich nur denken konnte; außerdem war das kleine Tal, welches mit den hoch aufragenden Felswänden die sogenannte „Festung“ bildete, ein idealer Ort für einen Schwerverletzten, um dort in Ruhe genesen zu können. Übrigens war es völlig unerheblich, dass Motawateh jetzt alles, was wir besprachen, mitbekam - wir wollten ihn ja sowieso mitnehmen, und die "Festung" war ein idealer Ort, um dort über ihn und eventuell auch noch über Thomson zu Gericht zu sitzen. Jetzt kehrte auch Emery zurück und hatte ebenfalls eine gute Nachricht parat. Er hatte unsere Pferde aufgrund von Winnetous Beschreibung der Umgebung nicht nur gefunden, sondern auch gleich in die Nähe der Zelte geführt, so weit, wie er es riskieren konnte, ohne dass die am Waldrand schlafenden Kiowas durch die unvermeidbaren Geräusche erwachten. Dieses Vorhaben war ihm auch deswegen gelungen, weil er die beiden Wachposten, die die Pferde beaufsichtigten, zu unserem Glück völlig lautlos überwältigen und fesseln konnte. Jetzt sah es schon richtig gut für uns aus: Wir waren der Fesseln ledig, hatten unsere Waffen wieder, die Pferde waren ganz in der Nähe und das Wichtigste – Motawateh, der Anführer der Mörderbande, befand sich in unserer Gewalt! Eigentlich hätten wir jetzt loslegen können, aber einer fehlte noch: Thomson! Dieses Erzschurken wollten wir unbedingt noch habhaft werden, um zu verhindern, dass er sich in dem kommenden Durcheinander und dem eventuell auftretenden Kampfgewühl aus dem Staub machen konnte. Diese Bestie, die das Leben meines Winnetou sogar zweimal fast ausgelöscht hatte, durfte auf keinen Fall ungestraft davonkommen, koste es, was es wolle. Und eines war sicher: Dieses Mal würden wir ihn auf keinen Fall den Soldaten oder irgendwelchen Behörden übergeben, wo er eher frei kommen würde, als wir aus der Stadt wieder heraus geritten wären! Dieses Mal würden wir über ihn Gericht halten, und dann konnte sich dieser brutale Verbrecher nicht mehr aus der Schlinge ziehen! Aber zuerst mussten wir natürlich herausfinden, wo genau sich der Bursche überhaupt aufhielt. Im Zelt Motawatehs war er nicht gewesen, und auch unter den schlafenden Rothäuten hatte ich ihn nicht ausmachen können. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als zusammen mit Emery das gesamte Lager noch einmal zu umschleichen, obwohl ich Winnetou eigentlich nicht mehr aus den Augen lassen wollte. Sam bemerkte meine beunruhigten Blicke, und wieder einmal zeigte er sein eigentliches Ich, sein mitfühlendes Wesen, indem er mir leise zuflüsterte, dass ich mich nicht ängstigen sollte, er würde über meinen Blutsbruder mit Argusaugen wachen wie über seinen eigenen Sohn. Er hatte zwar keine Kinder, aber ich wusste natürlich, wie er es meinte. Also informierte ich den Engländer erst einmal über unsere Absicht, nach unserem Entkommen Old Firehand und Old Surehand aufzusuchen, der er auch sofort zustimmte. Anschließend besprach ich mit ihm unser weiteres Vorgehen, und dann verließen wir wieder einmal das Zelt, um in entgegengesetzten Richtungen das Lager, jeder in einem Halbkreis, zu umschleichen, um Thomson zu suchen. Für dieses Unterfangen benötigten wir natürlich eine gewisse Zeit, denn wir mussten uns weiterhin so vorsichtig und leise wie nur irgend möglich bewegen, und daher dauerte es auch über eine halbe Stunde, bis wir am Endpunkt wieder zusammentrafen. Ich hatte den Verbrecher nicht entdecken können, aber Emery konnte da etwas mehr Glück vorweisen. Der Kerl hatte sich, etwas entfernt von den restlichen Kiowas, aber ebenfalls am Waldrand, einen kleinen Unterstand aus Ästen und dicht belaubten Zweigen gebaut, in dem er jetzt friedlich und mit offenbar ruhigem Gewissen schlief - er schnarchte sogar leise! Und nur aus diesem Grund hatte Emery ihn erst ausmachen können, ansonsten wäre er an der primitiven, in der Dunkelheit völlig unauffälligen Hütte wohl vorbei geschlichen. Gemeinsam machten wir uns sofort auf dem Weg, um den zweiten Erzschurken ebenfalls in unsere Gewalt zu bekommen. Obwohl das ständige Anschleichen durch das hohe Gras zunehmend anstrengender wurde, gelang es uns abermals, unbemerkt an unser Ziel zu gelangen. Ganz langsam, ganz vorsichtig und äußerst konzentriert krochen wir durch die offene Seite des Unterstandes – und blieben plötzlich ganz starr vor Schrecken und hochgradig angespannt am Boden hocken, denn der Verbrecher begann ausgerechnet jetzt, sich zu bewegen! Ich spannte meine Muskeln an, um mich notfalls sofort auf ihn zu werfen, denn Thomson durfte auf gar keinen Fall die Möglichkeit erhalten, laut zu rufen und damit die anderen Rothäute zu wecken. Dieser seufzte jetzt einmal herzhaft, wickelte sich fester in seine Decke, drehte sich auf den Rücken – ich saß sofort sprungbereit wie ein Tiger vor dem Angriff auf eine Antilope – und drehte sich dann aber doch wieder auf die Seite, um seinen Schönheitsschlaf fortzusetzen, woraufhin wir äußerst erleichtert aufatmeten. Der Engländer und ich warteten vorsichtshalber noch eine kleine Weile, bis wir wirklich sicher sein konnten, dass der Verbrecher weiterhin fest schlief, dann erst wagten wir es, uns ihm langsam und vorsichtig so weit zu nähern, bis wir an seiner Seite saßen. Er lag immer noch im Tiefschlaf, und durch zwei wohlgezielte, kräftige und mit grimmigem Vergnügen durchgeführte Faustschläge sorgte ich dafür, dass er das Reich der Träume so schnell auch nicht wieder verlassen würde. Endlich, endlich hatte ich ihn in meiner Gewalt! Wie sehr hatte ich mir genau das noch heute Nachmittag herbei gesehnt, wie sehr hatte der heiße Wunsch nach Vergeltung in mir gebrannt, seit ich hilflos mit ansehen musste, wie dieser Teufel in Menschengestalt meinen geliebten Blutsbruder gequält und misshandelt hatte! Jetzt würde der Kerl mir nicht mehr entkommen, jetzt würde er auf alle Fälle seiner gerechten Strafe zugeführt werden! Noch während ich für mich überlegte, wie wir Thomson nun am besten zurück zu unserem Zelt transportieren sollten - denn wir mussten uns ja weiterhin in kriechender Position fortbewegen, falls doch mal einer der Kiowas aufwachen und einen Blick über das hohe Gras werfen würde - da handelte Emery schon. Ohne Umschweife warf er sich den Ohnmächtigen über die Schultern und lief mit ihm in tief gebückter Haltung, doch dabei fast unhörbar, quer über den Lagerplatz zu unserer Behausung, so schnell, dass ich ihm kaum folgen konnte. Es gehörte schon eine Menge Kraft dazu, einen ausgewachsenen Mann auf diese Weise zu tragen, und das konnte nur einer von der Statur eines Emery Bothwell fertigbringen! Kurz darauf betraten wir mit unserem dritten Gefangenen unser Tipi und ernteten für unseren Fang bewundernde Blicke von Sam Hawkens, der sich sofort daran machte, auch diesen schnellstmöglich in Fesseln zu legen, nachdem Emery Thomson ebenfalls ohne irgendwelche Rücksicht einfach zu Boden hatte krachen lassen. Wir hatten bei unserer Befreiung einen Teil der Stricke, mit denen wir gebunden worden waren, so durchtrennt, dass sie notfalls noch weiter zu gebrauchen waren, aber jetzt stellte sich heraus, dass es nicht reichen würde, um auch noch Thomson vernünftig und sicher zu binden. Also musste Sam einige Fesseln von Motawateh und dem anderen Kiowa wieder lösen und erreichte damit, dass alle drei Gefangenen nun an Händen und Füßen stramm gefesselt waren, allerdings nicht, wie vorher geplant, auch noch an den Pfählen befestigt werden konnten, an denen zuvor wir drei noch am Tage gebunden gewesen waren. Leider zeigte ich selbst nicht genügend Interesse an der Festnahme der Verbrecher, sondern kümmerte mich lieber um meinen Winnetou. Aber ob ich an den kommenden Geschehnissen noch etwas hätte ändern können? Hätte ich sie vorausahnen können, nein, sogar vorausahnen müssen? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass Sam unsere Gefangenen äußerst umsichtig gebunden hatte und sie jetzt mit höchster Aufmerksamkeit bewachte. Er hätte sie auch gar nicht besser fesseln können, denn mehr unversehrte Stricke waren einfach nicht vorhanden. Meine Anwesenheit bei meinem Freund war aber auch durchaus vonnöten, denn ihm ging es alles andere als gut. Von seiner vormals schönen bronzenen Hautfarbe war, zumindest im Gesicht, fast nichts mehr zu sehen, er war aschfahl, nur einige rötliche Flecken deuteten darauf hin, dass der Apatsche zusätzlich zu seinen blutenden Verletzungen unter hohem Fieber litt. Seine Atmung war flach, sein Puls ging langsam und war kaum spürbar, die Haut des Oberkörpers war großflächig von Blut und Schweiß bedeckt. Ab und zu wurde er von einem heftigen Schüttelfrost überwältigt, so wie jetzt in diesem Moment, und ich zog ihn deshalb sofort behutsam in meine Arme, um ihn so gut wie möglich zu wärmen. Durch meine Berührungen beruhigte sich das Zittern etwas, und nun schlug mein Freund seine Augen auf. Sein Blick – dieser unvergleichliche Blick voller Liebe für mich, aber jetzt auch voller Schmerz, voller Erschöpfung, gleichzeitig aber auch erfüllt mit Zuversicht, Vertrauen und Hoffnung – dieser Blick aus seinen unendlich schwarzen Sternenaugen traf mich bis ins Mark. Ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken, küsste ich ihn auf die Stirn und drückte ihn ganz vorsichtig an mich, strich ihm dabei immer wieder liebevoll über sein gequält wirkendes Antlitz. Er lehnte seinen Kopf an meine Brust, und das war jetzt ein Moment, in dem keine Worte nötig waren. In diesem Augenblick gaben wir uns gegenseitig Halt und Kraft; ich schenkte ihm Trost und Linderung, er mir Mut und die Zuversicht, dass wir das Ganze ohne weitere Verluste überstehen würden. Emery kniete jetzt an unserer Seite und begann, Winnetou so viel Wasser wie möglich einzuflößen, und dieser tat auch trotz seiner großen Schwäche, was man von ihm verlangte. Ich hielt ihn derweil weiter fest umschlungen, und somit gönnten wir uns noch ein paar Minuten der Ruhe, um Kraft zu gewinnen für das Kommende. Dann aber wurde es Zeit – und damit endgültig ernst. Jetzt würde sich herausstellen, ob unser Plan gut genug durchdacht war, um eine Flucht ohne Verlust von Leib und Leben oder auch nur unserer Besitztümer zu ermöglichen! Widerwillig löste ich mich daher von meinem Freund, bettete ihn möglichst behutsam wieder auf den Boden und ließ dabei meinen Blick sorgenvoll auf ihn ruhen. Winnetou bemerkte natürlich meine Ängste, die ich um ihn empfand, und versuchte mich zu beruhigen, indem er mir leise, fast schon hauchend, zuflüsterte: „Es wird alles gut gehen, mein Bruder!“, wobei er jedes Wort einzeln betonte. Ich spürte nun einen Kloß im Hals und hatte dadurch Mühe, überhaupt zu sprechen, darum nickte ich nur, ergriff dafür seine Hände, zog sie nahe zu mir und küsste sie. Nun wurde es aber wirklich höchste Zeit. Ich trennte mich also endgültig von meinem geliebten Freund und stellte mich dann an die Seite von Sam, der sich am Ausgang des Tipis postiert hatte. Emery hingegen hatte die Lederbahnen, die über dem Zeltgestänge lagen, an den anderen drei Seiten etwas hochgerollt, damit er drunter durchschauen und die Umgebung draußen überblicken konnte. Jetzt lag er bäuchlings lang auf dem Boden ausgestreckt, sein Gewehr im Anschlag, um sicherzustellen, dass sich kein Roter auch nur ansatzweise dem Zelt nähern konnte, ohne dass er von dem Engländer vorher niedergeschossen werden würde. Mit lauter Stimme ließ ich nun folgende Botschaft an die schlafenden Kiowas über das Lager erschallen: „Die unvorsichtigen Krieger der Kiowas mögen ihre Nachtruhe kurz unterbrechen, um mich anzuhören! Hier steht Old Shatterhand! Er ist genauso wie seine Gefährten Bothwell, Sam Hawkens sowie Winnetou, dem großen Häuptling der Apatschen, wieder ein freier Mann – im Gegensatz zu eurem Anführer! Motawateh befindet sich samt Thomson und einem weiteren Kiowa in unserer Gewalt, und sie werden alle eines langsamen, qualvollen Todes sterben, sollten die roten Männer nicht auf unsere Bedingungen eingehen!“ Nach einem kurzem Überraschungsmoment erfolgte dann die Antwort, sie bestand aus einem lauten, kriegerischen Geheul, das hier und da unterbrochen wurde von einigen verwunderten Ausrufen. Überall tauchten jetzt aus der Dunkelheit halbbekleidete Rote mit teils erschrockenem Gesichtsausdruck auf, die sich in einem kurzen Abstand vor dem Zelt versammelten. Ich hatte inzwischen Motawateh äußerst unsanft wieder auf die Füße gezerrt und zum Zeltausgang geschleift, damit sich die Kiowas von der Wahrheit meiner Worte überzeugen konnten. Als sie ihren Anführer erkannten, brachen sie erneut in ein schauriges Kriegsgeheul aus, aber mit lauter Stimme unterbrach ich die Rothäute sofort wieder. Vorher hatte ich die Männer schnell durchgezählt und festgestellt, dass alle zwanzig im Lager anwesenden Krieger sich auch jetzt vor dem Zelt eingefunden hatten – mit Ausnahme der beiden von Emery überwältigten Pferdewächter - also mussten wir nicht befürchten, dass sich irgendjemand von hinten anschleichen und uns hinterrücks angreifen würde. Jetzt übertönte ich nochmals das Geschrei der feindlichen Indianer mit den Worten: „Die Krieger der Kiowas mögen Ruhe bewahren und sich nicht wie kleine Kinder benehmen! Sie können nun unschwer erkennen, dass ich vorhin die Wahrheit gesprochen habe und sich ihr Häuptling tatsächlich in unserer Gewalt befindet! Damit ihm nichts geschieht, sollten die roten Männer schnell auf folgende Bedingungen eingehen: Ich fordere freien Abzug für mich und meine Gefährten samt unseren Pferden, unseren Waffen und all den anderen Besitztümern, die sich noch bei den Kiowas befinden! Außerdem werdet ihr selber all eure Waffen an uns ausliefern! Solltet ihr darauf nicht eingehen, wird Motawateh hier vor euren Augen sterben, aber langsam und qualvoll, so wie er es für uns angedacht hatte! Wir geben euch die Zeit, die der Weiße Mann eine halbe Stunde nennt, um euch zu entscheiden. Nach Ablauf dieser Frist gibt es für den Häuptling keine Rettung mehr, und auch die restlichen Krieger der Kiowas werden dann nicht mit dem Leben davonkommen, denn mein Zaubergewehr und die Waffen meiner Gefährten wird euch alle dahinraffen!“ Nach diesen Worten zogen wir uns ein, zwei Schritte ins Zeltinnere zurück, aber nur so weit, wie wir das Geschehen draußen noch überblicken konnten. Dadurch konnten wir beobachten, wie die Rothäute sich nun etwa in der Mitte des Lagerplatzes zusammenrotteten und wild gestikulierend berieten. Ich stieß jetzt Motawateh kurzerhand wieder zurück auf den Boden, da er mich während meiner Beobachtung doch nur störte. In diesem Augenblick erklang hinter mir ein unterdrücktes Stöhnen, gefolgt von einem wütenden Knurren, denn zu mehr war Thomson, der soeben wieder erwacht war, nicht in der Lage, da er ja ebenfalls von uns geknebelt worden war. Ich drehte mich zu ihm, sah ihm ins Gesicht, und schon brodelte in mir wieder eine unglaubliche Wut, nein, beinahe schon richtiger Hass, auf diesen elenden Dreckskerl hoch, so dass ich Mühe hatte, dem Drang zu widerstehen, ihm einen saftigen Fußtritt zu verpassen. Statt dessen trat ich auf ihn zu, setzte ein süffisantes Grinsen auf, riss ihm – auch nicht gerade sanft - den Knebel aus dem Mund und begann: „So, Mr. Thomson – jetzt sind die Karten wohl eindeutig anders verteilt, nicht wahr?“ Ich konnte es ruhig wagen, mich auf ein Gespräch mit dem Erzschurken zu konzentrieren, da Emery weiterhin durch die hochgerollten Zeltplanen die unmittelbare Umgebung unserer Behausung im Blick hatte, ebenso wie Sam, der pausenlos den Eingangsbereich kontrollierte. Statt einer Antwort überschüttete mich der Angesprochene nun mit einer Flut von so fürchterlichen Schimpfwörtern, dass es mir unmöglich ist, auch nur eines davon hier wiederzugeben. Aus seinen Augen sprach der blanke Hass, sein Gesicht war hochrot und verzerrt vor hemmungsloser Wut. Ich hörte eine Weile ruhig zu, aber als seine Hasstirade kein Ende zu nehmen schien, versetzte ich dem Banditen kurzerhand ein paar saftige Ohrfeigen, zückte mein Messer und hielt es ihm dicht vor die Augen, bevor ich ihn anraunzte: „Jetzt hör mir mal ganz genau zu, du dreckiger Mistkerl! Noch ein Wort – noch ein einziges Wort von dir, und ich werde deine hässliche Visage in ein noch hässlicheres Schnittmuster verwandeln, so wahr ich hier stehe!“ Thomson war vor Schreck tatsächlich verstummt und sah mich jetzt mit angstvoll aufgerissenen Augen an. Mit grimmiger Stimme sprach ich weiter: „Ich habe einige Fragen an dich, und du wirst mir jede einzelne davon wahrheitsgemäß beantworten, verstanden? Du antwortest nur auf die Fragen, ansonsten wirst du dein widerliches Mundwerk geschlossen halten, sonst ist es um dich geschehen – ich werde dich dann töten, aber hübsch langsam, genauso wie du es mit uns und vor allem mit Winnetou vorhattest und teilweise schon damit angefangen hast! Also?“ Mit einer Mischung aus rasendem Zorn und Erschrecken, aber auch sichtbarer Furcht sah mich der Schurke an. Er schluckte, holte dann tief Luft und wollte wieder loslegen: „Du verfluchter....“, weiter kam er nicht, denn schon hatte ich ihm meine Messerspitze in die Haut knapp unter dem linken Auge gedrückt und ritzte sie leicht auf. Mit mühsam zurückgehaltener Wut in der Stimme fragte ich ihn gefährlich leise: „Nun? Soll ich weiter machen?“ „Nein!“, flüsterte er, fast schon heiser, mit zittriger Stimme: „Ich werde alles sagen, was Ihr wissen wollt!“ „Na also, es geht doch!“, lobte ich ihn ironisch, behielt aber mein Messer konstant an dem gleichen Platz, damit er nicht wieder in seine alte Verhaltensweise zurückfiel. Nun stellte ich meine Fragen: „Wie kommt es, dass du hier bist und mit den Kiowas gemeinsame Sache machst? Wie hast du unsere Spur überhaupt gefunden, und wie konntest du uns folgen, obwohl du nach deiner Flucht während unserer Befreiungsaktion der beiden Goldsucher doch kein Pferd mehr zur Verfügung hattest?“ Thomsons Augen versuchten ängstlich, mein Messer im Blick zu behalten. Er sah ein, dass er wohl keine andere Wahl hatte und begann leise, zähneknirschend: „Mein Kumpan und ich mussten damals die ganze Nacht hindurch und auch noch den folgenden Tag laufen, bis wir durch Zufall auf einen Späher Motawatehs trafen, der mit seinem Stamm auf dem Weg zum San-Juan-River war. Bis wir an seinem derzeitigen Lager angelangt waren, verging noch einmal ein ganzer Tag, da wir ja laufen mussten. Ich kannte den Häuptling von früher, wir sind sozusagen Geschäftspartner." Ich lachte einmal kurz und spöttisch auf. Geschäftspartner! Welch eine Umschreibung für die Räubereien, die die beiden bislang durchgeführt hatten! Aber ich sagte nichts, die Mühe wäre hier völlig vergebens gewesen. Thomson fuhr fort: "Motawateh gab uns...“ Weiter kam er nicht, da er plötzlich vom Kiowa-Häuptling unterbrochen wurde, dem wir kurz zuvor für seine Präsentation vor seinen Kriegern den Knebel abgenommen hatten: „Schweig, Verräter!“, zürnte dieser, wieder einmal mit dunkelroter Gesichtsfarbe als Ausdruck seiner unbändigen Wut. „Wenn du weiter sprichst, werde ich....“ Nun wurde er selber unterbrochen, diesmal von Sam. „Nichts wirst du!“ drohte dieser und hielt Motawateh sein Messer in genau der gleichen Weise wie ich bei Thomson unter das Auge. „Schön ruhig wirst du dich verhalten! Sonst wirst du bald im Dunkeln tappen, und das im wahrsten Sinne des Wortes, wenn ich mich nicht irre! Nämlich dann, wenn ich dir hübsch langsam die Augen ausgestochen habe, Freundchen!“ Das half. Der Häuptling verstummte augenblicklich, nur seine blitzenden Augen verrieten, dass er außer sich vor Grimm war. Thomson schwieg noch, und auch als ich ihn erwartungsvoll ansah, machte er keine Anstalten, weiter zu sprechen. Erst als ich ihm noch einmal meine Messerspitze in die Haut ritzte, platzte es förmlich aus ihm heraus: „Motawateh stellte uns also Pferde zur Verfügung und versprach auch, uns bei der Verfolgung der Goldsucher zu helfen, doch natürlich nicht ohne Gegenleistung, und er wollte mehr als nur ihre Besitztümer dafür. Erst wussten wir nicht, was wir ihm sonst noch hätten anbieten können, aber als wir ihm von Winnetou und Euch erzählten, wurde er hellhörig und war nun auf einmal ganz erpicht darauf, Euch und die Goldsucher in seine Gewalt zu bekommen. Wir ritten also zu dem Platz zurück, wo Ihr uns überfallen hattet, konnten aber Eure Spuren nicht mehr entdecken. Doch der Häuptling wusste, dass es in der Gegend um den Ship Rock herum Goldadern geben musste, ohne jedoch genau zu wissen, wo. Auf jeden Fall kam auf einem Gebiet von mehreren Tagesreisen nur die dortige Berggegend für einen Goldfund in Frage. Also beschlossen wir, auf gut Glück hin zu reiten und hofften, Euch oder Eure Spuren irgendwo dort zu entdecken. Dieses Glück hatten wir dann auch, erstens weil wir auf einen Späher eines befreundeten Kiowa-Stammes trafen, in dessen Weidegründen wir uns nun befanden und der Euch seit geraumer Zeit verfolgt und beobachtet hatte, und zum Zweiten, weil unsere eigenen Späher dann vor ein paar Tagen eine große Staubwolke in weiter Entfernung ausmachen konnten. Sie näherten sich äußerst vorsichtig diesem Ort, um die Ursache herauszufinden und entdeckten Euch bei der Büffeljagd. Am gleichen Nachmittag gelang es ihnen, Euch zu belauschen, und somit wussten wir, dass nicht nur die Goldsucher, sondern auch Winnetou zwei Tage später einen großen Reichtum mit sich führen würden. Am nächsten Tag konnten die Kiowas Euch noch einmal belauschen und erfuhren, dass Ihr Euch von den Goldsuchern trennen wolltet, nachdem Ihr die Minen ausgebeutet hattet. Motawateh beschloss, eine Schar seiner Krieger zum Überfall auf die Goldsucher abzustellen. Er selber wollte bis zum nächsten Tag warten, um dann Euch zu verfolgen. Er vermutete, dass Ihr Richtung Süden reiten würdet und wollte Euch über eine Abkürzung den Weg abschneiden, um Winnetous Gold und vor allem seiner selbst habhaft zu werden. Dann aber ging der Überfall schief, da anstatt der Goldsucher auf einmal Ihr dort auftauchtet und nun den Spieß umgedreht hattet. Motawateh war außer sich vor Zorn und wir setzten alles daran, Euch doch noch zu erwischen, da wir die Goldsucher nicht mehr finden konnten. Irgendwie gelang es dann tatsächlich, Eure Spuren noch wiederzufinden. Wir verfolgten Euch eine Weile, und dann konnten wir Euch endlich, endlich am gestrigen Abend erfolgreich überfallen!“ „Ihr? Du konntest uns überfallen?“, wandte ich erbost ein. „So wie ich das sehe, hast du dich die ganze Zeit über schön im Hintergrund gehalten – zu deiner eigenen Sicherheit, während die Kiowas die Drecksarbeit für dich getan haben! Du bist nicht nur ein Ausbund an Heimtücke und Sadismus, sondern auch noch ein elender Feigling!“ Mit diesen Worten wandte ich mich angewidert ab, dann aber fiel mir noch etwas ein. „Noch eine Sache – wo ist eigentlich dein Kumpan abgeblieben? Der mit dir nach der Befreiung der beiden Goldsucher geflohen ist?“ Thomson schluckte wieder, sann einen Moment nach und behauptete dann: „Der hat sich nach dem versuchten Überfall auf die Goldsucher, als Ihr den Kiowas die Falle gestellt hattet, aus dem Staub gemacht – der Feigling! Wollte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben! Hatte schlichtweg Angst, dass Ihr uns jetzt den Garaus machen könntet, die feige Ratte!“ Ich sah dem Verbrecher lange scharf ins Gesicht, um herauszufinden, ob er hier wirklich die Wahrheit sagte, kam aber nicht mehr dazu, die Sache weiter zu hinterfragen, da Sam vom Eingang her rief: „Achtung, Sir! Die Rothäute haben ihre Beratung beendet; der Unterhäuptling kommt soeben herüber!“ Sofort verließ ich unseren Gefangenen und begab mich an Sams Seite, nicht ohne vorher noch einmal einen Blick auf Winnetou geworfen zu haben. Dieser lag, wie schon die ganze Zeit über, mit geschlossenen Augen und flachem Atem auf dem Rücken, und sein Zustand hatte sich alles andere als verbessert. Mir kam es so vor, als ob er noch um einige Nuancen blasser im Gesicht geworden war, als ob ihm vermehrt ein Gemisch aus Schweiß und Blut am Körper herunter lief. Mich überfiel wieder eine heftige Sorge um meinen Freund, und als ich ihn leise anrief, um mich zu vergewissern, dass er noch bei Bewusstsein war, und er mich daraufhin ansah, schien es mir, als ob auch seine Augen einen erhöhten Glanz aufgrund des Fiebers angenommen hatten. Er nickte mir jetzt mit einem schwachen Lächeln zu, um mich zu beruhigen, und ich konnte nichts anderes tun, als sein Lächeln zu erwidern, so schwer es mir auch fiel, und dann anschließend dafür zu sorgen, dass wir meinen Blutsbruder so schnell wie möglich aus dieser Hölle hier herausbekamen. Ich schaute kurz aus dem Zelt heraus und sah Sam Angaben bestätigt. Einer der Unterhäuptlinge näherte sich raschen Schrittes, also packte ich mir wieder Motawateh, zerrte ihn unsanft zurück zum Eingang und präsentierte ihn dort gut sichtbar seinen Kriegern. Ich selber stand hinter ihm und hielt ihm mein Messer an die Kehle; bereit, sofort zuzustechen, sollte irgend jemand auch nur den Versuch unternehmen, uns anzugreifen. Als der Anführer das sah, unterbrach er sofort seinen schnellen Gang und kam stattdessen mit vorsichtigen, langsamen Schritten auf uns zu, die Hände halb erhoben, um uns zu suggerieren, dass er nichts Böses im Schilde führte. Als er nah genug herangekommen war, rief ich ihm zu: „Halt! Der Krieger der Kiowas möge stehenbleiben!“ Er befolgte den Befehl sofort und sah mich abwartend an. „Nun?“, fragte ich ihn. „Wie haben die roten Männer entschieden? Werden sie auf unsere Bedingungen eingehen oder lieber ihren Häuptling eines fürchterlichen Todes sterben lassen?“ Der Rote warf mir einen kurzen Blick zu und sah dann seinen Häuptling unsicher an. Offenbar wusste er nicht genau, ob dieser mit seiner wie auch immer gearteten Entscheidung einverstanden war. Um noch ein wenig mehr Druck auszuüben und das Ganze zu unserem Gunsten zu beeinflussen, drückte ich Motawateh die scharfe Klinge meines Messers tief in die Haut seiner Kehle, und er reagierte sofort. Er konnte aufgrund des Messers nicht mehr nicken, also bemühte er sich, keine heftige Bewegung zu machen, als er seinem Unterhäuptling heiser zurief: „Sikah-teh möge das tun, was das Bleichgesicht befiehlt!“ Dieser nickte zustimmend und wandte sich zu mir: „Old Shatterhand mag seine Bedingungen stellen!“ Zufrieden mit unserem Erfolg lockerte ich den Messerdruck auf Motawatehs Kehle, schob ihn zur Seite in Sams Obhut und begann dann, unsere Forderungen zu stellen, die ich Stunden zuvor mit den Gefährten abgesprochen hatte: „ Die Krieger der Kiowas werden sich jetzt bäuchlings zu Boden legen, die Hände im Nacken verschränkt!“ Abwartend sah ich die Männer an, die nach kurzem Zögern meiner Aufforderung dann auch folgten. Nachdem sich alle in der vorgegebenen Position befanden, begab sich Emery hinaus, schnappte sich einen brennenden Holzscheit aus dem Feuer des Wächters, welches immer noch brannte, lief damit schnell in Motawatehs Tipi und suchte dort drinnen eine Weile herum, während ich mit meinem Henrystutzen die am Boden liegenden Rothäute bewachte. Nach kurzer Zeit kam der Engländer wieder heraus, mit zufriedener Miene, denn er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte: Eine große Menge an Lederriemen, die wir natürlich dringend benötigten, um die Kiowas zu fesseln. Wahrscheinlich hatte man diese große Menge hergestellt, um die Goldsucher zu fesseln. Emery machte sich auch sofort ans Werk, ließ aber zwei der Männer ungebunden. Diesen beiden trugen wir nun auf, all unsere Besitztümer zusammenzusuchen und herzubringen, und zwar vollständig. Das dauerte natürlich eine ganze Weile, denn die Roten hatten die Gegenstände schon längst unter sich aufgeteilt, daher mussten sie aus sämtlichen Satteltaschen und Lederbeuteln wieder zusammengetragen werden. Während dieser Zeit glaubte ich, eine Bewegung Motawatehs aus meinen Augenwinkeln heraus wahrzunehmen, sah mich deshalb auch sofort nach ihm um, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Er stand weiterhin an Sams Seite, an Händen und Füßen gefesselt, und wurde von dem kauzigen Westmann scharf im Auge behalten. Allerdings war es nicht zu vermeiden, dass auch Sam Hawkens ab und zu einen Blick nach draußen warf, um die Tätigkeiten der beiden Krieger zu überwachen und sicherzustellen, dass die gefesselten Männer keinen Befreiungsversuch unternahmen. Gut eine Viertelstunde später befanden sich unsere Sachen wieder vollständig in unserem Besitz, selbst von Winnetous Nuggets fehlte nicht einer, und Emery machte sich jetzt daran, die beiden Überbringer ebenfalls zu fesseln. Ich überließ die Überwachung der Gefangenen Sam Hawkens und bemühte mich währenddessen, unsere Besitztümer so schnell wie möglich in unseren Satteltaschen zu verstauen, nachdem ich unsere Pferde bis an die Zelte geführt und in fliegender Hast gesattelt hatte. Als der Engländer seine Arbeit beendet hatte, machte er sich nun daran, die Waffen der Feinde unbrauchbar zu machen und begab sich anschließend zu ihren Pferden, um sie weit auseinanderzutreiben, ausgenommen natürlich Motawatehs und Thomsons Gäule, so dass die Tiere von den Kiowas erst mühsam wieder eingefangen werden mussten, bevor sie unsere Verfolgung aufnehmen konnten – falls es ihnen gelingen sollte, sich von ihren Fesseln zu befreien. Doch nun geschah etwas, was unseren Plan stark ins Wanken und Winnetou in allerhöchste Todesgefahr brachte! Sam berichtete uns später, wie genau sich Folgendes zugetragen haben musste, da Emery und ich uns ja außerhalb des Zeltes befanden und nichts mitbekommen hatten. Motawateh hatte sich während der ganzen Zeit, in der er mit Sam im Eingangsbereich des Tipis stand, Millimeter um Millimeter zurückgezogen, so dass er am Ende etwas hinter seinem Bewacher zum Stehen kam, der diesen vorsichtigen Rückzug nicht bemerkt hatte, da er ja auch die Gefangenen auf dem Lagerplatz beobachten musste. Ebenfalls nicht bemerkt hatte mein einstiger Lehrer aber schon vorher die Abwärtsbewegung des Häuptlings, die ich aus den Augenwinkeln zu sehen geglaubt hatte. Motawateh hatte nämlich kurz zuvor mein kleines Taschenmesser entdeckt, mit dem Winnetou mich anfangs losgeschnitten hatte und welches Emery dummerweise einfach liegen gelassen hatte, nachdem er Sam befreit hatte. In der ganzen darauffolgenden Hektik hatte aber niemand von uns mehr auf das Messer geachtet, welches wahrscheinlich auch von herumliegenden Gegenständen halb verdeckt worden war. Dem Kiowahäuptling war es nun gelungen, sich diesem Taschenmesser äußerst vorsichtig zu nähern, das zu seinem Glück auch noch in seiner Nähe lag, und mit der kurzen Abwärtsbewegung konnte er vorhin die kleine Waffe tatsächlich ergreifen. Als er nun so halb hinter Sam stand, nutzte er einen Moment der Unaufmerksamkeit des kleinen Westmannes, in dem Sam von den Geschehnissen auf dem Platz vor dem Tipi gebannt wurde, beugte sich wieder schnell hinunter und zerschnitt zuerst seine Fußfesseln, um einen sicheren Stand zu bekommen, den er für sein kommendes Vorhaben dringend benötigte. Nun machte er sich daran, seine Handfesseln zu durchtrennen, was mit zusammengebundenen Handgelenken aber äußerst schwierig war und einige ruckartige Bewegungen seiner Arme zur Folge hatte. Eine von diesen Bewegungen wurde jetzt aber doch von Sam bemerkt, der sich sofort umdrehte und dem Häuptling Einhalt gebieten wollte. Dieser aber reagierte geistesgegenwärtig, fuhr seinen Ellenbogen aus und traf damit Sam so unglücklich an der Schläfe, dass diesem kurzzeitig die Lichter ausgingen. Dann ging alles rasend schnell. Innerhalb von Sekunden gelang es Motawateh, sich vollständig von seinen Fesseln zu befreien, woraufhin er sich sofort auf Thomson stürzte, um auch diesen von seinen Banden zu erlösen; wahrscheinlich hätte er anschließend auch den anderen Kiowa befreit. Er mochte sich wohl sagen, dass sie zu dritt eine größere Chance hatten, uns zu entkommen, obwohl er seinen weißen Kumpan zuvor noch als „Verräter“ tituliert hatte. Emery und ich bemerkten von alledem nichts, da ich noch damit beschäftigt war, unsere Satteltaschen zu packen, während der Engländer weiterhin die Pferde der Kiowas auseinandertrieb. Es gelang dem Häuptling allerdings nur, die Fußfesseln des Verbrechers zu durchtrennen, denn jetzt wurde er von einer Seite angegriffen, von der er überhaupt nicht mehr mit Widerstand gerechnet hatte. Winnetou hatte nämlich alles mitbekommen, obwohl er sich teilweise schon am Rande der Bewusstlosigkeit befand. Trotz seines schlechten Zustandes zwang er seinem geschwächten Körper noch einmal seinen Willen auf, ergriff das Messer des Kiowa-Häuptlings, welches ich zu seiner Verteidigung bei ihm liegen gelassen hatte, warf sich dann mit voller Wucht auf Motawateh - und nun begann zwischen den beiden Häuptlingen ein Ringen auf Leben und Tod! Unverletzt wäre es für meinen Freund natürlich ein Leichtes gewesen, den Schurken innerhalb kürzester Zeit zu überwinden, so aber brachte er sich in höchste Lebensgefahr, denn eigentlich war ihm der Kerl im Moment verständlicherweise weit überlegen. Zu seinem Glück griff Thomson nicht in das Geschehen ein. Dieser sah offenbar keine Möglichkeit mehr, sich von seinen Handfesseln zu befreien, also suchte er lieber sein Heil in der Flucht und rannte, so schnell er konnte, aus dem Zelt, wahrscheinlich um sich ein Pferd zu suchen und seine Chancen damit deutlich zu erhöhen. Erst durch diese Flucht wurde mir bewusst, dass irgend etwas nicht stimmte. Ich blickte zu unserem Zelt herüber und sah zu meinem Entsetzen Winnetou unter Motawateh liegen, der meinem Freund schon das Messer entwunden hatte und nun zornig wieder und wieder versuchte, ihm die Klinge in den Leib zu stoßen. Gerade wollte ich Winnetou zu Hilfe eilen, der alle Mühe hatte, Motawateh vom tödlichen Stich abzuhalten, doch im gleichen Moment konnte ich erkennen, dass meinen Freund eine solche Wut über den verbrecherischen Häuptling erfasst hatte, dass er dadurch in der Lage war, seine Kraftlosigkeit einmal mehr zu überwinden und nun damit begann, seinerseits auf den Kiowa einzudringen. Aber wie lange würde er das noch durchhalten? Ich saß in der Zwickmühle: Sollte ich ihm zu Hilfe kommen oder doch lieber Thomson verfolgen, den ich unbedingt in meine Gewalt bekommen wollte, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen und dadurch gleichzeitig Winnetou endgültig vor ihm zu schützen? Natürlich entschied ich mich für meinen Freund; ich konnte nun wirklich froh sein, wenn es mir noch gelang, ihn lebend nach Hause zu bringen, da durfte ich jetzt auf keinen Fall auch nur das geringste Risiko eingehen. Leider hatte ich einen Moment zu lange gezögert. Motawateh war es abermals gelungen, Winnetou zu Boden zu drücken; er lag halb auf ihm, sein Gesicht war verzerrt von Hass, er geiferte wie ein Jagdhund, und sein Messer senkte sich langsam, aber sicher in Richtung des Halses meines Freundes. Dieser hielt das Handgelenk seines Todfeindes umklammert und bemühte sich nach Kräften, die drohende Gefahr abzuwenden, aber seine große körperliche Schwäche machte sich jetzt mit aller Deutlichkeit bemerkbar. Er würde diesen Kampf nicht gewinnen können, das war von meinem Standpunkt aus zu meinem Schrecken klar zu erkennen. In höchster Eile sprang ich den beiden entgegen, doch die Messerspitze Motawatehs hatte den Hals meines Blutsbruders schon erreicht; ich würde unweigerlich zu spät kommen! Der Kiowa stieß ein siegessicheres Lachen aus und machte sich bereit für den letzten tödlichen Stoß. Ich schrie auf vor Panik und Angst, erhöhte meine Geschwindigkeit nochmals, und dann, plötzlich, begann der Körper des Kiowa-Häuptlings zu zucken, bäumte sich kurz auf, sein Gesicht drehte sich dabei etwas in meine Richtung, die Augen waren erfüllt von irrem Hass - aber da war noch etwas anderes zu sehen: Todesangst, nein, die Gewissheit des Todes... Ein Blutstrom quoll aus seinem Mund, das Messer fiel ihm aus der Hand und dann brach der Körper der mörderischen Rothaut leblos über meinen Freund zusammen. Doch auch Winnetou bewegte sich nicht mehr, beide Indianerhäuptlinge lagen da wie tot. Winnetou!? Das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Mit einem wahren Hechtsprung war ich jetzt an seiner Seite angelangt, packte Motawatehs Körper an Hüfte und Schulter und warf ihn einfach beiseite. Winnetou lag mit geschlossenen Augen regungslos da, und gerade wollte ich ihn in meiner blanken Panik schütteln, um ihn irgendwie wieder zum Leben zu erwecken, da bemerkte ich seine unregelmäßigen, krampfhaften Atemzüge, und ich weiß nicht, ob ich jemals solch eine Erleichterung verspürt hatte wie jetzt, in diesem Augenblick. Und nun sah ich auch das kleine Taschenmesser – mein Taschenmesser – in seiner Hand, das Motawateh nach dem Durchschneiden von Thomsons Fußfesseln aufgrund Winnetous unerwarteten Angriffs einfach fallen gelassen hatte und welches meinem Freund während des Kampfes wohl zufällig in die Hände geraten war - er hatte damit im buchstäblich letzten Moment das Herz Motawatehs durchstoßen. Einer von Winnetous ärgsten Widersachern war nun von ihm getötet worden, aber dieser Kampf hatte den Apatschen alles an Energie gekostet, was noch in ihm war. Jetzt hatte mein Freund tatsächlich das Bewusstsein verloren, und dadurch verschlechterte sich unsere Situation natürlich um ein Vielfaches. Thomson war frei, und wir mussten damit rechnen, dass er uns hinterrücks wieder angreifen und sich an uns rächen würde – außerdem war da ja noch das Gold, und die Gier danach würde ihn wohl nicht eher loslassen, bis er es sein Eigen nennen konnte! Zudem stellte sich die Frage, ob mein Freund in seinem desolaten Zustand überhaupt noch transportfähig war. Wenn, dann würde es ein ganz langsamer und vorsichtiger Ritt werden, wodurch unseren Feinden natürlich alle Möglichkeiten gegeben wurden, unsere Verfolgung aufzunehmen - denn das Thomson die Kiowas befreien würde, sobald er die Gefahr durch uns gebannt sah, war so gut wie sicher! Verzweifelt kniete ich mich an die Seite meines Blutsbruders und ergriff seine Hände. Wie sollte es jetzt nur weitergehen? Kapitel 23: Flucht voller Strapazen ----------------------------------- „Winnetou!“ Heiser, fast schon flüsternd kam mir der Name meines geliebten Freundes über die Lippen, während meine Hände unstet über seinen Oberkörper glitten, unschlüssig, wie ihm jetzt wohl am besten zu helfen war. Der Apatsche reagierte nicht auf meine leisen Zurufe – natürlich nicht, denn dieser Kampf eben hatte ihm einfach alles abgefordert, und nun war er in eine fast schon gnädige Bewusstlosigkeit abgeglitten. Waren vorhin schon Puls und Herzschlag viel zu langsam und kaum spürbar gewesen, so hatte ich jetzt richtig Mühe, überhaupt irgend etwas zu ertasten. Ich bekam es daher nun wirklich mit der Angst zu tun – Angst, dass sein Kreislauf diesen furchtbaren Strapazen gar nicht mehr gewachsen sein würde; dass sein Herz einfach aufhören würde zu schlagen. In diesem Moment tauchte Emery an meiner Seite auf, der, während er die Kiowa-Pferde auseinandertrieb, die Kampfgeräusche und meinen panischen Schrei aus der Ferne mitbekommen und natürlich sofort den Rückweg angetreten hatte, um uns zu Hilfe zu eilen. Zu Tode erschreckt sah er jetzt auf Winnetou herab, wandte sich dann mir zu und begann, beinahe stammelnd vor Aufregung und mit zittriger Stimme, Fragen nach dem eben Geschehenen zu stellen. Aber sämtliche Erklärungen mussten bis später warten; jetzt hatten wir uns erst einmal um wichtigere Dinge zu kümmern. Ich unterbrach also den Engländer hastig und trug ihm auf, sofort nach Sam Hawkens zu sehen, der immer noch besinnungslos am Boden lag. Emery tat wie ihm geheißen, beugte sich schnell zu Sam hinunter, untersuchte ihn kurz, holte sich dann einen Krug Wasser von dem improvisierten „Buffet“, welches uns die Kiowas netterweise dagelassen hatten, und goss dessen Inhalt kurzerhand über dem Kopf des kleinen Westmannes aus. Die Wirkung trat augenblicklich ein: Sam stieß ein überraschtes Keuchen aus, prustete und nieste einige Male, dann setzte er sich mühsam auf und sah sich äußerst verwirrt im Zelt um, wobei er sich leise stöhnend den offenbar schmerzenden Kopf hielt. Dabei murmelte er vor sich hin: „Brrrr – hat mich eine Lokomotive gerammt, oder … wie ist mir nur geschehen? Wo ist denn....Moment mal! Wo ist Motawateh? Mir ist, als ob er mich niedergeschlagen hat...Aber wie....? Ja, ist das denn die Möglichkeit?!“ Als Sam in diesem Augenblick die beiden bewegungslos am Boden liegenden Häuptlinge entdeckte, der eine tot, der andere ohne Bewusstsein, sprang er sofort auf - ohne Rücksicht auf seinen nicht gerade taufrischen Zustand - und eilte auf uns zu. Dabei aber verhedderte er sich in der Eile mit seinen kurzen Beinchen, geriet ins Stolpern und konnte nur mühsam verhindern, der Länge nach wieder hinzuschlagen. Doch Sekunden später kniete er schon an unserer Seite, ergriff Winnetous Hand, sah ihm ängstlich ins Gesicht und fragte mich stockend und im drängenden Ton: „Was ist denn nur geschehen? Es ist meine Schuld, nicht wahr? Hätte ich nur richtig....“ „Nein, Sam, es ist gut!“, unterbrach ich ihn schnell, doch der kleine Mann redete einfach weiter. „Hat der Kerl mich tatsächlich überwältigt?“ fragte er recht kleinlaut. „Das gibt es doch gar nicht! Schlägt so ein dahergelaufener Indsman einfach den berühmten Sam Hawkens nieder! Und dabei war er sogar noch gefesselt, wenn ich mich nicht irre! Oder etwa nicht? Hatte er sich vielleicht hinter meinem Rücken befreien können? Wie zum Teufel konnte ich denn nur so meine Pflichten vernachlässigen??“ Sam bot nun echt ein Bild der Verzweiflung; er fuhr sich immer wieder mit fahrigen Bewegungen durch seine Haare, besser gesagt, durch seine Perücke, die sich dadurch auch prompt von seinem Haupt löste und zu Boden fiel. Daher bemühte ich mich jetzt auch schnell, ihn irgendwie wieder zu beruhigen: „Euch trifft wirklich keine Schuld, lieber Sam, also unterlasst bitte Eure Selbstvorwürfe! Hier haben wir alle Fehler gemacht: Wir haben unter anderem mein kleines Taschenmesser unbeachtet liegen gelassen, welches sich wohl Motawateh ergriff, während wir alle unser Augenmerk auf die Kiowas vor dem Zelt gerichtet hatten. Ich glaubte zwar, kurz zuvor eine ungewöhnliche Bewegung des Häuptlings bemerkt zu haben, gleichzeitig aber versäumte ich, ihn daraufhin nochmals zu kontrollieren, sonst hätte ich die drohende Gefahr wahrscheinlich noch abwenden können. Wenn also....“ Jetzt wurde ich meinerseits von Emery unterbrochen, der nun doch sehr energisch auf seine vermeintliche Mitschuld hinwies: „Charley, das Messer geht eindeutig auf meine Kappe! Ich hatte es schließlich zuletzt in der Hand, und ich hätte es einfach einstecken müssen, aber...“ „So, Schluss jetzt!“, beendete ich diese wirklich unnütze Diskussion. „Was geschehen ist, ist geschehen – wir können es nicht mehr ändern. Viel wichtiger ist es doch, so schnell wie möglich hier zu verschwinden! Thomson ist verschwunden, und ich befürchte...“ Wieder wurde ich unterbrochen, diesmal von Sam: „Wie bitte? Habe ich mich verhört? Dieser Teufel in Menschengestalt ist tatsächlich weg? Geflohen? Und wieso seid Ihr denn nicht sofort hinterher, verehrtes Greenhorn?“ Dabei sah mich mein ehemaliger Lehrer mit einem fast schon bitterbösen Gesichtsausdruck anklagend an. Stumm wies ich auf Winnetou, und Sam wurde sofort wieder kleinlaut: „Hm.... richtig, unser roter Freund hier ist natürlich viel wichtiger als dieses Ekel, wenn ich mich nicht irre. Aber sollten wir dann nicht wenigstens jetzt die Verfolgung aufnehmen? Diese Kreatur werden wir noch erwischen, ganz bestimmt, wenn ich mich nicht irre!“ „Nein, Sam, das werden wir nicht. Der Kerl ist in den Wald gelaufen, und in dieser Dunkelheit haben wir keine Chance, ihn dort zu finden. Im Gegenteil, viel wahrscheinlicher ist doch, dass er uns hinterrücks auflauert und schlimmstenfalls auslöscht, ohne sich dabei selbst in Gefahr bringen zu müssen! Übrigens - da fällt mir gerade etwas sehr Wichtiges ein: Seht doch einmal bitte schnell nach, ob irgendeine unserer Waffen fehlt - nicht, dass der Schurke, trotz seiner Eile, noch die Möglichkeit gehabt hatte, irgendetwas davon mitgehen zu lassen!" Die beiden kamen meiner Aufforderung sofort nach, doch wenig später konnten wir äußerst erleichtert feststellen, dass weder unsere Schusswaffen, noch Messer oder auch nur Winnetous Thomahawk , welches er bei dem Überfall nicht mehr vor den Kiowas verstecken konnte, fehlten - Gott sei dank! Sam drängte mich daraufhin ein weiteres Mal, Thomson doch noch verfolgen zu dürfen, während wir anderen hier bei Winnetou bleiben sollten, aber ich konnte ihm diesen Gedanken zum Glück schnell wieder ausreden mit der Bemerkung: "Wir würden nur Zeit verlieren, Sam, Zeit, die Winnetou vielleicht gar nicht mehr hat. Er braucht dringend einen Arzt!“ Abermals warf der kleine Mann einen Blick auf meinen Freund, und in seinem Gesicht zeichnete sich nun deutlich seine große Sorge um den Apatschen ab. „Natürlich, Ihr habt wie immer recht, mein geliebter Sir, auch wenn Ihr trotzdem ein für allemal ein Greenhorn bleiben werdet, wenn ich mich nicht irre! Aber - wie sollen wir unseren Freund jetzt nur den weiten Weg bis zur Festung transportieren? Und das auch noch durch solch unwegsames Gelände? Es wird wahrscheinlich das Beste sein, wir bauen eine Trage und....“ „Auch dafür bleibt keine Zeit!“, entgegnete ich knapp. „Wir müssen befürchten, dass Thomson innerhalb kürzester Zeit zurückkehren wird, um sich zu rächen! Seine Gier nach dem Gold Winnetous ist wahrscheinlich größer als seine Angst vor uns – wir müssen hier also schnellstmöglich verschwinden! Ich kann deshalb nur hoffen, dass Winnetou diese weiteren Strapazen irgendwie überstehen wird...“ Für einen Moment schwiegen wir alle bedrückt, doch dann sprang Emery auf, holte nochmals einen Krug mit Wasser, riss dem toten Motawateh kurzerhand ein Stück Leder aus dessen Hemd, tunkte es in das Wasser und begann damit, Stirn und Nacken meines Freundes zu benetzen und zu kühlen. Er hatte recht. Es würde unsere Flucht natürlich wesentlich vereinfachen, wenn Winnetou wieder bei Bewusstsein wäre, und somit versuchte ich nun meinerseits, ihm einige Schlucke Wasser einzuflößen, auch wenn es nur ein hilfloser Versuch war, seinen schlechten Zustand irgendwie zum Besseren zu wenden. Leider hatte uns das Glück in dieser Hinsicht wieder verlassen, denn all unsere Bemühungen verliefen völlig erfolglos. Der Körper des Apatschen war einfach zu sehr geschwächt durch die vielen, wenn auch meist nicht sehr tiefen Verletzungen, durch den daraus entstandenen steten Blutverlust und nicht zuletzt natürlich durch den äußerst kraftraubenden Kampf mit Motawateh. Vielleicht aber war dieser Zustand der tiefen Bewusstlosigkeit für meinen Freund im Augenblick sogar das Beste, was ihm passieren konnte, denn jede weitere, auch noch so geringe Anstrengung, würde ihm jetzt vielleicht das Leben kosten. Aber – wir hatten einfach keine Wahl. Wir mussten weiter! Nicht unbedingt wegen Thomson, dieser war im Augenblick unbewaffnet, konnte also nicht aus dem Hinterhalt auf uns schießen. Auch nicht wegen der Kiowas, die gefesselt am Boden lagen und uns selbst dann nicht angreifen konnten – zumindest nicht sofort -, wenn sie von Thomson heimlich befreit werden würden, da wir ihre Schusswaffen ja zerstört hatten. Aber: Mit jeder Stunde, die wir weiter hier blieben, um Winnetou die Gelegenheit zu geben, wieder etwas zu Kräften zu kommen, erhöhte sich die Gefahr, dass Thomson irgendwie doch noch eine Möglichkeit fand, ein vielleicht vergessenes Gewehr in seine Hände zu bekommen, oder auch nur ein Messer oder eine andere gefährliche Waffe. Wir konnten die gefangenen Indianer doch nicht tagelang ununterbrochen bewachen und gleichzeitig mit Nahrung und Wasser versorgen, so dass es dem ehemaligen Unteranführer der Geier von Stunde zu Stunde leichter fallen würde, die Kiowas irgendwann im Schutz der Dunkelheit zu befreien und zusätzlich zumindest mit Stichwaffen zu versorgen. Und würden wir uns dann im Falle eines Angriffes gegen diese Übermacht ausreichend verteidigen und gleichzeitig Winnetou schützen können? Vorerst vielleicht, aber auf Dauer? Nein, es half nichts, wir mussten vor allem an meinen Freund denken und ihn schnellstens in Sicherheit bringen, und diese würde nur in Firehands „Festung“ vollständig gewährleistet sein. Ich flößte meinem Geliebten während dieser Gedankenspiele vorsichtig den letzten Schluck Wasser ein und hielt ihn anschließend noch ein paar Sekunden lang fest umschlungen in meinen Armen, wobei er regungslos in meinem Schoß lag. Emery und Sam hatten sich aus Rücksicht auf diesen innigen Augenblick taktvoll zurückgezogen; sie wussten ja, wie sehr mein Herz an dem Apatschen hing, auch ohne dass ihnen das wahre Ausmaß unserer Liebe zueinander bekannt war. Sam kontrollierte jetzt noch einmal die Fesseln der Kiowas, während der Engländer unsere restlichen Habseligkeiten in den Satteltaschen verstaute, da ich ja vorhin bei dieser Tätigkeit von dem fliehenden Thomson unterbrochen worden war. Als all das erledigt und die Zeit zum Aufbruch unweigerlich gekommen war, hob ich Winnetou behutsam vom Boden hoch und trug ihn hinüber zu den Pferden. Dort übergab ich ihn an Emery, während ich mich selbst auf den Rücken Hatatitlas schwang. So vorsichtig wie möglich hievten wir nun den Bewusstlosen zu dritt zu mir hoch und sorgten dafür, dass er vor mir im Sattel zu sitzen kam. Somit konnte ich ihn während des Ritts fest in meinen Armen halten, denn die Zügel musste ich nicht unbedingt nutzen; Hatatitla gehorchte mir nur durch meinen Schenkeldruck ebenso gut. Auf diese Weise konnte ich dafür sorgen, dass der Transport meines Freundes durch das unwegsame Gelände bis zur Festung so schonend wie möglich gelang. Natürlich hatte mein Hatatitla dadurch eine doppelt schwere Last zu tragen, doch wir würden sowieso nur recht langsam reiten können, um zu vermeiden, dass Winnetous Wunden wieder aufbrachen; einen weiteren Blutverlust konnte sein Körper wahrscheinlich nicht mehr verkraften. Außerdem bestand für mich auch die Möglichkeit, zwischendurch mit ihm auf seinen Iltschi zu wechseln, so dass nicht die Gefahr bestand, dass mein Rappe zu sehr überanstrengt wurde. Jetzt saßen auch die beiden Gefährten auf, und dann konnten wir endlich diesen so überaus „gastlichen“ Ort verlassen, der uns beinahe den Tod gebracht und Winnetou solch entsetzliche Qualen beschert hatte. Mir graute fast schon davor, auch nur einen Blick zurückzuwerfen, und ich war mir sicher, dass die furchtbaren Stunden, die wir hier durchleben mussten, mir für immer in Erinnerung bleiben würden. Übrigens plagte uns keinerlei schlechtes Gewissen wegen der Rothäute, die wir bewegungsunfähig, weil gebunden, zurückließen. Wir waren überzeugt davon, dass Thomson in Kürze zurückkehren und seine „Freunde“ dann auch befreien würde, allein deshalb, um eine Unterstützung bei der Jagd auf das Gold Winnetous zu gewinnen. Aber ob die Kiowas dazu noch bereit waren, nachdem ihr Häuptling Motawateh den Tod gefunden hatte? Ich hatte eher den Eindruck gewonnen, dass es vor allem nur diesem sowie Thomson um das Gold gegangen war, die anderen Indianer hatten wohl eher den Marterungen und dem Tod solch berühmter Personen wie Winnetou, Sam Hawkens und mir entgegengestrebt, um dadurch selbst zu großer Berühmtheit zu gelangen. Aber all das interessierte mich im Augenblick nicht im geringsten. Meine ganze Sorge galt allein Winnetou, der immer noch wie leblos in meinen Armen hing. Ihn zu halten, ihn so zu halten, dass ihm während des Ritts kein weiterer Schaden zugefügt wurde und seine Wunden nicht wieder anfingen zu bluten, würde bei weitem keine leichte Aufgabe werden, aber ich war jetzt erst einmal einfach nur froh, dass ich ihn lebend aus dieser Hölle herausgebracht hatte. Die Nacht neigte sich langsam dem Ende zu, als wir die Senke verließen, in der unsere Peiniger ihr Lager aufgeschlagen hatten, und das kam uns sehr gelegen. Da der Weg uns in Kürze durch bergiges Gelände führen würde, war das diffuse Licht des aufkommenden Morgengrauens für uns natürlich eine große Hilfe. Sam ritt voraus und Emery machte den Abschluss. Während ich auf niemand anderen als auf meinen verwundeten Freund achtete, suchten meine Gefährten mit ihren Blicken ständig die ganze Umgebung ab, um eventuelle Verfolger so früh wie möglich zu entdecken. Zusätzlich bemühten wir uns nach Kräften, von uns hinterlassene Spuren zu verwischen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. So ritten wir, wenn irgend möglich, durch kleine Wasserläufe hindurch oder wählten den Weg zwischen den felsigen Hügeln so aus, dass die Pferde fast nur über glatten Steinboden liefen, auf dem so gut wie keine Hufabdrücke entstehen konnten. Unser Weg führte uns aber zuerst zu unserem nächtlichen Lagerplatz, an dem wir in der letzten Nacht eine so böse Überraschung erlebt hatten. Winnetou hatte ja hier seine Waffen versteckt, und ohne diese und vor allem der kostbaren Silberbüchse würden wir auf keinen Fall die Flucht fortsetzen. Wer wusste schon, ob wir später noch einmal dazu Gelegenheit bekamen! Außerdem schadete jeder weiterer Tag dem kostbaren Gewehr mehr, an dem es ohne Schutz in dem Erdreich vergraben lag. Und letztendlich bestand ja immer noch die Gefahr, dass die Kiowas, sobald sie frei waren, nochmals danach suchen und vielleicht die Waffe sogar finden könnten - und diesen Verlust würde mein Blutsbruder nur schwerlich verkraften! Winnetou hatte uns nur ganz grob geschildert, wo genau das Gewehr lag, und jetzt konnte er uns das Versteck aufgrund seiner Ohnmacht natürlich nicht mehr mitteilen. Doch ich kannte ihn so gut wie niemand sonst, und da ich aufgrund seiner Erzählungen wusste, wo er sich zum Zeitpunkt des Überfalles ungefähr aufgehalten hatte, konnte ich, als ich den Platz erreichte, recht bald die Stelle finden, an der er die Sachen vergraben hatte - genau den gleichen Ort hätte ich in dieser brenzligen Situation und in der Eile, die geboten war, auch gewählt. Erleichtert nahm ich die so überaus wichtigen Gegenstände an mich, und so schnell wie möglich setzten wir jetzt unsere Flucht fort. Nachdem wir auf die vorhin geschilderte Weise die ersten größeren Hügel hinter uns gebracht hatten, ohne dass auch nur die geringsten Anzeichen von feindlichen Wesen zu sehen waren, ließ Sam Hawkens irgendwann an einem kleinen, in einem Wäldchen gelegenen Wasserlauf anhalten und wandte sich mir zu: „Wir sollten das Risiko eingehen und hier eine kurze Rast halten, um Winnetous Wunden zu kühlen, wenn ich mich nicht irre! Oder was meint Ihr, verehrtes Greenhorn?“ „Da habt Ihr natürlich vollkommen recht, Sam“, bestätigte ich. „Es muss alles getan werden, um ihm zu helfen, den Weg bis zur Festung irgendwie durchzustehen; außerdem denke ich, dass unser Vorsprung wohl noch recht groß sein wird!“ In diesem Augenblick tauchte Emery zwischen den Bäumen auf, der sich ein kurzes Stück des Weges hinter uns befunden hatte, um so eventuelle Verfolger eher entdecken zu können. Auch er war sofort mit einem kurzen Aufenthalt hier einverstanden, deshalb hob er nun gemeinsam mit Sam den Apatschen äußerst vorsichtig vom Pferd herunter und legte ihn behutsam in das weiche Gras am Ufer des kleinen Baches. Sofort sprang auch ich von dem Rücken meines braven Hatatitla und lobte ihn erst einmal ausgiebig für seine Treue – man hatte dem Rappen während des jetzt über drei Stunden andauernden Ritts nicht einmal angemerkt, dass er doppelte Last zu tragen gehabt hatte! Dann aber begab ich mich schnell wieder an die Seite meines Freundes, der soeben von Emery kurz untersucht worden war, bevor er begonnen hatte, die Verbände zu wechseln und die vielen Verletzungen mit Wasser zu kühlen. Ich unterstützte ihn sofort bei seinen Bemühungen, versäumte aber nicht, meinem Blutsbruder immer wieder mal sanft über seine Wangen zu streichen und ihm liebevolle, aufmunternde Worte zuzuflüstern, auch wenn er mich gar nicht hören konnte. Deutlich war zu spüren, dass das hohe Fieber seinen geschwächten Körper weiterhin fest im Griff hatte, und Sam versuchte nun, ihm etwas Linderung zu verschaffen, indem er dem Apatschen kühle, feuchte Tücher auf die Stirn und in den Nacken legte. Als dieser wieder einmal von einem Fieberkrampf förmlich geschüttelt wurde, zog ich meinen Freund vorsichtig in meine Arme und versuchte, ihm in irgendeiner Form möglichst viel Wärme zu spenden, um seinen Schüttelfrost einzudämmen. Sam, der des Öfteren nach dem Puls des Bewusstlosen getastet hatte, schüttelte jetzt hilflos den Kopf. „Wir allein sind einfach nicht in der Lage, ihm in ausreichender Weise die Hilfe zu ermöglichen, die er jetzt so dringend benötigt, wenn ich mich nicht irre“, resümierte er niedergeschlagen. Ich nickte nur, konnte ich doch deutlich sehen, dass Winnetous Zustand weit davon entfernt war, sich zu bessern. Wir konnten nicht mehr für ihn tun als das Wenige, was wir bisher getan hatten, und im Augenblick war es am besten, ihm ein wenig Ruhe zu gönnen, denn dieser Ritt bedeutete größte Strapazen für meinen Blutsbruder. Eine Weile saßen wir schweigend und bedrückt nebeneinander, während ich meinen Freund weiterhin eng bei mir in meinen Armen hielt. Natürlich, wir sollten eigentlich froh sein, dass wir den neuen Tag überhaupt als freie Männer begrüßen durften – und doch, dieser Umstand konnte uns im Moment gar nicht erfreuen, denn gerade dem Mann, dem wir vor allem unsere Freiheit zu verdanken hatten, ging es im Augenblick so schlecht, dass wir wirklich um sein Leben fürchten mussten, und das drückte unsere Stimmung natürlich besonders nieder. Nach einer Weile hob Sam mit entschlossener Miene den Kopf und sah mich an. „Verehrtes Greenhorn – ich habe soeben meine kleinen grauen Gehirnzellen angestrengt und siehe da: Es ist tatsächlich ein guter Gedanke dort entsprungen, wenn ich mich nicht irre, und den möchte ich Euch gerne einmal vorstellen!“ „Na, dann lasst ihn doch einfach heraus, lieber Sam!“, gab ich zurück, neugierig, was jetzt wohl kam. Sam musterte den bewusstlosen Apatschen in meinen Armen nochmals sehr besorgt und kratzte sich dann heftig den Kopf, bis seine Perücke wieder einmal verrutschte, bevor er weitersprach: „Es ist doch unschwer zu erkennen, dass es unserem roten Freund hier offenbar alles andere als gut geht; und selbst wenn wir die Festung schnell und vor allem unbehelligt erreichen sollten, ist ihm dadurch wohl auch noch nicht viel geholfen. Er benötigt nun mal dringend ärztliche Hilfe, und wie wir ja wissen, befindet sich der beste Arzt, den wir kennen, im Augenblick in Farmington. Was haltet Ihr also davon, wenn sich unsere Wege hier trennen und ich mich sofort in die Stadt aufmache, um Dr. Hendrick schnellstmöglich zur Festung zu bringen? Wie Ihr wisst, kenne ich den Weg dorthin in- und auswendig, wenn ich mich nicht irre, während unser Engländer hier diese bezaubernde Gegend wohl noch nicht so oft in seinem Leben durchwandern durfte - hihihi – außerdem ist er deutlich besser als ich dazu geeignet, eventuelle Feinde in alle Himmelsrichtungen zu pusten, wenn nötig, auch nur allein durch seine Körperkraft!“ „Sam – das ist eine hervorragende Idee!“, rief ich erfreut, und auch Emery zeigte sich fast schon begeistert, denn er hieb mit der geballten Faust in die Erde und erklärte: „Natürlich! Mensch, Sam, dass wir darauf nicht selbst gekommen sind! Das hätten wir schon von Anfang an tun sollen, denn umso schneller Walter unseren Winnetou behandeln kann, umso höher werden doch dessen Chancen, wieder gesund zu werden!“ „Ja, Verehrtester, da könnt Ihr doch mal sehen: von mir kann man immer noch etwas lernen, wenn ich mich nicht irre!“, freute sich der kauzige Westmann über die Zustimmung für seinen Vorschlag. „Vor allem unser Greenhorn hier sollte sich an mir des Öfteren mal ein Beispiel nehmen, dann könnte er auch einmal mit sinnvollen Vorschlägen glänzen und müsste sich nicht immer hinter mir verstecken, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Er lachte wieder in seiner eigentümlichen Weise in sich hinein, wurde aber schnell wieder ernst. Noch einmal warf er einen sorgenvollen Blick auf meinen Freund, beugte sich dann vor und küsste ihm die Stirn, bevor er mit einer entschlossenen Bewegung aufstand. „Ich breche am besten sofort auf“, erklärte er uns und ergänzte: „Passt Ihr inzwischen gut auf ihn auf, ja? Bringt ihn sicher in die Festung, und wenn dann auch noch der Doktor da ist, dann wird er wohl hoffentlich gute Chancen haben, zu überleben!“ „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, Sam – aber seid auch Ihr vorsichtig, hört Ihr? Ihr seid ganz allein auf Euch gestellt, und das in einer Gegend, wo sich durchaus einige Kiowas herumtreiben könnten, nicht zu vergessen den flüchtigen Thomson! Ihr begebt Euch in große Gefahr, und ich bitte Euch inständig, gut auf Euch aufzupassen!“ „Da macht Euch mal keine unnützen Sorgen, geliebter Sir! Da es sich nicht nur um meines, sondern vor allem um das Leben Winnetous handelt, werde ich auf eine Weise durch diese Gegend schleichen, als wenn ich völlig unsichtbar wäre, das könnt Ihr mir getrost glauben, wenn ich mich nicht irre!“ Mit diesen Worten schwang er sich auf den Rücken seiner Mary, welche während unserer Rast genügend Zeit gehabt hatte, ordentlich zu fressen und zu saufen. Sam nickte uns noch einmal grüßend zu und verschwand dann zwischen den Bäumen. Uns blieb nur zu hoffen, dass er den Weg unbehelligt und vor allem unbeschadet überstehen würde. Ich wandte mich wieder meinem geliebten Freund zu, der weiterhin flach atmend in meinem Schoß lag. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, die Rast zu beenden und unseren Weg fortzusetzen, aber irgendwie brachte ich es nicht übers Herz, Winnetou aus seiner doch recht schonenden Position wieder herauszureißen und den neuerlichen Strapazen auszusetzen. Emery war noch einmal zu dem Bachlauf gehuscht und hatte unsere Tücher ein weiteres Mal befeuchtet, die er jetzt dem Apatschen wieder auf die Stirn und in den Nacken legte. Gedankenverloren streichelte ich meinem Freund leise über die Wangen, während mein Geist in die vergangenen Wochen und Monate abschweifte und in der Erinnerung an die schönen Stunden verweilte, die ich mit ihm bisher erleben durfte. Ich hoffte so sehr, dass uns noch viele, viele weitere erfüllende Tage, Monate und Jahre vergönnt sein würden! Noch während ich in teils wunderschönen Erinnerungen schwelgte, bemerkte ich mit einem Mal eine Bewegung in meinen Armen. Winnetou! Er drehte seinen Kopf langsam erst zur einen, dann zur anderen Seite, seine Lider flatterten, und nun öffnete er tatsächlich die Augen! Sein Blick war noch verschwommen, als er in den Himme sahl, dann aber schlossen sich seine Lider vor Erschöpfung wieder. Ich ergriff das kühle Tuch auf seiner Stirn und tupfte ihm damit den Schweiß von Stirn und Wangen, während ich ihn leise beim Namen rief. Auch Emery neben mir rührte jetzt kein Glied mehr und wartete gespannt auf eine weitere Reaktion meines Freundes. Dieser atmete einige Male tief ein und aus und versuchte dann erneut, die Augen zu öffnen. Er vernahm wohl meine Stimme, denn als ihm sein Versuch gelang, sah er sofort zu mir hoch und schenkte mir gleich darauf ein schwaches, aber doch so wunderschönes Lächeln, dass es mich sofort bis ins Mark traf und mein Innerstes mit einer wohligen Wärme erfüllte. Ich konnte es nicht verhindern; alles in mir drängte sich danach, ihn auf beide Wangen zu küssen und anschließend fest, aber doch äußerst vorsichtig in meine Arme zu ziehen, mein Gesicht dabei in seiner Halsbeuge vergrabend. Es kostete mich eine enorme Willenskraft, den Tränen, dir mir hinter den Augenlidern brannten, keinen freien Lauf zu lassen. Aus Sorge um seine Verletzungen entließ ich Winnetou ein wenig später dann doch aus meiner recht festen Umarmung und sah ihm ins Gesicht, um zu erkunden, wie er sich wohl fühlen mochte. Hatte er starke Schmerzen? Wie schlecht ging es ihm jetzt aufgrund des hohen Fiebers? Doch meinen Freund beschäftigten derweil offenbar ganz andere Gedanken. Sein Blick verfinsterte sich, als er mich leise, fast schon hauchend, fragte: „Scharlih...Was geschah mit Motawateh? Ist er....“ „Er ist tot, mein Bruder!“, beeilte ich mich, ihn zu unterbrechen, denn allein das Sprechen strengte ihn schon deutlich sichtbar an. „Du selbst hast ihn mit meinem Taschenmesser getötet – der Kiowa-Häuptling hat somit seine gerechte Strafe erhalten!“, gab ich ihm weiter Auskunft. „Und Thomson...?“, fragte er weiter. „Wir konnten leider nicht verhindern, dass er während des Kampfes zwischen Motawateh und dir entfliehen konnte“, klärte ich den Apatschen weiter auf. „Und daher haben wir drei durch unsere fehlende Umsicht eine große Schuld, gerade dir gegenüber, auf uns geladen, denn diese Bestie hat dir schon so viel angetan – und es droht auch weiterhin große Gefahr durch ihn! Aber wir werden ihm irgendwann und irgendwo wieder begegnen, da bin ich mir sicher – und dann gnade ihm Gott!“ Wieder strich ich ihm sacht über die Stirn, bevor ich ihn leise fragte: „Mein Bruder – wie geht es dir? Kann ich irgendetwas für dich tun, um dir zumindest ein wenig Linderung zu verschaffen?“ Ein warmherziger Blick traf mich aus seinen wundervollen Sternenaugen, und mit sanfter Stimme, die meine Seele zu streicheln schien, antwortete er ganz leise und zwischendurch immer wieder stockend: „Mein Scharlih.....mein guter Scharlih! Du bist doch bei mir – mehr brauche ich gar nicht! Du bist für mich wie der helle, warme Strahl der Sonne, der durch die Wolken bricht, und ich … ich bin so dankbar dafür!“ Seine Worte rührten mich zutiefst, ergriffen senkte ich mein Haupt und legte meine Stirn an die seinige. Kurz darauf besah er sich seine Umgebung genauer und erkannte, dass wir das Lager der Kiowas mittlerweile verlassen haben mussten. Wieder traf mich sein fragender Blick, doch bevor er zu sprechen beginnen konnte, kam ich ihm schnell zuvor, um zu verhindern, dass er sich noch weiter anstrengte. „Wir sind vor etwas weniger als vier Stunden aufgebrochen, um uns deinem Vorschlag gemäß zur Festung Old Firehands zu begeben. Das ist jetzt wirklich der für uns sicherste Ort, an dem du dann auch in Ruhe genesen können wirst, weil wir dort vor eventuellen Verfolgern sicher sein werden. Und ich hoffe so sehr, dass du bis dorthin irgendwie durchhalten wirst, trotz des beschwerlichen Ritts!“ Meine Mimik musste wohl einiges an Ängsten offenbart haben, denn Winnetou hob nun seine rechte Hand und strich mir damit leicht über die Wange, bevor er leise antwortete: „Mein Bruder darf sich nicht so viel sorgen! Winnetou wird den Weg unbeschadet überstehen, und auch von allen anderen Verletzungen wird bald nichts mehr zu sehen sein. Scharlih, glaube mir: Winnetou wird seinen geliebten Bruder nicht verlassen, er liebt ihn zu sehr!“ Er schloss wieder die Augen, ergriff meine Hände und drückte sie, krallte sich dann aber mit einem Mal richtiggehend an ihnen fest, denn in diesem Augenblick wurde er erneut von einem heftigen Fieberkrampf durchgeschüttelt – es war ein Anblick zum Gotterbarmen! Natürlich, er hatte mir gerade nochmals versichert, dass ich keine Angst um sein Leben haben musste, und ich glaubte ihm das auch, hatte ich doch schon einmal erlebt, dass er mit genau der gleichen präzisen Vorhersage in einer ähnlich ausweglos erscheinenden Situation Recht behalten hatte, aber: Es war so unendlich schwer, ihm diesen strapaziösen Weg weiterhin zuzumuten, ihn so leiden zu sehen und nicht richtig helfen zu können; und doch mussten wir weiter, und zwar schnell, wollten wir nicht Gefahr laufen, von den Verfolgern eingeholt zu werden! Wenn das geschah, würde sich vor allem Winnetous Leid ins Unermessliche steigern, wie uns allen ein äußerst qualvoller Tod bevorstehen würde, und an eine erneute Flucht wäre dann überhaupt nicht mehr zu denken. Ich zog meinen Freund nochmals fest in meine Arme und wartete, bis der Krampf vorüber war. Emery, der sich während unseres Gespräches taktvoll etwas entfernt hatte, trat jetzt wieder an unsere Seite, räusperte sich und sprach mich dann leise an: „Charley – so leid es mir tut, aber wir müssen aufbrechen! Wir werden einen nochmaligen Überfall in dieser Situation nicht mehr abwehren können, und....“ „Ich weiß, mein Freund!“, unterbrach ich ihn seufzend. Winnetou warf mir einen fragenden Blick zu und begann, sich langsam aufzurichten, wobei ich ihn sofort unterstützte. „Ist Sam Hawkens etwas geschehen? Winnetou kann ihn nicht entdecken“, fragte er mich mit aufkommender Bestürzung in der Stimme. „Hab keine Sorge, mein Bruder!“, beruhigte ich ihn sofort. „Sam ist vorhin nach Farmington aufgebrochen, um deine Krieger und vor allem unseren Doktor über die Geschehnisse zu informieren und anschließend zur Festung zu führen. Du benötigst dringendst einen Arzt, und auf diesem Weg geht es am schnellsten!“. „So wollen wir hoffen, dass unser Bruder unbeschadet durchkommt“, murmelte Winnetou leise. Auch ich konnte mich einer gewissen Besorgnis nicht erwehren, doch wir hatten nun mal keine andere Wahl. Der Engländer hatte derweil die Pferde direkt an unsere Seite herangeführt, und ich machte Anstalten, meinen Freund hochzuheben, doch er wehrte mich sofort ab. Schnell versuchte ich ihm zu erklären, dass ich mit ihm zusammen auf seinem Iltschi weiter reiten wolle, um ihn während des Ritts halten und stützen zu können, aber Winnetou war jetzt nun einmal bei Bewusstsein und wollte daher auch partout selbstständig reiten. Emery und ich bemühten uns nach Kräften, ihn von diesem Vorhaben abzubringen – vergeblich! Er ließ sich noch nicht einmal hoch auf sein Pferd helfen, und ich fragte mich zum wiederholten Male, wo um alles in der Welt er nur die Kraft für solcherlei Anstrengungen hernahm? Und nun ging es weiter, fort, nur weiter fort von dem Unglücksort, so schnell und so weit wie möglich. Das Gelände war schwierig: Berg und Tal wechselten einander ab, es ging durch steiniges Terrain, zwischen großen Felsblöcken hindurch, und man musste sich teilweise seinen Weg durch diese Hindernisse erst suchen. Aufgrund des überwiegend felsigen Untergrundes mussten wir uns aber wenigstens nicht mehr um die Spurenvernichtung kümmern – auf den Felsen hinterließen die Hufe keine Abdrücke und es gab auch so gut wie kein Geröll oder auch nur kleine Steinchen, die von den Pferden hätten zertrampelt werden können, so dass eventuelle Verfolger auch hier keinerlei Anhaltspunkte vorfinden würden. Vorhin hatten wir den richtigen Weg nur grob einschätzen können, jetzt aber, wo Winnetou uns führen konnte, ging es auf der kürzesten und sichersten Strecke relativ schnell unserem Ziel entgegen, auch wenn es meist nur im Schritttempo voran ging, um meinen Freund so gut wie möglich zu schonen. Emery und ich hielten unsere Blicke sowieso die meiste Zeit auf den Apatschen gerichtet, denn unsere Sorge um ihn nahm von Stunde zu Stunde zu. Wir konnten es kaum glauben, dass er am späten Nachmittag immer noch aufrecht im Sattel saß, obwohl ihm deutlich anzusehen war, wie sehr er unter den Strapazen, dem Fieber und erst recht den schmerzhaften Verletzungen litt. Natürlich hatten wir zwischendurch, so oft es ging, Halt gemacht, vor allem an jedem Wasserlauf, um seine Wunden zu kühlen und ihn vor allen Dingen zum Trinken zu nötigen, doch ich war mir sicher: jeder andere an seiner Stelle wäre spätestens nach zwei Stunden bewusstlos vom Pferd gefallen. Winnetou aber hielt sich allein nur durch seine ungeheure Willenskraft im Sattel und rang uns dadurch unsere tiefste Bewunderung ab. Jetzt aber ging es schon auf den Abend zu, und ich hielt mich mittlerweile eng an seiner Seite, denn innerhalb der letzten Stunde war klar zu erkennen gewesen, dass die Gestalt meines Freundes mehr und mehr in sich zusammensackte. Da die Gegend mir hier jetzt auch immer bekannter vorkam und ich mir inzwischen relativ sicher war, auch ohne Winnetous Führung und ohne Umwege unser Ziel erreichen zu können, glitt ich kurzerhand vom Rücken meines Hatatitla herunter und schwang mich einen Moment später hinter meinen Blutsbruder wieder in den Sattel. Richtiggehend erschrocken zuckte er zusammen, denn sein Bewusstsein hatte sich schon leicht eingetrübt, so dass er nicht mehr viel um sich herum wahrgenommen hatte. Ohne ein weiteres Wort zog ich ihn fest an mich heran, ergriff Iltschis Zügel, obwohl ich sie eigentlich gar nicht brauchte, und übernahm dann die Führung. Mein Freund machte noch einen schwachen Versuch der Abwehr, musste aber erkennen, dass er kaum die Kraft besaß, sich überhaupt noch irgendwie im Sattel zu halten. Ich spürte, wie er sich mehr und mehr an mich lehnte und mit jeder weiteren Minute mehr die Kontrolle über seinen Körper verlor. Kurz vor Erreichen der Festung hatte er dann auch vollends das Bewusstsein verloren, und ich war heilfroh, dass wir unsere Zufluchtsstätte nun endlich vor Augen hatten. Es war fast nicht zu glauben: Wir hatten es tatsächlich geschafft! Winnetou lebte, wir waren jetzt in Sicherheit, und wenn alles gut lief, wurden wir auch nicht mehr verfolgt, entweder weil man unsere Spuren verloren hatte oder die Kiowas sich geweigert hatten, Thomson zu helfen, uns wieder in seine Hände zu bekommen. Ein paar Minuten später tauchte ein Reiter unmittelbar vor dem Bergmassiv auf, welches die Mauern der Festung in seinem Inneren bildete, und das so plötzlich, als hätte ihn der Berg mit einem Male ausgespuckt. Ich aber wusste, dass sich hinter dem undurchdringlich erscheinenden Vorhang aus Brombeer-Ranken und Efeu-Girlanden, vor der er sich befand, eine Art Tunnel erstreckte, der durch den Berg bis in den Talkessel führte, der die sogenannte „Festung“ bildete. Ich erkannte den Mann sofort, es war Bill Bulcher, einer der Pelzjäger, der zu Old Firehands Jägerschaft gehörte. Als er nahe genug war, dass auch er uns erkennen konnte, jubelte er laut auf vor Freude und machte, dass er an unsere Seite kam. „Mensch, welch eine Freude!“, rief er beinahe strahlend vor Glück. „Wenn Firehand und Surehand Euch zu sehen bekommen! Die beiden hatten schon nach kürzester Zeit größtes Heimweh nach Euch und den Mescaleros und....“ Mitten im Satz erstarrte er, denn jetzt erst hatte er realisiert, dass Winnetou ohnmächtig und schwer verletzt in meinen Armen hing. Vollkommen erschrocken holte Bill erst einmal tief Luft, um dann mit größter Bestürzung zu fragen: „Um Himmels Willen! Was ist denn nur geschehen? Seid Ihr unterwegs feindlichen Rothäuten begegnet? Oder was....“ „Bill, bitte, haltet kurz die Luft an!“, unterbrach ich ihn rasch. „Wie Ihr seht, braucht unser roter Freund hier dringendst Hilfe, alles andere wird sich sicher später klären, einverstanden?“ Er nickte, sein Blick drückte immer noch großen Schrecken aus, dann aber wendete er sein Pferd und bedeutete uns, ihm rasch zu folgen. Kurz darauf, im milden Schein des weichenden Abendlichtes, sahen wir endlich den friedlich daliegenden und wunderschönen Talkessel, die sogenannte Festung, vor uns liegen – noch am frühen Morgen hatten weder Emery noch ich damit gerechnet, dass wir es jemals bis hierhin schaffen könnten, und gerade um meines Winnetous Willen war ich ungemein froh, dass wir uns jetzt in Sicherheit befanden. Leider aber konnte ich unseren guten Freunden, Old Surehand und Old Firehand, die jetzt rasch herbei traten, um uns zu empfangen, den Schock nicht ersparen, den sie bei dem Anblick Winnetous erlitten. Old Surehand stand wie erstarrt, keiner Regung und keines Wortes fähig, Firehand jedoch griff sofort zu und hob meinen Freund mit einer einzigen Bewegung seiner starken Arme, aber doch außerordentlich behutsam, aus dem Sattel. Einen Augenblick lang besah er sich den Apatschen, schüttelte dann ungläubig den Kopf und trug ihn schließlich mit raschen Schritten hinüber zu den in die Bergwand gehauenen Höhlen, die teils als Lager für die Pelze, teils aber auch als Wohnräume für die Bewohner der Festung dienten. Surehand, der sich nun wieder auf seine Aufgaben besann, winkte einen weiteren Jäger herbei, der sich zusammen mit Bill um unsere Pferde kümmern sollte, während er uns bat, ihm zu folgen. Er selber rannte jetzt an Firehand vorbei in eine der Höhlen, um Winnetou rasch ein möglichst bequemes Lager zu bereiten, wie ich beim Eintreten in diesen Wohnraum erkennen konnte. Firehand bettete meinen Freund anschließend so vorsichtig wie möglich in die Felle, und dann begann ein Rennen und Laufen und eine Hektik, dass einem schwindelig zu werden drohte. Während Firehand meinen Freund behutsam entkleidete und die Verbände löste, besorgten andere frisches Wasser, teils warm, teils kalt, wieder andere rannten, um Verbandsmaterial herbeizuschaffen, und zu guter Letzt wurde auch nicht versäumt, Emery und mir soviel Speise und Trank anzubieten, wie zehn Mann nicht hätten verdrücken können. Eigentlich hätte ich auch einen enormen Hunger verspüren müssen, hatte ich doch seit weit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts zu mir genommen, aber die große Sorge um meinen geliebten Freund ließ mich nur das Nötigste essen. Während Surehand und Firehand Winnetou versorgten und seine Wunden neu verbanden, saß ich an seinem Kopfende und hielt seine Hand. Er lag immer noch in tiefer Bewusstlosigkeit, und aufgrund seines außerordentlich schlechten Zustandes war abzusehen, dass sich dieser Umstand auch so schnell nicht ändern würde. Den beiden Westmännern hingegen war anzusehen, dass sie es gar nicht glauben konnten, was sie da vor sich sahen, als sich ihnen eine Verletzung nach der anderen offenbarte und sie erkennen mussten, dass man den Apatschen auf brutalste Weise gefoltert hatte. Kurz darauf, als sie ihre Arbeit beendet hatten, setzten sich die Gefährten mit grimmigen Mienen ebenfalls an Winnetous Seite und sahen uns an, darauf bedacht, sofort eine Erklärung für den fürchterlichen Zustand des Freundes zu bekommen. Also begannen der Engländer und ich abwechselnd zu erzählen, was seit unserer Trennung vor fast drei Wochen alles geschehen war, und das Entsetzen in ihren Blicken wurde von Minute zu Minute deutlicher. Kapitel 24: Nacht und Tag ------------------------- Nachdem wir unseren Bericht beendet hatten, stand Firehand mit einem Male auf, wohl um seinen Gefühlen irgendwie Luft machen zu können, wobei er wie ein wildgewordener Stier in der steinernen Behausung hin und her zu laufen begann - und dann jagte er uns allen einen gehörigen Schrecken ein, als er völlig überraschend seine Faust mit voller Wucht auf das hölzerne Bettgestell krachen ließ, dass es nur so dröhnte. Ich sah ihm ins Gesicht und war mir sicher, ihn noch nie, wirklich noch nie in einem derart aufgewühlten Zustand gesehen zu haben. Er war hochrot im Gesicht, seine Augen blitzten und seine Hände hatte er so fest zu Fäusten geballt, dass ihnen alle Farbe entwichen war; außerdem zitterte er sogar etwas vor mühsam unterdrücktem Zorn. Voller Groll zürnte er: „Thomson! Schon wieder dieser elende Bastard! Gott, wenn ich diesen Dreckskerl erwische, dann.....“ Hier brach er ab, fast schon atemlos vor rasender Wut – es gab wohl keine Strafe für Thomson, die er als gerecht empfunden hätte für das, was dieser unserem Winnetou angetan hatte. Ich konnte ihn so gut verstehen: Er kannte meinen Blutsbruder seit Jahren, seit dieser gerade erst dem Knabenalter entwachsen war; er war auch schon mit Intschu-tschuna befreundet gewesen und hatte uns immer deutlich spüren lassen, wie sehr er Winnetou liebte, ja, eigentlich fast schon verehrte. Auch Surehand wirkte absolut betroffen und nicht minder zornig, denn er empfand gegenüber Winnetou in der gleichen Weise, und auch er war völlig schockiert über dessen Anblick und das ganze schreckliche Ausmaß der Folter, die dieser hatte erdulden müssen. Als ich den Freunden dann auch noch schilderte – und das fiel mir im Nachhinein immer noch sehr, sehr schwer - mit was für einer unglaublichen Selbstbeherrschung Winnetou all diese Qualen über sich hatte ergehen lassen, ohne dass man ihm auch nur die geringste Regung anmerken konnte, da war es Surehand unmöglich zu verhindern, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Absolut fassungslos beugte er sich zu unserem bewusstlosen Freund herunter, strich ihm über die Wangen und flüsterte mit belegter Stimme: „Wir werden dich rächen, mein Freund, und das schwöre ich dir, so wahr ich hier sitze! Dieses Schwein wird auf jeden Fall dafür büßen - jeden einzelnen Tritt, jeden einzelnen Messerstich wird er dir hundertfach bezahlen müssen! Wir erwischen den Bastard, und wenn es das letzte ist, was ich in meinem Leben tun werde!“ Dicke Tropfen liefen ihm bei diesen Worten über das Gesicht. Tief ergriffen verfolgten wir anderen diese anrührende Szene, und ich war mir sicher, dass nicht nur ich, sondern auch Firehand und Emery Surehands Schwur im Geiste wiederholten und wir nicht eher ruhen würden, als bis wir den brutalen Gangster gestellt und angemessen bestraft hatten. Es dauerte eine ganze Weile, bis die beiden Westmänner, vor allem aber Firehand, sich wieder vollständig in ihrer Gewalt hatten; dann aber wurde es höchste Zeit, unser weiteres Vorgehen zu besprechen. Da galt es vor allem herauszufinden, ob es den Feinden nicht doch gelungen war, Emery, Winnetou und mich bis hierher zu verfolgen. Denn sollte das der Fall sein, dann konnten wir ziemlich sicher sein, dass sich unter den Verfolgern auch Thomson befand, und das wäre natürlich durchaus in unserem Sinne gewesen. Wir wollten und wir mussten diesen Verbrecher unbedingt in unsere Hände bekommen, koste es, was es wolle! Sollte sich Thomson wirklich dazu entschlossen haben, Winnetous Gold, trotz der damit für ihn verbundenen Gefahr, wieder zurückzuerobern, dann stellte sich zudem die Frage, wie viele Personen ihm überhaupt für einen Rachefeldzug zur Verfügung standen. Waren es nur die zwanzig Kiowas, die uns gefangen gehalten hatten und die wir schließlich überwältigen konnten? Oder würde der Bastard auf den Hauptteil der Kiowas zurückgreifen, die am San-Juan-River lagerten? Würden ihm diese Krieger auch ohne ihren Häuptling Motawateh folgen? Wahrscheinlich ja, aber nicht unbedingt des Goldes wegen, sondern weil sie viel eher ihren Häuptling zu rächen gedachten. Und wie viele Kiowas befanden sich überhaupt zur Zeit an dem Fluss? Das alles mussten wir irgendwie erfahren, doch das würde nicht leicht werden, aus dem ganz einfachen Grund: Wir waren viel zu wenig Personen! Es bestand zunächst einmal die Gefahr, dass es den Feinden, trotz sorgfältigster Spurenvermeidung unsererseits, wirklich irgendwie gelungen war, uns bis hierher zu folgen. Die Festung selber würden sie dann zwar nicht so schnell entdecken, da der Eingang sehr gut verborgen lag und auch nicht einfach so durch Spurensuche zu finden war, denn das gesamte Bergmassiv war von einer steinernen, ebenen Felsplatte umgeben, auf der keinerlei Hufabdrücke oder Sonstiges zurückbleiben konnten. Zudem war der Eingang so schmal, dass man nur einzeln durch den Tunnel hindurch kommen konnte, darum waren zwei Mann mehr als ausreichend, um ihn zu bewachen – diese brauchten ja nur jeden Eindringling, der aus dem Tunnel heraustrat, niederzuschießen! Allerdings war es schon früher einmal einer großen Anzahl feindlicher Indianer völlig unvermutet gelungen, sich von den steilen Felswänden abzuseilen und die Festung samt Bewohner zu überfallen, da sie wider Erwarten den Berg und seine außergewöhnliche Beschaffenheit gekannt hatten. Daher durften wir diese Möglichkeit keinesfalls ausschließen, was hieß, dass wir auch in der unmittelbaren Umgebung der Festung Wachen aufstellen mussten. Die Pelzjägerschaft Old Firehands bestand aus genau zwanzig Männern, aber die reichten bei weitem nicht aus, um einerseits die Festung zu überwachen und im Ernstfall verteidigen zu können, sich andererseits aber auch auf die Suche nach Thomson zu machen, denn dazu würden wir weit mehr Westmänner benötigen. Wir mussten ja davon ausgehen, dass der Kerl mit mindestens fünfzig Kriegern auftauchen konnte, und daher waren die zwanzig Jäger allein schon für die Verteidigung des Versteckes notwendig. Woher aber sollten wir Unterstützung bekommen? Natürlich von Winnetous Apatschen, die sich mit den Goldsuchern und dem Doktor zur Zeit in Farmington befanden. Niemand wäre besser für derlei Erkundungsgänge geeignet als die so überaus fähigen Mescaleros. Sollten wir also warten, bis Sam Hawkens, der ja unterwegs war, um so schnell wie möglich den Doktor zu holen, wieder mit dem Rest der Gesellschaft hier auftauchte? Und wie lange würde das dauern? Wir hatten vor Sams Aufbruch kurz besprochen, dass er nicht nur mit Walter Hendrick die Festung aufsuchen, sondern natürlich auch die Apatschen und die Goldsucher mitführen sollte. Familie Butterfield war unserer Meinung nach hier mitsamt ihrem neuen Reichtum sowieso am sichersten aufgehoben, und zudem war ja ganz klar abzusehen, dass die Genesung Winnetous eine längere Zeit in Anspruch nehmen musste. So, wie ich seine treuen Apatschen einschätzte, würden diese, sobald sie von den schrecklichen Geschehnissen erfahren hatten, natürlich alles daran setzen, so schnell wie möglich an die Seite ihres geliebten Häuptlings zu eilen und dort auch so lange zu bleiben, bis er sich wieder sicher im Pueblo der Mescaleros befinden würde. Es wurde also beschlossen, erst einmal auf die Ankunft unserer Reisegruppe zu warten, wobei wir natürlich alle inständig hofften, dass es Sam Hawkens gelingen würde, sich unbehelligt bis Farmington durchzuschlagen. Selbst wenn er die Nacht durchreiten sollte – und ich war mir sicher, er würde das tun, alleine aus Sorge um das Leben Winnetous – würde er nicht eher als morgen Mittag die Stadt erreichen. Es hatte auch keinen Sinn, ihm ein oder zwei Männer nachzusenden, um ihn im Falle eines Angriffes zu unterstützen, denn es war kaum möglich, richtig einzuschätzen, wo genau der kleine Westmann sich zur Zeit befand. Von Farmington aus bis hierher hatte man nochmals mindestens acht Stunden zu reiten, so dass wir frühestens morgen Abend nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Eintreffen der Gefährten rechnen konnten. Sollte das allerdings bis übermorgen früh nicht geschehen sein, so mussten wir davon ausgehen, dass Sam unterwegs etwas zugestoßen war. An einen derart ungünstigen Fall wollte ich aber lieber gar nicht denken, denn das hätte ja zu bedeuten, dass es noch einen weiteren Tag dauern würde, bis jemand von uns den Doktor herbringen konnte, und ich wollte mir ehrlich gesagt nicht so recht vorstellen, dass Winnetou so lange ohne ärztliche Hilfe durchhalten musste. Zudem würde uns die Sorge um den kauzigen Westmann ebenfalls das Leben sehr schwermachen, und wir würden natürlich nichts unversucht lassen, ihn zu finden und, wenn nötig, auch aus der größten Gefahr zu retten. Im Augenblick aber konnten wir nicht viel unternehmen. Das einzige, was wir aber auf alle Fälle zu tun gedachten, war, ein oder zwei Kundschafter hinauszuschicken, die mit äußerster Vorsicht die Umgebung der Festung ausspähen sollten, um die eventuelle Ankunft unserer Feinde so früh wie möglich zu entdecken. Und vielleicht ergab sich daraus auch die Gelegenheit, Thomson in unsere Hände zu bekommen, sollte er sich tatsächlich in unsere Nähe wagen! Liebend gern hätte ich mich sofort für diese Aufgabe bereit erklärt, denn die Ergreifung dieses Bastards, um ihn für das, was er Winnetou angetan hatte, endlich zur Rechenschaft ziehen zu können, lag mir wirklich sehr am Herzen. Aber noch wichtiger als das war mir natürlich Winnetou, und darum war ich auch fest entschlossen, ihm nicht eine Sekunde von der Seite zu weichen, solange er sich in dem so schlechten, eigentlich schon lebensgefährlichen Zustand befand. Emery allerdings war sofort Feuer und Flamme für dieses Vorhaben und wäre am liebsten in der nächsten Minute losgestürmt, aber unsere beiden Freunde bestanden vehement darauf, dass der Engländer und ich uns erst einmal gründlich erholten. Wir hatten während unserer Gefangenschaft ja auch den ein oder anderen Schlag oder Tritt erhalten, doch die waren wirklich überhaupt nicht erwähnenswert im Vergleich zu den Verletzungen des Apatschen. Aber wir hatten auch eine schlaflose Nacht hinter uns, genauso wie die fast vierundzwanzig Stunden währende, vor allem für die Seele qualvolle Gefangenschaft, und, nicht zu vergessen, eine recht strapaziöse Flucht. Somit setzten die beiden Gefährten nun alles daran, uns zum Ausruhen in einem der Gasträume zu bewegen, wobei sie bei mir allerdings mit ihrem Wunsch auf Granit bissen. Wie schon so oft in der Vergangenheit wehrte ich auch jetzt wieder eisern all diese Versuche ab, da ich meinen Winnetou auf keinen Fall auch nur eine Minute lang aus den Augen lassen wollte. Surehand und Firehand kannten diesen Wesenszug ja schon von mir aufgrund der Geschehnisse auf Helmers Home, trotzdem bemühten sie sich noch eine ganze Zeit lang, mich zu überreden, bevor sie schließlich aufgaben und mir eine Bettstatt direkt neben meinem Freund herrichteten. Ich sah darin zwar keine Notwendigkeit, da ich mir sicher war, sowieso vor Sorgen um ihn nicht schlafen zu können, doch ich wollte unsere Gastgeber keinesfalls vor den Kopf stoßen, sie meinten es ja nun mehr als gut mit mir. Nachdem wir uns alle noch einmal davon überzeugt hatten, dass im Augenblick von uns alles Menschenmögliche für Winnetou getan worden war und wir ohne ärztliche Hilfe einfach nicht mehr weiterkamen, verließen meine drei Gefährten, von denen Surehand nun den ersten Erkundungsgang übernehmen würde, den Raum. Ihnen war natürlich bewusst, dass ich mich wohl mittlerweile danach sehnte, mit meinem Blutsbruder alleine zu sein, gerade nach den furchtbaren Stunden der vergangenen Tage, also zogen sie sich taktvoll zurück, und ich war wirklich äußerst dankbar dafür. Gerade eben erfasste ein erneuter Fieberkrampf den Körper meines Freundes und schüttelte ihn förmlich durch, so dass ich sofort die gleiche Position einnahm wie schon damals, als er aufgrund seiner schweren Verletzungen tagelang mit dem Tod kämpfte. Auch jetzt entkleidete ich mich wieder halb, um ihn mit meinem Körper zu wärmen und ihn spüren zu lassen, dass ich bei ihm war, dass er in meinen Armen geschützt und geborgen ruhen konnte. Obwohl diese Situation alles andere als beruhigend und friedlich war, genoss ich es doch auch irgendwie, meinen Geliebten wieder in meinen Armen halten zu können, zumal ich aufgrund seiner zuversichtlichen Worte vom vergangenen Tag eigentlich sicher sein durfte, dass ich ihn nicht verlieren würde. Es war nun einmal seit vielen Tagen das erste Mal, dass ich ihn ganz für mich hatte, und allein seine Nähe und seine Wärme zu spüren, ließ mein Innerstes langsam etwas zur Ruhe kommen, trotz der angespannten Lage und meiner großen Sorgen um Winnetou. Ganz fest hielt ich ihn in meinen Armen, bemüht, sein heftiges Zittern irgendwie einzudämmen, atmete dabei seinen Duft ein, trotz des Fiebers ein immer noch überaus aromatischer Wildkräuter-Duft, welcher allein mir schon irgendwie ein Gefühl der Geborgenheit und des Heimkommens gab – Gott, wie liebte ich diesen Menschen! Aber was sollte, was konnte ich nur tun, um ihm zu helfen, sich wenigstens etwas besser zu fühlen? Ein weiterer Krampf durchschüttelte nun den Körper meines Freundes, und einmal mehr blieb mir nichts anderes übrig, als ihn fest an mich zu drücken und ihm immer wieder den Schweiß von Gesicht und Oberkörper zu wischen. Gerade dieses starke Schwitzen und der damit verbundene Flüssigkeitsverlust bereiteten mir mehr und mehr Sorgen, denn auch aufgrund des enormen Blutverlustes, bedingt durch die über Stunden anhaltenden Blutungen des vergangenen Tages, war sein Körper von einer gefährlichen Dehydration bedroht. Wie sehnte ich mich in diesen Momenten nach der Ankunft unseres Doktors! Walter Hendrick, der ja schon einmal durch die völlig neue Methode einer venösen Flüssigkeitszufuhr Winnetous Leben gerettet hatte, war meine einzige Hoffnung, um die tödliche Gefahr von ihm irgendwie noch abwenden zu können. Eine andere Wahl hatte ich im Augenblick auch gar nicht, denn mein Freund lag jetzt in tiefer Bewusstlosigkeit, wodurch sämtliche Versuche fehlschlugen, ihm auf die klassische Art und Weise immer und immer wieder etwas Wasser einzuflößen. Ich gab das auch schnell wieder auf, da es in seinem Zustand einfach zu gefährlich war. Es wurde eine harte, schlaflose Nacht. Der Zustand des Apatschen verschlechterte sich von Stunde zu Stunde immer noch ein wenig mehr, das Wundfieber wütete in ihm und er strahlte inzwischen eine Hitze aus, dass man glauben sollte, er müsse innerlich verbrennen. Mittlerweile war sein Körper dadurch so stark dehydriert, dass er sogar kaum mehr schwitzte. Seine Atmung war ganz flach, der Puls zeitweise fast nicht mehr zu spüren; dann wiederum raste sein Herz förmlich, und das in einem Tempo, dass ich eine lange Zeit in größter Angst verbrachte, weil ich befürchtete, es würde vor Überanstrengung irgendwann einfach stehenbleiben. Zwischendurch fühlte sich seine Haut mit einem Male eiskalt an, und ich bemühte mich in solchen Momenten nach Kräften, ihn so gut wie möglich wieder zu wärmen, indem ich ihn in einen großen Stapel von Grizzly-Fellen einpackte und mich zusätzlich mit meinem ganzen Körper an ihn schmiegte, auch um meinen geliebten Freund irgendwie vor dem furchtbaren Schüttelfrost zu schützen, zumindest so lange, bis er sich vor Hitze einmal mehr erneut aller Decken entledigte. Am schlimmsten aber waren die Fieberkrämpfe, die von Mal zu Mal quälender wurden. Dabei wurde er so dermaßen heftig von einem schnellen Zittern gepackt, dass auch ich mich dem nicht mehr erwehren konnte und mit ihm durchgeschüttelt wurde. Gegen Morgen begann Winnetou zu phantasieren. In völlig unzusammenhängenden Satzfetzen murmelte er vor sich hin, stöhnte zwischendurch laut auf, warf seinen Kopf hin und her oder bäumte sich mit einem Male hoch auf, um sich dann auf meinen sanften Druck hin völlig erschöpft in die Felle zurücksinken zu lassen. Dieses Verhalten wiederholte sich wieder und wieder, doch ebenso gab es während dieser schrecklichen Stunden auch Phasen, in denen er wie leblos in meinen Armen lag und ich mich des Öfteren voller Sorge erst einmal davon überzeugte, dass mein Freund auch tatsächlich überhaupt noch atmete. Es waren furchtbar anstrengende Stunden, die mich und mit Sicherheit erst recht meinen Blutsbruder immens forderten und uns kaum einen Moment der Ruhe ließen. Winnetous Fieberphantasien erstreckten sich allmählich über einen immer länger währenden Zeitraum, und es war offensichtlich, dass er währenddessen unter großen Ängsten litt. Ich weiß nicht, welche grausamen Bilder ihm das Fieber vorgaukelte, aber seinen leise vor sich hin gestammelten Worten, oftmals begleitet von einem gequält wirkenden Stöhnen, entnahm ich, dass es vor allem um die schlimmen Verluste ging, die er in seinem Leben schon verkraften musste, sei es durch den Tod seiner Eltern und seiner geliebten Schwester, genauso wie durch die Morde an seiner ersten großen Liebe, Ribanna, und seinem hochgeachteten weißen Lehrer, Klekih-petra, die ihn damals wirklich tief, tief getroffen hatten. Ich bemühte mich nach Kräften, meinen Freund zu beruhigen, wenn ihn solch ein Alp wieder einmal übermannte und er sich, regelrecht mit sich selbst kämpfend, auf seinem Lager hin und her warf. Meistens gelang mir das auch irgendwie, sobald ich ihn fest an mich drückte, so dass er mich ganz nahe bei sich spürte. Aufgrund seiner heftigen Bewegungen allerdings ließ es sich nicht vermeiden, dass einige der Stichwunden hin und wieder erneut zu bluten begannen, und ich hatte alle Mühe, diese schnellstmöglich nochmals zu verbinden, vor allem, weil er sich so oft im Fieberwahn aufbäumte oder teilweise sogar vollständig verkrampfte. Bedingt durch den großen Flüssigkeitsmangel war es aber unbedingt notwendig, jede auch noch so geringe Blutung zu verhindern oder zumindest sofort einzudämmen, denn schon jetzt war seine gesundheitliche Lage mehr als bedenklich. Ich verging in diesen Stunden vor Sorge und hatte mehr als einmal das Gefühl, dass die Zeit stehengeblieben sein musste, so unendlich lang kam mir jede einzelne Minute vor. Winnetous Zustand wechselte nun auch noch immer schneller von rastloser, gequälter Unruhe bis hin zu tiefer Bewusstlosigkeit, und gerade wenn die Letztere anhielt, musste ich mich fast pausenlos davon überzeugen, ob überhaupt noch ein Lebenszeichen vorhanden war, da sein Herzschlag und seine Atmung in diesen Momenten kaum mehr zu spüren waren. Zwischendurch versuchten Emery, Surehand und auch Old Firehand, der inzwischen von seinem Kundschaftergang zurückgekehrt war, mich so gut wie es ging zu unterstützen, doch das war fast nicht möglich, denn Winnetou reagierte auf die Anwesenheit und erst recht auf die Berührungen der Gefährten mit noch größerer Unruhe. Er war natürlich überhaupt nicht bei sich, trotzdem schien er genau zu spüren, wer sich ihm näherte, denn in meinen Armen wurde er meist sofort deutlich ruhiger. Nach zwei durchwachten Nächten und der strapaziösen Gefangenschaft war ich natürlich vollkommen übernächtigt und fühlte mich total ausgelaugt, aber die fortwährende Angst um meinen geliebten Blutsbruder bewirkte, dass ich zumindest zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts davon spürte, ebenso wenig wie Hunger oder Durst. Auch hier bemühten sich unsere Gastgeber nach Kräften um meine Bedürfnisse und drängten mich in immer kürzer werdenden Abständen, mich endlich einmal auszuruhen oder zumindest etwas zu essen, doch ich konnte mich gerade einmal zu einer Kleinigkeit zwingen. Und selbst davon ließ ich einen Teil stehen, da genau in dem Moment ein erneuter Anfall von Schüttelfrost meinen Freund erfasste und mich sofort wieder an seine Seite eilen ließ. Die Gesichter der drei Westmänner, die sich zur Zeit alle in dem Raum befanden, sprachen Bände, als sie Winnetous qualvolles Leiden beobachteten. Es war deutlich zu sehen, dass ihre Herzen gerade überquollen vor Mitleid mit ihm, sie sich aber gleichzeitig völlig hilflos fühlten, weil es nichts mehr gab, was sie noch für ihn hätten tun können. Old Firehand versuchte zwischendurch, mich und auch die anderen ein wenig abzulenken, indem er ausführlich über seinen intensiven Kundschaftergang berichtete, obwohl letztendlich nichts dabei herausgekommen war außer der Tatsache, dass im Augenblick wohl noch alles ruhig war. Da wir uns bereits in der Mittagszeit befanden und durch die Helligkeit eventuelle Spuren garantiert entdeckt worden wären, vor allem von diesem erfahrenen Westmann, durften wir uns im Moment wohl relativ sicher fühlen. Doch auch hier sehnte ich mich ein wenig nach der Ankunft der Apatschen, vor allem wegen Tsain-tonkee. Er war nun einmal unser Spähfuchs, und wenn es jemandem gelingen würde, Spuren zu entdecken, die vor ihm vielleicht schon fünf andere übersehen hatten, dann war das der frisch gekürte Unterhäuptling der Mescaleros! Außerdem ist ja allgemein bekannt, dass viele Augen mehr sehen als nur zwei, und vorher konnte ich mich nicht vollkommen sicher fühlen. An Winnetous Zustand änderte sich auch fast den ganzen restlichen Tag über nichts, er wurde eher noch schlechter, sofern das überhaupt noch möglich war. Sein Körper glühte weiterhin vor Fieber, seine Krämpfe wurden noch heftiger und ließen ihn in immer schneller werdenden Abständen erzittern, die gefährliche Dehydration schritt weiter voran und sorgte somit dafür, dass der Apatsche schwächer und schwächer wurde. Dadurch verminderten sich langsam auch die schrecklichen Albträume, zumindest hoffte ich das, da er kaum mehr sprach und auch das plötzliche Aufbäumen und die hilflose Unruhe mehr und mehr nachließen. Aber offenbar war mein Freund einfach nur zu sehr geschwächt, um weiterhin derart heftige körperliche Reaktionen zeigen zu können, doch das hieß nicht, dass ihn diese grässlichen Phantasien nicht doch noch heimsuchten. Das dem tatsächlich so war, zeigte sich mir, als mein Geliebter mit einem Mal meinen Namen flüsterte, und das sogar mehrmals hintereinander. Sofort zog ich ihn wieder fest in meine Arme, streichelte ihm das Gesicht, über seine Stirn, die Wangen, und konnte wieder einmal nicht fassen, welch unnatürliche Hitze immer noch von ihm ausging. Winnetou hielt seine Augen geschlossen, rief mich aber weiterhin beim Namen, wobei seine Stimme nun drängender klang, fast schon gehetzt; auch seine Atmung ging jetzt heftiger. „Winnetou! Ich bin doch hier, so sieh mich doch an!“, versuchte ich, ihn irgendwie zu beruhigen, doch ohne Erfolg. „Scharlih! Bitte....Scharlih....nicht....“ flüsterte er jetzt gequält; vor Schwäche konnte er nicht mehr lauter sprechen. War er etwa gar nicht wach? Quälten ihn wieder die unsichtbaren Geister, die das Fieber mit sich brachte? Ich war erschrocken über die deutlich herauszuhörende Angst, die in seiner Stimme mitschwang, und bemühte mich schnell ein weiteres Mal, ihn dazu zu bringen, die Augen zu öffnen, so dass er mich endlich sehen konnte. Aber auch diese Versuche schlugen fehl, und ich war nun sicher, dass er noch einmal von furchtbaren Traumbildern geplagt wurde. Einen Augenblick später rief er wieder leise: „Scharlih....bitte....geh nicht....ich kann doch nicht....Mein Bruder....Winnetou liebt dich doch....“ Bei diesen Worten versuchte er sogar noch, halb mit dem Oberkörper hochzukommen, doch sofort drückte ich ihn wieder zurück auf sein Lager, wohlwissend, dass gerade jetzt, in seinem hochgradig geschwächten Zustand, jede noch so kleine Anstrengung sein Todesurteil bedeuten könnte. Aber sein Flehen, seine fast schon greifbare Angst hatten mich zutiefst schockiert. Was sollte ich nur tun? Noch einmal kam es von ihm: „Scharlih! Nicht! Geh nicht .... geh nicht, bitte! Wie soll ... Winnetou denn nur ... ohne ... Scharlih ... bitte ... lass mich doch nicht ...“ Als jetzt auch noch ein heiseres Schluchzen seine Worte begleitete und ihm nun sogar die Tränen in die Augen stiegen, war ich absolut fassungslos. Was um Himmels Willen quälte ihn denn so? Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Hatte mein Freund schon vorher von seinen furchtbaren Verlusten phantasiert, die ihm im Laufe seines noch so jungen Lebens widerfahren waren, so konnte es sich hier doch nur um seine seelische Verfassung handeln, in der er sich jedes Mal bei unseren Abschieden oder während unserer langen Trennungen in den vergangenen Jahren befunden haben musste. Das Fieber erlaubte mir jetzt einen tiefen Einblick in sein Seelenleben, Einblicke, die er mir in all den Jahren verwehrt hatte, um mich nicht zu beunruhigen und meinen Lebensweg nicht durch seine Gefühle zu beeinflussen. Oh Winnetou! Was musste mein Freund in früheren Zeiten gelitten haben wegen mir und meinem Egoismus! Wie schämte ich mich jetzt für meine Selbstherrlichkeit und meine Gedankenlosigkeit! Wie furchtbar elend und verlassen musste er sich, gerade in kriegerischen Zeiten, gefühlt haben – wegen mir, ausgerechnet wegen mir, der ich immer geglaubt hatte, die Gerechtigkeit in Person zu sein und gerade an meinen Freunden immer selbstlos und richtig gehandelt zu haben! Ich kann gar nicht mehr sagen, wie schrecklich, wie furchtbar ich mich in diesen Minuten – oder waren es Stunden? - gefühlt hatte, als mein geliebter Freund mir durch seine Fieberphantasien seine seelische Not offenbarte. Es waren wirklich tiefschwarze Stunden für mich, denn ich konnte nicht mehr tun als ihn festzuhalten und seinen Qualen, den körperlichen wie den seelischen, hilflos zuzusehen. Das alles nahm ihn natürlich noch zusätzlich schrecklich mit – er brachte bald auch nur noch ein heiseres Krächzen heraus, flüsterte trotzdem und unter Tränen wieder und wieder meinen Namen und wurde schließlich von einem verzweifelten Schluchzen nur so geschüttelt, als ihm das Fieber wohl meinen endgültigen Abschied, ja, vielleicht sogar meinen Tod vorgaukelte! Mittlerweile liefen auch mir die Tränen nur so über das Gesicht, und allmählich verlor ich sogar den Glauben daran, dass Winnetou diese Strapazen ohne weiteres überleben würde. Bis zum Abend waren es noch ein paar Stunden hin – wie um alles in der Welt sollte sein geschwächter Körper nur so lange durchhalten können? Im Augenblick befand ich mich mit dem Kranken ganz alleine im Raum, und das war vielleicht auch gut so, denn mit einem Male wurde ich von einer derart hilflosen Verzweiflung überwältigt, dass ich mich ihr überhaupt nicht mehr erwehren konnte und ich mich heftig aufschluchzend mit dem Kopf auf Winnetous Oberkörper sinken ließ, wo ich meinen Gefühlen einfach nur noch freien Lauf ließ. In diesem Zustand fanden mich dann letztendlich die Gefährten, in deren Gesellschaft sich zu meiner großen Überraschung – und bei seinem Anblick fuhr ich wie von der Tarantel gestochen in die Höhe – der Doktor, unser guter Doktor Walter Hendrick befand! Er hatte es doch viel schneller als erwartet bis hierher geschafft! Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich, und als ich mich erhob und ihm entgegenging, hatte ich tatsächlich weiche Knie, auch meine Hände zitterten merklich bei unserer Begrüßung. Walters Gesichtsausdruck war schon bei seinem Eintritt mehr als ernst gewesen, und als er jetzt einen ersten Blick auf meinen Blutsbruder warf, verwandelte sich dieser in schiere Fassungslosigkeit. Wortlos stellte er seine Tasche ab und begann dann in aller Eile mit einer ersten Untersuchung, deren Ergebnis das Erschrecken in seinen Augen nur noch vergrößerte. Hastig kramte er in seiner Tasche, holte einige Utensilien hervor und begann, so schnell es ging, eine Infusion zu legen. Anschließend besah er sich jede einzelne Wunde ganz genau, behandelte und verband sie dann, und mit jeder versorgten Verletzung wuchs die Zornesfalte auf seiner Stirn ein klein wenig mehr. Stumm saß ich daneben und hielt die Linke meines geliebten Freundes mit beiden Händen an meine Brust gedrückt. Ich war so dermaßen froh und glücklich über die Tatsache, dass die Last der Verantwortung endlich von meinen Schultern genommen und in Walters kompetente Hände gelegt worden war – mir war richtiggehend leicht ums Herz, und auch die Hoffnung auf Winnetous Überleben hatte wieder mit einem Schlag Einzug in mein Innerstes gehalten. Doch natürlich war ich mir darüber bewusst, dass die Rettung meines Freundes keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, dafür ging es ihm einfach zu schlecht, und der Doktor konnte schließlich auch keine Wunder vollbringen. Wir hatten überhaupt großes Glück, dass er schon jetzt, am frühen Abend, eingetroffen war und mir war klar, dass er sich und seinem Pferd einfach alles abverlangt haben musste, um so schnell wie möglich helfen zu können. Auch die Gefährten sprachen ihn auf diese Tatsache an, doch der Arzt winkte beinahe unwirsch ab, da er in seiner Konzentration nicht gestört werden wollte, und meinte nur knapp, er würde uns alles andere später erzählen. Daher beobachtete ich weiterhin stillschweigend, wie Hendrick mit äußerster Sorgfalt eine Verletzung nach der anderen versorgte und verband, Winnetou anschließend nochmals untersuchte und ihm letztendlich einige Medikamente verabreichte, bevor er sich mit grollender Stimme an mich wandte – es war deutlich zu spüren, dass er nur mühsam seine rasende Wut im Zaum halten konnte. „Kann man euch beide eigentlich noch nicht einmal für wenige Tage alleine lassen, Himmel Herrgott noch mal?“, donnerte er urplötzlich los, im höchsten Grade zornig, so dass die anderen Anwesenden tatsächlich erschreckt zurückzuckten. „Da verabschiedet man sich von euch bei bester Gesundheit und verlässt sich auf euer Versprechen, dass ihr auf euch aufpasst – nur um euch, oder vielmehr vor allem Winnetou, kurze Zeit später in einem derart katastrophalen Zustand vorzufinden! Das kann doch alles einfach nicht wahr sein!“ Genau wie Old Firehand viele Stunden zuvor hieb nun auch Walter, dessen Stimme gegen Ende seine Rede immer lauter geworden war, seine Faust mit voller Wucht auf den nächstbesten Gegenstand, in diesem Fall ein kleiner Beistell-Tisch, auf dem sich einige Utensilien zur Versorgung des Verletzten befanden, die jetzt natürlich alle herunterfielen und in verschiedene Richtungen davon kollerten. Wütend vor sich hin grummelnd, hob der Doktor ein Teil nach dem anderen wieder auf, und ich half ihm dabei. Ich kannte ihn ja genau und wusste, dass er es keinesfalls so meinte – er suchte einfach nur ein Ventil für seine Ängste und Sorgen um Winnetou, den er im Laufe des letzten Jahres sehr lieb gewonnen hatte, und er wusste sich nicht anders zu helfen, als seinem Herzen auf diese Weise etwas Luft zu machen. Außerdem hatte er dem Apatschen schon zweimal, teilweise in letzter Sekunde, das Leben gerettet und dafür all seine ärztliche Kunst aufbieten müssen, und nun war er gezwungen, ein weiteres Mal mit anzusehen, wie dieser wieder einmal um sein Leben kämpfte, wobei niemand voraussagen konnte, ob er es auch dieses Mal schaffen würde – es wurde jetzt auch für unseren Doktor im Moment einfach alles etwas zu viel. Einige Augenblicke später jedoch hatte Hendrick sich wieder einigermaßen in seiner Gewalt, und nun sah er mich zum ersten Mal genauer an. „Dich hat der Mistkerl aber auch nicht gerade verschont, richtig?“ Er deutete dabei auf meinen Mundwinkel, den eine schon verkrustete Platzwunde zierte, aufgrund des Faustschlags, den ich von Motawateh während einem seiner Wutanfälle erhalten hatte. „Bist du noch anderweitig verletzt?“, fragte der Doktor weiter. Gerade wollte ich verneinen, da berichtete Emery ihm auch schon von dem heftigen Fußtritt in die Seite, der auch auf Motawatehs Konto ging, sowie der Beule an meinem Hinterkopf, die ich mir eingefangen hatte, als der Kiowa-Häuptling mich mit voller Wucht hin und her geschüttelt hatte, so dass ich mit dem Hinterkopf äußerst unsanft Bekanntschaft mit dem Holzpfahl machen musste, an dem ich gefesselt gewesen war. Ich warf dem Engländer einen gespielt grimmigen Blick zu, revanchierte mich aber sofort, indem ich Walter nun auch von den Faust- und Ellenbogenschlägen erzählte, die erst Emery und dann auch Sam von den Kiowas erhalten hatten. Natürlich bestand unser Doktor jetzt mit großer Vehemenz darauf, dass wir ihn diese geringfügigen Blessuren ebenfalls behandeln ließen. Wir wehrten uns auch lieber nicht dagegen, da er sich sowieso schon in einer äußerst aufgebrachten Stimmung befand, aber im Gegenzug wollte ich natürlich jetzt ganz genau wissen, wie es meinem geliebten Freund ging und wie Hendrick nun Winnetous Zustand beurteilte. Walter betastete gerade die wirklich prächtige Beule an meinem Hinterkopf, als ich ihn zu der gewünschten Auskunft drängte. Einen Augenblick lang schwieg er, seufzte dann kurz auf und begann: „Es ist eigentlich fast genauso wie beim letzten Mal. Wenn unser Freund hier nicht eine so überaus hervorragende körperliche Konstitution besitzen würde, wäre sein Leben wirklich keinen Pfifferling mehr wert gewesen.“ Er unterbrach sich und warf Winnetou einen langen Blick zu. „Sollte es gelingen, seinen Flüssigkeitsverlust wieder auszugleichen, wäre zumindest die größte Gefahr gebannt, und da sind die Infusionen natürlich wieder eine große Hilfe. Am meisten Sorge aber bereitet mir das hohe Fieber und das durch den Blutverlust und vor allem durch die Folter geschwächte Herz. Beides zusammen ist überhaupt keine gute Kombination, wie wir ja schon einmal leidvoll erfahren mussten. Zum Glück konnte ich einige wirkungsvolle Medikamente in Farmington erstehen, die mich hoffen lassen, dass er mit ihrer Hilfe diese Krise irgendwie überwinden wird.“ Er atmete jetzt tief durch und fuhr dann fort: „An beiden Seiten seines Brustkorbes, vor allem aber an der linken, sind schwerste Prellungen vorhanden, und mindestens eine Rippe ist linksseitig angeknackst, vielleicht aber auch gebrochen. Erst wenn die Schwellungen etwas zurückgegangen sind, kann ich dann auch genau sehen, ob nicht noch mehrere Rippen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Diese Prellungen und Rippenverletzungen werden noch lange für ziemlich starke Schmerzen sorgen, und das bedeutet für die nächsten Wochen: Schonung, Schonung und nochmals Schonung!“ Jetzt legte der Doktor mir seine Hand einfühlsam auf meinen Arm und fragte, dieses Mal mit ganz sanfter Stimme: „Hat er seit seiner Ankunft hier nochmal mit dir sprechen können? Ich weiß von Sam, dass Winnetou mehrere Male bei Bewusstsein war und dann jedes Mal auch alle Sinne beisammen hatte, was man bei dem hohen Fieber schon fast ein Wunder nennen muss. Hat sich seitdem daran etwas geändert?“ Ich zögerte ein wenig mit der Antwort, denn allein die Erinnerung an Winnetous seelische Qualen während seiner Fieberphantasien ließen wieder meine Tränen hinter den Augenlidern brennen. Ich schluckte ein, zwei Male, räusperte mich und antwortete dann mit fester Stimme: „Nein, er ist nicht mehr zu sich gekommen. Er hat unter furchtbaren Fieberkrämpfen gelitten und dabei oftmals phantasiert, und... und das hat ihn alles noch zusätzlich fürchterlich mitgenommen...“ Hier brach ich ab, denn das Mitleid mit meinem Freund drohte mich wieder zu überwältigen. Walter sah mir wohl an, dass mich die Geschehnisse der vergangenen Stunden sehr bedrückten, denn jetzt legte er mir freundschaftlich den Arm um die Schulter und versuchte, mir Mut zuzusprechen: „Charley – dein Freund ist so unendlich stark! Und er ist das vor allem deshalb, weil er dich an seiner Seite weiß, und wenn es auch nur im Unterbewusstsein ist! Er wird niemals aufgeben, eben weil es dich gibt und er für dich alles tun würde! Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass er genau gespürt hat, dass du bei ihm warst, und vielleicht hat er dir auch deshalb im Fieberwahn seine Seele öffnen können. Und wenn er dir sogar fest versprochen hat, zu überleben, dann wird dem auch so sein, glaube mir!“ Einen Augenblick lang schwieg er und drückte mich währenddessen noch fester an sich, ich aber hatte einen solchen Kloß im Hals, dass ich überhaupt nichts erwidern konnte. Dann fuhr Walter fort: „Ohne Hilfe schafft er es natürlich nicht, aber du weißt ja, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit er so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommt. Und allein die Tatsache, dass du bei ihm bist, lässt ihn alle Schmerzen vergessen und hilft ihm, wieder gesund zu werden.“ Er nickte, als ob er seine Worte selbst noch einmal bestätigen wollte, und dann wurde sein Ton wieder etwas geschäftsmäßiger, als er fragte: „Bist du der Meinung, dass er während seiner Krämpfe oder auch sonst unter starken Schmerzen gelitten hat?“ Einen Moment lang überlegte ich, meinte aber dann: „Ich glaube nicht. Es waren eher das Fieber und die Seelenqual, unter der er zu leiden hatte, zumindest seit unserer Ankunft hier. Vorher – ja vorher muss es schlimm für ihn gewesen sein, obwohl er es sich kaum hat anmerken lassen.“ Ich sah jetzt auch zu meinem geliebten Freund hinunter, der nun wieder in tiefer Bewusstlosigkeit lag, und fragte Hendrick dann leise: „Glaubst du, dass er im Augenblick noch etwas davon spürt?“ Walter legte mir sofort wieder die Hand auf meine Schulter und antwortete schnell: „Ganz bestimmt nicht, Charley! Du siehst ja, wie ruhig er jetzt schläft, zumal ich ihm auch noch einiges an Schmerzmitteln verabreicht habe. Und das werde ich auch weiterhin tun, zumindest solange, bis die Wunden vernarbt sind, da kann er später auch sagen, was er will!“ Der energische Tonfall, der in Walters letzten Worten mitschwang, ließ mich jetzt doch leise lächeln. Dieses Thema war schon des Öfteren Gegenstand kleinerer, aber sehr harmloser Meinungsverschiedenheiten der beiden gewesen. Gleichzeitig wusste ich doch, dass er Winnetou, wenn möglich, immer alle Wünsche von den Augen ablas – aber umgekehrt war das genauso! Nun, es würde sich ja zeigen, wer von den beiden sich in dieser Hinsicht dann durchsetzen würde.... Urplötzlich spürte ich nun mit aller Macht, wie mich Müdigkeit und völlige Erschöpfung überfielen. Das war auch nicht weiter verwunderlich, da ich in den letzten Tagen und Nächten fast nicht geschlafen hatte. Ich hätte mich dem wohl auch nicht mehr weiter erwehren können, selbst wenn der Doktor jetzt nicht riguros darauf bestanden hätte, dass ich mich endlich einmal zur Ruhe legte. Da ich meinen Winnetou ja nun in guten Händen wusste, gab ich meinem Verlangen deshalb auch gerne nach. Um nichts in der Welt hätte ich mich aber davon abbringen lassen, mich zumindest ganz nah bei meinem Freund zur Ruhe zu legen, und Hendrick befürwortete das auch. Er war weiterhin davon überzeugt, dass meine Nähe und Wärme dem Apatschen nur gut tun konnten und ihm bei seiner Genesung eine große Hilfe sein würden. Mir fielen jetzt fast schon die Augen zu, und daher verzichtete ich auf alle Speisen, die mir von unseren Gastgebern mehr oder weniger aufgedrängt wurden, zumal ich sowieso keinen Hunger verspürte. Der Doktor bestand jetzt auch darauf, dass die Anwesenden den Raum verließen, da vor allem Winnetou strikte Ruhe brauchte, und natürlich folgten die Freunde auch sofort seiner Aufforderung. Schnell entkleidete ich mich und kroch zu meinem Blutsbruder unter die Decken. Forschend warf ich nochmal einen Blick in sein Gesicht, aber dieses erschien mir - zum ersten Mal seit Tagen - völlig entspannt und friedlich, so dass ich sicher war, dass es ihm im Augenblick nicht so schlecht gehen konnte. Beruhigt kuschelte ich mich in die Felle und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Als ich erwachte, war es heller Tag, zumindest sagten mir das die Sonnenstrahlen, die vorwitzig durch die halb zurückgezogenen Felle lugten, die vor dem Eingang angebracht waren. Ich konnte dennoch nicht sagen, wie spät oder was für ein Tag es überhaupt war, hatte aber das Gefühl, dass ich sehr, sehr lange geschlafen haben musste. Ich fühlte mich so wohl wie lange nicht mehr, höchst erquickt und mehr als ausgeschlafen, so dass ich fast der Meinung war, Bäume ausreißen zu können. Dann aber fielen mir die letzten Ereignisse wieder ein, und sofort durchfuhr mich ein heißer Schreck. Winnetou! Lebte er? Wie ging es ihm wohl? Ruckartig drehte ich meinen Kopf zur Seite – und blickte in die weit geöffneten, samtig schimmernden Augen meines besten Freundes, der mich leise lächelnd ansah. Kapitel 25: Bestandsaufnahme ---------------------------- „Winnetou!“ Meine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung, als ich meinen Freund nicht nur wach, sondern sogar leise lächelnd an meiner Seite gewahr wurde. Er lag neben mir, und seine Augen strahlten mich mit einem klaren Blick aus ihrem samtenen Schwarz an, doch dieser Anblick war allerdings das Einzige, das mir einen Grund zur Freude gab – der Rest seines Körpers hingegen sah nämlich einfach nur zum Gotterbarmen aus! Er wurde weiterhin über eine Infusion mit Flüssigkeit versorgt, die gesamte linke Schläfe bis hin zur Mitte seiner Stirn war blau-rot verfärbt, geschwollen und wurde zusätzlich noch mittendrin von einem großen Verband beherrscht. Auch sein nackter Oberkörper war kaum mehr wiederzuerkennen vor lauter Verbänden, blau-rot-grün verfärbten Hautpartien und großflächigen Schwellungen, und sein Gesicht war immer noch schwer gezeichnet von dem anstrengenden Überlebenskampf sowie dem hohen Fieber; es war auch deutlich schmaler geworden. Aber: er war nicht nur ansprechbar, er schien auch vollkommen bei sich zu sein und sich sogar etwas besser zu fühlen! Sofort drehte ich mich mit vor Freude laut klopfendem Herzen ganz zu ihm hin, nahm sein Gesicht mit äußerster Vorsicht in meine Hände und drückte ihm einen Kuss auf eine der wenigen unverletzten Stellen an seiner Stirn. Er lächelte noch etwas breiter, und sofort wiederholte ich mein Tun, diesmal aber auf seinem Mund, natürlich nicht, ohne mich vorher schnell im Raum umgesehen zu haben, ob sich auch ja niemand anderer darin aufhielt. Dieser Kuss fiel deutlich intensiver aus, als ich ursprünglich aufgrund meiner überschwänglichen Freude vorgehabt hatte, und eigentlich wollte ich mich jetzt auch gar nicht mehr von meinem Freund lösen. Doch ich musste wissen, wie es ihm ging, ob er Schmerzen verspürte, ob er noch unter dem Fieber litt, und versuchte daher, irgendwie wieder hochzukommen, aber – Winnetou ließ mich nicht, er schien sogar absolut etwas dagegen zu haben, dass ich auch nur ein wenig Abstand zwischen uns brachte. Deshalb schlang er nun seine Arme um meinen Nacken, zog mich sofort wieder zu sich hinunter – wobei ich größte Mühe hatte, nicht zu unsanft auf und neben ihm zu liegen zu kommen, aus Rücksicht auf seine Wunden – und dann ergriff er die Initiative, das jedoch mit solch einem Nachdruck und einer Intensität, die ich ihm in seinem Zustand eigentlich noch gar nicht zugetraut hätte. Gleichzeitig aber war ich unglaublich froh darüber, zeigte er mir dadurch doch, dass er seine große Schwäche wohl schon, zumindest teilweise, überwunden haben musste. Lange Zeit blieben wir halb nebeneinander, halb aufeinander liegen, und ich verlor mich vollkommen in diesem Kuss und seiner unendlichen Liebe zu mir, die mich fast schon greifbar zu umfangen schien. Ich fühlte mich so unfassbar glücklich, so glücklich wie schon seit langem nicht mehr – bei Gott, ich liebte diesen Mann so sehr, dass es mir das Herz zusammenzog und es beinahe schon schmerzte. Irgendwann aber wagte ich schließlich doch einen erneuten Versuch, mich von seinen wundervollen Lippen zu lösen, da ich mir langsam Sorgen machte, dass wir von den Freunden in dieser Position überrascht werden könnten. Ich blieb aber so eng es ging bei ihm liegen, ergriff seine Hand, strich ihm mit meiner anderen immer wieder durch sein herrliches Haar und vorsichtig über seine Wangen, bevor ich ihn fragte: „Wie geht es meinem guten Bruder? Hast du Schmerzen?“ Lächelnd schüttelte er leicht seinen schönen Kopf und antwortete: „Hab keine Sorge, Scharlih – Winnetou geht es schon viel besser! Und er ist so unendlich froh, dass sein Blutsbruder bei ihm sein kann und nicht ein Opfer von Motawatehs Rachsucht wurde!“ Bei diesen Worten fühlte ich mich sofort wieder an seine furchtbaren Fieberphantasien erinnert, und da er seine große Sorge um mich ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit jetzt beinahe als erstes erwähnte, war ich mir schon fast sicher, dass er immer noch unter dem Eindruck der bösen Träume stand, die ihn während seiner Krämpfe heimgesucht hatten. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie er sich daher im Augenblick fühlte, erinnerte ich mich doch selbst viel zu oft und zu genau an meine eigenen furchtbaren Träume während der Nacht am Ship-Rock. Wie froh war ich nach meinem Erwachen gewesen, Winnetou unversehrt an meiner Seite zu sehen, obwohl mir der Alb Sekunden zuvor seinen Tod vorgegaukelt hatte! Wie heftig hatte ich ihn daraufhin an mich gerissen und festgehalten und mich gleichzeitig immer wieder davon überzeugen müssen, dass das jetzt auch tatsächlich die Wirklichkeit und kein Traum war! Als ich nun in Winnetous wunderschöne Augen sah, erkannte ich sofort, dass es in ihm genau so aussah wie damals in mir, und darum zog ich ihn sofort wieder in meine Arme – mit äußerster Vorsicht natürlich – und hielt ihn so schonend wie nur möglich ganz fest, um ihn schnell wieder zu beruhigen. „Motawateh ist tot, mein Bruder, er kann weder mir noch dir jemals wieder etwas anhaben! Wir beide leben, sind beisammen und haben einander – und das ist alles, was wirklich wichtig ist! Und für mich bist du am allerwichtigsten! Du... du ahnst ja gar nicht, wie unendlich froh ich bin, dich wieder bei Bewusstsein zu sehen... ich hatte mehr als einmal in den letzten Stunden befürchtet, ich würde dich verlieren!“, flüsterte ich ihm leise zu. Auch mein Freund hielt mich jetzt wieder fest an sich gedrückt und erwiderte: „Aber Scharlih – Winnetou hat dir doch versichert, dass....“ „Ich weiß, mein Freund, ich weiß es ja – und genau dieses Versprechen von dir hat mich letztendlich ja auch davor bewahrt, völlig zu verzweifeln! Es ging dir so schlecht, so furchtbar schlecht, und es gab für mich nichts, was ich für noch dich hätte tun können....Das war schrecklicher als jede Qual am Marterpfahl...“ Schaudernd presste ich ihn unwillkürlich noch fester an mich und spürte gleichzeitig, wie er kurz zusammenzuckte – natürlich, ich hatte zu viel Druck auf seine Schulterwunde und seine geprellten Rippen ausgeübt! Sofort lockerte ich meinen Griff und bat ihn, fast schon erschrocken, um Verzeihung. Als Antwort drückte er mir erneut einen Kuss auf die Lippen, sah mich dann mit leuchtenden Augen an: „Scharlih – du hast Winnetou doch deine ganze Liebe geschenkt, und das ist das Größte, was ihm in seinem Leben geschehen konnte! Ich könnte nicht mehr sein ohne dich, mein Leben würde dem einer verkümmerten Pflanze gleichen – und in dem Moment, wo du bei mir bist, tust du doch schon alles, was in deiner Macht steht! Du gibst mir so unglaublich viel Kraft, die mir sicherlich auch jetzt geholfen hat, das alles zu überstehen. Könnte Winnetou doch auch so viel für seinen geliebten Bruder sein....“ Seine Worte rührten mich zutiefst, trieben mir fast die Tränen in die Augen und sorgten dafür, dass ich im ersten Augenblick keine Worte fand und erst mehrmals schlucken musste, bevor ich mich wieder in meiner Gewalt hatte. Währenddessen sah mir mein Freund tief in die Augen, und ich erwiderte seinen Blick, sah hinein in dieses unglaublich samtene Dunkel, in dem die Sterne nur so zu funkeln schienen, fühlte mich umarmt, wie mit einer warmen Decke umhüllt von diesem so geliebten Blick, und ich hätte ewig so liegen und ihn anschauen können – er war da, er lebte, er lächelte, und mein Herz wurde so leicht, so unendlich leicht! Ganz sanft strich ich mit meiner Hand über seine Wange, währenddessen ich ihm versicherte: „Mein geliebter Bruder! Winnetou ist für mich ein Geschenk des Himmels, er bedeutet mir mehr als mein eigenes Leben – sei dir sicher, dass du mir viel mehr gibst und bist, als du es dir überhaupt vorstellen kannst!“ Seine Antwort bestand aus einem erneuten innigen Kuss, und allmählich machte sich in mir immer mehr das Gefühl breit, vor Freude, Erleichterung und Glück mehrere Meter über dem Boden zu schweben. Aber – wir waren nun einmal nicht alleine in der Festung Old Firehands, und daher bestand auch die ganze Zeit über die Gefahr, dass einer unserer Gefährten die steinerne Kammer betreten würde, und sei es nur, um mir oder besser gesagt, uns, einen guten Morgen zu wünschen. Morgen? Ein wenig irritiert sah ich nun ein weiteres Mal Richtung Eingang und erst jetzt wurde ich mir darüber bewusst, dass der Stand der Sonne nicht zu der Tageszeit passen konnte – ich hatte mich ja schon des Öfteren hier in der Festung aufgehalten und wusste somit, dass die Sonne morgens nicht in diesem Winkel in die Kammer hineinscheinen konnte. Nach meiner letzten Erinnerung war ich am frühen Abend, kurz nach der Ankunft des Doktors, sofort eingeschlafen, und jetzt war es augenscheinlich immer noch früher Abend. Aber wie konnte ich mich denn dann so ausgeschlafen fühlen? Etwas verwirrt sah ich von dem Eingang zu meinem Blutsbruder und wieder zurück zum Eingang, aber bevor ich überhaupt etwas sagen oder eine Frage stellen konnte, klärte mich Winnetou, der mir natürlich sofort meine Irritation angesehen hatte und den Grund dafür erriet, über den aktuellen Stand auf. „Der Körper meines Bruders Scharlih bedurfte nach zwei Nächten ohne Schlaf und den letzten anstrengenden Geschehnissen dringend Erholung, und er hat sich diese auch genommen. Das ist der Grund, warum du eine ganze Nacht und einen ganzen Tag lang durchgeschlafen hast!“ Vollkommen erstaunt betrachtete ich abermals das schöne Gesicht meines Freundes, einen Moment lang dabei ernsthaft überlegend, ob er sich vielleicht sogar einen Scherz mit mir erlaubte. So lange sollte ich geschlafen haben? Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen, da ich schon mein ganzes Leben lang immer mit wenig Schlaf ausgekommen war. „Sag, mein Freund – bist du etwa schon die ganze Zeit über wach gewesen?“ fragte ich ihn, immer noch etwas verdattert, wenig später, woraufhin er wieder leise lächelte. „Nein – Winnetou hat auch erst vor ungefähr einer Stunde seine Augen zum ersten Mal geöffnet. Doch sein weißer Bruder Hendrick war in dem Moment an seiner Seite und klärte den Apatschen über die letzten Geschehnisse auf.“ Er zögerte einen kurzen Augenblick und fragte mich dann, mit einer kaum merklichen Anspannung in der Stimme „Scharlih – Winnetou hat nicht mehr viel von dem Ritt hierher zur Festung in seiner Erinnerung... Hat – hatte mein Bruder die Zeit gefunden, das Versteck der Silberbüchse aufzusuchen?“ Na, das konnte ich mir denken, dass er von dem Weg hierher nicht mehr viel wusste; und noch viel mehr konnte ich mir vorstellen, wie sehr er sich jetzt um sein kostbares Gewehr sorgte, dem einzigen Gegenstand aus seinem Besitz, der ihm wirklich unendlich viel bedeutete, da es ein unersetzbares Andenken an seinen ermordeten Vater war. Darum antwortete ich ihm auch schnell, während ich ihn wieder leicht an mich drückte: „Hab keine Sorge, mein Bruder, die Silberbüchse befindet sich hier in unserem Gewahrsam, wie auch all die anderen Waffen, die du an unserem Lagerplatz noch schnell verstecken konntest – und keine davon hat irgendeinen Schaden genommen!“ Sichtlich erleichtert schloss mein Freund kurz die Augen, um mich gleich darauf wieder mit seinem unvergleichlich liebevollen Blick anzusehen. „Winnetou hätte gar nicht fragen brauchen – er kennt seinen Blutsbruder doch zu genau, um zu wissen, dass dieser nichts unversucht lassen würde, ihm die kostbare Waffe zu erhalten!“ „Das ist nun wirklich das Mindeste, was ich für dich tun kann“, erwiderte ich lächelnd. „Denn du lässt ja auch nichts unversucht, mir mein Leben zu erhalten – wie jetzt erst zu sehen war, als du dich meinetwegen an die Kiowas ausgeliefert hast, obwohl du genau wusstest, was für schreckliche Folgen das für dich haben würde!“ „Aber Scharlih!“ Auch Winnetou lächelte jetzt und bedachte mich dabei mit einem milden Gesichtsausdruck. „Winnetou weiß doch genau, dass du dasselbe, ohne zu zögern, auch für ihn getan hättest!“ „Hm – das mag ja sein, aber da du genau wusstest, dass du mit deiner Auslieferung unweigerlich Motawatehs Rache zum Opfer fallen würdest....“ Für einen Augenblick konnte ich nicht weitersprechen, zu deutlich hatten sich die Bilder von Motawatehs Folterungen an meinem Blutsbruder in mein Gedächtnis eingebrannt, zu sehr hatte ich unter seinen Qualen zu leiden gehabt, als wären es meine eigenen gewesen. Mein Freund spürte natürlich wieder einmal genau, wie es in mir aussah, und zog mich noch ein wenig näher an sich heran. „Winnetou hätte niemals zulassen können, dass der verlogene Kiowa-Häuptling seinen geliebten Blutsbruder tötet - niemals!“, flüsterte er mir mit Nachdruck in der Stimme zu. Zu sehen und am eigenen Leib zu spüren, dass er, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, mein Leben hoch über seines stellte, bewies mir noch einmal die unendliche Intensität seiner Liebe zu mir und löste damit ein Glücksgefühl in mir aus, welches sich gar nicht beschreiben ließ. Ich wusste im Augenblick überhaupt nicht, wohin mit meinen überquellenden Gefühlen und tat daher das erste, was mir in den Sinn kam: ich nahm seine Linke in beide Hände und küsste sie voller Inbrunst, bis er meine Hände mit seinen, fast schon etwas verlegen, festhielt und mich anschließend in eine nochmalige Umarmung zog. Eine kurze Zeit lagen wir in dieser innigen Position, dann aber fiel mir ein, dass ich von meinen Freund noch etwas Wichtiges wissen wollte. Also hob ich den Kopf, um ihn besser ansehen zu können, und fragte leise: „Winnetou – warum hat Motawateh meinem Bruder einst so fürchterliche Rache geschworen?“ Der Gefragte holte tief Luft und setzte gerade an, zu antworten, aber er kam wieder einmal nicht dazu, denn in diesem Augenblick lugte ganz vorsichtig und leise unser Doktor in die steinerne Kammer hinein. Als er sah, dass ich wach war, lachte er übers ganze Gesicht und trat nun vollends ein. Mein Freund und ich hatten uns natürlich, obgleich der Arzt über unser wahres Verhältnis Bescheid wusste, sofort voneinander gelöst, lagen aber doch noch nah beieinander und ich behielt auch Winnetous Hand in meiner. Uns beide erfasste nicht die Spur einer Verlegenheit aufgrund der Position, in der uns Hendrick vorgefunden hatte, da er es ja selbst gewesen war, der immer wieder auf unserer Reise versucht hatte, uns eine Möglichkeit der intensiven Nähe zu schaffen. Aus diesem Grund fragte er jetzt wohl auch noch einmal sicherheitshalber nach: „Ich würde gerne noch eine Untersuchung und einen Verbandswechsel durchführen, wenn euch das recht ist – oder möchtet ihr lieber noch etwas allein sein?“ „Nein, nein, Walter, tritt ruhig näher“, antwortete ich mit einem breiten Grinsen, denn eigentlich hatte die Situation an sich ja schon etwas Belustigendes an sich. Außerdem befand ich mich, seitdem ich erwacht war und Winnetou in einem deutlich besseren Zustand vorgefunden hatte, in einer regelrechten Hochstimmung; ich hätte die ganze Welt umarmen können und hatte gleichzeitig das Gefühl, jeden Augenblick laut loslachen zu müssen – einfach so, es brauchte nur noch ein Ventil. Im Moment aber konnte ich mich noch beherrschen, auch wenn es mir wirklich schwer fiel. Schnell hatte ich mich in eine sitzende Position gebracht und musste nun feststellen, dass auch Winnetou Anstalten machte, sich langsam aufzurichten, wobei sein Gesichtsausdruck ganz starr und unbeweglich wurde – ein sicheres Zeichen für mich, dass ihm diese Bewegung starke Schmerzen bereitete, er sich aber natürlich nichts anmerken lassen wollte. Doch Walter Hendrick ließ das nicht zu. Sofort war er an der Seite meines Freundes und drückte ihn sanft, aber bestimmt wieder in die Felle zurück. „So nicht, mein Junge – das ist aber noch deutlich zu früh! Das kann ich jetzt auf keinen Fall schon zulassen, und eines ist sicher: In den nächsten Tagen wirst du dich nur minimal bewegen dürfen, und wenn du dich nicht daran hältst, binde ich dich persönlich auf diesem Lager fest, so wahr ich hier stehe!“ Er sagte das mit einem solchen Ernst in der Stimme, wenngleich auch seine Augen den Apatschen liebevoll betrachteten, dass diesem nichts anderes übrig blieb, als zu gehorchen. Ich wusste genau, selbst der Medizinmann der Mescaleros hätte es nicht gewagt, so mit seinem Häuptling zu sprechen, und mein Blutsbruder hätte ihm und jedem anderen gegenüber auf jeden Fall auch seinen Willen durchgesetzt – doch unserem Doktor gegenüber fühlte er sich verpflichtet, nicht nur, weil dieser ihm mehrmals das Leben gerettet hatte, sondern weil er, ausgerechnet ein Weißer, Winnetou jeden Tag spüren ließ, was für eine unglaublich liebevolle Freundschaft er dem Apatschen entgegenbrachte. Ich war mir sicher, dass mein Freund dem Doktor jeden Wunsch erfüllt hätte; Hendrick dagegen besaß nun mehr als genügend Feingefühl, als dass er Winnetous Kriegern gegenüber niemals eine Schwäche oder eine Krankheit des Häuptlings zum Thema machen würde. Der Arzt wandte sich jetzt mir zu: „Und wie geht es dir, Charley? Ich bin wirklich froh, dass du dich endlich einmal vernünftig ausruhen konntest, zumal du ja auch nicht ganz ohne Blessuren davongekommen bist!“ „Ich fühle mich wie neugeboren – mach dir also keine Sorgen, Walter!“, entgegnete ich, wobei ich ihm einen bezeichnenden Blick zuwarf. Er verstand sofort und begann daher ohne Verzögerung, mich über Winnetous Zustand aufzuklären, wohl auch, um diesem jede Illusion zu nehmen, er könne in Kürze wieder umherlaufen, als wenn nichts geschehen wäre. „Wie ich unserem Häuptling hier vorhin schon grob geschildert hatte – wir konnten da noch nicht viel reden, weil wir dich natürlich schlafen lassen wollten – steht es mit seiner Gesundheit im Augenblick leider noch nicht zum Besten.“ Ich zuckte erschrocken zusammen, denn eigentlich hatte ich aufgrund Winnetous Verhalten mit einer besseren Nachricht gerechnet. Hatte er denn immer noch Fieber? Als ich ihn umarmte, hatte ich davon überhaupt nichts bemerkt... Doch Hendrick klärte mich sogleich auf: „Zum Glück hatten die Medikamente sowie die Kräuter von Tsain-tonkee gleich angeschlagen, so dass das Fieber recht schnell gesunken und mittlerweile auch fast verschwunden ist – und darüber bin ich wirklich froh, denn es hatte ja über eine enorm lange Zeitspanne standgehalten und dadurch dem Körper, vor allem aber dem Herzen, schon sehr zugesetzt. Dazu kommt natürlich noch der hohe Blutverlust, der in Kombination mit dem Fieber für leichte Herzrhythmusstörungen gesorgt hat. Das bedeutet, mein Freund“, und jetzt warf der Doktor Winnetou einen äußerst strengen Blick zu, „Das bedeutet, dass ich wünsche, dass du erst dann aufstehst, wenn ich es dir erlaube – und ich hoffe, dass du“ - jetzt bekam ich den gleichen strengen Blick ab - „dass du mich darin uneingeschränkt unterstützen und nicht heimlich gegen mich arbeiten wirst! Die Folgen wären für unseren Häuptling hier nämlich lebensgefährlich!“ Natürlich sicherte ich ihm sofort meine Mitarbeit zu und bedachte nun meinerseits meinen Freund mit einem ebenfalls strengen Blick, woraufhin er kurz mit den Augen nach oben rollte und dann gespielt demütig nickte – das leise Zucken seiner Mundwinkel entging mir natürlich nicht, welches darauf hinwies, dass er offensichtlich begann, sich allmählich zu amüsieren. Dadurch fiel es mir auch nicht gerade leicht, meine immer noch vorhandene Heiterkeit weiterhin zu unterdrücken, die gleichzeitig mit der latenten Sorge um den Apatschen um die Vorherrschaft in meinem Inneren kämpfte. Doch da half mir der Doktor unbewusst weiter, indem er noch mehr zu Winnetous Zustand zu sagen wusste: „Das ist aber noch nicht alles: Linksseitig sind zwei Rippen angebrochen, und zusammen mit den schweren Prellungen am ganzen Brustkorb wird dieser Umstand dir in der nächsten Zeit heftige Schmerzen bereiten – die ich aber mit Medikamenten zu unterbinden gedenke, und diese Behandlung wirst du solange zulassen, wie ich es für nötig halte – das ist dir doch hoffentlich klar, mein Freund?“ Winnetou entgegnete nichts, er sah Walter nur unverwandt mit seinen wunderschönen Sternenaugen an. Dieser Blick war wirklich geeignet, auch das härteste Herz zu erweichen, und der Ausdruck in Walters Gesicht wurde deshalb auch sofort um einiges milder. Trotzdem fuhr er, immer noch um eine gewisse Strenge in seiner Stimme bemüht, fort: „Auch die vielen Stichwunden werden noch einige Zeit für nicht geringe Probleme sorgen, und ich hoffe so sehr, dass der Kerl, der dir das angetan hat, mit aller Härte dafür bestraft wird!“ Ich setzte an, um ihm zu versichern, dass wir alle nicht eher ruhen würden, bis dieser Wunsch in Erfüllung ging, doch Walter wehrte mich vorher mit einer Handbewegung ab und sprach weiter: „Winnetou – in Anbetracht der Tatsache, dass du erst vor wenigen Wochen vollständig von der schweren Schussverletzung genesen bist und jetzt schon wieder mehrfach schwer verwundet wurdest, bitte ich dich inständig, meinen Anweisungen auf jeden Fall Folge zu leisten! Auch dein Körper ist nicht unbesiegbar, und eine zu frühe Beanspruchung desselben könnte jetzt eine lebenslange Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Herzens nach sich ziehen, weil die ständig an die Grenzen gehenden Belastungen nun einfach zu viel werden!“ Jetzt schrak ich wirklich heftig zusammen, mein Freund hingegen blieb weiterhin ruhig und erwiderte im freundlichen Ton: „Mein älterer weißer Bruder mag sicher sein, dass der Häuptling der Apatschen, wie schon so oft, seinem Wunsch entsprechend handeln wird – solange er es seinem Volk gegenüber verantworten kann!“ Wieder wollte ich etwas sagen, und wieder kam mir Walter zuvor: „Mein Freund – gerade weil du das Oberhaupt dieses stolzen Volkes bist und gerade weil du wahrscheinlich der einzige Apatsche weit und breit mit einer solch bemerkenswerten Klugheit und Weitsicht bist, der in diesen turbulenten Zeiten die so nötige Ruhe und Übersicht behält – gerade deshalb ist es so wichtig, dass du auf deine Gesundheit achtest, damit du deinen Stamm unbeschadet in eine neue Zeit führen kannst und ihm noch lange, lange erhalten bleibst!“ Jetzt konnte ich nicht anders als mehrmals bekräftigend nicken; das hätten auch meine Worte sein können. Und Walter hatte so recht – wir durften auf keinen Fall riskieren, dass Winnetou sich auf der Suche nach Thomson schon wieder vollkommen verausgabte, was natürlich bedeutete, dass wir ihn unter allen Umständen hier in der Festung halten mussten, während wir anderen den elenden Verbrecher jagen würden... und noch während ich diesen Gedanken in meinem Kopf formulierte, wusste ich schon, dass es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein würde, von Winnetou so etwas zu verlangen. Er sollte sich schonen, während wir uns in Gefahr begaben? Ich ahnte, dass er das niemals zulassen würde. Und so würde es immer weitergehen – hier, in einer der gefährlichsten Gegenden Nordamerikas, würde meinem Freund und seinem Stamm immer wieder Gefahren drohen, die es eigentlich unmöglich machten, dass er sich für längere Zeit einmal gründlich erholen könnte. Es war ja schon fast ein Wunder zu nennen, dass wir nach den Ereignissen bei Helmers Home fast ein halbes Jahr lang vollkommene Ruhe genießen konnten, ohne Störungen von außerhalb! In mir begann sich daher ein Gedanke zu regen, nein, fast schon zu verfestigen, der mir schon mehrmals flüchtig, eher im Unterbewusstsein, durch den Kopf gegangen war, den ich aber nie so richtig zu fassen bekommen hatte. Winnetou hatte auf Walters Worte hin den Kopf gesenkt und einige Augenblicke lang still vor sich hingesehen. Jetzt hob er sein schönes Haupt wieder an, maß uns beide nacheinander mit festem Blick und fragte leise: „Winnetou soll nicht den Mörder und Verbrecher jagen und ihn für seine Taten bestrafen?“ Seufzend legte ich meine Hand an seine Wange, zwang ihn, mich anzusehen. „Ich bitte dich von Herzen, es nicht zu tun, zumindest so lange, wie unser Doktor dir eine Ruhepause verordnet. Sollte Thomson in der Zwischenzeit hier auftauchen, so wird der Häuptling der Apatschen so stark sein müssen, dieses Mal der Jagd nur aus der Ferne beizuwohnen, und das nicht nur um seinetwillen, sondern auch aus Rücksicht auf unsere Freunde – und auch auf seinen Blutsbruder, weil wir alle hier ansonsten vor Angst und Sorge um dich nicht mehr klar denken könnten. Wenn die feige Ratte sich allerdings erst einmal von uns fern hält und wir irgendwann in naher Zukunft wieder auf seine Spur treffen, dann – ja, dann wirst du der Erste sein, der Hand an ihn legen soll! Obwohl ich überhaupt nichts dagegen hätte, dem Mistkerl auf meine Weise zu zeigen, was ich von ihm halte!“ Wütend hatte ich, ohne es zu merken, meine Fäuste geballt, denn allein der Gedanke an den Peiniger meines Freundes brachte mein Blut in Wallung und weckte den heißen Wunsch in mir, den Halunken angemessen zu bestrafen. Winnetou hingegen rang nun sichtlich mit sich. Er sah sich gezwungen, zu wählen zwischen seiner Würde und seiner Funktion als Oberhaupt aller Apatschen, der auch trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen in der Lage sein muss, seine Feinde zu vernichten, oder seiner Pflicht als mein bester Freund, mir keinen Kummer und keine Sorge zu bereiten. Es war ein harter Kampf, den er da in der kurzen Zeit mit sich selbst ausfocht, und wie gut konnte ich ihn verstehen! Es war leicht, mir auszumalen, wie ich mich in seiner Situation fühlen würde und ich war mir dabei nicht sicher, ob ich die Notwendigkeit, meinen Körper zu schonen, überhaupt eingesehen hätte. Auch Winnetou fiel diese Entscheidung sichtlich schwer, aber letztendlich siegte seine Liebe zu mir über seine Rachegedanken und dem Anspruch an sich selbst, immer ein perfektes Vorbild für seine Krieger zu sein. Nochmals senkte er seinen Kopf und nickte stumm, ergeben, aber bereit, alles zu tun, was der Doktor und ich von ihm verlangten. Er tat mir jetzt, in diesem für ihn doch recht schwierigen Moment, wirklich leid, und so versuchte ich, ihm ein wenig Trost zu spenden: „Vielleicht hat der Kerl für das Erste die Nase voll von uns und hält zunächst einmal ausreichend Abstand“, flüsterte ich ihm leise zu. „Und später werden wir beide nichts unversucht lassen, ihn in unsere Hände zu bekommen – aber dann Gnade ihm Gott!“ Nun musste mein Freund doch leise lächeln ob meines unbeholfenen Versuches, ihn irgendwie wieder aufzumuntern – aber wahrscheinlich war er sich von Anfang an sicher gewesen, dass Thomson von seiner Goldgier so verblendet war, dass er jede Gefahr für sich einfach ignorieren und alles daransetzen würde, das Edelmetall schnellstmöglich in seine Finger zu bekommen, koste es, was es wolle. Auch Hendrick hatte wohl das Gefühl, irgendetwas wieder gut machen zu müssen, und meinte darum: „In den nächsten zwei, drei Tagen wird dir ein Aufstehen sowieso unmöglich werden, mein Freund – bei jedem Versuch wird dein Körper vehement dagegen protestieren, so dass dein Kreislauf wahrscheinlich einfach zusammenbrechen wird, und nach einem solchen Kollaps wird es dir mit Sicherheit noch schlechter ergehen als vorher! Es macht einfach keinen Sinn, sich dagegen zu wehren, und daher ist es wirklich am besten, wenn du vorerst deinem Körper die Führung überlässt, in Ordnung?“ Wieder nickte Winnetou, doch dieses Mal hatte ich den Eindruck, dass er dem Doktor innerlich wohl recht gab, da ihm sein schlechter gesundheitlicher Zustand unmöglich verborgen bleiben konnte. Vielleicht verspürte er in diesem Moment auch ein erneut aufkommendes Schwächegefühl, nachdem er schon seit geraumer Zeit nicht nur bei Bewusstsein war, sondern wahrscheinlich auch seitdem jegliche Unpässlichkeiten gekonnt überspielt hatte – seinem Körper aber konnte er auf die Dauer nichts vormachen. Nun bemerkte ich auch feine Schweißperlen auf seiner Stirn und Oberlippe, und sein Blick, eigentlich seine ganze Haltung ließ mich erahnen, dass er ganz allmählich wieder von einer körperlichen Schwäche übermannt wurde. Dem Doktor begann dieser Umstand gerade offenbar auch aufzufallen, denn er begab sich ohne ein weiteres Wort zu dem kleinen Tisch an der Wand, auf dem er alle notwendigen medizinischen Utensilien abgestellt hatte, goss dort etwas Wasser in ein Glas, rührte ein Pulver hinein und stand Augenblicke später schon wieder an Winnetous Seite, den er dann auch sofort, ohne eine Widerrede duldend, zum Trinken desselben nötigte. Während der Apatsche tat, wie ihm geheißen, dachte ich darüber nach, womit ich ihm denn wohl ein wenig Ablenkung zuteil werden lassen könnte. In dem Moment fielen mir die Worte des Doktors ein, als er mich vorhin über Winnetous Gesundheitszustand informiert und dabei unseren Spähfuchs und frisch gekürten Unterhäuptling der Mescaleros erwähnt hatte. Jetzt erst wurde mir klar, dass ich noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, wieso der Arzt früher als erwartet gestern die Festung erreicht hatte. War er vielleicht nur in Begleitung Sam Hawkens und Tsain-tonkees gekommen, oder war es dem kleinen Westmann gelungen, auch sämtliche Apatschen nebst der Familie Butterfield im Eiltempo zu Firehands Versteck zu führen? Zumindest war ich mir sicher, dass Sam wohl unbehelligt Farmington erreicht haben musste, denn ansonsten hätte der Doktor es niemals so schnell bis hierher schaffen können. Er konnte auch nicht durch einen bloßen Zufall diesen Ort gefunden haben, da er erstens überhaupt nichts von unserer Anwesenheit hier wissen konnte und zweitens die Festung so versteckt lag, dass man sie nur mit genauer Ortskenntnis betreten konnte. Trotzdem wollte ich jetzt natürlich alles Wesentliche über die letzten Tage sowie die Anreise unserer Gefährten erfahren, und bat den Doktor darum, uns über alles, was seit unserer Trennung geschehen war, zu informieren. Fast unmerklich zog ich währenddessen Winnetou so vorsichtig und so nah wie möglich an mich heran und sorgte dafür, dass er sich mit seinem Kopf an meine Brust lehnen konnte, um so vielleicht etwas Entspannung und Ruhe zu finden. Hendrick setzte sich nun auch an die Seite meines Freundes, ergriff dessen Hand und tastete nach seinem Puls, währenddessen er uns über die letzten Geschehnisse in Kenntnis setzte. Kapitel 26: Neue Pläne... ------------------------- Gebannt hörte ich zu, als unser Doktor die letzten Ereignisse seit unserer Trennung von ihm und den anderen Gefährten zusammenfasste. Er berichtete, dass er zusammen mit den Butterfields und den Apatschen nach unserem Auseinandergehen die Stadt Farmington sogar schneller erreichte, als sie es vorher überhaupt für möglich gehalten hatten. Das war vor allem der Tatsache geschuldet, dass es die jungen Goldsuchern danach drängte, ihre Schätze so bald als möglich in Bargeld umzutauschen, da man sie auf diese Weise viel besser und vor allem unauffälliger nach Carlsbad, ihrem Heimatort, transportieren konnte. Außerdem wusste man die Kiowas noch in der Nähe, und das war ein weiterer Grund, die Stadt alsbald aufzusuchen, da man sich erst dann wieder vollständig sicher fühlen konnte. Interessant fand ich dabei übrigens die kleine Anmerkung des Doktors, dass sich die Butterfields ohne Winnetous, Emerys, Sams und meiner Begleitung wohl nicht mehr annähernd so sicher gefühlt hatten, und das war einer der Hauptgründe, warum sie den Ritt so plötzlich ohne ihr übliches Gezetere und der nervtötenden Tolpatschigkeit hinter sich gebracht hatten; man kam nun sogar ohne Stürze oder kleineren Verletzungen voran. Einmal in Farmington angekommen, wollten die Jünglinge dann aber doch nicht mehr auf uns warten, sondern lieber gleich ihr Gold umtauschen, was dem Doktor eigentlich gar nicht so recht war. Er war der Meinung, dass man bei solchen Geschäften dieser Größenordnung gar nicht vorsichtig genug sein konnte, denn die Gefahr, dabei übers Ohr gehauen zu werden, war doch immens. Da die Familie aber mehrfach darauf drängte, begleitete er sie dann doch noch am gleichen Tag zur Bank und tat alles, was er konnte, um ein möglichst gerechtes Ergebnis für sie zu erzielen. Mit der anschließenden Auszahlung war er dann auch sehr zufrieden, wobei er sich allerdings recht sicher war, dass es in meiner Anwesenheit wahrscheinlich gelungen wäre, eine noch höhere Summe herauszuschlagen. Hendrick hatte sich auch in Sachen Vorsicht an uns ein Beispiel genommen und sich während der Transaktion in der Bank des Öfteren genauestens umgeschaut. Dabei war ihm ein unauffällig gekleideter Mann mittleren Alters aufgefallen, der, immer wenn er glaubte, unbeobachtet zu sein, die jungen Goldsucher mit einem seltsam verschlagenen Blick verfolgte. Der Doktor nahm sich vor, den Mann im Auge zu behalten, aber er war nun einmal nicht gerade ein Meister in der unauffälligen Verfolgung, und so verlor sich dann auch rasch dessen Spur in der Menge, nachdem er das Gebäude der Bank verlassen hatte. Ich konnte dem Arzt da auf keinen Fall einen Vorwurf machen, im Gegenteil, er hatte für seine Verhältnisse schon sehr umsichtig gehandelt. Kurz überlegte ich, ob es sinnvoll gewesen wäre, wenn er zusammen mit Tsain-tonkee den Bankbesuch abgehalten hätte, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder, denn mit einem Indianer in Begleitung hätte es dort vermutlich nur Aufregung gegeben und die Butterfields wären in diesem Fall wahrscheinlich auch schlechter weggekommen. Und dann erschien gestern am frühen Mittag, für die Apatschen wie auch die Familie Butterfield gleichermaßen überraschend, Sam Hawkens in der Stadt, völlig erschöpft, übermüdet, auf seiner Mary, die sich nur noch stolpernd fortbewegen konnte. Er lehnte jegliche Angebote ab, die ihn zum Ausruhen oder auch nur zum Essen überreden wollten, trank nur etwas Wasser, berichtete dafür aber in Windeseile über unser, vor allem aber über Winnetous furchtbares Schicksal und erreichte damit, dass die Goldsucher-Familie völlig entsetzt, die Mescaleros aber außer sich vor Wut waren. Tsain-tonkee behielt nach außen hin die Ruhe, aber der Doktor konnte in seinen Augen deutlich den rasenden Zorn auf Thomson und die übergroßen Sorgen um seinen Häuptling erkennen. Es gelang dem jungen Unterhäuptling aber, seine Gefühle in seinem Inneren zu verschließen und mit großer Umsicht die nächsten notwendigen Schritte einzuleiten. Vor allem galt es jetzt erst einmal, den Doktor so schnell wie nur irgend möglich in die Festung an Winnetous Seite zu bekommen, um dessen Überlebenschancen zu erhöhen. Es war jedem einzelnen bewusst - die Begleitung der Familie Butterfield würde dabei nicht nur stören, sondern ein schnelles Fortkommen sogar verhindern. Da aber sämtliche Apatschen sich ebenfalls in Winnetous Nähe wissen wollten und man die jungen, unerfahrenen Männer mit ihrem neuen Reichtum unmöglich alleine in Farmington lassen konnte, entschloss man sich, dass erst einmal nur Sam mit Tsain-tonkee nebst dem Doktor sofort wieder aufbrechen sollten, denn Sam war nun mal der Einzige in der Gesellschaft, der den Weg zur Festung kannte. Die anderen sollten nachfolgen, so schnell es ihnen mit den Jünglingen möglich war. Damit auch diese zweite Gruppe den Weg zur Festung finden konnte, wollte Tsain-tonkee versteckte Zeichen auf der ganzen Strecke hinterlassen, deren Bedeutung nur die Mescaleros kannten. Natürlich konnte Sam diesen Ritt auf keinen Fall mehr auf seiner erschöpften Mary antreten, also überließ man ihm das beste und schnellste Pferd aus den Reihen der Apatschen. Die Butterfields wollten auch etwas zur Rettungsmission beitragen und erstanden daher mit Hilfe des Unterhäuptlings kurzentschlossen ein anderes Pferd in der Stadt, damit der eine, jetzt unberittene Krieger, den Weg nicht auf Sam's Maultier zurücklegen musste. Somit konnte man das Tier während des Ritts nebenher führen, damit es sich währenddessen etwas erholen konnte. Da Sam sogar noch eher, als man eigentlich erwarten durfte, in Farmington eingetroffen war, und auch dort keine unnötige Zeit verloren wurde, war es dem Doktor, der genauso wie Tsain-tonkee hervorragend beritten war, somit möglich, durch einen wahren Gewaltritt einige Stunden früher, als man es überhaupt für möglich halten konnte, in der Festung einzutreffen. Dort angekommen, fiel unser tapferer Sam beinahe vom Pferd, da er ja insgesamt fast zwei Tage sowie eine ganze Nacht, meist sogar im Galopp, durchgeritten und somit vollkommen erschöpft war. Den Weg zum Zielort hatten die drei soweit gut und vor allem unbehelligt überstanden, aber da ihr ganzes Augenmerk besonders darauf lag, so rasch wie nur möglich ihr Ziel zu erreichen, hatten weder Sam noch Tsain-tonkee Zeit damit vergeudet, nach anderen Spuren Ausschau zu halten oder generell ihr Umfeld nach feindlichen Lebewesen abzusuchen. Einzig der Unterhäuptling hatte, wann immer er die Wegmarkierungen für seine Apatschen hinterlegte, in diesen Augenblicken auch einen Blick auf die nähere Umgebung geworfen, aber auf die Schnelle natürlich nichts Verdächtiges feststellen können. Die nachfolgenden Mescaleros hatten da schon aufmerksamer sein können, da sie ja aufgrund der recht bescheidenen Reitkünste der jungen Butterfields viel langsamer unterwegs gewesen waren. Und tatsächlich waren ihnen, als sie sich der Festung bis auf ungefähr zwei Stunden genähert hatten, mehrere Male verschiedene Spuren aufgefallen, teils älter, teils lagen nur wenige Stunden dazwischen, einige von beschlagenen, einige von unbeschlagenen Pferden, wobei die Spuren der Letzteren bei Weitem überwogen. Winnetous Krieger hatten sich zwischendurch auch die Zeit genommen, viele der noch frischen Spuren genauer zu untersuchen, und sie kamen dadurch letztendlich zu dem Ergebnis, dass die Verursacher der Hufabdrücke anscheinend das Bergmassiv, welches Firehands Festung beinhaltete, mehrmals ausgekundschaftet hatten, ohne jedoch herausfinden zu können, wo sich der verborgen gelegene Eingang des Versteckes befand. Nachdem ich den Erzählungen des Doktors bis zum Ende wortlos gefolgt war, saß ich eine Weile sinnend an Winnetous Seite, dabei immer noch seinen Oberkörper fest an mich gedrückt haltend. Einen Moment später hob ich den Kopf und sah Hendrick fragend an: „Wie geht es unserem Sam denn im Augenblick nach all den Strapazen?“ „Oh, bestens, mein Freund, da mach dir mal keine Sorgen“, antwortete Hendrick. „Es ist ja mittlerweile genügend Zeit ins Land gezogen“ - er sah mich mit einer gewissen Belustigung an und zwinkerte gleichzeitig Winnetou zu, der daraufhin tatsächlich ebenfalls ein Lächeln sehen ließ - „und der kleine Mann hatte daher ordentlich Gelegenheit, sich gründlich auszuruhen!“ Ich musste nun auch leicht grinsen aufgrund der Spitze, die mir der Doktor wegen meines Langschläfer-Daseins verpasst hatte, wurde aber sofort wieder ernst. „Ich nehme mal an, dass sich beide, Sam und Tsain-tonkee, hier in der Festung befinden?“, fragte ich weiter. „Oder sind sie im Augenblick als Kundschafter unterwegs?“ „Nein nein!“, entgegnete Hendrick direkt. „Die zwei befinden sich nebenan und brennen förmlich darauf, mit dir zu sprechen und sich vor allem von Winnetous leicht verbessertem Gesundheitszustandes überzeugen zu können!“ „Das ist gut – ich würde nämlich gleich gerne selbst noch einmal mit ihnen über ihre Entdeckungen sprechen!“, meinte ich. Bevor ich aber Gelegenheit fand, den Grund dafür zu erklären, kam Winnetou mir zuvor. „Mein Bruder glaubt, dass es sich bei den fremden Kundschaftern um die Kiowas sowie dem Bleichgesicht Thomson handelt?“, fragte er mich leise, und mir wurde bewusst, dass er sich, im Gegensatz zu vorher, schon wieder viel mehr beim Sprechen anstrengen musste. „Da bin ich mir sogar sehr sicher!“, antwortete ich mit Nachdruck. „Und es freut mich außerordentlich zu hören, dass sich dieser Dreckskerl hier in der Nähe befindet! So wird es nicht mehr lange dauern, bis wir ihn in unserer Gewalt haben, und dann.... oh, wie sehne ich diesen Tag, diese Stunde herbei, in der ihn durch uns seine gerechte Strafe ereilen wird!“ Ich glaube, dass ich selten, nein, eher nie, solch enorme Rachegelüste verspürt hatte wie in jenen Tagen in der Gegend zwischen Ship Rock und Farmington. Doch das war auch nicht sonderlich schwer, ich brauchte mir ja nur meinen Blutsbruder anzusehen, dessen gemarterter Oberkörper eine deutliche Sprache für all die Qualen sprach, die mein Geliebter hatte erleiden müssen, und schon mehrmals hatte ich mir geschworen, dass der Verursacher seines Leidens für jede einzelne Wunde, für jede einzelne Quälerei furchtbar würde bezahlen müssen! Jetzt war es aber erst einmal immens wichtig, den Kerl zu finden und nicht mehr aus den Augen zu lassen, zumal wir ja auch noch in Erfahrung bringen mussten, um wie viele Gegner es sich insgesamt handelte. Aber dann fiel mir ein, dass seit dem Eintreffen von Sam und Tsain-tonkee ja schon ein ganzer Tag vergangen war! Und so, wie ich die Gefährten kannte und einschätzte, hatten diese mit Sicherheit schon alles Wichtige in die Wege geleitet – und darum brannte jetzt natürlich um so mehr die Neugier in mir, alles zu erfahren, was sich in den letzten Stunden noch so ereignet hatte. Aber das musste warten, denn natürlich war mir mein Freund viel wichtiger, und ich wollte ihn nicht eher alleine lassen, als bis dass der Schlaf ihn wieder übermannt hatte. Bis dahin konnte ich ja versuchen, so viel wie möglich von dem Doktor zu erfahren, den ich darum auch jetzt sofort weiter ausforschte: „Walter – es sind doch garantiert während der letzten vierundzwanzig Stunden von uns Späher ausgesandt worden, die die feindlichen Kundschafter zu entdecken versucht haben, oder nicht?“ „Natürlich!“, bestätigte Hendrick meine Vermutung auch sofort. „Und dreimal darfst du raten, wer diese dann auch tatsächlich zuerst entdeckt hat...“ Na, das war einfach, fand ich und erwiderte: „Das wird natürlich Tsain-tonkee gewesen sein, habe ich recht?“ Der Arzt lachte leise in sich hinein und meinte dann: „Ich habe auch schon mal intelligentere Fragen gestellt, richtig? Ja, natürlich ist es der Unterhäuptling gewesen, und er hat anscheinend sowohl die Rothäute als auch die beiden Weißen nicht nur identifiziert, sondern auch, sofern ich alles richtig verstanden habe, das derzeitige Versteck der Kerle ausfindig gemacht!“ „Wie bitte?“ Fast schon zu laut verließen diese beiden Worte meinen Mund, und nur die Rücksicht auf meinen Freund hinderte mich daran, wie von der Tarantel gestochen vom Bett hochzufahren. „Bist du sicher? Bist du dir da ganz sicher?“, ereiferte ich mich, mit einem Male heftig atmend. Das wäre ja ein äußerst glücklicher Umstand gewesen – damit wäre es ja nur noch eine Frage der Zeit, bis uns der ehemalige Unteranführer der Geier in die Hände fallen würde! „Nun beruhige dich doch wieder! Wie gesagt, ich habe diese Gespräche und all die Geschehnisse nicht vollständig mitbekommen, da ich mich voll und ganz auf unseren Freund hier konzentriert habe. Aber du kannst sicher sein, dass unsere Gefährten schon das Richtige getan haben werden!“ Ja, er hatte natürlich recht; auch mir war klar, dass ich mich auf Firehand, Surehand, Sam Hawkens und Tsain-tonkee felsenfest verlassen konnte, und so bemühte ich mich auch schnell, meine Beherrschung wieder zurückzugewinnen. Ich fragte Walter noch eine kleine Weile gezielt aus, aber er konnte mir nicht mehr viel mitteilen; er hatte in den letzten Stunden wirklich ausschließlich Winnetous Wohlergehen im Sinn gehabt. Jetzt erst fiel mir auf, dass dieser noch gar nichts zu der bemerkenswerten Tatsache gesagt hatte, dass das Versteck unseres und vor allem seines Todfeindes ganz in der Nähe der Festung ausgemacht worden war. Also senkte ich meinen Blick, um ihn darauf anzusprechen – nur um im gleichen Augenblick festzustellen, dass er mit geschlossenen Augen in meinen Armen lag und dabei tief und recht gleichmäßig atmete. Im gleichen Moment wurde auch der Doktor auf den Schlafenden aufmerksam, doch er reagierte etwas anders, als ich erwartet hätte: „Oh nein! Nicht doch! Er sollte doch noch...wir müssen...“ Abrupt wirbelte er herum, lief rasch aus dem Raum – und ließ mich einigermaßen verwirrt zurück. Nicht lange danach hörte ich vor dem Eingang schnelle Schritte, und Sekunden später betrat Walter wieder die Kammer, dicht gefolgt von Tsain-tonkee – ein Umstand, der nicht gerade dazu beitrug, meine Verwirrung wieder aufzulösen. Der Unterhäuptling begrüßte mich erfreut, wandte sich aber gleich darauf Winnetou zu. Walter hatte meine fragenden Blicke natürlich bemerkt und klärte mich darum jetzt schnell über sein etwas seltsames Verhalten auf: „Das Fieber ist noch nicht vollständig gesunken, es tritt immer wieder mal phasenweise auf, wenn auch nicht so heftig wie am gestrigen Tag; und darum hat unser roter Freund hier Winnetou seit unserer Ankunft ständig mit einem fiebersenkenden Kräutertee versorgt. Der ist mir aber jetzt ausgegangen, doch vorhin habe ich bemerkt, dass die Temperatur wieder leicht ansteigt – also wollte ich ihn, bevor er wieder einschläft, schnell noch einen Becher Tee zu sich nehmen lassen, hatte aber über unsere Unterhaltung hinweg einfach die Zeit vergessen!“ Der Unterhäuptling der Mescaleros ergänzte an dieser Stelle: „Tsain-tonkee ist es zudem gelungen, einen geeigneten Baum hier in der Nähe zu finden, aus dessen Rinde sich Baststreifen schneiden ließen. Diese werde ich jetzt unserem Häuptling im Brustbereich anlegen, um die angebrochenen Rippen zu stützen und ihm dadurch auch die größten Schmerzen zu nehmen!“ Ich nickte nur, aber innerlich jubilierte ich fast vor Erleichterung. Diese Maßnahmen klangen sehr wirkungsvoll, und alles, was die Qualen meines geliebten Freundes erleichterte, war mir sehr willkommen, auch wenn das jetzt bedeutete, dass wir ihn leider noch einmal aus seinem so dringend benötigten Schlaf reißen mussten. Gemeinsam machten sich der Doktor und der Unterhäuptling nun auch sofort ans Werk und begannen, Winnetou zuerst die durchnässten Baststreifen um den linken Brustkorb zu legen, wobei ich sie nach Kräften unterstützte, indem ich meinen Freund währenddessen so gut wie möglich aufrecht hielt. Wenn diese Baststreifen nach einiger Zeit getrocknet waren, würden sie sich gleichzeitig so fest zusammengezogen haben, dass sie eine fest anliegende, schützende Hülle bildeten, die einen angebrochenen Knochen genauso fest zusammen hielten, als wäre er geschient worden, was gerade im Brustbereich natürlich sonst gar nicht möglich war. Während dieser im Augenblick mit Sicherheit recht schmerzhaften Prozedur erwachte mein Freund ganz allmählich wieder aus seinem Tiefschlaf, und diesen Umstand nutzten wir sofort, um ihm schnell auch noch den Tee einzuflößen. Zwischendurch bemerkte ich sehr wohl, dass sein Körper wieder begann, vermehrt Hitze auszustrahlen, und dankte daher im Stillen dem Herrgott dafür, dass es Tsain-tonkee und sein naturheilkundliches Wissen gab, von unserem Doktor mal ganz zu schweigen! Winnetou ließ das alles fast schon teilnahmslos über sich ergehen und hielt dabei seine Augen auch die ganze Zeit über geschlossen – ihm fehlte jetzt einfach die Kraft, auch nur ein wenig mitzuhelfen, und außerdem wurde er schon wieder von seiner Müdigkeit übermannt. Kaum hatte er den letzten Schluck getrunken, zog ich ihn sanft in meine Arme und behielt diese Stellung mehrere Minuten lang bei, bis er wieder eingeschlafen war. Mit einem wohligen Seufzer hatte er sich mit dem Kopf an meine Brust gelehnt und dabei sichtlich meine Nähe, meine Wärme und die Geborgenheit genossen, die ihn in meinen Armen mit aller Macht umfing. Ich warf einige Male einen kurzen Blick auf den Unterhäuptling, um herauszufinden, ob der unsere Position oder mein Verhalten als seltsam oder vielleicht sogar als verwerflich empfinden würde, aber er bedachte seinen Häuptling nur mit einem warmen, liebevollen Blick, bevor er mir half, diesen wieder sanft zurück in die Felle zu betten. Als ich sicher sein konnte, dass mein Freund tief und fest schlief, löste ich mich sehr, sehr vorsichtig von ihm, ließ mir von dem Doktor vorsichtshalber noch einmal versichern, dass er bei Winnetou bleiben und ihn nicht aus den Augen lassen würde, und begab mich dann nach draußen, um zusammen mit Tsain-tonkee die Gefährten aufzusuchen, damit ich mit ihnen alle vergangenen Geschehnisse sowie unsere weitere Vorgehensweise besprechen konnte. Die Begrüßung mit Sam Hawkens fiel außerordentlich herzlich aus, und ich bedankte mich bei dem kauzigen Westmann jetzt auch erst einmal ausführlich für seinen aufopferungsvollen Einsatz, der es ihm möglich gemacht hatte, schnellstens Hilfe für meinen Winnetou holen zu können. Sam jedoch winkte lachend ab und meinte nur: „Lasst mal gut sein, verehrtes Greenhorn! Da Ihr Euch immer so viel auf Euer Brauereipferd einbildet, wenn ich mich nicht irre, dachte ich mir, dass es an der Zeit ist, Euch einmal zu zeigen, was meine Mary so alles kann – hihihi, und Ihr könnt es mir getrost glauben, mit Eurem Gaul nimmt sie es aber mit Leichtigkeit auf, wenn ich mich nicht irre! Ist gerannt, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her, die gute Mary! Werde Ihr diesen Ritt in meinem Leben nicht mehr vergessen – und wenn Ihr Euch bei irgend jemanden bedanken wollt, mein geliebter Sir, dann nehmt Euch einmal beizeiten mein Maultier vor, die würde sich über eine extra große Mohrrübe bis über ihre beiden riesigen Ohren freuen, wenn ich mich nicht irre!“ Lachend sicherte ich ihm zu, dass ich natürlich seinem Wink folgen würde und mich später am Abend einmal ausführlich mit seiner Mary „unterhalten“ wolle, woraufhin Sam wieder in sich hineinkicherte und mir dabei riet: „Aber passt ja auf, dass Ihr diese liebevolle Zeit mit der Mary nicht vor den anderen Pferden abhaltet, denn sonst könnte es passieren, dass Euer schwarzer Kutschen-Gaul sehr eifersüchtig wird, wenn ich mich nicht irre!“ Lächelnd klopfte ich ihm auf die Schulter und wandte mich dann den anderen Gefährten zu, die sich alle hocherfreut nicht nur über unser Wiedersehen und mein „Wiedererwachen“ zeigten, sondern vor allem über den verbesserten Zustand Winnetous. Nachdem wir uns eine Zeit lang über die vergangenen Geschehnisse unterhalten hatten, legten wir nun unser Augenmerk auf die vor uns liegenden Aufgaben. Nacheinander berichteten mir die Freunde nun, was sie auf ihren Erkundungsgängen entdeckt hatten. Tsain-tonkee hatte mehrmals seiner Aufgabe als Spähfuchs nachkommen müssen, bevor er zwei Kiowa-Krieger entdecken konnte, die an dieser Stelle offenbar eine Art Posten eingerichtet hatten, wohl in der Hoffnung, dass ihnen irgendwann einmal einer der Bewohner der Festung über den Weg lief, die sie wohl in einem ihnen unbekannten Versteck in dem Felsmassiv vermuteten. Dem Unterhäuptling war es dann zum Glück auch noch gelungen, die Krieger zu belauschen, aber er musste dafür eine lange Wartezeit in Kauf nehmen, bis seine Geduld belohnt wurde und er endlich einige auch für uns wichtige Dinge erfuhr. So konnte er zum Beispiel den wenigen Gesprächen entnehmen, dass die Kiowas den Eingang zur Festung, wie überhaupt den genauen Aufenthaltsort von uns gar nicht kannten. Sie wussten trotzdem aber sehr wohl, dass sich nicht nur Firehand, sondern auch Sam, Emery, Winnetou und ich uns dort befinden mussten. Woher aber hatten sie überhaupt erfahren, dass wir hier an dem Berg Unterschlupf gefunden hatten? Auch das hatte Tsain-tonkee erlauschen können, dieses Mal allerdings von zwei weiteren Posten, die er Stunden später an einer ganz anderen Stelle entdeckt hatte. Diese Männer hatten davon gesprochen, dass ein kleiner Trupp der von uns am Nebenfluss des San-Juan-Rivers überwältigten Krieger versucht hatte, unseren Spuren zu folgen, aber offensichtlich hatten wir unsere Fährte bei unserer Flucht vor den Kiowas so gut verwischen können, dass sie dieses Unterfangen bald wieder aufgaben. Allerdings gab es da ja noch den Wachposten, den ich vor dem Zelt, in dem wir gefangen gehalten worden waren, niedergeschlagen und ins Innere des Zeltes fest verschnürt und für den Rest unseres Aufenthaltes liegen gelassen hatte. Dieser hatte uns aber die meiste Zeit über seine tiefe Bewusstlosigkeit leider nur vorgetäuscht – tatsächlich konnte er wohl genau mitbekommen, dass ich mich mit Sam über einen möglichen Zufluchtsort ausgetauscht hatte. Wir hatten damals zwar nicht die genaue Lage des Versteckes erwähnt, aber den Ort doch so beschrieben, dass die Feinde ungefähr wussten, wo sie in etwa suchen mussten. Zudem konnte der junge Unteranführer der Mescaleros den spärlichen Unterhaltungen entnehmen, dass man bisher noch keinen Bewohner der Festung ausmachen konnte – zu unserem Glück, denn noch am Abend von Emerys, Winnetous und meiner Ankunft hatte sich Old Firehand ja direkt auf Spurensuche rund um die Festung begeben, ebenso wie am folgenden Tag, und das gleich mehrere Male. Wie leicht hätte er dort entdeckt werden können, zumal er da ja noch gar nicht wissen konnte, dass sich die Kiowas schon in der Nähe aufhielten! Obwohl diese mit Sicherheit einen anderen Weg als wir zur Festung genommen hatten – wäre es anders gewesen, hätten sie uns ja einholen müssen – war es ihnen wohl möglich gewesen, schneller als wir dort anzukommen, da wir ja durch den Transport des schwerverletzten Winnetou sehr langsam geritten waren. Sam, Emery, Old Surehand, Old Firehand und Tsain-tonkee nebst einigen Apatschen hatten sich den ganzen heutigen Tag über damit abgewechselt, die Umgebung weiter auszuspähen, und es waren dann auch Firehand und Surehand gemeinsam, die letztendlich das Hauptlager der feindlichen Rothäute entdeckten und in diesem auch Thomson sowie einen anderen Weißen ausmachen konnten. Firehand geriet bei dessen Anblick wieder außer sich vor Zorn und konnte von Surehand gerade noch und in buchstäblich letzter Sekunde davon abgehalten werden, sich mitten hinein in das Lager zu stürzen und den Verbrecher dort sofort zu eliminieren. Es lag durchaus innerhalb meiner Vorstellungskraft, dass dem Hünen eine solche Wahnsinnstat wahrscheinlich auch gelungen wäre, allerdings hätte er damit, noch im gleichen Augenblick, mit Sicherheit sein eigenes Leben verwirkt. Surehand hatte etwas über einhundert Krieger gezählt, und aus einer solch großen Schar wäre wohl kaum ein Entkommen mehr möglich gewesen. Die beiden hatten daraufhin noch einige Zeit das Lager beobachtet, auch in der Hoffnung, dass sich Thomson eventuell einmal kurz absonderte, so dass man ihm vielleicht auf dieser Weise hätte habhaft werden können, aber es bot sich leider keine geeignete Gelegenheit. Auch Tsain-tonkee, Emery und Sam versuchten später, im weiteren Tagesverlauf und teils getrennt voneinander, eine Möglichkeit zu finden, auf irgendeine Weise diesen Erzschurken aus der Horde Rothäute herauszulocken, ebenfalls ohne Erfolg. Allerdings waren sich alle einig über die Tatsache, dass dieser Lagerplatz auf eine Art und Weise eingerichtet worden war, aus der man schließen musste, dass die Kiowas einen längeren Aufenthalt eingeplant hatten – wahrscheinlich wollten sie so lange bleiben, bis sie sämtliche Bewohner der Festung vernichtet und Winnetous Gold ihr Eigentum nennen konnten. Na, die Suppe würden wir den Rothäuten aber gründlich versalzen, so wahr mir Gott helfe! Doch um dieses Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, galt es jetzt erst einmal, einen guten Plan zu ersinnen. Eines stand fest – selbst wenn wir Thomson in unsere Gewalt bekommen würden, wären wir diese große Kriegerschar dadurch natürlich noch lange nicht los! Wahrscheinlich würden sie uns anschließend wochenlang belagern, wenn sie auch nicht in das Innere der Festung vorzudringen mochten – aber wir würden Tag und Nacht auf der Hut sein müssen, und diese ständige Gefahr, der wir, und erst recht der im Augenblick eher hilflose Winnetou, dann ständig ausgesetzt wären, empfanden wir einfach als ein zu hohes Risiko. Es war für mich wichtig, zu wissen, ob diese hundert Kiowas allesamt zu Motawateh gehörten, die uns natürlich aufgrund des gewaltsamen Todes ihres Häuptlings Rache geschworen haben mussten, oder ob es sich vielleicht auch um einige zusätzliche Krieger des am San-Juan-Rivers ansässigen Apsarokee-Stammes handelte, die ihre Verwandten unterstützen wollten. Rasch zählte ich daher noch einmal in Gedanken durch: Winnetou und ich hatten vor einigen Tagen, kurz bevor wir die zwanzig Krieger in der Schlucht in die Falle gelockt hatten, ja noch einmal einen größeren Trupp Kiowas belauschen können, das waren etwa sechzig an der Zahl gewesen. Diese hatten dann die besagten zwanzig Krieger für den Überfall auf uns abgestellt, der ihnen aber bekanntlich vollständig misslang. Die anderen vierzig wollten sich derweil zu Motawateh begeben, der mit einem weiteren Trupp am San-Juan-River gelagert hatte. Nachdem wir die zwanzig Krieger ohne Waffen und Pferde wieder freigelassen hatten, gesellten diese sich ebenfalls zu den anderen Kiowas am Fluss. Von dort aus hatte Motawateh ungefähr fünfzig Krieger beauftragt, uns in der darauffolgenden Nacht zu überfallen, was ihnen ja, vor allem zum Leidwesen Winnetous, leider geglückt war. Von dort aus begab man sich wieder mit uns als Gefangene in Richtung des Haupttrupps am Fluss, allerdings hatte Motawateh schon nach zwei Stunden rasten lassen, wie Winnetou mir im Zelt noch berichten konnte, und der Häuptling hatte dann nur zwanzig dieser Krieger bei sich behalten, während der Rest weiter reiten sollte. Warum eigentlich? Warum wollte der verschlagene Kiowa-Häuptling nur so wenige Krieger bei sich behalten, zumal uns auch aufgrund der geringen Anzahl der Rothäute die Flucht gelungen war? Aber darüber wollte ich mir ein anderes Mal den Kopf zerbrechen, jetzt kam ich erst einmal zu dem Schluss, dass diese einhundert Krieger hier in der Nähe wohl allesamt zu Motawateh gehörten. Natürlich, sie wollten Rache an uns üben und waren ja aufgrund ihrer indianischen Gepflogenheiten dazu auch verpflichtet, aber: Ich hatte nicht gerade den Eindruck gewonnen, dass sie Motawateh unbedingt so treu ergeben waren wie zum Beispiel die Mescaleros ihrem Winnetou. Wenn wir sie jetzt einfach zappeln ließen, bis sie sich selber sagen mussten, dass sie ihrer Pflicht vorerst Genüge getan hatten – es mussten ja auch mit Sicherheit irgendwo Frauen und Kinder versorgt werden – dann bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie ihre Zelte hier abbrachen und zu ihren Familien zurückkehrten. Thomson hingegen würde nicht so schnell aufgeben, dessen war ich mir sicher, und wenn das hieß, dass er mit seinem Gefährten solange allein hier in der Gegend bleiben wollte, bis er Winnetous Gold in den Händen hielt - dann, ja dann hatten wir so gut wie gewonnen! Ich teilte meine Gedanken meinen Gefährten mit, und diese gaben mir ausnahmslos recht. Der große Vorteil des Planes war, dass wir damit eine Menge Zeit gewinnen würden, Zeit, die Winnetou dringend benötigte, um zu genesen, auch wenn ihm das wahrscheinlich nicht vollständig gelingen würde – und so lange würden die Kiowas dann doch nicht hierbleiben wollen, zumindest war das unsere große Hoffnung. Über die Versorgung der jetzt fast fünfzig Bewohner der Festung brauchten wir uns auch keine Gedanken machen: Die Vorratskammern waren, wie immer für den Ernstfall einer Belagerung, gut gefüllt, Wasser war genügend vorhanden, da sich durch das kleine Tal ein klarer Bach hindurch wand, und für den Notfall gab es ja noch die zehn Apatschen, die mit Pfeil und Bogen auf Jagd gehen konnten, denn Schusswaffen durften wir natürlich in der nächsten Zeit nicht benutzen, da uns der Lärm unweigerlich verraten würde. Zum Kundschaften waren wir natürlich weiterhin gezwungen, einerseits, um zu erfahren, ob die Kiowas wirklich so handelten, wie wir uns das erhofften, und andererseits, um Thomson nicht aus den Augen zu lassen. Mindestens fünfzehn Männer – elf Apatschen und vier Westmänner, Winnetou noch gar nicht eingerechnet - wollten ihn mit aller Härte für seine Taten zur Verantwortung ziehen, und darum durften wir auf keinen Fall zulassen, dass er uns noch einmal entwischte! Kapitel 27: ... und alte Geschichten ------------------------------------ Die nächsten vier Tage vergingen nur sehr langsam. Außer gelegentlichen Kundschaftergängen hatten wir nicht viel zu tun, und selbst an diesen nahm ich nicht teil, da ich glaubte, es einfach nicht ertragen zu können, wenn ich meinen Winnetou auch nur für eine Minute alleine ließ. Mein Freund schlief in diesen Tagen die meiste Zeit über, und stundenlang saß ich dann an seinem Bett oder hielt ihn fest in meinen Armen; tupfte ihm immer wieder den Schweiß von Stirn, Hals und Brust, wenn er wieder einmal von einem Fieberschub heimgesucht wurde, was aber glücklicherweise nur noch selten geschah und dank Tsain-tonkees Heilkräutertee auch nie lange anhielt. Er phantasierte dabei auch glücklicherweise nicht mehr, und insgesamt besserte sich sein Zustand mit jedem Tag, der verging, wenn auch nur langsam. Aufstehen durfte er natürlich noch nicht, im Gegenteil, denn Hendrick hatte zu allem Übel auch noch feststellen müssen, dass eine der Rippen so ungünstig angeknackst war, dass eine einzige falsche Bewegung genügen könnte, um den Rippenbogen vollständig durchbrechen zu lassen, und in diesem Fall würde eines der Bruchstücke mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Lunge eindringen – und das wäre vielleicht sogar Winnetous Todesurteil. Unser Doktor war deshalb hochzufrieden, dass mein Freund so viel schlief, da er nur so die nötige Ruhe fand, die er für seine Genesung brauchte. Zudem verspürte er während dieser Zeit auch keine Schmerzen, was aber auch größtenteils daran lag, dass Walter ihm immer wieder ein Schmerzmittel verabreichte – Winnetou allerdings hatte das bis dahin noch gar nicht mitbekommen. Insgeheim war ich gespannt, wie er reagieren würde, wenn er es herausfand – Schmerzmittel hatte er schon immer abgelehnt, um vor seinen Mitmenschen und vor allem vor sich selbst seine Würde zu bewahren und nicht als schwach zu gelten. In den wenigen Momenten, in denen er wach war, wollte Winnetou von mir alles bis dahin Geschehene erfahren, nicht die kleinste Kleinigkeit durfte ich auslassen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, dass einer unserer Gefährten, der Apatschen oder auch der Doktor, es ihm dann letztendlich doch erzählte, denn sie alle kamen oftmals am Tag herein und hofften, ihn bei Bewusstsein zu finden, um ein paar Worte mit ihm wechseln zu dürfen. Zum Glück war mein Blutsbruder mit all unseren getroffenen Maßnahmen einverstanden, aber ich konnte mir auch denken, warum: Je länger wir mit unserem Vorhaben, einen Angriff auf Thomson durchzuführen, warteten, umso mehr erhöhten sich auch Winnetous Chancen, um an der Jagd auf den Verbrecher teilnehmen zu können – glaubte er zumindest. Ich hingegen wusste, ich würde es in den nächsten Wochen, wenn nicht sogar Monaten, um nichts in der Welt zulassen, dass sich mein Geliebter erneut in Gefahr begab, und ich war mir in dieser Hinsicht der Unterstützung sämtlicher Gefährten und vor allem des Doktors mehr als sicher. Ob Winnetou allerdings mit mir da einer Meinung sein würde, war mehr als dahingestellt! Im Augenblick brauchte ich mir zum Glück darüber noch keine Gedanken zu machen, im Gegenteil, ich genoss die vielen kleinen und kostbaren Momente, in denen mein Freund und ich ungestört beisammen sein durften und er sogar auch noch bei Bewusstsein war, wirklich in vollen Zügen. Leise unterhielten wir uns dann über Alltägliches, manchmal aber auch über weit in die Tiefe gehende Gefühle und Gedanken. Vor allem ein Gespräch ist mir dabei in Erinnerung geblieben, auf das ich in Kürze aber noch zurückkommen werde. Zumeist waren die Unterhaltungen allerdings von den neuesten Ereignissen geprägt, und da sich uns manches davon noch nicht ganz erschloss, sannen wir angestrengt nach, uns gegenseitig mit kleinen Bruchstücken einer Erklärung weiterhelfend, bis dann endlich die gesamte Lösung des Rätsels wie hellerleuchtet vor uns zu liegen schien. So war es eigentlich schon immer zwischen uns gewesen, und wie oft hatten wir das glückliche Ende eines Abenteuers nur dem Umstand zu verdanken, dass wir unsere Gedanken miteinander verflochten, verwebten, bis wir aus den einzelnen Puzzleteilen ein ganzes Bild gezaubert hatten! Auch jetzt gingen wir noch einmal gründlich unsere Reise, die Gefangenschaft und alle damit verbundenen Umstände in Gedanken und Gesprächen durch. Die meisten Geschehnisse waren uns im Nachhinein durchaus schlüssig und wir verstanden völlig die Gründe, warum es Thomson samt seinen Kiowas gelungen war, uns zu verfolgen und letztendlich auch gefangenzunehmen. Eine Sache aber war mir noch nicht ganz klar, und am Abend des fünften Tages in der Festung brachte ich dann auch das Gespräch darauf: „Mein Bruder – kann Winnetou sich vorstellen, aus welchem Grund Motawateh von den fünfzig Kriegern, die uns im Schlaf überfielen, dreißig weiter in Richtung San-Juan-River schickte und für unsere Bewachung nur zwanzig Männer bei sich behielt?“ Winnetou dachte einige Augenblicke nach, bevor er antwortete: „Winnetou ist sich da auch nicht ganz sicher – aber hat mein Bruder nicht den unsteten und cholerischen Charakter des Häuptlings bemerkt?“ „Und wie ich den bemerkt habe“ schnaubte ich, halb empört, halb belustigt – ich hatte ja nun wirklich genug mit diesem ausgemachten Bastard zu tun gehabt, und wie es Winnetou in dessen Gegenwart ergangen war, darüber mochte ich lieber gar nicht mehr nachdenken, seine vielen Stichwunden, Blutergüsse und Prellungen sprachen hier Bände. Mein Freund lächelte jetzt auch leise ob meiner gespielten Entrüstung, wurde aber sofort wieder ernst. „Winnetou hat Motawateh schon in früheren Jahren kennen gelernt, als er noch nicht Häuptling war. Schon damals besaß er kein kühles Blut, sondern ein sehr unruhiges und schnell aufbrausendes Gemüt, war außerdem äußerst verschlagen und gewaltbereit. Die Krieger, die ihn damals begleiteten, hatten schon zu der Zeit unter ihm zu leiden, da er, ohne zu zögern, seine eigenen Männer tötete, wenn ihm ihr Handeln nicht gefiel!“ Es war für mich fast unvorstellbar, dass so etwas auch unter Rothäuten möglich war, aber nachdem ich Motawateh, wenn auch unfreiwillig, genauestens kennengelernt hatte, erschien es mir mit einem Male dann doch nicht mehr ganz so abwegig. Mein Freund begann, mir mit dem Daumen seiner Hand, die von meiner gehalten wurde, leicht über meinen Handrücken zu streicheln und fuhr währenddessen leise fort: „Als er dann zum Häuptling ernannt wurde – vermutlich, weil er durch seine Verbindung zu dem weißen Gesindel immer Zugang zu neuen Schusswaffen und Feuerwasser hatte – wurde sein Verhalten offenbar noch widerwärtiger, zumindest habe ich das aus Gesprächen mit befreundeten Stämmen, die dem der Naishan-Kiowas recht nahe stehen, herausgehört. Sein Charakter hatte sich keineswegs gebessert, und Winnetou ist fest davon überzeugt, dass er stets darauf bedacht gewesen war, soviel wie möglich von den Gewinnen seiner Geschäfte mit den Weißen für sich zu behalten und so wenig, wie es nur irgendwie ging, seinem Stamm zugute kommen zu lassen.“ Er unterbrach seine Rede für einen Moment, um durchzuatmen, denn immer noch war jede auch noch so kleine Anstrengung für ihn schwer durchzuhalten. Ich nutzte seine unfreiwillige Pause, um zu fragen: „Hm – du meinst, dass könnte auch hier der Fall gewesen sein? Wollte er seine von uns geraubte Beute nicht mit allen Stammesmitgliedern teilen, sondern nur mit denen, die ihm näher standen?“ „Ja, davon bin ich überzeugt!“, gab Winnetou zur Antwort. „Diese zwanzig Krieger unterstützten Motawateh offenbar in jeder Hinsicht – ihre Gesinnung ähnelte der seinen sehr, soweit Winnetou es in der kurzen Zeit beobachten konnte. Zudem drangen mir, wenn ich bei Bewusstsein war, manchesmal einige Satzfetzen an die Ohren, deren Inhalt mich glauben lässt, dass der Hauptteil der Kiowas unter der Führung eines deutlich besonneneren Unterhäuptlings mit der Jagd auf die Goldsucher und uns immer weniger einverstanden war – und dieser Unterhäuptling gewinnt seit einiger Zeit wohl mehr und mehr an Einfluss und Macht unter den Kriegern seines Stammes. Motawateh äußerte die Besorgnis, dass man ihn über kurz oder lang als Häuptling abwählen könnte, wenn seinem Volk seine niedere Goldgier zu bunt werden würde, denn er beging ihretwegen mittlerweile Überfälle, die langsam aber sicher auch seinen Stamm gefährdeten!“ Beide sahen wir uns jetzt an, und beide waren wir uns einig, dass wir hier den Grund für das schändliche Verhalten der bestialischen Rothaut vor uns hatten. Wieder schwiegen wir für einige Momente, dann aber wollte ich endlich erfahren, was genau damals zwischen dem Kiowahäuptling und meinem Winnetou bei den Gräbern seines Vaters und seiner Schwester geschehen war. Auf meine vorsichtige Frage hinsichtlich der Brisanz aufgrund seines schweren Verlustes, die diesem Thema anhaftete, begann Winnetou mit leiser Stimme zu sprechen. „Winnetou wollte vor Jahren zu den Gräbern seines Vaters und seiner Schwester, um ihrer zu gedenken und mit ihnen im Geiste vereint zu sein. Aus reiner Vorsicht näherte er sich dem Platz nur versteckt, und dann gewahrte er zu seinem Schrecken elf rote Männer, offensichtlich Kiowas, die gerade begannen, Intschu-tschunas Grab zu beschädigen. Sechs von ihnen konnte ich dank der Silberbüchse und meinen Revolvern sofort ausschalten, und während die restlichen Krieger nun mit ihren Gewehren das Gebüsch beschossen, aus dem ich meine Schüsse abgegeben hatte, war ich schon mehrere Schritte weiter hinter dem nächsten Strauch verschwunden. Von dort aus konnte ich den siebten Mann mit meinem Thomahawk töten, der achte und der neunte fiel jeweils meinen Pfeilen zum Opfer und den zehnten griff ich letztendlich mit meinem Messer an. Hier war nur ein kurzer Kampf vonnöten, dann fiel auch dieser vor mir tot zu Boden. Jetzt war nur noch Motawateh übrig, der sich allerdings, anstatt seinen Kriegern beizustehen, sofort hinter den Gräbern versteckt hatte und von dort aus nun ein ums andere Mal versuchte, mich mit seinem Gewehr und seinem Revolver unschädlich zu machen. Er traf dabei nie, im Gegenteil, seine Kugeln gingen weit daneben. Entweder geschah das, weil er die Waffen einfach nicht genügend beherrschte, oder er fühlte eine zu große Angst!“ Mein Freund machte jetzt eine kleine Pause, um wieder zu Atem zu kommen, aber sein Blick hatte eine gewisse Belustigung angenommen, und auch ich konnte mein Grinsen nicht mehr unter Kontrolle bekommen. Das soeben Gehörte entsprach eigentlich genau dem Bild, welches ich von dem völlig von sich eingenommen Kiowa-Häuptling gewonnen hatte – ein Großmaul ohnegleichen, und nur stark seinen Feinden gegenüber, wenn sie wehrlos vor ihm lagen! Winnetou fuhr fort: „Nach wenigen Augenblicken war ich davon überzeugt, dass die Angst seine Hände erzittern ließ, und einen Wimpernschlag später konnte ich selbst davon Zeuge werden, als er in einem wahren Verzweiflungsakt hinter einem der Gräber auftauchte, dabei seinen Revolver auf mich anlegte – und diesen aus der zitternden Hand fallen ließ! Winnetou wollte sich vor einem solch feigen Hund nicht länger verstecken und ging nun, ohne Schutz und mit gesenktem Gewehr, auf ihn zu. Motawateh warf jetzt ebenfalls seinen Thomahawk und sein Messer nach mir, aber keine seiner Waffen traf, obwohl ich schon recht nahe war und ein mehr als gutes Ziel bot. Er schrie auf, vor Wut oder Angst, ich weiß es nicht, aber dann tat er das Schändlichste, was ein Krieger tun kann: er wandte sich zur Flucht! In der Nähe hatte er sein Pferd versteckt, und damit floh er nun in südlicher Richtung davon. Für den Apatschen war es aber ein Leichtes, ihn zu verfolgen. Seine Spur führte mich nach fast einem halben Tagesritt zu einem Lagerplatz, wo sich etwa siebzig Kiowas aufhielten. Ich beschlich es, und schon nach wenigen Minuten wurde ich Zeuge, wie Motawateh vor den Häuptlingen der dort anwesenden Krieger mit seinen Taten prahlte und ihnen weismachte, er alleine hätte gegen mindestens zwanzig Apatschen gekämpft, nachdem seine eigenen Krieger allesamt erst nicht getroffen hätten und dann ohne Ausnahme getötet worden wären. Mindestens zehn der Apatschen hätte er getötet, unter anderem auch Winnetou, die anderen hätten ihr Heil in der Flucht gesucht. Es war für Winnetou nicht möglich, seinen Ohren auch nur noch eine einzige weitere Lüge zuzumuten, also trat er blitzschnell aus seinem Versteck mitten hinein in den vom Feuer hellerleuchteten Kreis, ergriff den am Boden sitzenden Häuptling, zwang in auf die Füße, hielt ihm sein Messer an die Kehle und suchte sich gleichzeitig eine Stelle, an der man ihn nicht von hinten angreifen konnte. Dann lachte ich Motawateh erst einmal herzhaft aus, bevor ich den Kiowas die wahre Geschichte erzählte. Ich konnte spüren – sie glaubten mir, nicht ihm, und das brachte ihn fast zur Raserei. Winnetou kümmerte das nicht, sondern er drohte ihm und all den anderen Kriegern, wenn sie sich noch einmal in die Nähe der Gräber des Häuptlings und seiner schönen Tochter wagen sollten, würde die Rache der Apatschen wie ein Feuersturm über sie kommen, zudem würde die Schmach Motawatehs überall im Land bekannt gemacht werden, so dass sich nie wieder ein Kiowa vor einem anderen Stamm sehen lassen dürfte. Der Häuptling sagte mir in seiner Angst um sein Leben zu, dass niemals wieder einer seiner Männer die Totenruhe stören würde, und wir bekräftigten seine Worte mit der Pfeife des Schwurs. Winnetou konnte das Lager danach unbehelligt verlassen, aber die wüsten Drohungen Motawatehs klangen ihm noch lange in den Ohren!“ Na, das war ja eine hochinteressante Geschichte gewesen, die mir mein Freund da soeben erzählt hatte! Fast bedauerte ich, dass ich während meiner Gefangenschaft bei Motawateh nicht schon über diese Informationen verfügt hatte – da hätte ich ja noch einmal so richtig Öl ins Feuer gießen können! Aber nein, wies ich mich zurecht, ich konnte doch wirklich froh sein, dass der Kiowa-Häuptling in seiner rasenden Wut Winnetou nicht sofort getötet hatte, und jede weitere Provokation meinerseits hätte wahrscheinlich dazu geführt. Während dieser vier Tage war auch außerhalb der Festung nichts Nennenswertes geschehen. Thomson nebst seinem Kumpan wurde von unseren Spähern scharf beobachtet, und er hatte, genau wie die große Schar der Kiowas, deren Lager bis dahin nicht verlassen. Er handelte hier so, wie er wohl immer zu handeln pflegte: Er überließ die gefährliche Drecksarbeit anderen, und er selbst wollte sich nachher die Rosinen aus dem Kuchen picken, während er, bis es soweit war, sich schön zurückhielt und in sicherer Deckung blieb. Die Kiowas hingegen hatten den Eingang der Festung immer noch nicht gefunden, und wenn man die Schlüsse, die die Apatschen aus ihren Beobachtungen und den gefundenen Spuren gezogen hatten, beachtete, dann konnten wir davon ausgehen, dass sich die Rothäute auch nicht unbedingt die größte Mühe gaben, überhaupt etwas zu finden. Wenn ich dazu noch Winnetous Erzählung in Erwägung zog, ergab sich für mich eigentlich nur dieses eine Bild: Die feindlichen Krieger waren nur hier, um ihrer Pflicht nachzukommen, damit sie nicht später von anderen Stämmen, vor allem den befreundeten, als Feiglinge bezeichnet werden konnten. Es schien so, als seien sie sogar insgeheim froh darüber, Motawateh endlich los zu sein, und daher taten sie nur das Allernötigste, was sie natürlich in ihrem, vor allem aber Thomsons Vorhaben, nicht einen Deut weiterbrachte. Und so konnten wir mittlerweile fast sicher sein, dass sich die Kiowas nur so lange hier in der Gegend aufhalten würden, wie es nötig war, um nach außen hin den Schein zu wahren. Winnetou, der sich in solchen Dingen natürlich genauestens auskannte, ging von ungefähr drei bis vier Wochen aus, bevor sie die Gegend verlassen würden, weil sie ihrer Pflicht dann Genüge getan hatten. Ich konnte meinem Freund dabei deutlich ansehen, dass er inständig hoffte, bis dahin einigermaßen wiederhergestellt zu sein – und ich hingegen hoffte, dann noch genügend Einfluss auf ihn zu haben, um ihn mit Hilfe des Doktors von seinem Vorhaben doch noch abbringen zu können. Allerdings – so wie es jetzt aussah, mit der Gefahr des vollständigen Rippenbruchs, war jede Teilnahme von Winnetou an einer Verbrecherjagd von vornherein vollkommen ausgeschlossen – es konnte ihm das Leben kosten! Es war ein herrlicher Sommertag, genau zehn Tage nach unserer Ankunft in der Festung, als ich mich entschloss, Winnetou zu ermöglichen, dass er einmal wieder die Sonne sehen konnte. Ich bereitete ihm deshalb an einer wunderschönen kleinen Lichtung am Ende des Tales aus Fellen ein bequemes Lager und trug ihn dann vorsichtig den ganzen Weg bis dorthin, was ungefähr eine Viertelstunde in Anspruch nahm. Firehand hatte sich sofort angeboten, den Transport zu übernehmen, aber ich lehnte dankend ab und bat ihn gleichzeitig, dafür zu sorgen, dass mein geliebter Freund und ich in den nächsten Stunden einmal nicht gestört wurden, da er diese erste Zeit an der frischen Luft in Ruhe genießen sollte. Durch die Lichtung wand sich leise gurgelnd der Bach, der sich in einem von den Felsen geformten Rund sammelte, bevor er hier kurzzeitig in der Erde verschwand und an einer anderen Stelle außerhalb des kleinen Wäldchens, das diese Lichtung umgab, wieder zu Tage trat. Dieses Rund war groß genug, um darin zu baden, und ich sah Winnetou an, dass er das am liebsten sofort in die Tat umgesetzt hätte, aber es war aufgrund der Vielzahl und der Schwere der Verletzungen leider nicht möglich. Aber wir streckten uns so nahe, wie es nur ging, an dem winzigen See aus, so dass wir mit den Händen in das Wasser langen konnten. Lange, lange Zeit verweilten wir dort – Winnetou halb schräg auf meiner Brust liegend, sein Kopf auf meiner Schulter ruhend, unsere Hände ineinander auf seiner Brust verschränkend. Zuerst waren wir beide ganz still, genossen mit all unseren Sinnen den schönen Sommertag, die Kühle des nahen Wäldchen, die zu uns herüberwehte, das Gluckern und Plätschern des Baches, der sich ganz nah an uns vorüber wand, das Zirpen der Grillen, das sich mit dem Vogelgezwitscher vermischte – nichts schien die Ruhe und den Frieden dieses Ortes zu stören, alles Feindliche, Lärmende, alle Boten des Kampfes, des Hasses und Verrats schienen von diesem Platz ausgeschlossen worden zu sein, wir schienen uns auf einer Insel weit außerhalb aller negativen Empfindungen zu befinden. Leise lächelnd beobachteten wir ein Vogelpärchen, das sich, nur wenige Zentimeter von uns entfernt, um einen soeben aus der Erde gezogenen Wurm stritt, und als schließlich der eine gewann, mit seiner Beute davonflog und den anderen wütend schimpfend zurückließ, konnte ich ein belustigtes Auflachen nicht mehr unterdrücken. In dem Augenblick löste Winnetou seine Hände von mir, streckte sie über seinen Kopf und umschlang dann mit ihnen meinen Nacken, bog mir gleichzeitig seinen Kopf entgegen, sah mich mit seinen dunklen Sternenaugen an – und ich konnte gar nicht anders, ich kam sofort seiner unausgesprochenen Aufforderung nach, konnte mich ihr überhaupt nicht entziehen, beugte mich zu ihm hinunter und versank ohne Umschweife mit ihm in einen innigen Kuss. Es war, als ob sich ab diesem Moment alles Leben um uns herum ausschaltete, nur noch wir beide waren übrig, wir befanden uns ganz alleine in einem einzigartigen Kosmos, der mit unserer Liebe zueinander zum Bersten gefüllt war. ACHTUNG: SLASH! Ich glaubte, so wie jetzt noch nie in meinem Leben geküsst zu haben, drang tief und tiefer ein in seinen Mund, er kam mir entgegen, mit aller Macht, hielt meinen Kopf gleichzeitig so fest, dass ich mich überhaupt nicht mehr rühren konnte, und seine ganze Körperhaltung drückte plötzlich eine solch lodernde Leidenschaft aus, dass mir die Knie weich wurden, die mich sofort mitriss und mich in der nächsten Sekunde schon bretthart werden ließ. Ein durchdringendes Stöhnen entwich mir in seinem Mund, welches von ihm mit einem Keuchen beantwortet wurde. Kurz ging mir durch den Kopf, dass er sich ja nicht viel bewegen durfte – wie sollte das hier also nur weitergehen? Aber mein geliebter Freund beantwortete meine stumme Frage auf seine Weise. Er löste seine linke Hand aus meinem Nacken – die andere Hand hielt diesen weiterhin mit stählernem Griff fest umschlossen – glitt dann mit seinen Fingern ganz sanft über meine linke Seite, sie suchten sich ihren Weg langsam, aber unaufhaltsam über meine Taille bis hin zur Hüfte – um dann in einer fast schon quälend langsamen Geschwindigkeit auf meine Mitte zuzusteuern, in der sich schon jetzt alles danach sehnte, von ihm endlich berührt zu werden. Je näher er sich meiner inzwischen prall angeschwollenen Männlichkeit näherte, desto langsamer wurde er – und er wusste natürlich ganz genau: ich durfte mich nicht bewegen, nicht wie von Sinnen mich hin und her winden, wie mein ganzer Körper es eigentlich gerade mit aller Macht einforderte – denn sonst hätte ich ihn gefährdet, hätte ihm mit Sicherheit Schmerzen zugefügt, allein schon im Bereich seiner schwer geprellten und dazu noch angebrochenen Rippen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als still und auch noch stumm liegenzubleiben und mich darauf zu konzentrieren, in dieser Position meine hochgradige Erregung irgendwie lautlos auszuhalten. Winnetous Unterleib dagegen befand sich auch zu weit entfernt von meinen Händen, als dass ich meine hoch auflodernde Leidenschaft zum Ausgleich an ihm hätte austoben können, und so blieb mir nur noch die Möglichkeit, mein Stöhnen und Keuchen in seinem Mund, in seinem Kuss zu ersticken. Seine feingliedrige Hand näherte sich jetzt dem Verschluss meiner Leggins, öffneten diesen ebenfalls aufreizend langsam, und schon jetzt war es mir, als könnte ich das alles nicht eine Sekunde länger aushalten; mein Körper schrie geradezu nach seiner Berührung - er aber tat so, als hätten wir alle Zeit der Welt. Nachdem er den Verschluss gelöst hatte, ließ er seine Finger Zentimeter für Zentimeter weiter nach unten wandern, und jeden einzelnen Schritt kostete er voll aus, massierte dabei leicht meine Haut, streichelte sie sanft, blieb aber immer wieder eine gefühlte Ewigkeit an derselben Stelle stehen. Mittlerweile schmerzte meine Erektion fast schon ein wenig, weil das Leder der Leggins immer noch dagegen drückte, und da ich keine andere Möglichkeit hatte, als meine Hände zu bewegen, da Winnetou mich mit seinem ganzen Körper fest zu Boden presse, nutzte ich diesen kleinen Freiraum dann auch dazu, mich, zumindest soweit es ging, von meiner Hose zu befreien. Sogleich nutzte mein Schaft seine neugewonnene Freiheit und richtete sich hoch auf, und wieder entfuhr mir ein Stöhnen, welches in Winnetous Mund aber nur dumpf zu hören war. Dessen Hand ging weiter auf Wanderschaft, näherte sich schließlich mehr und mehr dem Punkt, der es kaum mehr erwarten konnte, endlich berührt zu werden, und als seine Finger schließlich und endlich meinem sehnlichsten Wunsch nachkamen und ganz sanft meinen Schaft hinauffuhren, hatte ich das Gefühl, als ob mein Rückgrat sich in flüssiges, kochendes Blei verwandelte. Ich versuchte instinktiv, meinen Kopf in den Nacken zu legen, um meiner Lust verbal Ausdruck zu verleihen – aber mein Freund ließ mich nicht, im Gegenteil, sein Griff verstärkte sich noch etwas mehr in meinem Nacken, sein Kuss wurde noch intensiver, und mittlerweile glaubte ich, vor Erregung vergehen zu müssen. Seine Finger näherten sich meiner Spitze, die ihm entgegen zuckte, und als er dann auch noch leise darüber strich und sie sanft zu massieren begann, da konnte ich wirklich nicht mehr, ich entriss ihm meinen Mund, stemmte mich mit aller Gewalt gegen seine Hand in meinem Nacken, so dass sich sein Griff lockern musste, warf meinen Kopf nach hinten und ließ ein tiefes, grollendes Stöhnen hören. Fast im gleichen Moment schloss er seine ganze Hand mit mäßigem Druck um meinen Schaft und bewegte sie einige Male auf und ab, um sie gleich darauf wieder zu lösen und seine Finger nur ganz leicht auf meiner Eichel ruhen zu lassen. Mir wurde heiß und kalt zugleich, meine Lenden drängten sich seiner Hand entgegen, und als sich dadurch der Druck auf meine Spitze etwas verstärkte, presste ich mir schnell meine Linke vor den Mund, um den nächsten Lustlaut wenigstens etwas einzudämmen – doch ich konnte mich fast nicht mehr beherrschen; es fehlte nicht mehr viel und ich hätte laut aufgeschrien. Mein über alles geliebter Blutsbruder trieb es aber noch weiter; er bildete eine hohle Hand und ließ nun seine Handinnenfläche ganz leicht über meine Spitze gleiten, während der Rest seiner Hand meinen Schaft umfasste, aber nur hauchzart. Ich wollte mehr, alles in mir schrie nach einer druckvollen Berührung, doch er spielte weiter mit mir, und ich spürte mehr als dass ich es sah, wie er mich die ganze Zeit über, fast schon versonnen, mit einem liebevollen Blick beobachtete. Innerhalb kürzester Zeit ging nichts mehr, ich konnte es einfach nicht weiter aushalten und drängte ihm nun kraftvoll und mit schnellen Bewegungen meine Lenden entgegen, ohne dass ich es irgendwie noch steuern konnte, aber auch diese Stöße waren fast nicht möglich, da er ja halb auf mir lag und mich mit seinem Körper weiterhin zu Boden drückte. Trotzdem erreichte ich, dass meine Eichel sich mehr und mehr und immer schneller in seine Hand presste; es fehlte nicht mehr viel, und ich wäre dadurch – viel zu früh – zum Ende gekommen. Er aber hatte genau gespürt, wie es in mir aussah; sofort zog er seine Linke zurück und ließ sie jetzt, weit entfernt und völlig ungefährlich für mich, unter mein Hemd und dort über meine Taille gleiten. Ich hatte schon die Luft angehalten und mich für den Moment der Erlösung gewappnet, jetzt aber stieß ich sie wieder leise stöhnend aus, nicht sicher, ob ich jetzt erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Ersteres überwog aber sofort, denn ich wollte nicht ohne ihn zum Ende kommen, wobei mir nicht ganz klar wurde, wie genau ich das anstellen sollte, da er mich erstens nicht aus seinem Griff entließ und ich mich zweitens nicht einfach drehen oder ihn beiseite schieben konnte, ohne Gefahr zu laufen, ihm durch jede kleine Bewegung meinerseits Schmerzen zuzufügen. Allerdings konnte ich mir darüber nur kurz und ganz diffus Gedanken machen, denn schon fuhr seine Hand wieder in Richtung meiner Körpermitte, aber anstatt sich langsam und vorsichtig wie vorhin an das Zentrum meiner Lust heranzutasten, umfasste er mit einem Mal mit der ganzen Hand meinen Schaft und begann sogleich, ihn druckvoll auf der ganzen Länge zu massieren. Ich wurde davon so überrascht, dass mein Aufkeuchen einem heiseren Aufschrei glich, und presste mir sofort wieder meinen Handballen vor den Mund, um jeden weiteren verbalen Ausdruck meiner ungeheuren Erregung direkt im Keim zu ersticken, was mir aber nicht gänzlich gelang. Mein Oberkörper wurde durch seinen darauf liegenden Körper weiterhin regelrecht am Boden festgenagelt, aber meinem Becken hatte er durch eine kleine Positionsveränderung seinerseits etwas mehr Bewegungsfreiheit verliehen, und die nutzte ich jetzt auch – allerdings völlig unkontrolliert und nicht mehr Herr über meinen Willen – vollkommen aus, indem ich ihm in immer schnelleren Stößen meine Lenden entgegen reckte, wieder und wieder und wieder, während ich die Teile seines Körpers, die ich mit meinen Händen noch erreichen konnte – vornehmlich seine Brustmuskeln - mit kräftigen, knetenden Bewegungen liebkoste und massierte, wobei ich natürlich darauf achtete, nicht in die Nähe seiner Wunden zu kommen. Wie gerne hätte ich jetzt seine Männlichkeit erreicht und verwöhnt! Aber er entließ mich keinen einzigen Zentimeter aus meiner Gefangenschaft und nutzte seine Macht über mich auch immer weiter aus. Jedes Mal, wenn ich kurz vor der Explosion stand, löste sich seine Hand wieder schnell von meiner vor heißer Erregung zuckenden Erektion und beschäftigte sich lieber mit der Haut meiner Taille oder des Oberbauches; fast schon in gespielter Gleichgültigkeit, wohl wissend, dass er mich in einem wahren Gefühlschaos zurückließ; ich war unfähig, dem Rausch der Sinne irgendwie noch Herr zu werden. Er ließ mir allerdings jedes Mal nur wenig Zeit zur Erholung, zum Durchatmen, schon wenig später legte er erneut seine Hand um meinen heftig pulsierenden und an der Spitze auch schon feuchten Schaft. Seine Finger verwöhnten mich jetzt auf eine Weise, von der ich glaubte, vor Erregung gleich den Verstand verlieren zu müssen. Ich wollte es aber noch nicht enden lassen, ich wollte es irgendwie erreichen, dass sich seine Lust zeitgleich mit meiner entladen konnte, aber er ließ mir dazu keine Chance. Und dann verlor ich endgültig die Beherrschung und ließ der Natur freien Lauf, unterwarf mich hilflos dem Rhythmus meiner Lenden, die immer heftiger seiner Hand entgegen stießen – und während sich meine Spitze wieder gegen seine Handinnenfläche presste, ergoss ich mich in ihr mit einem keuchenden Aufschrei, mehrmals, stoßweise, presste mich weiter gegen ihn und wieder kam es mir – oder immer noch? Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass ich das Gefühl hatte, dieser Höhepunkt würde ewig dauern, während mir das Blut in den Ohren rauschte, es in meinem Kopf summte, mein Rückgrat sich verflüssigte und ich die unkontrolliert über meine Lippen drängenden Lustschreie nur äußerst mühsam mit beiden Händen vor dem Mund eindämmen konnte. Irgendwann blieb ich schwer atmend auf dem Rücken liegen und fand nur ganz langsam wieder zurück in die Wirklichkeit, während mein Freund seine Hand abermals leise über meinen Oberkörper gleiten ließ und mich sanft und zärtlich dort überall liebkoste. Ich öffnete die Augen und sah in den tiefblauen Sommerhimmel, an dem ein Bussard hoch über uns seine Kreise drehte. Wie mag es wohl sein, wenn man fliegen kann?, fragte ich mich – aber ich glaubte es in diesem Augenblick zu wissen, so leicht, befreit und schwerelos fühlte sich mein Körper an, zum Bersten gefüllt mit reinstem Glück. Oh ja, es war Glück, das höchste Glück, diesen Menschen lieben zu dürfen und zu können, und dann auch noch von ihm geliebt zu werden! Jeden einzelnen Augenblick mit ihm konnte ich gar nicht genug auskosten, und auch jetzt genoss ich es in vollen Zügen, seine warme Haut auf meiner zu spüren, seinen Atembewegungen und -geräuschen zu lauschen, seine Seele in meinem Herzen zu wissen. Und dann, etwas später – viel später? - vernahm ich einen leisen, seligen Seufzer, hob meinen Kopf leicht an und gewahrte Winnetou, der tief aufatmend sein Haupt auf meine Brust sinken ließ und die Augen schloss. Oh nein, mein Freund, dachte ich nun bei mir, so leicht kommst du mir aber nicht davon! Schon hatte ich mit einer schnellen, aber dennoch überaus vorsichtigen Bewegung meine Hände unter seinen Hinterkopf, Nacken und dann tief unter sein Rückgrat geschoben, so dass ich ihn dort sanft, aber bestimmt anheben konnte, und sofort schob ich mich schlangengleich unter seinen Körper hindurch in die Freiheit. Anschließend bettete ich meinen geliebten Blutsbruder mit größtmöglicher Vorsicht wieder auf den Boden, wobei ich ihm die Decke unter den Kopf schob, die mir bisher als Kissen gedient hatte. Jetzt hatte er seine Lider wieder geöffnet und sah mir direkt in die Augen, sein Blick wirkte etwas erstaunt – wahrscheinlich vermutete er, dass ich schon aufstehen wollte – gleichzeitig lächelte er mich auf eine solch entwaffnende Weise an, dass ich gar nicht anders konnte, als mich hinzuknien und ihm einen sanften Kuss auf seine herrlichen Lippen zu drücken, während ich überzufließen schien vor Liebe zu ihm. Mehr wagte ich aber nicht, da ich befürchten musste, dass er mich wieder im gleichen Moment zu sich herunterziehen würde und ich dann erneut die größten Schwierigkeiten bekäme, mich abermals aus seiner Umarmung zu befreien. Ich aber hatte noch etwas ganz anderes vor, also beließ ich es bei dem einen leisen Kuss. In der nächsten Sekunde schon glitt ich an seinem Körper entlang weiter herunter, bis ich mich auf der Höhe seiner Beine befand. Sofort schwang ich mein linkes Bein darüber und ließ mich auf ihn hinabsinken, so dass ich mit dem Großteil meines Körpers seine Gliedmaßen vollständig bedeckte und mein Kopf sich nun in Höhe seines Beckens befand. In dieser Position konnte ihm mein Gewicht keinen Schaden zufügen, weil er dort nur ganz geringe Verletzungen davongetragen hatte, die auch schon fast wieder verheilt waren. Jetzt ahnte er natürlich, was ich vorhatte, aber nun war es zu spät, ich hatte ihn schon am Boden fixiert und ließ ihn mit seinem Unterkörper auch nicht mehr den Hauch einer Bewegungsfreiheit. Den Oberkörper konnte er zwar noch etwas bewegen, aber da ihn dort seine Verletzungen noch stark behinderten, hatte er auch hier kaum mehr Spielraum. Mittlerweile hielt er seinen Kopf leicht angehoben, um mein Tun zu beobachten, doch als ich jetzt ohne Umschweife mein Gesicht in seinem Schoß versenkte, sog er überrascht und zischend die Luft ein, während er sein Haupt wieder langsam zu Boden sinken ließ. Nun hatte ich ihn soweit, er war mir ab sofort vollkommen ausgeliefert, und ich beschloss, diesen Umstand bis zum Letzten auszunutzen. Ich hob den Kopf wieder etwas an und glitt mit meinem Mund ganz langsam über das Leder seiner Leggings, berührte es nur hauchzart, doch diese Berührung genügte, um seine harte Erektion zu spüren, die unter meinen Lippen sofort wieder stark angeschwollen war. Da ich aus eigener Erfahrung nun wusste, wie unangenehm sich das Leder darüber spannte, öffnete ich schnell den Verschluss seiner Hose, befreite seinen Schaft aus der Enge und entkleidete meinen Freund innerhalb weniger Sekunden, wobei ich darauf achtete, schnell wieder meine vorherige Position einzunehmen, um ihm keine Möglichkeit einzuräumen, sich mehr Freiraum zu verschaffen. In seiner ganzen Pracht befand sich nun seine Männlichkeit direkt vor meinem Mund, und schon konnte ich spüren, dass Winnetou seine Atmung nicht mehr richtig unter Kontrolle hatte, sie ging schwer und unregelmäßig. Wenn er aber nun geglaubt hatte, dass ich sofort über ihn herfallen würde, dann sah er sich jetzt getäuscht – Millimeter von seinem Schaft entfernt ließ ich meine Lippen einer imaginären Linie entlang daran hoch und wieder heruntergleiten, bis zur Wurzel, schob mit meinen Händen seine Oberschenkel etwas weiter auseinander, um mehr Platz zu bekommen, damit ich bis zu seinen Hoden vordringen konnte, doch alles, was er davon spüren konnte, war meine nun auch wieder heftiger gehende Atmung, deren Lufthauch an all den Stellen entlangstrich, die meine Lippen nicht – noch nicht – erreichen wollten. Allein dieser federleichte Hauch trieb meinen Freund schon fast in den Wahnsinn. Er schlug beide Hände vors Gesicht und stieß, mehrmals aufkeuchend, die angehaltene Luft wieder aus. Seine Bauchdecke begann zu flattern, als ich mein Vorgehen noch mehrmals wiederholte, ohne Anstalten zu machen, ihn richtig zu berühren. Sein Schaft zuckte mittlerweile bei jedem erneuten Lufthauch, schien sich mir entgegenzustrecken, und überdeutlich sah ich den ersten Lusttropfen auf seiner Spitze erglänzen. Obwohl es in mir selbst schon wieder zu brodeln begann – wie sollte es auch anders sein bei diesem hochgradig erregenden Anblick - genoss ich das sinnliche Schauspiel vor mir in vollen Zügen, konnte mich gar nicht daran sattsehen, und meine Freude darüber, dass es mir möglich war, ihm solch einzigartige Glücksgefühle zu bereiten, stieg ins Unermessliche. Doch irgendwann hielt ich es selbst einfach nicht mehr aus. Ich näherte mich ein weiteres Mal seinen dunklen Hoden mit meinen Lippen, doch dieses Mal hielt ich nicht vorher inne, sondern öffnete sie leicht und ließ so viel der zarten Haut wie möglich zwischen sie gleiten – und spätestens jetzt musste ich meine Hände gebrauchen. Sie pressten mit aller Kraft sein Becken auf den Boden, da er es nun in seiner hochgradigen Erregung einfach nicht mehr stillhalten konnte und sich damit mir mehr und mehr entgegen drängte. Als ich jetzt auch noch meine Zunge zum Einsatz kommen ließ, die die weiche Haut leise und zart liebkoste, sog er scharf die Luft ein, warf seinen Kopf weit nach hinten und ließ ein gepresstes Stöhnen hören. Mehrmals noch wiederholte ich meine sanfte Behandlung, dann aber konnte ich gar nicht mehr anders. Ich kam seinem vor Lust bebenden Schaft schnell entgegen und ließ meine Lippen jetzt an diesem langsam hinauf und wieder hinab gleiten, wobei ich immer wieder meine Zunge hervor züngeln ließ, um ihn dadurch zusätzlich zu reizen. Irgendwann war ich an seiner Eichel angelangt und musste jetzt ungeahnte Kräfte aufbringen, um Winnetous Becken noch weiter ruhig halten zu können. Ganz vorsichtig massierten erst meine Lippen, dann meine Zunge seine Spitze, und nun zuckte sein Glied so sehr, dass ich schon glaubte, er würde nur von dieser hauchzarten Berührung zum Ende kommen. Das wollte ich natürlich nicht, ich wollte ihn richtig verwöhnen, und so umfassten mit einem Male, für ihn völlig unerwartet, meine Lippen seine ganze Eichel, massierten sie erst sanft, dann fester, ich ließ meine Zunge gleichzeitig über seine empfindlichste Stelle gleiten, und nun begann sein ganzer Körper, soweit es noch irgend ging, zu beben, sich unkontrolliert, wenn auch nur minimal, zu winden, da ich mehr einfach nicht zuließ. Seine Hände krallten sich links und rechts in den Boden, durchpflügten die Erde, rissen ganze Grasbüschel heraus, er stöhnte und keuchte immer wieder leise und unterdrückt auf - ich erkannte, dass er schon kurz vor der Explosion stand, wollte aber noch ein wenig mehr. Also nahm ich Sekundenbruchteile später seinen ganzen Schaft in mir auf, ließ ihn tief hineingleiten, bis in die Kehle, entließ ihn ein Stück wieder, nahm ihn wieder bis zur Gänze auf und begann gleichzeitig, meinen Kopf schneller zu bewegen, wobei ich selbst jede Sekunde dieser kostbaren Zeit unendlich genoss. Schon spürte ich sein Glied beben, heftig pulsieren, und sofort entließ ich ihn rasch aus meinem Mund, schob mich ein wenig weiter hoch und beschäftigte mich mit Hilfe meiner Lippen intensiv mit seinem Hüftknochen, um ihn von den Geschehnissen weiter unterhalb etwas abzulenken, damit es ihm nicht doch noch sofort kam. Das war offenbar in buchstäblich letzter Sekunde, denn sein ganzer Körper hatte sich schon versteift, und es dauerte einige Momente, bis er sich wieder etwas entspannen konnte, seine Atmung wieder einsetzte und er die angehaltene Luft mit einem wahren Stoßseufzer wieder ausstieß, wobei er mit beiden Händen in sein Haar in Höhe der Schläfen krallte. Eine kleine Weile verwöhnte ich nun gefühlt jeden Quadratzentimeter seines Unterleibs, mit Ausnahme natürlich der empfindlichsten Stelle, um ihm Zeit zum Durchatmen zu geben, aber so ganz gelang es ihm nicht mehr, zur Ruhe zu kommen. Da in mir auch schon wieder großer Aufruhr herrschte und sich meine Erregung mit jeder Bewegung härter gegen seine Beine presste, konnte ich diesen Zustand aber auch nicht lange aushalten und ging deshalb nach kurzer Zeit wieder zum Angriff über. Noch einmal liebkoste ich auf die vorherige sanfte, teils hauchzarte Weise seine Männlichkeit, hatte dabei aber größte Mühe, meinen Freund noch irgendwie ruhig zu halten, da er sich immer wieder mir entgegenzustrecken versuchte, während seine Hände völlig unkontrolliert und ruhelos teils über den Boden, teils durch meine Haare fuhren. Mein Schaft versteifte sich mit jeder Sekunde wieder mehr und begann, verursacht durch seine heftigen Bewegungen, im Bereich seiner Knie zwischen seine Beine zu rutschen. Aufgrund dieser unerwarteten neuen Reize hatte ich dann auch keine Wahl mehr – ich wurde von einer ungeheuren Erregung überflutet und handelte ab jetzt nur noch instinktiv, wie im Wahn, wie im Rausch. Beide Ellenbogen links und rechts neben seinem Becken in den Boden stemmend, richtete ich mich, auf meine Unterarme aufgestützt, etwas in die Höhe, beugte meinen Kopf zu ihm hinunter und verharrte dann mit einem Mal; meine Lippen waren jetzt nur noch Millimeter von seiner Spitze entfernt, so dass er meinen ausströmenden Atem dort spüren musste. Zischend sog er die Luft ein, seine Atmung verwandelte sich jetzt in ein zittriges Keuchen und seine feucht glänzende Eichel zuckte, wobei sie sich meinem Mund jedes Mal etwas mehr entgegenzustrecken schien, sein ganzer Körper begann zu beben. Ich spürte, dass er sich nicht mehr lange würde beherrschen können, seine Hände bewegten sich mehrmals auf meinen Kopf zu, zogen sich dann aber kurz vorher wieder zurück, und ich wusste, es fehlte nicht mehr viel, dann würde er sie auf meinen Hinterkopf legen und mich dadurch zwingen, ihn in mir aufzunehmen. Jetzt hob er auch seinen Kopf leicht an, und in seinen wunderbaren, vor unstillbarer Lust noch dunkler wirkenden Sternenaugen konnte ich sein stummes Flehen erkennen, ihm doch endlich, endlich die Erlösung zu bringen. Dieser intensive Blick gab mir jetzt den Rest, ich konnte seiner und meiner Erregung nicht eine Sekunde mehr standhalten. Ich öffnete meine Lippen, wobei ich meinen geliebten Freund nicht aus den Augen ließ, und nahm ihn langsam, aber schon mit der Zunge an seinem Schaft tief in mich auf. Nun hielt ihn nichts mehr – er warf seinen Kopf tief in den Nacken, krallte seine Finger wieder in sein dichtes Haar, ließ ein tiefes, fast schon zu lautes Stöhnen hören, dem ein hilfloses Keuchen folgte, als seine Spitze tief in meinem Mund gegen Widerstand stieß. Jeder seiner Laute ließ mir einen glühenden Lustpfeil durch den Körper schießen, und nun war es um unser beider restlicher Beherrschung geschehen. Mit schnellen Bewegungen, die ihn jedes Mal tief in meinen Mund hineingleiten ließen, massierten meine Lippen und meine Zunge seine harte, pralle Erektion, während er mir im gleichen Rhythmus mit seinen Lenden entgegen stieß. Als ich dann noch etwas schneller wurde und gleichzeitig sanft mit meiner Rechten seine Hoden umfasste, trieb ich ihn wirklich an den Rand des Wahnsinns. Sein Hinterkopf bohrte sich tief in das Erdreich unter ihm, mit der linken Hand umfasste er die hier an die Oberfläche tretende Wurzel eines Baumes, während seine Rechte wie im Rausch den Erdboden aufwühlte. Auch seine Beine konnte er trotz meines Gewichtes darauf nicht mehr vollständig ruhig halten, wodurch mein Schaft immer wieder und immer tiefer in ihren Zwischenraum eindrang, und jede seiner schnellen Bewegungen reizte mich noch zusätzlich, trieb seine Männlichkeit noch tiefer in mich hinein. Schneller, immer schneller wurden wir, und obwohl ich mir irgendwo ganz hinten im Unterbewusstsein wünschte, dass das hier niemals mehr enden möge, sehnte ich mich verzweifelt nach der endgültigen Erlösung. Die ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten, sie kam wie eine Urgewalt über uns: Mit einem Mal erstarrte sein Körper, sein Schaft begann heftig in meinem Mund zu zucken, und dann schrie er leise auf, als es begann und er sich in unkontrollierten Schüben wieder und wieder und wieder in mir ergoss, dabei förmlich durchgeschüttelt wurde, und das hatte zur Folge, dass es mir ebenfalls augenblicklich kam und ich meinem Höhepunkt zwischen seinen Beinen einfach nur noch hilflos ausgeliefert war. SLASHWARNUNG ENDE! Das alles war so berauschend, so erfüllt von Liebe, von Glück, von Seligkeit und es gab mir das Gefühl, minutenlang, nein, stundenlang zwischen Himmel und Erde zu schweben, meinen Blutsbruder dabei fest umklammernd und nie wieder loslassen wollend. Ich hatte mich wohl unbewusst ein Stückchen höher geschoben und meinen Kopf auf Winnetous Bauchdecke sinken lassen, und seine immer noch heftige Atmung ließ mich jetzt darum auch wie ein Blatt im Wind immer wieder hoch und runter sinken, wie in einem Traum fühlte ich mich, so wohl, so geborgen – bis ich irgendwann an meinen geliebten Freund dachte und mich fragte, ob er sich in dem gleichen seligen Zustand befand, denn ich hatte bisher noch keine Bewegung, keinen Laut von ihm vernommen. Da ich mich außerstande sah, mich schon wieder zu bewegen, auch weil ich mich in meiner Lage so unglaublich wohl fühlte, flüsterte ich seinen Namen – es kam aber keine Reaktion. Ich rief ihn wieder, etwas lauter diesmal, aber er antwortete immer noch nicht. Als ich auch beim dritten Mal nichts von ihm hörte, hob ich alarmiert den Kopf und sah ihn an. Winnetou lag, noch immer tief und schnell atmend, mit geschlossenen Augen da und rührte sich nicht, auch als ich ihn leicht an der Schulter schüttelte. Sofort war ich auf und ließ mich neben seinen Kopf auf die Knie sinken, schüttelte ihn noch einmal, rief ihn wieder an, dieses Mal mit angstvoller, tief besorgter Stimme – vergebens. Nun fuhr mir der Schreck wirklich tief in die Knochen, panisch sah ich mich um, völlig hilflos, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dann aber fiel mir der Bach ins Auge – Wasser! Rasch sprang ich ans Ufer, nicht ohne vorher meinen Hut zu ergreifen, füllte ihn mit dem erfrischenden Nass und war im nächsten Augenblick wieder an Winnetous Seite. Dort tunkte ich den Ärmel meines Hemdes ins Wasser und legte ihm den anschließend auf die Stirn, verfuhr dann mit dem anderen Ärmel genauso und positionierte diesen unter seinen Nacken. Während ich seine Wangen leicht tätschelte, versuchte ich mit den Fingern, den Puls an seinem Handgelenk zu ertasten, hatte aber nicht viel Erfolg, wohl auch, weil ich viel zu hektisch war aufgrund meiner übergroßen Besorgnis. Zum Glück ließ die Wirkung meiner Maßnahmen nicht lange auf sich warten – mein Freund begann zu blinzeln und öffnete kurz darauf die Augen. Als sein Blick auf mich fiel, musste ihm zuerst mein entsetztes Gesicht ins Auge gefallen sein, denn schon versuchte er sich aufzurichten, doch ich hinderte ihn natürlich sofort an seinem Vorhaben und drückte ihn sanft zurück zu Boden. „Was....?“, begann er verwirrt, ich aber legte ihm meinen Finger auf den Mund und bedeutete ihm, still liegen zu bleiben. Zur Erklärung fügte ich hinzu: „Bleib ganz ruhig liegen, mein Freund – ich glaube, dein Körper hat sich zu sehr überanstrengt und benötigt jetzt einen Moment der Ruhe!“ Gleichzeitig tastete ich wieder nach seinem Puls und fand ihn auch diesmal; er schlug langsam und etwas unregelmäßig. Innerlich schimpfte ich mich einen unverbesserlichen Narren, weil ich seinen Körper wider besseren Wissens mehr als überanstrengt hatte, was ihm leicht hätte den Tod bringen können! Natürlich, er hatte mit den Zärtlichkeiten begonnen und mir keine Möglichkeit gelassen, mich dagegen zu wehren, aber im Gegenzug hätte ich ihn keinesfalls so lange auf die Folter spannen dürfen – sein Körper hatte mir ja zwischendurch deutlich gezeigt, dass er überfordert war! Kapitel 28: N'scho-tschi ------------------------ Meine hochgradig erschrockene Miene sowie meine vor Sorge um den geliebten Freund zitternde Hand veranlassten Winnetou erneut zu einem Versuch, sich voller Unruhe aufzurichten, und abermals drückte ich ihn sanft, aber bestimmt zu Boden. „Ich bitte dich, bleib liegen, mein Freund! Dein Kreislauf ist offenbar doch noch nicht so belastbar, wie wir beide uns es wünschen würden!“ Er wollte antworten und machte dabei unbewusst ein weiteres Mal Anstalten, seinen Oberkörper zu heben, ich aber schüttelte den Kopf und bat ihn eindringlich: „Lass uns deinem Körper erst einmal eine gewisse Zeit der Ruhe gönnen, ja? Der Doktor reißt mir ja den Kopf ab, wenn er dich in diesem Zustand vorfindet, und das zu Recht!“ Jetzt erst gab er auf und ließ sein Haupt zurück auf die Decke sinken; dabei schloss er die Augen, atmete einmal tief durch und sah mich mit einem Male wieder an. In seinen Augen war nun ein belustigtes Funkeln zu sehen, und auch seine Mundwinkel zuckten verdächtig, als er leise erwiderte: „Aber Winnetou fühlt sich jetzt doch viel besser als heute Mittag, bevor wir hierher kamen!“ Trotz meiner immer noch starken Anspannung stahl sich jetzt ein breites Grinsen auf mein Gesicht. „Das glaube ich dir sogar – aber vielleicht sollten wir mit solchen Überanstrengungen doch noch ein wenig warten...“ Nun mussten wir beide lächeln, und auf Winnetous Gesicht machte sich währenddessen ein fast schon seliger Ausdruck breit, als er die Augen schloss, leise seufzte und dann, weiterhin entspannt lächelnd, fragte: „Was machst du nur mit deinem Bruder, Scharlih....?“ „Dich lieben!“, antwortete ich schlicht, während ich damit begann, seinen und meinen Körper von den Spuren unseres heftigen Beisammenseins zu reinigen und uns wieder halbwegs anzukleiden. Das erschien mir jetzt allmählich notwendig, denn wir befanden uns ja schon seit mindestens zwei Stunden an diesem friedlichen Ort, und es war gut möglich, dass einer der Gefährten irgendwann doch einmal nach uns sehen und sich überzeugen wollte, dass alles in Ordnung war. Als diese Aufgabe erledigt war, begab ich mich sofort wieder an Winnetous Seite und kontrollierte zur Sicherheit nochmals dessen Puls – er war nur schwach zu ertasten und auch recht langsam, schlug aber dafür regelmäßig, und da dieser Umstand schon seit mehreren Tagen so anhielt, war ich jetzt doch einigermaßen beruhigt; ich wusste ja, dass sein Körper noch nicht in der Lage war, bessere Ergebnisse zu erzielen. Mein Freund hatte diese kleine Untersuchung wortlos über sich ergehen lassen, aber seine Mimik zeigte mir deutlich, dass er mein Handeln für einigermaßen übertrieben hielt. Er entzog sich dem aber nicht, wohl auch deshalb, weil er genau wusste: im umgekehrten Fall hätte er genauso reagiert. Unsere Liebe zueinander und das Bewusstsein, dass der eine ohne den anderen nicht mehr leben wollte, wohl auch gar nicht mehr könnte, machte uns natürlich höchst anfällig für eine übergroße Besorgnis um den Partner. Doch wenn man diesen Umstand vielleicht sogar als Nachteil einer so engen Beziehung empfinden mochte, dann nahm ich diesen aber sehr gern in Kauf, denn jede Minute, jede Sekunde unserer wunderbaren gemeinsamen Zeit entschädigte mich hundertfach für die Momente der Angst und Sorge um den geliebten Freund. Winnetou hatte während meiner Untersuchung nun schon zum zweiten Mal mit gespielt genervter Miene mit den Augen gerollt, woraufhin ich ihm zur Antwort jetzt leicht und spielerisch an seinem dichten, wundervollen Haar zog, dann die gesamte Fülle dieser bläulich-schwarzen Pracht durch meine Finger gleiten ließ und ihm letztendlich sein eigenes Haar über das Gesicht warf, so dass es ihn vollständig bedeckte. Für einige Sekundenbruchteile blieb er in genau dieser Position, ohne sich zu rühren, dann aber pustete er einige Male gegen seine Haare, so dass sich ihm schließlich eine Lücke darbot, durch die ich Teile seines schönen Antlitzes wieder sehen konnte – und dann begann er zu lachen, in seiner so eigenen Art, leise, nach innen gerichtet, aber so herzerwärmend, dass ich mich wieder einmal nicht mehr zurückhalten konnte, mich über ihn beugte und wir abermals in einem innigen Kuss versanken. Dieser Mann war die Liebe meines Lebens, ihm zu widerstehen war für mich ein Ding der Unmöglichkeit, und am liebsten hätte ich mich an ihn angekettet oder ihn auf irgendeine andere Art und Weise mit mir verbunden, um ja keine Sekunde meines Daseins mehr ohne ihn verbringen zu müssen. „Ihr werdet nicht mehr zwei, sondern ein Krieger sein, ein Herz, eine Seele, aber mit zwei Körpern!“ Diese Worte, so oder so ähnlich von Intschu tschuna damals während des Aktes der Blutsbrüderschaft ausgesprochen, gingen mir jetzt durch den Kopf. Ja, genauso fühlte es sich an, wir waren eins, es war nichts Trennendes mehr zwischen uns, aber trotzdem konnte ich das diffuse Gefühl nicht verdrängen, dass ich ihm irgendwie noch näher sein wollte, ihn noch intensiver spüren wollte... ich konnte es gar nicht genau definieren, und näher als jetzt konnte ich ihm ja auch gar nicht sein. Als wir uns irgendwann wieder voneinander lösten, etwas außer Atem, da sah ich ihm lange ins Gesicht, in seine wundervollen Sternenaugen, wobei mich wie so oft das Gefühl übermannte, von ihnen eingefangen und eingesogen zu werden in unser ganz eigenes Universum, unsere ganz eigene Sternenwelt. Ich konnte ihm gegenüber gar nicht ausdrücken, was ich für ihn empfand, jedes meiner Worte erschien mir viel zu nichtig und ausdruckslos, als dass sie meine Liebe zu ihm auch nur ansatzweise beschreiben konnten. Doch Winnetou wusste auch so, was ich ihm eigentlich sagen wollte, aber nicht konnte, empfand er doch genauso. Und deshalb ließ er jetzt auch wieder Taten sprechen und zog mich einfach hinunter zu sich an seine Brust – doch ich zuckte unwillkürlich zurück, denn ich hatte immer noch größte Sorge, ihm mit meinem Gewicht auf seinen Wunden Schmerzen zu bereiten. Und so legte ich mich daher ganz dicht an seine Seite, so eng wie nur möglich, positionierte meinen Arm unter seinen Nacken und Rücken und schob ihn so wieder halb auf mich herauf, bettete ihn an und auf meinen Körper und schloss ganz fest meine Arme um meinen geliebten Freund, froh, ihn ganz nah bei mir zu haben. Wieder lagen wir so eine lange, lange Zeit in innigster Zweisamkeit und einvernehmlichem Stillschweigen beisammen, jeden Moment davon genießend. Unsere Blicke waren in den strahlenden Sommerhimmel gerichtet, den jetzt einige Schönwetterwolken zierten, die immer wieder andere Formen annahmen und uns irgendwann dazu verleiteten, in diesen Formationen Bilder von Tieren oder Menschen zu entdecken. Wir bekamen immer größeren Spaß daran, daraus abwechselnd die seltsamsten und verrücktesten Sachen zu deuten, und mehr als einmal kamen wir beide aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Das war einer derjenigen Momente mit meinem Blutsbruder, die ich niemals im Leben mehr vergessen und ewig im Herzen tragen werde, denn aus ihm sprach die vollkommene Harmonie und der ewige Frieden, und ich werde von ihm bis an mein Lebensende zehren. Jedes Zeitgefühl war für mich verlorengegangen, als Winnetou mit einem Male, jetzt in ernstem Ton, zu sprechen begann und seine geliebten Verstorbenen erwähnte, von denen er glaubte, sie irgendwann einmal in Manitous großem Reich wiederzusehen. „Scharlih – in solchen Momenten wie jetzt bin ich mir sicher, dass unsere Lieben unter uns sind, uns ganz nahe sind, so wie sie sich immer in unseren Herzen befinden!“ Gerührt sah ich ihn an, aber auch etwas mitfühlend, wusste ich doch, wie sehr er immer noch unter dem gewaltsamen Tod seiner Lieben litt, die ihm alle so nahe gestanden hatten wie sonst niemand – bis auf mir. Und als er jetzt auf einmal wieder von ihnen sprach, auch Manitous Himmel erwähnte, da kam in mir aber doch ein etwas ungutes Gefühl auf, erinnerte mich an etwas – und dann kam es wie eine bedrohlich wirkende Wand auf mich zu: Winnetou, wie er schwerstverletzt in meinen Armen lag, in dieser unsäglichen Schlucht damals nach dem feigen Mordanschlag von Thomson, mit einer Kugel direkt neben seinem Herzen – sein unwirklicher, entrückter Gesichtsausdruck, als er mir zuflüsterte, den Himmel gesehen zu haben... Mir fielen seine fürchterlichen Albträume während des hohen Fiebers und der damit verbundenen Krämpfe vor erst wenigen Tagen ein – konnte es sein, dass er in diesen schrecklichen Stunden, die mit Sicherheit auch lebensbedrohlich gewesen waren, nochmals einen solch intensiven Kontakt mit dem Jenseits gehabt hatte? Seitdem ihm damals der Blick in die Ewigkeit vergönnt gewesen war, hatte sich etwas in seinem Wesen verändert, für die meisten unbemerkt, aber für mich, der ihn so gut kannte wie niemand sonst und auch für einige andere nahestehenden Personen durchaus wahrnehmbar. Seine Melancholie war nicht mehr so präsent, seine bis dahin tief im Innersten verborgene Heiterkeit hatte sich immer öfter ihren Weg nach draußen gesucht – und vor allem: Er war noch gelassener geworden, ruhte vollkommen in sich selbst und ließ klar erkennen, dass ihn nichts mehr auf dieser Welt erschüttern konnte und er den Tod, wenn er ihm einst gegenüberstehen sollte, wie einen Freund begrüßen würde – er wusste, wie es sich anfühlte, zu sterben. Jetzt wollte ich es genau wissen und fragte ihn darum in ganz vorsichtiger Weise: „Hat mein Bruder während der vielen Stunden, in denen er im Fieber lag, denn nochmals einen Blick auf die andere Seite werfen können?“ Fast hätte ich „werfen müssen“ gesagt, konnte es mir aber im letzten Moment noch verkneifen. „Nein, Scharlih“, entgegnete er mir mit weicher Stimme. „So nah war Winnetou dem Tod nicht wieder gekommen – das hatte er dir doch versprochen!“ Ich nickte, fast ein wenig erleichtert, und drückte ihn noch etwas fester an mich, während mein Freund weitersprach: „Dieser eine Augenblick damals, mein Bruder – dieser Moment ist so tief in Winnetous Seele eingedrungen und hat sich so tief in seinem Herzen verankert – nie, niemals werde ich das vergessen können!“ Ich sah ihm ins Gesicht, während er sprach, alle meine Sinne waren in diesem Moment aufs Äußerste angespannt, nur auf ihn und seine Worte gerichtet, und so registrierte ich auch, dass er fast mit dem gleichen, irgendwie überirdisch wirkendem Lächeln sprach, welches sich damals schon auf seinem vom Todeskampf schwer gezeichneten Gesicht ausgebreitet hatte. Liebevoll drückte ich ihn ein weiteres Mal an mich, und dann breitete sich erneut eine vielsagende Stille zwischen uns aus, welche weit mehr aussagte als die längste Rede. Nach einiger Zeit aber schnitt mein Freund erneut dieses Thema an, welches sich ihm im Augenblick wohl mit aller Macht aufdrängte. „Weißt du, Scharlih – Winnetou konnte damals nicht nur den Himmel sehen...“ Seine Stimme klang belegt, und als er sich jetzt unterbrach, hatte ich den Eindruck, dass ihn die Erinnerungen so sehr übermannten, dass es ihm fast die Stimme versagte. Leise fragte ich: „Was genau hat sich meinem Bruder denn damals offenbart?“ Wir hielten unsere Hände über seinem Bauch verschränkt, und meine Daumen begannen, ganz sanft über seine Handrücken zu streicheln, vielleicht auch als eine Art Ermunterung für ihn, sich mir vollständig zu öffnen. Er holte tief Atem, bevor er mit einer fast schon tonlosen Stimme fortfuhr: „Itisha und Intschu tschuna – meine Mutter, meinen Vater – beide konnte ich weit entfernt von mir ausmachen... recht verschwommen zwar, aber... aber sie waren da, standen dort mit offenen Armen – und sie hätten mich aufgenommen, wenn... ja, wenn ich mich dafür entschieden hätte...“ Völlig ergriffen, fast schon fassungslos starrte ich ihn eine Weile an, bevor ich mich wieder sammeln und ihn fragen konnte: „Du hattest dich gegen sie entschieden? Trotz der Schmerzen und Anstrengungen, die der Weg zurück für dich bereit halten würde?“ „Nein, mein Bruder“, antwortete er. „Ich hatte mich DAFÜR entschieden!“ Mein vollkommen erstaunter, ja fast schon verwirrter Blick schien ihn jetzt doch etwas zu amüsieren, denn er entgegnete mit einem leisen Lächeln: „Ich hatte mich für DICH entschieden, mein lieber Scharlih!“ Einen Moment lang lag ich ganz starr, dann aber drehte ich meinen Freund etwas auf die Seite, so dass wir uns fast frontal gegenüberlagen, und nahm ihn, so fest es mit Rücksicht auf seine Verletzungen ging, in die Arme. „Ich liebe dich, Winnetou“, murmelte ich mit tränenerstickter Stimme in das seidig glänzende Haar meines geliebten Freundes hinein. „Du bist für mich wirklich ein Geschenk des Himmels!“ Wieder blieben wir lange schweigend und eng umschlungen liegen, doch Winnetou schien das Thema einfach nicht loszulassen, und so begann er irgendwann von Neuem: „Ich durfte sogar einen Blick auf N'scho-tschi werfen – und ich war so unendlich froh darüber!“ „Davon bin ich überzeugt“, meinte ich leise. Erneut hingen wir beide einige Minuten unseren Gedanken nach, doch dann fragte mich mein Freund, fast schon ein wenig zaghaft: „Scharlih?“ „Ja, mein Bruder?“ „Wenn N'scho-tschi... wenn N'scho-tschi noch leben würde... wie wäre dann wohl das Verhältnis zwischen uns beiden?“ Jetzt war ich wirklich sprachlos. Was trug mein Freund auf einmal für Gedanken mit sich herum? „Ich weiß es nicht genau, mein Bruder", antwortete ich deshalb auch etwas zögerlich. „Sie hat dich geliebt“, kam es von ihm. „Ich weiß es... ich weiß es nur zu gut...“, stammelte ich, mit einem Male von den hervorbrechenden Gefühlen der Trauer überwältigt. „Wäre sie heute hier – für wen hättest du dich entschieden?“ Jetzt wurden die Fragen meines Geliebten fast schon unbequem, und das kannte ich gar nicht von ihm. Ich überlegte daher lange, bevor ich Antwort gab. „Ja, ich habe sie auch geliebt, mein Bruder, aber ich glaube nicht, dass ich das mit der gleichen Intensität tat, mit der ich dich liebe! Ich hatte bei ihr... bei ihr nie dieses Gefühl, als ob ich am Ziel einer langen Reise – nein, eher einer langen Suche, angekommen wäre, und auch nicht das Gefühl dieser unglaublichen Geborgenheit, welches ich bei dir empfinde.“ Ich sah meinen Freund liebevoll an, und dieser ließ mich wieder eintauchen in seine unglaublichen, nachtschwarzen, samtenen Augen, die jetzt, bei meinen Worten, sogar ein wenig glitzerten. „Sicher, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten...,“ überlegte ich laut weiter. „Ich weiß nicht, ob sich das nicht vielleicht so ähnlich hätte entwickeln können...“ Einen Augenblick sann ich über meine Worte nach, dann aber schüttelte ich entschieden den Kopf. „Aber nein, das wäre nie geschehen – das könnte nie geschehen! Ich bin mir absolut sicher, dass ich nur zu dir gehöre, ausschließlich zu dir!“ Winnetou senkte den Kopf und lehnte seine Stirn leicht an meine Brust, offenbar äußerst gerührt über meine Rede. Doch eine Frage lag ihm noch auf der Seele: „Und wenn sie jetzt hier wäre und wir schon... wie würde sie...?“ Er wusste wohl nicht, wie er seine Gedanken verständlich ausdrücken sollte, doch ich verstand ihn sehr gut. Daher legte ich jetzt meine Handinnenfläche unter sein Kinn, um ihn dazu zu bringen, mich anzusehen. „Sie ist nicht hier, Winnetou“, antwortete ich sanft. „Aber vielleicht – vielleicht kann sie ja von dort, wo sie sich befindet, eingreifen und unsere Geschicke lenken...? Vielleicht hat sie das Ganze hier genauso gewollt?“ Winnetous Kopf ruckte hoch, fast schon überrascht starrte er mich an. Dieser Gedanke war ihm völlig neu, das konnte ich ihm ansehen, genauso wie ich beobachten konnte, dass er langsam in ihm Fuß fasste und sich nach einigen Sekunden nicht mehr völlig außerhalb seiner Vorstellungskraft befand. „Sie könnte es gewollt haben...“, wiederholte er meine Worte, diese dabei leise vor sich hinmurmelnd. Eine kleine Weile sah er mir ins Gesicht, schien mich aber gar nicht wahrzunehmen, sondern durch mich hindurch in die Ferne zu schauen. Kurz darauf nickte er wie bekräftigend und streckte sich anschließend mit einem langgezogenen Seufzer wieder neben mir aus, dabei seine Augen schließend. Lächelnd betrachtete ich sein schönes Antlitz, in das sich jetzt ein entspannter und fast schon glücklich wirkender Ausdruck stahl. Seine Atemzüge wurden ruhiger, tiefer, und fast glaubte ich schon, dass ihn der Schlaf mit seinen starken Armen umfangen hatte, da setzte mein Freund doch noch mal zum Sprechen an, ohne jedoch die Augen zu öffnen: „N'scho-tschi hält ihre Hände über dich, mein Bruder!“ „Genauso wie über dich!“, antwortete ich ihm gerührt und küsste ihm sanft die Stirn. Sekunden später war er schon eingeschlafen. Als sich die Sonne einige Zeit später dem Horizont, oder besser gesagt, den uns umgebenden Felsspitzen zuneigte, wurde es Zeit, wieder zu unserer steinernen Behausung zurückzukehren, bevor es dunkel wurde. In diesen Breitengraden ging der Tag beinahe ansatzlos in die Nacht über, eine Dämmerung gab es nicht, und da ich Winnetou den ganzen Weg über tragen würde - laufen durfte er ja noch nicht - musste ich zusehen, dass ich meinen Freund noch vor der Dunkelheit sicher in die Höhle brachte. Er schlief immer noch, als ich ihn vorsichtig in meine Arme hob und den Rückweg antrat. Ich konnte allerdings spüren, dass er durch die Bewegung für einen kurzen Moment erwachte – dann aber erfasste er die Situation, legte seinen Kopf wieder voller Vertrauen an meine Schulter und war fast im gleichen Moment wieder eingeschlafen. Wenige hundert Meter vor den Höhlen kam mir eine große, breitschultrige Gestalt entgegen, gefolgt von einer kleineren, die wild gestikulierend hinter der ersten herlief, die sich mir schnellen Schrittes näherte. Ich erkannte in ihr Old Firehand, der unseren Doktor Hendrick im Schlepptau hatte, wenn auch etwas unfreiwillig, wie ich gleich erfahren sollte. „Meine Güte – wo bleibt ihr denn nur?“, wollte Firehand mit lauter Stimme wissen. Er wirkte aufgeregt, fast schon ängstlich – was war nur geschehen? Doch bevor ich eine Frage in diese Richtung stellen konnte, ereiferte sich Firehand schon weiter: „Wir haben uns große Sorgen um euch gemacht! Ihr wart fast sechs Stunden fort, und ich hatte wirklich Angst, dass Winnetou etwas ge.....Himmel!“ Das letzte Wort rief er laut, fast schon in Panik aus, als er Winnetou in meinen Armen gewahr wurde, der sich immer noch nicht gerührt hatte. „Mein Gott – was ist mit ihm? Hat er das Bewusstsein verloren oder...?“ „Nein, er schläft!“, antwortete ich so leise wie möglich, aber doch mit Nachdruck, um von ihm besser gehört zu werden. Gleichzeitig schnitt ich eine Grimasse, die ihm deutlich machen sollte, doch leiser zu sein, denn meine Hände konnte ich ja nun nicht gebrauchen. „Und ich bitte dich, sei leiser, du weißt doch, wie dringend er noch Ruhe benötigt!“ „Hast ja recht...“, murmelte Firehand, sichtlich verlegen. „Aber im ersten Moment dachte ich gerade... Ich meine, er sah wirklich so aus, als ob er – Himmel noch mal, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weil ihr so lange ausgeblieben seid – immerhin ist er noch lange nicht soweit, um schon Ausflüge zu unternehmen! Ich wollte schon seit geraumer Zeit los und nach euch sehen, aber der Doktor hier hat das mit aller Macht zu verhindern versucht... Doch jetzt konnte ich es einfach nicht mehr aushalten – soll ich ihn dir nicht abnehmen?“, unterbrach unser Gefährte jetzt endlich seinen Redefluss, während er schon Anstalten machte, mir meinen Freund aus den Armen zu nehmen. Ich wehrte mich entschieden gegen sein Ansinnen, da ich sicher sein konnte, dass Winnetou von diesem Positionswechsel garantiert erwachen würde. Während des kleinen Geplänkels hatte ich dem Doktor einen raschen Blick zugeworfen, woraufhin er mir ganz kurz und kaum wahrnehmbar zuzwinkerte. Jetzt musste ich wirklich lächeln, denn dieses Zwinkern konnte doch eigentlich nur eines bedeuten: Walter hatte fest damit gerechnet, dass Winnetou und ich uns in diesen Stunden sehr nahe kommen würden, weshalb er wohl auch alles dafür getan hatte, dass uns niemand währenddessen stören konnte. Als ich jetzt mit Winnetou an ihm vorbei schritt, raunte ich ihm leise zu: „Hab Dank, mein Freund!“, woraufhin er ebenso leise entgegnete: „Überanstrenge ihn aber nicht so, hörst du?“ Ich schmunzelte in mich hinein und musste nun doch einige Mühe aufwenden, nicht in lautes Gelächter auszubrechen – die Situation hatte aber allmählich wirklich etwas Urkomisches an sich! Um nicht aufzufallen oder letzten Endes doch noch laut loszuplatzen, trug ich meinen Freund so rasch wie möglich in unsere Felsenwohnung, bettete ihn dort sanft auf unser Lager, setzte mich an seine Seite – und dann konnte ich nicht mehr umhin, ich ließ ein unterdrücktes Kichern hören und musste schwer an mich halten, es nicht zu laut werden zu lassen. In diesem Moment öffnete Winnetou die Augenlider, sah mich mit einem belustigten Funkeln in seinen Augen an und ließ gleichzeitig seine Elfenbeinzähne in ihrer ganzen Pracht sehen. Mir war sofort klar, dass mein Freund von Old Firehands Ansprache, deren Tonfall aus Sorge um den Apatschen laut und lauter geworden war, doch erwacht war und sich anschließend nur schlafend gestellt hatte, wohl um besorgten Fragen zu entgehen. Und natürlich hatte er dadurch auch die leise Anspielung unseres Doktors mitbekommen, die ihn offensichtlich sehr erheiterte. Dadurch war es jetzt auch mit meiner mühsam bewahrten Haltung aus – ich ergab mich in ein befreiendes Gelächter, in das Winnetou mit seinem von mir so geliebten leisen Lachen auch sofort einstieg. In dieser fröhlichen Stimmung fand uns einige Minuten später unser Doktor, der sich meinen Freund zur Vorsicht doch noch einmal vornehmen wollte und jetzt etwas erstaunt im Eingang stehen blieb – so ausgelassen hatte er meinen Winnetou auch noch nicht erlebt! Dann aber trat er an unsere Seite, ließ ein breites Lächeln sehen und meinte, in einem gewissen Maß fast schon anzüglich: „Na, der Ausflug scheint euch beiden ja besonders gut bekommen zu sein...“ Und damit war es jetzt ganz vorbei – und unser darauffolgendes Gelächter mit Sicherheit im gesamten Tal zu hören! Es dauerte eine gewisse Zeit, bis vor allem Walter und ich uns endlich beruhigt hatten, dann aber drängte er mit großem Nachdruck auf eine Untersuchung Winnetous, vor allem deshalb, weil ich ihm beichtete, dass mein Freund auf der Lichtung kurzzeitig die Besinnung verloren hatte. Der Apatsche warf mir auf mein für ihn so überraschendes Geständnis einen fast schon entsetzten Blick zu, aber mir war seine Gesundheit viel, viel wichtiger als die Rücksicht auf unsere Privatsphäre. Außerdem war es gar nicht nötig, dem Arzt die Angelegenheit bis ins Detail zu erklären, denn dieser konnte sich den Rest auch so zusammenreimen. Er warf uns dann auch einen gespielt tadelnden Blick zu, konzentrierte sich aber sofort darauf lieber auf Winnetous Herztöne als auf eine an uns gerichtete Moralpredigt – ein kleines, wissendes Lächeln ließ er währenddessen aber doch sehen. Man kann sich wohl denken, dass ich den Doktor während seiner Tätigkeit überaus gespannt und mit leiser Sorge im Herzen beobachtete. Mein Freund hatte heute Mittag zwar nur für kurze Zeit das Bewusstsein verloren, aber Walter hatte die strenge Devise ausgegeben, dass jede Überanstrengung und jede riskante Handlung vermieden werden musste, um eine Verschlechterung seines Gesamtzustandes zu vermeiden und vor allem die Gefahr einer zusätzlichen Schwächung des Herzens so gering wie möglich zu halten. Dessen Leistungsfähigkeit war schon jetzt durch die Verletzungen und das ausgestandene hohe Fieber etwas eingeschränkt, und wenn der Herzmuskel weiterhin einer ständigen Überbelastung ausgesetzt werden würde, konnte es geschehen, dass daraus eine chronische Erkrankung entstand – und was das für meinen Freund bedeuten würde, darüber wagte ich gar nicht nachzudenken! Dazu drückten mich auch noch meine nicht gerade geringen Schuldgefühle, eben weil ich mich am Mittag überhaupt nicht unter Kontrolle und daher großen Anteil daran gehabt hatte, dass Winnetous Kreislauf kurzzeitig zusammengebrochen war, und ich hoffte so sehr, dass ich damit nicht unfreiwillig für einen Rückschritt in der Genesungsphase des Apatschen gesorgt hatte! Doch nach wenigen Minuten konnte Walter zum Glück Entwarnung geben – der Zustand meines Freundes hatte sich nicht verschlechtert, es schien im Gegenteil sogar eine leichte Besserung eingetreten zu sein, was mich innerlich nun ein weiteres Mal zum Schmunzeln brachte, und nicht nur mich. Auch Winnetous leicht zuckende Mundwinkel sprachen hier Bände, und der Doktor konnte sein breites Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. Alle drei sahen wir uns an, schwiegen aber im stummen Einvernehmen. Hendrick bestand jetzt allerdings darauf, dass der Apatsche für den Rest des Abends und der darauffolgenden Nacht absolute Ruhe einhielt, daher verließen wir auch nach einem Gute-Nacht-Gruß, der zwischen Winnetou und mir von innigen Blicken begleitet wurde, ein wenig später die steinerne Kammer. Kapitel 29: Böse Überraschungen ------------------------------- Mein Weg führte mich jetzt, wie fast jeden Abend um diese Zeit - zumindest seit Winnetou außer Gefahr war - zu dem freien Platz ziemlich in der Mitte des kleinen Tales, an dem in den Abendstunden immer ein großes Lagerfeuer errichtet wurde, um das sich die Bewohner der Festung meist vollständig versammelten. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, kurz vor der Nachtruhe – meistens schlief der Apatsche dann schon – für etwa eine Stunde an der stets geselligen und lustigen Runde teilzunehmen und mich mit den Freunden über die Ereignisse des Tages auszutauschen. Ich wurde dort immer schon sehnsüchtig erwartet, denn die Gefährten wollten von mir jedes Mal auf das Genaueste über Winnetous Gesundheitszustand unterrichtet werden. Sie fragten mich dabei über auch die geringsten Kleinigkeiten aus; jedes Wort, jede Geste meines Freundes musste ich ihnen beschreiben. Ich hingegen war natürlich sehr interessiert an den Geschehnissen außerhalb der Festung, aber jeden Abend konnte man mir stets nur das Gleiche berichten: Die Kiowas suchten weiterhin nach unserem genauen Versteck, taten das aber auf eine recht behäbige Art und Weise, die nicht gerade auf übergroßen Eifer schließen ließ und übrigens auch an der völlig falschen Stelle stattfand – und Thomson nebst seinem uns unbekanntem Kumpan lag währenddessen weiter auf der faulen Bärenhaut, wo er alle unangenehmen und gefährlichen Arbeiten wie immer hübsch den Rothäuten überließ! Ich war bisher noch nicht ein einziges Mal mit auf Kundschaft gegangen, da ich mich verständlicherweise auf keinen Fall von meinem Freund trennen wollte und ich mir im übrigen auch völlig sicher war, dass ich mich auf die Gefährten und ihre Fähigkeiten voll und ganz verlassen konnte. Eines aber fand ich dann doch recht merkwürdig: Offenbar suchten die feindlichen Indianer da draußen immer wieder die gleichen Orte ab, ließen dabei aber, fast schon geflissentlich, die nähere Umgebung um den Eingang der Festung herum vollständig außen vor. Sicherlich: Gerade dieser Teil des Felsmassivs war auch wirklich schwer zugänglich, teils aus natürlichen Gründen, teils, weil Firehand den einzigen Zugangsweg zum Tunnel mit spitzen Felsblöcken, die nur mehrere Männer gleichzeitig überhaupt anheben konnten, und mit dornigem, dichtem Gebüsch so ausstaffiert hatte, dass jemand, der den Weg zum Eingang nicht genauestens kannte, der Meinung sein musste, dieses Areal wäre unbegehbar. Trotzdem kam es mir seltsam vor, dass gerade indianische Kundschafter sich von solchen für sie doch recht belanglosen Schwierigkeiten abschrecken ließen, zumal es ja galt, ihren Häuptling zu rächen, auch wenn dieser nicht gerade sehr beliebt gewesen war. Als am heutigen Abend dieser Umstand wieder einmal Thema unserer Unterhaltungen wurde, brachte ich meine diesbezüglichen Gedanken vorsichtig zur Sprache. Die Westmänner hörten schweigend zu, bemühten sich anschließend aber nach Kräften, meine Bedenken in sämtliche Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Ausnahmslos alle waren sie der Ansicht, dass den Kiowas überhaupt nicht daran gelegen sein konnte, sich auf einen Kampf mit uns einzulassen und dadurch sogar Gefahr zu laufen, dabei vielleicht zu einem großen Teil aufgerieben zu werden. „Charlie, du hast es ja selbst miterlebt: Motawateh hat den roten Knaben mehr Schwierigkeiten bereitet als ihnen Gutes getan – warum sollten sie jetzt, nachdem er tot ist, dann noch soviel Zeit und Mühen für seine Interessen verwenden?“, wollte Emery von mir wissen. Bevor ich antworten konnte, sprach er schon weiter: „Selbst Winnetou hat doch gesagt, dass der Mistkerl alles andere als gut gelitten war unter seinen Kriegern, und auch er war der Meinung, dass die Rothäute mit ihren harmlosen Suchaktionen nur den Schein waren wollen!“ „Das ist richtig: Er WAR der Meinung!“, entgegnete ich. „Aber seitdem Winnetou über die genauen Umstände ihrer Unternehmungen informiert ist, kommt ihm das Ganze doch auch recht merkwürdig vor. Zudem sollten wir bedenken, dass...“. Weiter kam ich nicht, da Old Firehand mich mit einem milden Lächeln im Gesicht unterbrach: „Ach, Charlie! Ich verstehe vollkommen, dass du dir weiterhin die größten Sorgen um unseren Winnetou machst, und dass nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht! Seitdem es den Kiowas gelungen ist, ihn zu überwältigen, trägst du verständlicherweise ständig die Angst mit dir herum, es könnte ihm nochmals etwas Ähnliches geschehen! Aber Winnetou ist hier sicher, er wird von uns allen geschützt, außerdem weiß er sich im Notfall ja nun auch immer noch sehr gut zur Wehr zu setzen! Hier drinnen kann ihm überhaupt nichts...“. Jetzt war ich es, der meinen Gefährten unterbrach und ihm ruhig, aber mit Nachdruck in der Stimme meine Bedenken vortrug: „Vorsicht, mein Freund! Dieser Meinung waren einige von euch schon einmal, und auch da haben Winnetou und ich vergebens versucht, euch zu mehr Wachsamkeit zu verleiten! Doch zuerst einmal lass dir gesagt sein: Winnetou wurde nicht von den Kiowas überwältigt, er hat sich freiwillig in ihre Hände begeben, um Emerys, Sams und mein Leben zu retten. Zweitens gebe ich euch dahingehend recht, was die fehlende Motivation der über achtzig Indsmen angeht, die wohl zum größten Teil Motawateh nur bedingt treu ergeben waren. Aber was ist mit den anderen zwanzig? Den Kriegern, die er zu unserer Bewachung bei sich behalten hat, während die anderen zum Hauptteil der Truppe zurückkehren mussten? Glaubt ihr wirklich, dass die kein Interesse daran haben, ihn zu rächen? Und....“ Wieder wurde ich unterbrochen, dieses Mal aber von Old Surehand: „Ja, sicher, das kann natürlich gut möglich sein, aber jetzt, wo Motawateh tot ist, besteht für diese Krieger doch gar kein Grund mehr, sich wegen ihm....“ Eine ungeduldige Handbewegung von mir brachte ihn zum Schweigen, und schnell fuhr ich fort: „Ich denke schon, dass diese besagten zwanzig Krieger einen oder sogar mehrere Gründe haben, uns zu finden, und nicht nur das, sondern auch unseren Tod herbeizuführen: Thomson ist hinter Winnetous Gold her, und am liebsten wäre es ihm, wenn der Apatsche ihm auch noch die Verstecke seiner anderen Placers verriete. Außerdem hat der Bastard unserem Winnetou fürchtliche Rache geschworen, und das hat er nicht nur einmal laut und deutlich geäußert. Dazu kommt, dass die schon erwähnten zwanzig Kiowas aus verschiedenen Gründen den Häuptling der Apatschen lieber tot als lebendig sehen würden, erst recht, seitdem dieser Motawateh getötet hat! Ich vermute, dass Thomson mit den zwanzig Rothäuten eine recht enge Beziehung pflegt, allein schon auf Motawatehs Initiative hin, und daher werden sie dem Gauner wahrscheinlich auch jetzt noch zu Willen sein. Natürlich nicht umsonst – er wird sie mit dem Versprechen bei Laune halten, dass sie einen Teil von Winnetous Gold bekommen und er sie außerdem mit Gewehren und nützlichen Dingen beliefern wird, soviel ihr Herz begehrt! Und wie gesagt: Wir wurden in dieser Festung schon einmal überraschend überfallen, was gerade Old Firehand noch in schlimmer Erinnerung sein dürfte!“ (s. Karl May, Winnetou II, Kp. 7) Etwas atemlos beendete ich mein langes Plädoyer und sah die Gefährten nacheinander lange an. Hatte ich mit meinen Worten vielleicht doch erreicht, was ich wollte, nämlich dass ihre zunehmende Sorglosigkeit nun von endlich wieder mehr Aufmerksamkeit abgelöst wurde? Ich hoffte es zumindest, denn in meinem Inneren machte sich seit kurzer Zeit wieder einmal ein ungutes Gefühl breit, und dass ich diese Empfindung nicht mehr unbeachtet ließ, dürfte wohl niemanden noch großartig überraschen! Unter den Gefährten breitete sich ein nachdenkliches Schweigen aus, man sah ihnen förmlich an, wie es in ihren Köpfen arbeitete. Doch ein wenig später nickte Surehand, wie sich selbst bestätigend, mit dem Kopf, wandte sich mir zu und meinte: „Charlie, du hast recht. Ich war damals zwar nicht dabei, als ihr hier so brutal überfallen wurdet und dabei einige von euch, unter anderem Dick Stone und Will Parker, ihr Leben lassen mussten – aber man kann wirklich nie vorsichtig genug sein. Außerdem hat dieser elende Bastard namens Thomson schon oft genug bewiesen, dass er einfach alles tun würde, um an das Gold zu kommen - der würde wahrscheinlich sogar seine eigene Großmutter verkaufen!“ Ich nickte erleichtert und kündigte nun auch sofort an: „Ich möchte morgen sehr gerne euren nächsten Kundschaftergang begleiten, um mir selbst ein Bild von der Lage da draußen zu machen, denn...“ Ein weiteres Mal wurde mir das Wort abgeschnitten, dieses Mal von Emery, der sich regelrecht ereiferte, als er meinen Vorschlag weit von sich wies: „Das kommt überhaupt nicht in Frage, Charlie - das lässt du auf jeden Fall bleiben!“ Völlig verwundert sah ich ihn an, aber noch bevor ich nach dem Grund seines fast schon heftigen Gefühlsausbruchs fragen konnte, sprach er schon weiter: „Du weißt doch ganz genau, zu was dieses Scheusal namens Thomson fähig ist! Was glaubst du wohl, was geschieht, wenn du ihm aus irgendeinem dummen Zufall in die Hände fällst? Er wird seine ganze Wut, seinen fürchterlichen Zorn auf bestialische Weise an dir auslassen – und um doch noch an sein Gold zu kommen, wird er dich in Stücke schneiden und Winnetou deine Einzelteile nacheinander zusenden, bis der endlich nachgibt und das Versteck verrät! Das tust du ihm nicht an, und das tust du uns nicht an, hörst du??“ Etwas verdattert sah ich ihm ins Gesicht – so sprach der Engländer sonst nie mit mir, und er meinte es todernst. Auch sämtliche umstehenden Gefährten nickten zu seinen Worten emsig, selbst Tsain-tonkee, der übrigens im Gegensatz zu uns immer noch gelassen am Feuer saß. Ich wagte dennoch einen leisen Einwand: „Ich habe doch gar nicht vor, mich von diesen Halunken ergreifen zu lassen...“ Etwas hilflos fiel mein Blick auf den frisch gekürten Unterhäuptling der Mescaleros: „Was meint denn mein roter Bruder zu der Angelegenheit?“ Tsain-tonkee wählte seine Worte mit Bedacht, bevor er zu sprechen begann: „Auch der Apatsche glaubt, dass Old Shatterhands Leben nicht in Gefahr geraten darf und er seinem Blutsbruder viel mehr hilft, wenn er in dessen Nähe bleibt! Aber ich stimme ihm zu, wenn er auf die Gefahren hinweist, die uns hier immer noch drohen – wir sollten daher unsere Sicherheitsmaßnahmen noch einmal überdenken und, wenn nötig, verstärken!“ Alle Anwesenden hatten dem jungen Unterhäuptling aufmerksam zugehört und bezeugten jetzt auch mit einem Kopfnicken ihr Einverständnis für dessen Vorschlag. Sam Hawkens, der soeben von mir wieder schmerzlichst an den brutalen Tod seiner engsten Freunde erinnert worden war, trat jetzt noch einmal mit großem Nachdruck für mein Verbleiben in der Festung ein, alleine um Winnetou nicht noch weitere seelische Qualen zufügen zu müssen, und dieser Einwand gab dann letztendlich auch den Ausschlag für meine Entscheidung, mich dem Willen der Gefährten zu beugen. Da wir während der doch recht hitzigen Diskussion zwischenzeitlich alle, bis auf Tsain-tonkee, aufgestanden waren, machten wir jetzt wieder Anstalten, es uns nochmals am Feuer bequem zu machen, als plötzlich einer der Apatschen, die heute Abend zum Ausspähen der Umgebung auserkoren worden waren, mitten unter uns auftauchte, mit einer Nachricht, die schlagartig die Ruhe des Abends störte und unsere Pläne völlig über den Haufen warf. Er berichtete, gemäß der indianischen Sitte in einem sachlichen und unaufgeregten Ton, dass er mit dem zweiten Mescalero, der sich immer noch dort befand, das Lager der Kiowas beobachtet und dabei festgestellt hatte, dass man dort wohl schon den ganzen Tag über mit Vorbereitungen beschäftigt war, die auf einen vorzeitigen Aufbruch schließen ließen und die trotz der Dunkelheit immer noch andauerten. Es sah ganz danach aus, als ob die feindlichen Rothäute morgen früh das Gebiet verlassen wollten, und auch das ein oder andere Gespräch, das unsere Kundschafter zwischendurch aufgeschnappt hatten, deutete darauf hin. Überrascht sahen wir uns alle an. Konnte das denn wahr sein? So früh schon? Es waren doch gerade erst einmal zehn Tage vergangen! Sofort fragte ich den Apatschen: „Konnte mein roter Bruder erkennen oder erfahren, was die beiden Weißen zu tun gedenken?“ „Negat'tseh ist sicher, dass auch die weißen Hunde morgen aufbrechen wollen!“ Jetzt war ich wirklich alarmiert. Was hatte denn das nun zu bedeuten? Winnetou – und dieser täuschte sich nie in solchen Dingen - war von mindestens drei Wochen ausgegangen, in denen die Kiowas den Schein waren wollten und so tun würden, als ob sie uns aufspüren, gefangen nehmen und an uns Rache für den Tod ihres Häuptlings nehmen wollten. Und bei Thomson waren wir uns erst recht sicher gewesen, dass er diese Gegend nicht eher verlassen würde, bevor er nicht wenigstens das Gold Winnetous sein eigen nannte. Hatten wir uns denn so geirrt? Uns so in Thomsons Rachsucht und Goldgier getäuscht? Ich konnte es kaum glauben! Doch jetzt war natürlich nichts wichtiger als sofort einen Plan zu schmieden, wie wir weiter vorgehen sollten, um Thomson in die Finger zu bekommen, bevor der wirklich auf Nimmerwiedersehen verschwand. Jeder von uns wollte den Mann für seine Taten bestrafen, aber wie sehr ich darauf brannte, über ihn das Urteil zu sprechen und ihn dann am nächsten Baum aufzuknüpfen, konnte sich kaum einer in diesem Ausmaß vorstellen, zumal man mich überhaupt nicht als rachsüchtig kannte. Ich kannte mich ja selbst nicht, aber für das, was dieser Bastard meinem Winnetou angetan hatte, musste er bezahlen, jeden einzelnen Schnitt, jeden einzelnen Tritt! Kurz sann ich darüber nach, ob ich meinen Freund wieder aufwecken und ihm die Neuigkeiten berichten sollte, ließ den Gedanken aber sofort wieder fallen. Winnetou durfte ja noch nicht einmal aufstehen, er würde also auf gar keinen Fall an der Jagd auf den Verbrecher teilnehmen können; außerdem fiel es ihm jetzt schon schwer genug, untätig auf dem Krankenlager herumzuliegen, während seine Freunde und Gefährten teils recht gefährliche Aufgaben zu lösen hatten. Das war ja auch der Grund gewesen, warum ich mich bisher noch nicht unseren Spähtrupps angeschlossen hatte – ich wollte es ihm erstens nicht noch schwerer machen, indem er sich dann auch noch um mich sorgen musste, und zweitens bedurfte er immer noch der Pflege, und die wollte ich nun mal niemandem anderen überlassen. Wir besprachen nun ausführlich unser weiteres Vorgehen, und währenddessen kamen auch meine Gedanken zu Winnetou zur Sprache. Ausnahmslos alle Gefährten stimmten mit mir dahingehend überein, dass es für meinen Freund unerträglich sein würde, wenn ich mich den anderen auf der Jagd nach dem Erzschurken anschloss – und das hieß für mich, ebenfalls darauf zu verzichten, um die Genesung meines Freundes nicht zu gefährden. Mir fiel dieser Entschluss unendlich schwer, denn ich hatte so sehr gehofft, diese Bestie eigenhändig überwältigen und gefangen nehmen zu können – aber dieser heiße Wunsch brannte auch in Winnetou, und wenn er darauf verzichten musste, dann war es nur recht und billig, dass ich es aus Liebe zu ihm ebenfalls tat. Er hatte in den letzten Monaten gleich zweimal sein Leben für mich eingesetzt und war dabei jedesmal nur ganz knapp dem Tod entronnen; so konnte ich seinen unglaublich selbstlosen Einsatz für mich wenigstens zu einem kleinen Teil wieder gut machen! Kurze Zeit später stand unser neuer Plan fest: Tsain-tonkee würde, zusammen mit Emery, sofort zum Lager der Kiowas aufbrechen - welches übrigens gut zwei Reitstunden von uns entfernt lag - um den dort noch wachenden Mescalero abzulösen und gleichzeitig die Kiowas, vor allem aber Thomson nebst Kumpan, nicht mehr aus den Augen zu lassen – es konnte ja immerhin der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die ganze Bande sich schon heute Nacht aus dem Staub machen würde, und dann hätten sie einen Vorsprung gewonnen, der fast nicht mehr einzuholen wäre. Ein Großteil der restlichen Gefährten – das waren sieben Apatschen, Old Firehand, Old Surehand, Sam sowie achtzehn Mitglieder von Firehands Pelzjägerschaft – würden ungefähr noch zwei Stunden zur Vorbereitung benötigen und sich danach ebenfalls dem Lager der feindlichen Rothäute nähern, allerdings in einer Weise, dass für sie keine Gefahr bestand, von den dort umherstreifenden Wachen entdeckt zu werden, aber trotzdem nahe genug, dass Emery oder Tsain-tonkee ihnen schnellstmöglich Meldung machen konnten, wenn abzusehen war, dass die Kiowas in Kürze aufbrechen würden. Anschließend würde man den Feinden vorsichtig folgen, immer auf eine Gelegenheit wartend, Thomson zu ergreifen, ohne dass es zu einem unnötigen Kampf mit den Indianern käme; sollte das aber nicht gelingen, waren sich die Gefährten sicher, dass es ihre dreißigköpfige Truppe mit den einhundert Kiowas ohne weiteres aufnehmen könnte, vor allem dann, wenn man die Rothäute überraschen oder ihnen mit List begegnen würde. Wie lange dieses Unternehmen andauern würde, hing ganz davon ab, ob sich unser Erzfeind aus Sicherheitsgründen immer in der Mitte von Motawatehs Kriegern aufhalten würde, oder ob er mutiger wurde und sich auch mal etwas von der großen Schar entfernte – und in diesem Fall würden unsere Gefährten sofort zuschlagen. Ich konnte mir ausmalen, dass sich Thomson in den ersten Tagen der Reise wohl kaum aus der Deckung wagen würde, zu groß musste seine Angst vor unserer und vor allem vor Winnetous Rache sein. Wenn die Bande sich aber sicher war, dass wir in unserem Versteck noch gar nichts von ihrer Abreise bemerkt hatten, dann würde sich selbst der Feigling Thomson – so hofften wir zumindest – wieder etwas mehr Freiheit gönnen und hier und da vielleicht mal ein wenig Abstand zu seinen indianischen Kumpanen gewinnen – und das wäre der Moment, dem wir alle entgegenfieberten, denn so konnte seine Gefangennahme in aller Stille von statten gehen, so dass vielleicht sogar Stunden vergehen würden, bis die Kiowas den Verlust ihres weißen Begleiters bemerkten. Ich erbat mir von meinen Gefährten, da ich selbst ja auf die Gefangennahme des ehemaligen Geiers verzichten musste, dass sie ihn mir so unversehrt wie nur möglich bringen würden, denn ich wollte ihm in die Augen sehen und seine Reaktionen genau beobachten, wenn das Urteil über ihn gesprochen und vollstreckt werden würde! Die drei Apatschen, die nicht mit auf Verbrecherjagd gingen, sollten mit den beiden ebenfalls hier zurückbleibenden Pelzjägern und natürlich mit mir die Festung bewachen und beschützen. Von dem Doktor und den Butterfields konnten wir in dieser Hinsicht keine Unterstützung erwarten, und von Winnetou durften wir es auf keinen Fall, da es ihn sonst in akute Lebensgefahr bringen würde. Eine große Unbekannte gab es allerdings in diesem Plan: Wussten die Kiowas samt ihren weißen Begleitern eigentlich, dass uns ihre Anwesenheit bekannt war? Und wenn ja – waren sie die ganze Zeit über davon ausgegangen, dass wir uns in unserem Versteck verschanzt hatten, ohne auch nur einmal dessen Schutz zu verlassen und die Feinde auszuspionieren? Oder hatten sie vielleicht sogar irgendwann einen unserer Kundschafter entdeckt, diesen aber unbehelligt laufen lassen, um ihn zu verfolgen in der Hoffnung, auf diese Weise zum Eingang zu unserer Festung geführt zu werden? Nein, sagte ich mir, eigentlich konnte das alles nicht möglich sein. Hätten unsere Feinde einen von uns zufällig entdeckt, hätten sie ihn mit größter Wahrscheinlichkeit sofort ergriffen und gefangengenommen, einmal, um aus ihm den Weg in unsere Festung herauszupressen und zum anderen, um ihn als Geisel zu benutzen, durch die sie uns zwingen konnten, aufzugeben und uns ihnen auszuliefern. Außerdem – wenn sie einen unserer Späher entdeckt hätten, dann würden sie mit Sicherheit nicht jetzt einfach aufgeben und den Rückzug antreten, im Gegenteil, sie würden ihre Bemühungen eher vervielfachen, um endlich zu ihrem Ziel zu gelangen! Wir besprachen noch einige Zeit alle Einzelheiten, damit jeder im Ernstfall genau wusste, was er zu tun hatte. Fast zwei Stunden nach dem Eintreffen unseres Spähers Negat'tseh waren auch schon die meisten Vorbereitungen abgeschlossen, so dass sich Tsain-tonkee und Emery gerade anschickten, aufzubrechen, um als Kundschafter den Kiowas eng auf den Leib zu rücken und den anderen Apatschen, der dort noch ausharrte, abzulösen – dieser sollte dann auch hier in der Festung zum Schutz derselben verbleiben – als eben dieser Mescalero mit einem Male und entgegen seiner Absprache mit Negat'tseh in unseren Reihen auftauchte und einen für indianische Verhältnisse richtiggehend aufgeregten Eindruck machte. Stumm sah er in die Runde, und als er Tsain-tonkee und mich entdeckte, wartete er gemäß der indianischen Höflichkeit, bis ich ihn in meinem Amt als von Intschu-tschuna ernannter Häuptling der Apatschen zum Reden aufforderte. Dieser Bitte kam er auch sogleich nach: „Meine Brüder mögen mir verzeihen, dass Lihà-ka'pan seinen Platz verlassen hat und hier einfach eindringt, aber er hat eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen: Die Kiowas haben ihr Lager abgebrochen und sich schon jetzt auf den Weg gemacht!“ Völlig überrascht hatten wir seinen Worten gelauscht und warfen uns nun fast schon entsetzte Blicke zu. Das hatte uns gerade noch gefehlt! Damit war es nun natürlich aus mit der ruhigen Vorbereitung und dem langsamen Anschleichen – jetzt galt es, so schnell wie möglich zu dem Lagerplatz der Kiowas zu gelangen und von dort aus ihren Spuren zu folgen. Das würde sich in der Dunkelheit als eine schwere Aufgabe gestalten, aber die Sterne schienen hell, und die Fährte von einhundert Menschen samt ihren Pferden konnte man eigentlich kaum verwischen und erst recht nicht vermeiden, so dass unsere Männer auf jeden Fall die Spuren finden würden. Das alles hatte sich Lihà-ka'pan auch gesagt, denn wenn es anders gewesen wäre und wir keinerlei Chance gehabt hätten, die Fährte wiederzufinden, wäre er vor Ort geblieben, hätte die Feinde verfolgt und uns auf seinem Weg immer wieder kleine Zeichen hinterlassen. Allerdings hätten wir uns so nicht auf die neue Situation einstellen können, und wenn, wie zuerst geplant, Emery nebst Tsain-tonkee als Kundschafter eingetroffen wären, hätten sie niemanden mehr vorgefunden – und im Dunkeln die Zeichen Lihà-ka'pans zu finden, wäre äußerst schwierig und zeitraubend geworden, zumal sie ja dann auch noch den nachfolgenden Gefährten ebenfalls solche Zeichen hätten hinterlassen müssen. So war die Situation also mit einem Male eine ganz andere, und deshalb wurden nun die restlichen Vorbereitungen in Windeseile abgeschlossen, damit man so schnell wie möglich aufbrechen konnte. Natürlich blieben Emery und Tsain-tonkee jetzt bei dem Hauptteil der Truppe, denn als Späher wurden sie im Augenblick ja nicht mehr benötigt. Es waren eineinhalb Stunden vergangen seit dem Aufbruch der Kiowas – so lange hatte es gedauert, bis Lihà-ka'pan die Strecke von ihrem Lager bis zu uns zurückgelegt hatte, und das war noch viel schneller als erwartet, denn eigentlich waren zwei Stunden dafür nötig. Bis unsere Gefährten ihr Ziel erreicht haben würden, musste man von zwei weiteren Stunden Zeitverlust ausgehen – somit hatten die Kiowas also insgesamt dreieinhalb Stunden Vorsprung vor ihren Verfolgern gewonnen. Allerdings war unsere Gruppe deutlich kleiner als die Hundertschaft der Indianer und daher hoffentlich viel beweglicher und somit auch schneller als diese. Zudem würde es nach ihrer Ankunft bei dem Lager nur noch ungefähr eineinhalb Stunden dauern, bis der Morgen zu dämmern begann, und dadurch konnte man den Spuren noch schneller folgen, so dass eine erfolgreiche Suche sehr wahrscheinlich war. Ich durfte ja zu meinem Bedauern nicht an dem Unternehmen teilnehmen, aber ich kannte meine Gefährten als sehr tüchtige und erfahrene Westmänner, so dass ich mir wirklich sicher sein konnte, dass ihnen die Verfolgung und wahrscheinlich auch die Gefangennahme Thomsons gelingen würde – wenngleich ich auch wusste, dass ich die Zeit bis zur Rückkehr der Freunde in großer Sorge und mit sehr gemischten Gefühlen verbringen würde. Dementsprechend innig und herzlich verabschiedete ich mich jetzt auch von jedem Einzelnen, wobei ich sie alle mehrfach darum bat, höchste Vorsicht walten zu lassen und sich nicht unnötig in Gefahr zu begeben. Die Freunde, die mir allesamt ansahen, wie schwer mir das Zurückbleiben fiel, versuchten darum nun auch, mich durch Schulterklopfen sowie vielen gutgemeinten Worten zu beruhigen, was ihnen aber nicht ganz gelang – aber dann wurde es wirklich höchste Zeit zum Aufbruch, und darum verließen sie jetzt auch schnell die Festung. Insgeheim war ich sehr froh über die Tatsache, dass Winnetou oben in unserer steinernen Behausung tief und fest schlief und von der ganzen Aufregung hier unten nichts mitbekommen hatte – die damit verbundene Anspannung würde seiner langsam fortschreitenden Genesung wahrscheinlich nicht gerade sehr gut tun! Leider würde ich ihm morgen früh aber dann doch noch alles erzählen müssen, und ich hoffte inständig, dass es mir trotzdem irgendwie gelingen würde, ihn zur Ruhe zu zwingen – notfalls würde ich unseren Doktor bitten müssen, da vielleicht noch ein wenig nachzuhelfen ... Langsam begab ich mich zu unserer gemeinsamen Kammer und war auf dem Weg dahin tief in Gedanken versunken. Würde es unseren Kameraden gelingen, Thomson zu fassen? Oder war es ihm ein weiteres Mal vergönnt, seiner gerechten Strafe zu entgehen? Aber er musste für seine bestialischen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden – das waren wir Winnetou mehr als schuldig! Es war einfach schon deshalb vonnöten, den Erzschurken ein für alle Mal aus dem Verkehr zu ziehen, um meinen Freund zu schützen – er würde sonst niemals völlig sicher sein vor dessen Rache. Unsere Späher hatten in den vergangenen Tagen mehrmals Gespräche zwischen den beiden Weißen im Lager der Kiowas erlauschen können, in denen sich der Verbrecher voller Hass und Rachsucht über Winnetou ausließ, den er seltsamerweise für alles Unglück verantwortlich machte, das ihm seit unserer ersten Begegnung zugestoßen war - unter anderem natürlich die langfristigen Folgen der unbarmherzigen Prügel, die er damals in der Schlucht von Old Firehand bezogen hatte als Antwort auf Thomsons Attentat auf Winnetou. Hatte der Mistkerl denn jetzt tatsächlich einfach aufgegeben? Wollte er wirklich ohne Winnetous Gold die Gegend verlassen? Ohne seine Rache an meinem Freund zu vollenden, wo doch für ihn die Gelegenheit dazu so günstig war wie noch nie, da er ja wusste, dass dieser schwer verletzt und im Augenblick nicht fähig war, sich selbst ausreichend zu schützen? Als mir diese Gedanken durch den Kopf schossen, konnte ich es mir mit einem Male gar nicht mehr vorstellen, dass Thomson tatsächlich aufgebrochen war. Sollte das vielleicht eine Falle sein? Ein Ablenkungsmanöver, um anschließend um so brutaler zuzuschlagen? Siedendheiß wurde mir plötzlich bewusst, dass in den kommenden Tagen die gesamte Festung von nur sechs kampferprobten Männern beschützt werden würde – drei Apatschen, zwei Pelzjägern und mir selbst. Winnetou konnte nicht kämpfen, der Doktor war dazu überhaupt nicht geeignet, von den Goldsuchern mal ganz abgesehen. Hatte dieser gerissene Verbrecher das mit eingeplant? Kapitel 30: Belagerung ---------------------- Ich hatte nun unsere kleine Kammer erreicht, und während ich ganz leise an unser Lager trat, in dessen Fellen Winnetou weiterhin tief und fest schlief, mit einem entspannten, ja, fast schon seligen Ausdruck in seinem schönen Gesicht, da überkam mich mit einem Male ein solch grässliches Gefühl der Angst um ihn, dass mir fast übel wurde. Was wäre, wenn das Scheusal namens Thomson tatsächlich darauf spekuliert hatte, dass ihm und seinen Kiowas der Großteil unserer Gefährten folgen würde? Wenn er nun auf den Gedanken kam, auf einem Umweg zur Festung zurückzukehren, um diese, auf welche Art und Weise auch immer, mit seinen indianischen „Freunden“ zu überfallen? Was wäre, wenn ich dann abermals nicht in der Lage sein würde, meinen geliebten Freund zu beschützen? In einem solchen Fall käme Winnetou mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit dem Leben davon, aber selbst wenn – allein die Vorstellung, ihn ein weiteres Mal solch unmenschlichen Qualen ausgesetzt zu sehen wie vor knapp zwei Wochen im Zelt der Kiowas, verstärkte die bohrende Angst in mir so sehr, dass es mir fast die Luft abschnürte. Ich wurde richtiggehend überwältigt von solch einer Flut von verstörenden Gefühlen, dass mir sogar ein zittriges Aufschluchzen herausrutschte, welches ich sofort, die Hände vor den Mund schlagend, zu unterdrücken versuchte. In dieser Stellung verharrte ich und sah dabei angespannt auf meinen Blutsbruder hinab – hatte ihn das leise Geräusch aufgeweckt? In früheren Zeiten wäre er sofort aufgesprungen und hätte im nächsten Moment hellwach an meiner Seite gestanden, aber mir fiel schon seit einigen Monaten auf, dass er in meiner Gegenwart viel tiefer schlief als sonst, und jetzt natürlich erst recht, wo sein Körper sich erst einmal von den furchtbaren Strapazen erholen musste. Trotzdem verweilte ich noch in meiner erstarrten Haltung, denn ich wollte erst einmal sichergehen, dass ich wirklich nicht seinen Schlaf gestört hatte – und während ich noch so da stand, legte sich auf einmal eine Hand auf meine Schulter. Obwohl ich nun wahrlich kein ängstliches Naturell besitze, fuhr mir doch ein ordentlicher Schreck durch die Glieder, und daher hatte ich für einen Augenblick auch die größte Mühe, jetzt nicht auch noch einen unbedachten Laut der Überraschung von mir zu geben. Abrupt drehte ich mich um und gewahrte zu meiner Erleichterung unseren Walter Hendrick vor mir, der mich besorgt musterte. „Charlie – was ist mit dir?“, fragte er so leise wie möglich, doch mit einer deutlichen Unruhe in der Stimme. Erst wollte ich abwinken und ihm dadurch bedeuten, dass alles in Ordnung wäre, besann mich dann aber eines Besseren und gab ihm daher ein Zeichen, mir nach draußen zu folgen, wo ich ihm alles erklären konnte, ohne dass die Gefahr bestand, Winnetou dadurch doch noch aus seinen Träumen zu reißen. Also gingen wir nach draußen und entfernten uns ein Stück, bevor ich den Freund über die Ereignisse in den letzten Stunden sowie unsere Planung für die kommenden Tage in Kenntnis setzte. Ich tat das in aller Ausführlichkeit und ließ nichts aus, denn ich wusste genau, dass ich dem Doktor vollkommen vertrauen konnte; zudem hatte er mehrfach bewiesen, dass er gerade in gefährlichen Situationen einen kühlen Kopf behielt und stets ruhig und überlegt zu handeln pflegte. Auch jetzt hörte er mir erst konzentriert zu, bevor er für einige Momente in sich ging und über die neue Situation nachdachte. Wenige Augenblicke später sah er mir nachdenklich ins Gesicht, bevor er mit einem gewissen Ernst in der Stimme zu sprechen begann. „Du vermutest also, dass wir hier überfallen werden könnten, gerade weil sich im Augenblick nur wenige Männer zum Schutz in der Festung befinden?“ „Richtig!“, antwortete ich. „Natürlich bin ich mir da nicht sicher, aber der plötzliche Aufbruch der Indsmen kommt mir, vor allem nach dieser relativ kurzen Zeit, doch recht seltsam vor. Winnetou hatte schon vermutet, dass die Kiowas ihrem Häuptling zum größten Teil nur sehr ungern gefolgt sind, deshalb gingen wir von einem Zeitraum zwischen drei, maximal vier Wochen aus, in dem die Rothäute hier alles absuchen werden – recht lustlos, wie wir ja festgestellt hatten , um nach außen hin den Schein zu waren – um dann ohne Ergebnis das Weite zu suchen. Was Thomson hingegen anbelangt, sind wir....“ Hier unterbrach mich Hendrick und bewies mir mit seinen nun folgenden Worten, dass er in den letzten Tagen offensichtlich doch so einiges von all unseren Besprechungen mitbekommen hatte, obwohl er eigentlich nie daran teilgenommen hatte – sein Platz war fast immer bei Winnetou gewesen. „Ich kann mir, ehrlich gesagt, überhaupt nicht vorstellen, dass dieser Erzschurke freiwillig das Feld räumt, ohne zumindest einen oder auch mehrere Versuche zu wagen, an Winnetous Nuggets zu gelangen!“, meinte er, mich damit in meiner Vermutung bestätigend, und fragte dann: „Aber alleine wird er solch ein für ihn wohl sehr gefährliches Unternehmen auf keinen Fall durchführen, dazu ist der Kerl einfach viel zu feige, oder siehst du das anders?“ „Nein, da stimme ich dir vollkommen zu“, bestätigte ich ihn, bevor er fortfuhr: „Also müssen wir uns wohl in der Tat darauf einstellen, dass es hier zu einem wie auch immer gearteten Kampf kommt, und das zu einem Zeitpunkt, wo nur – wie viele genau? Zwei Pelzjäger und drei Apatschen? - hier sind? Und natürlich deine Wenigkeit, die ja mindestens fünf Männer aufwiegt – und ich bin schließlich auch noch da – nun ja, es ist natürlich wenig genug, aber vielleicht könnten wir die Angreifer solange in Schach halten, bis unsere Leute wieder zurück sind?“ „Langsam, Walter, langsam!“, versuchte ich den übereifrigen Doktor abzubremsen. „Noch wissen wir ja gar nicht, ob meine Vermutung sich bewahrheiten wird, das bleibt ...“ Doch ich wurde jetzt ein weiteres Mal von dem Arzt unterbrochen, als er einwarf: „Du weißt doch wohl selbst am besten, dass dein Bauchgefühl immer recht hat, da machen wir uns mal nichts vor! Und je früher wir uns auf eine solch unbefriedigende Situation einstellen und vorbereiten, desto besser können wir reagieren, richtig?“ „Richtig!“ erwiderte ich. „Du hast recht, wir sollten jetzt wirklich vom Schlimmsten ausgehen. Aber sag einmal – was soll das heißen, du bist auch noch da? Du willst doch nicht ernsthaft in einen möglichen Kampf eingreifen?“ „Wenn ich dazu gezwungen werde – natürlich!“, sagte Walter mit fester Stimme. „In den letzten Monaten habe ich einiges gelernt bei den Mescaleros, unter anderem auch, eine Waffe leidlich zu bedienen. Und bevor ich zulasse, dass irgend so ein Dreckskerl unserem Winnetou nochmals ein Leid zufügt, werde ich meine neu erworbenen Künste an demjenigen sehr gerne ausprobieren, darauf kannst du dich verlassen!“ Gerührt sah ich Walter an. Ich wusste ja, dass er einiges auf sich nehmen würde und es auch schon getan hatte, um Winnetou und mir in so vielen Situationen zu helfen, aber dass er sogar sein Leben für uns, vor allem für Winnetou, einsetzen würde, machte mich wirklich für einen Augenblick sprachlos. Bevor ich aber darauf eingehen konnte, begann er erneut zu sprechen, denn er hatte noch etwas auf dem Herzen. „Charlie – ist dir eigentlich bewusst, dass für Winnetou ein erneuter Kampf zu diesem Zeitpunkt lebensgefährlich werden wird? Und dass wir ihn, wenn es wirklich hart auf hart kommt, wahrscheinlich gar nicht daran hindern werden können, vor allem, wenn er weiß, dass du dich in einem so ungleichen Gefecht in die größte Gefahr begibst?“ Ich nickte schweigend, bedrückt, denn genau diese Gedanken waren mir vorhin auch schon durch den Kopf gegangen, und mir war klar, dass keine Macht der Erde meinen Blutsbruder davon abhalten könnte, mich zu beschützen. Hendrick war aber noch nicht fertig: „Charlie – sollten wir das hier alles doch irgendwie überstehen, dann müssen wir unbedingt dafür Sorge tragen, dass dein Freund in den nächsten Monaten nicht mehr solchen Gefahren ausgesetzt wird! Sein Körper musste jetzt zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit die größten Strapazen über sich ergehen lassen, Strapazen, die dann auch das Herz aufs Äußerste belastet haben. Ein drittes Mal wird er eine solche Überbelastung vielleicht sogar nicht überleben, aber es ist fast sicher, dass sein Herzmuskel dadurch dauerhaft geschwächt werden wird – und das würde bei seiner Lebensweise eine ständige Todesgefahr bedeuten! Er muss sich jetzt einfach erst einmal gründlich auskurieren, und das über einen langen Zeitraum, also mindestens ein halbes Jahr lang – besser wäre aber noch eine Erholung über ein volles Jahr und noch darüber hinaus!“ Walter hatte mich, seitdem er hier in der Festung erschienen war, schon mehrmals darauf hingewiesen, dass mein Freund im Anschluss an dieses Abenteuer dringend eine längere Ruhephase benötigen würde, aber in dieser Deutlichkeit hatte er mir die möglichen schwerwiegenden Folgen für Winnetou noch nie so nahegebracht. Wahrscheinlich hatte er mich bisher schonen wollen, wohl auch, weil er davon ausgegangen war, dass die unmittelbare Gefahr für Winnetou hier, in diesem gesicherten Tal, gebannt gewesen sei. Jetzt aber stand zu erwarten, dass es erneut zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen würde, und nun wollte Walter mich dazu bringen, alles dafür zu tun, dass mein geliebter Freund diesen Kämpfen fernblieb. Fast schon verzweifelt sah ich zu Boden. Wie, um alles in der Welt, sollte ich das denn nur anstellen? Winnetou würde niemals sein Leben schonen, wenn meines in Gefahr wäre! Ich begann, ernsthaft darüber nachzudenken, ob ich meinen Blutsbruder vielleicht sogar mit Gewalt daran hindern sollte – und wenn das die einzige Möglichkeit wäre, ihn nicht in Lebensgefahr zu bringen, dann würde ich diesen Weg auch ohne Umschweife wählen, dessen war ich mir sicher! Aber wie sollte es danach weiter gehen – vorausgesetzt natürlich, dass wir die kommende Zeit überhaupt überlebten? Mein Freund war das Oberhaupt aller Apatschen, er hatte eine ungeheure Verantwortung zu tragen, gerade in diesen turbulenten Zeiten, und das erforderte oftmals seine ganze Kraft und vollsten Einsatz. Es war uns gelungen, ihn in dem letzten halben Jahr von seinen Pflichten fernzuhalten, um seine Schussverletzung gründlich auskurieren zu lassen, aber das war nur möglich gewesen, weil Winnetou immer noch alle Entscheidungen selbst treffen konnte und im übrigen in seinen drei Jugendfreunden, Til Lata, Entschah-koh sowie Yato Ka, überaus fähige Unterhäuptlinge besaß, die ihn in dieser Zeit und nach seinen Anweisungen hervorragend vertraten und ihn ansonsten unterstützten, wo es nur möglich war. Jetzt aber war die Zeit gekommen, in der er sich unbedingt wieder selbst bei den verschiedenen Apatschenvölkern sehen lassen musste, und teils auch bei den weiter entfernt beheimateten und befreundeten Stämmen, um die guten Beziehungen zwischen den einzelnen Völkern und Stämmen zu vertiefen, Streitigkeiten zu schlichten oder sogar schon begonnene Fehden zu beenden. Würde er jetzt wieder nur seine Vertreter, so fähig diese auch waren, dorthin entsenden, so konnte das bedeuten, dass die Unruhe in einigen Gebieten zunahm und man dadurch auch den Weißen, vornehmlich umherziehenden Tramps, ein leichtes Spiel bot. Ich wusste, ich würde ihn von seinen Aufgaben nicht abhalten können, wollte es auch gar nicht, da ich genau wusste, dass Winnetou der Einzige war, dem es überhaupt gelingen konnte, einen dauerhaften Frieden im Süden und im Mittleren Westen zwischen Indianern und Weißen herzustellen. Aber jeder Ritt, jede längere Reise würde in seinem jetzigen Zustand ein erneutes Risiko für seine Gesundheit bedeuten, vor allem dann, wenn unvorhergesehene Schwierigkeiten auftauchten, so wie jetzt erst wieder mit unserer Begegnung mit den Goldsuchern geschehen. Winnetou würde es niemals fertigbringen, Menschen in Not sich selbst zu überlassen – und somit konnte man fast sicher annehmen, dass auf einer dieser Reisen mit einer nicht ausreichend auskurierten Verletzung sein Leben erneut in große Gefahr geraten würde. Wie sollte ich ihn davor nur bewahren können? Sicher, ich würde ihn natürlich auf jedem Ritt begleiten und ihn schonen und schützen, so gut es nur irgend ging, aber würde das reichen? Und wenn er einmal sein Amt als Häuptling wieder aufgenommen hatte, dann würde er auch wieder mit Feuereifer ans Werk gehen, und nichts und niemand konnte ihn dann noch daran hindern, weit über die Pflichterfüllung hinaus zu agieren und daher mehr Reisen zu unternehmen, als eigentlich nötig wären. Wieder einmal zogen Gedanken, Bilder vor meinem inneren Auge auf, Überlegungen, die ich schon des Öfteren angestellt hatte, eine Möglichkeit, die sich geradezu anbot, meinen Freund aus dem Gefahrenbereich herauszubringen... aber war das machbar? Weiter konnte ich nicht mehr darüber nachdenken, denn der Doktor hatte meine teils wohl sehr unglücklich wirkende Mine bemerkt, und er wusste genau, welche Art von Problemen mein Innerstes beherrschten, zumindest kannte er die naheliegenden, und lustigerweise kam er auch auf fast den gleichen Gedanken wie ich: „Charlie – sollte es wirklich zu einem Kampf kommen, dann werde ich alles dafür tun, dass dein Freund nicht daran teilnimmt!“ „Und wie willst du das anstellen?“, fragte ich ihn. „Indem ich dafür sorge, dass er gar nicht teilnehmen kann!“, behauptete er mit großer Überzeugung. „Aha“, meinte ich. „Und wie soll das gehen?“ „Ganz einfach! Ich werde, sobald abzusehen ist, dass es ernst wird, ihm ein starkes Schlafmittel verabreichen, so dass er mindestens einen ganzen Tag verschlafen wird!“ Erstaunt sah ich den Arzt an. Das war natürlich auch eine Möglichkeit – doch gleich darauf kamen mir einige Bedenken. „Könnte das nicht für Winnetous geschwächten Körper gefährlich werden, mein Freund?“ „Nicht, wenn ich die gesamte Zeit über bei ihm bleibe und seinen Zustand überwache! Sollte es zu irgendwelchen Problemen kommen, habe ich immer noch die Möglichkeit, darauf schnell zu reagieren.“ Er sagte das mit einer solchen Überzeugung in der Stimme, dass ich annehmen musste, dass er sich über diese Möglichkeit schon des Öfteren Gedanken gemacht haben musste. Trotzdem war ich mir nicht sicher, wie Winnetou darauf wohl reagieren würde: „Und was machst du, wenn Winnetou damit überhaupt nicht einverstanden ist und dich dafür zur Rechenschaft zieht?“, bohrte ich weiter. „Er muss es doch gar nicht erfahren“, antwortete Walter. „Zumindest vorher nicht, und wenn er es nachher herausfindet – wovon ich bei ihm sowieso ausgehe – so werde ich die Verantwortung auf mich nehmen und ihm die Gründe für mein Handeln erläutern, wobei ich ihm deutlich mache, dass du nichts davon wusstest!“ „Hm....“ So richtig überzeugt war ich von der Sache nicht, aber es war allemal besser, als meinen Freund in die Gefahr rennen zu lassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihn daran zu hindern. „Das hat übrigens auch den großen Vorteil, dass er während eines Kampfes nicht alleine ist, sondern sich relativ geschützt in der Kammer befindet, wo ich jedem Feind, der es wagt, seine Nase durch den Eingang zu schieben, eine Kugel in den Kopf jagen werde!“ Hendrick entwickelte mit einem Male einen Mut und eine Kampfeslust, dass ich nur darüber staunen konnte. Aber er hatte recht, besser würden wir Winnetou nicht schützen können. Jetzt musste ich mir aber über den eigentlichen Kampf – sofern es überhaupt dazu kommen sollte – Gedanken machen. Vielleicht würde es uns gelingen, einen Angriff von Thomson nebst seinen Kumpanen und roten Freunden außerhalb der Festung abzuwehren? Vielleicht war es sogar möglich, dem elenden Verbrecher selbst eine Falle zu stellen? Oder noch besser – vielleicht würde es sogar möglich sein, einen der zurückgebliebenen Apatschen die Spur unserer Gefährten verfolgen zu lassen, so dass diese über alles informiert wurden und sofort den Rückweg antraten? In diesem Moment bewies mir Walter, dass er sich zum Teil schon die gleichen Gedanken machte wie ich, denn er fragte mich jetzt: „Sag einmal, Charlie – wäre es nicht möglich, dass du selbst oder einer der anderen Zurückgebliebenen so schnell wie möglich hinter den Unsrigen her reitest und diese wieder zurückholen würdest?“ „Darüber habe ich gerade eben auch nachgedacht, mein Freund“, antwortete ich. „Aber es herrscht tiefste Dunkelheit, und die Spuren und auch die zurückgelassenen Zeichen jetzt zu erkennen ist unglaublich schwierig und hält lange auf. Bis ich oder einer der anderen unsere Leute eingeholt und zurückgebracht haben würde, wäre viel zu viel Zeit vergangen, in der hier alles Mögliche geschehen könnte! Nein, wir benötigen jeden Mann, der fähig ist, gegen einen solch grimmigen Feind zu kämpfen – und die Butterfields sind weder für einen solchen Kampf geeignet noch für diesen gefährlichen Botendienst!“ Ich bemerkte den vielsagenden Blick des Doktors und unterband dessen Vorhaben dann auch sogleich: „Und du wirst hier ebenfalls dringend gebraucht! Nicht nur allein für Winnetou – es wird im Falle einer Auseinandersetzung mit Sicherheit nicht ohne Verletzungen abgehen, und da kann ich es nicht zulassen, dass ausgerechnet du dann irgendwo da draußen umherirrst!“ Hendrick nickte, hatte aber noch eine letzte Frage: „Rechnest du mit einem Überfall – wenn er denn überhaupt geschehen wird – schon heute Nacht?“ „Nein, eigentlich nicht“, entgegnete ich. „Dazu ist die Zeit viel zu kurz gewesen, die seit dem Aufbruch von Thomson und den Kiowas verstrichen ist.“ „Nun, dann wäre es doch besser, wenn wir uns jetzt etwas Schlaf holen würden, denn so wie es aussieht, könnte es damit in nächster Zeit nicht allzu weit her sein!“ „Da hast du vollkommen recht!“, stimmte ich ihm zu. „Morgen werde ich die übrigen Männer informieren, und dann werden wir weitersehen!“ Somit wünschten wir uns eine Gute Nacht und begaben uns dann zu unseren Schlafplätzen – meiner befand sich natürlich an der Seite Winnetous, während Hendrick in der Kammer direkt nebenan schlief, um im Notfall sofort an der Seite meines Freundes sein zu können. Leise betrat ich den kleinen Raum und betrachtete abermals das schöne Gesicht des tief schlafenden Apatschen. Würde es mir gelingen, ihn aus allem herauszuhalten? Ich war fest entschlossen, ihm nichts von der drohenden Gefahr zu sagen, und da er ja noch nicht aufstehen durfte, bestand durchaus die Chance, dass er davon auch anderweitig nichts mitbekommen würde – zumindest solange, bis es richtig ernst wurde. Allerdings – Winnetou hatte schon so oft bewiesen, dass er meine Gedanken förmlich lesen konnte, also wie um alles in der Welt sollte ich jetzt verhindern, dass er mir auf dem ersten Blick ansah, dass mich so ernste Dinge beschäftigten? Doch jetzt wurde ich mit einem Mal von einer solch großen Müdigkeit übermannt, dass ich beschloss, mich sofort zur Ruhe zu legen und mich mit diesen ganzen unangenehmen Dingen erst am nächsten Morgen wieder zu befassen. So leise wie möglich entkleidete ich mich und legte mich dann vorsichtig an die Seite meines geliebten Blutsbruder. Seine tiefe, regelmäßige Atmung, sein unverwechselbarer Duft und natürlich erst recht seine Nähe, seine Wärme ließen meinen Geist ganz schnell zur Ruhe kommen und sorgten dafür, dass ich mich in kürzester Zeit wohl und entspannt fühlte. Doch jetzt begann mein Freund sich leise zu regen. Er murmelte etwas Unverständliches und drehte sich dann tief aufatmend halb auf die Seite, direkt in meine Richtung, während seine Hand unmittelbar vor mir unruhig suchend umher tastete. Sofort ergriff ich sie, drückte sie an meine Brust und strich mit meiner anderen Hand immer wieder sanft über seinen Handrücken. Das bewirkte, dass er, weiterhin tief schlafend, noch näher und enger an mich heran rückte, bis sein Kopf meine Schulter erreichte und er sich mit einem wohligen Seufzer darauf niederließ. Ich wagte nicht die geringste Bewegung, nur meine Hand streichelte weiterhin ruhig und sanft die seinige. Nach wenigen Minuten war ich mir aber sicher, dass er nicht erwacht war und drehte mich nun auch etwas in seine Richtung. Dadurch kam mein Mund seiner Stirn ganz nahe, und nun konnte ich mich in keinster Weise mehr dem Drang erwehren, ihm einen vorsichtigen Kuss darauf zu drücken. Kurz wartete ich ab, ob er darauf reagierte, doch außer einem leisen, tief in der Kehle sitzenden Brummen kam keine Reaktion. Alles andere um mich herum vergessend, wiederholte ich meine Liebkosungen noch mehrere Male, bis mir irgendwann die Augen zufielen und ich mit dem Mund an seiner Stirn einschlief. Am nächsten Morgen war ich allerdings noch vor Sonnenaufgang munter, denn die nagende Unruhe in mir ließ mich einfach nicht mehr schlafen. Winnetou hingegen lag noch in den schönsten Träumen, zumindest sah er so aus, wenn ich mir sein tiefenentspanntes, fast schon lächelndes Antlitz so betrachtete. Wie sehr wünschte ich mir, dass nichts und niemand mehr seinen Frieden stören könnte! Entschlossen wandte ich mich dem Ausgang zu und warf einen Blick über das Tal, welches teilweise noch im Dunkeln lag. Soweit ich es erkennen konnte, war außer dem Pelzjäger, der Wache hielt, ein Mann namens Pete Muller, noch niemand auf den Beinen. Sollte ich abwarten, bis sie alle endlich erwacht waren, oder die Apatschen und den anderen Pelzjäger lieber jetzt direkt aus dem Schlaf reißen, damit sie schnellstmöglich über die drohende Gefahr informiert waren? Würde ich damit nicht völlig überstürzt handeln? Immerhin beruhte das alles ja nur auf eine bloße Vermutung, einer Ahnung meinerseits, und wurde durch keinen einzigen Beweis gestützt! Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn ich erst einmal einen vorsichtigen Rundgang außerhalb der Festung unternahm, um mich davon zu überzeugen, dass noch keine unmittelbare Gefahr bestand? Unschlüssig stand ich so eine ganze Zeit lang vor unserer Kammer, als ich mit einem Mal ein Geräusch hinter mir vernahm. Ich drehte mich schnell um und gewahrte zu meinem Schrecken – Winnetou! Er war doch tatsächlich aufgestanden und und leise hinter mich getreten, und das alles, obgleich er dafür noch gar nicht stark genug war! Schon hatte ich einige zürnende Worte auf den Lippen und machte gleichzeitig Anstalten, ihn sofort zu seinem Lager zurückzutragen, da legte er mir die Hände auf die Schultern und sah mich mit seinem unnachahmlichen Blick ernst an. „Mein Bruder trägt die Last der Sorge in seinem Herzen – will er sich seinem Blutsbruder nicht anvertrauen?“ Mein Herz wurde mir schwer bei seinen Worten, denn genau das hatte ich ja unbedingt vermeiden wollen, um ihn erst gar nicht in Gefahr zu bringen! Gleichzeitig aber war ich unendlich gerührt über seine tiefe Liebe zu mir, die ihn, ohne darüber nachzudenken, aus dem Bett getrieben hatte, obwohl er dazu eigentlich noch gar nicht in der Lage war. Darum antwortete ich jetzt auch schnell: „Ich werde meinem Bruder alles berichten, aber erst, wenn du dich wieder hingelegt hast, und zwar so schnell wie möglich! Wie kannst du nur so ein Risiko eingehen? Du weißt doch, dass du deinen Kreislauf im Augenblick auf keinen Fall belasten darfst, und erst recht nicht die gebrochene Rippe!“ Jetzt hatte sich doch etwas Ärger in meine Stimme geschlichen, aber es war mir wirklich unmöglich, ihn zurückzuhalten – ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, meinen geliebten Freund ständig in Gefahr zu wissen! Winnetous schönes Antlitz wies mit einem Mal einen ungewohnt erstaunten Ausdruck auf, denn einen solchen Ton kannte er von mir gar nicht, zumindest nicht ihm gegenüber. Doch dann musste er in meinen Augen die übergroße Sorge um ihn erkannt haben, denn sofort wurden seine Züge wieder ganz weich, der Ausdruck seiner Augen ganz mild, und mit einem leisen, aber herzlichen Lächeln schlang er seine Arme um mich, lehnte seine Stirn an meine und versuchte, mich zu beruhigen: „Mein so überaus vorsichtiger Bruder kann wirklich beruhigt sein – Winnetou wird sich nur in soweit belasten, wie sein Körper es auch verkraften kann, und diesen kennt er nun mal sehr gut!“ Allein seine Berührung, der weiche, aber doch so sichere Klang seiner Stimme, und nicht zuletzt sein liebevolles Lächeln bewirkten, dass sofort aller Trübsal verflog und ich mich augenblicklich beruhigte. Trotzdem hatte ich nicht vor, seinen Ungehorsam gegen die ärztlichen Anordnungen gutzuheißen. „Das mag ja sein“, erwiderte ich daher, während ich meinen Freund ohne Umschweife in meine Arme hob und ihn wieder zurück auf sein Lager trug. „Aber ich habe in letzter Zeit in dieser Hinsicht zu viel Schreckliches erlebt, habe zu große Ängste und Sorgen um dich ausstehen müssen, als dass ich jetzt gegen die Anweisungen unseres Doktors handeln möchte!“ Und mit diesen Worten legte ich ihn behutsam wieder auf die weichen Bärenfelle zurück, die unsere Bettstatt ausmachten. „Vertraut mein Bruder Scharlih meinem Urteil nicht mehr?“, wollte Winnetou in diesem Moment wissen, und mich durchfuhr sogleich ein kleiner Schreck, denn ich mochte natürlich auf keinen Fall so von ihm verstanden werden. Doch dann sah ich ihm ins Gesicht und entdeckte tatsächlich ein äußerst verschmitztes Lächeln darin, und seine Augen blitzen voller Vergnügen. Ihm schien es ja wirklich richtig gut zu gehen! Doch seine Miene wurde sogleich wieder ernst, fragend sah er mich an und da bedurfte es keiner weiteren Aufforderung mehr von ihm – ich begann zu erzählen, allerdings nur von den Ereignissen des gestrigen Abends, also dem Aufbruch der Kiowas samt den beiden weißen Halunken und der Verfolgung durch unsere Leute. Von meinen Vermutungen bezüglich einer Täuschung und eines geplanten Überfalls auf die Festung sagte ich nichts, fühlte mich aber unter Winnetous bohrenden Blicken zunehmend unwohl. Ahnte er etwas? Ich hatte ihm eigentlich noch nie etwas verschweigen können, und erst recht hatte ich ihn noch nie belogen, doch genau so fühlte es sich in diesem Moment für mich an. Als ich geendet hatte, wagte ich zuerst gar nicht, ihm in die Augen zu schauen, aus Sorge, die meinen könnten verraten, dass das noch nicht alles gewesen war – und als ich es dann doch, allerdings sehr zögerlich tat, sah er mich auch mit einem nahezu undurchdringlichen Blick an, in dem ich gar nichts lesen konnte. Nun aber legte er seine Hände auf meine Wangen, zog mich noch näher zu sich heran und sagte leise: „Ich bitte meinen Bruder, sich keine Sorgen mehr zu machen – dieser weiße Kojote namens Thomson wird uns nicht entgehen!“ Das waren zwar sehr tröstende Worte, aber sie sagten nun einmal gar nichts darüber aus, ob er mir meine Geschichte zur Gänze abnahm. Doch das erschien mir mit einem Mal auch nicht mehr so wichtig – wichtig war für mich nur, dass mein geliebter Freund jetzt ganz nah bei mir war, mit einem sich langsam bessernden Gesundheitszustand bei mir war, und sich im Augenblick in Sicherheit befand, auch wenn diese zur Zeit eher trügerisch war. Ein überwältigendes Gefühl der tiefsten Liebe zu ihm überkam mich jetzt, so heftig, dass ich ihn ohne Umschweife fest in meine Arme zog, und er erwiderte diese Umarmung auch sofort mit der gleichen Intensität. Kurze Zeit darauf begann es in den anderen „Wohnstuben“ lebendig zu werden, und noch ein wenig später herrschte wieder reges Treiben im Tal. Mit der üblichen morgendlichen Routine wurden die Pferde versorgt, das Frühstück hergerichtet, und eben wollte man die Wachen einteilen, als ich mit meinen Befürchtungen und Vermutungen dazwischen platzte und alle Sorglosigkeit mit einem Schlag beendete. Die drei Apatschen stimmten mir ebenso wie die beiden Pelzjäger sofort bei, dass es sich bei dem plötzlichen Aufbruch der Kiowas durchaus um eine Täuschung handeln könnte. Ihnen allen fiel jetzt erst auf, wie wenig geschützt die Festung nun war, nachdem der Großteil unserer Männer zur Verfolgung der feindlichen Rothäute aufgebrochen war – aber konnten die Feinde das überhaupt wissen? Thomson hatte doch eigentlich nur Kenntnis über die Anwesenheit von Winnetou, Emery, Sam, den zehn Apatschen samt Tsain-tonkee, die zehn Butterfields und mir selbst. War es denn möglich, dass man uns in den letzten Tagen sogar ausgespäht hatte? Nein, sagte ich mir, dass konnte gar nicht sein, denn unsere Kundschafter waren äußerst fähige Männer, von denen sich niemand so leicht entdecken ließ. Aber vielleicht war den Kiowas von früheren Zeiten her bekannt, wie viele Männer die Festung ansonsten beherbergte; zudem war es natürlich auch möglich, dass die Feinde sich so ungefähr die Anzahl der Leute ausmalen konnten, die das Tal in der Regel bewohnten. Und wenn die ganze Aktion tatsächlich eine Falle darstellen sollte, dann hatte man mit Sicherheit auch die Verfolger beobachtet, die wir ausgesandt hatten, und daraus konnten Thomson und seine Leute durchaus die richtigen Schlüsse ziehen, was die ungefähre Anzahl der in der Festung Verbliebenen anbelangte. Es war also dringend nötig, dass wir jetzt besonders auf der Hut waren und unsere Umgebung aufs Schärfste überwachten. Da wir annehmen mussten, dass im Falle der Richtigkeit meiner Befürchtungen unsere Festung schon umstellt und sorgfältig beobachtet wurde, konnten diese Aufgabe natürlich nur unsere besten Späher übernehmen. Im Normalfall hätten wir alle, ohne auch nur nachzudenken, Winnetou mit der Kundschafterrolle betraut, aber da das ja nun einmal überhaupt nicht möglich war, einigten wir uns auf die drei Apatschen, die ja schon von Natur aus für derlei Aufgaben besonders befähigt waren. Den allerersten Rundgang wollte aber ich jetzt zuerst übernehmen, und da so etwas, je nach Lage, Stunden dauern konnte, besprach ich mich mit dem Doktor über unsere Verhaltensweise Winnetou gegenüber, der ja nun einmal nichts von der drohenden Gefahr mitbekommen durfte. Bisher hatte ich meinen Freund tagsüber immer nur für gerade mal einige Minuten verlassen, und nun musste ihm meine Abwesenheit für eine längere Zeit glaubhaft erklärt werden – ich hatte allerdings keine Ahnung, wie wir das anstellen sollten. Schon jetzt war ich zum ersten Mal überhaupt mehr als eine halbe Stunde von ihm getrennt, und ich hatte ihm gegenüber das vorhin damit begründet, dass ich aufgrund der neuen Situation und der nun sehr geringen Anzahl an Männern die Neueinteilung der Posten überwachen wollte – was ja auch durchaus der Wahrheit entsprach. Winnetou hatte dazu nur genickt, und ich hoffte jetzt inständig, dass er zwischenzeitlich wieder eingeschlafen war, was bei ihm noch sehr häufig und auch über längere Zeit der Fall war. Wir einigten uns darauf, dass Hendrick bis zu meiner Rückkehr bei meinem Freund bleiben und ihn irgendwie ablenken musste, sollte dieser zwischenzeitlich wieder erwachen, bevor ich zurückgekehrt war. Dann war es auch schon soweit – ich hatte schnell einige Vorbereitungen getroffen und machte mich nun auf, zum ersten Mal seit elf Tagen die Festung wieder zu verlassen. Schon auf dem Weg durch den Tunnel war ich äußerst vorsichtig, doch der Posten, der draußen den Eingangsbereich überwachte, gab mir zu verstehen, dass die Luft rein war. Ich traute dem Frieden aber nicht so recht und machte mich daran, die ganze Umgebung in immer größer werdenden Halbkreisen zu erkunden. Das ging natürlich nur sehr langsam und war äußerst mühselig, denn ich musste ja gleichzeitig darauf achten, nicht selbst von eventuellen Spähern entdeckt zu werden, während ich mit äußerster Vorsicht jedes Dickicht, jedes Gebüsch und natürlich den naheliegenden Wald Schritt für Schritt durchkämmte. Und dann, am späten Vormittag, wurden meine Bemühungen tatsächlich von Erfolg gekrönt! Ich schob gerade meinen Kopf langsam und so geräuschlos wie möglich durch eine Gruppe eng stehender Haselnusssträucher, als ich mich noch so gerade eben zurückhalten konnte, nicht erschrocken zurückzuzucken – genau vor mir, keine zwei Schritte entfernt, kauerte ein Indianer, zweifelsfrei ein Kiowa, vor dem mir gegenüberliegenden Gebüsch. Er hatte seinen Kopf, soweit ich das von hinten erkennen konnte, zwischen die Zweige gesteckt und beobachtete offenbar ein großes Felsmassiv, welches sich dem anschloss, in dem sich unsere Festung verbarg. Doch weil dieses Massiv so weitläufig war, befand sich dieser Teil hier noch in einiger Entfernung, wahrscheinlich sogar außer Hörweite, wenn ich mich nicht völlig täuschte. Also hatte ich Recht gehabt! Es waren nicht alle Kiowas fortgeritten, und ich konnte darauf wetten, dass sich nicht nur dieser eine hier in der Gegend befand! Die Art, wie die Rothaut vor mir auf das Felsmassiv starrte, ließ mich vermuten, dass er den Eingang unserer Festung hier ganz in der Nähe wähnte, und damit lag er zu unserem Glück völlig daneben. Es war allerdings nicht auszuschließen, dass sich noch mehr Spione hier in der Gegend befanden, und wenn einer davon sich zufällig dem Tunnel näherte... Es half nichts, ich musste zurück, um das zu überprüfen, obwohl ich sehr gerne noch weiter die unmittelbare Umgebung hier abgesucht hätte. Also schlich ich langsam und sehr, sehr vorsichtig wieder zurück, diesmal auf dem direkten Weg, ohne allerdings zu versäumen, die ganze Strecke entlang nach weiteren Kundschaftern Ausschau zu halten. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte niemand weiteren entdecken, und somit erreichte ich unbehelligt wieder meine Ausgangsposition. Auch hier suchte ich nochmals fast jeden einzelnen Baum ab, konnte aber trotz genauester Suche kein feindliches Wesen mehr ausmachen. Es war schon fast Mittag, als ich das kleine Rund unseres Tals betrat, nicht ohne vorher den Wachposten am Ausgang des Tunnels über den feindlichen Spion zu informieren und ihn genauestens über seine Verhaltensweisen hinsichtlich der neuen Situation zu instruieren. Man hatte mich schon sehnlichst erwartet und war darüber hinaus schon fast in Sorge geraten. Meine Neuigkeiten trugen dann auch nicht gerade dazu bei, diese zu zerstreuen, aber es half nichts, wir mussten uns der Gefahr stellen, ob wir wollten oder nicht. Ich bat die Männer, einen Moment noch auf mich zu warten, bevor wir unser weiteres Vorgehen besprachen, doch zuerst wollte ich nach Winnetou sehen und sprang schnell die wenigen Stufen hinauf, die zu unserer Kammer führten. Leise betrat ich den Raum und fand zu meiner Erleichterung meinen Freund tief schlafend vor, während Walter Hendrick daneben saß und seinen Schlaf bewachte. Auch er sah sehr erleichtert aus, als er mich bemerkte und gab mir durch Handzeichen zu verstehen, dass es dem Apatschen gut ging. Ich bedeutete ihm, mit mir für einige Zeit an die Feuerstelle zu kommen, damit ich ihn dort zugleich mit den anderen Gefährten über meine neuesten Entdeckungen in Kenntnis setzen konnte, und Walter folgte mir sogleich. Unten angekommen fasste ich knapp das Ergebnis meiner Erkundigungen zusammen, woraufhin wir alles weitere besprachen. Meine Gefährten waren zwar alle sichtlich erschrocken über die Nähe der Feinde, hatten damit aber doch schon irgendwie gerechnet. Es dauerte daher auch nicht lange, bis wir uns darauf geeinigt hatten, von nun an ständig eine Wache direkt am Tunnelausgang zu postieren, während ein weiterer Späher – dass sollte immer ein Apatsche übernehmen – den ganzen Bereich und einen kleinen Umkreis drumherum immer im Auge behalten sollte, damit wir so noch rechtzeitig erfuhren, wenn die Feinde doch noch den Zugang zur Festung entdecken sollten. Ich selbst wollte mich vor allen Dingen oben an den Steilwänden der Festung umsehen und jeden Tag dort mindestens zwei Kontrollgänge durchführen, jeweils morgens und abends. Es war zwar äußerst schwierig und sehr gefährlich, dort hinaufzugelangen, und unter anderen Umständen hätte ich das auch nur von außen gewagt, aber das war wegen der hohen Entdeckungsgefahr nun mal einfach nicht mehr möglich. Trotzdem durften wir gerade diesen Bereich nicht außer Acht lassen, denn die Erinnerung an den damaligen Überfall, der dort oben auf den Höhen seinen Anfang genommen hatte und der für uns und unsere Gefährten so blutig, teils sogar tödlich, ausgegangen war, trieb mich dazu, hier ein besonderes Augenmerk draufzulegen. Aus diesem Grund nahm ich diese gefährliche Aufgabe auch gleich in Angriff. Ich suchte mir eine Stelle, an der ich zumindest halbwegs sicher heraufklettern konnte, die aber gleichzeitig so geschützt lag, dass mich ein eventueller Beobachter von oben nur schwerlich entdecken konnte. Da ich den damaligen Überfall noch recht anschaulich vor Augen hatte, fand ich auch bald den Ort, an dem die Pawnees ihren Weg zu uns herunter gefunden hatten. Zu meiner Zufriedenheit war diese Stelle wirklich sehr gut für mein Vorhaben geeignet, auch weil sie in den vergangenen Jahren mit dichten Buschwerk fast zugewachsen war und man mich daher allerhöchstens von der direkt gegenüberliegenden Seite des Felsmassivs hätte sehen können, und dieses verbleibende Restrisiko konnte ich getrost eingehen. Es dauerte nicht lange, so war ich sicher oben angelangt, obwohl die Kletterei nun wahrlich alles andere als ein Spaziergang war und außerdem oftmals die hohe Gefahr eines Absturzes barg. Es war aber glücklicherweise alles gut gegangen, und nun begab ich mich sofort in den Schutz des Dickichts, welches dicht und recht hoch rings auf dem mit spitzen Felsen übersäten und teils äußerst schmalen Felsgrat wuchs. Dadurch vor feindlichen Blicken geschützt, begab ich mich nun auf einen Rundgang entlang des Grates, bis ich das Tal einmal umrundet hatte. Ich fand aber weder einen feindlichen Kundschafter noch die Spuren eines solchen Spähers, und konnte daher hoffen, dass unsere Festung auch von dieser Höhe aus noch nicht entdeckt worden war. Zur Sicherheit ging ich aber nochmal an verschiedenen Stellen ein kurzes Stück den Berg zur anderen Seite herunter, fand aber auch hier nichts Auffälliges. Nach einiger Zeit kam ich auch wieder heil unten an und machte mich sofort auf dem Weg zu meinem Blutsbruder, um zu erfahren, ob er wegen meines langen Ausbleibens nicht vielleicht schon Verdacht geschöpft hatte, aber vor allem auch, um mich nach seinem Zustand zu erkundigen. Als ich in unserer Kammer eintraf, fand ich den Apatschen alleine vor, doch der Doktor war ganz in der Nähe. Da Winnetou schon seit Längerem wieder erwacht war, hatte der feinfühlige Hendrick ihn nach einem gewissen Zeitraum nicht mit seiner ständigen Anwesenheit belästigen wollen und war deshalb in seinen eigenen Schlafbereich übergewechselt, von wo aus er aber im Notfall sehr schnell zur Stelle sein konnte. Die wundervollen, samtig-schwarzen Augen meines Freundes blickten mir schon erwartungsvoll entgegen, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich nun regelrecht zu durchleuchten versuchten, als ich mich neben seinem Lager niederließ, seine Rechte in meine beiden Hände nahm und ihm einen liebevollen Kuss zur Begrüßung auf die Stirn drückte. Ich wusste, was er fragen wollte, ich wusste aber auch, dass er diese Frage nicht aussprechen würde, da er sicher davon ausging, dass ich erriet, was er von mir wollte und ihm auf die unausgesprochene Frage antworten würde. Das tat ich dann auch, indem ich von meinen ausgedehnten Rundgängen berichtete und sie damit begründete, dass es im Augenblick ja auch einen erhöhten Sicherheitsbedarf gab, da wir nun mal nur noch sehr wenige Männer in der Festung waren, die diese auch im Ernstfall verteidigen konnten. Das war natürlich nur die halbe Wahrheit - dass ich großes Unheil vermutete und die Kiowas doch hier in der Nähe wusste, verschwieg ich ihm abermals. Winnetou hörte sich meine Erklärungen ruhig und wortlos an, wandte seine Augen danach aber nicht von mir ab, und unter seinen forschenden Blicken fühlte ich mich fast schon durchschaut. Also versuchte ich es mit einem Ablenkungsmanöver. Mit einem breitem Lächeln im Gesicht beugte ich mich über ihn und begann, seine herrlichen Lippen mit innigen Küssen zu verwöhnen. Ganz kurz erhaschte ich noch den etwas erstaunten und überraschten Ausdruck in seinem Gesicht, bevor er mich fest in seine Arme zog und meine Liebkosungen mit einer fast schon heftigen Intensität erwiderte. Der restliche Tag verging ohne Störungen. Obwohl wir wirklich äußerst scharf aufpassten und mehrere Male die unmittelbare Umgebung der Festung absuchten, konnten wir hier keinen der feindlichen Späher entdecken. Wir hofften sehr, dass der Eingang unseres Tales weiterhin unbemerkt geblieben war und wir uns dadurch immer noch in Sicherheit befanden – vor allem für meinen geliebten Freund wünschte ich es mir sehr. Ich wusste: Je länger es uns gelingen würde, unentdeckt zu bleiben, um so größer wurde die Chance, dass der Großteil der Festungsbewohner, der zur Verfolgung der Kiowas ausgezogen war, zurückkehren würde und uns dadurch doch einiges an Möglichkeiten gegeben war, die Feinde letztendlich zu überwältigen. Wir waren nur wenige Leute, daher bestand wohl kaum Gefahr, aus einer unbedachten Situation heraus die Aufmerksamkeit der Belagerer zu erwecken – dachte ich. Wie hatte ich dabei nur die Butterfields vergessen können? Kapitel 31: Lebensgefahr ------------------------ Der nächste Tag hielt eine schmerzhafte Überraschung für mich bereit. Ich hatte mich ja entschlossen, jeweils morgens und abends die felsigen Höhen rund um das Tal nach eventuellen Spuren unserer Feinde abzusuchen, allerdings entschied ich mich gegen Mittag, dieses Vorhaben zu dem Zeitpunkt nochmals zu wiederholen, da ein äußerst ungutes Gefühl mein Innerstes mehr und mehr zu durchbohren schien und mich geradezu zu dieser erhöhten Vorsichtsmaßnahme zwang. Bisher war es mir, zumindest scheinbar, gelungen, Winnetou unsere neuesten negativen Erkenntnisse vorzuenthalten, vielleicht auch deshalb, weil ich meine Rundgänge damit begründete, dass ich mich nach all der Zeit der Untätigkeit wieder einmal dringend bewegen müsste. Es tat mir im Herzen weh, ihm das alles anzutun! Einerseits log ich ihn geradezu an – das konnte ich wirklich in keinster Weise beschönigen, denn auch nur die halbe Wahrheit zu sagen und wichtige Dinge wegzulassen ist in meinen Augen eine handfeste Lüge – und ich hatte meinen Blutsbruder noch NIE angelogen! Im Gegenteil, ich war bisher immer stolz darauf gewesen, in allen Lebenslagen, und waren sie auch noch so gefährlich, stets die Wahrheit zu sagen, auch wenn sich das dann zu meinem Nachteil auswirken sollte – und jetzt brach ich mit diesem Grundsatz, und das ausgerechnet meinem besten Freund gegenüber, dem Menschen, den ich so sehr liebte wie niemanden anderen auf dieser Welt! Andererseits ließ ich ihn jetzt immer öfter für längere Zeit allein, und dann auch noch mit dieser miserablen Begründung, die ihm eigentlich doch nur weh tun konnte, da er sich ja selbst nichts sehnlicher wünschte, als endlich seine Gesundheit wiederzuerlangen und sich wieder uneingeschränkt bewegen zu dürfen! Dadurch machte sich bei mir jetzt auch noch zusätzlich ein äußerst schlechtes Gewissen breit, und eigentlich wäre es einfach nur verwunderlich, wenn mein Blutsbruder zumindest das nicht bemerken würde. Immer, wenn ich mich unbeobachtet glaubte, betrachtete ich meinen geliebten Freund sehr intensiv. Ahnte er etwas? Ich konnte aus seinem oftmals sehr unbewegten Gesichtsausdruck rein gar nichts ablesen, auch seine Augen, in denen ich sonst immer genau ersehen konnte, was ihn bewegte oder wie er sich fühlte, gaben in diesen Stunden und Tagen einfach nichts preis. Gleichwohl aber zeigte er mir seine tiefe Liebe zu mir, so oft es ihm nur möglich war. Viel häufiger als sonst nahm er mich in den Arm, sobald ich zu ihm ans Bett trat, bedachte mich mit liebevollen Blicken, berührte mich, wann immer es ging und zeigte mir ein übers andere Mal sein herzliches Lächeln, bei dem mir sofort unglaublich warm ums Herz wurde und ich ihn am liebsten so fest es ging in meine Arme gezogen hätte, um ihm mein Herz zu erleichtern und ihm alles zu gestehen. Aber das durfte ich nicht! Ich musste ihn so gut wie möglich schützen, auch vor sich selbst, denn wenn ihm erst einmal bewusst werden sollte, in welcher Gefahr wir hier alle schwebten, vor allem diejenigen, die als Kundschafter fungierten – also auch ich - ja, wenn Winnetou das mitbekommen würde, konnte ich sicher sein, dass er sich schon in der nächsten Sekunde über sämtliche ärztlichen Anordnungen hinwegsetzen würde, um nicht ertragen zu müssen, dass seine drei Apatschen, die beiden Pelzjäger und ich für ihn ihr Leben einsetzten. Natürlich würden uns seine immensen kriegerischen Fähigkeiten unglaublich viel nutzen, aber die Gefahr, dass er dabei einen enormen gesundheitlichen Schaden erlitt, war einfach viel zu groß. Also trennte ich mich gegen Mittag einmal mehr höchst widerwillig von ihm, um den nächsten Erkundungsgang auf den felsigen Höhen anzutreten, doch kurz bevor ich die Kammer verlassen konnte, rief mir mein Freund, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, noch schnell hinterher: „Ich bitte meinen Bruder inständig, besonders gut auf sich aufzupassen!“ Erstaunt drehte ich mich zu ihm um und sah in seine wundervollen Sternenaugen, die mich recht besorgt musterten. Darum lächelte ich ihm jetzt auch noch einmal aufmunternd zu und wandte mich dann schnell ab, um meiner Aufgabe so schnell als möglich nachzukommen, damit ich beizeiten wieder in seiner Nähe sein konnte. Keinen Augenblick lang dachte ich darüber nach, dass mein Freund ab und an wahrhaft hellseherische Fähigkeiten besaß und dass diese jetzt gerade wieder zutage getreten sein könnten – sonst hätte ich vielleicht noch einmal mehr besondere Vorsicht walten lassen. Das Schicksal aber wollte es anders. Ich erklomm, wie schon am Tag zuvor, recht schnell die schwindelerregenden Höhen, um nicht Gefahr zu laufen, von eventuell auf der gegenüberliegenden Seite des Tales lauernden Spähern entdeckt zu werden. Nachdem ich mich dann ein weiteres Mal mit äußerster Vorsicht davon überzeugt hatte, dass uns von hier oben im Augenblick keine Gefahr drohte, begab ich mich auf dem gleichen Weg und fast in der gleichen Geschwindigkeit wieder nach unten. Dadurch achtete ich auch nicht immer darauf, wo genau ich hintrat, und als ich dann ein kleines Gestrüpp umrundet hatte, trat ich aus Versehen gegen einen Stein – und in dem Moment sah ich etwas langes, graues dahinter hervor zucken, mit einer blitzschnellen, ruckartigen Bewegung – ein kurzer, stechender Schmerz – und schon hatte ich diesen Stein ergriffen und die Schlange, die mich da gerade in den Knöchel gebissen hatte, mit einem einzigen Schlag zerquetscht. Aber: das Unglück war schon geschehen. Ich besah mir das Tier genauer, und so weit ich es erkennen konnte, handelte es sich um eine Natter, deren Gift zwar nicht unbedingt sofort tödlich ist, aber doch erhebliche gesundheitliche Probleme bereiten konnte. Einen Augenblick lang war ich wirklich kurz davor, in Panik zu verfallen, aber die Jahre mit Winnetou als meinen Lehrmeister hatten mir gezeigt, wie ich in jeder Lebenslage ruhig Blut bewahren konnte, und das half mir auch jetzt einmal mehr weiter. Ich wusste allerdings, dass sich das Gift dieser Schlange rasch in meinem Körper ausbreiten und für teils gefährliche Störungen des Kreislaufs sorgen würde, doch ich war mir sicher, dass Winnetou ein Gegengift dafür kannte, vielleicht sogar bei sich trug. Also galt es jetzt, so schnell als möglich wieder hinunter ins Tal zu gelangen, bevor die Wirkung einsetzen würde. Geistesgegenwärtig griff ich noch nach dem toten Tier und schob es in meinen Gürtel, um für Winnetou einen genauen Anhaltspunkt zu haben, welches Gegengift er einsetzen musste – und genau das war mein Glück! Ich war nämlich noch nicht weit gekommen, als mich urplötzlich ein heftiger Schwindel übermannte, gefolgt von plötzlichem Herzrasen und einer beginnenden Atemnot. So sehr ich auch dagegen ankämpfte – bis zum Talboden ging es ja noch ungefähr fünfzig Fuß abwärts – ich konnte einfach nicht verhindern, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich spürte noch, wie ich fiel, und dann wusste ich nichts mehr. Ich war offenbar viele Stunden ohne Bewusstsein gewesen, und als ich dann endlich langsam aus meiner Ohnmacht erwachte, konnte ich zunächst überhaupt nicht einordnen, wo ich mich befand und was eigentlich geschehen war. Ich hatte größte Schwierigkeiten, überhaupt die Augen zu öffnen, und als es mir irgendwann dann doch gelang, sah ich direkt in ein Paar mir sehr gut bekannte, wunderschöne samtig-schwarze Augen, die mich unendlich besorgt musterten. Nach mehrmaligem Blinzeln erkannte ich, dass ich in unserer gemeinsamen Kammer auf unserem Lager lag, und da ich keinerlei Schmerzen verspürte, sondern seltsamerweise nur ein äußerst wohliges Gefühl, hätte ich hier noch stundenlang liegenbleiben und mich dabei einfach nur in Winnetous Augensternen verlieren können. Dann aber fielen mir urplötzlich wieder alle Ereignisse der letzten Tage ein, und sofort wollte ich hochkommen, wurde aber von meinem Freund mit sanfter Gewalt wieder zurück in die Felle gedrückt. „Mein Bruder wird noch einige Zeit liegen bleiben müssen, bis das Gift der Schlange vollständig seinen Körper verlassen hat“, erklärte er mir mit einem Lächeln, welches seinen immer noch sehr besorgten Blick jedoch nicht überspielen konnte. Ich war allerdings anderer Meinung, gerade weil ich um die Gefahr wusste, die uns allen drohte. „Aber das geht nicht!“, widersprach ich deshalb heftig und wollte mich mit Gewalt ein weiteres Mal aufrichten, doch auch dieser Versuch schlug fehl, einmal, weil Winnetou mich jetzt mit einer Kraft herunterdrückte, die ich ihm in seinem Zustand noch gar nicht zugetraut hätte, und zum Zweiten, weil mich nun noch einmal ein so heftiger Schwindel überfiel, dass ich all meine Konzentration darauf verwenden musste, nicht sofort wieder das Bewusstsein zu verlieren. „Verdammt – Charlie, lass das sein! Willst du dich umbringen?“ Das war die Stimme unseres Doktors, der nun neben Winnetou in meinem Blickfeld auftauchte und ihn in seinen Bemühungen unterstützte. Ich atmete ein paar mal tief durch, bis der Schwindel sich wieder etwas gelegt hatte, und sah die beiden an. Plötzlich riss ich erschrocken meine Augen auf, denn erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass mein Freund gar nicht mehr auf seinem Lager lag, sondern aufgestanden war! Sofort machte ich meinem Unmut Luft: „Walter! Wieso hast du zugelassen, dass Winnetou aufsteht? Das ist doch noch viel zu gefährlich für ihn!“ „Da magst du recht haben“, entgegnete der Doktor mit einer resigniert klingenden Stimme. „Aber versuch du einmal, ihn davon abzuhalten, wenn dein Leben in Gefahr ist! Und jetzt halt endlich still“, rief er mit einem Male in einer enormen Lautstärke aus, als ich einen erneuten Versuch machte, wieder hochzukommen. „Halt jetzt endlich still und bleib liegen, verdammt noch mal, sonst wird es nicht nur dir schlechter ergehen, sondern auch noch deinem Freund, den dann gar nichts mehr halten können wird!“, ereiferte er sich mit einer für ihn völlig ungewohnten Heftigkeit, und sein letzter Halbsatz veranlasste mich dann auch tatsächlich, seiner Anordnung Folge zu leisten – auf keinen Fall wollte ich riskieren, dass mein Winnetou wegen mir ein weiteres Mal sein Leben aufs Spiel setzte! Tief holte ich Luft, um Zeit zu gewinnen, mich wieder zu beruhigen, dann sah ich erst Winnetou an, der immer noch unendlich besorgt aussah, und anschließend den Doktor, dessen Blick ungefähr dasselbe ausdrückte. Ich sammelte mich kurz und forderte dann den Arzt in einem eindringlichen Ton auf, dabei bemüht, irgendwie ruhig zu bleiben: „Walter – sag ihm bitte, er soll sich wieder legen! Was, wenn die gebrochene Rippe seine Lunge durchsticht? Du selbst hast uns immer wieder gewarnt, dass dieser Umstand tödlich enden könnte!“ „Scharlih.....“, fiel Winnetou, fast schon etwas hilflos, ein, wurde aber von Hendrick sofort unterbrochen: „Charlie, du kannst es mir glauben: wenn diese Lebensgefahr noch bestehen würde, hätte ich unseren Freund hier eigenhändig schachmatt gesetzt, so wahr ich hier stehe! Aber der Bastverband von Tsain-tonkee hat tatsächlich so gute Dienste geleistet, wie ich es nie für möglich gehalten hätte! Die Gefahr, dass die Rippe doch noch verrutscht, ist wirklich jetzt nur noch sehr gering und auch nur bei heftigen Bewegungen akut!“ Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich – das waren ja mal endlich gute Neuigkeiten! Trotzdem wäre es mir mehr als lieb gewesen, wenn mein Freund sich weiterhin schonen würde, und irgendwie hatte ich gerade den Eindruck, eine verkehrte Welt zu erleben. Ich sah es nämlich überhaupt nicht ein, hier weiterhin herumzuliegen, denn ich fühlte mich wohl, von dem bisschen Schwindel mal abgesehen, und eigentlich sollte ich mich um Winnetou sorgen und kümmern, nicht umgekehrt! Also machte ich einen erneuten Versuch, die Verhältnisse wieder gerade zu rücken, wurde aber sofort ein weiteres Mal von beiden Freunden energisch daran gehindert. „Himmel, Herrgott noch mal - Charlie! Jetzt ist es aber genug! Du bist von einer Natter gebissen worden, deren Gift eigentlich tödlich ist! Dass du überhaupt noch lebst, hast du nur deinem Blutsbruder zu verdanken, dessen Wissen um sämtliche Heilpflanzen und ihrer Wirkungen dafür gesorgt hat, dass wir hier ein Kraut gefunden haben, welches das Gift weitestgehend neutralisieren konnte! Aber das wird nur weiter seine Wirkung entfalten können, wenn du dich in der nächsten Zeit absolut ruhig verhältst – und das heißt: Liegenbleiben! Hörst du?“ „Ja – aber ich fühle mich doch schon viel...“, versuchte ich einzuwenden, wurde aber nochmals unterbrochen: „Himmel, Charlie, nun versteh doch endlich! Das liegt doch nur an Winnetous Wunderpflanze! Nur – hier im Tal wächst davon nichts mehr, wir haben schon alles abgesucht, und wir brauchen davon noch einiges mehr, um das Gift endgültig aufzulösen, sonst könnte es doch noch lebensbedrohlich für dich werden! Wir werden wohl gleich Lihà-ka'pan aussenden, um außerhalb der Festung nach dieser Pflanze zu suchen – und bis er diese gefunden hat, bleibst du liegen!“ Den letzten Satz sprach der Doktor so dermaßen laut und energisch aus, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Als ich dann noch einen Blick auf das Gesicht meines geliebten Freundes warf, der mich mit seinen wundervollen Augen regelrecht bittend ansah, da konnte ich gar nicht mehr anders, als den beiden zu gehorchen. Winnetou seufzte erleichtert auf, als er sah, dass ich mich endlich fügte, setzte sich dann neben mich und ergriff meine Hand. Ich lächelte ihm aufmunternd zu, als mir mit einem Mal etwas einfiel. „Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?“ fragte ich ihn leise. „Lihà-ka'pan war gerade in deiner Nähe unten im Talboden, da er die Pferde versorgt hatte. Er bemerkte einige fallende Steine, sah nach oben und bekam gerade noch mit, wie mein Bruder mehrere Meter in die Tiefe fiel. Du...“ Hier stockte mein Freund etwas, und ich konnte ihm noch nachträglich ansehen, was für einen fürchterlichen Schrecken ihm mein Unfall eingejagt haben musste. „Mein lieber Bruder hat unglaubliches Glück gehabt, dass ihn allein schon der tiefe Fall nicht das Leben gekostet hat! Und auch sonst sind glücklicherweise nur einige Prellungen zurückgeblieben, so dass du, sobald wir erneut im Besitz der Heilpflanze sind, schnell wieder auf den Beinen sein wirst!“ Ich drückte meinem Freund die Hand und strich ihm gleichzeitig einige Haarsträhnen aus seinem Gesicht, um ihn besser ansehen zu können. Allerdings war in mir bei seinen Worten das Gefühl hoch gekrochen, dass hier irgend etwas nicht ganz stimmen konnte – und richtig, da hatte ich es schon! Mit einem lauernden Ausdruck in der Stimme überlegte ich darum laut: „Hm – ich bin also recht tief gefallen, richtig?“ Aus den Augenwinkeln konnte ich ersehen, dass Walter sich mit einem Mal schnell erhob und auf den Ausgang der Höhle zueilte. „Ja, es hatte schon eine gefährliche Tiefe“, antwortete mein Freund. „Seltsam...“, begann ich daraufhin zu sinnieren. „Ich verspüre aber überhaupt keine Schmerzen – im Gegenteil, ich fühle mich sogar äußerst wohl....Hast du da etwas nachgeholfen?“, rief ich Hendrick mit einer zuletzt lauter werdenden Stimme hinterher. „Ähm...“, kam aber nur von ihm, und schon war er draußen. Winnetou hingegen schien um eine Antwort keinesfalls verlegen zu sein. „Unser Doktor hat natürlich etwas nachgeholfen – genauso wie er es gegen meinen Willen bei Winnetou getan hat!“, sagte er schlicht. Bei diesen Worten zuckte ich doch etwas erschrocken zusammen, denn damit hatte ich nun mal gar nicht gerechnet. „Du weißt davon?“, frage ich ihn darum auch sichtlich verdutzt. Winnetous Antwort bestand aus einem leisen Lächeln, und dann sagte er: „Glaubt mein Bruder wirklich, der Häuptling der Apatschen würde es nicht bemerken, wenn ihm Substanzen zugeführt werden, die nicht lebensnotwendig sind?“ Etwas beschämt senkte ich den Kopf. „Du hast doch hoffentlich nicht Hendrick dafür die Schuld gegeben, oder? Ich habe das nämlich genauso wie er gutgeheißen – du hättest garantiert niemals zugegeben, dass du unter starken Schmerzen leidest, du hättest sie unterdrückt und überspielt, nur um uns ja nicht merken zu lassen, wie schlecht es dir geht. Der Doktor war sich daher sicher: das alles hätte deinem Körper viel zu viel Kraft gekostet, Kraft, die dieser aber dringend benötigte, um dir überhaupt das Leben erhalten zu können! Außerdem...“ Ich wurde von Winnetou unterbrochen, der mit einer liebevollen Geste seinen Finger fast schon zärtlich auf meinen Mund legte und leicht den Kopf schüttelte. „Mein Bruder mag nicht mehr davon sprechen! Winnetou weiß doch genau, dass seine Brüder nur das Beste für ihn im Sinn hatten – er würde ihnen niemals deswegen zürnen!“ Ich hob meine Hand, strich ihm vorsichtig die Haare zur Seite und umfasste zärtlich seinen Nacken, während ich meinem Freund wie hypnotisiert in die Augen sah. Wie von selbst zog ihn meine Hand auf ganz sanfte Weise weiter zu mir herunter, während ich, mich immer noch entschuldigend, leise murmelte: „Ich hätte es einfach nicht mehr ertragen können, dich auch nur noch eine einzige Minute weiter leiden zu sehen....Du musstest schon so viel aushalten – und das alles hat mir in der Seele weh getan!“ Die Antwort blieb mein Freund mir schuldig – statt dessen beugte er sich noch weiter zu mir hinunter, nahm mein Gesicht in seine feingliedrigen Hände und drückte mir einen zarten Kuss auf die Lippen, während seine Augen mich in einer Weise anlächelten, dir mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte und seine ganze wunderbare Liebe zu mir offenbarten. Nun aber hörten wir schnelle Schritte draußen vor der Kammer, die sich uns rasch näherten, und sofort setzte sich Winnetou wieder aufrecht hin. Das Fell, welches den Eingang bedeckte, wurde langsam beiseite geschoben, und dann lugte vorsichtig ein Kopf herein, den ich als George Butterfield erkannte, dem jungen Mann, der sich vor kurzem so überaus mutig mit dem Grizzly angelegt hatte. Er war völlig außer Atem. Als er uns im Halbdunkeln erkannte, nahm seine Miene sofort einen regelrecht ehrfürchtigen Ausdruck an. Er sah sich suchend um, wollte offenbar mit dem Doktor sprechen, und als er diesen nicht entdecken konnte, war er im Begriff, sich schnell wieder zurückziehen, doch ich kam ihm zuvor. „Mr. Butterfield – kann ich Euch irgendwie helfen?“ Der junge Goldsucher wirkte schon fast überrascht, von mir angesprochen zu werden. Er druckste einige Male herum und stammelte dann: „Es tut mir leid – ich wollte Euch wirklich nicht stören...“ Ich unterbrach ihn aber sogleich und forderte ihn auf: „Jetzt kommt doch erst einmal herein und dann sagt Ihr uns, was Euch zu uns führt!“ George Butterfield folgte zwar sofort meiner Aufforderung, blieb aber trotzdem in einem gehörigen Abstand vor uns stehen und bedachte uns mit respektvollen Blicken. Erst als ich ihm noch einmal aufmunternd zunickte, fasste er sich endlich ein Herz und begann zu reden: „Mr. Shatterhand – geht es Euch wieder besser? Wir hatten alle einen solchen Schrecken bekommen, als wir Euch da liegen sahen, und...“ „Es ist gut, junger Freund, macht Euch keine Sorgen!“, unterbrach ich ihn schnell, bevor er sich in einem endlosen Monolog über meinen Gesundheitszustand verlieren konnte. George besann sich dann auch wieder auf den eigentlichen Grund, weshalb er hergekommen war und erklärte: „Ich suche eigentlich den Doktor... Aber tatsächlich bin ich wegen Euch hier – wir haben nämlich das gefunden, was Ihr sucht... ich meine, was Ihr jetzt dringend braucht...“ Ich wurde in keinster Weise schlau aus dem Gestammel des jungen Mannes, der jetzt unterbrochen wurde, weil in diesem Moment ein recht aufgebrachter Doktor den Raum betrat und sofort lospolterte: „Was macht Ihr denn hier? Seid Ihr von Sinnen? Ich habe doch ausdrücklich gesagt, dass Mr. Shatterhand absolute Ruhe braucht! Jetzt macht aber mal schnell, dass Ihr hier rauskommt – das ist doch wohl einfach nicht zu fassen!“ Kleinlaut zog George Butterfield seinen Kopf ein, blieb aber ganz tapfer auf seiner Position stehen und hielt statt einer Antwort dem Doktor ein Pflanzenbündel entgegen, welches für mich auf den ersten Blick wie Unkraut aussah, bei Winnetou aber eine völlig unerwartete und heftige Reaktion auslöste. Er sprang auf, war mit zwei Schritten bei dem jungen Mann, riss ihm die grünen Blätter aus der Hand und betrachtete sie einen Augenblick lang regelrecht fassungslos. Dann sah er hoch, starrte George mit einem völlig erstaunten Blick ins Gesicht, sah zu mir, dann zu Walter und wieder zurück zu dem jungen Butterfield, der mittlerweile vor Stolz fast zu platzen schien. „Wo habt Ihr das gefunden?“, stieß Winnetou in mühsam unterdrückter Aufregung hervor, fast schon außer Atem aufgrund der ungewohnten Anstrengung. Ich hatte mich mittlerweile etwas aufgerichtet und betrachtete den Freund besorgt, denn so eine ungestüme Reaktion kannte ich überhaupt nicht von ihm; außerdem war ich mir sicher, dass ihm diese Aufregung derzeit nur schaden konnte. Auch Hendrick schien sich gerade mit dem gleichen Gedanken zu befassen, denn er nahm jetzt Winnetou das Pflanzenbündel mit einer energischen Bewegung aus der Hand, legte ihm eine Hand in den Rücken und versuchte ihn sanft, aber bestimmt zurück zu unserem Lager zu drängen. Der Apatsche aber war noch nicht zu beruhigen; ein weiteres Mal fragte er in einem eindringlichen Ton: „Woher hat mein junger weißer Bruder diese Pflanzen?“ „Äh....“, begann der Angesprochene wieder herumzudrucksen. „Na ja...wir haben halt intensiv alles abgesucht, mussten dafür auch etwas weiter laufen – ist es denn die richtige Pflanze?“ „Sie ist es!“, bestätigte mein Freund, und in diesem Moment wies sein Gesicht einen Ausdruck der unglaublichen Erleichterung auf, welche sich auch in dem tiefen Atemzug zeigte, den er jetzt tat, als er sich zu mir umdrehte. „Der große Geist hat unserem jungen Bruder beigestanden – er hat ihm tatsächlich die Heilpflanze in die Hände gegeben, die Old Shatterhand endgültig von dem tödlichen Schlangengift befreien wird!“ Mein Freund war bei diesen Worten an meine Seite zurückgekehrt, ohne dass der Doktor ihn noch dazu auffordern musste, kniete jetzt neben mir nieder, nahm meine Hände in seine und drückte sie voller Freude an seine Brust. Das ganze Ausmaß seiner Ängste und Sorgen, die er in den letzten Stunden wegen mir hatte durchleiden müssen, kam nun hier zum Vorschein - seine Hände zitterten sogar ein wenig; dabei wirkte er fast schon selig vor Glück, mein Leben nun nicht mehr in Gefahr zu wissen. Ich erwiderte innig den Druck seiner Hände und wandte mich dann lächelnd an den jungen Butterfield, der äußerst gespannt die ganze Szene beobachtet hatte und nun wie ein Honigkuchenpferd übers ganze Gesicht strahlte. „Na, da kann ich mich ja nur recht herzlich bei Euch bedanken, junger Freund! Damit erweist Ihr mir einen solch großen Dienst, den kann ich doch gar nicht mehr wieder gut machen!“ George schien bei meinem Lob förmlich in die Höhe zu wachsen, so stolz machte es ihn, und er antwortete begeistert: „Himmel – da bin ich aber froh, dass es uns gelungen ist, Euch auch einmal etwas Gutes zu tun! Und kommt ja nicht auf die Idee, Euch noch einmal zu bedanken, geschweige denn, etwas gut machen zu müssen! Was Ihr beide für unsere Familie getan habt, das kann man in hundert Leben nicht wieder aufwiegen!“ Er war sichtlich glücklich über die Tatsache, dass es der Familie endlich mal gelungen war, uns nicht in Schwierigkeiten zu bringen, sondern sich tatsächlich einmal richtig nützlich zu machen. „Das habt Ihr wirklich hervorragend hinbekommen – aber jetzt muss ich Euch trotzdem inständig bitten, uns zu verlassen, da unsere beiden Patienten endlich wieder der Ruhe bedürfen!“, forderte der Doktor den jungen Mann nun aber eindringlich auf, und dieser kam der Aufforderung auch sofort nach und verließ mit einem kurzen Gruß, dabei fast schon fröhlich hüpfend, den Raum. „Bitte, richtet Euren Familienmitgliedern ebenfalls meinen herzlichsten Dank aus!“, rief ich ihm noch hinterher, was er mit einem bestätigendem Winken quittierte. Wir hörten ihn noch eine kleine Weile beschwingt vor sich hinsummen, während er die grob in die Felsen eingehauenen Stufen hinunter zum Lagerplatz lief, und wechselten alle drei belustigte Blicke. Hätte ich geahnt, was diese Unglücksraben gleichzeitig wieder angerichtet hatten – ich wäre niemals so ruhig liegengeblieben! Winnetou hatte mein Lager nun verlassen und bereitete schon in der hinteren Ecke des Raumes alles vor, um aus den Heilkräutern einen Trank zu brauen, der dem Gift der Schlange endgültig den Garaus machen sollte. Hendrick wollte ihn dabei unterstützen, wurde aber von meinem Freund abgewiesen, der diese Verantwortung niemand anderem übertragen wollte. Walter blieb allerdings wie festgewachsen in der Nähe stehen und passte währenddessen auf wie ein Schießhund, dass sich Winnetou nicht zu lange damit aufhielt und sich nicht überanstrengte. Als das Gebräu fertig war, setzte sich mein Freund zu mir und wies mich an, das heiße Getränk in kleinen Schlucken zu mir zu nehmen; er achtete darauf, dass ich auch ja alles austrank, und ich fühlte mich wie ein Küken, welches von der überfürsorglichen Glucke bemuttert wird. Aber da ich ja wusste, wie viel Angst er um mich ausgestanden hatte, tat ich natürlich auch alles, was er von mir verlangte, um ihn zu beruhigen. Mittlerweile war der Abend angebrochen. Da Winnetou ja immer noch nicht wusste, welche Gefahr uns durch die zurückgekehrten Kiowas drohte – dachte ich zumindest – wollte ich vor ihm nicht mit den anderen fünf Männern, die für den Schutz der Festung sorgten, über die notwendigen Wachmaßnahmen sprechen. Aufstehen lassen wollten mich die Freunde aber auch noch nicht, also bat ich Walter, er möge doch bitte mit den Gefährten die Aufstellung der Wachen besprechen und mich anschließend über alles informieren. Hendrick wusste glücklicherweise sofort, was ich damit eigentlich meinte. Also eilte er schnell hinaus, um die Männer über meinen noch weiterhin andauernden Ausfall in Kenntnis zu setzen und einen der Apatschen darum zu bitten, meinen abendlichen Rundgang über die Felsenhöhen rund um das Tal zu übernehmen. Außerdem ließ er sich darüber informieren, ob die anderen Kundschaftergänge irgendwelche Neuigkeiten ergeben hatten, was aber offenbar nicht der Fall war, wie er mir mit Hilfe seines hochgereckten Daumens schnell mitteilte, als Winnetou einmal nicht zu uns hinsah. Ich konnte also davon ausgehen, dass die Kiowas den Eingang unserer Festung immer noch nicht entdeckt hatten, und hoffte, dass uns zumindest noch eine ruhige Nacht bevor stand. Die Chance, dass unsere Leute zurückkehrten, bevor die Feinde uns angriffen, stieg von Stunde zu Stunde, und so hatte ich große Hoffnung, dass alles doch noch gut ausgehen würde. Nachdem Winnetou nochmals den Schlangenbiss an meinem Knöchel neu verbunden hatte, bat ich ihn, sich jetzt doch endlich wieder hinzulegen. Die ungewohnte Anstrengung des heutigen Tages war ihm nämlich inzwischen anzusehen – der schöne Bronzeton seiner Haut wirkte um einige Nuancen blasser, und seine ganze Haltung drückte nun eine gewisse Erschöpfung aus, die auch dem Doktor aufgefallen war. Auch er bestand jetzt darauf, dass sich mein Freund zur Ruhe legte, und als dieser der Aufforderung gleich darauf ohne Widerrede nachkam, wusste ich, dass es wirklich höchste Zeit wurde. Walter unterzog ihn dann auch sofort einer gründlichen Untersuchung, die offenbar nicht ganz zu seiner Zufriedenheit ausfiel, denn jetzt bereitete er einen Tee mitsamt einem Medikament zu, den dieses Mal mein Freund zügig austrinken musste. Anschließend brachte er uns beiden noch ein schmackhaftes Abendmahl und achtete sorgsam darauf, dass wir auch ja genug davon aßen. Mit einem strengen „Und ihr beiden bleibt jetzt hier liegen – mindestens bis morgen früh!“ verabschiedete sich unser Doktor schließlich und zog sich zur Nachtruhe zurück. Kaum war er draußen, zog ich meinen Freund schon fest in meine Arme und hielt ihn eng an mich gedrückt. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter, so dass meine Lippen sein wundervolles Haar berühren konnten, und ich konnte spüren, wie sich in ihm ein Zustand der seligen Entspannung ausbreitete, denn mir ging es genauso. Kurz bevor er einschlief, flüsterte ich ihm noch zu: „Mein lieber Bruder – ich bitte dich, und das wirklich von ganzem Herzen, dass du dich weiterhin schonst und so etwas wie heute Nachmittag nicht mehr wiederholst, zumindest nicht in naher Zukunft, ja? Ich weiß, dass du heute große Ängste um mich ausgestanden hast, aber genau so geht es mir auch mit dir, und das schon seit Tagen! Auch wenn du dich wieder stark und wohl fühlst – du bist es noch nicht, und wie schnell kann ein Leben plötzlich vorbei sein? Bitte, halte dich noch ein wenig zurück – tu es für mich, ja?“ Anstelle einer Antwort sah ich ihn leise nicken, anschließend drückte er mir fest die Hand – und Sekunden später war er schon eingeschlafen. Dass er mir zum ersten Mal eine Bitte nicht erfüllen würde, nicht erfüllen konnte – das war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar, das konnte ich einfach nicht wissen. Mitten in der Nacht erwachte ich von einer ruckartigen Bewegung meines Freundes. Als ich die Augen öffnete, erkannte ich im Halbdunkeln, dass er kerzengerade auf unserem Lager saß und angestrengt nach draußen lauschte. Sofort saß ich neben ihm und sah ihn fragend an, während ich mich bemühte, etwas von dem zu erhaschen, was er erlauschen konnte, vernahm aber natürlich nicht das kleinste Geräusch. Einige Sekunden vergingen, und dann sprang mein Freund mit einem Mal aus dem Bett. Bevor ich in irgendeiner Weise protestieren konnte, legte er mit einer beschwörenden Geste seinen Finger auf den Mund und warnte mich flüsternd, nein, fast schon hauchend: „Mein Bruder – wir werden angegriffen! Winnetou hört weiter entfernt kleine Steinchen vom Abhang herunterstürzen – die Kiowas kommen!“ Völlig entsetzt starrte ich ihn an. Das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Gerade jetzt, wo Winnetou und ich uns in einem so desolaten Zustand befanden! Und woher wusste Winnetou eigentlich, dass es die Kiowas waren, die uns angriffen? Ich saß immer noch wie erstarrt auf dem Bett, als mein Freund sich schon vollständig angekleidet hatte und gerade dabei war, seine Silberbüchse zu überprüfen und zu laden. Erst in diesem Moment gewann ich meine Fassung wieder und war dann auch sofort an seiner Seite. „Wie kommst du gerade auf die Kiowas?“ Das war das erste, was ich herausbrachte, obwohl doch eigentlich andere Dinge viel wichtiger waren! „Die sind doch mit Thomson vor zwei Tagen aufgebrochen...“ Weiter kam ich nicht, denn jetzt wurde ich von Winnetou mit einem fast schon spöttischem Schnauben unterbrochen. „Glaubt mein Bruder wirklich, Winnetou wüsste nicht, dass dieser weiße Kojote uns nur täuschen wollte? Meinst du etwa, ich hätte nicht bemerkt, dass du die vielen Rundgänge nur unternahmst, weil du wusstest, dass die Kiowas in der Nähe waren und unermüdlich nach dem Eingang der Festung suchten?“ Wie festgewachsen stand ich vor ihm, unfähig, mich zu rühren. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst! Wie hatte ich auch nur eine einzige Minute lang glauben können, ich würde meinen Blutsbruder in solch wichtigen, ja, sogar überlebenswichtigen Dingen täuschen können? Stumm vor Schreck konnte ich über meine eigene Dummheit nur noch den Kopf schütteln. Dann sah ich meinen geliebten Freund bittend an: „Es tut mir leid, mein Bruder, bitte verzeih mir! Ich wollte dich nicht beschwindeln, aber ich glaubte wirklich, dass es besser für dich...“ Wieder unterbrach er mich, dieses Mal aber auf eine deutlich sanftere Weise. Mein Gesicht in seine beiden Hände nehmend, küsste er mich auf die Stirn und sagte leise: „Winnetou würde dir alles verzeihen – und mein Bruder darf sich jetzt auch keine Vorwürfe machen, denn vielleicht hätte Winnetou im umgekehrten Fall ebenso gehandelt! Du wolltest mich nur schützen, und dafür danke ich dir!“ Mir wurde die Kehle eng, nicht nur wegen seines unglaublichen Großmutes, sondern auch, weil mir nun mit überwältigender Klarheit bewusst wurde: Jetzt konnte ich ihn nicht mehr schonen, ihn nicht mehr schützen – alle Überlegungen, wie wir meinen Freund von den Kämpfen fernhalten könnten, waren mit einem Male hinfällig - jetzt würden wir in ein Gefecht auf Leben und Tod verwickelt werden, und wer wusste schon, ob wir beide dieses überhaupt überleben würden! Daher zog ich meinen geliebten Freund noch einmal ganz fest in meine Arme und flüsterte ihm zu: „Nur der Herrgott weiß, wie diese Nacht ausgehen wird, mein Bruder! Ich liebe dich, und ich werde um dein Leben kämpfen bis zum Umfallen, und wenn es mich auch mein eigenes kostet – doch eines schwöre ich dir, hier und jetzt, und du weißt, ich schwöre sonst nie: Sollte es dazu kommen, dass du abermals in die Gefangenschaft von diesem Sadisten namens Thomson gerätst, und sollte es mir dann noch möglich sein – dann werde ich dich eigenhändig erschießen, um dich nicht noch einmal einer solch bestialischen Folter ausgesetzt sehen zu müssen, wie sie während unserer Gefangenschaft schon ihren Anfang genommen hatte!“ Mir war es blutiger Ernst mit diesen Worten, denn noch einmal, das wusste ich, würde ich es nicht mehr ertragen können, meinen Geliebten so leiden zu sehen! Winnetou packte mich fest bei den Schultern, schob mich ein wenig zurück, so dass er mir in die Augen sehen konnte, und ich sah in seine, die erfüllt waren mit seiner Liebe zu mir, die aber gleichzeitig solch eine immense kämpferische Stärke und einen unbeugsamen eisernen Willen zum Siegen ausstrahlten, dass sie mich sofort mit unendlichem Mut und einer unglaublichen Zuversicht erfüllten. Er strich mir mit seinem Handrücken leicht über meine Wange und flüsterte: „Auch Winnetou schwört dir, mein Bruder, dass er im umgekehrten Falle genauso an dir handeln wird! Winnetou liebt dich viel mehr als sein eigenes Leben! Und jetzt lass uns kämpfen, damit wir diese räudigen Hunde endlich und ein für alle Mal dem Erdboden gleichmachen können! Howgh!“ Kapitel 32: Ruhe in Frieden, mein Freund! ----------------------------------------- Wir lösten uns nur widerstrebend voneinander, innerlich zwiegespalten zwischen dem Willen, den Feinden nun endgültig den Garaus zu machen, und dem Wunsch, einander nie wieder loszulassen, doch dann wandten wir uns entschlossen unseren Waffen zu, um sie an uns zu nehmen. Kaum war das geschehen, sahen wir uns wieder an, und beide wussten wir im gleichen Moment: Jetzt würden wir uns trennen müssen. Das war genau das, was ich als Letztes gewollt hatte – mich von Winnetou zu trennen, wo ich doch eigentlich alles daransetzen wollte, ihn bis zum bitteren Ende vor den Feinden zu schützen, selbst wenn ich mich dann für ihn würde opfern müssen. Aber es war wichtig, so schnell wie möglich alle Gefährten zu wecken, damit diese überhaupt noch eine Gelegenheit dazu bekamen, sich vor der viel zu großen Übermacht der Feinde zu verteidigen; selbst die Butterfields mussten auf jeden Fall ihre Chance erhalten und sollten den Rothäuten zumindest mit einem Gewehr in der Hand gegenübertreten können. Natürlich hätte ich zu diesem Zweck einfach nur einen lauten Warnruf ausstoßen brauchen, aber dadurch wären unsere Gegner auch sofort über unseren genauen Standort informiert worden, und unsere einzige Chance, einen überraschenden Gegenangriff durchzuführen, wäre dahin gewesen. Also war es jetzt notwendig, dass wir in entgegengesetzte Richtungen liefen, da die Wohnstuben der Gefährten teils links, teils rechts von uns lagen. Außerdem musste einer von uns zu den Pferden, die in der Nähe der gegenüberliegenden Talwand grasten, um sie aus der Koppel zu lassen, damit sie sich im Notfall schnell selbst in Sicherheit bringen konnten, und von dort aus hofften wir auch, einen genauen Überblick über den Standort der Feinde und ihre Anzahl zu bekommen. Kaum hatten wir sämtliche Waffen angelegt, verständigten wir uns durch einen einzigen Blick, und dann lief ich links herum hinaus, wo die Kammern von all unseren weißen Gefährten einschließlich der Butterfields lagen, während Winnetou rechts herum eilte, um die beiden Apatschen zu wecken, die keinen Wachdienst hatten, und um dann im Anschluss zu den Pferden zu laufen. Der Doktor war im Nu auf den Beinen, als ich ihn an der Schulter rüttelte und ihm die bittere Nachricht im schnellen Flüsterton mitteilte. Geistesgegenwärtig zog er sich notdürftig an und griff ebenfalls sofort zu seinen Waffen, während ich schon weiter hastete, um Pete Muller, denjenigen Pelzjäger, der in einer der nächsten Kammern schlief, zu wecken. Auch er stellte keine unnötigen Fragen und bereitete sich so schnell als möglich vor, jedoch konnte er nicht vermeiden, dass ihm vor Schreck das Blut aus dem Gesicht wich. Der andere Pelzjäger, John McBentstone, hatte zur Zeit Wache am Tunnelausgang. Waren die Kiowas auch schon dort? Oder hatten sie nur die Möglichkeit zum Erobern des Tales oben auf dem Felsengrat entdeckt? Lebte der Mann überhaupt noch? Doch darum konnte ich mich jetzt absolut nicht mehr kümmern, denn wir mussten zusehen, dass wir, wenn es irgendwie noch möglich sein sollte, zumindest erst einmal das Innere des Tales unter Kontrolle bekamen! Als ich wieder ins Freie trat, sah ich mich einen kurzen Moment lang um. Es herrschte noch tiefste Nacht, und der Mond stand nur als dünne Sichel am Himmel. Trotzdem konnte ich noch so viel erkennen, als dass ich mindestens dreißig feindliche Rothäute links und rechts von mir zu beiden Seiten an den Talwänden hinunter kraxeln sah, offenbar mit Hilfe zusammengebundener Lassos. Also hatten sie einen Zugang von außen zu den Felsenhöhen gefunden und nutzten ihre Übermacht jetzt in einer Weise aus, die es für uns ganz schlecht aussehen ließ. Offenbar hatten sie mich noch nicht bemerkt, und so huschte ich schnell in die nächste Höhle hinein, in der die Butterfields schliefen. Hier dauerte es etwas länger, bis ich die jungen Männer wach bekommen hatte, und dann musste ich anschließend auch noch die größte Mühe aufwenden, ihnen begreiflich zu machen, dass sie Stillschweigen bewahren sollten, damit sie nicht sofort die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich zogen. Das war natürlich leichter gesagt als getan, denn der Schreck über meine Ankündigung saß ihnen tief in den Knochen. Sie drängten sich wie eine Hühnerschar dicht zusammen, und dieser Anblick brachte mich auf eine Idee. So schnell ich konnte, postierte ich die Jünglinge auf eine besondere Weise in den schmalen Eingang der Kammer: Drei von ihnen saßen auf dem Boden, drei weitere knieten dahinter, und die restlichen vier standen wiederum hinter den anderen sechs Familienmitgliedern; alle zehn hielten ihre geladenen Gewehre im Anschlag und sahen angespannt nach draußen, ausnahmslos alle dabei kreidebleich im Gesicht, aber trotzdem mit einem äußerst entschlossenen Ausdruck in den Augen. Doch bevor ich wieder zurück zu Winnetou eilen konnte, hielt mich der älteste der jungen Männer, Elias Peterson, zurück. Ich sah in sein ängstliches Gesicht, in dass sich jetzt allerdings auch ein Ausdruck des tiefen Schuldbewusstseins geschlichen hatte. „Mr. Shatterhand – es tut uns entsetzlich leid.... aber wir wollten Euch doch unbedingt helfen....“ Völlig verdutzt sah ich ihn an. Was um alles in der Welt wollte er mir denn jetzt damit sagen? Aber egal, was es war – es musste warten, dieser Augenblick war nun wirklich nicht die Zeit für irgendwelche unwichtigen Geschichten. Ich wollte mich abwenden, doch er hielt mich jetzt mit einem fast schon brutalen Griff am Oberarm abermals zurück. „Bitte – Mr. Shatterhand... Dieses verflixte Kraut wuchs hier wirklich nirgendwo... wir mussten dann doch woanders suchen, damit Euer Leben gerettet werden konnte....“ Er sah in mein wohl völlig entsetztes Gesicht und verstummte sofort. Dieses Geständnis traf mich wie ein Donnerschlag. Was hatten wir nur alles für diese Familie getan! Vor so vielen Beinahe-Unfällen und Unglücken wurden sie durch uns bewahrt! Wir hatten sie beschützt und unser Leben für sie riskiert, ganz besonders Winnetou! Und nun hatten diese Unglücksraben also am gestrigen Tag tatsächlich das Tal verlassen, um für mich eine Heilpflanze zu suchen, die das Gift der Schlange neutralisieren sollte, obwohl sie genau wussten, dass sie uns damit allesamt in höchste Lebensgefahr brachten! Ich konnte es einfach nicht fassen. Natürlich, die Familie hatte es gut gemeint, sie wollten alles dafür tun, dass mein Leben gerettet wurde – aber dann schon wieder dieser unsägliche Leichtsinn! Nun gut, es war jetzt nicht mehr zu ändern. Diese Dummheit würde die jungen Goldsucher nun wahrscheinlich das Leben kosten – uns aber ebenso! Also schüttelte ich jetzt auch nur den Kopf und kehrte ihnen den Rücken zu, allerdings nicht, ohne den Jünglingen vorher zuzurufen: „Versucht, Euch so gut wie möglich zu verteidigen! Mehr kann ich nicht mehr für Euch tun!“ Als ich jetzt zur Mitte des Talbodens sah, gewahrte ich meinen Blutsbruder, der sich schnellen Schrittes von der Pferdekoppel zurück zu den Höhlen bewegte und dabei immer wieder nach oben zu den Steilhängen sah. Er sah mich und hastete schnell auf mich zu. Bei mir angelangt, flüsterte er mir eilends zu: „Winnetou hat zwanzig Krieger auf der anderen Talseite herunterkommen sehen, und auf dieser Seite sind es dreimal zehn und fünf Kiowas – hat mein Bruder seinen Henrystutzen bereit?“ Diese Frage sagte alles über unser jetziges Vorgehen aus. Hier konnten wir den Feind nicht mehr schonen, denn hier ging es nicht nur um unser Leben, sondern vor allem um das der anderen sechzehn verbliebenen Bewohner der Festung. Fünfundzwanzig Schuss konnte ich, ohne nachzuladen, mit meinem Henrystutzen abgeben, dazu die zwei aus dem Bärentöter, zwei weitere aus Winnetous Silberbüchse, und anschließend hatten wir ja noch jeweils zwölf Schuss aus unseren Revolvern. Mit ganz viel Glück konnten wir auf diese Weise einen Großteil der Eindringlinge ausschalten – zumindest die, die wir jetzt entdecken konnten. Doch das würde in dieser Dunkelheit, in die nur die dünne Sichel des Mondes ein wenig Helligkeit hineinbrachte, sehr, sehr schwer werden. Aber waren das wirklich schon alle Gegner? Über einhundert Feinde hatten unsere Kundschafter im Kiowa-Lager gezählt, ungefähr fünfundfünfzig waren jetzt hier für uns sichtbar – doch wo waren die anderen? Noch oben? Draußen vor dem Tunnel? Schon hier im Tal, noch unsichtbar für uns? Oder doch noch weit weg von der Festung, immer noch verfolgt von Firehand und unseren anderen Gefährten? Es war müßig, darüber jetzt zu spekulieren, auch hatten wir dazu überhaupt keine Zeit mehr, denn die Rothäute an den Felswänden hatten schon fast den Boden erreicht. Wenn wir noch eine Chance haben wollten, dann mussten wir handeln, und zwar genau jetzt. Kurz überlegten wir noch, ob wir uns den Gegnern vor unserem Überraschungsangriff zu erkennen und ihnen die Möglichkeit geben sollten, sich uns zu ergeben, aber wir verwarfen den Gedanken sofort wieder. Wir konnten nicht wissen, wo sich die restlichen Kiowas befanden – sollten diese sich ebenfalls schon hier im Tal befinden, dann würde unser Großmut einem Selbstmord gleichkommen. In diesem Augenblick entdeckte ich Pete Muller, der bis an die Zähne bewaffnet zum Tunneleingang lief, und kurz darauf auch die beiden Apatschen, die sich links und rechts von den steinernen Kammern eine Deckung suchten und sich dann dort postierten, um die an den Felswänden heruntersteigenden Kiowas von dort aus unter Beschuss zu nehmen. Ich sah meinen geliebten Blutsbruder an und sagte zu ihm, zu allem fest entschlossen: „Ich bin bereit, mein Freund!“ Er nickte nur, drückte mich kurz an sich, und dann sprinteten wir auseinander, suchten uns in zwanzig oder mehr Schritten Entfernung voneinander eine gute Deckung; gleichzeitig drehte ich mich zu der Seite, an der die fünfunddreißig Krieger herunterstiegen und auf der auch unsere Behausungen lagen, Winnetou hingegen wandte sich der gegenüberliegenden Talseite zu, an der er die anderen zwanzig Rothäute entdeckt hatte. Er legte seine beiden Revolver schussbereit vor sich auf den Boden, hob seine Silberbüchse an – und dann brach die Hölle los. Winnetou und ich feuerten gleichzeitig, wobei mein Freund erst seine Silberbüchse und dann sofort hinterher beide Revolver leer schoss, während ich meinen Stutzen in einem durchrattern ließ. Sekundenbruchteile später hallten auch schon die Gewehrschüsse der beiden Apatschen durch das Tal, und sogar die Büchse des Doktors konnte ich in all dem Lärm noch heraushören. Noch während die Luft erfüllt war von dem Donnern der Gewehre und der Revolver, ertönten schon die ersten Schmerzensschreie durch die Nacht. Zuerst nur wenige, dann immer mehr – offenbar hatten wir schon in diesen ersten Sekunden den Feinden ungeheure Verluste beigebracht. Aus der Richtung, in der die Kammern der Butterfields lag, war jetzt lautes Geschrei zu hören, welches ich eindeutig den Jünglingen zuordnen konnte. Mir wurde angst und bange um die Familie, denn ich glaubte in diesem Augenblick natürlich, dass nun ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Allerdings unterschied sich dieses Schreien dann doch eindeutig von Schmerzensgeheul, es klang im Gegenteil eher so, als würden sich die jungen Männer gegenseitig anbrüllen, um sich Mut zu machen oder um die Feinde einzuschüchtern. Sekunden später gingen dann mit einem Mal alle zehn Gewehre der Familie los, und fast im gleichen Moment konnte man auch von dort oben jetzt lautes Schmerzgebrüll vernehmen, gepaart mit vereinzelten Todesschreien – und ganz kurz machte sich in mir eine leise Verwunderung breit, nämlich darüber, dass die Butterfields dann wohl tatsächlich einen oder mehrere Feinde getroffen hatten! Aus Winnetous Richtung hörte ich in diesen Sekunden verständlicherweise nichts mehr, denn er musste natürlich erst einmal seine Waffen nachladen. Meinen Henrystutzen hatte ich ebenfalls leer geschossen, stattdessen beharkte ich nun mit meinen Revolvern die Steilwände des Tales. Als ich dann oben auf der Kante zwei weitere Rothäute gewahr wurde, deren Silhouetten sich deutlich gegen den etwas helleren Nachthimmel abhoben, ergriff ich rasch meinen Bärentöter, zielte kurz, aber sorgfältig, und sorgte mit zwei Schüssen dafür, dass auch diese Indsmen leblos ins Tal hinunterstürzten. Nachdem wir so plötzlich und für die Feinde offenbar völlig unvorbereitet das Feuer eröffnet hatten, waren diese für eine kurze Zeit vor Schreck wie erstarrt gewesen. Dann aber, nachdem die ersten von ihnen getroffen zu Boden gestürzt waren, hatten sie sich schnell wieder gefasst - und jetzt nahmen sie uns von allen Seiten unter Beschuss. Unsere Mündungsfeuer waren natürlich weithin zu sehen gewesen, auch wenn wir uns hinter einigen größeren Felsen eine möglichst gute Deckung gesucht hatten, und somit schlugen nun sämtliche Kugeln in unserer unmittelbaren Nähe ein oder prallten von den uns umgebenden Steinen ab. Einer der Schüsse traf dann auch so gut, dass er mir meinen zweiten, noch vollständig geladenen Revolver aus der Hand schleuderte. Dieser verschwand daraufhin auf Nimmerwiedersehen im dichten Gebüsch mehrere Schritte hinter mir, so dass ich keinerlei Möglichkeiten mehr hatte, ihn während dieser heftigen Kampfhandlungen wieder an mich zu nehmen. Fieberhaft begann ich, meinen Henry-Stutzen erneut zu laden, musste aber zu meinem Schrecken feststellen, dass die feindlichen Kugeln in immer enger werdenden Abständen dicht neben mir einschlugen. Immer wieder musste ich den Kopf einziehen, und es gelang mir nur mit größter Mühe, mein Vorhaben zum Ende zu bringen. Doch wieder hinter der Deckung hochkommen und gleichzeitig zielen war jetzt fast ein Ding der Unmöglichkeit, denn mein Versteck wurde nun von vorne so heftig unter Beschuss genommen, dass jede Aufwärtsbewegung meinerseits einem Selbstmordversuch gleichgekommen wäre. Auch von hinten begann man jetzt den Bereich, wo ich saß, mit Kugeln nur so zu beharken, und dadurch wurde die Situation für mich allmählich wirklich eng. Allerdings stand für mich jetzt zweifelsfrei fest, dass sich hier im Tal deutlich mehr als fünfundfünfzig feindliche Krieger befinden mussten, denn allein der ersten großen Salve, die Winnetou und ich abgegeben hatten, mochten bestimmt mehr als dreißig Angreifer zum Opfer gefallen sein; diejenigen noch gar nicht mitgezählt, die von den beiden am Hang versteckten Apatschen sowie von den Butterfields getroffen worden waren. Auch die Büchse des Doktors hatte ich mehrfach vernommen, und deshalb war klar, dass wir einen großen Teil der Kiowas zumindest ausgeschaltet hatten. Trotzdem flogen mir die feindlichen Kugeln im Augenblick nur so um die Ohren, und auch die Stelle, an der Winnetou sich befand, sowie nahe der Verstecke der restlichen Festungsbewohner waren Unmengen fremder Gewehrschüsse zu hören, was nichts anderes bedeuten konnte, als dass mehr und mehr Rothäute in das Tal eindrangen. Unsere Lage war also eine denkbar schlechte und wurde von Minute zu Minute brenzliger. Aber weder mein Freund noch ich verloren dadurch unseren Mut und unsere Zuversicht, im Gegenteil, wir luden in rasender Eile unsere Waffen erneut durch und beschossen nun, teils im Blindflug, weil wir uns ja nicht richtig aufrichten und zielen konnten, die Stellen, an denen wir die feindlichen Mündungsfeuer zuvor ausgemacht hatten. Das hatte zur Folge, dass kurz darauf erneut die Luft erfüllt war von Schmerzensschreien der Getroffenen und gleichzeitig das feindliche Bombardement kurzfristig nicht nur viel weniger wurde, sondern fast verstummte. Auch von der gegenüberliegenden Hangseite, an der wir unsere Freunde vermuteten, hatten diese mit dem Mut der Verzweiflung aus allen Rohren gefeuert und dabei wohl abermals nicht wenige Gegner getroffen. Wieder luden wir in Windeseile unsere Waffen durch, doch schon hatte die kurze Feuerpause ein jähes Ende gefunden. Eine weitere, dieses Mal aber äußerst wütende Angriffswelle prasselte auf uns hernieder, und zwar so heftig, dass wir, zumindest Winnetou und ich, keinerlei Möglichkeiten mehr hatten, uns ihrer mit unseren Gewehren oder Revolvern auch nur irgendwie zu erwehren oder die Angriffe gar zu erwidern. Himmel - wieso waren es mit einem Male so viele Gegner? Hatten wir hier die komplette Hundertschaft der Kiowas vor uns? Und wenn ja, wo blieben dann unsere Gefährten, die ihnen doch gefolgt waren? Befanden sie sich auch schon in der Nähe – oder waren sie vielleicht ebenfalls überrascht und danach überwältigt worden? Bei dem Gedanken wurde mir mehr als mulmig zumute, aber ich konnte diesem Gefühl keinen weiteren Raum mehr geben, denn jetzt kamen die feindlichen Mündungsfeuer immer näher. Die Roten hatten also ihre Stellungen aufgegeben und waren während ihres letzten so intensiven Feuerwerks rasch weit in unsere Nähe gehuscht. Allerdings waren jetzt nur noch vereinzelte Schüsse zu hören, denn die meisten Indianer, die überhaupt im Besitz von Feuerwaffen sind, verfügen nur über einschüssige, im höchsten Falle zweischüssige Waffen, so dass sie alle jetzt natürlich gezwungen waren, wieder nachzuladen – zumindest dachte ich das, wurde aber im selben Augenblick gewahr, dass ich dieses Mal völlig falsch gelegen hatte. Offenbar hatte ich mich in der kurzen Feuerpause getäuscht, wohl auch deshalb, weil ich mehrere Male die Geräusche von Gewehren vernommen hatte, die nachgeladen wurden – aber das war tatsächlich nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, denn jetzt tauchten in meiner unmittelbaren Nähe gleich mehrere Rothäute aus, die ihre Schusswaffen im nächsten Augenblick beiseite warfen und stattdessen mit Messern und Tomahawks auf mich eindrangen, und zwar mit einer Heftigkeit, dass mir fast die Luft wegblieb! Auch ich war dadurch nicht mehr in der Lage, zu schießen, sondern hatte stattdessen nun die allergrößte Mühe, mir die Feinde irgendwie noch vom Leib zu halten, denn natürlich erwies sich jetzt die Enge meines Versteckes als äußerst verhängnisvoll, da sie kaum dazu geeignet war, mir einen großartigen Bewegungsspielraum zu lassen. Schon spürte ich die ersten kleineren Verletzungen, die mir die Kiowas mit ihren Messern beibrachten. Ich musste hier raus, musste mich aus dieser für mich so lebensgefährlichen Situation befreien, und zwar sofort! Ich dachte an meinen geliebten Blutsbruder, für den allein ich am Leben bleiben wollte und auch musste, holte tief Luft, nahm alle Kraft zusammen und begann mich mit einem Mal auf den Knien wie ein Kreisel zu drehen, was für meine Gegner völlig überraschend kam. Dabei fuhr ich meine Fäuste aus und verpasste in den ersten drei, vier Sekunden mindestens fünf Rothäuten so derbe Schläge gegen die Köpfe, dass sie wie vom Blitz getroffen zusammenbrachen. Das Ganze hatte natürlich ein heilloses Durcheinander zur Folge, da die bewusstlosen Indsmen nun teils auf mir, teils ihren eigenen Kameraden im Weg lagen, so dass diese an weiteren Angriffen gegen mich vorerst gehindert wurden. Ich selbst ließ mich davon natürlich nicht beirren, sondern schleuderte meinen Feinden nun einen bewusstlosen Körper nach dem anderen entgegen, so dass die herbeistürmenden Rothäute bis auf wenige Ausnahmen zumindest das Gleichgewicht verloren und zu Boden fielen, im günstigsten Fall sogar gegen die umher liegenden Felsen prallten und sich dadurch Verletzungen zuzogen; einige verloren durch den Aufprall sogar die Besinnung. Kaum sah ich mich aus der Umklammerung der Feinde befreit – zumindest halbwegs -, sprang ich dann auch sofort aus meiner Deckung hinaus auf freies Gelände, wo mir einiges mehr an Platz für die nun folgenden Nahkämpfe zur Verfügung stand. Rasch zog ich Messer und Tomahawk aus dem Gürtel und machte mich für das Unvermeidliche bereit. Einen kurzen Moment dauerte es aber noch, bis sich die Rothäute wieder zum Angriff gesammelt und formiert hatten, und diesen Augenblick nutzte ich einerseits zum tiefen Luftholen, andererseits lauschte ich angestrengt in die Richtung, in der ich Winnetou wusste – wie mochte es ihm wohl gerade ergehen? Zu meiner Erleichterung vernahm ich von dort drüben ebenfalls laute Kampfgeräusche; also hatten seine Gegner wohl auch das Schießen eingestellt und den direkten Nahkampf gesucht. Wäre mein Freund bei guter Gesundheit gewesen, hätte ich mir erst einmal kaum Sorgen gemacht, denn Winnetou war dank seiner unglaublichen Gewandtheit und natürlich der enormen Kraft, die in ihm wohnte, die allerdings aufgrund seiner sehr schlanken Statur für niemanden auf den ersten Blick zu erkennen war, ein nahezu unbesiegbarer Krieger. Jetzt aber war er schwer angeschlagen, durfte sich eigentlich kaum bewegen und musste sich trotzdem einer großen Anzahl Gegner stellen, die alles daran setzen würden, ihn zu töten oder zumindest kampfunfähig zu machen! Ich musste also irgendwie so schnell wie möglich zu ihm gelangen, um ihn mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen – oder, im schlimmsten Fall, um zumindest meinen Schwur einzulösen! Von der anderen Talseite, an der unsere Wohnräume lagen, war jetzt wieder ein äußerst wütender Schusswechsel zu hören; zumindest dort also waren die Kiowas noch nicht so nahe gekommen, dass sie unsere Gefährten auf Augenhöhe angreifen konnten. Weiter aber kam ich nicht mehr mit meinen in aller Kürze durchgeführten Betrachtungen, denn jetzt drangen die Rothäute wieder mit aller Gewalt auf mich ein, und ich musste mein ganzes Können und all meine Kraft einsetzen, um sie zumindest etwas auf Abstand zu halten. Einen nach den anderen erwischte ich entweder mit meinem Messer oder meiner Faust und setzte diesen Gegner dann somit auch direkt außer Gefecht, aber es war wirklich wie verhext: hatte ich einen Angreifer ausgeschaltet, erschienen, zumindest meinem Empfinden nach, dafür mindestens zehn weitere, und ich fragte mich jedes Mal aufs Neue, wo zur Hölle all diese Roten nur herkamen? Ich konnte jeden von ihnen eindeutig den Kiowas zuordnen, und aufgrund ihrer Vielzahl musste ich jetzt wirklich davon ausgehen, dass sich nahezu alle Krieger Motawatehs hier versammelt hatten. Weiterhin drehte ich mich wie ein Kreisel um mich selbst, um den Rothäuten möglichst keine Angriffsfläche zu bieten, und ich war mir sicher, dass ich diese Kampftechnik noch eine gewisse Zeit lang durchhalten würde – aber wenn der Strom der Gegner nicht bald abnahm, würde selbst ich nicht in der Lage sein, als Sieger aus dieser Situation hervorzugehen. Und nun schienen sich meine Befürchtungen auch schneller zu erfüllen, als mir lieb sein konnte. Zwei der Kiowas gelang es fast gleichzeitig, mich rechts und links am Oberarm zu packen, während ein dritter mir den Tomahawk aus den Fingern wand. Dem Vierten konnte ich zwar noch mein Messer in die Brust rammen, dann aber spürte ich einen Unterarm, der unbarmherzig gegen meinen Kehlkopf zu drücken begann, während ich im gleichen Augenblick durch gezielte Tritte in die Kniekehlen zu Fall gebracht wurde. Mit einem Mal lag ich unter einem Haufen Rothäute begraben; meine Arme und Beine wurde so fest auf den Boden gepresst, dass ich mich keinen Deut mehr rühren konnte, und gleichzeitig drückte der Unterarm an meinem Hals meine Kehle mehr und mehr zu, so dass sich nach kürzester Zeit schon bunte Kreise vor meinen Augen zu drehen begannen. Ich wehrte mich trotzdem, verzweifelt, bäumte meinen Oberkörper auf, versuchte, durch heftige Bewegungen der Beine die Gegner abzuschütteln – aber nichts davon gelang mir, im Gegenteil, ich erreichte damit nur, dass sich jetzt auch noch ein schweres Gewicht auf meine Brust legte und dadurch nun auch noch die letzte mir verbliebene Möglichkeit zur Gegenwehr unterband. Aufgrund des beginnenden Sauerstoffmangels rauschte mir schon das Blut in den Ohren, trotzdem konnte ich aus der Ferne noch mehrere heftige Schusswechsel vernehmen - besonders das Gewehr unseres Doktors war aus dem Lärm deutlich herauszuhören. Der gute Doktor Hendrick! Dieser sanfte, friedliebende Mensch, der sich zu einem unserer treuesten Freunde entwickelt hatte, wehrte sich immer noch tapfer seiner Haut – hoffentlich kam er durch! Er musste sich ja schließlich weiterhin um Winnetou kümmern, wenn.... Herrgott! Winnetou! Ich konnte ihn doch nicht einfach so im Stich lassen! Er würde an meinem Tod zugrunde gehen! Oder war er gar selbst schon ein Gefangener? Großer Gott, das durfte auf keinen Fall geschehen – man würde ihn auf schrecklichste Weise foltern, ihm die fürchterlichsten Martern zuteilwerden lassen – niemals durfte ich das zulassen! Ein wütendes, grollendes Knurren entfuhr meiner Brust, als ich noch einmal alle Kraft zusammen nahm und einen letzten Befreiungsversuch unternahm – vergeblich! Zwar lockerten sich für einen Moment die Griffe der Rothäute, und einige Laute der Überraschung entfuhren ihnen, aber sofort hatten sie mich noch fester als zuvor gepackt, und das Würgen an meinem Hals nahm jetzt nur noch mehr zu. Winnetou! Das konnte ich ihm doch nicht antun! Ich musste für ihn am Leben bleiben! Doch zu einem weiteren Befreiungsversuch war ich nun absolut nicht mehr in der Lage, beim besten Willen nicht. Das Rauschen in meinem Kopf nahm zu, meine Lungen schrien regelrecht nach Sauerstoff, sämtliche Muskeln verkrampften sich, so dass ich in dem Moment mit größter Anstrengung noch einmal alle meine Gedanken zusammennahm, um mich von dieser Welt zu verabschieden, meinen Geist dem Herrn zu empfehlen und vor allem Winnetou in Gedanken inbrünstig um Verzeihung zu bitten, dass ich meine Versprechen an ihn nicht würde halten können. Jedoch – genau in diesem Augenblick geschah es! Mit einem Male spürte ich, wie der Druck auf meinen Kehlkopf urplötzlich nachließ, genauso wie sich die Griffe überall an meinem Körper lockerten, mit denen man mich am Boden fixiert hatte. Um mich herum waren jetzt auch laute Schmerzensschreie zu vernehmen, und gleichzeitig glaubte ich mehrmals das Geräusch auszumachen, welches von einer menschlichen Faust herrührt, die gerade den Schädel eines anderen Menschen bearbeitet. Es bedurfte einer gewaltigen Anstrengung meinerseits, um meine Augen aufzureißen, doch sehen konnte ich noch nicht viel, da sich ein blutroter Schleier hartnäckig vor meine Augäpfel gelegt hatte. Sekundenbruchteile später hatten sich diese Schleier aber soweit gelichtet, als dass ich niemand Geringeren als meinen Blutsbruder ausmachen konnte, der wie eine Kanonenkugel mitten in die Gruppe der mich bedrängenden Kiowas gefahren und in diesem Moment schon dabei war, in einem irrsinnigen Kraftakt eine Rothaut nach der anderen auszulöschen; währenddessen hatte sich ein Ausdruck der rasenden Wut auf seinem Gesicht breitgemacht, so furchterregend, wie ich ihn an meinem Freund noch niemals gesehen hatte. Sein Schlachtbeil spaltete die Köpfe der Gegner, sein Messer fuhr in ihre Körper – und nun hielt auch mich nichts mehr am Boden. Es fiel mir unendlich schwer, die Nachwirkungen des Würgens irgendwie zu überspielen und wieder am Kampf teilzunehmen, aber es gelang mir, und nun wüteten Winnetou und ich Seite an Seite und äußerst erfolgreich unter den Feinden. Ich bin mir sicher, dass wir auf diese Weise eine große Chance gehabt hätten, als Sieger aus diesem barbarischen Kampf hervorzugehen, wenn – ja, wenn nicht mit einem Male vor uns, im silbernen Mondlicht deutlich zu erkennen, Wayne Thomson aufgetaucht wäre, mit seinem Gewehr im Anschlag und in Begleitung von mindestens fünfzehn Tramps mit äußerst verschlagenen Gesichtern, die allesamt aussahen, als ob ihnen das Leben eines Feindes, vor allem das eines Indianers, nicht einen Pfifferling wert sei! Auch diese zerlumpt aussehenden Kerle hielten ihre geladenen Gewehre vor sich und auf uns angelegt, was Winnetou und mich aber zuerst nicht im Mindesten kümmerte, so sehr waren wir auf den Kampf mit den uns direkt umgebenden und hemmungslos auf uns eindringenden Kiowas fixiert. In diesem Moment schoss der Erzschurke aber zweimal in die Luft, woraufhin die Roten sofort auseinander sprangen, dabei allerdings nicht versäumten, uns Sekundenbruchteile später von hinten zu packen und zumindest mich mit Gewalt – und schon wieder im Würgegriff – abermals zu Boden zu zerren. Von Winnetou konnte ich nicht mehr viel erkennen, nur so viel, dass er im Begriff war, den Kampf trotzdem wieder aufzunehmen, bis noch ein Schuss fiel und seine Bewegungen dadurch abrupt gestoppt wurden. „Bist du wahnsinnig?“, hörte ich Thomson nahezu schockiert aufschreien. „Verdammt, ich brauche diese verfluchte Rothaut lebend – wie oft soll ich das denn noch sagen?“ Fürchterliches Entsetzen durchflutete meinen Körper – war Winnetou getroffen worden? Mit einer fast schon unmenschlichen Anstrengung gelang es mir, mich irgendwie aus dem Würgegriff meines Gegners zu befreien und den Kopf hochzureißen, leider nur für einige Sekundenbruchteile, bevor man mich wieder, und dieses Mal mit dreifacher Gewalt, zu Boden presste und mir abermals die Kehle zusammendrückte. Für diesen einen Moment hatte ich von Winnetou nicht allzu viel erhaschen können, nur soviel, als dass er mit gesenktem Kopf kraftlos in den Armen seiner Bezwinger hing und ich frisches Blut an seinem Haar heruntertropfen sah. In mir tobte jetzt ein solches Gefühlschaos, eine solch furchtbare Angst um meinen Freund, ein solch heilloses Grauen aufgrund der Erkenntnis, dass nun für ihn, sollte er überhaupt noch leben, erneut ein teuflischer Leidensweg beginnen würde, dass ich im ersten Moment zu nichts anderem mehr in der Lage war als in vollkommener Verzweiflung die Augen zu schließen. Der Lärm um mich herum, das Schreien, das Rufen, die Schüsse, die weiterhin zu hören waren, die Befehle, die Thomson laut und scheinbar ziellos durch die Gegend schrie, vermischte sich nun zu einem steten, alles übertönenden Rauschen, und die Farben meiner Umgebung verschwammen zu wirbelnden, bunten Kreisen. Man war dabei, mich zu töten. In diesem Augenblick aber wurde mir überdeutlich klar, dass ich nicht gehen durfte, ohne meinen Schwur einzuhalten und meine Pflicht Winnetou gegenüber zu erfüllen. Und ich fragte mich gar nicht erst, wie ich das eigentlich anstellen sollte, mit solch einer großen Zahl Angreifer, die sich mir entgegenstellte. Das Rauschen in meinen Ohren verstummte plötzlich, statt dessen hörte ich jetzt gar nichts mehr, auch die bunten Kreise verloren ihre Farbe, doch als ich nun die Augen wieder aufschlug, nahm ich meine Umgebung messerscharf wahr, ohne störende Schleier, und sämtliche Bewegungen der mich umzingelnden Menschen hatten sich stark verlangsamt, so kam es mir zumindest vor. Einzig ich allein war fähig, aus welchem Grund auch immer, mich mit einer normalen Geschwindigkeit zu bewegen, und ich sah nun glasklar meinen weiteren Weg vor mir. Es bedurfte nur noch einer kleinen List. Mit einem Mal ließ ich alle meine Muskeln erschlaffen und meinen Kopf zur Seite fallen, so dass meinen Widersachern fast gar nichts anderes übrig blieb als zu glauben, dass ich zumindest das Bewusstsein verloren hatte, wenn nicht sogar den Tod gefunden hatte. Wie es mir dann genau gelang, mich aus dem Würgegriff und den Händen meiner Gegner zu befreien, kann ich heute in keinster Weise mehr sagen, auch nicht, wie ich trotz schon größter Schwäche und einer enormen Überzahl von Feinden vom Boden aufspringen und mich mit einem gewaltigen Satz aus dem Kreis der Roten herausbringen konnte, ist mir heute absolut unbegreiflich. Ich weiß nur noch, dass ich mein Ziel weiterhin gestochen scharf vor Augen hatte – Winnetou! Und in dem Moment, als ich einen meiner Revolver, in dem sich höchstens noch eine Kugel befinden konnte, gewahr wurde, diesen daraufhin mit einem einzigen großen Sprung erreichte und ihn in die Hand nahm, erwachte mein Freund aus seiner vorübergehenden Bewusstlosigkeit. Er wurde von vier Tramps auf brutalste Weise festgehalten, alles widerliche, vor Dreck starrende Gestalten, denen ich das höhnische Grinsen am liebsten sofort aus dem Gesicht geschlagen hätte. Doch es genügte, dass ich den Revolver im nächsten Augenblick schon in ihre Richtung hob – das dreckige Grinsen zerfiel ihnen allen in ihren Gesichtern, einem flog vor Schreck sogar der Zigarrenstummel aus dem fast zahnlosen Mund. In diesem Augenblick hob Winnetou seinen schönen Kopf hoch, der an der linken Seite schon wieder stark blutete, und sah mich aus seinen wundervollen Augensternen an. Er versenkte seinen einzigartigen Blick in meine Augen, und dieser war voller Liebe, voller Zuversicht – ja, fast glaubte ich darin sogar eine unverhohlene Vorfreude auf das Kommende auszumachen, und dieser unglaubliche, intensive Blick machte mir den Rest meines Weges leicht und mir die endgültige Entscheidung für mein Tun erst möglich. Ich konnte und wollte meinen Geliebten nicht den Rachegelüsten der Kiowas überlassen, wollte nicht, dass man ihn über Tage hinweg marterte und seinen geschändeten Körper nachher den Geiern zum Fraß vorwarf, wollte nicht, dass diese verlausten und widerlichen Dreckskerle mit ihren schmutzigen Pranken Hand an meinen Freund legten, und vor allem wollte ich nicht, dass Thomson auch nur ein einziges Mal sein ekelhaftes Grinsen sehen ließ, wenn er ihm wieder einmal mit seinem Messer die schöne bronzene Haut zerschnitt und zerstach. Mein geliebter Blutsbruder sah mich an, und ich sah ihn an, und beide sahen wir von der Welt in diesem furchtbaren und doch so unglaublich besonderen Augenblick nichts anderes als uns beide, während ich meinen Revolver langsam von den Bastarden weg zu ihm hin schwenkte – und als meine Hand, die nun noch nicht einmal mehr zitterte, still stand und die Waffe genau auf Winnetous Herz zielte, nickte mein über alles geliebter Freund mir zu und lächelte mich an. Während sich mein Zeigefinger langsam krümmte, blitzte mit einem Mal um mich herum Feuer auf – regelrechte Feuerbälle, die durch die Luft zu wirbeln schienen..... guter Gott, nimm meinen Bruder auf in dein Reich... die Luft schien jetzt zu vibrieren... schenke ihm den ewigen Frieden.... gleichzeitig flirrte sie vor Hitze... bitte, guter Gott, verzeih mir meine Anmaßung, verzeih mir diese Tat... Schreckensgeheul tönte durch das ganze Tal... oder ist es dein Wille, mein Herrgott, bin ich in diesem Moment in Wirklichkeit dein Werkzeug...? Um mich herum verspürte ich wilde Bewegung, wusste, man würde mich gleich wieder ergreifen... bitte, mein Herr und mein Gott, nimm uns auf in dein Reich... ich sah Winnetou, gehalten im brutalen Griff der Gegner, sah Thomsons Messer, dessen Klinge sich dem Oberbauch des Apatschen näherte... mein Herr, vergib mir meine Schuld, vergib uns unsere Sünden... Damit waren auch die allerletzten Zweifel überwunden – und mit einer entschlossenen Bewegung zog ich den Abzug endgültig durch. Fast im gleichen Moment verspürte ich einen fürchterlichen Schmerz in meinem Kopf, der meinen Schädel zum Bersten zu bringen schien. Und dann wusste ich nichts mehr. Kapitel 33: Erinnerungen ------------------------ Blutrote Schleier vor den Augen... hämmernde Schmerzen, als wollten sie meinen Kopf bersten lassen... und dann noch mehr Schmerzen, wenn auch nicht so heftige, allerdings anderer Art, die den ganzen Körper zu umfangen schienen.... doch all das war nichts im Vergleich zu dem furchtbaren Druck, der wie ein Felsbrocken in meinem Innersten zu lasten und meine Brust mehr und mehr einzuengen schien... gleichzeitig fühlte ich mich unendlich traurig... Das waren so ziemlich die ersten Empfindungen, über die ich mir bewusst wurde, als ich wieder einigermaßen klar denken und fühlen konnte. Doch bevor es mir möglich wurde, diesen Gefühlen intensiver nachzuspüren und meine im Kopf umherwirbelnden Gedankenfetzen zu ordnen, wurde mein ganzer Schädel mit einem Male von widerlich stechenden Schmerzen durchbohrt, die einfach nicht mehr auszuhalten waren. Also tat ich das, was in einem solchen Fall wohl das Sinnvollste ist – ich glitt in die Ohnmacht zurück und ließ mich in eine köstliche Dunkelheit und Empfindungslosigkeit hineinfallen. Das Nächste, was mir in Erinnerung geblieben ist, war eine Hand, die meinen immer noch heftig schmerzenden Kopf unendlich vorsichtig anhob, dann eine weitere Hand, die mir einen Becher mit einem heißen, intensiv nach Kräutern duftenden Getränk an die Lippen setzte, sachte, aber immer wieder, so lange, bis ich den Becher vollständig geleert hatte, was mir unglaublich wohltat. Daraufhin wurde mein Kopf ganz sanft zurück in die Kissen gebettet. Ich öffnete die Augen, um erkennen zu können, wer mich da auf eine solch liebevolle Weise umsorgte, konnte aber nur schemenhaft ein Gesicht sehen, völlig verschwommen, und im gleichen Moment zog sich mein Geist ein weiteres Mal zurück. Träumte ich? Einerseits fühlte ich mich äußerst wohl – war das der Himmel? Die unendliche Glückseligkeit? Urplötzlich aber war die Luft mit einem Mal erfüllt von Geschrei, angstvollem Rufen, fast panikartig, und nun nahm ich auch einen Druck in meinem Herzen wahr, der kaum mehr auszuhalten war. Es schmerzte, tat einfach furchtbar weh; ich dachte, es würde gleich zerspringen - und ich wünschte mir in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als dass alles wieder gut würde, als dass der Grund für diese Angst, die ich sowohl in meinem Innersten als auch um mich herum verspürte, sich wieder zum Guten wenden würde – leben würde.... Später konnte ich mich, zumindest vorerst, nur an diese wenigen Worte erinnern, die ich immer wieder dachte, die mein Geist ständig wiederholte: „Bleib bei mir – bitte, bleib... nicht weitergehen....“ Und irgendwann, ganz allmählich, ganz langsam, verschwand das Grauen. Wieder einige Zeit später erwachte ich erneut und hatte dabei das Gefühl, das stete Hämmern in meinem Schädel hätte zu meinem Erwachen geführt. Erwachen? Ja, war ich denn überhaupt wach – lebte ich? Eine Vielzahl von Empfindungen strömte mit einem Mal auf mich ein, aber ich konnte sie überhaupt noch nicht ordnen. Was war denn nur geschehen? Ich versuchte, mich zu bewegen – es ging nicht. Versuchte, wenigstens die Augen zu öffnen – auch das war mir nicht möglich. Warum nicht? Was war denn nur mit mir los? Ganz ruhig, ermahnte ich mich selbst. Ruhig Blut, einen kühlen Kopf bewahren, das war jetzt das Wichtigste. Mit weiterhin geschlossenen Augen blieb ich also ganz still liegen und versuchte, mit allen Sinnen zu erfassen, in was für einer Lage ich mich eigentlich befand. Mein Kopf schmerzte immer noch, aber inzwischen erinnerte ich mich auch wieder an mein erstes Erwachen und wusste sofort, dass das peinigende Hämmern seitdem deutlich abgenommen hatte. Und der Rest meines Körpers? Hier und da zwickte es wohl, aber das war nun wirklich nicht der Rede wert. Aber warum hatte ich dann das furchtbare Gefühl, dass mein Innerstes vor Schmerzen fast schon brannte? Im gleichen Moment legte sich ein immenser und beklemmender Druck auf meine Brust – aber das war nicht körperlich, das spürte ich sofort. Meine Seele stand in Flammen, was mir jetzt mit aller Deutlichkeit bewusst wurde. Und bevor ich mir noch weiter Gedanken über das Warum machen konnte, überfielen mich die Erinnerungen an die letzten Ereignisse so plötzlich und mit solch einer Macht, dass sie mich unwillkürlich laut und gequält aufstöhnen ließen. Gleichzeitig riss ich die Augen auf – wieso gelang mir das auf einmal so leicht? - mein Blick fiel auf eine mir sehr bekannte steinerne Wand – und jetzt wurde das grauenhafte Gefühl in mir zur furchtbaren Gewissheit: Ich war tatsächlich am Leben! Ich lebte – aber mein geliebter Freund, die Liebe meines Lebens, mein Winnetou – war tot! Erschossen! Durch meine eigene Hand!!! Wer zum Teufel hatte mich nur vor dem Tod bewahrt?? Eine unsägliche Wut machte sich in mir breit; am liebsten hätte ich den Betreffenden sofort mit beiden Fäusten zu Boden geschmettert – wie konnte man mir nur so etwas antun? Warum hatten sie nicht zugelassen, dass ich meinem Blutsbruder folgen konnte? Wie um alles in der Welt sollte ich denn nur ohne ihn leben, leben können? Daran war überhaupt nicht zu denken! Wieder entwich mir ein gequältes Stöhnen, denn jetzt begann ich den Kopf zu drehen, um meine Umgebung abzusuchen, dabei aber die sofort stärker werdenden Schmerzen in meinem Schädel zu ignorieren versuchend. Ich glaube, wenn ich in diesem Moment eine Waffe gefunden hätte – sie wäre von mir höchstwahrscheinlich dazu benutzt worden, mich selbst zu richten! Doch dazu kam es glücklicherweise nicht, konnte es gar nicht kommen, da ich einerseits überhaupt noch nicht in der Lage war, mehr als meinen Kopf zu bewegen, und auch das ging nur langsam und zentimeterweise – andererseits war nun auch mit einem Mal eine mir sehr bekannte Stimme neben mir zu hören, gleichzeitig wurde ich zu beiden Seiten von kräftigen Händen gepackt und regelrecht auf mein Lager fixiert. „Charlie, nicht! Du musst liegenbleiben – ganz ruhig, du darfst dich noch nicht viel bewegen, am besten überhaupt nicht!“ Das war die Stimme unseres guten Doktor Hendrick, die zu hören mich im Normalfall sehr erfreut hätte, doch mir erschien jetzt überhaupt nichts mehr normal. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf, der sich sofort wieder mit stechenden Schmerzen dafür rächte; trotzdem versuchte ich weiterhin wütend, die mich haltenden Hände abzuschütteln, hatte allerdings nicht den Hauch einer Chance. Eine Hand legte sich auf meine Stirn, drückte damit meinen Kopf vorsichtig zurück in die Kissen. Auch dagegen versuchte ich mich noch zu wehren, aber meine Kräfte waren schon verbraucht. Ich konnte jetzt nicht mehr verhindern, dass mir ein lautes Schluchzen entfuhr, als ich meine Augen wieder öffnete, die sich dann auch sofort mit Tränen füllten. Daher erkannte ich das Gesicht von Walter nur schemenhaft, aber er war eindeutig da, und er sah mich mit einer solchen Güte, Liebe und gleichzeitig großen Besorgnis an, dass mir deswegen fast übel wurde. Ich hatte nichts, aber auch wirklich gar nichts davon verdient! Wie konnte ein nur halbwegs anständiger Mensch mir, dem Mörder meines geliebten Blutsbruders, freundschaftliche Gefühle entgegenbringen? Ablehnung, wenn nicht sogar Hass und Abscheu, das müsste ich eigentlich in Walters Augen lesen können, aber doch nicht diese berührende Fürsorglichkeit! Er strich mir jetzt überaus sanft mit seiner Hand über Stirn und Wangen, während er flüsterte: „Charlie – ganz ruhig! Bleib ganz ruhig, es wird alles gut!“ Noch heftiger musste ich schluchzen, während ich versuchte, die richtigen Worte zu finden, zu formen: „Winnetou – oh mein Gott.... mein Winnetou!!!“ Mehr brachte ich beim besten Willen nicht heraus, da mein ganzer Körper nun mit einem Mal von einem heftigen Weinkrampf nur so durchgeschüttelt wurde. Ich schämte mich meiner Tränen nicht, einerseits, weil ich dem Doktor über alle Maßen vertraute, andererseits, weil mir in dem Moment sowieso alles egal war. Sollten andere doch von mir denken, was sie wollten! Ich hatte ein unverzeihliches, nicht wieder gut zu machendes Verbrechen begangen, und würde das für den Rest meines Lebens, das hoffentlich nur noch kurz währen würde, zutiefst bereuen – ja, wahrscheinlich sogar daran zerbrechen, aber das konnte mir doch nun wirklich mehr als lieb sein. Ich war so in meinem Kummer und Schmerz versunken, dass ich kaum bemerkte, dass sich nun eine zweite, etwas größere Hand an meiner Wange befand und dabei liebevoll versuchte, meine Tränen zu trocknen, was aufgrund des steten Stroms im Augenblick ein Ding der Unmöglichkeit war. Eine zweite Hand strich beruhigend durch mein Haar, während ich wieder den Doktor gewahr wurde, der sich nun bemühte, mit einem Tuch meiner Tränenflut Herr zu werden und gleichzeitig in einer fast schon beschwörenden Weise auf mich einsprach, mit Worten, deren Sinn ich im Moment gar nicht verstand. Nur ein Satz, der ragte überdeutlich aus dem ganzen Nebel heraus: „Charlie, so beruhige dich doch! Es ist wirklich alles in Ordnung – alles ist gut, so glaube mir doch endlich!“ Ein empörtes und ungläubiges Schnauben entwich mir; ich konnte es nicht mehr aufhalten, wollte es auch gar nicht. Mit zitternder, krächzender Stimme antwortete ich, im höchsten Grade verbittert: „Nichts wird gut! Nie wieder kann irgendetwas gut werden, also hör doch auf, solch einen Blödsinn zu reden! Mir brauchst du nichts vorzumachen!“ Anstelle von Walter entgegnete mir jetzt auf meiner anderen Seite eine mir ebenfalls wohlbekannte Stimme, die meine Verärgerung sanft zu überspielen versuchte: „Charlie, bitte - jetzt hör doch erst mal einen Moment zu, bevor....“ Weiter kam Emery nicht – denn niemand anderes als er war es, der da neben mir saß – weil ich jetzt richtig wütend wurde. Obwohl mir, wahrscheinlich aufgrund einer lang anhaltenden Bewusstlosigkeit, das Sprechen noch größte Schwierigkeiten bereitete und mein Gezeter deshalb nur sehr leise bei meinen Gefährten ankam, konnten sie meinen Zorn doch wohl mehr als deutlich heraushören: „Hört auf, so zu reden! Lasst mich doch einfach in Ruhe mit eurem „Alles wird gut“-Getue! Ich kann es nicht mehr hören, ich will es auch gar nicht!“ Anstatt nun gekränkt und beleidigt zu reagieren, bemühten sich die beiden aber nur noch intensiver um mich, und Walter war es dann, der mich mit seinen nächsten Worten schlagartig aus meinem verzweifelten Zustand herausholte, wahrscheinlich auch deshalb, weil er sie fast schon brüllte: „Mein lieber Freund, jetzt HÖR ENDLICH ZU: WINNETOU LEBT!! Hast du verstanden, Charlie? Er lebt, er IST NICHT TOT!!!“ Diese wenigen, eindringlichen Sätze ließen meinen Körper sofort erzittern und bewirkten gleichzeitig, dass ich unwillkürlich die Luft anhielt. Ich riss die Augen wieder auf und starrte erst den Doktor, dann den Engländer fassungslos an. „Was sagt er da? Ist er nicht mehr ganz bei Trost?“ „Ganz im Gegenteil, mein Freund, wir sind beide vollkommen Herren über unsere Sinne, im Gegensatz zu dir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf!“, antwortete Emery. „Warum lügt ihr mich an?“ Ich war drauf und dran, ein weiteres Mal ernstlich böse zu werden. „Ich werde... ich werde damit leben müssen, dass Winnetou.... dass er.... und je früher ich.... umso....“ Ich konnte es einfach nicht aussprechen, das Unfassbare, die grausame Wahrheit, ich konnte einfach nicht! Abermals schossen mir die Tränen in die Augen, doch der Doktor und Emery gaben nicht auf. „Charlie – warum in Gottes Namen sollten wir dich in solch einer ernsten Sache belügen?“, fragte Walter fast schon entsetzt. „Dein Blutsbruder lebt und ist in Sicherheit!“ Absolut sprachlos starrte ich ihn weiterhin an, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Meine Gedanken wirbelten völlig unkontrolliert in meinem Gehirn herum, und nur langsam war ich wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Konnte das wirklich wahr sein? Konnte es tatsächlich möglich sein, dass mein geliebter Freund die vergangenen furchtbaren Geschehnisse überlebt hatte? Noch einmal drängten sich mir überdeutlich die Erinnerungen an die letzten Minuten des Kampfes auf: meine Hand, die, ohne auch nur im Geringsten zu zittern, den Revolver hielt, der auf Winnetous Herz zielte, das Messer von Thomson, dessen Klinge kurz davor stand, in den Oberbauch des Apatschen einzudringen, mein Zeigefinger, der sich langsam krümmte und dann den Abzug letztendlich durchzog.... Ich konnte auf keinen Fall mein Ziel verfehlt haben – also wie sollte es dann möglich sein, dass mein Freund noch am Leben war? Ich verstand die Welt nicht mehr. In diesem Augenblick wiederholte der Engländer noch einmal Walters Worte, wie zur Bestätigung, wohl um sicherzugehen, dass sie bei mir auch tatsächlich ankamen: „Charlie, bitte - so begreife es doch endlich: Winnetou lebt, er ist hier in Sicherheit!“ Ich hob meine Hand, griff Emery äußerst unsanft in den Hemdausschnitt und zog ihn daran weit zu mir herunter. „Wo?“, fragte ich krächzend, angespannt. „Wo ist er?“ „Hier, nebenan, dort auf dem Lager!“, fiel Hendrick sogleich ein, sichtlich froh darüber, dass ich endlich auf seine Botschaft reagierte. Doch als er sah, dass ich Anstalten machte, mich aufzurichten und nach meinem geliebten Freund zu rufen, hielt er mich sofort wieder fest und sagte eindringlich: „Er kann dich nicht hören, Charlie – ich habe ihn für die nächste Zeit ruhig gestellt, um sicherzugehen, dass er diese ganze Geschichte hier auch weiterhin überleben wird. Und wenn du jetzt nicht endlich still liegen bleibst, dann werde ich das Gleiche mit dir veranstalten! Du hilfst deinem Freund in keinster Weise, wenn er sich auch noch um dich sorgen muss!“ „Richtig!“, fiel nun auch wieder der Engländer ein. „Winnetou braucht dich jetzt, mein Lieber, aber bitte im möglichst unversehrten Zustand – also sorge lieber dafür, dass du rasch wieder gesund wirst und hör endlich auf, dich hier unnötig zu verausgaben!“ Störrisch schüttelte ich den Kopf und flüsterte mit fast versagender, jedoch sehr eindringlicher Stimme: „Ich WILL ihn aber sehen, Herrgott nochmal!“ Meine Gefährten sahen jetzt endlich ein, dass ich nie und nimmer Ruhe geben würde, bevor sie mir nicht meinen Wunsch erfüllt hatten, und so griffen sie schließlich links und rechts zu, richteten mich so weit auf, dass ich zu der anderen Bettstatt in der Kammer herüber sehen konnte und dort auch tatsächlich – es war wirklich kaum zu glauben - meinen geliebten Freund erkannte, der reglos unter vielen Decken lag. Eigentlich konnte ich von ihm nicht viel mehr wahrnehmen als sein jetzt fast schon blasses und regelrecht spitzes Gesicht, in dem die langen Wimpern und die dichten, schön geschwungenen und tiefschwarzen Augenbrauen viel deutlicher als sonst hervortraten, da sie sich von der unnatürlichen Blässe seiner Haut stark abhoben. Mehrere Sekunden saß ich so und starrte meinen Blutsbruder überaus fassungslos an, beobachtete ihn und auch die Wolldecken und Felle, in die er eingepackt lag, ganz genau. Und erst als ich eine fast schon zaghafte Atembewegung meines Freundes darunter ausmachen konnte, schloss ich erschöpft die Augen und ließ mich mit einem lauten Aufseufzen in die Kissen zurück sinken. Eine gefühlt mindestens haushohe Welle der Erleichterung und der unbändigen Freude durchfluteten mit einem Male mein Innerstes; ich fühlte mich fast schon trunken vor Glück – er lebte! Mein über alles geliebter Freund lebte! Ich war nicht zum Mörder meines Blutsbruders geworden, ich durfte ihn weiterhin ansehen, berühren – ihn lieben! Dann aber kamen mir wieder die letzten Sekunden des Kampfes in den Sinn, und fast schon ungläubig schüttelte ich abermals den Kopf; ich verstand jetzt gar nichts mehr. Wie war das alles nur möglich? Ich öffnete daher erneut meine Augen und starrte, noch immer völlig verwirrt, meine beiden Gefährten eine Zeit lang an, bevor ich mich wieder daran erinnerte, dass meine Sprechwerkzeuge ja noch funktionstüchtig waren und ich sie nur gebrauchen musste. „Ja – habe ich ihn denn nicht getroffen...?“ Fast schon zaghaft kamen mir diese Worte über die Lippen, so unfassbar schien mir das alles zu sein. Emery seufzte nun leise in sich hinein, bevor er wieder zum Sprechen ansetzte: „Ja und nein! Es ist...“. Ich unterbrach ihn sofort. „Was soll das heißen? Wie meinst du das?“ „Bitte, Charlie, nun lass uns das dir in Ruhe erklären, ja?“, fiel der Doktor wieder ein. „Du wirst jetzt alles erfahren, aber ich will, dass du dabei ruhig liegen bleibst, hörst du? Dein Kopf hat einen furchtbaren Schlag von einem Stein abbekommen, und außerdem war das Schlangengift zu dem Zeitpunkt noch nicht völlig neutralisiert worden, so dass wir wirklich einige Schwierigkeiten hatten, dir deine Gesundheit, vielleicht sogar das Leben zu erhalten! Wenn Winnetou nicht gewesen wäre....“ „Was?“, rief ich erschrocken aus und wollte schon wieder hochfahren, um noch mal einen Blick auf meinen Blutsbruder werfen zu können – und erneut pressten mich meine beiden Aufpasser fest in die Kissen, wurden dabei aber nun deutlich ungehaltener. „Noch ein Mal, mein Freund“, drohte mir der Doktor jetzt auch unverblümt. „Noch ein Mal so eine Aktion, und ich lege dich ebenfalls sofort schlafen, hast du verstanden?“ Sein grimmiger Gesichtsausdruck sprach Bände, und somit nickte ich ergeben und sah beide Gefährten wieder erwartungsvoll an, begierig darauf, endlich zu erfahren, was genau meinem Winnetou und letztendlich uns allen widerfahren war und das Leben gerettet hatte. Außerdem wurde mir erst jetzt so richtig bewusst, dass Emery an meiner Seite saß, obwohl er doch eigentlich mit den anderen Gefährten den Kiowas gefolgt war – aber ich konnte ja nicht wissen, wie lange ich ohne Besinnung gelegen hatte, und eigentlich war mir das alles im Moment auch wirklich völlig gleichgültig; für mich zählte nur eines: dass mein Winnetou tatsächlich am Leben war - und so ganz allmählich machte sich in mir ein beruhigendes und gleichzeitig ermattetes, aber äußerst wohliges Gefühl breit. Also blieb ich den Anweisungen des Arztes gemäß ruhig liegen und hoffte dabei, dass die Freunde mich schleunigst über die vergangenen Geschehnisse aufklären würden. Und schließlich begann der Engländer dann auch endlich mit folgenden Worten: „Ich nehme einfach mal an, dass das Letzte, an das du dich erinnern kannst, der Moment ist, an dem du abgedrückt hast?“, fragte er mich vorsichtig. Ich nickte beklommen, und er fuhr fort: „Es war in der Tat noch genau eine Kugel in dem Revolver – und du hast Winnetou auch tatsächlich getroffen, wenn....“. Er wurde ein wenig lauter, als er bemerkte, dass ich vor Schreck zusammenzuckte, und ließ vorsorglich seine Hand auf meine Schulter gedrückt, um mir gar nicht erst eine Gelegenheit zu bieten, wieder hochzukommen. „....wenngleich auch nicht dort, wohin du gezielt hattest!“, vollendete Emery nun den Satz. „In dem Augenblick, in dem du abgedrückt hattest, sind nämlich zwei Dinge gleichzeitig geschehen: Zum einen hat dir unser netter Herr Doktor hier einen faustgroßen Stein an den Kopf geworfen, um dich irgendwie noch im letzten Moment an dem tödlichen Schuss zu hindern – wobei ich neidlos anerkennen muss, dass er in dieser Hinsicht wirklich äußerst treffsicher ist!“ Ich bemerkte den jetzt etwas betretenen Gesichtsausdruck des Arztes, doch anscheinend war der gleiche Ausdruck auch auf meinem Gesicht zu sehen gewesen, zumindest seit dem Zeitpunkt, als mir der Engländer meine Befürchtung bestätigt hatte, dass ich wirklich auf meinen Blutsbruder geschossen hatte. Emery erkannte das sofort und bemühte sich schnell, mir meine Gewissensbisse wieder zu nehmen: „Aber jetzt mach dir bloß keine Vorwürfe wegen deines Tuns, Charlie! Ich glaube nämlich ganz bestimmt, dass an deiner Stelle jeder von uns so gehandelt hätte; außerdem konntest du ja auch in keinster Weise ahnen, dass noch rechtzeitig Hilfe nahen würde!“ Trotz dieser Worte fühlte ich mich immer noch tief beschämt über die Tatsache, dass jemand anderer hatte verhindern müssen, dass ich meinen besten Freund erschoss. Und um mich davon irgendwie wieder abzulenken, erklärte mein Gefährte jetzt auch schnell weiter: „Zum anderen ist Winnetou genau in diesem Augenblick zum ersten Mal aufgrund seines schlechten Zustandes zusammengebrochen; und gerade als er in sich zusammensackte, fiel dein Schuss, streifte ihn aber nur noch oberflächlich an der Seite seiner Schulter!“ „Großer Gott!“, flüsterte ich betroffen, mir dabei die Hand vor dem Mund haltend. Der Doktor ergriff jetzt meine andere Hand und fuhr anstelle des Engländers fort: „Und noch etwas: Nicht nur Winnetous Schulter hattest du getroffen – die Kugel drang anschließend auch in den Hals des Tramps ein, der ihn festhielt, und tötete den Kerl auf der Stelle Aber – jetzt kommt das Wichtigste: Auch wenn diese beiden Dinge nicht geschehen wären – du hättest Winnetou eigentlich gar nicht tödlich treffen können, zumindest, wenn du genau gezielt hättest...“. Er bemerkte meinen jetzt äußerst verwirrten Blick und lächelte leise: „Ja, mein Freund – das Schicksal hat es wirklich definitiv anders gewollt: Der Lauf deines Revolvers hatte sich nämlich, wahrscheinlich in dem ganzen Kampfgetümmel, leicht verzogen, da er auf dem Boden gelegen hatte; er zeigt jetzt eine leichte Krümmung auf – hier, sieh selbst!“ Im gleichen Moment hielt er mir meine Waffe entgegen, und ich konnte sofort erkennen, dass er Recht hatte – mit dem Ding würde ich nie wieder geradeaus schießen können! Ich konnte es einfach nicht fassen. Was für ein unglaubliches Zusammentreffen gleich mehrerer Zufälle! Zufall? Nein, das war es nicht, das spürte ich in dem Augenblick ganz genau – da hatten ja wohl eher gleich mehrere Schutzengel über mich, vor allem aber über meinen Blutsbruder gewacht! Mit Schaudern dachte ich an seinen Blick, den letzten, den ich von Winnetou noch bewusst wahrgenommen hatte – ich sah ihn ganz deutlich vor mir, vor allem aber sah ich auch die Hoffnung und die Vorfreude darin.... Hatte ich mich etwa getäuscht? War es die Zuversicht auf ein Weiterleben gewesen, was ich da in Wirklichkeit in Winnetous Augen gesehen hatte? Oder hatte mein Freund, wie ich es in diesem Moment eigentlich auch geglaubt hatte, seinen Tod vor sich gesehen, ihn sogar mit einer gewissen Vorfreude begrüßt – und war er jetzt vielleicht sogar.... enttäuscht? Oder doch glücklich? Mein Blutsbruder hatte mir einmal gesagt, er sei sicher, dass er es rechtzeitig wissen würde, wenn sein Lebensweg dem Ende entgegen gehe. Hatte er dieses Ende jetzt wirklich gespürt und war dabei einem Irrtum auferlegen? Und warum hatte er mir dann vorher nichts gesagt, hatte uns keine Gelegenheit gegeben, dass wir uns in Ruhe und in Liebe voneinander verabschieden konnten? Weil er gleichzeitig meinte zu wissen, dass auch ich gehen würde? Oder weil er sich seiner Sache nicht sicher war? Oder war es in Wirklichkeit so, dass zwar alles in dieser scheinbar ausweglosen Situation danach ausgesehen hatte, als dass wir den nächsten Morgen nicht mehr erleben würden – mein Freund es aber deshalb nicht gespürt hatte, weil das Schicksal es noch gar nicht so wollte? Und ich – hatte mich nicht auch während meiner Bewusstlosigkeit solch ein grauenhaftes Gefühl gepackt, welches dann aber wieder verschwunden war? Hätte ich es nicht auch mit absoluter Sicherheit wissen müssen, wenn mein Winnetou gestorben wäre, aufgrund der unglaublich tiefen Verbundenheit, die zwischen uns war? Hätte dieses Gefühl also dann nicht weiter Bestand haben müssen? Ich konnte diesen Gedanken im Augenblick nicht weiter nachspüren, da jetzt Emery wieder das Wort ergriff: „Kaum lagt ihr beide bewusstlos am Boden, waren unsere Apatschen, die anderen Westmänner und die Soldaten auch schon über die Angreifer hergefallen. Doch so viel hatten wir da eigentlich gar nicht mehr zu tun - ihr hattet ja schon eine äußerst effiziente Vorarbeit geleistet, so dass es nicht mehr allzu viele Gegner waren, die es zu überwältigen galt.“ Der Engländer hatte natürlich meinen völlig erstaunten Blick bemerkt, als er die Soldaten erwähnte, und deshalb berichtete er jetzt auch ausführlich von den vergangenen Geschehnissen. Emery hatte sich mit den restlichen Gefährten aufgemacht, um, wie vorher beschrieben, die Kiowas samt Thomson und seinem weißen Begleiter zu verfolgen. Sie taten das, indem sie der wahrhaft gewaltigen Fährte nachgingen, die vor allem bei Tagesanbruch aufgrund der Vielzahl von Indianern, Weißen sowie über einhundert Pferden gar nicht zu verfehlen war. Es war dann aber mal wieder Tsain-tonkee, dem es aufgrund seines ausgezeichneten Spürsinns irgendwann auffiel, dass die Anzahl dieser Spuren nach und nach abnahm, so als ob sich immer mal wieder einige wenige Teilnehmer von der indianischen Karawane auf eine möglichst unauffällige Weise und an dafür günstigen Stellen entfernt hätten, zum Beispiel an Bachläufen. Es bedurfte schon der scharfen Augen eines Tsain-tonkee, um die winzigen Details erkennen zu können, die auf die Fährte der Abweichler hinwiesen. Und gerade weil das Ganze so nach und nach geschah, wäre es einem weniger aufmerksamen Beobachter wohl kaum aufgefallen – dank dem Mescalero aber wussten unsere Gefährten einige Zeit später, dass innerhalb eines Tages fast die Hälfte der Rothäute den Haupttrupp der Kiowas verlassen hatte. Natürlich war Tsain-tonkee zwischendurch vielen dieser abweichenden Fährten auch gefolgt, die nach einigen hundert Metern zum Glück wieder deutlich zu sehen gewesen waren – ab diesem Punkt waren sich die feindlichen Krieger wohl sicher gewesen, dass ihnen bis hierhin niemand gefolgt sein konnte. Und dann musste der Apatsche irgendwann zu seinem Entsetzen feststellen, dass die besagten Rothäute sich nach kurzer Zeit wieder zusammengefunden und auf den Weg zurück zur Festung gemacht hatten! Was nun? Alleine konnte er nichts ausrichten – also schnell zurück zu den Gefährten, um sie über die drohende Gefahr für uns Daheimgebliebene zu informieren. Spätestens ab diesen Moment war allen klar, dass das Ganze eine ausgeklügelte Falle darstellte. Um völlig sicher zu gehen, schlichen sich Firehand nebst Tsain-tonkee am Abend ganz nahe an die von ihnen weiterhin verfolgten Kiowas heran, um sie zu belauschen, und es gelang ihnen in der Tat, einen kleinen Einblick in den perfiden Plan der roten und weißen Verbrecher zu bekommen. Diese hatten vor, ihre Verfolger, von deren Existenz sie offenbar schon länger wussten, noch einen Tag lang in die Irre zu führen und sie dadurch auch noch weiter von der Festung weg und anschließend in eine Falle zu locken, sie gefangenzunehmen, den Großteil unserer Gefährten zu töten und nur die herausragendsten Westmänner wie Firehand, Surehand, Emery und Sam Hawkens als Geiseln zu nehmen. Danach wollte man mit dem abgetrennten Teil der Truppe wieder zusammentreffen, welcher kurz vor der Festung auf sie warten und in der Zwischenzeit nochmals intensivst den Eingang des Tales ausspionieren wollte, damit dann alle gleichzeitig die restlichen Bewohner überfallen und somit, notfalls mit Hilfe der Geiseln als Druckmittel, an Winnetou und sein Gold herankommen konnten. Übrigens wussten unsere Gegner zu diesem Zeitpunkt schon so ungefähr, wo sich der Eingang zur Festung befand, und das war folgendem Umstand geschuldet: Sie hatten vor wenigen Tagen in dessen Nähe einen der Pelzjäger entdeckt, der dort Wache geschoben hatte. Klugerweise wurde dieser von den Kiowas nicht sofort überwältigt und gefangen genommen, sondern weiterhin nur beobachtet. Dieser Jäger war übrigens Pete Muller, wie die Gefährten später herausfanden. Er hatte allerdings zu unserem Glück die Feinde nicht, natürlich unwissentlich, direkt zum Eingang geführt, sondern er ging gerade an diesem Tag weiter um das große Felsmassiv herum, um es von der anderen Seite zu überwachen. Auch dieser Weg war äußerst schwer zu finden und kaum einsehbar, dank des unvorsichtigen Pelzjägers aber wussten ab diesem Moment die Kiowas nun genau, wie man zu dieser Hangseite hinkam – und das hatte ihnen höchstwahrscheinlich auch später dabei geholfen, die uns umgebenden Talwände zu erklettern und den Überfall auf uns von oben herab einzuleiten! Unklar blieb mir allerdings an dieser Stelle von Emerys Bericht, ob die Kiowas zu dem Zeitpunkt, an dem ich meinen ersten Kundschaftergang am Morgen nach dem Aufbruch der Freunde angetreten hatte, schon vollständige Kenntnis über alle Möglichkeiten, in die Festung einzudringen, bekommen hatten. Ich hatte ja ein gutes Stück weit entfernt vom Tunnelausgang einen Kiowa beobachtet, der offenbar an der völlig falschen Stelle des gewaltigen Massivs einen Eingang zum Tal auszuspähen versucht hatte – doch mittlerweile konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass man den Mann einfach dort postiert hatte, um eventuelle Kundschafter aus der Festung über das wahre Wissen der Kiowas zu täuschen. Ich glaubte nicht daran, dass man mich damals entdeckt hatte – in diesem Fall hätten die Feinde mich sofort ergriffen und als Druckmittel gegen Winnetou eingesetzt, um an ihn und sein Gold zu gelangen. Unsere Freunde waren nun natürlich völlig entsetzt, als sie von dem Vorhaben der Gegner erfuhren und überlegten fieberhaft, wie sie die drohende Gefahr von uns noch abwenden könnten. Vor allem mussten sie sich erst einmal selbst in Sicherheit bringen, um nicht Opfer der wie auch immer gearteten Falle von den vor ihnen befindlichen Roten zu werden. Sie versteckten sich also in der Nacht, doch leider war das Glück nicht auf ihrer Seite. Wer letztendlich durch eine Unvorsichtigkeit die Aufmerksamkeit der umherstreifenden Späher der Kiowas auf sich gezogen hatte, blieb auf ewig ungeklärt – aber es führte dazu, dass unsere Gefährten kaum zwei Stunden später von den Rothäuten überfallen und gefangengenommen wurden! Trotzdem konnte man es Glück im Unglück nennen, dass die Kiowas ihre Gefangenen, bis auf ein paar mögliche Geiseln, nicht sofort töteten, ganz entgegen ihres Vorhabens, welches sie noch abends an ihrem Lagerfeuer geäußert hatten – nein, sie fühlten sich durch ihren überraschend schnellen Erfolg anscheinend schon so sicher, was das Gelingen ihres Unternehmens anbelangte, dass sie sich entschlossen, alle Gefangenen in einer großen Zeremonie in den nächsten Tagen an den Marterpfählen in ihrem Heimatdorf zu töten, und der absolute Höhepunkt dieser Veranstaltung sollte natürlich der Tod Winnetous sein, der sich über viele Stunden und Tage hinziehen sollte. Auch auf die Geiselnahme der Westmänner wurde verzichtet, da man zu der Überzeugung kam, dass ihnen diese auf dem Weg zurück nur hinderlich sein würden, da man davon ausging, dass die Männer alles dafür tun würden, um ihre Freiheit wiederzuerlangen oder zumindest die restlichen Bewohner der Festung irgendwie noch zu warnen. Sie ließen nur drei Krieger als Wachen bei den Gefangenen, die wie Pakete verschnürt an den Bäumen angebunden standen, vor Ort zurück und machten sich dann auf, dem anderen Teil der Truppe zu folgen und mit ihnen vor der Festung wieder zusammenzutreffen. Allerdings hatte niemand von ihnen gewusst, dass unsere Gruppe zu diesem Zeitpunkt gar nicht vollständig in ihrem Nachtlager versammelt gewesen war – Tsain-tonkee hatte sich nämlich kurz zuvor aufgemacht, das Lager nochmals zur Sicherheit zu umrunden. Er hatte natürlich die herannahenden Feinde bemerkt, sich sofort versteckt und erst einmal abgewartet, was als nächstes geschehen würde. Und jetzt, mit nur drei Bewachern, bot sich ihm natürlich eine überaus gute Gelegenheit, unsere Gefährten wieder zu befreien. Er stellte es klug an und überwand die doch recht aufmerksamen Posten trotzdem ohne Schwierigkeiten. Die Apatschen machten dann auch keine großartigen Umstände mehr: um sicherzugehen, dass von ihren drei Aufpassern nie wieder eine Gefahr ausgehen würde, wurden diese sofort getötet und noch an Ort und Stelle verscharrt. So schnell es ging, setzten sich die Freunde nun wieder auf die Spur ihrer Bezwinger, in der Hoffnung, sie noch vor der Festung und auch möglichst noch vor deren Zusammentreffen mit der anderen Hälfte der Rothäute einzuholen und eventuell auch direkt auszuschalten. Dadurch wäre es deutlich einfacher geworden, die Hundertschaft der Kiowas zu überwältigen, wenn man erst den einen und danach den anderen Teil überwinden könnte. Doch es sollte anders kommen. Aufgrund der fehlenden Helligkeit gelang es den Verfolgern einfach nicht, schleunigst nahe genug an ihre Gegner heranzukommen. Auch als es schon Tag wurde, kamen die Freunde nicht schnell genug voran - man durfte ja nicht einfach blindlings in Richtung des gemeinsamen Ziels losrennen, sondern musste sich ständig vergewissern, dass man sich immer noch hinter den Indianern befand und nicht aus Versehen von deren Kundschafter entdeckt wurde; immerhin war ihre Anzahl insgesamt ja mehr als dreimal so groß wie die unserer Gefährten. Und erst als die sich am frühen Nachmittag schon in unmittelbarer Nähe der Festung befanden, konnten sie den ersten Posten der Kiowas entdecken, daher schwand auch die Hoffnung ganz schnell, die Gegner noch irgendwie aufhalten zu können. Mühsam mussten sich die Gefährten jetzt so nahe wie möglich an die Feinde heranschleichen und sich dabei strategisch klug verteilen, und als ihnen all das gelungen war, stellten sie zu ihrem Schrecken fest, dass ein Teil der Indianer offenbar den versteckten Pfad zur hinteren Talwand der Festung entdeckt hatte und die Rothäute nun auch schon im Begriff standen, diese für sie völlig unbekannte Gegend zu erforschen, um sie irgendwann für den geplanten Überfall nutzen zu können! Und am späten Nachmittag dann geschah nahe des Tunnelausganges etwas Unglaubliches, von dem Surehand sowie Emery Zeugen wurden, da sie sich gerade dort in der unmittelbaren Umgebung befanden. Mit einem Male waren ein, zwei, nein, sogar drei Mitglieder der Butterfield-Familie zu sehen, unter anderem sogar der Älteste, George Butterfield, die alle tief gebückt das dichte Gebüsch ringsherum durchsuchten, wonach, konnten die Westmänner nicht feststellen und natürlich auch nicht wissen. Fassungslos beobachteten die beiden die leichtsinnigen Männer und überlegten fieberhaft, wie sie die Jünglinge warnen und von dort weg scheuchen könnten, ohne die Aufmerksamkeit der Belagerer auf sich zu ziehen, aber es war schon zu spät. Gerade in diesem Moment konnte Emery ganz kurz den Kopf eines Kiowa zwischen den Büschen an einem Felsabsatz entdecken, und somit war klar, dass ab diesem Augenblick auch dieser Zugang zur Festung nicht mehr sicher war. Tief in das Gebüsch geduckt beobachteten die Freunde noch eine Weile das Geschehen, aber keiner der Kiowas gab sich zu erkennen oder machte Anstalten, die Butterfields zu überfallen, die sich nach einer Weile schließlich wieder in das Versteck zurück zogen. Sie waren die ganze Zeit über erstaunlich leise geblieben, nur etwas Rascheln und Knacken von Büschen und Gezweig war zu hören gewesen. Doch kurz bevor sie den Rückweg antraten, riss einer von ihnen seine Hand hoch, in der er ein Bündel Grünzeug hielt, und konnte dabei einen leisen freudigen Ruf nicht mehr unterdrücken. Auch die anderen, die zwar still geblieben waren, schlugen sich vor Begeisterung gegenseitig auf die Schultern und strahlten dabei übers ganze Gesicht. Old Surehand und Emery, die natürlich überhaupt nicht verstanden, was die Wahnsinnigen da trieben, konnten nur noch den Kopf schütteln über so viel Unverstand. Doch ausrichten konnten sie nichts mehr, und jetzt galt es auch schleunigst die Gefährten zu benachrichtigen, um zu überlegen, was man nun tun sollte, um gegen diese Übermacht anzukommen, die zudem noch alle Vorteile in der Hand hatte. Man traf sich in einem sicheren Versteck unweit der Festung und beratschlagte eine Weile. Firehand erwähnte dabei, dass er sich schon in früheren Zeiten so seine Gedanken gemacht habe, wie man das Tal im Falle einer Entdeckung verteidigen könnte, und er hatte daher auch einige Vorbereitungen für den Notfall getroffen. In mehreren versteckten Lagern auf halber Höhe der äußeren Hangseiten hatte er große Rollen getrockneten Buschwerks gesammelt und zusammengebunden, die man angezündet als riesige Feuerbälle den Hang ins Tal herunterrollen lassen könnte, um die Feinde abzulenken und unter ihnen ordentlich Verwirrung zu stiften. Er hatte von diesen vorbereiteten Maßnahmen übrigens auch schon vor einigen Tagen zu Emery und Surehand gesprochen, die ja beide vorher noch nie die Festung besucht hatten, aber das war wohl gerade immer dann geschehen, wenn ich mit Winnetous Pflege beschäftigt gewesen war, so dass ich letztendlich von dieser Sache noch gar nichts wusste. Natürlich war solch ein Überraschungsangriff von großem Vorteil, aber er konnte leider erst dann erfolgen, wenn die Gegner ihrerseits schon mit einem Überfall auf das Tal begonnen hatten. Vorher würde man ihrer nämlich niemals zusammen habhaft werden können, da sie sich ständig in Bewegung befanden und sich um das ganze Felsmassiv verteilt hatten. Die Frage war, wie lange der Überraschungsmoment anhalten würde, bevor die Kiowas den Vorteil ihrer Übermacht wieder voll ausschöpfen würden? Gerade die vier Westmänner, aber auch die neun Apatschen waren in größter Sorge um uns, vor allem um Winnetou, der einem Kampf ja noch gar nicht gewachsen war! Und dann hatte Sam Hawkens mit einem Male endlich die rettende Idee! „Es besteht vielleicht die Möglichkeit, einige Soldaten herbeizuholen – sofern sich diese noch in Farmington aufhalten....“ begann er zögernd. Alle Köpfe fuhren zu ihm herum, und Surehand fragte, fast schon fassungslos: „Soldaten? Welche Soldaten?“ Und Sam berichtete, was damals in der Aufregung wegen Winnetous schlechtem Zustand völlig vergessen worden war, als er in einem wahren Gewaltritt in die Stadt geritten war, um Hilfe für den schwer verletzten Apatschenhäuptling zu holen. Gerade zu diesem Zeitpunkt hatte sich nämlich in Farmington ein großer Trupp von etwa siebzig Soldaten aus Fort Summer aufgehalten – und jetzt erinnerte sich auch Tsain-tonkee an diese Gruppe, der er damals kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Zur Erinnerung: Einige Wochen zuvor hatten Emery, Winnetou und ich nebst Tsain-tonkee und den zehn Apatschen zwei der Butterfields in das Fort begleitet, die wir kurz zuvor aus den Händen der damals Thomson umgebenden Ganoven befreit hatten. Dabei waren bis auf Thomson und einen seiner Kumpane alle Gangster von uns gefangen genommen worden, und diese hatte unsere Gruppe anschließend zu den Soldaten geschleppt, um sie dort von einem Militärgericht aburteilen zu lassen. Die Entscheidung war nun schnell getroffen – irgendjemand musste sich schleunigst auf den Weg machen und versuchen, die Soldaten entweder in der Stadt oder in der näheren Umgebung ausfindig zu machen und sie um Hilfe bitten. Dass uns allen diese Hilfe nicht verwehrt werden würde, dessen war sich Emery mehr als sicher, hatte doch der Kommandant des Forts, der Winnetou sehr verehrte, damals fest zugesichert, dass er ihm jede erdenkliche Unterstützung bieten würde, sollte sie der Apatschenhäuptling irgendwann einmal einfordern. Dass sich jetzt ausgerechnet von Fort Summer eine Delegation in Farmington befunden hatte, konnte man eigentlich nur als Wink des Schicksals betrachten, denn wenn die Soldaten noch rechtzeitig Hilfe brachten, dann konnte man sicher sein, dass man den feindlichen Kriegern den Garaus machen würde. Und somit wurde unser guter Sam Hawkens ein weiteres Mal dazu auserkoren, sich wieder auf den Weg in die Stadt zu machen, gerade weil er diesen von allen Weißen am besten kannte. Sicher hätte man auch einen der Apatschen, die uns damals in das Fort begleitet hatten, als Bote schicken können, aber ob die führenden Militärs auf dessen Hilferuf genauso schnell reagiert hätten, als wenn er von einem Weißen erfolgt wäre? Sam war natürlich ganz und gar nicht begeistert gewesen von der Tatsache, eventuell bei der entscheidenden Schlacht nicht dabei sein zu können, aber er fügte sich ins Unvermeidliche und machte sich sofort auf den Weg. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich einigermaßen aufmerksam zuhören können, mich jedoch im Unterbewusstsein weiterhin mit Winnetou beschäftigt, und jetzt wurde mein Geist auch mehr und mehr von der quälenden Frage abgelenkt, warum mein Freund eigentlich so reglos und offenkundig gesundheitlich stark beeinträchtigt dort nebenan auf der Bettstatt lag? Was hatte Hendrick damit gemeint, als er vorhin erwähnte, er hätte den Apatschen erst einmal ruhiggestellt, damit der auch weiterhin überleben würde? Und dann fiel mir noch ein weiteres Detail von dem Kampf ein: Thomson war aufgetaucht, hatte in die Luft geschossen und dabei die recht große Anzahl Kiowas, mit denen Winnetou und ich gekämpft hatten, auseinander gescheucht. Allerdings nutzten diese dann auch sofort meinen kurzen Überraschungsmoment, um mich von hinten wieder zu ergreifen – ganz anders Winnetou, der unermüdlich den Kampf weiter fortführte. Doch dann war auch er brutal gestoppt worden – nämlich als von irgendwoher ein Schuss fiel. Ich hatte damals nicht viel sehen können, musste aber zu meinem großen Schrecken feststellen, dass der Apatsche offensichtlich das Bewusstsein verloren hatte und nun regungslos und am Kopf blutend in den brutalen Griffen der weißen Banditen gehangen hatte. Unvergessen war mir ebenfalls noch der erschrockene Aufschrei Thomsons geblieben, der mehr als wütend seine Kameraden angeschrien hatte, dass er den Häuptling noch lebend bräuchte! Was war da nur geschehen? Sicher, Winnetou hatte kurze Zeit später seine Besinnung wiedererlangt, spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich meine Waffe auf ihn..... Nein! Nein - weiter wollte ich darüber nicht nachdenken, auf keinen Fall; die folgende schreckliche Szene hatte sich auch so schon deutlich genug in meinem Kopf eingebrannt. Aber mein Blutsbruder war mit großer Wahrscheinlichkeit von dem ersten Schuss ein weiteres Mal verletzt worden – nur, wie schwer mochte diese neuerliche Verwundung gewesen sein? Jetzt wurde es mir wirklich unmöglich, Emerys Bericht weiter zu folgen, also unterbrach ich ihn hier, indem ich die Hand des Doktors ergriff und ihn leise und immer noch krächzend fragte: „Walter – Winnetou geht es nicht gut, richtig?“ Fast schon erschrocken sah Hendrick auf mich herab - offenbar hatte er nicht damit gerechnet, mir über den Gesundheitszustand meines Freundes so schnell Rede und Antwort stehen zu müssen; viel eher hatte er wohl angenommen, dass ich von Emery's Erzählung völlig eingefangen worden wäre. Er begann daher auch etwas verwirrt herumzudrucksen, doch als mein bohrender Blick weiterhin fordernd auf ihm ruhte, fasste er sich ein Herz und versuchte, mir folgende Erklärung möglichst schonend beizubringen: „Ach, mein Freund – was soll ich nur sagen? Es ist leider das eingetreten, was ich befürchtet und auch mehrmals angemahnt habe!“ Mein hochgradig erschrockener Blick sorgte dafür, dass er sich an dieser Stelle unterbrach und erst einmal einen fast schon hilflosen Versuch wagte, meine aufkommende Angst um den Apatschen zu schmälern. „Aber, Charlie – eines musst du mir glauben: Im Augenblick geht es unserem Freund einigermaßen gut, und da wir wohl auf lange Zeit keine Gefahr mehr zu befürchten haben, so dass überhaupt kein Grund mehr besteht, dass er sich in irgend einer Weise noch anstrengen müsste, wird das vorerst – hoffentlich – auch so bleiben!“ Ich nickte stumm, hielt aber meinen Blick weiterhin unverwandt auf ihn gerichtet. Hendrick jedoch sprach nicht weiter, so dass ich ihn schließlich mit Nachdruck an meine Frage erinnerte: „Jetzt rede endlich mit mir – was ist mit Winnetou geschehen?“ Der Gefragte seufzte leise, wusste er doch genau, dass er keine Wahl hatte. Kapitel 34: Herzbeben im Kampfgetümmel -------------------------------------- Der Doktor begann also, wenn auch recht zögerlich, mit seiner Erklärung: „Also gut. Du weißt, dass mir keine andere Möglichkeit geblieben war, dich daran zu hindern, auf Winnetou zu schießen, als die, dir einen Stein an den Kopf zu werfen – und ich wundere mich in der Tat immer noch darüber, wie ich aus der Entfernung überhaupt hatte treffen können...“ Walter bemerkte jetzt das leise Lächeln, welches ich nicht vollständig unterdrücken konnte und das der Vorstellung geschuldet war, dass ich ausgerechnet von unserem Wohltäter, der zudem bisher nicht gerade mit großartigen Techniken im Nahkampf aufgefallen war, außer Gefecht gesetzt worden war, und das sogar auf eine recht schmerzhafte und langwierige Weise! Ob Walter mein Lächeln auf eine andere Weise deutete, weiß ich nicht, jedenfalls begann er mit einem Male, sich mehrmals und recht umständlich für seine Tat bei mir zu entschuldigen, woraufhin ich – zum ersten Mal seit längerer Zeit – ein kurzes, heiteres Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Es dauerte dann auch eine Weile, bis ich ihm glaubhaft versichern konnte, dass ich ihm in keinster Weise böse war und ihm eher ein Leben lang meinen Dank schuldig sein würde, dass er mich an meinem fürchterlichen Vorhaben noch hatte hindern können! Doch schnell wurde ich wieder ernst und bestand darauf, dass er mir jetzt endlich reinen Wein über Winnetous Zustand einschenken sollte, und so begann er erneut: „Du brachst also bewusstlos zusammen, hast aber dennoch Winnetou an der Schulter getroffen. Im gleichen Augenblick ist dann auch er in sich zusammengesackt, und das lag natürlich an nichts anderem als daran, dass er sich in den vorangegangenen Kämpfen unglaublich verausgabt und dabei auch mehrfach kleinere, teils aber auch mittelschwere Verletzungen davongetragen hatte. Ich kann dir eigentlich auch gar nicht genau sagen, wie dass alles überhaupt vonstattengegangen war; ich weiß nur noch, dass der eine Bandit, der den Apatschen festgehalten hatte, durch genau diese eine Kugel von dir ebenfalls getroffen wurde, und zwar tödlich. Was mit den anderen drumherum geschah, den roten wie den weißen Feinden, insbesondere Thomson, habe ich überhaupt nicht mehr mitbekommen, weil ab diesem Zeitpunkt meine Aufmerksamkeit nur noch euch beiden gegolten hatte. Ich rannte also quer durch Freund und Feind hindurch - frag mich nicht, wie ich da ohne Blessuren durchgekommen bin - langte zuerst bei dir an, überzeugte mich kurz, dass noch Leben in dir war – und du ahnst ja gar nicht, wie heilfroh ich war, dass ich dich durch meine Verzweiflungstat nicht tödlich getroffen hatte!“ Hier stockte unser Doktor kurz; die Erinnerungen an jene schrecklichen Minuten nagten noch immer an seinem Seelenfrieden, das war deutlich zu sehen. Beruhigend legte ich meine Hand auf die seinige und ermunterte ihn somit, weiterzusprechen, was er auch schließlich tat: „Winnetou lag ebenfalls bewusstlos am Boden, und zum Glück waren seine unmittelbaren Gegner in diesem Augenblick in heftige Kämpfe mit unseren Freunden hier verwickelt, so dass niemand der Dreckskerle mehr dazu kam oder sich darauf besinnen konnte, ihn hochzureißen und als Geisel zu missbrauchen. Eine kurze Untersuchung meinerseits bestätigte leider meinen Verdacht, dass die gnadenlose Überanstrengung zu seiner Ohnmacht geführt hatte – ja, und dann, gerade in diesem Augenblick, wurde es noch viel schlimmer, denn sein Herz konnte die ganzen Strapazen letztendlich einfach nicht mehr verkraften – und versagte! Es erforderte viel Kraft und dauerte auch eine Weile, aber eine gefühlte Ewigkeit später konnte ich ihn dann doch noch wiederbeleben – allerdings war das ganz schön knapp!“ Mit steigendem Entsetzen war ich Hendricks letzten Worten gefolgt und hatte mich dabei wieder unbewusst auf die Ellbogen hochgestemmt, so dass Emery sofort zugriff und mich ein weiteres Mal zurück in die Felle drückte. „Bleib ruhig, sonst macht unser Doktor doch noch von seinen Mittelchen Gebrauch!“, warnte er mich mit ernster Stimme. „Im Moment geht es deinem Freund ganz gut, es gibt also keinen Grund zur Sorge. Doch vielleicht ist es besser, wenn du ihm den Rest später erzählst!“ Den letzten Satz hatte der Engländer an Hendrick gerichtet, erreichte damit allerdings nur, dass ich mich jetzt erst recht aufregte: „NEIN! Ich will nun endlich genau wissen, was meinem Freund geschehen ist, Himmel Herrgott noch mal! Also, wenn ihr es mir nicht sagen wollt, dann...“ Mit diesen Worten hatte ich schon meine Decke zurückgeschlagen, kam aber natürlich nicht weiter, da meine beiden Gefährten mir im Augenblick an Kraft nun mal deutlich überlegen waren und diesen Umstand auch gnadenlos ausnutzten. „Charlie! Ich erzähle dir ja alles, aber nur, wenn du endlich liegen bleibst! Du tust dir und somit auch deinem Blutsbruder keinen Gefallen, wenn sich dein Zustand wieder verschlechtert. Er braucht dich jetzt – die kommenden Wochen werden schwer genug für ihn!“ Ja, nahmen denn die schlechten Nachrichten im Augenblick gar kein Ende? Doch ich sah ein, dass mir im Moment nichts anderes übrig blieb, als mich in Geduld zu üben, also versuchte ich meiner Erregung irgendwie wieder Herr zu werden und sah Walter abermals erwartungsvoll an. Er nickte und meinte: „Gut so! Und glaube mir, mein Freund – wenn zurzeit eine akute Gefahr für unseren Häuptling hier bestehen würde, wäre ich der erste, der keine Ruhe mehr finden würde! Doch nun zurück zu den letzten Geschehnissen: Während meiner Bemühungen um Winnetou ebbten die Kampfhandlungen um mich herum wohl relativ schnell ab, obwohl ich davon auch jetzt überhaupt nichts mitbekam. Innerhalb kürzester Zeit aber hatten einige unserer Freunde registriert, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte und begaben sich deshalb nun sehr schnell an unsere Seite. Die verletzten und überwältigten Schurken konnten wir ja getrost den Soldaten überlassen, die deutlich in der Überzahl waren. Als es mir dann zu unserer großen Erleichterung gelungen war, den Apatschen zumindest einigermaßen zu stabilisieren, war die Erleichterung bei uns allen natürlich riesengroß, das kannst du dir ja wahrscheinlich sehr gut vorstellen. Anschließend trugen wir ihn und natürlich auch dich vorsichtig hier in die Kammer, um euch weiter versorgen zu können. Für Tsain-tonkee und mich gab es dann auch erst einmal mehr als genug zu tun. Beide habt ihr mehrere Stich- und Schnittverletzungen davongetragen, Winnetou noch ein wenig mehr, da er ja bis zum bitteren Ende, also bis er angeschossen wurde, gekämpft hatte. Es waren – wir haben es nachher rekonstruiert – ungefähr vierzehn bis an die Zähne bewaffnete Gegner gewesen, denen ihr euch fast gleichzeitig im Nahkampf gestellt hattet, und keiner unserer Gefährten kann sich bis heute erklären, wie ihr diesen so lange standhalten konntet – ich natürlich erst recht nicht, für mich ist das Ganze einfach unbegreiflich!“ Walter schüttelte jetzt auch kurz ungläubig den Kopf, bevor er weiter sprach: „Dieser besagte Schuss hatte unseren Freund an die Stirn getroffen – ein Streifschuss also - und ihm für kurze Zeit das Bewusstsein geraubt. Insgesamt hat er durch all die Verletzungen auch wieder recht viel Blut verloren, und da er ja vor dem Kampf alles andere als gesund gewesen war, sich eigentlich überhaupt nicht hätte viel bewegen dürfen, hatten wir besonders mit ihm einige Mühe. Doch während es ihm dann doch glücklicherweise allmählich besser zu gehen schien, wurde dein Zustand recht schnell kritisch. Du hattest dir ja auch einige Verletzungen eingefangen, die zwar alle für sich gesehen nicht sehr gefährlich waren, in der Summe aber schon Probleme verursachen konnten, zumal man dich auch noch fast erwürgt hatte – dazu hat übrigens wirklich nicht mehr viel gefehlt! Außerdem war da noch die massive Blutung, die die Kopfwunde verursacht hatte, verbunden mit einer ordentlichen Gehirnerschütterung. Das alles hätte ich trotzdem wohl ohne großartige Schwierigkeiten wieder in den Griff bekommen – doch das Schlangengift befand sich nun mal immer noch in deinem Körper, und da du an diesem besagten Tag, anstatt dich im Kampf völlig zu verausgaben, eigentlich hättest ruhig liegen bleiben und noch einige Male den Trank aus der Heilpflanze zu dir nehmen sollen, begann nun innerhalb zweier Tage ganz allmählich, aufgrund all dieser Belastungen, dein Immunsystem zu versagen!“ Walter stockte kurz, und an Emerys Gesichtsausdruck konnte ich unschwer erkennen, dass er sich in der letzten Zeit wirklich große Sorgen gemacht haben musste. Doch schon fuhr der Arzt wieder fort: „Winnetou hatte mittlerweile einen ganzen Tag und eine Nacht durchgeschlafen, und als er am späten Vormittag erwachte, schien es ihm deutlich besser zu gehen; der Streifschuss an der Schläfe begann, gut zu verheilen und schien ihn auch nicht mehr sonderlich zu stören. Natürlich hätte ich dennoch darauf bestehen sollen, dass er liegen bleibt und weiterhin strengste Bettruhe einhält, aber da es dir von Stunde zu Stunde schlechter erging, galt meine Aufmerksamkeit in dieser Zeit verständlicherweise vor allem dir....“ Da Walter bisher nicht auf einen ganz bestimmten Umstand eingegangen war, unterbrach ich ihn hier abermals und kam direkt darauf zu sprechen: „Winnetous angebrochene Rippe – hat der Kampf diese Verletzung nicht noch verschlimmert? War sie der Grund für den Herzstillstand?“ „Nein, mein Freund“, antwortete Hendrick auch sofort. „In dieser Hinsicht brauchst du keine Sorge zu haben, Charlie! Ich hätte das niemals geglaubt – aber der Bastverband von Tsain-tonkee hat die Rippe so gut geschützt, dass man meinen könnte, dein Freund hätte sich in all der Zeit so gut wie gar nicht bewegt! Diese Methode werde ich in Zukunft definitiv übernehmen....Gut, soweit dazu, aber jetzt weiter: Winnetou hatte natürlich innerhalb weniger Minuten die ganze Lage überblickt; ihn hätte also sowieso nichts mehr auf seinem Lager halten können. Er machte sich erst einmal ein Bild von deinem Zustand, und danach half erst recht nichts mehr, weder Ermahnungen noch freundliche Bitten – kurze Zeit später war er schon draußen unterwegs, um Pflanzen und Kräuter zu sammeln, die dir Hilfe bringen sollten. Manche davon wuchsen weiter entfernt, also auch außerhalb der Festung, und das Einzige, was er noch zuließ in seiner Angst, dich zu verlieren, war, dass Tsain-tonkee ihn begleitete, um ihn im Notfall zu unterstützen und ihm bei seiner Suche zu helfen. Es dauerte dann auch mehrere Stunden, bevor die beiden die notwendigen Kräuter zusammen hatten. Schon kurz nach ihrer Rückkehr ist mir allerdings so manch besorgter Blick aufgefallen, den Tsain-tonkee immer wieder seinem Häuptling zugeworfen hatte, aber ich war weiterhin nur auf deinen schlechten Zustand fixiert und maß dem daher nicht so viel Bedeutung bei, wie ich es eigentlich hätte tun sollen. Winnetou ließ sich ab jetzt auch gar nicht mehr helfen. Er wollte auf keinen Fall jemand anderem die Verantwortung für deine Heilung übertragen, wollte sichergehen, dass sämtliche Handlungen mit peinlich genauer Sorgfalt durchgeführt wurden - selbst Tsain-tonkees Hilfe nahm er nicht mehr an! Dieser jedoch versuchte zwischendurch offenbar immer wieder, ihn zum Ausruhen zu bewegen, ihm klar zu machen, dass er alles andere als gesund war – vergeblich! Es half einfach gar nichts; Winnetou blockte ihn jedes Mal schnell ab, vor allem dann, wenn ich in der Nähe war.... er wollte mit Sicherheit keinem von uns einen Grund zur Beunruhigung geben. Er blieb weiterhin ständig an deiner Seite, überwachte jeden einzelnen Schritt der Behandlung und Pflege, und am Nachmittag des dritten Tages wurden seine Bemühungen dann endlich auch vom Erfolg gekrönt. Dir ging es zu diesem Zeitpunkt mit einem Mal deutlich besser, und wir waren uns schnell einig, dass ab jetzt tatsächlich keine Lebensgefahr mehr bestand. Trotzdem ließ dein Freund sich nicht überreden, nun ebenfalls einmal auszuruhen, obwohl auch mir mittlerweile bewusst geworden war, dass er immer schlechter aussah und ich ihn deshalb fast schon nötigte, seinem Körper endlich die dringend notwendige Ruhe zu gönnen! Ja - und am späten Abend rächte sich dieses Verhalten dann endgültig. Er brach ein zweites Mal zusammen, sein Herz stand ein zweites Mal still, und nur mit vereinten Kräften konnten Tsain-tonkee und ich ihn nochmals zurück ins Leben holen. Mittlerweile steht fest, dass sich ein Herzmuskel sogar schon entzündet hat, wenn auch bisher nur leicht; außerdem fiebert er seitdem, zwar nicht allzu heftig, dafür aber ständig - und daher gilt ab jetzt nur eine einzige Regel: Absolute Ruhe! Du weißt ebenso wie ich, wie schwer ihm das Einhalten dieser Regel immer fällt, also habe ich erst einmal ordentlich nachgeholfen, damit er sich selbst in keine gefährlichen Situationen mehr manövrieren kann – und das wird mit Sicherheit bis auf Weiteres auch so bleiben!“ Walter hatte seinen Bericht beendet, doch ich war außerstande, mich dazu im Augenblick irgendwie zu äußern. Völlig geschockt starrte ich den Doktor lange an, drehte dann den Kopf zur Seite, in der Hoffnung, einen weiteren Blick auf Winnetou werfen zu können, doch dazu hätte ich mich aufrichten müssen – und schon der Versuch wurde von meinen Freunden sofort wieder unterbunden. Das grauenhafte Gefühl kam wieder in mir hoch, welches ich auch schon während meiner langen Bewusstlosigkeit verspürt hatte – und jetzt wusste ich auch, dass es kein Traum gewesen war, als ich um mich herum lautes Rufen gehört hatte, wusste, warum die Luft damals angefüllt schien von Entsetzen und Panik, warum ein fürchterlicher Druck meinen Brustkorb damals zu sprengen drohte und ich nur noch flehentlich denken konnte: „Bitte bleib – nicht weitergehen....“ Das musste der Moment gewesen sein, in dem die Freunde ein weiteres Mal um Winnetous Leben hatten kämpfen müssen! Ich spürte, wie sich mein Herz krampfhaft zusammenzog, einerseits vor Mitleid mit meinem geliebten Blutsbruder, andererseits aber vor allem deshalb, weil in mir wieder ein so grässliches Gefühl der Angst hoch kroch, dass es fast schon körperlich weh tat. Für Winnetou bestand Lebensgefahr – und das würde sich so schnell auch nicht ändern, soviel war sicher. Was er nicht nur jetzt, sondern auch in den nächsten Monaten dringend benötigte, war vor allem und in erster Linie Ruhe, körperlicher wie geistiger Natur. Hier im Westen, in einer der gefährlichsten Gegenden der Vereinigten Staaten und darüber hinaus, würde es niemals gelingen, ihm diese Ruhe zukommen zu lassen. Und selbst seine Mescaleros, die natürlich alles für ihren geliebten Häuptling taten, was in ihrer Macht stand, würden nicht verhindern können, dass er sich mit Leib und Leben wieder für ihre Belange einsetzen würde, sobald er wieder die Notwendigkeit dafür sähe. Mein Blutsbruder hatte sein ganzes Leben seinem hochgradig verantwortungsvollen Amt als Oberhäuptling aller Apatschen untergeordnet, und gerade jetzt, in diesen unruhigen Zeiten, wo der weiße Mann immer mehr von dem Land der Indianer für sich beanspruchte, wo durch den Bürgerkrieg vertriebene Tramps und Desperados die Gegenden hier unsicher machten, da wurde seine Klugheit, seine Weitsicht, seine Menschlichkeit und natürlich seine kriegerischen Fähigkeiten über alle Maßen gebraucht. Ja, fast würde ich sagen, dass das Volk der Apatschen auf ihn angewiesen war! Natürlich gab es auch unter ihm äußerst fähige Männer, die ihn kurzzeitig vertreten konnten, ganz wenige, wie zum Beispiel Entschah-koh, auch für längere Zeit – aber das war auf die Dauer nicht dasselbe, als wenn Winnetou seine Aufgaben wahrnahm, denn dieser Mann besaß eine solch machtvolle Aura, dass sich Freund wie Feind ihr nur ganz schlecht entziehen konnten. Außerdem war er äußerst verantwortungsbewusst und überließ daher nur sehr ungern wichtige Aufgaben seinen Vertretern, da er dann immer das Gefühl hatte, sich letztendlich doch aus der Verantwortung gestohlen zu haben. Und somit war sicher: Sobald sich mein Freund wieder besser fühlen würde – unabhängig davon, ob es ihm tatsächlich auch besser ging – wäre er mit Sicherheit nicht mehr zu halten; es würde ihn so rasch wie möglich wieder zu seinem Volk zurückziehen, um ihm als oberster Anführer zu dienen und es möglichst unversehrt in die neue Zeit zu führen. Vielleicht hatte ich ja tatsächlich noch so viel Einfluss auf ihn, dass ich seinen Eifer vorübergehend zu dämpfen vermochte; vielleicht würde er meiner Bitte, sich zu mäßigen, zumindest in der ersten Zeit nachkommen – aber niemals für ein halbes Jahr, geschweige denn für ein ganzes! Und so lange würde es wahrscheinlich dauern, bis sein Körper sich wieder vollständig erholt hatte und auch die Gefahr einer chronischen Herzerkrankung gebannt war. Und sobald wieder ernsthafte Probleme in Winnetous großem Einflussbereich auftauchen sollten, würde auch ich ihn nicht mehr halten können, egal, wie wenig Zeit bis dahin erst vergangen war. Dieses Wissen um eine Situation, die eigentlich nur noch einen Ausweg zuließ, brachte mich jetzt innerhalb weniger Minuten dazu, meine Gedanken, die ich mir schon vor Tagen, ja, sogar Wochen zu diesem Thema gemacht hatte, zu einem Vorhaben zu bündeln – und ich war in diesem Augenblick fest entschlossen, diesen Plan auch rasch und konsequent durchzusetzen. Jetzt kam es vor allem darauf an, meinen Winnetou hier lebend herauszubringen, nicht nur aus diesem Tal, sondern generell aus der für ihn so gefährlichen Gegend. Ich musste dafür nur noch seine Zustimmung bekommen. Emery und Walter hatten mich während dieser kurzen Zeit, in der ich so in Gedanken versunken war, recht besorgt beobachtet, fürchteten sie doch weiterhin einen nochmaligen emotionalen Ausbruch meinerseits. Doch nachdem mein Entschluss festgestanden hatte, spürte ich, wie ich innerlich nach und nach ruhiger wurde. Hendrick hatte mir versichert, dass für meinem Freund, zumindest im Augenblick, keine akute Gefahr bestand, und ich wusste, dass ich dem Doktor da vollkommen vertrauen konnte. Winnetou schlief zurzeit tief und fest und bekam daher überhaupt nichts mit, es stand also nicht zu befürchten, dass er sich aufgrund seines enormen Verantwortungsbewusstseins im Moment selbst gefährden konnte. Allerdings ging es mir augenblicklich nicht viel besser, zumindest was meine Entscheidungsfreiheit in Bezug auf meinen Bewegungsdrang anging. Doch das Liegenbleiben fiel mir gerade sogar ziemlich leicht, da ich immer noch hämmernde Kopfschmerzen verspürte, auch eine allgemeine Schwäche des Körpers konnte ich nicht verleugnen. Gut, dachte ich deshalb so bei mir, da ich im Augenblick körperlich nichts Vernünftiges für unsere Gesellschaft beitragen konnte, dann vielleicht ein wenig in geistiger Hinsicht – aber dazu musste ich natürlich wissen, was genau sich alles in der letzten Zeit ereignet hatte, damit ich wieder über den gleichen Informationsstand verfügte wie meine Gefährten. Daher sah ich jetzt meine beiden selbsternannten Bewacher nacheinander ruhig an, doch bevor ich sie weiter ausfragen konnte, wollte ich mich lieber noch einmal vergewissern und sprach deshalb Walter an: „Du sagst, für Winnetou bestehe im Moment keine akute Lebensgefahr?“ „Richtig“, bestätigte dieser nickend. „Das heißt also, dass wir im Augenblick nicht in ständiger Sorge leben müssen, dass sich so ein Herzstillstand jetzt noch einmal wiederholt?“ Nun zögerte der Doktor kurz und meinte dann: „Ich kann es natürlich nicht hundertprozentig ausschließen – aber nein, nach meinem Ermessen können wir im Augenblick recht beruhigt sein!“ Offen sah er mir dabei ins Gesicht, und ich konnte spüren, dass er mir die volle Wahrheit sagte. Jetzt erst war ich wirklich beruhigt und wandte mich daher an Emery: „Mein Freund – würdest du mir denn nun erzählen, wie genau sich der ganze Kampf hier im Tal abgespielt hat? Ich möchte auch auf jeden Fall wissen: Woher kamen auf einmal all die Weißen, die sich in Thomsons Begleitung befanden? Und vor allem: Was ist mit Thomson geschehen? Und noch viel wichtiger: Gab es auf unserer Seite weitere Verletzte oder sogar Tote? Kannst du mir das alles beantworten?“ „Natürlich!“, nickte der Engländer sofort, doch bevor er beginnen konnte, fiel mir noch etwas ein: „Sagt einmal, ihr beiden – wie viel Zeit ist seit der Nacht des Überfalls eigentlich vergangen?“ Mit dieser Frage hatte ich die Gefährten jetzt wohl etwas überrascht, denn sie sahen sich einen Augenblick lang etwas betreten an und zögerten merklich mit der Antwort. „Nun?“, drängte ich daher mit fordernder Stimme, und deshalb fasste sich der Doktor auch als Erster ein Herz: „Nun ja – genau genommen sind es jetzt fast sechs Tage....“ druckste er herum. „Wie bitte?“ Fast schon erschrocken sah ich den Arzt an. „So lange ist das schon her? Oder hast du da etwa auch nachgeholfen?“ Da Walter mir kurz nach dem Biss der Schlange am Vortag des Überfalls schon einmal diverse Medikamente verpasst hatte, die nicht unbedingt nötig waren, traute ich ihm diese Maßnahmen jetzt auch ohne Weiteres zu. „Nein, nein!“, wehrte er jetzt auch schnell ab. „Aber.... wie gesagt, das Schlangengift hatte genug Zeit gehabt, nochmals seine verheerende Wirkung zu entfalten, nachdem dein Kreislauf aufgrund der großen körperlichen Erschöpfung und vor allem wegen der Kopfverletzung mehr oder weniger zusammengebrochen war – es brauchte danach einfach eine gewisse Zeit, bis sich dein Immunsystem wieder einigermaßen erholt hatte, und die Gehirnerschütterung tat dann noch ihr übriges....“ Immer noch wirkte Hendrick sehr reumütig aufgrund seiner Beihilfe zu meinem schlechten Zustand, daher ergriff ich abermals seine Hand und drückte sie fest, schenkte ihm dabei ein aufmunterndes Lächeln. Dann aber sah ich den Engländer wieder erwartungsvoll an, und dieser begann erneut ausführlich zu berichten. Über den eigentlichen Kampf, den Winnetou und ich noch bewusst miterlebt und mitgestaltet hatten, konnte er selbst natürlich nichts sagen, aber er und die anderen Gefährten hatten das meiste von unseren wenigen Mitstreitern erfahren, und den Rest hatte man letztendlich auch rekonstruieren können. Während Winnetou und ich anfangs bis ungefähr zur Mitte des Talbodens gehastet waren und uns dort postiert hatten, um die Kiowas mit unseren Kugeln zu empfangen, waren die Butterfields tapfer in der gleichen Stellung verblieben, in der ich sie angeordnet hatte. Als bei uns unten die ersten Schüsse fielen, tauchten fast zeitgleich vor ihnen ungefähr zwanzig zum Äußersten entschlossene und mit furchteinflößender Kriegsbemalung bedeckte Kiowas auf. Über diesen kriegerischen Anblick erschraken die jungen Männer so dermaßen, dass sie es nicht mehr verhindern konnten, laut loszuschreien. Offenbar half ihnen das Geschrei aber dann dabei, ihre aufkommende Panik zu unterdrücken, und sie besannen sich auf das, was ihnen als einziges helfen konnte: Sie hoben ihre Waffen an, brüllten sich gegenseitig Mut zu und schossen dann fast gleichzeitig. Und tatsächlich ging keiner ihrer Schüsse fehl; und wenn auch kaum einer von ihnen den Rothäuten wirklich ins Leben drang, wurde doch jeder von ihnen zumindest verletzt. Zusammen mit dem lauten Gebrüll der Familie bewirkte dieser Umstand, dass die Feinde nun auf einen Nahkampf verzichteten und sich erst einmal entfernten, vielleicht um auf Verstärkung zu warten, die allerdings nicht mehr kommen sollte. Allein das war schon ein riesiger Erfolg für unsere Greenhorns! Die beiden Apatschen, die sich auf der gleichen Hangseite, an der sich unsere Schlafstätten befanden, verschanzt hatten, brachten ebenfalls in kürzester Zeit mit ihren Gewehren und Revolvern den Feinden große Verluste bei. Nachdem sie ihre Waffen zum ersten Mal leer geschossen hatten, waren sie danach so klug gewesen, sich sofort in der Dunkelheit ein neues Versteck zu suchen, und das war auch gut so – denn kaum hatten sich die Gegner von ihrer Überraschung erholt, begannen sie nun ihrerseits damit, das Gebüsch, in dem das Mündungsfeuer der Apatschen zu sehen gewesen war, mit ihren Kugeln nur so zu durchsieben. Diese beiden hatten sich aber zu diesem Zeitpunkt schon ein neues Versteck gesucht, luden jetzt in Windeseile ihre Waffen wieder durch und begannen das Spiel von Neuem, und ein weiteres Mal äußerst erfolgreich. Das Ganze zogen sie dann noch ein drittes Mal durch, aber danach fehlte es ihnen tatsächlich an Gegnern! Zwar kamen immer noch weitere Kiowas von dem felsigen Grat herunter, aber die meisten konzentrierten sich auf das Geschehen in der Mitte, da wo Winnetou und ich uns befanden. Und das hatte einen ganz einfachen Grund: Das vorherrschende Ziel der Rothäute war es, Winnetou zu ergreifen, und das möglichst lebend. Die feindlichen Krieger wollten sich an ihm blutig rächen, einerseits für den Tod Motawatehs, andererseits aber auch für die Schmach, die einige von ihnen vor wenigen Jahren seinetwegen hatten erdulden müssen. Außerdem wollten sie aus ihm unbedingt, vor allem auf Betreiben Thomsons natürlich, den Standort eines seiner Placer herauspressen. Sie wussten, dass sie den Apatschenhäuptling während eines Kampfes aber nur dadurch lebend zu fassen bekommen konnten, wenn sie deutlich in der Überzahl waren. Obwohl es fast stockdunkel war, ahnten sie, wo Winnetou sich befinden musste. Aufgrund der Tatsache, dass es ja nur wenige Verteidiger im gesamten Tal gab, konnte man deren Mündungsfeuer gut unterscheiden. Und mein Henrystutzen war dabei mehr als auffällig, da es sonst nirgends eine Waffe gab, mit der man fünfundzwanzig Mal hintereinander zu schießen vermochte, ohne nachzuladen. Die Rothäute hatten also mein Gewehr schnell ausfindig gemacht, und da in meiner Nähe nur noch ein einziges weiteres Gewehr zu hören und zu sehen war, nahmen sie ganz richtig an, dass diese Waffe niemand anderem als Winnetou gehören konnte! Also konzentrierte sich jetzt die ganze geballte Kriegerschar auf das Geschehen in der Mitte des Talbodens, also auf uns, und nur wenige Kiowas blieben an dem Hang. Sie taten das auch nur, um unsere restlichen Gefährten abzulenken und daran zu hindern, dass sie uns zu Hilfe kommen konnten. Dabei achteten sie wohl darauf, unsere Freunde mit gezielten Schüssen in Deckung zu zwingen, dabei aber so weit entfernt zu bleiben, dass man sie selbst nicht mehr treffen konnte. Die ersten Salven von uns allen hatten nämlich schon genug Opfer unter den Kiowas gefordert! Somit konnten uns die beiden Apatschen keine Hilfe bringen, und dem Doktor ging es genauso. Der hatte sich ebenfalls im Eingang seiner Kammer, vor der er einen mittelgroßen Stein gewälzt hatte, hinter dem er leicht in Deckung gehen konnte, verschanzt; und auch er hatte mit seinen ersten Schüssen einige der feindlichen Krieger erwischt. Doch jetzt wurde er ebenfalls gezwungen, in Deckung zu bleiben, und konnte daher nicht mehr viel ausrichten. Auf die Butterfields hatten wir sowieso nicht gezählt, es war im Gegenteil ein wahres Wunder zu nennen, dass sie alle mit dem Leben und mit nur ganz wenigen Blessuren davongekommen waren! Doch nachdem sie ihre Munition das erste Mal verschossen hatten, blieben sie brav in Deckung und sorgten somit dafür, dass die Kiowas ihnen vorerst keine weitere Aufmerksamkeit mehr schenkten. Wahrscheinlich waren einige wenige von den Roten noch in ihrer Nähe, achteten aber nur darauf, dass niemand von den Familienmitgliedern auf die Idee kam, sich weiter unten in das Kampfgetümmel mittig des Tales zu stürzen. Emery war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass man sich um unsere verbliebenen Gefährten erst dann „gekümmert“ hätte, wenn die Feinde Winnetou erfolgreich in ihre Gewalt gebracht hatten. Der dritte Apatsche, der mit uns in der Festung verblieben und als Wache entlang den Hangseiten abgestellt worden war, hatte den Überfall nicht überlebt. Er war wohl von den ersten Vorposten der Kriegerschar überrascht und sofort getötet worden. Blieben also noch die beiden Pelzjäger. Der eine, den ich geweckt hatte, weil er zu der Zeit keine Wache hatte, war ja sofort Richtung Tunnel gestürmt – wahrscheinlich, um seinen Gefährten, John McBentstone, der am Tunnelausgang als Posten eingeteilt war, zu unterstützen und wenn möglich zu verhindern, dass die Kiowas auch durch den Tunnel in die Festung gelangen konnten. Und hier geschahen dann auch entscheidende Szenen. Als die Rothäute sich zum Angriff aufgemacht und verteilt hatten, waren die meisten natürlich in Richtung der Steilhänge gezogen, um dort auf breiter Front rund um das Tal den Überfall einleiten zu können. Genau das ging nämlich an dem tunnelartigen Eingang zur Festung nicht – dieser besaß ja nur etwas mehr als die Breite eines Mannes, man konnte also nur hintereinander hergehen. Ein Pferd passte da gerade noch eben so durch, weil die Tunneldecke hoch genug war. So war dieser Eingang innerhalb des Tales natürlich auch gut zu bewachen – sobald ein Gegner aus ihm heraustrat, konnte man ihn in aller Ruhe überwältigen, bevor der nächste es nach draußen geschafft hatte. Doch in der damaligen Situation wollte es niemand wagen, im Inneren der Festung zu sitzen und darauf zu warten, ob irgendwann einmal eine feindliche Rothaut auftauchen würde, und somit hatten wir uns darauf geeinigt, dass immer ein Posten am Ausgang des Tunnels wachte, natürlich noch die Deckung desselben nutzend, um sich dabei auch gleichzeitig einen Überblick über die Lage da draußen verschaffen zu können. Als nun der Angriff begann, hatten sich ungefähr fünfzehn Kiowas an den Eingang herangeschlichen, um einerseits den Posten, den sie dort vermuteten, zu überwältigen, andererseits selbst von dort aus in das Tal einzudringen, und zum dritten zu verhindern, dass die Bewohner der Festung von dort aus fliehen konnten – denn das war natürlich genauso leicht zu verhindern wie einen Feind in dieselbe hereinzulassen! Womit allerdings keiner der Angreifer gerechnet hatte, war, dass zu diesem Zeitpunkt schon der gesamte Bereich von unseren Gefährten draußen überwacht wurde. Die Soldaten waren noch nicht eingetroffen, und das würde auch erst spät am nächsten Tag geschehen können, da es bis Farmington ja doch fast ein ganzer Tagesritt war. Somit hatten unsere Freunde natürlich gehofft, dass der Überfall so spät wie möglich stattfinden würde. Doch jetzt mussten sie handeln, allein schon, um den Posten am Eingang beizustehen. In diesem Moment ging es auch schon los: Einer der Indianer hatte sich John McBentstone soweit genähert, dass dieser ihn entdeckte. Anstatt nun direkt zurück ins Tal zu laufen, um uns andere zu warnen – er konnte ja nicht wissen, dass wir gleichzeitig von den Steilhängen aus schon überfallen wurden – ging der Pelzjäger zum Angriff über, hatte aber gegenüber dem Kiowa kaum eine Chance. Der hatte ihm mit einem einzigen Schlag seines Kriegsbeils das Gewehr aus der Hand geschlagen und machte sich jetzt daran, das Leben des Mannes mit dem Messer auszulöschen. Gerade rechtzeitig noch schleuderte einer unserer Mescaleros nun seinen eigenen Tomahawk in die Richtung des Angreifers und nahm ihm dadurch das Leben. Nun waren die anderen vierzehn Rothäute natürlich gewarnt, und schon entbrannte ein äußerst heftiger Kampf zwischen ihnen und unseren Leuten, deren Anzahl allerdings geringer war, weil sich die anderen schon an strategisch günstigen Positionen an den Steilhängen entlang hatten verteilen müssen. Doch aufgrund der hervorragenden Fähigkeiten unserer Freunde gewannen sie allmählich die Oberhand, allerdings dauerte das eine ganze Weile, da die Kiowas alles andere als feige und beileibe keine schlechten Kämpfer waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schlacht im Tal allerdings schon ihren Höhepunkt erreicht, und es war abzusehen, dass Winnetou und ich uns nicht mehr lange halten konnten. Unsere Freunde, die sich an den äußeren Hangseiten schon lange vorher in Stellung gebracht und die Anfänge des Überfalls beobachtet hatten, warteten nun angespannt darauf, dass sich die vollständige Kriegerschar der Kiowas endlich im Tal einfinden würde, damit man trotz der beträchtlichen Unterzahl die Möglichkeit hatte, diese einzuschließen und letztendlich zu überwältigen. Bis zuletzt hatten die Gefährten dabei auf die rechtzeitige Ankunft der Soldaten gehofft, wohlwissend, dass die Kompanie – wenn sie denn überhaupt aus Farmington kam - zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht den Schauplatz des Geschehens erreicht haben konnte – aber die Möglichkeit, dass der Angriff der Kiowas zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden würde, war ja trotzdem immer noch gegeben. Nun aber sahen sich unsere Freunde zum Handeln gezwungen. Mit den Soldaten im Hintergrund hätten sie den Überfall natürlich sofort abgeblockt, um nicht zu riskieren, dass jemand von uns verbliebenen Bewohnern der Festung zu Schaden kam, jetzt aber hatten sie keine andere Wahl, als abzuwarten und erst dann zuzuschlagen, bis sich alle Gegner im Tal versammelt hatten. Doch diese hatten sich Zeit gelassen und es klug angefangen, denn sie hatten den Angriff in Wellen abgehalten – kaum war die erste Welle von uns entweder abgewehrt oder unschädlich gemacht worden, griff die nächste an, so schnell, dass Winnetou und ich kaum mehr Zeit zum Nachladen fanden, und so ging es in einem fort, um uns langsam, aber sicher zu zermürben. Doch endlich waren alle Kiowas im Tal versammelt, und nun gab Firehand das Zeichen zum Angriff. Schnell wurden die vorbereiteten Buschrollen entzündet und ins Tal hinabgerollt, von allen Seiten, und unsere Freunde feuerten nun gleichzeitig aus allen Rohren. Auf diese Weise näherte man sich mit erbittertem Grimm und äußerster Entschlossenheit dem Talboden, und es gelang tatsächlich, bedingt durch die Feuerbälle, erst einmal heillose Verwirrung zu stiften und die Kampfkraft der Angreifer für eine kleine Weile zu lähmen. Doch diese gaben nicht auf und begannen gerade, sich erneut zu formieren und sich erbittert zu wehren, als mit einem Mal, völlig überraschend und eigentlich viel zu früh, das Signalhorn des Militärs ertönte – und dann drang eine ganze Kompanie Soldaten von allen Seiten in die Festung ein, um, zusammen mit unseren Gefährten, dem Kampfgetümmel endlich ein schnelles Ende zu bereiten. Hier unterbrach Emery seinen Bericht; er wirkte tatsächlich etwas mitgenommen ob der Brisanz des soeben Erzählten – oder wollte er mir nur die Antworten auf meine nächsten Fragen vorenthalten? Damit würde er bei mir aber keinesfalls durchkommen! Obwohl ich schon seit geraumer Zeit wieder eine bleierne Müdigkeit verspürte, wollte ich mir dennoch nicht eher Ruhe gönnen, als bis ich über die wichtigen Geschehnisse bis ins kleinste Detail informiert worden war! Ich brauchte mich dann auch nur kurz zu räuspern und meinen Gefährten streng anzusehen, und schon fügte er sich seufzend. Kapitel 35: Heimatgedanken -------------------------- „Natürlich gab es auf unserer Seite auch einige Verletzte – wobei man aber getrost behaupten kann, dass es euch beide mit Abstand am schlimmsten getroffen hat, von den Toten mal abgesehen....“ Die letzten Worte hatte Emery mit einer immer leiser werdenden Stimme ausgesprochen, und schon waren all meine Sinne wieder hellwach. „Wer wurde getötet? - Emery, nun sag schon: wer hat den Angriff nicht überlebt?“ Unwillkürlich hatte ich mich wieder etwas aufgerichtet, mit der Folge, dass beide Gefährten mit drohender Gebärde natürlich sofort Anstalten machten, mich abermals festzuhalten. Schnell ließ ich mich wieder zurücksinken, hob dabei rasch beide Hände zu einer beruhigenden Geste und sah die Freunde dann mit einer verharmlosenden Unschuldsmiene an. Ein leises Lächeln erschien auf Emerys Gesicht, bevor er erneut ansetzte, jetzt wieder mit großem Ernst in der Stimme: „Bei dem Kampf draußen am Tunneleingang ist Pete Muller erstochen worden. Du hattest ihn ja bei Beginn des Überfalls geweckt, und er hat sich sofort aufgemacht, um den draußen wachhabenden John McBentstone beizustehen und gleichzeitig zu verhindern, dass die Angreifer auch von dieser Seite aus in die Festung eindringen konnten. Dann wurde McBenstone von dem ersten Kiowa angegriffen, und bei dem sich anschließend entbrennenden Kampfgetümmel hat einer der Feinde Pete das Leben nehmen können.“ Wieder seufzte der Engländer leise, bevor er mit bewegter Miene weitersprach: „Auch der wachhabende Apatsche, Negat'tseh, hat sofort bei Beginn des Überfalls an den Steilhängen sein Leben lassen müssen – er war der großen Übermacht der Feinde einfach nicht mehr gewachsen gewesen, obwohl er sich bis zum Schluss tapfer gewehrt hat. Doch ansonsten gab es auf unserer Seite glücklicherweise keine Verluste mehr – natürlich hat jeder von uns diverse kleinere Schrammen abbekommen, und selbst unserem Doktor hier wollten die Rothäute noch während des größten Schlachtgetümmels bei lebendigem Leibe die Haut vom Kopf ziehen! Der hatte das allerdings überhaupt nicht bemerkt, weil er sich in diesen Sekunden auf dem Weg zu euch befand. Er sah euch beide ohne Bewusstsein am Boden liegen und war deshalb so in Eile, dass er jeden, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, ob Freund oder Feind, mit seinen Waffen in den Händen einfach zur Seite schleuderte. Als er sich dann um Winnetou bemühte, versuchte doch tatsächlich einer der Kiowas, Walter dort noch an Ort und Stelle zu skalpieren – ein kleiner Schnitt ist ihm zwar noch gelungen, aber glücklicherweise kam dann Surehand genau im rechten Moment dazu, und der hat dem Indsman anschließend gezeigt, was er mit Gegnern zu tun gedenkt, die sich an seinen Freunden vergreifen wollen!“ Nun zeigte sich wieder ein breites Grinsen auf Emerys Gesicht, und auch ich konnte mich eines Lächelns nicht mehr erwehren, zumal Hendrick abermals solch einen herrlich betretenen Ausdruck im Gesicht hatte, dass es fast eine Kunst war, nicht laut loszulachen! Es war ihm offenbar ein wenig peinlich, einfach gar nichts von den Angriffen auf ihn mitbekommen zu haben, noch nicht einmal die kleine Kopfwunde war ihm aufgefallen, wie Emery noch lachend hinzufügte. Erst als Walter zusammen mit Tsain-tonkee und einigen anderen Apatschen, die in der indianischen Heilkunst recht gut bewandert waren, jede noch so kleine Verletzung aller Gefährten versorgt hatten, wurde er von dem jungen Unterhäuptling auf seinen eigenen blutigen Schädel aufmerksam gemacht und daraufhin auch sofort fachmännisch versorgt. Schmunzelnd nahm ich abermals Walters Rechte in meine beiden Hände und bedankte mich nun erst einmal im aller Ausführlichkeit bei ihm für seine hervorragende Hilfe, die er uns ja nicht zum ersten Mal gewährt hatte. Der Doktor wehrte mich verlegen ab, doch er konnte nicht verhindern, dass ich ihn, obwohl das eigentlich gar nicht meine Art ist, für kurze Zeit mit Lobeshymnen nur so überschüttete – ich musste mir mein Herz irgendwie erst einmal erleichtern. Wir wurden jedoch schnell wieder ernst, denn Emery hatte mir ja noch nicht alles berichtet – vor allem der Verbleib Thomsons war Gegenstand meines brennenden Interesses! Der Engländer entschied sich aber dafür, mir zuerst den Grund für die so unerwartet schnelle Ankunft der Soldaten zu nennen. Sam Hawkens war am späten Nachmittag des Tages vor dem Überfall aufgebrochen, um bei den Militärs, die er und die anderen noch in Farmington wähnten, um Hilfe zu bitten. Im günstigsten Fall wäre er dann aber erst frühestens am Abend des nächsten Tages wieder hier eingetroffen, doch die Soldaten waren dann mit einem Mal weit, weit früher, nämlich schon kurz vor Morgengrauen, inmitten des heftigsten Kampfgetümmels urplötzlich auf der Bildfläche erschienen, mit Sam in ihrer Mitte. Das lag ganz einfach daran, dass sich diese große Kompanie, die sogar vom Fort-Kommandanten selbst, nämlich Ronald Collister, angeführt wurde, zu der Zeit gar nicht mehr in der Stadt befunden hatte. Auf der Suche nach einer Bande von Halunken, die seit einiger Zeit die Gegend unsicher machten, hatten die Soldaten sich im Gegenteil sogar zufälligerweise schon weit in unsere Richtung bewegt und waren gerade dabei, ihr Nachtlager aufzuschlagen, als Sam bei ihnen eintraf. Der hatte auch glücklicherweise gar nicht lange suchen müssen – obwohl sich das Lager der Kompanie nicht auf gerader Strecke zwischen Festung und Farmington befand, sondern ein ganzes Stück weit entfernt, hatte er noch im letzten Licht des Tages Spuren entdeckt, die eindeutig auf eine große Menschenansammlung in nicht allzu weiter Ferne hinwies. Und damit nicht genug – Ronald Collister kannte viele von uns persönlich; vor allem für Winnetou empfand er fast schon so etwas wie Ehrfurcht, und auch Sam Hawkens war für ihn kein Unbekannter. Somit hatte er keine Minute gezögert, als dieser den Kommandanten eindringlichst um Hilfe bat. In Windeseile ließ er das Lager wieder abbauen, und dann begab sich alles, so schnell es nur irgendwie ging, zurück zur Festung, wo sie auch wirklich gerade noch zur rechten Zeit eintrafen. Wieder stockte der Engländer, als er an dieser Stelle seines Berichts angelangt war. Er sah sinnend zu Boden und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf einen imaginären Punkt zu Füßen meiner Bettstatt. Ich seufzte. „Emery – ich finde es sowieso heraus, also kannst du mir genauso gut jetzt schon mitteilen, was du mir so gerne verschweigen würdest!“ „Hmpf!“, kam es von dem Angesprochenen, der jetzt zwar wieder hoch sah, aber alles andere als begeistert aussah, als er begann, mit seinen Erklärungen fortzufahren. „Gut, wie du willst. Aber ich muss dich warnen: Das, was ich dir jetzt sagen muss, wird für dich nicht gerade ein Grund zur Freude sein!“ In mir stieg eine leise Ahnung auf – eine Befürchtung, von der ich von ganzem Herzen hoffte, dass sie sich nicht als wahr erweisen würde. Mein englischer Freund begann seinen Bericht mit einer Frage: „Ich weiß nicht, ob du dich an die Erzählung von Walter erinnern kannst, in der er den seltsamen Kerl erwähnte, der unsere Greenhorns in der Bank von Farmington beim Umtausch ihres Goldes beobachtet hatte?“ „Ja, natürlich entsinne ich mich!“, antwortete ich sofort und wandte mich dann an den Doktor: „Hattest du nicht damals sogar versucht, den Mann ein Stück weit zu verfolgen?“ „So ist es!“, bestätigte dieser auch sofort. „Ich hatte da aber schnell einsehen müssen, dass meine spärlichen Fähigkeiten in dieser Hinsicht bei Weitem nicht an die euren heranreichen...“ Hendrick brachte es jetzt doch tatsächlich fertig, eine richtiggehend zerknirschte Miene aufzusetzen, was mir sofort Grund genug war, ihm diesen Unsinn gleich wieder auszureden. „Ich bitte dich, Walter - hör bloß auf, dir deswegen Vorwürfe zu machen! Du hast bisher mehr für uns getan, als wir je wieder gutmachen können, und ich weiß genau, dass du auch damals dein Bestes versucht hast! Glaube mir, oft genug habe auch ich eine Verfolgung aufgeben müssen, weil die betreffende Person im Menschengewühl einer Stadt einfach verschwunden war!“ Hendrick nickte, fast schon dankbar, und seine Miene hellte sich sofort wieder auf. Emery hingegen räusperte sich kurz und fuhr dann fort: „Na ja – wir wissen inzwischen, dass dieser Kerl niemand anderer war als der besagte weiße Komplize von Thomson, dessen Fehlen dir bei Motawateh aufgefallen ist und der uns damals zusammen mit Thomson am Hondo entwischt war – du weißt, als wir die beiden Butterfields aus den Händen der Tramps befreiten; Thomson und der andere Halunke konnten damals doch mit viel Glück aufgrund der völligen Dunkelheit im Wald entfliehen!“ Ich nickte verstehend und musste dabei feststellen, dass mich das Ganze irgendwie nicht wirklich überraschte. Doch was hatte das mit dem jetzt gerade überstandenen Überfall der Kiowas zu tun? War der Kerl aus der Bank etwa dabei gewesen? „Der Schurke hat die Butterfields in der Bank sofort wiedererkannt“, erzählte mein Freund weiter. „Dabei ist ihm natürlich nicht entgangen, dass die Familie nun im Besitz eines nicht gerade kleinen Goldbetrages ist – und er machte sich sofort auf den Weg, um das alles Thomson, den er ja noch bei Motawateh wähnte, wo er ihn kurz zuvor verlassen hatte, mitzuteilen. In seinem Schlepptau befanden sich zwölf weitere Halunken, die er in der Stadt aufgelesen hatte – die ganze Bande kannte sich untereinander wohl schon von früher her; solche Strolche ziehen sich ja gegenseitig an wie das Licht die Mücken. Irgendwo in dem Gebiet zwischen Farmington, Motawatehs letztem Lagerplatz und der Festung musste die Bande dann mit Thomson und den Kiowas zusammen getroffen sein. Diese Gruppe war zu dem besagten Zeitpunkt ja gerade dabei, Winnetou, Sam, dich und mich zu verfolgen, und für Thomson dürfte es ab da nicht allzu schwer zu erraten gewesen sein, dass die Butterfields sich in Begleitung der Apatschen ebenfalls auf den Weg zur Festung gemacht hatten, welche nun mal auch unser Ziel war, wie Thomson von unserer damaligen Geisel im Zelt erfahren hatte.“ Nun wurden mir alle bisher noch im Unklaren liegenden Zusammenhänge mehr als deutlich. Dass es nach unserer Flucht von Motawahs Lagerplatz für Thomson nicht völlig unmöglich sein würde, uns zu verfolgen und unser angestrebtes Ziel herauszufinden, zumal wir damals ja auch noch durch den schwerverletzten Winnetou nicht allzu schnell vorangekommen waren – ja, damit hatten wir schon während unserer Flucht gerechnet. Dann aber hatte der Kerl auch noch unverschämtes Glück gehabt, allein schon dadurch, dass noch zwölf weitere Strolche auf dem Weg zu ihm stießen; zudem hatte er ohne große Schwierigkeiten die Unterstützung der anderen achtzig, am San-Juan-River lagernden Kiowas gewonnen, wie Emery mir ebenfalls berichtete. Zwei Dinge wollte ich nun aber doch noch in diesem Zusammenhang von dem Engländer wissen: „Warum hat sich Thomson denn nicht einfach mit dem Gold der Butterfields begnügt? Er wusste doch durch seinen Kumpan aus der Bank, dass diese eine Menge dabei haben mussten; außerdem befanden sich unsere Greenhorns mit den Apatschen zu diesem Zeitpunkt doch noch auf dem Weg zur Festung – es wäre für den Halunken sicherlich viel einfacher gewesen, sie im Freien zu überfallen, als mit uns zusammen in der Festung!“ Emery nickte bestätigend, hatte aber sofort eine Antwort parat: „Das ist natürlich richtig, aber der Bande ist wohl irgendwann bewusst geworden, dass man die Apatschen samt den Greenhorns nur mit viel Glück noch auf dem Weg zur Festung einholen würde, zumal man gar nicht genau wusste, welchen Weg dorthin die Gesellschaft eigentlich genommen hatte. Außerdem erschien ihnen ein Angriff zu gefährlich, da immer die Gefahr bestand, dass einem der Mescaleros dabei die Flucht gelingen und er uns vor Thomson und den Kiowas warnen könnte – damit wäre natürlich der Überraschungsmoment für einen Überfall auf die Festung dahin gewesen, und genau den wollten Thomson mitsamt den Rothäuten auf jeden Fall durchführen!“ Hier unterbrach ich meinen Freund kurz, um ihn zu fragen: „Sag einmal – woher weißt du das alles eigentlich so genau?“ Emery zwinkerte mir zu und antwortete feixend: „Na ja – von Thomsons Bande gibt es noch genau zwei Überlebende, und die beiden hatten die große Güte, mir alles haarklein zu berichten, was ich wissen wollte – und ich musste auch nur manchmal ein wenig nachhelfen, wenn sie mal nicht so auskunftsfreudig waren....“ Er grinste, und ich tat es ihm gleich, denn ich konnte mir doch sehr gut vorstellen, wie die „Nachhilfe“ des Engländers ausgesehen haben musste, zumal er wohl mit einer ordentlichen Portion Wut im Bauch gehandelt haben dürfte! In diesem Moment fuhr er auch schon mit seiner Erzählung fort: „Ich hatte die beiden natürlich auch gefragt, warum sich Thomson nicht allein mit dem Gold der Butterfields zufrieden geben wollte, da wäre er doch mit etwas Glück sehr viel leichter herangekommen als an Winnetous Nuggets hier in der Festung – aber offensichtlich trieben ihn seine Rachegelüste, sein Hass auf Winnetou und auch auf Firehand dazu, das Tal hier mit allen Bewohnern darin auf jeden Fall anzugreifen. Außerdem saß ihm die Hundertschaft der Kiowas ja auch noch im Nacken, die sich nun mal nichts sehnlicher erwünschten, als Winnetou lebend in die Hände zu bekommen!“ Wieder nickte ich, doch bei Emerys letzten Worten konnte ich nicht verhindern, dass mir ein leiser Schauder den Rücken herunterlief. Dass von Thomson eine große Gefahr für Winnetou ausging, war mir von Anfang an bewusst gewesen – spätestens, seit vor einem knappen Dreivierteljahr die Kugel aus seinem Revolver meinen Freund fast getötet hatte. Und obwohl für mich nun endgültig alles geklärt war, gab es in diesem Zusammenhang doch noch einen Umstand, der Fragen aufwarf, und genau diesen Umstand hatten meine Gefährten bis dahin tunlichst verschwiegen. Jetzt aber sollten sie keine Gelegenheit mehr bekommen, meiner Frage auszuweichen, und diese stellte ich darum nun auch mit Nachdruck: „So, meine Freunde – und nun endlich heraus mit der Wahrheit: Was ist mit Thomson geschehen?“ Der Doktor und Emery sahen sich beide erst etwas perplex, dann aber mit sichtlich zerknirschter Miene an, und ich war mir im gleichen Moment sicher, dass ich einen Wutausbruch nicht mehr würde aufhalten können, sollte sich meine jetzt aufkommende Befürchtung bestätigen. Mein englischer Freund sah mir offen ins Gesicht, seufzte leise und begann dann zu sprechen: „Hm – zuerst einmal das Wichtigste: Der Mistkerl lebt; er liegt angekettet und zu einem hübschen Paket verschnürt in der dunkelsten und feuchtesten Kammer, die hier in der Festung überhaupt zu finden war!“ Zum zweiten Mal durchfluteten mich mehrere Wellen der Erleichterung, hatte ich doch schon das Schlimmste befürchtet! Was immer meine Gefährten zu ihren betretenen Miene veranlasst hatte, konnte nicht mehr allzu tragisch sein: Dieser gefährliche Sadist lebte und befand sich in unserer Hand, würde somit niemandem mehr, vor allem nicht Winnetou, je wieder gefährlich werden können – und endlich, endlich würde er für seine grausamen Taten büßen müssen, endlich würde ich ihn hängen sehen! Ich war fast schon ein wenig erschrocken über die Intensität, mit der ich von solch eindringlichen Rachegedanken beseelt war, aber das tat dem heißen Wunsch nach Vergeltung keinen Abbruch – denn natürlich hatte ich keinen einzigen Tritt, keinen einzigen Messerstich vergessen, den Winnetou von diesem grausamen Widerling hatte erleiden müssen! Trotzdem wollte ich jetzt natürlich wissen, was genau da noch schiefgegangen war, denn es musste ja einen Grund für das zögerliche Verhalten meiner Freunde geben; daher sah ich Emery nun auch wieder auffordernd an, so dass dieser erneut ausführlich zu erzählen begann: „In dem Moment, als du auf Winnetou geschossen hattest, war Thomson, wie du ja weißt, gerade im Begriff gewesen, deinem Freund sein Messer in den Leib zu rammen – und das wäre ihm höchstwahrscheinlich auch geglückt, trotzdem auch Winnetou beinahe im gleichen Augenblick in sich zusammengesackt war. Doch dem Himmel sei Dank – wir haben nun einmal äußerst fähige Männer in unseren Reihen, und einer davon ist zweifelsohne Tsain-tonkee. Der war zwar noch recht weit entfernt vom Ort des Geschehens, hatte aber die Todesgefahr für seinen Häuptling trotzdem sofort erkannt – und handelte im gleichen Augenblick, indem er dem Dreckskerl mit einem wahren Meisterschuss den Oberarm durchlöcherte! Der musste daraufhin sein Messer fallen lassen, doch leider war ihm das Glück trotz allem weiterhin hold. Kämpfen konnte er zwar nicht mehr, aber um ihn herum versank alles im Schlachtgetümmel - niemand achtete mehr auf ihn, und Tsain-tonkee war noch zu weit entfernt. Als der Unterhäuptling dann bei Winnetou eintraf, war unser Doktor schon damit beschäftigt, diesen irgendwie wieder ins Leben zurückzuholen, und Tsain-tonkee war es natürlich jetzt viel wichtiger, ihn darin zu unterstützen, als dem flüchtenden Thomson zu folgen. Der gerissene Kerl hat es daraufhin dann tatsächlich geschafft, sich ungesehen durch die kämpfenden Menschen zu schleichen. Die Feuer brannten noch hell, und vielleicht hat er dadurch die Kammern entdeckt..... Vielleicht wollte er sich dort auch nur verstecken, ich weiß es nicht – Tatsache aber ist, dass er ausgerechnet in eure Kammer hier eingedrungen ist!“ Leicht genervt schloss ich die Augen und ließ meinen Kopf nach hinten sinken – es war nicht schwer zu erraten, was daraufhin geschehen sein musste. Und da kam es auch schon: „Nun ja – Winnetous Beutel mit den Nuggets war nicht schwer zu finden, und ich kann mir vorstellen, dass der Dreckskerl einen wahren Freudentanz aufgeführt hat, als er ihn in den Händen hielt! Es kam dann, wie es kommen musste – ihm gelang tatsächlich die Flucht, sogar über die steile hintere Hangseite, wie wir später an den Spuren feststellen konnten....“ Gespannt sah ich den Engländer an, begierig zu erfahren, wie es den Gefährten gelungen war, den Schurken wieder einzufangen, und Emery ließ mich nicht lange warten: „Seine Flucht wurde kurze Zeit später entdeckt, als es gerade hell geworden war. Unsere Wut darüber war schon immens, aber das war nichts gegen den Zorn der Apatschen! Bis auf Tsain-tonkee, der hier wegen seiner Heilkünste dringend gebraucht wurde, schwärmten alle Mescaleros aus, um den Verbrecher wieder in ihre Gewalt zu bekommen, begleitet von Firehand und Surehand. Unseren indianischen Meistern im Spurenlesen gelang es glücklicherweise innerhalb weniger Stunden, Thomson wieder aufzuspüren, und somit wurde dem Kerl unter großem Hallo schon am Mittag ein wirklich netter Empfang bereitet!“ Emery hatte jetzt Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken, wurde aber schnell wieder ernst. „Leider war der Halunke gerissen genug, das Gold vorher irgendwo zu verstecken, und bisher konnte es noch nicht gefunden werden, was aber auch daran liegt, dass Winnetou, kurz bevor er endgültig zusammengebrochen war, seinen Apatschen die Suche danach verwehrte. Er wollte nicht, dass all die fähigen Krieger da draußen herumsuchen, wo sie hier drinnen einfach dringender gebraucht wurden, und das Gold ist unserem Häuptling ja nun einmal überhaupt nicht wichtig!“ Abermals schloss ich meine Augen und atmete mehrmals tief durch. Die Gefahr war gebannt; wir hatten diesen eigentlich ausweglosen Kampf überlebt, aber am Wichtigsten war: dieser Teufel namens Thomson befand sich in unserer Gewalt, er konnte niemanden mehr schaden, vor allem nicht Winnetou – was bedeutete dagegen schon der Verlust von ein wenig Gold! Doch die für mich schönste und bewegendste Nachricht war natürlich, dass mein geliebter Freund am Leben war, dass er weder durch die Hand der Feinde noch durch meine eigene – welch ein schrecklicher Gedanke noch im Nachhinein! - sterben musste; und obwohl es ab hier mit Sicherheit noch ein weiter Weg sein würde, bis er wieder vollkommen genesen war, so wurde mir und uns zumindest die Möglichkeit gegeben, weiter um seine Gesundheit zu kämpfen. Ich spürte, wie mir die Lider mit einem Male schwer wurden - schon hatte ich das Gefühl, meine Augen gar nicht mehr öffnen zu können. In meinem Kopf wirbelten noch unzählige Gedanken herum, die ich aber gar nicht mehr richtig zu fassen bekam. Eigentlich wollte ich meinen Freunden noch die Bitte mit auf den Weg geben, dass sie den Verbrecher auf keinen Fall mehr aus den Augen lassen durften; dass wir ihn so schnell wie möglich einem Savannen-Gericht unterziehen und das Urteil dann auch sogleich vollstrecken sollten, um keinerlei Risiko mehr einzugehen. Und vor allem sollten sie auf Winnetou achtgeben, solange ich dazu selber noch nicht in der Lage war - aber jetzt versagten mir meine Sprechwerkzeuge ebenfalls ihren Dienst. Es gelang mir noch einmal, wenn auch nur ganz kurz, die Augen zu öffnen und den Gefährten ein Lächeln entgegenzubringen, dann glitt ich zurück in einen tiefen, diesmal aber traumlosen Schlaf. Ein leises Flüstern drang an mein Ohr, als ich das nächste Mal wieder erwachte. Sofort wollte ich die Augen öffnen, aber mein Körper hatte immer noch mit einer hartnäckigen Schwäche zu kämpfen, denn allein diese kleine Bewegung wollte mir noch nicht gelingen, zumindest nicht auf Anhieb – und genauso wenig konnte ich irgendein anderes Körperteil bewegen. Doch da ich in den flüsternden Stimmen Old Surehand sowie unseren guten Doktor Hendrick erkannte, gab es für mich keinen Grund zur Beunruhigung, also blieb ich erst einmal ruhig liegen, um zu erforschen, zu welchen Aktionen meine Gliedmaßen im Augenblick überhaupt schon fähig war. Viel war es noch nicht, aber ich war doch sehr zuversichtlich, dass es mit mir rasch wieder aufwärts gehen würde. Allein schon die Tatsache, dass mich so gut wie keine Kopfschmerzen mehr plagten, machte mir in dieser Hinsicht viel Mut. So blieb ich also erst einmal eine Weile ruhig liegen und bemühte mich, Kräfte zu sammeln, um schnell wieder am Leben teilnehmen zu können. Dann jedoch durchfuhr mich der Gedanke an meinen Winnetou so plötzlich, dass ich unwillkürlich leicht zusammenzuckte – und im gleichen Augenblick gehorchten mir auch wieder meine Augenlider. Das Licht, in das ich jetzt hineinsah, war viel heller als beim letzten Mal – und als es mir mit erstaunlich geringer Kraftanstrengung sogar gelang, Richtung Eingang zu schauen, erkannte ich, dass es um die Mittagszeit sein musste – nur: welcher Tag? Vorsichtig drehte ich den Kopf zur anderen Seite und gewahrte Surehand und den Doktor, die an Winnetous Seite saßen. Während der Erstgenannte meinem Freund wiederholt den Schweiß von Stirn, Hals und Brust wischte – offensichtlich fieberte dieser immer noch - beendete Hendrick gerade seine Untersuchung und machte sich nun daran, die Infusionen zu wechseln. Seine Miene erhellte sich sichtlich, als er mich erblickte, und schon war er an meiner Seite. „Wie geht es dir, Charlie? Hast du noch Schmerzen?“ Vorsichtig schüttelte ich den Kopf, und als zu meiner Erleichterung mein Schädel auch dabei nur mit einem dumpfen Brummen antwortete, machte ich sofort Anstalten, mich etwas aufzurichten. Im gleichen Moment aber erinnerte ich mich an das gestrenge Verhalten meiner Gefährten, wurde daraufhin sofort etwas vorsichtiger und langsamer und beobachtete den Doktor währenddessen angespannt. Dieser beäugte mich seinerseits ebenfalls und recht kritisch, ließ mir aber vorerst meinen Willen – ein deutliches Zeichen, dass er mit meinem Gesundheitszustand wohl nicht gerade unzufrieden war. Das ließ mich dann auch gleich noch etwas mutiger werden; ich setzte mich mit einem Ruck gänzlich im Bett auf und wartete auf die nächste Reaktion des Arztes. Aber auch jetzt sagte dieser nichts darauf, sondern begnügte sich damit, meinen Puls zu kontrollieren. Dieses Ergebnis erhielt wohl ebenfalls sein Einverständnis, denn jetzt nickte er mit einem recht zufriedenen Gesichtsausdruck. „In Ordnung“, bestätigte er daraufhin auch meine Vermutung. „Aufstehen solltest du zurzeit noch nicht, aber da sich dein Zustand stetig und wirklich fast schon rasant verbessert, wirst du darauf auch nicht mehr allzu lange warten müssen!“ „Na prima!“, freute ich mich und machte Anstalten, die Decke zurückzuschlagen, da ich mich auf die Kante meiner Bettstatt setzen wollte, um Winnetou noch besser im Auge zu haben – aber da hatte ich mich definitiv zu früh gefreut, denn Walter wurde sofort wieder wütend. „Verdammt noch mal – ich fasse es nicht! Wenn sich dein Freund ein solches Handeln erlauben würde, hättest du ihn schon längst ans Bett gefesselt, aber du selbst glaubst wohl, du bist unbesiegbar, nicht wahr? Mach nur so weiter – widersetze dich noch ein einziges Mal meinen Anordnungen, und ich verpasse dir ein Gebräu, das dich bis nächste Woche schlafen lässt, das kannst du mir aber glauben!“ Beschwichtigend hob ich die Hände, um den aufgebrachten Freund irgendwie wieder zu beruhigen, während ich mich schnell zurück ins Bett verkrümelte und es nochmals mit dem Aufsetzen einer Unschuldsmiene versuchte. Darüber musste er nun doch lachen, und als ich dann auch noch entwaffnend zu grinsen begann, wurde sein Lachen noch um einiges lauter, während Surehand im Hintergrund sichtlich Mühe hatte, nicht zu laut loszuplatzen. Schnell aber wurde ich wieder ernst, und erneut glitt mein Blick zu Winnetou, der blass und reglos in den Decken lag. Während ich ihn besorgt musterte, fragte ich Walter leise: „Wie geht es ihm? Hat er zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt?“ „Nein, Charlie – und das kann er ja auch gar nicht!“, erwiderte der Doktor. „Ich lasse das immer noch nicht zu – er erholt sich einfach viel besser, wenn er tief und fest schläft. Zurzeit ist jegliche Anstrengung Gift für sein Herz, und wir wissen doch beide, dass er im wachen Zustand viel zu viel Kraft dafür aufwenden würde, uns sein wahres Befinden zu verheimlichen und seine Schmerzen irgendwie zu unterdrücken! Es macht im Moment einfach noch keinen Sinn, ihn wieder zu sich kommen zu lassen!“ Nachdenklich und beinahe ängstlich sah ich von Hendrick hinüber zu Winnetou, um dann den Arzt weiter auszufragen: „Bist du dir denn ganz sicher, Walter, dass Winnetou ohne deine Hilfe überhaupt noch einmal das Bewusstsein wiedererlangen wird? Er wirkt so... er sieht so unglaublich geschwächt aus....?“ Fast schon hilflos sah ich den Arzt an, darauf hoffend, dass er meine Sorgen etwas abmildern könnte. „Er ist sehr geschwächt, Charlie! Ich sagte ja schon, und ich habe oftmals davor gewarnt: Der Zustand, in dem er sich jetzt befindet, ist lebensgefährlich, und es ist wirklich ein Wunder, dass er den Kampf überhaupt überlebt hat. Und auch jetzt noch... Es ist einzig und allein seiner hervorragenden Konstitution geschuldet, dass er es bis hierhin geschafft hat, und es wird viel, viel Zeit ins Land gehen müssen, bevor er vollkommen wiederhergestellt ist.“ Ich nickte verstehend, während ich an mein großes Vorhaben dachte, für das ich auf jeden Fall das Einverständnis des Doktors benötigen würde – am liebsten aber würde es mir sein, wenn ich ihn als dauerhafte Begleitung gewinnen könnte! Es wurde Zeit, dass ich ihn in meinen Plan einweihte, aber vorher wollte ich noch etwas anderes wissen: „Wer hat denn bisher seine Pflege übernommen? Habt ihr euch diese Aufgabe geteilt?“ Ich konnte gar nicht genau sagen, warum mir das so wichtig war... vielleicht war es die Tatsache, dass ich den Körper meines Geliebten eigentlich niemand anderem überlassen wollte – aber mir waren da ja leider noch die Hände gebunden, obwohl mich mittlerweile alles an die Seite meines Blutsbruders zog. „Nein, mein Freund – das wurde uns nicht erlaubt“, antwortete Walter auf meine Frage. Verdutzt sah ich ihn an, doch schon fuhr er fort: „Tsain-tonkee hat darauf bestanden, diese Aufgabe zu übernehmen. Er wollte auf keinen Fall einen anderen Weißen als dich an Winnetou heranlassen, deshalb wurden wir auch immer herausgeschickt, wenn er mit Lihà-ka'pan seine Arbeit begann; und das Gleiche galt im Übrigen auch für dich – hier durften wir ebenfalls keinen Finger rühren, da du ja genauso gut zu den Häuptlingen der Apatschen zählst!“ Ich war tief berührt, als ich das hörte und dabei an Tsain-tonkee dachte, der mit wahrhaftiger Ehrerbietung an seinem Häuptling hing und für diesen alles Menschenmögliche tun würde. Dass er auch mich in sein Tun mit einbezogen hatte, war für mich sehr bewegend. Und doch wollte ich mehr als gerne wieder die Pflege meines geliebten Freundes selbst übernehmen, und das am liebsten sofort! Also fragte ich weiter: „Walter – wann, glaubst du, siehst du mich wieder in der Lage, dass ich mich selbst um Winnetou werde kümmern können?“ „Wenn du dich noch einige Zeit schonst und meine Anordnungen beachtest – und deine Genesung weiterhin so schnell voranschreitet, dann wirst du wahrscheinlich schon morgen wieder aufstehen dürfen; doch körperliche Aktivitäten sind trotzdem noch nicht erlaubt! Doch ich denke, dass du spätestens in zwei Tagen zumindest die Pflege wieder übernehmen kannst – aber mehr noch nicht, auf keinen Fall!“ Schnell nickte ich bestätigend, bevor der Arzt sich wieder in Rage reden konnte, dann setzte ich mich im Bett ein wenig zurecht, um jetzt endlich das große Thema zu besprechen, welches mir seit Tagen auf dem Herzen lag. „Ich denke, ich liege richtig, wenn ich davon ausgehe, dass Winnetou zurzeit nicht transportfähig ist?“, begann ich. „Damit hast du genau ins Schwarze getroffen, mein Lieber!“, antwortete Hendrick sofort und sah mich dabei neugierig an. Offensichtlich konnte er mir ansehen, dass ich etwas vorhatte. „Hm – und wie lange wird dieser Zustand andauern?“, fragte ich weiter. „Das kann ich dir leider nicht genau beantworten, Charlie“, entgegnete der Doktor. „Das hängt einfach von zu vielen Faktoren ab, und ich werde auf keinen Fall mehr auch nur das geringste Risiko eingehen – noch einen Herzstillstand überlebt unser Freund hier mit Sicherheit nicht!“ „Da hast du natürlich recht – wir werden auf jeden Fall solange hierbleiben, wie es vonnöten sein wird! Wenn ich das richtig sehe, besteht zur Zeit ja keinerlei Gefahr für uns, auch nicht auf lange Sicht, oder?“ Diese Frage hatte ich an Old Surehand gerichtet, der mir meine Vermutung auch gleich bestätigte: „Nein, Charlie, da brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen“, antwortete er. „Der Großteil der Kiowas und der Banditen ist vernichtet, der Rest ist in unserer Hand. Das Militär ist immer noch hier und wird auch solange bleiben, bis zumindest du wieder voll einsatzfähig bist – und wenn der Kommandant das verantworten kann, würde er zumindest noch einen kleinen Trupp zu unserem Schutz hierlassen, bis wir die Festung verlassen.“ Überrascht sah ich ihn an. Ich wusste ja, dass Kommandant Collister uns sehr zugetan war, aber dass er sich auch nach so vielen Tagen noch immer hier aufhielt und sogar noch viel länger bleiben wollte – damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet! „Wie ist das möglich?“, fragte ich daher. „Er kann doch nicht aus reiner Freundschaft zu uns eine solche Entscheidung treffen – er ist doch an seine Befehle von oben gebunden?“ „Das ist richtig“, entgegnete Old Surehand. „Aber er hat gute Gründe, seine Vorgesetzten von seinem Vorgehen zu überzeugen. Die Bande, die sich Thomson und Motawateh angeschlossen hatte, treibt schon seit Jahren ihr Unwesen in dieser Gegend, und das war unter anderem ja auch der Grund, warum Collister mit seinen Soldaten die Stadt und die Umgebung schärfer kontrollieren wollte. Jetzt hat sich die Bande dank unserer – vor allem aber eurer Hilfe – in Wohlgefallen aufgelöst und wird nie wieder irgendjemandem schaden können; dadurch haben wir Collister natürlich jede Menge Arbeit abgenommen.“ „Ihr habt euch, so nehme ich doch an, nach dem Kampf bestimmt auch vergewissert, dass sich in der nahen und näheren Umgebung der Festung keine weiteren feindliche Rothäute befinden, nicht wahr?“ wollte ich jetzt wissen, obwohl ich fest davon überzeugt war, dass meine Gefährten die Situation vollkommen unter Kontrolle hatten. „Selbstverständlich – wo denkst du hin?“ Aus Surehands Worten sprach schon fast eine gewisse Empörung. „Sämtliche Apatschen nebst Firehands Männern sind mehrere Tage lang ausgeschwärmt und haben in immer größeren Umkreisen um dieses Tal herum fast jeden Stein umgedreht! Seit dem Überfall wird die Festung rund um die Uhr bewacht, und zwar ständig von fast der Hälfte aller Bewohner! Außerdem haben wir zwei Boten zum Pueblo geschickt, um die Mescaleros von den letzten Geschehnissen in Kenntnis zu setzen und um zusätzliche Unterstützung zu bitten. Solltest du also vorhaben, Winnetou hier herauszubringen, sobald sein Zustand es erlaubt, dann können wir mit einer großen Zahl Apatschen rechnen, die ihn auf der Reise zurück zum Pueblo schützen werden.“ Ich war äußerst zufrieden über das soeben Gehörte und sprach Surehand daher auch sofort meine Anerkennung über seine Umsicht und die der Kameraden aus. Dann aber ließ ich die Katze aus dem Sack: „Ich bin mir alles andere als sicher, ob Winnetou wieder in sein Heimatdorf zurückkehren wird – und wenn doch, dann würde es nur für eine kurze Zeit geschehen.“ Völlig überrascht starrte mich Surehand an. „Was soll das heißen?“, fragte er verblüfft. „Du warst doch schon einmal der Meinung, dass er sich in seiner gewohnten Umgebung am besten erholen kann – schließlich haben wir ihn deshalb doch auch schon damals durch den halben Llano Estacado geschleppt, und das in einem fast noch schlechteren Zustand!“ „Das ist ja richtig“, antwortete ich. „Aber jetzt sieht die Sache doch etwas anders aus. Damals handelte es sich um eine akute und schwere Verletzung, bei der wir sicher waren, dass unser Freund nach deren Abheilung wieder völlig genesen sein und auch seine alte Form wiedererlangt haben würde – und so ist es ja auch gekommen. Nun aber hat unser Doktor festgestellt, dass all die Strapazen und schweren Verletzungen der letzten Zeit dazu geführt haben, dass der schlechte Gesundheitszustand Winnetous chronisch zu werden droht...“ „Er ist es schon!“, unterbrach mich Hendrick in diesem Moment mit fester Stimme. „Mit einer Herzmuskelentzündung ist wirklich nicht zu spaßen, und es braucht viele Monate, um sie wieder vollständig ausheilen zu lassen!“ Ich holte tief Luft, als der Arzt uns noch einmal in aller Deutlichkeit die momentane Lage vor Augen führte – es klang einfach unendlich besorgniserregend und verursachte sofort ein beklemmendes Gefühl in meiner Brust. Doch ich nahm mich zusammen und führte meine Gedanken weiter aus: „Surehand, du weißt selber, dass es Winnetou schon beim ersten Mal mehr als schwer fiel, sich die vielen Wochen, als es ihm schon besser ging, noch zur Ruhe zu zwingen. Er tat damals zwar alles, was von ihm verlangt wurde, aber nur uns zuliebe – und es war ein Glück, dass es in dieser Zeit zu keinerlei Auseinandersetzungen mit den Apatschen feindlich gesonnenen Gruppen gekommen ist! In solch einem Fall wäre Winnetou unter Garantie nicht ruhig geblieben, sondern hätte alles daran gesetzt, sein Volk zu schützen, meinst du nicht auch?“ „Da ist was dran“, murmelte der Angesprochene verunsichert. „Du glaubst also, dass es ihm nicht gelingen wird, noch einmal für eine längere Zeit eine Ruhepause einzulegen?“ „Nicht in diesen turbulenten Zeiten!“, bestätigte ich seine Vermutung. „Zumal er seine Pflichten, zumindest in seinen Augen, schon zu lange „vernachlässigt“ hat. Er war bis vor dem Zusammentreffen mit unseren Butterfields fest entschlossen gewesen, mit mir zusammen ein paar Tage später sämtlichen Stämmen der Apatschen einen Besuch abzustatten – und dann gibt es ja auch noch die immer wieder aufkommenden Unstimmigkeiten mit den anderen Stämmen; hier und da existieren sogar schon kleinere Scharmützel. Um all das wollte er sich in naher Zukunft kümmern – und das geht jetzt einfach nicht mehr, das lässt seine Gesundheit nicht zu! Er würde vielleicht noch eine ruhige Reise einigermaßen überstehen, aber lass währenddessen auch nur einen einzigen feindlichen Angriff geschehen, oder es kommt zu einer ähnlichen Situation wie jetzt mit unseren Greenhorns – das hätte fatale Folgen, das sehe ich doch richtig, oder nicht?“ Mit dieser Frage wandte ich mich an den Doktor, der sofort zustimmte. „Damit hast du vollkommen recht. In einem solchen Fall, der ja immer unweigerlich mit körperlichen Anstrengungen und Anspannungen zu tun hat, würde die Entzündung im Herzen nicht abklingen, sondern ausufern – und die Folgen wären tödlich!“ „Und genau da liegt der Hase im Pfeffer“, erläuterte ich weiter. „Winnetous immens hohes Pflichtgefühl würde niemals zulassen, dass er seinen Aufgaben und allen anderen außergewöhnlichen Anforderungen nicht nachkommt. Ihr kennt ihn ja alle selbst gut genug – er ist ein absoluter Menschenfreund, der niemals einen Hilfebedürftigen im Stich lassen würde, egal ob rot, schwarz oder weiß. Walter ist der Meinung, dass es bis zu einem Jahr währen kann, bis er endgültig außer Gefahr ist – und niemals wird es Winnetou gelingen, sich so lange aus allem herauszuhalten, niemals!“ „Und was hast du jetzt vor?“ Das war Emerys Stimme, die vom Eingang herüberklang; er betrat gerade unsere Kammer und hatte meine letzten Sätze mitangehört. „Er muss heraus aus seinem Verantwortungsbereich“, antwortete ich. „Er muss hier raus, und nicht nur einfach aus dem gefährlichen Südwesten dieses Landes, sondern generell ganz heraus aus den Staaten!“ „Aha“, kam es jetzt von Surehand. „Und wohin soll er dann gehen?“ „In meine ehemalige Heimat – nach Deutschland!“ Kapitel 36: Hilfe, die von Herzen kommt --------------------------------------- Völlig verblüfft starrten mich Old Surehand und der Doktor an; aus ihren Gesichtern sprach Unglauben und Ratlosigkeit zugleich. Nur Emery nickte verstehend, er sah so aus, als ob er mit so etwas schon gerechnet hätte. „Wie willst du denn das anstellen?“, fragte Surehand mit einer immer noch überrascht klingenden Stimme. „Winnetou wird doch nicht einfach mal so mir nichts, dir nichts seine Heimat verlassen, zumal gerade er doch der Mann ist, auf den es in diesen kriegerischen Zeiten am meisten ankommt!“ „Genau das wird daher auch das wichtigste meiner Argumente sein!“, entgegnete ich bestimmt. „Winnetou weiß, was alles von ihm abhängt, von seiner Persönlichkeit, von seinen Fähigkeiten. Und sollte er sich darüber nicht bewusst sein, dann werde ich oder werden wir ihm das halt noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen führen! Um seinem Volk dienen zu können, muss er auf jeden Fall im Vollbesitz seiner Kräfte sein, und solange er das noch nicht ist, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als alles dafür zu tun, damit er diesen Zustand irgendwann wieder erreicht!“ „Klingt plausibel“, meinte Emery nachdenklich. „Aber wird nicht allein schon diese Reise viel zu anstrengend für unseren Häuptling werden? Er war meines Wissens doch noch nie in Europa, hat also noch nie solch eine lange Schiffsreise unternommen, oder?“ „Das wird sich alles finden“, antwortete ich. „Vorerst kommen wir hier ja sowieso nicht weg, da muss sich sein Zustand erst einmal deutlich verbessern. Bis New Orleans werden wir anschließend wohl irgendwie für angenehme Reiseumstände sorgen können – und auf dem Schiff kommt natürlich nur die erste Klasse in Frage, alles andere wäre für ihn einfach nicht zumutbar!“ „Es gibt bei der ganzen Geschichte aber noch etwas Grundsätzliches zu bedenken, mein Lieber“, schaltete sich jetzt der Doktor in mahnendem Tonfall ein. Fragend sah ich ihn an. „Du musst vor allen Dingen Folgendes unbedingt beachten: Unser Freund darf auf gar keinen Fall großen Menschenmassen ausgesetzt werden, erst recht nicht in Europa!“ „Nein, natürlich nicht“, stimmte ich sofort zu. „Das würde ihn psychisch zu sehr belasten; ihm sind ja schon hier die stickigen, lärmenden Städte zuwider!“ „Ja, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich dir dringend davon abrate“, machte Hendrick deutlich. „Du musst bedenken, dass wir Europäer seit Jahrzehnten, teils Jahrhunderten, gewisse Krankheiten in unseren Reihen haben. Jemand mit einem gesunden Immunsystem und über Jahre in diesen Ländern ausgebildetem Abwehrsystem, wie du oder ich, wird daran selten bis nie erkranken - anders sieht das jedoch schon bei Alten, Kindern oder Kranken aus. Aber Winnetou ist noch nicht einmal allein wegen seines schlechten Gesundheitszustandes gefährdet, sondern auch, weil er ja überhaupt keine Abwehrkräfte gegen unsere typischen europäischen Krankheiten in sich tragen kann... und wenn er sich dann mit einem Mal mit Tuberkulose oder Cholera anstecken sollte, würde das auf jeden Fall sein Todesurteil bedeuten!“ Erschrocken sah ich den Arzt an. Daran hatte ich überhaupt noch nicht gedacht! Aber er hatte natürlich recht – diese Ansteckungsgefahr war ein Umstand, auf den wir jedenfalls ganz besonders achten mussten. Ich hatte mir allerdings auch schon vorher einige Gedanken gemacht, welche Orte ich mit meinem Blutsbruder aufsuchen könnte, und ich war mir sicher, dass es mir möglich sein würde, ihn von solcherlei Gefahren fernzuhalten. Das gesamte Vorhaben würde allerdings einen Großteil meiner Ersparnisse aufbrauchen, doch für Winnetous Gesundheit war mir definitiv nichts zu teuer. Mir war natürlich bewusst, dass er, sobald er mitbekam, wie kostspielig das ganze Unternehmen war, mir umgehend einen Teil seines Goldes dafür aufdrücken würde – aber das könnte ich nie und nimmer annehmen. Mein Freund würde endlich einmal bei mir zu Gast sein, und nicht, wie in all den Jahren zuvor, die wir uns schon kannten, ich bei ihm. Und das hieß, dass ich für meinen Gast für alles aufkommen würde, alles andere widersprach jeglichem Ehrgefühl! Nun wandte ich mich wieder meinen Gefährten zu: „Ich denke doch, dass es uns gelingen kann, Winnetou von großen Menschenmassen fernzuhalten, und ich habe mir da vorher auch schon einige Gedanken zu gemacht. Ich möchte allerdings auch nicht, dass er ständig von vielen Menschen begleitet und umringt wird, auch nicht von Männern wie Old Firehand, Emery oder Old Surehand, die ihm gute Freunde sind – ich hoffe doch sehr, dass ihr beiden das versteht, Emery, Surehand, und euch nicht zurückgesetzt fühlen werdet...?“ Fast schon vorsichtig sprach ich diese Frage aus, denn meine Direktheit war natürlich alles andere als ein höflicher Zug von mir. „Natürlich nicht – wo denkst du hin?“, entgegnete Surehand in gespielter Entrüstung. „Um Himmels Willen - niemand von uns wird so empfinden! Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir alles daran setzen werden, um unserem Freund eine rasche und gänzliche Genesung zu ermöglichen, und die kann er nun einmal nur durch möglichst viel Ruhe erreichen!“, ereiferte sich jetzt auch Emery. Ich nickte erleichtert, und dann sprach ich den Doktor direkt an: „Ich halte es allerdings auch für viel zu gefährlich, Winnetou nur unter meiner Obhut eine solche Reise zuzumuten – und deshalb möchte ich dich jetzt fragen, Walter, ob du damit einverstanden und dazu bereit wärst, uns zu begleiten?“ Ich hörte, wie der Angesprochene überrascht Luft holte. Mir war natürlich mehr als bewusst, was ich da eigentlich von ihm verlangte: Im Falle seines Einverständnisses würde er gezwungen sein, in sein Heimatland zurückzukehren – dem Land, dessen ignorante Bewohner dafür gesorgt hatten, dass der Mensch, der im Besitz seiner ganzen Liebe gewesen war, sich das Leben genommen hatte, weil er nicht mehr in der Lage gewesen war, einen anderen Ausweg zu sehen. Hendrick hatte Deutschland daraufhin den Rücken gekehrt in der festen Überzeugung, nie wieder einen Fuß dort hinsetzen zu können – und genau deshalb war ich jetzt sehr, sehr gespannt auf seine Antwort! Walter senkte den Kopf und dachte lange nach. Ich störte ihn nicht in seinen Überlegungen, konnte aber aus den Augenwinkeln erkennen, wie Old Surehand ihn erstaunt beobachtete. Dieser wusste ja, wie all unsere anderen Gefährten, gar nichts von Hendricks Beweggründen, die ihn zur Flucht aus Deutschland veranlasst hatten, und deshalb ging er wohl wie selbstverständlich davon aus, dass der Arzt sofort und freudig strahlend zusagen würde. Und es dauerte auch gar nicht lange, da hob Walter seinen Kopf und sah mir offen in die Augen. „Charlie – ich glaube, du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich über das Vertrauen freue, das du mir in dieser Sache entgegenbringst! Ich weiß, dass du diese Reise mit Winnetou am liebsten ganz alleine unternehmen möchtest, und dass dann ausgerechnet ich euch begleiten darf, obwohl wir uns doch noch gar nicht so lange kennen – zumindest noch nicht so lange, wie zum Beispiel Emery oder unsere anderen Gefährten hier – das ehrt mich wirklich sehr!“ „Nun hör aber auf“, unterbrach ich ihn schnell. „Du bist uns in den letzten Monaten so sehr ans Herz gewachsen und hast dich dabei als ein Freund entpuppt, auf den man sich in jeder Lebenslage felsenfest verlassen kann – was du mit deinem Steinwurf kürzlich auch eindrucksvoll unter Beweis gestellt hast!“ Hendrick, Emery und Surehand ließen jetzt allesamt ein breites Grinsen sehen, als sie mein Wortspiel bezüglich des Steinwurfs durchschaut hatten; und auch ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich fortfuhr: „Außerdem brauche ich dich dringend als Unterstützung – ich brauche deine bemerkenswerten ärztlichen Fähigkeiten, deinen Rat und überhaupt deine ganze Kompetenz – und ich würde Winnetous Gesundheit und sein Leben niemanden lieber anvertrauen als dir, mein Freund, das kannst du mir glauben!“ Jetzt war der Doktor sichtlich gerührt, einen Moment lang sogar regelrecht sprachlos, während ich im Hintergrund Emery mehrfach zustimmend nicken sehen konnte. „Charlie, ich danke dir! Du weißt ja, dass ich eigentlich niemals wieder zurückkehren wollte – aber ihr beiden, vor allem aber das Schicksal Winnetous liegt mir wirklich sehr am Herzen, und im Augenblick ist mir einfach nichts wichtiger! Natürlich begleite ich euch – von ganzem Herzen gerne!“ Herr im Himmel – wie unsagbar erleichtert war ich jetzt über seine Entscheidung! Denn nun wusste ich, dass Winnetou der beste ärztliche Beistand zur Verfügung stehen würde, den es überhaupt geben konnte, wodurch sich das Risiko dieser Reise gewaltig minimieren würde. Bewegt drückte ich dem Doktor die Hand und nickte ihm stumm zu. Doch es gab noch etwas im Zusammenhang mit unserem Vorhaben, was es zu klären gab, und deshalb ergriff ich auch wenig später wieder das Wort. „Eine Sache bereitet mir allerdings noch Kopfzerbrechen. Wenn Winnetou nicht seinen Aufgaben als Häuptling nachkommen kann, wer...“ „Dann wird Entschah-koh seine Vertretung übernehmen – das hat er doch schon oft getan und daher wohl auch die meiste Erfahrung darin“, fiel Surehand mir ins Wort. „Das ist zwar richtig“, entgegnete ich. „Aber Winnetou war schon zu lange nicht mehr bei gewissen den Apatschen verwandten Stämmen gewesen, zwischen denen sich immer mal wieder einige kleinere Scharmützel bilden. Entschah-koh hat bisher sein Bestes getan, um die Betreffenden zu beschwichtigen, ist aber nun einfach an seine Grenzen gestoßen. Es bedarf jetzt wirklich vor allem der Persönlichkeit und der Aura Winnetous, um in diesen Gebieten den Frieden bewahren zu können – und wir dürfen ihm eine solche Reise in den nächsten Monaten einfach nicht zumuten! Doch für Winnetou wäre es furchtbar, mit ansehen zu müssen, wie der von ihm mühsam errungene Frieden in diesen Gegenden auseinanderbricht, da muss also eine Lösung her!“ „Nun gut – wenn Moses nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg halt zu Moses kommen!“, begann Emery zu sinnieren. „Und wie genau meinst du das?“, fragte ich ihn. „Ist doch ganz einfach: Die Vertreter der Parteien, die miteinander im Augenblick eine solche Fehde austragen oder kurz davor stehen, werden ausnahmsweise jetzt einmal ins Pueblo zitiert! Dort kann Winnetou den Herrschaften dann eindringlich ins Gewissen reden, ohne dass er eine belastende Reise unternehmen muss. Und wenn anschließend alles geklärt ist, könnt ihr drei sofort nach Europa aufbrechen!“ „Richtig!“, schaltete sich jetzt auch Surehand ein. „Es wäre sowieso sinnvoll, mit Winnetou, sobald er dazu wieder in der Lage ist, erst einmal zum Pueblo zurückzukehren, damit er dort alles Wichtige für die Zeit seiner Abwesenheit in die Wege leiten kann. Ich glaube ja nicht, dass ihn die Apatschen aufgrund seiner Erkrankung als Häuptling abwählen werden – oder siehst du das anders?“ „Ich glaube und hoffe es nicht“, entgegnete ich. „Obwohl ich mir gar nicht mehr so sicher bin, ob es für Winnetou nicht sogar eine Erleichterung wäre, wenn er sein Leben nicht mehr diesem schweren Amt unterordnen müsste....“ „Nein, nein, nein!“, empörte sich Surehand sofort. „Das Volk der Apatschen ohne Winnetou als Häuptling, solange dieser unter den Lebenden weilt – niemals! Eine unmögliche Vorstellung! Den Mann kann keiner ersetzen, und ich bin mir sicher, das sieht jeder Einzelne seines Stammes genauso!“ „Auch ich kann es mir eigentlich gar nicht anders vorstellen“, gab ich zu. „Trotzdem stehen wir dann immer noch vor dem Problem, wie dieses Volk während seiner Abwesenheit geschützt werden kann, vor allem vor den weißen Landräubern, den umherziehenden Tramps und dem anderen Gesindel – und nicht zuletzt vor den nicht gerade wenigen voreingenommenen Militärs!“ „Hm - ich hätte da eventuell eine gute Antwort auf deine Frage“, warf nun Surehand wieder ein. „Zunächst einmal wäre es sehr sinnvoll, unseren General Collister um Unterstützung zu bitten. Er hat Winnetou doch mehr als einmal seine Hilfe angeboten, und da Collister jetzt wieder einmal durch ihn und durch uns viel Arbeit abgenommen worden ist, wird er mit Sicherheit sein Einverständnis dazu geben und all seinen Einfluss geltend machen, um die um das Apatschenland herum liegenden Forts für die Belange der Mescaleros und der anderen Stämme zu gewinnen. Und wir – wir alle hier könnten noch viel mehr tun....“ Mit diesen Worten sah Surehand nun vor allem Emery an, der gespannt lauschte. „Eigentlich könnten wir alle hier doch auch so einiges an Hilfestellung geben, oder nicht? Während unsere drei Freunde nach Europa in die Sommerfrische fahren, trommeln wir Zurückbleibenden halt noch einmal die anderen Weggefährten von Helmers Home zusammen - vielleicht gewinnen wir sogar noch einige andere dazu - und dann werden wir das ganze nächste Jahr im Apatschenland verbringen und jeden Banditen zum Teufel jagen sowie sämtlichen Soldaten auf die Finger klopfen, die es wagen, den Frieden dort zu stören!“ Sprachlos starrte ich den Freund an. Das war ein Vorschlag, wie ich ihn nie erwartet hätte! „Das wäre allerdings die beste Lösung“, begann ich nach einer kleinen Weile, in der ich noch mit meiner Überraschung zu kämpfen hatte. „Aber glaubst du wirklich, dass dir das gelingen wird? Dass du all unsere Freunde für diese Aufgabe begeistern kannst?“ „Natürlich!“, sagte Surehand im Brustton der Überzeugung. „Du und Winnetou, ihr habt beide wohl jedem von uns schon einmal aus der Patsche geholfen, und oft genug habt ihr dabei sogar euer eigenes Leben riskiert. Und gerade Winnetou, der nun wirklich allen Grund hätte, einem Weißen jede Hilfe zu versagen, hat uns gegenüber oft genug seine Hilfsbereitschaft und seinen Gerechtigkeitssinn unter Beweis gestellt! Daher bin ich mir auch sehr sicher, dass jeder einzelne unserer Gefährten sich freuen würde, wenn sich ihm endlich einmal eine Gelegenheit böte, unserem Apatschenhäuptling etwas davon zurückzugeben!“ „Das sehe ich ganz genauso“, pflichtete Emery ihm sofort bei. „Außerdem haben wir ja noch einige Wochen Zeit, bevor wir uns überhaupt mit Winnetou auf den Weg zum Pueblo machen können. In dieser Zeit sollten wir vier – Charlie natürlich ausgenommen - vielleicht ein wenig in der Gegend herum reisen und versuchen, so viele unserer ehemaligen Weggefährten wie möglich aufzutreiben und zu rekrutieren!“ „Genau das machen wir!“ Surehand klang fast schon ein bisschen begeistert, als er den Gedanken weiter spann: „Sam Hawkens und Firehand werden uns mit Sicherheit sofort unterstützen, und vielleicht macht auch noch jemand von den Pelzjägern mit!“ Emery fiel jetzt ebenfalls noch etwas ein: „Wäre es nicht vielleicht auch sinnvoll, so viele befreundete Indianerstämme wie möglich von der ganzen Sache zu informieren? Es gibt doch auch unter den Roten genug bedeutende Männer, die großen Einfluss auf weite Teile des indianischen Volkes haben, und sie alle könnten später mithelfen, dass während Winnetous Abwesenheit der Frieden unter allen Umständen gewahrt wird!“ Jetzt sah ich mich doch genötigt, beschwichtigend die Hände zu heben und meine Gefährten in ihrem Eifer etwas zu bremsen, obwohl ich mich wirklich sehr über ihr unglaubliches Engagement für meinen Winnetou freute – hier wurde einmal mehr der Wahrheitsgehalt dieser Weisheit deutlich bewiesen: Wer Gutes sät, wird Gutes ernten! Und doch durften wir in dieser hochwichtigen Angelegenheit nichts überstürzen, also rief ich die beiden erst einmal zur Mäßigung auf: „Haltet ein! Bisher sind all eure Vorschläge gut und richtig gewesen; sie werden der Sache gewiss mehr als dienlich sein – und doch sollten wir mit der Einbeziehung fremder Indianerstämme vorsichtig sein und uns hier erst einmal den Rat von Winnetou und seinen Unterhäuptlingen einholen!“ „Nun, da hast du wahrscheinlich Recht“, gab Surehand zu. „Vielleicht sollten wir die Angelegenheit auch erst einmal mit Sam, Firehand und Tsain-tonkee ausführlich besprechen, bevor wir Hals über Kopf einfach loslegen!“ „Aber nicht mit Charlie, zumindest nicht mehr heute“, bestimmte der Doktor jetzt im strengen Ton. „Ihr seht doch, dass ihm fast die Augen zufallen – also jetzt mal schnell raus hier, der Rest wird morgen besprochen, zum Kuckuck noch mal!“ Als wären sie einfache Soldaten auf dem Exerzierplatz, nahmen Surehand und Emery den Befehl entgegen und wandten sich gerade gehorsam zum Gehen, als ich ihnen noch schnell hinterherrief: „Einen Augenblick noch! Ich habe mittlerweile jedes Zeitgefühl verloren – welcher Tag ist heute?“ „Kein Wunder, dass du das nicht weißt - du hast ja auch die letzten Tage komplett verschlafen“, grinste Emery verschmitzt. „Es sind jetzt genau sieben Tage seit dem Kampf vergangen!“ „Und Thomson befindet sich immer noch in sicherer Verwahrung?“ erkundigte ich mich weiter. „Aber natürlich!“, bestätigte Surehand jetzt mit Nachdruck. „Den Kerl lassen wir unter Garantie nicht mehr laufen! Aber wir haben alle zusammen beschlossen, dass wir erst über ihn zu Gericht sitzen, wenn Winnetou wieder so weit wohlauf ist, dass er dem ganzen Prozess zumindest beiwohnen kann – immerhin ist er der Hauptgeschädigte!“ Jetzt war ich wirklich beruhigt und verabschiedete die beiden mit einem sehr zufriedenen Lächeln. Aber der Doktor hatte Recht gehabt – ich war in den letzten Minuten tatsächlich von einer solch heftigen Müdigkeit übermannt worden, dass es mir sehr schwer fiel, ihr noch irgendwie standzuhalten. Deshalb sprach ich auch gar nicht mehr viel, sondern stellte Hendrick jetzt nur kurz die Frage, die für mich im Augenblick am wichtigsten war: „An Winnetous Zustand hat sich nichts geändert? Es sind keine neuen Komplikationen aufgetreten?“ „Nein, mein Lieber, da brauchst du im Augenblick keine Sorge haben“, versicherte mir der Arzt sofort. „Er steht immer noch unter dem Einfluss starker Schlaf- und Schmerzmittel, daher geht es ihm auch den Umständen entsprechend gut!“ Zu der Müdigkeit gesellte sich jetzt nochmals eine große Erleichterung. Doch ich konnte ihr keinen Ausdruck mehr verleihen, also begnügte ich mich damit, dem Doktor noch einmal dankbar zuzunicken, und Sekunden später war ich schon wieder eingeschlafen. Beim nächsten Mal wurde ich nicht von einem Flüstern, sondern durch das leise Geplätscher von Wasser geweckt. Rasch schlug ich die Augen auf und setzte mich ein wenig auf, um einen besseren Blick auf Winnetous Lager zu bekommen, wo das Geräusch seinen Ursprung hatte. Ich gewahrte Tsain-tonkee, der in diesem Augenblick damit beschäftigt war, Winnetous Körper ausgiebig zu reinigen, und er schien diese Aufgabe mit einer wahren Hingabe auszuführen. Nun aber hatte er bemerkt, dass ich erwacht war, und wandte sich mir sofort zu: „Tsain-tonkee bittet um Verzeihung, dass er Old Shatterhands Schlaf gestört hat“, entschuldigte er sich sogleich bei mir. „Mein roter Bruder mag sich keine Gedanken machen – er hat mich nicht gestört. Ich will doch nicht den ganzen Tag verschlafen“, beruhigte ich ihn. Dann betrachtete ich meinen geliebten Freund genauer, doch es waren immer noch keine Anzeichen auszumachen, dass es ihm mittlerweile besser ging. Daher wandte ich mich an den jungen Unterhäuptling, um seine Meinung über Winnetous Zustand zu hören. Er antwortete: „Der Oberhäuptling der Apatschen liegt in einem tiefen Schlaf, so dass sein erkranktes Herz die nötige Ruhe bekommt. Allerdings bewirkt die Entzündung, dass er weiterhin fiebert. Wir können es zwar durch die heilenden Säfte der Osha-Pflanze immer wieder absenken, aber es klingt nie ganz ab. Doch solange dem Häuptling keinerlei Anstrengungen zugemutet werden, befindet er sich nicht in unmittelbarer Gefahr. Old Shatterhand mag sich also nicht so viele Sorgen machen!“ „Hmpf – zu spät, ist schon längst geschehen....“, murmelte ich und sah mich dann aufmerksam im ganzen Raum um. Offenbar war unser Doktor gerade nicht anwesend, und diesen Umstand nutzte ich jetzt auch sofort aus, indem ich die Beine aus dem Bett schwang, um dann zum ersten Mal seit Tagen wieder aufzustehen. Leicht fiel mir das nicht, ich spürte, dass ich über viel weniger Kräfte verfügte, als ich vorhin in noch liegender Position angenommen hatte. Nun schwindelte mir auch noch etwas, was ich aber darauf zurückführte, dass sich mein Kreislauf erst einmal wieder an die ungewohnte Haltung und Anstrengung gewöhnen musste. Im gleichen Augenblick spürte ich eine Hand in meinem Rücken, dann noch eine auf meiner Schulter, die mich sogleich zu stützen begannen. Ich sah zur Seite und legte Tsain-tonkee nun meine Hand auf seinen Arm, während er mich weiterhin ziemlich besorgt betrachtete. „Mein Bruder muss keine Sorge haben; es geht mir wirklich gut!“ Mit diesen Worten versuchte ich mich an den ersten, noch unsicheren Schritten; und es gelang mir auch fast sofort, mich einigermaßen unauffällig zu bewegen, doch zur Sicherheit behielt ich meine Hand noch auf dem Arm des Unterhäuptlings. Dieser musterte mich weiterhin recht kritisch, half mir aber trotzdem, die kurze Strecke bis zu Winnetous Lager zurückzulegen. Kaum war ich dort, setzte ich mich sofort an dessen Seite, nahm seine Linke in beide Hände, drückte einen sanften Kuss auf seinen Handrücken und presste sie dann fest an meine Brust. Unendlich gerührt sah ich in sein blasses und mittlerweile fast schon hageres Gesicht, betrachtete seine trotzdem immer noch wunderschönen Gesichtszüge, die langen, schwarzen Wimpern, die schön geformten Augenbrauen, die jetzt scharf hervortretenden Wangenlinien und nicht zuletzt seine halbvollen, sanft geschwungenen Lippen, die ich am liebsten ebenfalls geküsst hätte – doch das wagte ich natürlich nicht, da Tsain-tonkee nun mal anwesend war und ich schon mit meinem Handkuss gerade eben sehr viel Gefühl gezeigt hatte. Trotzdem konnte ich mich in keinster Weise des Verlangens erwehren, jetzt mit meiner Rechten sachte über die Wangen meines Freundes zu streicheln, und nun spürte ich auch deutlich, dass er in den letzten Tagen und Wochen einiges an Gewicht verloren haben musste. Wie sollte es auch anders sein – seit dem Kampf wurde sein Körper nur noch von den Infusionen versorgt und ernährt, und da er ja nie auch nur ein Gramm Fett angesetzt hatte, wurde sein von Natur aus schon sehr schlanker Körper jetzt natürlich gleich der Reserven beraubt. Und trotzdem war ich in diesem Moment einfach nur unglaublich froh, ihn hier vor mir liegen zu sehen, so froh, dass wir nun doch unseren Lebensweg gemeinsam meistern durften! Am liebsten hätte ich ihn nun in meine Arme gezogen und an meine Brust gedrückt, aber die Anwesenheit des jungen Unterhäuptlings verbot mir natürlich strikt solch intensive Liebesbezeugungen. Tsain-tonkee ließ sich jetzt aber auch in seiner Tätigkeit nicht mehr weiter stören. Er beendete die körperliche Reinigung meines Freundes und machte sich nun daran, ein duftendes Öl in seine Hände zu gießen. Dann rieb er seine Handflächen einige Augenblicke aneinander, um sowohl Hände als auch Öl anzuwärmen, und begann schließlich, Oberkörper sowie Arme des Apatschenhäuptlings ausgiebig zu massieren. Ich kannte das ja schon von der Zeit auf Helmers Home, als mein Freund dort zum ersten Mal in langer Bewusstlosigkeit gelegen hatte – das lange Liegen konnte nämlich ganz schnell, trotz immer wieder wechselnder Lagerung, die Haut wund werden lassen, außerdem mussten Knochen, Muskeln und Gelenke wiederholt durchbewegt werden, um eine Versteifung zu verhindern; und all dem wurde durch die intensiven Massagen mit einem besonderen Öl vorgebeugt und erreicht. Diese Aufgabe hatte bisher ich immer übernommen, und da ich mich schon wieder recht stark und wohl fühlte, bat ich daher jetzt auch Tsain-tonkee, mir die weitere Pflege zu überlassen. Abermals erntete ich von ihm einen kritischen Blick, doch dann schien er zu dem Schluss zu kommen, dass mir wohl wirklich keine Gefahr mehr drohte, und überließ mir das Öl mit einem, wie mir schien, wissenden Lächeln. Ich sah ihn daraufhin genauer an – ahnte er etwas? Doch aus seinen unbewegten Gesichtszügen konnte ich nichts lesen; allerdings drehte er sich im gleichen Moment um und verließ den Raum, was in mir doch leisen Zweifel über seine Ahnungslosigkeit hinsichtlich der wahren Beziehung zwischen Winnetou und mir erweckte. Doch ich machte mir darüber nicht allzu viele Gedanken, da mir während unserer gemeinsamen und sehr innigen Zeit im Pueblo in den letzten Monaten schon oftmals hier und da wissende Blicke und teils verstohlene Gespräche der Bewohner aufgefallen waren. Winnetou hatte mir ganz zu Anfang unserer Liebesbeziehung erzählt, dass es unter den Apatschen einige Krieger gab, die anstatt einer Squaw einen Mann liebten; darüber wurde dann auch nie viel Aufhebens gemacht. Warum also sollte das unter seinen Stammesangehörigen jetzt anders sein, nur weil es in diesem Fall ihren Häuptling betraf? Es war für mich jedes Mal überwältigend zu sehen, wie sehr die Mescaleros an ihrem Anführer hingen; gerade während seiner langen Genesungsphase im letzten halben Jahr war das mehr als deutlich geworden, weil sein Volk da zum ersten Mal überhaupt wirklich hatte zittern müssen um das Leben seines geliebten Häuptlings. In dieser Zeit hatten sich die Bewohner des Pueblos fast überschlagen, um ihm die lange Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten, und jeder noch so kleine Fortschritt seiner Genesung hatte jedes Mal zu wahren Freudentänzen geführt – all das hatte mich seinerzeit tief bewegt, und daher war ich mir fast sicher, dass der überwiegende Teil der Apatschen dem Häuptling alles Glück dieser Erde wünschte, welcher Art auch immer dieses sein mochte! Tief in Gedanken versunken machte ich mich daran, jeden einzelnen Muskel meines Geliebten zu bearbeiten, ihn mal sanft, mal fest zu massieren und seine Haut dabei gleichzeitig elastisch und geschmeidig zu halten. Mir selbst taten diese Handlungen unendlich gut, beruhigten sie doch mein Innerstes merklich, wo die Sorge und die Angst um meinen Freund ständig an die Oberfläche durchzubrechen drohten. Und doch genoss ich es sehr, ihn endlich einmal wieder für mich ganz alleine zu haben und ihm gleichzeitig ganz nahe sein zu dürfen, so dass ich mir für die Massagen deutlich mehr Zeit ließ, als es eigentlich vonnöten gewesen wäre. Zwischendurch wunderte ich mich allerdings, warum bisher weder der Unterhäuptling noch der Doktor wieder aufgetaucht waren, aber mittlerweile konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass Tsain-tonkee dem Arzt über mein Tun berichtet hatte und beide Männer nun dafür sorgten, dass mein Blutsbruder und ich nicht gestört wurden – zumindest Hendrick hätte ich das allemal zugetraut! Mit allen Sinnen genoss ich die körperliche Anwesenheit Winnetous, die Wärme, die sein Leib ausstrahlte, auch wenn es eine fiebrige Wärme war, die weiche Haut, die im schönsten Bronzeton erglänzte, die immer noch muskulöse und wirklich perfekt definierte Gestalt – meine Liebe zu diesem Mann war unendlich, und ich konnte es mir absolut nicht vorstellen, dass ich irgendwann nicht mehr so empfinden könnte, oder noch schlimmer, irgendwann ohne ihn durchs Leben gehen zu müssen. Besonders lange verweilte ich an der noch frischen, aber schon leicht verkrusteten Verletzung auf seiner linken Schulter. Ganz sanft ließ ich meine Finger darüber gleiten, voller Schuldbewusstsein, weil ausgerechnet ich, sein bester Freund und engster Vertrauter, ihm diese Wunde zugefügt hatte – und obwohl ich doch genau wusste, dass ich mit seinem Einverständnis gehandelt hatte, war ich mir alles andere als sicher, ob ich mir diese Tat jemals würde verzeihen können. Mir war natürlich bewusst, dass Winnetou diese recht kleine Verletzung als völlig belanglosen Kratzer abgetan hätte, wenn er ansprechbar gewesen wäre, und trotzdem war ich alleine schon wegen dieses „Kratzers“ sehr froh, dass er im Augenblick keinerlei Schmerzen ertragen musste – ich wollte einfach nicht, dass er wegen mir auch nur den Hauch einer Missempfindung verspürte! Lange, lange Zeit saß ich so an Winnetous Seite, während meine Massage ganz allmählich in ein sanftes Streicheln übergegangen war, da ich seinen Körper nicht überfordern wollte. Leise sprach ich währenddessen mit ihm, berichtete ihm von meinen Plänen, mit ihm für mindestens ein Jahr nach Deutschland zu gehen, erzählte ihm von all den schönen Plätzen, die ich ihm dann zeigen wollte – er konnte mich natürlich nicht hören, aber ich war mir sicher, dass er meine Anwesenheit genau spürte. Und darum redete ich einfach weiter. Sprach von meinen furchtbaren Ängsten, die ich um ihn gelitten hatte und immer noch litt, von meiner unbändigen Freude, als ich erkannt hatte, dass auch er im letzten Moment noch gerettet worden war und wir unseren Lebensweg weiterhin gemeinsam gehen durften, von meinem Schuldbewusstsein, allein schon wegen der kleinen Wunde, vor allem aber wegen meinem Versuch, ihn zu erschießen – im Nachhinein erschien mir das alles so absurd, so unfassbar! Wahrscheinlich um mit mir selbst irgendwie ins Reine zu kommen, erklärte ich meinem bewusstlosen Freund nochmals meine Beweggründe für mein Handeln, erwähnte mein vermeintliches Wissen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in unmittelbarer Lebensgefahr befunden hatte, dass Thomson ihn Sekunden später zumindest schwer verletzt hätte, und dass ihm im Falle seines Überlebens dann ein unglaublich grausamer Leidensweg bevorgestanden hätte. Und seltsamerweise bekam ich nach einiger Zeit das Gefühl, als würde er nicht nur genau zuhören, sondern gleichzeitig auch seine Seele sprechen lassen, und diese lautlose Sprache drang in mein gepeinigtes Gewissen mit aller Macht vor, so dass ich kurz darauf eine wunderbare Erleichterung in meinem Herzen fühlte, als ob mein Gewissen nun reingewaschen wäre von allen Schuldgefühlen – allein seine körperliche Anwesenheit legte sich wie Balsam auf meine Seele! Ich weiß nicht, wie lange ich so bei meinem Freund gesessen hatte, aber irgendwann wurden wir dann schließlich doch von unserem Doktor gestört, der sich offenkundig davon überzeugen wollte, dass es uns beiden auch wirklich gut ging. Er begrüßte mich mit einem Lächeln, und ich war ehrlich gesagt heilfroh, dass er nicht schon wieder lospolterte, weil ich gegen seinen Willen aufgestanden war. Allerdings wusste ich auch einmal mehr nicht genau, was für ein Tag heute war, denn ich hatte absolut keinen Überblick darüber, wie lange ich eigentlich geschlafen hatte; daher war es ja auch durchaus möglich, dass schon wieder ein neuer Tag angebrochen war und ich somit die offizielle Erlaubnis des Arztes besaß. Hendrick trat an unsere Seite, fragte zuerst nach meinem Befinden und überzeugte sich gleich darauf mittels seiner Instrumente, ob ich mit der Schilderung meines Zustandes, den ich mit „wunderbar“ betitelt hatte, nicht doch die absolute Unwahrheit gesagt hatte. Aber kurz darauf schien auch er sehr zufrieden mit mir, so dass er sich sofort im Anschluss wieder um Winnetou bemühen konnte. Nach einer eingehenden Untersuchung, währenddessen ich ihn genau beobachtet hatte, setzte er sich neben uns, mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht anders als unentschlossen bezeichnen konnte. Jetzt sah er mich auch genau in der gleichen Weise an, so dass ich sofort nachfragte: „Was gibt es, Walter? Stimmt irgendetwas nicht?“ „Nein, nein, keine Sorge, mein Freund, das ist es nicht – an Winnetous Zustand hat sich nichts geändert. Allerdings...“ „Du machst dir trotzdem um irgendetwas Gedanken, richtig?“, unterbrach ich ihn jetzt. „Ein wenig, ja. Ich bin mir einfach nicht sicher, was jetzt sinnvoller ist: Einerseits tut unserem Freund dieser tiefe Schlaf und die damit verbundene Ruhe und Schmerzfreiheit unendlich gut, andererseits aber verliert er mittlerweile zunehmend an Gewicht – und das ist alles andere als gut für ihn, gerade in seinem sowieso schon arg strapazierten Gesundheitszustand! Deshalb überlege ich gerade, ob ich ab jetzt, zumindest vorübergehend, das Schlafmittel weglassen sollte. Er würde somit wahrscheinlich im Laufe des Tages aufwachen und dann auch hoffentlich in der Lage sein, etwas zu sich zu nehmen. Aber dadurch wird sich das Risiko einer Überanstrengung sicherlich wieder erhöhen – und unsere Sorgen somit nicht gerade abnehmen!“ Nachdenklich sah ich den Freund an. Sollte ich das jetzt entscheiden? Nein – Walter war der kompetente Mediziner, nicht ich. Meine Aufgabe bestand darin, ihn so gut wie möglich zu unterstützen und auf meinen Winnetou einzuwirken, damit er sich in jedem Fall an Hendricks Vorgaben hielt. Und daher ermutigte ich den Doktor jetzt auch: „Walter – egal was du tust und wie du entscheidest: ich werde auf jeden Fall dahinter stehen, denn ich weiß, dass du nur das Beste für Winnetou willst!“ „Vielen Dank für dein Vertrauen, Charlie!“, gab der Angesprochene fast schon erleichtert zurück. „Dann werden wir jetzt dafür sorgen, dass er im Laufe des heutigen Tages wieder zu sich kommt – aber wir, vor allem du, musst all deinen Einfluss auf ihn geltend machen und alles dafür tun, dass er ruhig bleibt!“ Ich versprach es ihm natürlich hoch und heilig und bekam daraufhin auch gleich eine Aufgabe zugewiesen. Walter bestimmte, dass ich mich auch wieder legen sollte, dieses Mal aber direkt neben dem Apatschen, um sofort reagieren zu können, wenn dieser nach so langer Zeit wieder zu sich kommen würde. Ich kam dem natürlich auch sofort nach, und mein eigener, immer noch nicht völlig wiederhergestellter Gesundheitszustand sorgte dann auch schnell dafür, dass ich rasch einschlief, nachdem ich mich fest an den warmen, fiebrigen Körper meines Freundes angeschmiegt hatte. Als ich nach einigen Stunden wieder erwachte, hatte sich immer noch nichts getan. Winnetou schlief weiterhin tief und fest, aber – das Fieber war merklich abgesunken! Ich konnte es fast nicht glauben, doch Walter war der festen Überzeugung, dass dieser Umstand mit meiner körperlichen Nähe zu dem Apatschen zusammenhing. „Er spürt dich einfach, Charlie“, behauptete der Arzt steif und fest. „Deine Anwesenheit wirkt sofort beruhigend auf seinen Geist und Körper ein – wir haben das doch in früheren Zeiten schon mehrfach festgestellt, also warum glaubst du es nicht einfach?“ Ich musste nun doch lächeln ob seines Eifers, mich zu überzeugen, doch ich konnte ihm nicht mehr antworten, da in diesem Moment Emery, Sam, Firehand und Surehand den Raum betraten. Den fast schon entsetzten Blick unseres Doktors ahnte ich mehr, als dass ich ihn sah, doch bevor er wieder aufbrausen konnte, weil seiner Meinung nach die Ruhe im Krankenzimmer durch die Anwesenheit so vieler Menschen empfindlich gestört wurde, machte Firehand eine beschwichtigende Geste und bemühte sich, ihn dahingehend zu besänftigen: „Keine Sorge, Walter, wir sind ganz leise! Wir möchten nur mit Charlie kurz unser weiteres Vorgehen besprechen.“ Mit diesen Worten setzte er sich an meine Seite und begann zu berichten: „Wie gut, dass du wach bist! So können wir dich endlich auf den neuesten Stand bringen: Wir haben mit Collister gesprochen, und dieser hat sich, ohne zu zögern, sofort dazu bereit erklärt, uns zu helfen! Ein Teil seiner Kompanie wird weiterhin zum Schutz der Festung hierbleiben, bis wir mit Winnetou aufbrechen, um uns anschließend bis zum Pueblo Geleit zu geben. Collister selbst wird mit dem Rest seiner Soldaten allerdings schon morgen früh aufbrechen, um sämtliche Forts, die sich in der näheren Umgebung des Apatschenlandes befinden, aufzusuchen, damit er mit den Kommandanten derselben sprechen und sie auf das kommende Jahr einschwören kann. Er möchte natürlich auch, dass unter allen Umständen der Frieden in der Region gewahrt wird, und er hat dahingehend schon im ganzen letzten Jahr auf seine Vorgesetzten eingewirkt, die größtenteils jetzt auch auf seiner Linie sind. Er...“ Firehand unterbrach sich, weil ihn mein völlig verblüffter Gesichtsausdruck offenbar sehr belustigte. „Hast du von Collister etwas anderes erwartet, Charlie?“ „Nein, das nicht...“, antwortete ich, immer noch regelrecht verdattert. „Aber ich konnte mir nie und nimmer vorstellen, dass er mit einem solchen Eifer an die Sache herangehen würde – und dabei auch noch Erfolg haben könnte!“ „Na, da kannst du mal sehen: nicht alles auf dieser Welt ist schlecht, selbst beim Militär gibt es solche Ausnahmen, was aber wahrlich selten genug ist!“, fiel jetzt Emery ein, und alles nickte. Old Firehand fuhr fort: „Collister weiß sehr genau, wie unglaublich wichtig unser Winnetou für die gesamte Region hier ist; man merkt ihm auch deutlich an, wie leid ihm dieser tut und wie sehr er sich wünscht, dass der Häuptling wieder vollständig genesen wird! Aber solange dieser für sein Einflussgebiet nicht zur Verfügung stehen kann, sieht es der Kommandant genau wie wir: Dann müssen für die nächste Zeit einfach mal alle zusammenhalten – Weiß und Rot, Militär und Zivilisten. Collister hat versprochen, seinen ganzen Einfluss darauf zu verwenden, dass die Kommandanten der in Frage kommenden Forts sowohl mit den Apatschen als auch mit uns Westmännern zusammen arbeiten werden, und das in gleichberechtigter Weise!“ Ich war sprachlos. So etwas hatte ich mir schon immer erhofft, und ausgerechnet jetzt, wo Winnetou so schwer erkrankt war, würde sein größter Wunsch Wirklichkeit werden! Zumindest der Wille war da, aber allein das war schon mehr, als wir es je zu hoffen gewagt hatten. Wenn alle Verantwortlichen in dieser Region zusammenarbeiten würden, dann konnte das doch nur auf eine friedliche Lösung hinauslaufen! Doch Firehand hatte noch mehr zu berichten: „Wie nicht anders zu erwarten war, haben wir alle natürlich Surehands Vorschlag zugestimmt, und das von Herzen gerne! Wir vier werden ebenfalls morgen früh aufbrechen, um so viele unserer ehemaligen Weggefährten zusammenzutrommeln, wie es nur geht. Jeder von uns weiß mindestens zwei oder drei Aufenthaltsorte von dem einen oder dem anderen, und somit dürfte es höchstens zwei, drei Wochen dauern, bis wir zumindest mit Antworten, im besten Falle aber mit den Kameraden höchstpersönlich wieder hier erscheinen werden. Und diese Zeit wird es ja auf jeden Fall noch brauchen, bis unser Freund hier wieder so weit ist, als dass er die Reise zum Pueblo antreten kann, oder nicht?“ Diese Frage war an den Doktor gerichtet, der auch gleich zustimmend nickte. Weil Firehand ein Pause machte, übernahm es jetzt Emery, mir weiter zu berichten: „Vor zwei Stunden sind Entschah-koh und Til Lata hier eingetroffen. Wie sie das innerhalb von acht Tagen geschafft haben statt der zehn, die es einmal für den Boten hin und für die beiden samt zwanzig Apatschen zurück gebraucht hätte, weiß ich nicht – die Sorge um ihren Häuptling hat sie wohl so sehr umgetrieben, dass sie alles aus ihren Tieren herausgeholt haben müssen! Jedenfalls haben sie erst lange mit Tsain-tonkee gesprochen, dann mit uns Westmännern sowie dem Kommandanten, und sie sind soweit mit unseren Plänen einverstanden. Darüber hinaus wollen sie Boten aussenden, nicht nur an alle den Mescaleros freundlich gesonnenen Stämme, sondern vor allem an diejenigen, die miteinander im Clinch liegen. Sie bitten dadurch alle Vertreter dieser Stämme zu einer großen Zusammenkunft im Pueblo, an der natürlich auch Winnetou teilnehmen sollte. Für die beiden Häuptlinge ist es daher wichtig zu erfahren, zu welchem Zeitpunkt dieser ungefähr wieder für ein solches Palaver zur Verfügung stehen kann – und außerdem möchten sie sich natürlich so schnell wie möglich selbst ein Bild von Winnetous Zustand machen. Beide warten jetzt darauf, dass du ihnen den Zutritt gewährst.“ Die letzten Worte hatte Emery an den Doktor gerichtet, und dieser stimmte natürlich sofort einem Besuch der beiden zu. Also verließen die vier Westmänner jetzt die Kammer, nicht ohne mir aber vorher zu versichern, dass sie vor ihrer Abreise am nächsten Morgen nochmals einen kurzen Abschiedsgruß an mich richten wollten. Kapitel 37: Freud und Leid -------------------------- Einige Augenblicke später traten dann auch Winnetous Jugendfreunde und stellvertretende Häuptlinge ein. Dass es sich gleich beide nicht hatten nehmen lassen, das Pueblo zu verlassen und zu unserer Unterstützung herbeizueilen, machte wieder einmal deutlich, wie sehr sie an ihrem Oberhäuptling und Freund hingen, wie eng sie sich mit ihm verbunden fühlten. Deshalb waren auch ihre Gesichter voll der Sorge, als sie sich nach einem kurzen Gruß an Walter und mich sofort an Winnetous Seite begaben. Beide sahen genauso aus, wie ich es mir in ihrer Situation vorgestellt hatte: Als Winnetou das Pueblo verlassen hatte, war er nach langen Monaten der Genesung endlich wieder im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen und hatte vor Gesundheit nur so gestrotzt. Und nun, nur wenige Wochen später, sahen sie ihn wieder, in einem schlechteren Zustand als jemals zuvor – wie musste sich dieser Umstand auf das Gemüt seiner Freunde auswirken! Sie zeigten in diesem Augenblick auch weit mehr Emotionen, als sie es sich aufgrund ihrer indianischen Erziehung und Kultur sonst je erlaubt hätten, ungeachtet unserer Anwesenheit – und diese Sorge, dieses Mitgefühl hätten sie auch mit Sicherheit vor keinem anderen als uns offenbart. Vor mir schämten sie sich ihrer Ängste nicht, da ich die meinen nicht nur jetzt, sondern auch schon vor Monaten nie vor ihnen versteckt hatte, und dem Doktor vertrauten sie offenbar genauso, wie ich es tat. Beide saßen sie nun stumm an Winnetous Seite; Entschah-koh hielt dessen Hand fest an sich gedrückt, während Til Lata ihm liebevoll erst ein paar Haarsträhnen beiseite strich und gleich danach ein weiches Tuch ergriff, um seinem Häuptling vorsichtig den Schweiß von der Stirn zu tupfen. Es war unglaublich berührend, diese beiden sonst so ernsten und unnahbaren Krieger jetzt einmal auf diese Weise zu erleben, mit sichtlich bewegten Gesichtszügen, die sie ausnahmsweise mal nicht vollständig unter Kontrolle hatten, mit einer solch liebevollen und gefühlsbetonten Gestik Winnetou gegenüber, die mit Sicherheit noch kein Mensch zuvor an ihnen außerhalb ihrer Wohnungen im Pueblo gesehen haben mochte. Bei diesem Anblick brannte es verdächtig hinter meinen Augenlidern, und ich musste mich schwer zusammennehmen, um nicht vollständig die Kontrolle zu verlieren. Als die beiden Häuptlinge sich wieder etwas gefasst hatten, besprachen sie mit uns ausgiebig unser schwieriges Vorhaben, Winnetou für die Zeit seiner Genesung und Erholung nach Europa reisen zu lassen. Beide stimmten unseren Beweggründen vorbehaltlos zu und waren auch mit unseren weiteren geplanten Maßnahmen hinsichtlich der Einbeziehung der Westmänner und Soldaten mehr als zufrieden. Allerdings waren auch sie sich einigermaßen unsicher, wie Winnetou auf all das reagieren würde. Til Lata konnte sich nicht so recht vorstellen, dass der Oberhäuptling der Apatschen irgendwann tatsächlich bereit wäre, auf so lange Zeit seine Verantwortung abzugeben – aber die Aussicht, dass in der Zwischenzeit Rot wie Weiß eng zusammenarbeiten würden, um den Frieden zu erhalten, ließ ihn hoffen, dass dieser Umstand Winnetou dann doch möglicherweise umstimmen könnte. Aber als ich nun vorsichtig die Frage in den Raum stellte, ob es dem Volk der Apatschen aufgrund der schweren Erkrankung Winnetous nicht vielleicht sogar lieber sein könnte, einen neuen Oberhäuptling an seine Spitze zu wählen, da wiesen die beiden diese Möglichkeit weit von sich, fast schon ein wenig empört. Und dann begannen sie haltlos und wild durcheinander Winnetous Vorzüge aufzuzählen, sein Charisma, seine Aura, seine ganze Persönlichkeit anzupreisen mit dem deutlichen Hinweis darauf, dass auf diesen Mann kein einziger Apatsche jemals würde verzichten wollen – zumindest nicht einer, der noch bei klarem Verstand war! In diesem Augenblick war nichts mehr von der Ruhe und Würde der beiden hochrangigen Krieger zu spüren; im Gegenteil, sie ereiferten sich so sehr, dass ich mich ihnen fast lachend ergab und schwor, nie wieder eine solche Unterstellung von mir zu geben! Im Anschluss kamen wir noch auf das Problem der verschiedenen Stämme zu sprechen, die miteinander im Clinch lagen und die Winnetou in Kürze hatte besuchen wollen. Auch Til Lata und Entschah-koh waren der Meinung, dass mein Freund in all den Jahren so viel für sein Volk und die benachbarten Stämme getan hatte, dass man von diesen ruhig erwarten, nein, sogar verlangen konnte, dass die Verantwortlichen sich jetzt einmal ins Pueblo begaben, um dort miteinander zu beraten und bestenfalls Frieden zu schließen. Entschah-koh war sich im Übrigen auch sehr sicher, dass es einem Boten gelingen würde, die Betreffenden von der Notwendigkeit des Unternehmens zu überzeugen. Unter normalen Umständen hätte sich jetzt zumindest einer der beiden stellvertretenden Häuptlinge sofort aufgemacht, um persönlich die Rolle dieses Boten zu übernehmen, so dass man dadurch die höchstmögliche Überzeugungskraft ausüben konnte – aber die Aussicht, Winnetou demnächst für eine lange, lange Zeit nicht mehr an ihrer Seite oder zumindest in ihrer Nähe zu wissen, veranlasste die zwei zu dem Vorhaben, ihn bis zu unserer Abreise eng begleiten zu wollen. Außerdem wussten sie genau, dass ich jede Unterstützung benötigen würde, um Winnetou davon zu überzeugen, dass er diese Reise auf jeden Fall antreten sollte, und da würden mir seine Jugendfreunde mit Sicherheit eine große Hilfe sein. Zu guter Letzt musste ich den beiden Apatschen noch einmal haarklein über die Geschehnisse der letzten Wochen berichten, angefangen bei der Rettung der drei Siedlerkinder aus dem Pecos, welche Winnetou und mich in größte Lebensgefahr und meinem Freund dann auch fast den Tod gebracht hatte. Natürlich wollten sie auch alles über unsere Gefangenschaft in Motawatehs Zelt erfahren, und als ich ihnen schilderte, welch grausame Qualen ihr Oberhäuptling dort hatte ertragen müssen, diese aber ohne mit der Wimper zu zucken erduldet hatte, kostete es sie unendlich viel Mühe, äußerlich ruhig zu bleiben – aber ihre mahlenden Kiefermuskeln sowie die zu Fäusten geballten Hände sprachen eine deutliche Sprache, und auch mir fiel es weiterhin sehr, sehr schwer, über diese furchtbaren Stunden zu sprechen. Doch am schlimmsten war es für mich, noch einmal alle Einzelheiten des Kampfes mit den Kiowas zu wiederholen, und als ich an die Stelle kam, an der ich auf meinen Blutsbruder geschossen hatte, versagte mir fast die Stimme, und das Schuldbewusstsein stand mir wohl mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber Til Lata und Entschah-koh ließen es nicht zu, dass ich mich weiter in diesen negativen Betrachtungen erging. Im Gegenteil, sie sprachen mir sogar ihre Bewunderung für meinen Mut aus, eine solch endgültige Entscheidung im Angesicht der höchsten Gefahr für ihren Häuptling getroffen zu haben, eine Entscheidung, die für ihn letztendlich ja eine Erlösung bedeutet hätte – und das kam für mich jetzt doch recht überraschend. Die beiden Mescaleros nahmen diese grässlichen Geschehnisse offenbar völlig anders wahr, erlösten mich dadurch aber dennoch nicht vollständig von meinen Gewissensbissen. Nun aber wurde es Zeit, dass sie sich nochmals mit unseren Gefährten zusammensetzten, um die folgenden Schritte ein letztes Mal genauestens zu besprechen; außerdem wollten sie Tsain-tonkee die große Aufgabe übertragen, die Häuptlinge der miteinander verfeindeten Stämme ins Pueblo einzubestellen, und dazu mussten sie ihm noch einige wichtige Dinge mit auf den Weg geben. Wie freute ich mich für den jungen Unterhäuptling, dass nicht nur Winnetou, sondern auch seine beiden hochrangigsten Stellvertreter in ihm ein so großes Vertrauen setzten! Also verließen die beiden Mescaleros mich jetzt, baten aber darum, dass ihnen sofort Bescheid gegeben werden sollte, wenn Winnetou erwachen würde. Jetzt trat auch wieder unser Doktor ein, der sich nochmals einer eingehenden Untersuchung meines Freundes widmete und auch mich ein weiteres Mal ausgiebig begutachtete. Mit mir war er offensichtlich so zufrieden, dass ich von fast allen Einschränkungen befreit wurde; ich durfte also wieder ganz normal am Leben teilnehmen, sollte mich allerdings noch nicht körperlich anstrengen. Das konnte ich ihm im Augenblick auch guten Gewissens versprechen, da ich meine neu gewonnene Freiheit erst einmal noch nicht ausnutzen wollte. Ich fühlte nämlich überhaupt kein Bedürfnis, mich sofort nach draußen zu begeben, um erstmals seit vielen Tagen wieder frische Luft zu atmen – nein, ich wollte unbedingt bei Winnetou bleiben, und das so nah wie möglich. Also legte ich mich wieder an seine Seite, mit dem Kopf auf seine Schulter, die mir knochiger erschien als noch vor zwei, drei Wochen, spürte seine Wärme, seinen langsamen, ruhigen Atem, vernahm seinen ebenfalls langsamen, aber etwas unregelmäßigen Herzschlag, und ich schwor mir ein weiteres Mal in Gedanken, alles dafür zu tun, damit er wieder völlig gesund werden würde, möge es noch so lange dauern. Seine unmittelbare Nähe wirkte nun auch wunderbar beruhigend auf mich, und deshalb war es wohl keine große Überraschung, dass ich kurz darauf wieder einschlief. Von was ich eigentlich genau erwacht war, konnte ich gar nicht sagen, als ich die Augen wieder aufschlug. Draußen war es dunkel, und in einer Ecke der Kammer brannte eine kleine Öllampe, die alles in ein flackerndes Halbdunkel tauchte. Mit einem Mal spürte ich eine hauchzarte Berührung an meinem Hinterkopf und erkannte im gleichen Moment, dass ich etwas Ähnliches vorhin schon mal gespürt haben musste und davon wohl auch erwacht war. Und nun hob sich der Brustkorb meines Freundes mit einem tiefen Atemzug, so dass ich alarmiert hochfuhr. Ich sah ihn an – und blickte direkt in seine geöffneten Augen, schwarz, samtig, voller Liebe und Wärme. „Scharlih“, flüsterte er mit schwacher Stimme, und abermals hob sich seine Hand, um mir sanft durchs Haar zu fahren. Ich war jetzt wie elektrisiert. Vorsichtig richtete ich mich etwas auf, legte ihm meine Hand auf die Stirn und fragte leise, vor Freude allerdings auch ein wenig wirr durcheinander stammelnd: „Mein Bruder... mein lieber, guter Bruder! Endlich... du bist wieder... wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“ Verneinend schüttelte mein Freund den Kopf. Er sah mir lange, lange ins Gesicht, schien mich dann mit seinen Blicken förmlich abzutasten, als diese an meiner Gestalt herauf und herunter glitten. Dann stieß er einen erleichterten Seufzer aus und setzte wieder zum Sprechen an, doch die Worte kamen noch mühsam, heiser und ganz leise: „Scharlih... ist mein lieber... mein lieber Bruder wieder... ganz gesund? Hat er das... Schlangengift... besiegt?“ Ich hatte mich gleich zu Beginn seiner Frage umgedreht und nach einem Becher gegriffen, den ich schnell mit frischem Wasser füllte und jetzt an seine Lippen setzte, wobei ich ihn ermahnte: „Ich bin völlig wiederhergestellt, hab keine Sorge, mein Freund! Doch jetzt, bitte, versuche ein wenig zu trinken, und sprich nicht viel, ich sehe ja, dass es dich zu sehr anstrengt und dir Schmerzen bereitet!“ Er nickte nur und trank dann gehorsam, während ich ihn mit meiner Hand im Rücken abstützte und dabei meine Rührung zu unterdrücken versuchte aufgrund der Tatsache, dass mein geliebter Freund sich wieder einmal nur um mein Befinden gesorgt hatte, anstatt erst einmal an sich zu denken! Mit kleinen Unterbrechungen gelang es ihm schließlich sogar, den Becher zu leeren, und sofort danach bettete ich ihn wieder behutsam in die Felle, was er auch mit einem tiefen Aufatmen und geschlossenen Augen geschehen ließ. Ich ließ ihm erst einmal etwas Zeit zum Durchatmen, damit er sich von dieser für ihn schon kräftezehrenden Anstrengung erholen konnte. Währenddessen hielt ich mich ganz nah an seiner Seite, strich ihm mit einer Hand immer wieder über sein herrliches Haar und legte sie ihm anschließend nochmals auf die Stirn. Ich konnte spüren, dass er noch unter einer erhöhten Temperatur litt, aber so fiebrig wie noch vor ein paar Stunden fühlte er sich jetzt bei weitem nicht mehr an. Liebevoll, aber auch mit einer gewissen Sorge betrachtete ich den erschöpft Daliegenden, beobachtete ihn ganz genau, um sofort eingreifen zu können, sollte er Anstalten machen, sich wieder zu sehr anzustrengen. Im Augenblick aber rührte er sich nicht, sondern lag weiterhin so ruhig da, dass ich fast schon zu glauben begann, dass er wieder eingeschlafen war. Mit einem Mal aber öffnete er wieder die Augen. Sein Blick irrte unruhig im Raum umher, bis er mich erneut fand - noch einmal sah er mich prüfend an, noch einmal tastete dieser Blick meine gesamte Gestalt ab, und dann endlich schien er wirklich zu glauben, dass es mir tatsächlich wieder gut ging, was sich auch darin äußerte, dass er abermals die Augen schloss und gleichzeitig einen hörbar erleichterten Seufzer ausstieß. Sofort ergriff ich seine Hand, führte sie an meinen Mund, um einen innigen Kuss auf den Handrücken zu setzen und drückte sie dann fest an mich, während ich ihm im sanften Ton zusicherte: „Winnetou braucht sich wirklich keine Sorgen zu machen – weder um mich noch um irgendetwas anderes! Der Kampf ist gewonnen, und die einzigen Ängste, die uns alle hier jetzt noch bewegen, sind die um die Gesundheit meines lieben Bruders!“ Wieder öffneten sich seine Lider, und nun sah er mich mit ernster Miene an, doch gleichzeitig waren diese wundervollen Sternenaugen so voller Wärme und Liebe, dass ich unwillkürlich erschauerte und mich dabei ertappte, dass ich meinen Blick gar nicht mehr von ihnen lösen konnte. Ich strich ihm mit meiner Hand sanft über seine Wange und fragte leise: „Wie geht es dir, mein Freund? Wie fühlst du dich?“ Seine Kehle war jetzt nicht mehr so ausgetrocknet, weshalb er auch nur noch ein wenig heiser klang, als er mir leise versicherte: „Auch Scharlih muss... keine Sorgen haben – Winnetou fühlt nur noch.... große Müdigkeit, nichts weiter.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm das glauben sollte, aber dass er furchtbar müde war, das sah ich ihm nicht nur an, das war auch mehr als verständlich nach all den Medikamenten, die der Doktor ihm in der letzten Zeit verabreicht hatte. Doch nun richtete sich meine Aufmerksamkeit wieder voll auf meinen Freund, der erneut leise und stockend zum Sprechen ansetzte, was ich eigentlich gar nicht zugeben und deshalb sofort wieder unterbinden wollte, doch seine folgenden Worte ließen mich stattdessen gebannt lauschen: „Scharlih – Manitou hat... hat uns gerade... noch zur rechten Zeit Hilfe gesandt! Winnetou hatte schon fest mit seinem... seinem Leben abgeschlossen... und nur noch darauf gehofft, dass sein guter Bruder auch... auch nicht mehr lange zu... zu leiden braucht – doch der große Geist hat entschieden, dass... dass wir in diesem Leben noch einige Aufgaben... zu erfüllen haben!“ Seine Rede berührte mich nun so sehr, dass ich gar nicht anders konnte als ihn vorsichtig in meine Arme zu ziehen und fest an mich zu drücken. Ich bettete seinen Kopf an meine Brust und wagte dann eine Frage zu stellen, die mir schon länger im Kopf herumspukte: „Ja, wir dürfen noch immer unter den Lebenden weilen – aber mein Bruder hat mir einmal gesagt, dass er es spüren würde, wenn sich sein Leben dem Ende zuneigt. Warst du dir in den Stunden vor dem Kampf nicht sicher, ob das nun das Ende ist – und wenn doch: wolltest du es mir nicht sagen?“ Er dachte kurz nach, bevor er mir antwortete: „Nein, Scharlih – Winnetou hatte zu keiner Zeit die... die Gewissheit gehabt, dass er... in dieser Nacht sterben würde. Und doch... unsere Situation war in diesen letzten Minuten so... so ausweglos, dass ich mir zu diesem... Zeitpunkt... sicher war, nun den... den Gang zu den Sternen antreten zu dürfen...“ Dieses kleine Wörtchen „dürfen“ sorgte dafür, dass mir erneut ein leiser Schauder den Rücken hinunter rieselte. Doch ich versuchte das zu ignorieren und hakte dann weiter nach: „Und wenn du einst die Gewissheit haben solltest – wirst du mit mir darüber sprechen? Auch wenn es für mich unvorstellbar wäre und die schrecklichste Situation darstellen würde, die ich mir überhaupt vorstellen kann – ich würde einfach alles dafür geben, wenn ich mich vorher in Liebe von dir verabschieden könnte!“ „Winnetou verspricht es“, sagte er leise. Und dann sah ich mit einem Male Tränen in seinen Augen glitzern, so dass der Sternenhimmel in ihnen begann, sich in einen funkelnden Diamanten zu verwandeln. Dieser Anblick brachte mein Innerstes zum Schmelzen; ich musste an mich halten und mehrmals schlucken, um nicht dem Drang nachgeben zu müssen, meinen Tränen freien Lauf zu lassen. Stattdessen drückte ich meinen Freund noch fester an mich, küsste ihn sacht auf die Stirn und fragte, beinahe ängstlich: „Welcher Kummer drückt die Seele meines Bruders nieder? Oder hast du etwa doch Schmerzen?“ Auf meine letzte Frage hin schüttelte er fast schon energisch den Kopf und sah mir dann tief in die Augen: „Verzeih... verzeih mir, Scharlih! Winnetou wollte doch nicht, dass sein Bruder sich... abermals so sehr sorgen und... und ängstigen muss! Er war so sehr bereit, alles... alles dafür zu tun, damit sein Körper schnell wieder so... so stark und gesund werden würde wie bei unserer... Abreise aus dem Pueblo....“ Er kam nicht weiter, denn sofort hatte ich die Selbstanklage meines geliebten Freundes unterbrochen, indem ich ihm kurzerhand meine Lippen auf die seinen drückte. Das fehlte noch, dass er sich jetzt auch noch die Schuld an all den furchtbaren Geschehnissen gab! Einige wenige, aber wunderbar innige Momente lang liebkoste ich auf sanfte Weise seine schön geschwungenen Lippen, bevor ich fast schon schweren Herzens von ihnen abließ und stattdessen nun kopfschüttelnd meinem Blutsbruder den Zeigefinger auf den Mund legte und ihm somit Stillschweigen gebot. Meine Stimme zitterte leicht, als ich ihm meine Sichtweise darzustellen versuchte: „Ich bitte dich, mein Bruder – du darfst dir doch keine Vorwürfe machen! Wenn jemand an all diesen schrecklichen Ereignissen die Schuld trägt, dann ist das nur allein dieser Bastard namens Thomson! Und nun, und das ist im Moment mein größter Wunsch, meine größte Bitte an dich: Sprich jetzt nicht mehr, sondern trinke noch etwas Wasser und versuche vor allem, ein wenig Nahrung zu dir zu nehmen, ja?“ Mit diesen Worten setzte ich ihm abermals den von mir erneut mit Wasser gefüllten Becher an die Lippen, und auch jetzt kam Winnetou meiner Aufforderung sofort nach und trank alles aus. Ich sah ihm jedoch an, dass selbst diese wenigen Bewegungen schon recht anstrengend für ihn waren, und so unterstützte ich ihn, wo ich nur konnte. Der Doktor hatte – umsichtig, wie er immer war – eine Schale, gefüllt mit kräftiger, mit Maismehl angedickter Fleischbrühe, in meiner Reichweite stehen lassen. Diese war zwar jetzt kalt, aber das tat dem Geschmack trotzdem keinen Abbruch, wie ich aus eigener Erfahrung wusste. Daher ergriff ich nun diese Schale und begann, meinem Freund langsam, Löffel für Löffel der nahrhaften Speise anzureichen, und er ließ es willig geschehen. Doch viel konnte er noch nicht zu sich nehmen, dafür war seine letzte Mahlzeit einfach zu lange her gewesen – außerdem fehlte ihm schlicht und ergreifend die Kraft. Er lag danach auch wieder sichtlich erschöpft in meinen Armen, und diese Zeit nutzte ich, um ihm nochmals zu versichern, dass seine Schuldgefühle absolut unsinnig waren: „Winnetou – es gibt für mich überhaupt nichts zu verzeihen! Im Gegenteil, du hast doch nun wirklich alles dafür getan, um dir und mir das Leben zu erhalten, aber irgendwann war das Ganze für uns einfach nur noch aussichtslos! Keiner von uns beiden konnte wissen oder auch nur ahnen, dass doch noch rechtzeitig Hilfe nahen würde! Und wenn sich...“ Obwohl ich meinen Freund eindringlich gebeten hatte, nicht mehr zu sprechen, unterbrach er mich jetzt doch, immer noch mit leiser, stockender Stimme, um seinem Herzen Luft zu machen: „Winnetou hat... hat aber die Aufforderungen des Doktors... missachtet und damit seine Gesundheit riskiert – und... alleine für... für dich, Scharlih,... wollte er nie wieder so handeln!“ Wieder einmal berührten mich seine Worte so sehr, dass es mir schwer fiel, ihm zu antworten, so eng war mir meine Kehle geworden. „Aber das hast du doch nur für mich getan! Walter hat mir erzählt, dass du dich selbst völlig vergessen hast, allein um mir zu helfen – das darfst du dir doch nicht vorwerfen! Ich kann mich gar nicht glücklich genug schätzen, einen solchen Freund wie dich zu haben – und ich werde das niemals vergessen, was du für mich getan hast! Ich liebe dich über alles, mein Bruder!“ Nun war Winnetou sichtlich gerührt und im Augenblick unfähig, mit fester Stimme zu sprechen, daher begnügte er sich damit, mir die Hand zu drücken und seine Sternenaugen, in denen immer noch Diamanten funkelten, voller Wärme und Liebe auf mir ruhen zu lassen. Noch einmal küsste ich ihn liebevoll auf den Mund, und während meine Hand ihm immer wieder über seine Wangen oder durch sein Haar strich, machte ich mich bereit, ihn auf das Kommende, das Unausweichliche vorzubereiten. „Mein guter Bruder – du weißt, dass du dein altes Leben für eine lange Zeit nicht wirst wieder aufnehmen können?“, frage ich ihn jetzt ganz direkt. „Winnetou hat sich so etwas schon gedacht....“ antwortete er leise, fast flüsternd. Ich lächelte ihm aufmunternd zu, während ich weitersprach: „Du bist sehr schwer erkrankt, verlierst zur Zeit auch noch viel an Gewicht – jede noch so kleine Anstrengung könnte daher im Augenblick zu deinem sofortigen Tod führen! Aber ich bin und bleibe an deiner Seite, und wir stehen das zusammen durch – da mag kommen, was will!“ Die Diamanten in Winnetous Augen funkelten noch ein wenig heller, als er mir ein leises Lächeln schenkte. Ich verschob nun auch mein Vorhaben, ihn über meine Reisepläne zu informieren, auf später, denn jetzt war deutlich zu spüren, dass ihn seine wenigen Kräfte wieder verließen und er deshalb schon nicht mehr in der Lage war, mir überhaupt noch zu antworten. Ich wollte das auch gar nicht, da jegliche Anstrengung für ihn nun mal mit einem gewissen Risiko verbunden war, und bemühte mich daher nur, ihm diesen Umstand noch einmal zu verdeutlichen: „Im Augenblick darfst du wirklich nichts anderes tun als zu ruhen, zu essen und zu schlafen. Ich werde aber ständig an deiner Seite sein und darauf achten, dass du dir auch ja nichts anderes zumutest und keinerlei Anstrengungen unternimmst – so wie jetzt gerade, indem du dich bemühst, wach zu bleiben, obwohl es deinem Körper nach Schlaf verlangt!“ Winnetous Lächeln vertiefte sich noch etwas, wohl auch deshalb, weil ich mich sichtlich darum bemüht hatte, eine gewisse Strenge an den Tag zu legen, was mir aber ganz und gar nicht gelang. Trotzdem schloss er jetzt gehorsam die Augen – und war Minuten später auch wieder eingeschlafen. Lange Zeit saß ich dort auf dem Lager, meinen geliebten Freund in den Armen haltend, und hing meinen Gedanken nach, während draußen allmählich der Morgen heraufdämmerte. Vor allem die kommende Zeit in Deutschland – vorausgesetzt, Winnetou sperrte sich nicht mit allen Fasern seines Körpers gegen mein Vorhaben, dann würde das Ganze natürlich überhaupt keinen Sinn machen – beschäftigte mich. Ich wusste ja, dass das alles nicht ganz einfach werden würde, aber je mehr ich mich mit den vielen Möglichkeiten befasste, die sich mir boten, um meinen Freund in Ruhe gesund werden zu lassen, desto mehr überwog die Zuversicht und ich begann mich allmählich wirklich auf das Unternehmen zu freuen. Die Sonne war gerade aufgegangen, da betrat der Doktor schon die Kammer, und sofort berichtete ich ihm, natürlich im Flüsterton, freudig über das erste Erwachen meines Blutsbruders samt der Tatsache, dass er sogar schon etwas Nahrung zu sich genommen hatte. Hendrick setzte sich daraufhin rasch an unsere Seite und ließ sich, fast schon begeistert, noch einmal jede Einzelheit von mir haarklein berichten, während er gebannt lauschte. Er war dann auch mehr als zufrieden mit dem Gehörten und begann, meinen Freund noch einmal gründlich zu untersuchen. Währenddessen fragte er mich: „Du konntest Winnetou somit noch nicht auf deine geplante Reise mit ihm ansprechen?“ „Nein, Walter“, antwortete ich. „Erst einmal war es für mich am wichtigsten zu erfahren, ob er nicht doch noch unter Schmerzen zu leiden hatte, und anschließend benötigte er all seine Kraft, um zu trinken und etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Zudem machte er sich auch noch diese unsinnigen Selbstvorwürfe – und die musste ich ihm dringend wieder ausreden!“ Kopfschüttelnd ging Hendrick seiner Aufgabe weiter nach, kam aber dann doch noch mal auf meine Worte zurück: „Was für ein unglaublicher Mensch! Er rettet dir das Leben, riskiert dabei aber sein eigenes – und entschuldigt sich anschließend noch bei dir, weil ihm das eine nicht ohne das andere gelungen ist! Ich sage dir, Charlie: dieser Mann hier ist viel mehr Christ, ist weit mehr zivilisiert als die allermeisten Menschen unserer weißen Rasse – und das beweist er mit jedem Tag aufs Neue!“ Ich konnte nicht anders als zustimmend nicken, und gerade weil Hendricks Worte mir soeben noch einmal verdeutlicht hatten, was für ein unglaubliches Glück mir zuteilgeworden, als mir ein solch edler Mensch wie mein Winnetou an die Seite gestellt worden war, gerade deshalb konnte ich jetzt nicht umhin, meinem Geliebten sanft die Stirn zu küssen und seine Hand fest an meine Brust zu drücken. Walter sorgte nun dafür, dass mir ein wunderbares Frühstück serviert wurde, und auch für meinen Freund wurde eine weitere Schale mit Maisbrühe vorbereitet, die ihm bei seinem nächsten Erwachen sofort angereicht werden sollte. Noch während ich mit Genuss mein Frühstück verspeiste, erschienen vier unserer Gefährten mitsamt Tsain-tonkee in der Kammer, die sich für ihr geballtes Auftreten ein weiteres Mal einen bitterbösen Blick unseres Doktors einfingen. Man hatte daraufhin fast den Eindruck, als ob zumindest die vier Weißen, nämlich Emery, Sam, Surehand und Firehand, ganz kurz davor waren, kleinlaut die Köpfe einzuziehen – aber sie wollten mir nun einmal Lebewohl sagen und dabei auch unbedingt noch einen letzten Blick auf Winnetou werfen. Überdeutlich war zu erkennen, dass sich die große Sorge um ihn in allen Gesichtern widerspiegelte und wohl auch noch lange unser aller und ständiger Begleiter bleiben würde. Nachdem sie den Doktor und vor allem mich mehrfach ermahnt hatten, unter allen Umständen gut auf den Apatschenhäuptling achtzugeben, machten sich die vier Westmänner, begleitet von unseren guten Wünschen, auf den Weg, um ihr Versprechen einzulösen und so viele unserer vormaligen Weggefährten zusammenzutrommeln, wie nur möglich. Dadurch ergab sich für Tsain-tonkee noch die Gelegenheit, sich in Ruhe von uns und vor allem von seinem Häuptling zu verabschieden, und das tat der junge Indianer auch ausgiebig. Man sah ihm deutlich an, dass es ihm sehr schwer fiel, Winnetou gerade während der für ihn so gefährlichen Phase seiner Krankheit verlassen zu müssen, aber seine Aufgabe war nun einmal eine immens wichtige und würde bei einem erfolgreichen Abschluss viel dazu beitragen, dass mein Freund in Ruhe wieder genesen konnte. Zum Abschied strich der Unterhäuptling Winnetou noch einmal sacht über Stirn und Wangen, dann drehte er sich mit einem Ruck um und verließ schnell den Raum – doch nicht schnell genug, um verhindern zu können, dass ich das Glitzern in seinen Augen erkannt hatte, was mich wirklich sehr berührte. Nun verließ auch noch unser Doktor die Kammer, um sich in seine eigene zu begeben, natürlich nicht ohne mich vorher eindringlich darauf hinzuweisen, dass ich selbst bei den geringsten Veränderungen von Winnetous Zustand sofort laut rufen sollte, um seine Hilfe anzufordern. Im Übrigen hätte er es sich auch leichter machen und einfach an der Seite des Häuptlings sitzen bleiben können, doch er war wahrscheinlich der Meinung, dass es meinem Freund mit mir allein an seiner Seite einfach besser ergehen würde. Es schien dann auch tatsächlich fast so, als hätte der Apatsche gespürt, dass sich außer mir niemand mehr in dem Raum aufhielt, denn nach höchstens einer Viertelstunde, in der wir dort allein zugebracht hatten, begann er, sich langsam zu regen, begleitet von mehreren tiefen Atemzügen. Sofort zog ich ihn noch fester in meine Arme und bedachte ihn gleichzeitig mit einer ganzen Reihe von Zärtlichkeiten, bis er schließlich die Augen aufschlug. Kaum hatte er mich erkannt, schenkte er mir wieder sein so zu Herzen gehendes warmes Lächeln und drückte gleichzeitig meine Hand. Ich sah, dass er zum Sprechen ansetzen wollte, unterband das aber wieder sofort und sorgte erst einmal dafür, dass er genügend Wasser zu sich nahm. Auch danach erlaubte ich ihm das Reden noch nicht, sondern reichte ihm dafür löffelweise die nahrhafte Maisbrühe an, was er ebenfalls gehorsam über sich ergehen ließ, und zu meiner großen Freude gelang es ihm dieses Mal sogar, fast die ganze Schale zu leeren! Natürlich fragte ich ihn wieder als erstes, ob er Schmerzen habe – und natürlich verneinte er abermals durch ein leichtes Kopfschütteln, wobei ich mir allerdings nicht ganz sicher war, ob ich ihm das wirklich glauben konnte. Ruhig lag er jetzt in meinen Armen, warf mir hin und wieder einen liebevollen Blick zu und sah ansonsten mit fast schon abwegigem Blick auf den Ausgang der Kammer, zu der im strahlenden Gold die Morgensonne hereinschaute. Ich hielt ihn weiterhin eng an mich gedrückt, mit einer Hand auf seiner Brust, und sein langsamer, wenn auch etwas unregelmäßiger Herzschlag wirkte wie immer ungemein beruhigend auf mich. Allmählich bekam ich das Gefühl, als ob sein Herz fast schon im Gleichklang mit meinem schlagen würde, von dem zwischenzeitlichen Stolpern mal abgesehen, und auch dadurch fühlte ich mich mit meinem geliebten Freund untrennbar verbunden, auf ewig. Beinahe hätte ich dieses kostbare Leben ausgelöscht! Dieser Gedanke belastete mein Gewissen weiterhin schwer, ob ich wollte oder nicht. Immer wieder sann ich darüber nach, ob ich in diesem letzten, schrecklichen Augenblick nicht hätte anders handeln können, nein, hätte handeln müssen! Sicherlich, die Lage war in meinen Augen einfach aussichtslos gewesen, und ich hatte meinem Blutsbruder versprochen, in einem solchen Fall seinem Leben ein schnelles Ende zu setzen, damit er nicht den unsäglichen Qualen dieses sadistischen Verrückten ausgesetzt werden würde – aber: hatte ich die ganze damalige Situation eigentlich auch richtig überblicken können? War ich in meinen Wahrnehmungen nicht erheblich eingeschränkt gewesen, allein durch die Nachwirkungen des fast tödlichen Würgens, welches ich kurz zuvor über mich hatte ergehen lassen müssen? Waren meine Sinne nicht getrübt gewesen durch den kräftezehrenden Kampf, der dem Ganzen vorangegangen war, verstärkt noch durch die Wirkung des Schlangengiftes, welches sich zum Teil immer noch in meinem Körper befunden hatte? War ich nicht generell geblendet gewesen durch meine übergroße Angst um den Apatschen, hervorgerufen vor allem durch die furchtbaren Geschehnisse in Motawatehs Zelt? All das ging mir immer und immer wieder durch den Kopf, und auch wenn ich in dem besagten Moment mehr als genügend Gründe für mein Handeln zur Hand gehabt hatte, so war ich mir jetzt überhaupt nicht mehr sicher, ob ich die nahende Rettung durch die Gefährten nicht hätte bemerken müssen, auch trotz meiner vernebelten Sinne. Mir war, als wäre ich meiner großen Verantwortung für den Häuptling der Apatschen nur unzureichend nachgekommen, wenn überhaupt, und dieses Schuldgefühl lastete von Tag zu Tag mehr auf meiner Seele. Hatte ich wirklich geglaubt, diese trüben Gedanken vor meinem Blutsbruder verbergen zu können? Mein unvergleichlicher Winnetou spürte trotz seiner körperlichen Schwäche natürlich ganz genau, dass mir etwas auf das Gemüt drückte, und natürlich – wie sollte es auch anders sein - ahnte er schon, was mich da eigentlich beschäftigte. Ich war seinem Beispiel gefolgt und hatte währenddessen ebenfalls den goldenen Schein der Morgensonne beobachtet, der im Eingang immer weiter wanderte – da spürte ich mit einem Mal seine Hand auf meinem Arm. Ich sah auf ihn herunter und bemerkte erst jetzt, dass er mich wohl schon eine ganze Weile beobachtet hatte, denn seine dunklen Augen ruhten fragend auf mir. Schon hatte ich die Frage auf den Lippen, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei oder ich etwas für ihn tun könne, da kam er mir zuvor, fragte nun mich, leise, behutsam, immer noch mit schwacher Stimme, doch zu meiner Freude kamen seine Worte jetzt flüssiger, nicht mehr so stockend: „Was hat mein Bruder auf dem Herzen? Winnetou spürt genau, dass die Seele Scharlihs von unguten Gedanken gequält wird!“ Ach, mein Winnetou! Diese Treue, diese rührende Fürsorge, seine sanfte Stimme und die fragenden, samtig schimmernden Augen trafen mich wieder einmal bis ins Mark. Wie immer in solchen Momenten quoll mein Herz über vor Liebe zu ihm, und schnell drückte ich ihm einen innigen Kuss auf die Stirn, was ihn aber beileibe nicht daran hinderte, mich weiterhin auffordernd anzusehen. Tief holte ich Luft und stieß sie mit einem kleinen Seufzer wieder aus. Es nützte nichts – ich hatte sowieso vorgehabt, mit meinem Freund noch mal über die damalige, eigentlich völlig irrwitzige Situation zu sprechen, und je länger ich dieses vor mir herschob, desto schwerer würde es mir dann später mit Sicherheit fallen. Ich zog ihn noch fester in meine Arme, und meine Hand begann dabei beinahe unbewusst, ihm über seine Arme und Schultern zu gleiten. Als sie an seiner linken Schulter angekommen war, stockten meine Bewegungen unwillkürlich, denn nun fuhren meine Finger ganz sanft über die noch frische Wunde, die die Kugel aus meinem Revolver an jenem verhängnisvollen Abend gerissen hatte. Winnetous Blicke folgten meinen Bewegungen, dann aber, nach wenigen Sekunden, legte er seine Rechte auf meine Hand, beließ sie dort und zwang sie somit zum Stillstand. Ich lehnte meinen Kopf ganz nah an den seinen heran, wobei mein Mund beinahe seine Schläfe berührte, und dann begann ich leise zu sprechen: „Ich glaube... ich glaube, dass ich mir das nie werde richtig verzeihen können, mein Bruder...“ „Verzeihen? Diesen unbedeutenden Kratzer? Mein Bruder spricht nicht im Ernst!“ Ich brauchte gar nicht hinzuschauen, um das Lächeln zu sehen beziehungsweise zu hören, welches seine Worte begleitete, und fühlte mich allein durch diese entspannte Reaktion von ihm beinahe schon beruhigt. Dennoch wollte ich ihm jetzt unbedingt alles erzählen, was mich bedrückte, denn wenn ich erfuhr, wie er darüber dachte, würden meine Gewissensbisse vielleicht der Vergangenheit angehören. Also begann ich erneut: „Ich kann es einfach immer noch nicht fassen, dass ich tatsächlich auf dich.... auf dich geschossen habe! Wäre der Revolverlauf nicht verkrümmt gewesen, hätte mich in dem Augenblick nicht Walters Stein getroffen und wärst du nicht auch noch gleichzeitig... zusammengesackt – ich hätte dich getötet! Meinen besten Freund, dessen Leben mir doch viel, viel mehr bedeutet als mein eigenes! Ich hätte dich getötet, obwohl...“ Weiter kam ich nicht, denn Winnetou hatte sich schon bei meinen ersten Worten etwas mehr aufgesetzt, sich halb zu mir gedreht und sah mich jetzt mit einem fast schon erschrockenen Ausdruck im Gesicht an. „Scharlih... mein lieber, guter Bruder – wie kommst du bloß auf solche Gedanken? Winnetou weiß doch genau, dass du das alles nur für ihn getan hast! Du hast diese Entscheidung getroffen mit der festen Absicht, mir eine weitere Gefangenschaft und den Tod am Marterpfahl zu ersparen! Und ich war doch damit einverstanden! Wir haben beide nicht bemerkt, dass sich unsere Gefährten schon im Tal befanden – wir haben beide keinen Ausweg mehr gesehen! Wieso also glaubst du, du hättest dich versündigt? Wenn, dann hat sich Winnetou allein versündigt, da er nicht einfach abgewartet und sich Manitous Willen unterworfen hat!“ Nicht doch! Er machte sich jetzt auch Vorwürfe? Das war das Letzte, was ich mit meinem Geständnis erreichen wollte, und so setzte ich auch gleich alles daran, ihm diesen Unsinn sofort wieder auszureden: „Aber nein! Winnetou trägt doch keine Schuld! Ich war es doch, der so gehandelt hat, ich allein habe dem Schicksal vorgegriffen! Ich hätte die Ankunft unserer Gefährten im Tal bemerken müssen – du aber warst dazu ja gar nicht mehr in der Lage, einerseits aufgrund der Kopfverletzung durch den Streifschuss, der dir vorübergehend das Bewusstsein geraubt hat, andererseits aber warst du schon zu diesem Zeitpunkt durch deine schwere Erkrankung gar nicht mehr richtig aufnahmefähig und konntest somit die nahende Rettung nicht mehr erkennen!“ Winnetou hatte sich jetzt noch etwas höher gestemmt und machte einen beinahe verzweifelten Versuch, mich irgendwie zu beruhigen und meine nicht enden wollende Beichte zu stoppen. Er umfasste mit seiner Hand sanft meine Wange, drehte mein Gesicht zu ihm hin und legte mir anschließend seinen Finger auf den Mund, so dass ich meinen Redefluss zwangsläufig unterbrechen musste. „Winnetou wird nicht zulassen, dass sein Bruder sich so quält! Er hat nichts Falsches und nichts Böses getan – im Gegenteil, er hat alles versucht, um seinem Blutsbruder das Leben zu erhalten, und erst, als er keinen Ausweg mehr sah, handelte er, um diesen vor allem weiteren Leid zu schützen!“ Ich hätte es eigentlich voraussehen können, voraussehen müssen, dass mein Freund die Lage nur zu meinem Gunsten beurteilen und mir keinesfalls zürnen würde! Trotzdem machte ich noch einen schwachen Versuch, ihn zumindest von einer kleinen Teilschuld meinerseits zu überzeugen: „Und doch habe ich dich verwundet... dabei hast du schon so vieles durchmachen müssen, und ausgerechnet ich vergrößere dieses Leid auch noch... „ Täuschte ich mich oder hörte ich jetzt ein leises Lachen meines Freundes? Ich verstummte augenblicklich, und dann vernahm ich es tatsächlich: Er begann zu lachen, erst leise, wurde dann lauter, lachte schließlich aus vollem Herzen, und ich konnte mich jetzt gar nicht mehr satt sehen an diesem seltenen Anblick, der mich tief in meinem Innersten berührte! „Aber Scharlih! Dieser kleine Hautriss... Winnetou spürt ihn doch gar nicht... Was machst du dir nur für Gedanken...?“ Immer noch kämpfte er mit seinem Lachanfall, wovon ich so fasziniert war, dass ich ihn die ganze Zeit über lächelnd, aber wie gebannt ansah. Er bemühte sich jetzt sichtlich, das Lachen zu unterdrücken, was ihm aber nicht völlig gelang, daher klang seine nächste Frage auch noch etwas abgehackt: „Glaubt... mein Bruder vielleicht... etwa, dass Winnetou... sich in ein... kleines Kind... verwandelt hat, welches... bei jedem Kratzer heult und jammert?“ Seine Heiterkeit riss mich mit, und daher begann ich jetzt auch zu lachen, als ich antwortete: „Aber nur wie ein weißes Kind, mein Freund – ein Indianerkind würde sich nie so benehmen!“ Aus irgendeinem Grund war es mit meinem Freund jetzt ganz aus – er warf sich zurück in die Kissen und Felle und begann abermals aus vollem Herzen zu lachen, was bei mir dazu führte, dass ich mich gar nicht mehr zurückhalten konnte und ebenfalls lauthals mit einfiel. Dann aber fuhren wir beide heftig zusammen, als es wenig später mit einem Mal laut im Eingang unserer Kammer zu poltern und zu scheppern begann. Kapitel 38: Ruhige Zeiten ------------------------- Winnetou und ich starrten auf den Eingang, wo das Scheppern seinen Ursprung genommen hatte – und dann konnten wir beide uns einfach nicht mehr halten. Das Geräusch wurde nämlich von dem Doktor verursacht, der dort mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit um die Ecke gesaust gekommen war, dabei allerdings die Krüge übersehen hatte, die dort aufgestapelt waren, und deshalb gerade jetzt im hohen Bogen darüber flog, so dass sich fast alle Tongefäße in Hunderte von Einzelteilen auflösten, während Hendrick der Länge nach auf dem Fußboden aufschlug. Mein lautes Gelächter übertönte Winnetous leises Lachen bei Weitem, aber nichtsdestotrotz konnte auch er in keinster Weise mehr an sich halten und schlug schließlich, als er sich gar nicht mehr beruhigen konnte, seine Hände vor das Gesicht, und von da an konnte ich nur noch den ein oder anderen erstickten Laut von ihm vernehmen, was mich aber nur noch mehr erheiterte. Irgendwann jedoch überwog dann doch mein Mitleid, und so machte ich mich schließlich daran, allerdings immer noch lachend, dem leise vor sich hin fluchenden Doktor aus dem Scherbenhaufen heraus und anschließend wieder auf die Beine zu helfen. „So ein verdammter...“ fing Walter mit hochrotem Gesicht an loszupoltern, doch dann erinnerte er sich wohl der Anwesenheit Winnetous und unterbrach sich sofort. In all der Zeit, die er jetzt schon bei den Apatschen verbracht hatte, war ihm nämlich überdeutlich bewusst geworden, dass er noch nie ein Mitglied der Mescaleros hatte fluchen hören, zumindest nicht in seinem Beisein. Vor allem Winnetou hatte schon des Öfteren durchblicken lassen, dass ihm solch ein Benehmen einfach zuwider war, und gerade diesem wollte der Doktor mit seinem Verhalten nicht unangenehm auffallen. Daher beließ er es jetzt auch dabei, sich mit einigen unwirschen Bewegungen die Kleidung zu richten, was mir die Gelegenheit gab, ihn neckend zu fragen: „Warum hast du es denn nur so eilig, lieber Walter?“ Wieder hörte ich einen unterdrückten Laut von Winnetous Bettstatt her, welchen er aber sofort wieder zu ersticken versuchte, was mir jetzt allerdings den nächsten Heiterkeitsausbruch bescherte. Da half es dann auch überhaupt nicht, dass Walter nun eine undefinierbare Grimasse zog und weiterhin wütend vor sich hin grummelte, es hatte eher zur Folge, dass ich mich fast verschluckte bei meinen hilflosen Versuchen, meinem Lachanfall endlich Einhalt zu gebieten. Nun entschloss sich Hendrick aber doch noch, mir eine Antwort zu geben, um sich zu rechtfertigen: „Warum ich es so eilig habe, fragst du? Warum? Weil ich aus eurer Kammer hier mit einem Mal sehr laute Stimmen vernommen hatte, so dass ich annehmen musste, dass sich der Zustand unseres Freundes urplötzlich verschlechtert hat... ich habe wirklich einen furchtbaren Schrecken bekommen – und dann komme ich hier rein und muss feststellen, dass...“ Offenbar wurde dem Doktor erst jetzt die Komik der ganzen Situation bewusst, und als vom Bett her noch einmal ein leises Lachen erklang, konnte auch er sich nicht mehr halten und begann, aus vollem Halse in mein Gelächter mit einzufallen. Diese heftige Reaktion war wahrscheinlich auch der übergroßen Erleichterung geschuldet, die nicht nur ihn erfasst hatte, als er Winnetous wunderbares Lachen als das erkannt hatte, was es war: eine sichtbare Verbesserung seines Zustandes und vor allem der erste richtige Lichtstreif am Horizont in diesen angstvollen und dunklen Tagen. Es dauerte dann auch eine ganze Weile, bis wir alle uns wieder einigermaßen beruhigt hatten. Walter hatte sogar Tränen in den Augen, und auch ich war nicht mehr weit davon entfernt, zumal ich immer noch große Anstrengungen darauf verwenden musste, nicht wieder laut loszuplatzen bei jedem Versuch Winnetous, seine Gesichtsmuskeln endlich unter Kontrolle zu bekommen, infolge dessen sein schönes Gesicht aussah, als ob er unter einem Starrkrampf zu leiden hätte. Doch irgendwann widmeten wir uns wieder ernsthaft den aktuellen Geschehnissen und Aufgaben, die uns bevorstanden. Vor allem galt es als Erstes, meinen Freund über die denkbar ungünstigste Verschlechterung seines Gesundheitszustandes aufzuklären, nämlich die nun aufgetretene, sehr gefährliche Herzmuskelerkrankung, damit er überhaupt erst einmal den Grund verstand, warum wir alle mit Argusaugen über ihn wachten und auch nicht mehr die kleinste Anstrengung seinerseits durchgehen ließen. Er nahm diese Nachricht sehr gefasst auf, ohne auch nur eine minimale Regung zu zeigen, und ich konnte nur hoffen, dass er sich der Tragweite des soeben Gehörten auch wirklich bewusst war. Nach einer kurzen Untersuchung äußerte sich der Arzt dann aber fürs Erste recht zufrieden mit Winnetous Zustand, den er als „den Umständen angemessen“ bezeichnete. Anschließend fragte er, ob sich mein Freund im Augenblick kräftig genug fühle, um seine Unterhäuptlinge empfangen zu können, die mehrfach darum gebeten hatten, sofort benachrichtigt zu werden, sobald Winnetou erwacht und zu solch einem Besuch auch in der Lage sei. Natürlich war mein Freund davon überzeugt, für ein Gespräch mit seinen Vertretern bereit zu sein, und mit einem Seitenblick auf mich versicherte er auch gleich frei heraus, dass er sich auf keinen Fall überanstrengen werde, damit der Doktor und ich uns nicht beunruhigen müssten. Lächelnd drückte ich ihn an mich, während unser Arzt lapidar entgegnete: „Winnetou wird auch gar nichts anderes übrig bleiben, denn Charlie und ich werden selbstverständlich keinen Moment lang von seiner Seite weichen und sofort eingreifen, sobald es seinem Körper zu viel zu werden droht!“ Mit einem halbwegs unterdrücktem Seufzer nickte Winnetou ergeben, was für Walter das Zeichen war, sich jetzt zu erheben, um die Unterhäuptlinge hereinzubitten. Ich aber bat ihn, noch ein paar Minuten mit den Apatschen draußen zu warten, da ich mit meinem Freund vorher noch etwas besprechen wollte, woraufhin Hendrick mit einem zustimmenden Nicken die Kammer verließ. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Winnetous Jugendfreunde und gleichzeitig vertretenden Häuptlinge ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die geplante Reise nach Europa ansprechen würden – doch er wusste ja noch gar nichts davon, weshalb ich ihn jetzt erst einmal darüber in Kenntnis setzen und möglichst behutsam darauf vorbereiten wollte. Mein Freund bedachte mich nun auch einmal mehr mit fragenden Blicken aus seinen dunklen Augen, und so machte ich mich daran, ihm mit sorgfältig gewählten Worten meinen Plan zu unterbreiten: „Mein lieber Bruder – unser guter Walter hat dich ja schon ausführlich über deinen im Augenblick wirklich gefährlich instabilen Zustand aufgeklärt. Der Häuptling der Apatschen weiß also, dass er in den nächsten Monaten auf gar keinen Fall seinen Aufgaben und Pflichten als Führer seines großen Volkes nachkommen kann, ja, nachkommen darf, will er nicht wieder sein Leben aufs Spiel setzen. Deine Vertreter sind ebenfalls schon seit geraumer Zeit über deinen schlechten Zustand informiert, und sie haben allesamt mehrfach und auch sehr deutlich zu erkennen gegeben, dass du ihnen viel zu wichtig bist, du vor allem auch deinem Volk viel zu wichtig bist, als dass sie es zulassen würden, dass du dein Amt wieder aufnimmst, bevor du nicht vollständig wiederhergestellt bist! Dass der Doktor und ich natürlich der gleichen Meinung sind und wir beide es dringend wünschen, dass du dich jetzt über einen sehr langen Zeitraum einmal wirklich schonst, darüber bist du dir wahrscheinlich schon bewusst, nicht wahr?“ Winnetou senkte nun seinen Blick, sagte aber nichts. Seine ganze Haltung allerdings drückte jetzt eine gewisse Resignation aus, und ich verstand den Grund dafür mehr als gut. Er wusste natürlich nur zu genau, was alles in den nächsten Wochen und Monaten auf ihn zukommen würde. So eine lange Zeit hatte er bisher schon stillhalten müssen, war gezwungen gewesen, wochenlang zu liegen, immer wieder, und nun sollte er das alles noch einmal durchstehen müssen, und dieses Mal so lange wie nie zuvor! Für jemanden wie mich, der meinen Freund genauestens kannte, war klar, dass diesem sonst so lebenshungrigen Menschen, der seine Freiheit über alles liebte, all das wie eine Gefängnisstrafe vorkommen musste. Also galt es jetzt – und im Moment gab es wirklich nichts Wichtigeres für mich - ihm diese Resignation, diese diffuse Angst vor dem Kommenden zu nehmen oder zumindest soweit wie möglich zu minimieren, und ich hoffte so sehr, dass ihm die Aussicht auf eine große Reise und das Kennenlernen meiner ehemaligen Heimat wieder ein wenig Zuversicht schenken würde! Leise seufzend drückte ich ihn noch ein wenig fester an mich, während ich wieder begann: „Nicht nur ich, sondern auch all unsere Gefährten sowie deine Stammesbrüder sind der Auffassung, dass du hier in der Wildnis, in diesen „Dark and bloody Grounds“ niemals die nötige Ruhe finden können wirst. Aber auch eine nochmalige Genesung im Schatten des Pueblo der Mescaleros scheint uns auf keinen Fall angeraten, da es dich mit Sicherheit schier umtreiben würde, wenn während dieser langen Zeit etwas geschehen sollte, was normalerweise deine Anwesenheit erfordert, du aber in keinster Weise eingreifen dürftest! Erschwert werden könnte das Ganze auch noch durch die Tatsache, dass so manch einer der möglichen Gegner dich vielleicht dann absichtlich herausfordern und in Spott und Hohn ausbrechen könnte, wenn du ihm den persönlichen Kampf aus Rücksicht auf deine Gesundheit und vor allem aus Rücksicht mir gegenüber versagst. Und selbst wenn es dir dennoch gelingen sollte, dich trotz dieser Erschwernisse weiterhin unseren Wünschen zu beugen und dich zurückzuhalten, wird dieser machtvolle seelische Kampf in deinem Innern deiner Gesundheit nur erneut Schaden zufügen. Wir haben uns daher allesamt ausgiebig beraten und folgenden Entschluss gefasst: Du musst fortgehen von hier! Heraus aus dem Wilden Westen, sogar noch heraus aus den Vereinigten Staaten, denn selbst an der Ostküste könnten dich ja eventuelle schlechte Nachrichten aus deiner Heimat erreichen, die dich in eine solche Sorge um dein Volk versetzen würden, dass du abermals in schwere innere Not geraten könntest! Um dem vorzubeugen und zu verhindern, dass es in den nächsten Monaten überhaupt zu solchen Situationen kommt, die das Volk der Apatschen gefährden könnten, haben unsere wunderbaren Freunde sich so einiges einfallen lassen: Sam Hawkens, Old Firehand, Old Surehand sowie Emery Bothwell befinden sich zur Zeit schon auf der Suche, um so viele unserer ehemaligen Weggefährten wie nur möglich aufzuspüren. Sie werden jedem von ihnen den Fall genauestens erläutern und sie um Hilfe für dich und deinem Stamm bitten!“ Winnetous Kopf ruckte hoch, und schon spürte ich seinen Blick fragend auf mir ruhen. Lächelnd sah ich ihm in sein schönes Gesicht und registrierte nebenher erleichtert, dass es jetzt nicht mehr eine solch unnatürliche Blässe aufwies wie noch Stunden zuvor, sondern seine Haut wieder einen Hauch seines vormaligen Bronzetons angenommen hatte. Ich hätte ihn stundenlang so anschauen können, besann mich dann aber wieder meines Vorhabens und machte mich daran, unsere Pläne gegenüber meinem Freund weiter zu erläutern. „Ja, mein Bruder! Zumindest diese vier Westmänner haben sich schon ohne zu Zögern dazu bereit erklärt, all ihre künftigen Pläne - erst einmal für die Dauer eines Jahres - über den Haufen zu werfen und in dieser Zeit das Volk der Apatschen zu unterstützen, wo es nur geht! Und wenn es ihnen gelingt, so viele unserer ehemaligen Begleiter, die das Herz auf dem rechten Fleck tragen, zusammenzutrommeln und für diese Aufgabe zu begeistern, umso besser! Diese Männer, die im Herzen genauso denken und empfinden wie ich, die genauso wie ich die roten Völker als wahre Herren dieses Landes ansehen, werden dabei helfen können, gierige Bodenspekulanten, räuberische Desperado-Banden, voreingenommene Soldaten sowie dummdreiste Siedler des Landes zu verweisen oder ihnen zumindest gehörig auf die Finger zu klopfen, bevor es zu offenen kriegerischen Handlungen kommt. Gleichwohl werden sie sich bemühen, die Apatschen so gut wie möglich vor Auseinandersetzungen mit verfeindeten Stämmen zu bewahren oder, wenn nötig, in einem solchen Fall auf beide Parteien beschwichtigend einzuwirken. Natürlich werden Til Lata, Entschah-koh und deine anderen Häuptlinge die Westmänner nach Kräften unterstützen und selber auch alles dafür tun, dass es erst gar nicht zu solchen Situationen kommen wird, die den Frieden gefährden könnten. Und noch etwas: Kommandant Collister, der dazu gar nicht erst groß überzeugt werden musste, ist schon heute früh mit einigen Soldaten aufgebrochen, um sämtlichen Forts, die sich in Reichweite der Jagdgründe der Apatschen befinden, einen Besuch abzustatten. Er wird all seinen Einfluss darauf verwenden, die dortigen Befehlshaber dazu zu bringen, deinem Volk entgegenzukommen und es nicht zu bekämpfen. Er ist der Meinung, dass in der Zeit, in der du nicht in der Lage bist, für das Wohlergehen deines Stammes einzutreten, sich alle in der Gegend lebenden Menschen am Riemen reißen müssen. Es sollte doch eigentlich möglich sein, dass zumindest eine gewisse Zeit lang alle Beteiligten zusammenarbeiten, Rote und Weiße, Militär und Zivilisten, und dafür will er so gut wie möglich sorgen, denn der Friede geht ihm über alles – zumal er sich dir gegenüber auch wirklich verpflichtet fühlt!“ Winnetous Augen waren während meiner langen Rede immer größer geworden, seine Gesichtszüge wiesen mehr und mehr Unglauben auf. Es klang aber auch wirklich unglaublich, was wir da auf die Beine zu stellen gedachten – aber wenn dieses Vorhaben gelang, dann würde es vielleicht als beispielhaft gelten für andere Kriegsgebiete, möglicherweise auch für zukünftige Generationen! Es war ein Wunschtraum, sicher, aber... Mein Blutsbruder riss mich jetzt aus meinen Gedanken, indem er stockend begann: „Scharlih – ist das... ist das wahr? So... so viel wollen meine weißen Brüder für mein Volk tun? Das wird Winnetou doch niemals wieder gutmachen...“ Schnell unterbrach ich ihn, denn dieser Gedanke sollte sich gar nicht erst in ihm festsetzen: „Mein lieber Freund – nun hör aber auf! Du bist es doch, dessen gute Taten kein Mensch, vor allem aber nicht die Angehörigen meiner Rasse, wieder gutmachen können! Was hast du schon alles für die Weißen getan, von denen du selbst nur Unglück, Hass und Gewalt kennengelernt hast! Wie vielen Bleichgesichtern hast du das Leben gerettet, obgleich es dich eigentlich gar nichts anging und du sie gar nicht kanntest! Wer sollte dir das alles denn jemals wieder zurückgeben können?“ „Was man an den Kindern Manitous tut, das tut man an Manitou selber, und nur er wird darüber zu richten haben“, antwortete Winnetou mit leiser, etwas stockender Stimme. Er war schon wieder recht erschöpft; ich musste mich also beeilen, wollte ich ihm noch von unserer bevorstehenden Reise berichten – und auch seine Unterhäuptlinge wollten ja noch empfangen werden! Daher wollte ich gerade mit meiner Unterrichtung fortfahren, als er nochmals zum Sprechen ansetzte: „Mein Bruder sagte soeben, dass Winnetou durch die Bleichgesichter nur Hass, Gewalt und Unglück kennengelernt habe – aber das ist nicht richtig! Ich habe doch auch dich, meinen lieben, guten Scharlih, kennengelernt, und du bist mir das Wichtigste, das Teuerste und vor allem das höchste Glück, was mir in meinem Leben überhaupt widerfahren konnte!“ Unendlich gerührt zog ich ihn nochmals fest an mich, küsste ihm die Stirn und meinte dann: „Du hast es wirklich tausendfach verdient, dass man dir Gutes tut – was ich dir glücklicherweise sein kann, das bist du für mich, und ich danke dem Herrgott jeden Tag dafür, dass ich an deiner Seite durch das Leben gehen darf!“ Er gab keine Antwort, aber in seinem Blick lag all seine Liebe, die er für mich empfand, und wieder einmal schien mein Herz zu glühen, als ich mich minutenlang in diesen wunderschönen Augen verlor. Erst als er mir mit der Hand sanft über meine Wange strich, erinnerte ich mich daran, dass ich ihm ja noch etwas mitteilen wollte! Mein Freund hatte kein Wort gesagt, als ich vorhin sein Fortgehen angedeutet hatte, aber ich wusste, dass er mit großem Interesse darauf wartete, dass ich ihm meinen gesamten Plan unterbreitete, und somit begann ich erneut: „Du weißt jetzt also, dass so gut wie nur irgend möglich für deine Vertretung gesorgt wird – und somit wird es dir hoffentlich ein wenig leichter fallen, die kommenden Monate nicht in deinem Heimatland zu verbringen.“ Neugierig sah ich ihn an. Würde er erraten, was ich vorhatte? Ja, das tat er, zumindest zum Teil, wie ich jetzt erfahren sollte: „Winnetou soll über das große Wasser reisen – das ist es doch, was Scharlih mir mit seinen Worten sagen will, ist es nicht so?“, fragte er fast im gleichen Moment. Lächelnd antwortete ich: „Mein Bruder liest wie immer meine Gedanken! Ja, genau das habe ich vor. Ich möchte dich herzlich einladen, für einige Zeit meine alte Heimat zu besuchen. Unsere Hoffnung besteht darin, dass du dort vollständig wieder genesen können wirst – fernab von allen Gefahren, von Krieg, Hass und Gewalt, die eine Heilung hier in diesem Land fast unmöglich machen! Und natürlich sollst du diese Reise nicht alleine antreten: Ich werde immer an deiner Seite bleiben, ich allein – und natürlich unser Doktor! Ohne ihn würde ich dieses Unternehmen auch gar nicht wagen, denn er ist der Einzige, dem ich es zutraue, dass er deine Krankheit in den Griff bekommt. Ohne Walter wärst du ja schon gar nicht mehr unter uns, und nur ihm vertraue ich darum dein mir so unendlich kostbares Leben an! In jedem Fall werden wir in Deutschland auch nur solche Orte aufsuchen, die deiner Genesung nicht im Wege stehen – und ich versichere dir, dass ich alles dafür tun werde, dass du dich in dem für dich so fremden Land so wohl wie möglich fühlst und dir die Zeit dort nicht zu lange wird!“ Abermals sah ich ihm gespannt ins Gesicht: Jetzt war es heraus – und wie würde er nun reagieren? Äußerlich konnte ich keine einzige Regung an ihm ausmachen, aber in seinem Inneren arbeitete es, das spürte ich genau. Ein paar Minuten vergingen, die wir in tiefem Schweigen verbrachten. Dann hob er seinen Blick und sah mich lange an, woraufhin ich das Gefühl bekam, dass er in diesem Augenblick mein Innerstes ausleuchtete und meine Gedanken nach eingehender Prüfung schließlich zu den seinen machte. Ein wenig später begann mein Freund auch endlich wieder zu sprechen: „Winnetou wird dir überall hin folgen, mein guter Bruder! Du weißt, dass ich alles tun möchte, um dir deine Ängste und Sorgen um mich zu nehmen, was mir in der Vergangenheit nicht immer und oftmals nicht gut geglückt ist. Daher gebe ich dir Recht, dass Winnetou in einem Land besser auf sich achten können wird, in dem Recht und Gesetz fast immer befolgt werden. Allein die vielen neuen Eindrücke in deiner fernen Heimat werden den Apatschen wahrscheinlich die Zeit, zumindest manchmal, völlig vergessen lassen, so dass es ihm gelingen wird, die Sorge um sein Volk in seinem Herzen zu verschließen, zumal sein lieber Bruder so umsichtig wie eh und je dafür gesorgt hat, dass meinen und somit auch seinen roten Brüdern in diesen Monaten mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts Böses geschehen kann! Winnetou ist also einverstanden, möchte sich aber vorher noch einmal mit seinen Unterhäuptlingen besprechen.“ „Natürlich sollst du das!“ Ich hätte vor Freude am liebsten einen Luftsprung gemacht – er hatte „Ja!“ gesagt! Nicht einen Moment lang hatte ich damit gerechnet, dass mein Blutsbruder so schnell zustimmen würde! Er bewies mir dadurch sein großes, großes Vertrauen, welches er in mich und in meine Pläne setzte, und ich war so froh, so unglaublich froh darüber! Schnell fügte ich noch einige Erklärungen an, um dieses Vertrauen noch weiter zu vertiefen: „Wir wollen dich ja auch nicht sofort von hier fortbringen - zuerst einmal werden wir noch einige Zeit in diesem Tal zubringen müssen, bis du wieder so weit zu Kräften gekommen bist, um eine solche Reise überhaupt antreten können. Von hier aus geht es dann in Begleitung von fünfzig Apatschen und den ungefähr dreißig hier verbliebenen Soldaten zurück zum Pueblo, um sicherzugehen, dass unterwegs nichts geschieht, was uns und damit vor allem dir gefährlich werden könnte. Im Pueblo wirst du dann die Möglichkeit bekommen, alles Wichtige zu regeln und für die nähere Zukunft in die Wege zu leiten. Deine Unterhäuptlinge, allen voran Tsain-tonkee, sorgen in diesem Moment schon dafür, dass sämtliche Anführer all der Stämme, die sich in deinem Einflussgebiet augenblicklich in einem Zwist befinden oder sich anzufeinden drohen, sich zu dieser Zeit ausnahmsweise einmal im Pueblo einfinden werden, so dass du keine einzige ermüdende Reise mehr unternehmen müssen wirst, um deine roten Brüder zum Frieden zu bewegen. Du wirst also noch einmal all deinen Einfluss geltend machen und selbst soviel wie möglich vorbereiten und erledigen können, so dass du wirklich guten Gewissens reisen kannst!“ Seufzend schloss Winnetou die Augen und meinte leise: „Mein Bruder hat wie immer alles Wichtige bedacht, und Winnetous Herz ist voller Freude, weil er jetzt sicher sein kann, dass sein Volk in seiner Abwesenheit unter einem großen Schutz gestellt wird! Alle Gründe, die Old Shatterhand für Winnetous Fortgehen angeführt hat, sind gut und richtig, weshalb der Apatsche ohne Zögern seinem Bruder in dessen Heimat und auch den Anweisungen unseres Doktors folgen wird. Winnetou wünscht ja selbst sehnlichst, wieder zu seiner alten Kraft zurückzufinden, aber noch mehr als alles andere wünscht er sich, die Sorge und Angst für immer aus dem Herzen Old Shatterhands vertreiben zu können!“ Seine unendliche Liebe und Treue zu mir sprachen so deutlich aus seinen letzten Worten, dass es jetzt mit meiner Zurückhaltung vollkommen vorbei war. Leise versicherte ich ihm: „Du glaubst gar nicht, mein geliebter Bruder, wie glücklich du mich mit deinen Worten machst!“ Daraufhin schloss ihn so fest wie möglich in meine Arme und küsste ihn sanft, auf die Stirn, die Wangen, die geschlossenen Augen, zu guter Letzt auf den Mund. In dieser Stellung verharrten wir und genossen ruhig und sanft jeweils die Lippen des Anderen - ich weiß wirklich nicht, wie lange, bis wir uns irgendwann beide zugleich daran erinnerten, dass sich Winnetous Stellvertreter schon seit geraumer Zeit draußen vor der Höhle die Beine in den Bauch standen! Also lösten wir, wenn auch recht widerwillig, unsere Lippen voneinander, woraufhin mir Winnetou ein verschmitztes Lächeln schenkte, welches ich grinsend erwiderte. Nun aber räusperte ich mich, setzte mich wieder aufrecht in Positur und rief laut nach Walter, der dann auch Sekunden später im Eingang der Kammer erschien. Ich hätte natürlich auch selbst hinausgehen und die Häuptlinge hereinbitten können, aber Winnetou lag noch in meinen Armen, und diese Position wollte ich daher auf keinen Fall aufgeben. Dann aber, nachdem Entschah-koh und Til Lata wie der Blitz an Winnetous Bettstatt erschienen waren, wobei sich in ihren Gesichtern eine Mischung aus größter Sorge, unglaublicher Wiedersehensfreude und tiefer Rührung widerspiegelte, und ich sie dabei beobachten konnte, wie sie ihren Jugendfreund und Oberhäuptling mit einer wirklich zu Herzen gehenden Zärtlichkeit begrüßten, da besann ich mich wieder auf meine Manieren. Die Höflichkeit gebot es mir, mich während dieser innigen Szene leise zu entfernen und den Dreien dadurch die Möglichkeit zu geben, sich auch einmal ohne mein Beisein auszusprechen – zumindest setzte ich gerade dazu an, wurde aber im gleichen Augenblick von meinem Blutsbruder an der Hand gefasst und auf diese Weise mit Nachdruck zurückgehalten. Er wusste natürlich genau, was in mir vorging, wollte aber keinesfalls auf meine Anwesenheit verzichten. Auch die beiden Häuptlinge ließen mich nicht gehen, im Gegenteil, sie bestanden sogar auf meine Anwesenheit – wahrscheinlich glaubten sie, dass Winnetou noch von unseren Plänen überzeugt werden musste, und hierfür befanden sie meinen Beistand wohl für dringend nötig. Wie freuten sie sich, als sie erkannten, dass sich unser gemeinsamer Freund schon mit allem einverstanden erklärt hatte! Beide wirkten jetzt unendlich erleichtert, denn die Ängste und Sorgen um ihren geliebten Häuptling nahmen, seitdem unsere Boten das Pueblo erreicht und den Mescaleros von den hiesigen Geschehnissen berichtet hatten, fast ihr gesamtes Denken und Fühlen ein, so dass jeder Umstand, der zur Verringerung der Lebensgefahr für Winnetou beitrug, ihre Hoffnung auf eine vollständige Genesung ein großes Stück weit erhöhte. Im Folgenden wurde nochmals die Ereignisse der letzten Wochen sowie unsere Pläne für das nächste Jahr besprochen, allerdings nicht so ausführlich, wie es normalerweise der Fall gewesen wäre. Winnetou machte nämlich seit geraumer Zeit wieder den Eindruck, als hätten die letzten Stunden ihn sehr ermüdet, so dass jetzt alles Wichtige nur einmal kurz angerissen werden konnte. Mein Blutsbruder war ja sowieso kein Mann der vielen Worte, und gerade die vergangenen Geschehnisse mitsamt seiner heldenhaften Beteiligung wurden von ihm mit nur wenigen Sätzen erwähnt, doch da Til Lata und Entschah-ko schon vorher ausführlich von unseren Gefährten und von mir unterrichtet worden waren, konnte man in ihren Gesichtern trotz seines spärlichen Berichts die tiefste Bewunderung ausmachen. Winnetou war es allerdings viel wichtiger, schon einmal die ersten Maßnahmen für die kommende Zeit ohne ihn als Anführer festzusetzen, doch auch hier hatte er nach kurzer Zeit nicht mehr genügend Energie, um sich noch weiterhin an den Gesprächen beteiligen zu können. An einer Sache allerdings war er doch noch sehr interessiert, ein Umstand, der ihm erst jetzt, als die ganzen Erlebnisse nochmals erzählt wurden, wieder in den Sinn gekommen war – nämlich der Verbleib von Wayne Thomson. Allein nur die Erwähnung dieses Namens trieb seinen Stammesbrüdern und auch mir wieder die Zornesröte ins Gesicht, und wir alle drei versicherten Winnetou sogleich, teilweise im wilden Durcheinander, dass dieser Bastard fest verschnürt und sicher in eine dunkle und feuchte Kammer gesperrt worden war, wo er auf den Tag wartete, an dem Winnetou kräftig genug sein würde, sein Urteil über den Dreckskerl zu sprechen und es vielleicht auch selbst zu vollstrecken. Die Häuptlinge hatten sich seit ihrer Ankunft mehrfach von der Festigkeit der Fesseln überzeugt, und beide Männer berichteten mit hörbarem Grimm in der Stimme, dass ihnen selten etwas so schwer gefallen war, wie hier nicht die Beherrschung zu verlieren und dem Erzschurken nicht doch noch auf der Stelle ihre Messer spüren zu lassen. Winnetou nickte beruhigt, musste allerdings doch leise in sich hinein lächeln. Aber nun sah man ihm seine Erschöpfung wirklich deutlich an, und ab dem Zeitpunkt nahm er an den Unterhaltungen nicht mehr teil, sondern hörte nur noch zu. Es dauerte dann auch gar nicht lange, bis wir bemerkten, dass der geliebte Freund wieder eingeschlafen war, was wir alle wohlwollend und teils sogar erleichtert registrierten. Wir waren uns nämlich sicher, dass er aufgrund unserer Anwesenheit seinen wahren Zustand so weit wie möglich vor uns verborgen gehalten hatte, was ihn natürlich wieder viel zu viel Kraft gekostet hatte, ein bei seinem Krankheitsbild möglicherweise lebensbedrohlicher Umstand! Til Lata und Entschah-koh hatten allerdings so gar keine Lust, den Raum schon wieder zu verlassen; sie wollten lieber noch eine Weile ihrem Häuptling nahe sein. Also unterhielten wir uns leise weiter, und als das Gespräch auf den Umstand kam, dass Winnetou tatsächlich der Reise zugestimmt hatte, richtete Entschah-koh mit einem Male fast schon beschwörend und mit großem Ernst in der Stimme das Wort an mich: „Es ist nur seiner großen Liebe zu dir, mein weißer Bruder, geschuldet, dass unser Häuptling bereit ist, so lange die Verantwortung abzugeben! Er liebt dich über alles, und das Wichtigste für ihn ist es, Old Shatterhand glücklich zu sehen und glücklich zu machen. Er sieht den Kummer und die Sorge um ihn in deinen Augen, und er würde alles dafür tun, um dir das wieder zu nehmen!“ Der stellvertretende Häuptling hatte mir bei diesen Worten beide Hände auf die Schultern gelegt, und tief ergriffen tat ich es ihm gleich. Erst jetzt wurde mir das ganze Ausmaß von Winnetous Zusage so richtig bewusst, und ich war richtiggehend überwältigt von der Tatsache, dass er mich so sehr liebte und so viel Vertrauen in meine Entscheidung legte, dass er meinem Vorhaben und mir bedingungslos folgte, etwas, was er bei jedem Anderen wohl niemals getan hätte. Unwillkürlich drückte ich meinen schlafenden Freund noch enger an mich, und wenn seine Stammesbrüder nicht gerade anwesend gewesen wären, hätte ich meinen Gefühlen mit Sicherheit freien Lauf gelassen. Die folgenden Tage verliefen sehr ruhig. Mein Blutsbruder wurde von unserem Doktor ständig in einem ausgewogenen Zustand zwischen Schlafen und Wachen gehalten, wobei Hendrick äußerst streng darauf achtete, dass Winnetou auf keinen Fall Gelegenheit erhielt, sich auch nur in irgendeiner Form anzustrengen. Durch dieses viele Ruhen und den zwischendurch erfolgten Gaben von sehr nahrhaften Speisen gelang es allmählich, sein Gewicht ein Stück weit wieder zu normalisieren, auch wenn er von seiner hervorragenden früheren Konstitution noch weit entfernt war. Jeder Tag, der auf diese Weise verging, ohne dass es wieder zu einer Verschlechterung seines Zustandes kam, war für uns ein großer Gewinn. Walter wurde auch nicht müde, uns wieder und wieder daran zu erinnern, dass die Herzmuskelerkrankung weiterhin lebensbedrohlich war und wir daher wahrscheinlich erst Wochen später wieder richtig aufatmen können würden. Es war ihm sehr, sehr wichtig, uns diesen Umstand immer wieder zu verdeutlichen, damit bloß niemand von uns auf die Idee kam, leichtsinnig zu werden. Es konnte ja sein, dass einer der Gefährten meinem Freund einfach einen Gefallen tun wollte, etwas, das für diesen aber viel zu anstrengend wäre und sich dadurch im Endeffekt womöglich ins Gegenteil verkehren würde, und das galt es unter allen Umständen zu verhindern. Aber unsere Gefährten waren hier mehr als einsichtig. Zu oft hatten wir schon um Winnetous Leben bangen müssen, als dass jetzt jemand da auch nur das kleinste Risiko eingehen würde. Die Apatschen waren sowieso mit allem, was ihren geliebten Häuptling betraf, äußerst vorsichtig, denn sie waren sich allesamt sicher, dass sie seinen Verlust niemals richtig verkraften würden. Außerdem stand ihnen jetzt schon der Abschiedsschmerz ins Gesicht geschrieben, und daher taten sie alles, was irgendwie dazu beitrug, dass sein Europa-Aufenthalt so kurz wie möglich gehalten werden konnte. Die Butterfields hingegen - die sich immer noch ziemlich schuldig fühlten aufgrund ihrer unfassbaren Dummheit, als sie draußen vor der Festung die rettenden Heilkräuter für mich gesucht hatten und dabei den Kiowas buchstäblich vor die Flinte gelaufen waren, so dass diese endlich den Eingang zur Festung finden konnten – diese Jünglinge hielten aufgrund ihres schlechten Gewissens die meiste Zeit Abstand zu Winnetou und mir, wohl aus Angst, wieder einen Fehler zu begehen und somit die Genesung meines Freundes zu gefährden. Darüber war ich ehrlich gesagt auch recht froh, denn mein ganzes Denken und Fühlen wurde von Winnetou eingenommen, und ich hatte überhaupt keine Lust, mich währenddessen mit diesen Greenhorns herumärgern zu müssen. Auch die Soldaten, die uns zum Schutz und als Begleitung bis hin zum Pueblo an die Seite gestellt worden waren, hielten sich möglichst im Hintergrund. Sie waren von ihrem Kommandanten mehrfach und mit großem Nachdruck auf ihre Aufgabe eingeschworen worden, und die beherzigten sie offenbar auch sehr gewissenhaft. Sie machten sich nützlich, wo es nur ging, betraten allerdings niemals unsere Kammer. Allerdings entbot mir jedes Mal, wenn ich mich in dem weitläufigen Tal der Festung aufhielt und einem der Soldaten begegnete, dieser einen fast schon ehrfürchtigen Gruß; überhaupt war den Militärs eine gewisse Hochachtung anzusehen, wenn von Winnetou oder mir die Rede waren, zumindest wurde mir das von den Pelzjägern so berichtet. Die vier Westmänner unter uns befanden sich ja schon seit Tagen auf dem Weg, um so viele unsere ehemaligen Weggefährten wie möglich aufzutreiben, die sich allerdings überall und nirgendwo und in alle Himmelsrichtungen verstreut aufhalten konnten. Somit dürfte es wahrscheinlich noch etwas länger dauern, bis sie sich wieder hier einfinden würden, aber wir hatten ja Zeit genug, und jeder Tag, den Winnetou in absoluter Ruhe verbringen konnte, konnte seiner Genesung wirklich nur förderlich sein. Alle Bewohner der Festung vertrieben sich in den folgenden drei Wochen die Zeit auf eine mehr oder weniger geruhsame Art und Weise. Während die Pelzjäger vornehmlich auf Jagd gingen, um für die Ernährung der ganzen Gesellschaft zu sorgen, und ansonsten die dabei erbeuteten Felle bearbeiteten, sicherten die Apatschen mit großer Sorgfalt das Tal und seine Umgebung, um weitere unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Die restliche Zeit über verbrachten sie damit, ihre Waffen auszubessern oder neue Pfeile und Bögen anzufertigen; manchmal unterstützten sie die Pelzjäger auch bei der Jagd. Die Soldaten wiederum schienen das Ganze mittlerweile als eine Art Urlaub zu betrachten. Anfangs hatten sie noch ernsthaft versucht, sich den Apatschen oder Pelzjägern anzuschließen, mussten dann aber schnell feststellen, dass sie den Fähigkeiten dieser Männer bei Weitem nicht gewachsen waren. Also beließen sie es dabei, ebenfalls ihre Waffen und ihre Kleidung wieder in Ordnung zu bringen, doch als schließlich auch der letzte Stiefel blank gewienert war und sich nirgends mehr Gelegenheit fand, sich nützlich zu machen, sah man die Männer immer öfter in der Sonne auf der faulen Haut liegen. Das war ein Vorbild, welches den Butterfields offenbar gut gefiel, denn schon nach kurzer Zeit taten sie es den Soldaten gleich und genossen das süße Leben in vollen Zügen, glaubten sie doch, sich diese Erholung nach der für sie äußerst anstrengenden Reise und den überstandenen Gefahren sehr wohl verdient zu haben. Wir anderen gönnten den Jünglingen diese Auszeit von Herzen, denn erstens stand es für uns außer Frage, dass die Männer der Familie Butterfield, genau wie ihre daheimgebliebenen Verwandten, in ihrem bisherigen Leben Tag für Tag hart geschuftet hatten, um alle Familienmitglieder satt zu bekommen – und zweitens konnten die ausgemachten Greenhorns auf diese Weise auch keine Dummheiten anstellen. Anfangs fühlte auch ich mich dazu verpflichtet, mich ebenfalls ein wenig nützlich machen, sei es auf der Jagd oder als Kundschafter, doch das wurde mir von allen Seiten strikt verboten, vor allem von den Mescaleros. Sie waren der Ansicht, dass ich an Winnetous Seite viel besser aufgehoben war und mein Freund meiner Anwesenheit deutlich mehr bedurfte als die Apatschen und alle anderen Festungsbewohner. Also verbrachte ich Stunde um Stunde an seinem Lager und freute mich über jeden noch so kleinen Fortschritt in seiner Genesungsphase. Zu meiner großen Verwunderung wurde mir die Zeit trotz der ungewohnten Untätigkeit in keinster Weise zu lang, sondern ich genoss wirklich jede Minute, die ich bei und mit meinem Freund verbringen durfte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich schließlich geglaubt, ihn nicht mehr lebend wiedersehen zu dürfen, und gerade deshalb war mir jede einzelne Sekunde unseres Beisammenseins, selbst wenn er währenddessen im Tiefschlaf lag, unendlich wertvoll! War er aber einmal bei Bewusstsein, dann nutzten wir oftmals die Zeit, um viele, viele Gespräche zu führen, manche kurz und nur von oberflächlicher Natur, immer öfter aber auch sehr weit in die Tiefe gehende, und beide genossen wir währenddessen so sehr die Nähe des Anderen, genossen die Tatsache, dass wir doch noch einmal allen Gefahren standgehalten und dadurch die einzigartige Chance gewonnen hatten, unser Leben weiterhin Seite an Seite fortzuführen und es mit all seinen Facetten in vollen Zügen zu genießen. Im Laufe der Zeit erzählte ich meinem geliebten Freund dann auch mehr und mehr von meiner alten Heimat, von den heimeligen Dörfern, den oftmals hübschen, manchmal auch pompös überladenen oder aber teils sogar heruntergekommenen Städten, der beeindruckenden Schönheit ihrer vielfältigen Landschaft, den Menschen und ihren Gewohnheiten, den Regeln, die dort herrschen, und bereitete meinen Freund auf diese Weise ganz allmählich auf seinen kommenden Aufenthalt in Deutschland vor. Im Verlauf dieser drei Wochen besserte sich Winnetous Zustand langsam, aber stetig. Unser Doktor hatte einen genauen Plan aufgestellt, inwieweit sein Körper in jedem Stadium seiner Genesung belastet werden durfte, und all das geschah mit der größtmöglichen Vorsicht. Niemals wurde ein Schritt vor dem anderen gesetzt, lieber riskierte Walter zu wenig als zu viel. Meinem Freund war es mittlerweile zwar erlaubt, seine Muskeln trainieren, auch schon während der Phase, in der er rein nur liegen durfte – aber das nur in geringem Maße und auch nur so viel, dass es als Vorbereitung für die lange Reise gerade so genügte. Das Ergebnis war, dass Winnetou gut drei Wochen nach seinem letzten Zusammenbruch kurz nach dem Überfall erstmals wieder aufstehen konnte, und ab diesem Zeitpunkt ging es zwar in kleinsten Schritten, aber doch stetig aufwärts. Im Laufe der Zeit aber veränderte sich, parallel zu seiner voranschreitenden Genesung, ganz langsam sein Äußeres. Er wirkte im Gegensatz zu früher zarter, beinahe verletzlich, sein Körper war schmaler geworden und machte dabei einen seltsamen gläsernen, regelrecht durchsichtigen Eindruck. Das war allerdings ein schleichender Vorgang, der mir persönlich auch nicht so sehr auffiel, weil ich in fast jeder Minute des Tages bei ihm war. Als jedoch fast genau fünf Wochen nach dem Überfall der Kiowas die ersten Gefährten wieder in unserem Tal auftauchten, nämlich Old Firehand, der doch tatsächlich den Bärenjäger Baumann und dessen Sohn Martin, den Hobble Frank sowie die Tante Droll in den endlosen Weiten des Südwestens aufgetrieben hatte, da zuckte Firehand vor Schreck richtiggehend zurück, als er Winnetou jetzt zum ersten Mal wiedersah. Seine Begleiter reagierten fast noch entsetzter; in ihren Gesichtern spiegelte sich die nackte Angst um den Häuptling der Apatschen, und ihre Blicke huschten regelrecht verstört zwischen meinem Freund sowie dem Doktor und mir hin und her, als ob die Ursache für dessen Zustand ausgerechnet bei uns zu finden sei. Im Gegensatz zu mir wusste Walter allerdings sogleich, was den Gefährten hier aufgefallen war, und beeilte sich daher auch, sie zu beruhigen und über Winnetous Gesundheitszustand aufzuklären. Er wies darauf hin, dass dessen Äußeres ziemlich genau dem Krankheitsbild entspräche; es sei fast immer ein Ausdruck einer Herzmuskelentzündung, wenn der Körper des Kranken in der Genesungsphase über einen längeren Zeitraum weitaus zerbrechlicher wirken würde, als es tatsächlich der Fall war. Und das dem wirklich so war, dass konnte ich ein übers andere Mal aus nächster Nähe beobachten. Winnetou war nämlich trotz seiner weiterhin konstant vorhandenen körperlichen Schwäche recht schnell wieder auf dem gesundheitlichen Stand, den er vor dem Überfall der Kiowas auch schon innegehabt hatte. Damals war er ja auch alles andere als vollständig gesund, aber doch wieder kräftig genug gewesen, um stundenlang draußen im Wald nach Heilkräutern gegen meinen Schlangenbiss suchen zu können, auch wenn diese Aktion damals auf sehr wenig Gegenliebe bei unserem Doktor gestoßen war. Und auch jetzt schon konnte man an meinem Freund wieder seine frühere katzenhafte Geschmeidigkeit, seine Schnelligkeit und Spannkraft sowie seine unglaubliche Körperbeherrschung ausmachen, natürlich noch nicht so vollumfänglich wie früher, aber immerhin schon so viel, als dass jeder Fremder, der Böses im Sinn hätte, sofort wissen würde, dass er sich vor dem Apatschen absolut in Acht zu nehmen hatte. Seitdem er wieder aufstehen durfte, beschäftigte sich Winnetou sehr gerne und sehr häufig mit Iltschi und Hatatitla, und den beiden edlen Tieren war anzumerken, wie sehr sie diese ungewohnte Vielzahl an liebevoller Zuwendung genossen. Stundenlang lag er bei den Hengsten auf der saftig grünen Wiese in der Nähe der kleinen Lichtung, auf der wir kurz vor dem Überfall einige so herrlich erfüllende Stunden erleben durften, genoss die wunderschöne Natur ringsherum, ließ den Pferden die beste Pflege zuteil werden oder tollte mit ihnen auf eine fast schon halsbrecherische Weise herum, wenn er sich unbeobachtet glaubte – und vor allem natürlich dann, wenn unser gestrenger Doktor nicht in der Nähe war! Natürlich war ich fast ständig an seiner Seite, bemühte mich aber gleichzeitig, meinem Freund dabei auch ein wenig Freiraum zu lassen, da ich ihn keinesfalls zu sehr einengen wollte – er aber sah das wohl völlig anders. Anfangs ließ er es sich noch gefallen, dann aber bemerkte ich immer öfter einen bedauernden Ausdruck in seinen Augen, wenn ich mich wieder einmal zurückziehen wollte. Es hatte ganz den Anschein, als ob mein Bruder dieses abermalige Verdammtsein zur Untätigkeit nur dann noch ertragen konnte, wenn ich ihm ganz nahe war und ihn auf diesem schweren Weg unterstützte. Ich wollte natürlich auf keinen Fall der Grund für eine Missstimmung seinerseits sein, und da ich selbst niemals genug von seiner Nähe bekommen konnte, leistete ich ihm somit weiterhin hocherfreut Gesellschaft, wobei ich gleichzeitig erfüllt war mit Dankbarkeit über das kostbare Geschenk seines Lebens. Und es war wirklich ganz gut so, dass ich ihn nicht alleine ließ, denn je besser er sich fühlte, desto mehr musste ich auch schon wieder darauf achten, dass er sich nicht übernahm, vor allem dann, wenn er mit unseren Rappen auf eine spielerische, aber oftmals sehr wilde Weise beschäftigt war, so dass einem unbeteiligten Zuschauer dabei wirklich Angst und Bange werden konnte! Doch ansonsten bemühte sich mein Freund sichtlich, weder mir noch dem Doktor nochmals Kummer zu bereiten. Er hielt sich peinlich genau an dessen Anweisungen und versuchte daher, so gut es irgend ging, sich anderweitig die Zeit zu vertreiben. Oftmals zog es ihn zu seinen Apatschen, mit denen er nicht nur die Ereignisse der vergangenen Wochen besprach, sondern vor allem die Aufgaben und Angelegenheiten der kommenden Monate. Dabei ließ er sich auch gerne in allen Einzelheiten berichten, was alles während seiner Abwesenheit im Pueblo und den naheliegenden Stämmen geschehen war, und da er jetzt ja auch über Zeit im Überfluss verfügte, erzählten ihm seine Stammesbrüder jede Kleinigkeit in aller Ausführlichkeit. Jeder von ihnen sah in solchen Momenten glücklich und zufrieden aus, waren sie doch endlich ihrem geliebten Häuptling so nahe wie schon lange nicht mehr, und das auch noch über so viele Tage und Wochen! Leider kam es zwischendurch doch noch zu kleineren Rückfällen, was mich dann auch jedes Mal in blanke Panik versetzte, während Walter solche Situationen deutlich gelassener sah. Er bemühte sich immer mit großem Nachdruck, mich in solchen Momenten mit dem Argument zu beruhigen, dass die Genesungsphase bei einer derart schweren Krankheit niemals glatt verlaufen würde, sondern in den allermeisten Fällen einer Berg- und Talfahrt gleichkam. Auf Winnetou traf das alles zwar zu, aber glücklicherweise verliefen diese Rückfälle nicht allzu heftig. Für mich jedoch waren sie wirklich besorgniserregend genug, und mehr als einmal fand ich mich vor Angst beinahe zitternd an seiner Seite wieder, hilflos seinen Namen stammelnd, wenn es zum wiederholten Mal dazu kam, dass er morgens nicht wie sonst relativ munter erwachte, sondern plötzlich im schweren Fieber lag. Zu unserer übergroßen Erleichterung überwand mein Freund diese Fieberschübe aber meistens recht schnell; spätestens nach zwei Tagen war seine Temperatur dann auch wieder auf einen ungefährlichen Wert herabgesunken. In der Regel konnte er sich danach an fast nichts mehr erinnern, was ich persönlich wirklich sehr begrüßenswert fand, denn die Fieberkrämpfe quälten seinen Körper auf eine derart erschreckende Art und Weise, dass es als hilfloser Zuschauer kaum auszuhalten war! Ein anderes Mal kehrte er gerade vom Spiel mit unseren Rappen zurück, als er plötzlich zu taumeln begann und, noch bevor ich ihn erreichen konnte, besinnungslos zu Boden stürzte. Das war einer der Momente, in denen ich wirklich Todesangst um meinen geliebten Freund hatte, und mit mir auch alle anwesenden Gefährten. Geschockt halfen mir Apatschen wie Pelzjäger, den Häuptling schnellstmöglich in unsere Kammer zu tragen, wo sich zu diesem Zeitpunkt auch Walter aufhielt, der bei dem beängstigenden Anblick dann ebenfalls tatsächlich kurzzeitig die Fassung verlor. Nach wenigen Minuten aber konnte er schon wieder Entwarnung geben, und eine gute Stunde später erwachte mein Freund Gott sei dank auch langsam aus seiner Bewusstlosigkeit. Durch diesen Vorfall hatte er sich jetzt aber leider ein weiteres Mal zwei Tage strengste Bettruhe eingehandelt, welche er aufgrund unserer, vor allem aber meiner übergroßen Angst um ihn, dann auch einhielt, wenn auch etwas widerwillig. In solchen Stunden, wenn er gezwungenermaßen wieder liegen musste, kamen wir uns besonders nahe. Mein Bedürfnis, seinen Körper so nah wie möglich an meinem zu spüren, war ungebrochen, und je öfter wir dazu die Möglichkeiten bekamen, desto schwerer fiel es mir, mein immer stärker werdendes Verlangen nach der Erfüllung unserer Sehnsüchte zurückzuhalten. Und auch Winnetou konnte offenbar gar nicht genug von meiner Nähe bekommen, denn seine anfangs noch verhaltenen Zärtlichkeiten wurden von Mal zu Mal intensiver, so dass ich all meine Selbstbeherrschung aufbringen musste, um mich nicht von ihm und unserer Begierde aufeinander mitreißen zu lassen. Zu genau waren mir noch die Folgen von unserem letzten Mal an dem kleinen Bach in Erinnerung geblieben, als dass ich so etwas noch einmal riskieren würde! Nein – sein Leben war mir am allerwichtigsten, und ich war so unglaublich dankbar für seine Liebe zu mir, die mir wie ein glühender Strahl durch die Brust direkt in mein Herz fuhr! Dennoch gab es, abgesehen von den angsteinflößenden Rückfällen des Apatschen, noch weitere unschöne Momente während dieser über Wochen andauernden Genesungsphase, und die hatten fast alle mit dem Bastard namens Thomson zu tun. Nach seiner Festnahme hatte dieser Erzschurke die erste Zeit richtiggehend mutlos, fast schon apathisch und daher äußerst ruhig in seinem Gefängnis verbracht. Dann aber, als er zu realisieren begann, dass man ihn nicht sofort zu töten gedachte, witterte er seine Chance, sich doch noch irgendwie aus seiner eigentlich aussichtslosen Lage befreien zu können. Und so versuchte er mit den verschiedensten Methoden sowie durch List und Tücke seine Bewacher zu überrumpeln. Einige Male täuschte er Krankheiten vor, indem er zum Beispiel über schlimmste Leibschmerzen klagte, doch unser Doktor ließ sich nicht beirren, wie sich Thomson nach dem fünften Mal endlich zähneknirschend eingestehen musste. Natürlich ließen wir Walter auch nicht alleine zu dem Gefangenen, im Gegenteil, die Untersuchungen erfolgten stets unter strengster Bewachung von mindestens fünf Apatschen, und dass sich in deren Anwesenheit für ihn niemals auch nur die geringste Gelegenheit zur Flucht ergeben würde, das wusste der Verbrecher ganz genau. Er konnte auch wirklich froh sein, dass die Indianer im Gegensatz zu ihm von edler Gesinnung waren, denn ansonsten hätten sie ihn ihren Hass auf den Mann, der ihren geliebten Häuptling so sehr gequält hatte, schon längst auf grausame Weise spüren lassen. Nach diesen missglückten Versuchen ließ sich Thomson etwas Neues einfallen: Er trat in den Hungerstreik! Drei Tage lang aß er überhaupt nichts mehr, was uns aber nicht sonderlich kümmerte, denn ein leerer Magen hat noch keinem geschadet, und ihm gönnten wir es wirklich von Herzen. Außerdem waren wir uns sicher, dass er das nicht lange würde durchhalten können, dazu fehlte ihm einfach die geistige Stärke. Und genauso geschah es dann auch. Schon am dritten Tag verlangte Thomson kleinlaut nach etwas Essbarem, was er auch bekam – nämlich genau die gleiche Rationen wie an den Tagen zuvor, bestehend aus Wasser und etwas Pemmikan. Belustigt registrierten wir, wie er sich regelrecht auf diese karge Mahlzeit stürzte, im Gegensatz zu früher, und gierig alles bis auf den letzten Krümel verschlang. Dann wurde er wieder sich selbst überlassen. Kurz nachdem Winnetou endlich aufstehen und dann auch erstmals wieder ins Freie durfte, hatten wir uns lange überlegt, ob wir es schon wagen durften, ihn mit seinem Peiniger zu konfrontieren oder diesem in seinem Beisein schon den Prozess zu machen. Der Doktor allerdings sprach sich schnell dagegen aus, da er Winnetous derzeitig recht stabilen Gesundheitszustand keinesfalls durch heftige Gefühlsausbrüche wie zum Beispiel Ärger oder Aufregung gefährden wollte, und ich stimmte dem natürlich sofort zu. Doch leider hatten das nicht alle Festungsbewohner mitbekommen, und so kam es eines Morgens zu meinem großen Ärger dazu, dass einer der Apatschen meinen Freund den Vorschlag machte, sich den Gefangenen doch einmal anzusehen. Der Mescalero glaubte wahrscheinlich, dass diese Begegnung, die dieses Mal unter anderen Vorzeichen – Thomson als unterwürfiger Gefangener und Winnetou als freier Mann – stattfinden sollte, seinem Häuptling nur gut tun konnte und dessen Rachegelüste sowie den Zorn auf diesen Bastard ein wenig Linderung verschaffen würde. Glücklicherweise war mein Winnetou aber nicht der Mann, der sich von so niederen Gesinnungen wie Rache oder Zorn leiten ließ, und daher lehnte er den Vorschlag seines Stammesgenossen auch kategorisch ab. Er wollte den eingesperrten Bastard nicht mit seiner Anwesenheit beehren, das war einfach unter seiner Würde und entsprach auch in keinster Weise seinem edlen Wesen. Daraufhin berieten wir mit den Apatschen zusammen über einen günstigen Zeitpunkt, an dem wir den Prozess durchführen wollten, und wenig überrascht nahm ich an diesem Tag zur Kenntnis, dass die Mescaleros den weißen Erzschurken am allerliebsten im Beisein des ganzen Stammes, also im Pueblo, zur Rechenschaft ziehen wollten. Das war einerseits sehr günstig, da wir dann sicher sein durften, dass Winnetou zu diesem Zeitpunkt wieder soweit bei Kräften sein würde, dass ihm dieser Prozess seelisch nicht mehr schaden konnte. Andererseits aber barg dieses Vorhaben auch die Gefahr, dass der Gefangene eventuell eine Möglichkeit zur Flucht bekommen konnte, obwohl das bei so vielen Bewachern, vor allem den sehr zornigen Apatschen, fast unmöglich sein durfte. Winnetou entschied sich nach kurzer Überlegung dann auch für diese Variante, was ich sehr befriedigt registrierte, nicht nur aus den genannten Gründen, sondern auch deshalb, weil Thomson auf diese Weise noch ein wenig länger Gelegenheit bekam, mit seinem Schicksal zu hadern und in Angst und Schrecken seine ungewisse Zukunft abzuwarten. Kapitel 39: Aufbruch -------------------- Weitere zwei Wochen zogen durch das Land, in denen sich Winnetous Zustand zum Glück stetig besserte, wenn auch in sehr kleinen Schritten. Die äußerlichen Wunden der Folter und des Kampfes waren meist schon gut verheilt oder gingen in die Vernarbung über, so dass man ihm auf dem ersten Blick nichts mehr davon ansehen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Leben in dem kleinen, abgeschiedenen und wirklich idyllisch gelegenen Tal sehr genossen - vor allem die Ruhe und der Frieden, die hier seit Wochen durch herrschten, taten uns allen gut und ließen uns endlich einmal wieder durchatmen. Nun aber wurde mir mit jedem Tag ein wenig mehr bewusst, wie mein so lange im Innersten verschlossener Tatendrang erneut zu erwachen begann, und zeitgleich mit mir konnte ich dieselben Empfindungen auch bei meinem Blutsbruder wahrnehmen. Auch er sehnte sich offenbar danach, einmal wieder für eine längere Zeit auf dem Rücken seines Iltschi durch die endlosen Weiten der Prärie oder durch die reizvolle Berglandschaft zu reiten, welche die Festung umgab. Trotzdem ich also spürte, dass er zunehmend ungeduldiger wurde, ließ er sich den anderen Mitbewohnern gegenüber nichts anmerken, und vor allem vor unserem guten Doktor vermied er es, auch nur die Spur von Ungeduld zu zeigen. Winnetou war nach wie vor erfüllt von größter Dankbarkeit und tiefen freundschaftlichen Gefühlen für diesen Mann, dem er gleich mehrmals sein Leben zu verdanken hatte und der ihm trotz der Rassenunterschiede von Anfang an so wohlgesonnen gewesen war. Gerade deshalb bemühte sich der Häuptling, wie schon seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft, jegliche Missstimmung von Walter fernzuhalten und ihm ja keinen Kummer zu bereiten. Er war sich natürlich vollkommen im Klaren darüber, dass es teilweise einem wahren Kraftakt gleichgekommen war, was Hendrick im Laufe der letzten Monate während der verschiedenen Behandlungsphasen an Winnetou geleistet hatte, wie viel Mühen und Zeit und Herzblut er investieren musste, um den Apatschen irgendwie das Leben erhalten zu können, und diesen über alle Maßen großen Freundschaftsdienst würde ihm mein Blutsbruder bestimmt niemals wieder vergessen! Walter aber war nicht nur ein sehr guter Arzt, sondern gleichwohl auch äußerst feinfühlig. Er kannte meinen Freund mittlerweile sehr genau und hatte deshalb schon seit einigen Tagen ebenfalls eine Ahnung von Winnetous wahren Empfindungen bekommen, wie er mir an einem Abend, kurz nachdem in mir selbst erst darüber klar geworden war, in einem vertraulichen Gespräch am Lagerfeuer mitteilte. Der Apatschenhäuptling selbst befand sich in zu diesem Zeitpunkt nicht an unserer Seite, sondern bei seinem Iltschi, da er es sich inzwischen angewöhnt hatte, den edlen Rappen jeden Abend mit einem gleichbleibenden längeren Ritual in die Nacht zu verabschieden. Walter und ich hatten also Zeit, uns einmal ausgiebig über Winnetous momentanen Zustand zu unterhalten sowie die weitergehenden Maßnahmen zu besprechen. Der Doktor erwähnte dabei auch die für ihn mittlerweile gut sichtbaren Anzeichen, die ihm sagten, dass meinem Blutsbruder langsam aber sicher dieses Tal zu eng wurde und er sich offenbar wieder nach seiner Freiheit sehnte, nach einem Leben, welches ihm nicht gleich diesem hier allmählich wie eine Gefangenschaft anmutete. Und somit war es für Hendrick eine fast schon logische Schlussfolgerung, dass er unseren Winnetou nicht mit einem unnötig langen Aufenthalt in der Festung das Gemüt beschweren wollte, denn immer noch galt der Grundsatz: Mein Freund durfte auf keinen Fall in eine Situation geraten, die ihn sowohl körperlich als auch seelisch belasten könnte, da so etwas wahrscheinlich zu Rückschlägen in der langwierigen Genesungsphase führen würde, Rückschläge, die der Arzt auf keinen Fall riskieren wollte, da sie vielleicht sogar tödlich enden konnten. Walter begann sich daher allmählich mit dem Gedanken anzufreunden, dass es jetzt vielleicht wirklich an der Zeit wäre, die erste Etappe unserer langen Reise anzutreten, nämlich den Rückweg zum Pueblo. Allerdings hatte er schon seit einigen Tagen auf eine gründlich Untersuchung meines Freundes verzichtet, da er diesen mit derartigen Dingen verschonen wollte, so weit es nur möglich war, um Winnetou nicht tagtäglich an die Krankheit erinnern zu müssen. Walter würde das jetzt aber auf jeden Fall nachholen müssen, um die Sicherheit zu erlangen, dass mein Blutsbruder den mindesten zehntägigen Ritt auch ohne Komplikationen überstehen können würde. Der Doktor befand zwar schon jetzt dessen allgemeinen Gesundheitszustand für ausreichend, aber ohne endgültige Gewissheit würde er dieses Unternehmen niemals angehen, daran bestand natürlich kein Zweifel. Ich muss sagen, dass ich wirklich überrascht war von Walters Feinfühligkeit – er hatte fast zeitgleich mit mir dem Apatschen angesehen, dass dieser sich im Augenblick von einem ausgeglichenen Gemütszustand langsam aber sicher verabschiedete, ein Umstand, der fast allen anderen Bewohnern der Festung verborgen geblieben war, mit Ausnahme von Entschah-koh und Til Lata natürlich. Diese Tatsache allein zeigte schon seine tiefe Verbundenheit mit meinem Blutsbruder und bewies wieder einmal mehr, wie sehr dessen Wohlergehen dem Doktor am Herzen lag, was mich wirklich rührte. Während der letzten Wochen hatten sich immer mehr Westmänner in Firehands Festung eingefunden. Wie schon erwähnt, war es diesem höchstpersönlich gelungen, den Hobble Frank mit seiner Tante Droll sowie Bärenjäger Baumann nebst Sohn Martin aufzutreiben; und wenige Tage nach diesen Fünfen tauchten dann auch schon die nächsten Gäste auf: Old Surehand hatte ebenfalls keine Kosten und Mühen gescheut, um die Aufenthaltsorte von den uns bekannten und freundschaftlich verbundenen Westmännern ausfindig zu machen, und etwa sechs Wochen nach dem Überfall erschien auch er endlich freudig strahlend im Tal. Im Gepäck hatte er nicht weniger als vier der bekanntesten Westmänner im Lande, nämlich Pitt Holbers mit seiner besseren Hälfte Dick Hammerdull, die beide auch unter dem im Westen weit verbreiteten Spitznamen „Die verkehrten Toasts“ bekannt waren. Lustigerweise hatte man beim Anblick der Neuankömmlinge fast unweigerlich das Gefühl, dass diese „Toasts“ ein Zwillingspärchen im Schlepptau hatten, aber das schien nur so, denn Surehand war es gleichwohl auch gelungen, den Dicken Jemmy und den Langen Davy zu diesem Freundschaftsdienst für Winnetou und seinen Stamm zu überreden. Der Dicke Jemmy schien wirklich ein Ebenbild von Dick Hammerdull zu sein, was Bauchumfang und Körpergröße betraf, aber auch der Lange Davy sah in seinem Körperbau Pitt Holbers nicht unähnlich, und diese beiden waren, genauso wie die „Toasts“, ebenfalls immer nur im Doppelpack anzutreffen, weil unzertrennlich. Auch Sam Hawkens hatte einen Erfolg vorzuweisen: Er kam in Begleitung von dem Juggle Fred, den ich vor einigen Jahren kennengelernt und danach leider nie mehr wiedergesehen hatte, und über dessen Erscheinen ich mich riesig freute. Doch Sam hatte noch eine Überraschung parat. Er war auf seiner Mary, natürlich ein weiteres Mal im Eiltempo, bis nach Portales am Rande des Llano Estacado geritten, wo er auf den Neger Bob gestoßen war, der mit seiner Mutter die Oase von Bloody Fox bewohnte, die inmitten der Wüste lag. Sam hatte dem riesigen Schwarzen, nachdem dieser ihn vor Freude über das unverhoffte Wiedersehen fast erdrückt hatte, in aller Kürze von den Ereignissen der letzten Wochen und Monate berichtet und ihn anschließend gebeten, bei seiner Rückkehr zur Oase Bloody Fox ebenfalls darüber zu informieren und in Sams Namen um Unterstützung für die Mescaleros zu bitten. Bloody selbst befand sich im Augenblick aber gar nicht in seinem Zuhause inmitten der Wüste, sondern hielt sich für einige Zeit im weiter entfernten Tulsa auf. Zuvor hatte er Bob nach Portales geschickt, damit dieser dort für ihn etwas erledigen und nebenbei einige wichtige Einkäufe tätigen konnte. Daher hatten Sam und Bob sich nun darauf geeinigt, dass sich Bloody im Falle einer Zusage nach seiner Rückkehr in den kommenden Wochen in Portales aufhalten sollte, damit wir oder vielleicht auch nur eine Delegation von uns ihn dort in Empfang nehmen konnten, bevor es dann weiter zum Pueblo der Mescaleros ging. Sam hatte nämlich ganz richtig angenommen, dass wir die Familie Butterfield keinesfalls ohne Begleitung in ihre Heimat nach Carlsbad zurückkehren lassen würden, denn dass die unerfahrenen Jünglinge dort jemals heil oder auch nur im vollen Besitz ihrer neuen Reichtümer anlangen würden, stand irgendwie nicht zu erwarten. Carlsbad lag zwar nicht gerade auf dem direkten Weg von der Festung zum Stammgebiet der Mescaleros, sondern bedeutete einen Umweg Richtung Osten von etwa drei bis vier Tagen, doch den konnten wir aber durchaus in Kauf nehmen, zumal wir vorher dann auch die kleine Stadt Portales passieren würden. Dort konnten wir nicht nur Bloody Fox in Empfang nehmen - wenn er sich denn zu dem Anschluss an unsere Mission entschieden hatte - sondern auch unsere Vorräte nochmals auffüllen und die wichtigen Einkäufe erledigen, die Winnetou eigentlich schon in Farmington tätigen wollte. Und auch für Bloody Fox würde das mehr Sicherheit bedeuten, als wenn er sich ganz alleine auf den unsicheren Weg entlang des Llano zu den Mescaleros machen würde, zumal man dabei dem Gebiet der Comanchen gefährlich nahe kam. Somit hatte Sam in meinen Augen vollkommen richtig gehandelt, als er sich mit dieser Maßnahme alle Optionen offenhielt, weshalb ich ihm auch sogleich meine Dankbarkeit und Anerkennung aussprach. Zu guter Letzt, etwa sieben Wochen nach dem Überfall durch die Kiowas, traf dann auch endlich Emery wieder in der Festung ein. Er hatte allerdings niemanden ausfindig machen können, obwohl er fast zwei Wochen in einem kleinen Nest nahe Santa Rosa ausgeharrt hatte, da er die „Verkehrten Toasts“ erwartet hatte, die in dieser Zeit dort auftauchen sollten, wie ihm von verschiedenen Leuten zugetragen worden war. Doch da Old Surehand die beiden schon vorher abgefangen hatte, ging der Engländer dieses Mal leider leer aus. Er hatte nun auch viel zu viel Zeit vertrödelt, zuerst mit der aufwendigen Suche und dann mit der zermürbenden Warterei, so dass er sich sagen musste, dass es besser sei, wieder zurückzukehren, um die Reise zum Pueblo nicht unnötig durch seine lange Abwesenheit hinauszuzögern. Ausnahmslos alle Westmänner, vor allem diejenigen, die Winnetou seit Monaten nicht gesehen hatten, waren nach ihrer Ankunft von seinem Anblick hochgradig entsetzt, nicht nur aufgrund der schrecklichen Vorfälle, sondern auch und vielleicht sogar vor allem wegen der scheinbaren Zerbrechlichkeit und dem immer noch schlechten Aussehens meines geliebten Freundes. Als sie ihn begrüßten, hatte man beinahe den Eindruck, als würden sie sich gar nicht recht getrauen, ihn anzufassen oder gar zu umarmen, und auch in den folgenden Tagen kam es mir so vor, als würden die Gefährten ihn am liebsten nur mit Samthandschuhen anfassen wollen. Winnetou bemühte daraufhin sich nach Kräften, die Westmänner zu beruhigen und von seinem mittlerweile gesundheitlich doch recht stabilem Zustand zu überzeugen, aber sein durchscheinend wirkendes und schmales Äußeres strafte all seine Worte Lügen, auch wenn er sich ganz anders fühlte. Als unsere ausgesandten Gefährten mit ihren neuen Begleitern alle vollständig wieder in der Festung beisammen waren, wurden die Neuankömmlinge nochmals genauestens über die vergangenen Geschehnisse und unsere Pläne für das kommende Jahr in Kenntnis gesetzt. Ausnahmslos alle Westmänner waren Feuer und Flamme und geradezu begeistert über die ihnen gestellte Aufgabe. Sie hatten sich viel vorgenommen und wollten tun, was in ihrer Macht stand, um dem Gebiet der Apatschen den Frieden zu erhalten und somit Winnetou zu ermöglichen, sich für die Zeit, die er brauchte, um wieder völlig genesen zu können, von seinen anstrengenden Aufgaben zurückzuziehen. Manche hatte für dieses Vorhaben tatsächlich lang geplante Unternehmungen verschoben oder ganz abgesagt - die „Toasts“ hatten sogar einem großen Siedlertreck ihre versprochene Begleitung entzogen, nicht aber ohne vorher für würdigen Ersatz zu sorgen. Mein Freund wiederum war nahezu überwältigt wegen der übergroßen Hilfsbereitschaft, die ihm und seinem Stamm entgegengebracht wurde. Er kam gar nicht auf die Idee, dass der Grund dafür der Tatsache entsprang, dass er selbst schon viele Male die meisten unserer Gefährten aus brenzeligen Situationen befreit und ihnen damit oftmals auch das Leben gerettet hatte, genauso wie er es für wildfremde Weiße ebenfalls vielfach getan hatte. Keiner unserer Freunde hatte das je vergessen, und darum waren sie jetzt alle beinahe schon versessen darauf, dem selbstlosen Apatschenhäuptling endlich einmal auch etwas Gutes tun zu können. Aufgrund meines ebenfalls in diesen Tagen stattgefundenen Gespräches mit dem Doktor über Winnetous Gemütszustand beratschlagten Hendrick und ich anschließend den genauen Zeitpunkt unserer Abreise aus dem Tal, zuerst aber nur mit den stellvertretenden Mescalero-Häuptlingen. Da auch Til Lata und Entschah-koh sich seit einigen Tagen nicht mehr des Gefühls erwehren konnten, dass ihrem Jugendfreund die Festung langsam aber sicher zu eng wurde, waren sie sofort einverstanden mit unserem Plan zur baldigen Abreise, denn genau wie ich vertrauten sie Walter bedingungslos, vor allem in ärztlicher Hinsicht. Die Häuptlinge hatten in den vergangenen Wochen durch eine Postenkette im ständigen Kontakt mit den Bewohnern des Pueblos gestanden, einerseits um diese über den Zustand ihres geliebten Häuptlings auf dem Laufenden zu halten, andererseits aber auch, um beispielsweise für Ablösungen der hier stationierten Apatschen zu sorgen. Dieser Umstand sollte jetzt dazu genutzt werden, um die vielen im Pueblo verbliebenen Krieger unter der Führung von Yato Kah über den Zeitpunkt unseres Aufbruchs und die dabei geplante Route zu informieren, so dass die über mehrere hundert Mann starke Kriegerschar im Notfall schnell reagieren und uns zum Teil auch schon entgegen reiten konnte, gerade weil einer der möglichen Reisewege uns im letzten Viertel auch nahe an dem Gebiet der Comanchen entlang führen würde. Zum Abschluss der Gespräche galt es also noch festzulegen, welche Wegstrecke letztendlich eingeschlagen werden sollte. Was war das Beste und vor allem das Sicherste für Winnetou? Die ungefährlichste Route führte natürlich über den direkten Weg zum Pueblo, an dem entlang auch die Postenkette der Apatschen lag. Dadurch befand sich das gesamte zu durchquerende Gebiet unter ihrer ständigen Beobachtung, so dass wir vor eventuellen Gefahren sofort gewarnt werden würden. Dagegen sprach allerdings, dass sich unsere Gruppe dann trennen würde müssen, da ein Teil die Butterfields nach Carlsbad begleiten und zugleich Bloody Fox in Portales abholen musste. Folglich würde unsere Gesellschaft unweigerlich geschwächt werden, gerade im Bezug auf die Westmänner, was allerdings auch durch das Einfordern von noch mehr Kriegern der Mescaleros ausgeglichen werden konnte. Diese Strecke führte allerdings auch durch oftmals unwegsames Gelände. Es mussten viele tiefe Schluchten und einige sehr breite Flüsse durchquert werden, was fast immer mit hoher körperlicher Anstrengung verbunden war, da ein Reiter diese Hindernisse meist nur zu Fuß und sein Pferd dabei hinter sich am Zügel führend überwinden konnte – und solch einer Anstrengung durfte Winnetou eigentlich noch gar nicht ausgesetzt werden. Ich plädierte daher stark für die zweite Möglichkeit, nämlich dem gemeinsamen Weg über Portales und Carlsbad, der zwar einen größeren Umweg bedeutete und vielleicht auch etwas gefährlicher werden konnte, aber vor allem zwei Gründe sprachen dafür: Zum einen konnten wir zusätzlich einen großen Teil Apatschen anfordern, die unsere Reisegruppe nochmals stark verstärken und so für die nötige Sicherheit sorgen würden – und zum anderen, und dieser Grund war mir fast der Wichtigste, würde Winnetou sich auf dieser Strecke, die größtenteils fast ohne landschaftliche Hindernisse bewältigt werden konnte, noch einige Tage mehr auf dem Rücken seines Iltschi so richtig austoben können. Im Pueblo würde er nämlich aufgrund der Vielzahl an Regelungen und Vorbereitungen für die Zeit seiner Abwesenheit nicht mehr viel Gelegenheit dazu bekommen, und wegen unserer geplanten langen Reise sollte er ja auch währenddessen seinen herrlichen Rappen für eine lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Gerade diese zweite Überlegung ließ auch alle anderen Gefährten sich für den Umweg entscheiden, denn Winnetous Wohl und Wehe lag ihnen allen sehr am Herzen, und jeder wünschte sich für ihn nur das Beste. Als dann auch mit den anderen Westmännern alles abgesprochen und geklärt war, begab ich mich an diesem Abend an die Seite meines Blutsbruder, der sich schon in unserer Kammer zur Ruhe begeben hatte. Sollte er noch wach sein, wollte ich ihm die für ihn bestimmt freudige Nachricht gleich überbringen, ansonsten musste das halt bis zum nächsten Morgen warten. Doch mein unvergleichlicher Winnetou hatte wohl schon gespürt, dass irgendetwas im Busch war, denn er saß hellwach und aufrecht auf seinem Lager und sah mich mit seinen nachtdunklen Augen erwartungsvoll an. Sein schönes Gesicht und allein das Leuchten der Sterne in seinen Augen animierten mich fast gegen meinen Willen dazu, mich sogleich an seine Seite zu legen und ihm einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken. Doch bevor ich mich wieder völlig von ihm lösen und zum Sprechen ansetzen konnte, hatte er mit beiden Händen schon mein Gesicht umfangen, zog mich zu sich hinunter und begann mich ungehemmt in einen innigen Kuss zu verwickeln, der schon nach wenigen Sekunden immer heftiger und wilder wurde. Beide wurden wir zeitgleich von einer hoch auflodernden Leidenschaft regelrecht überwältigt, die wir nur sehr, sehr schwer wieder zügeln konnten, doch die Gefahr einer Entdeckung war hier einfach zu groß. Außerdem hatte ich mir ja auch vorgenommen, Winnetou auf keinen Fall mehr in Gefahr zu bringen, bevor sein Herz nicht kräftig genug war, um große Anstrengungen zu meistern. Als es uns nach einer gefühlten Ewigkeit endlich gelungen war, uns voneinander zu lösen, ging unser beider Atem deutlich heftiger. Der Schweiß war mir aus allen Poren gebrochen und mein Unterkörper hatte ein Eigenleben entwickelt, welches ich wohl nur sehr schwer wieder in den Griff bekommen würde, wie ich insgeheim befürchtete. Aber auch Winnetous Atem flog beinahe, und in seinen Augen loderte eine Glut, die mir alle Selbstbeherrschung abverlangte, mich nicht gleich wieder auf ihn zu stürzen, allein um ihm den höchsten Genuss zu bereiten; um mich selbst ging es mir dabei gar nicht. Doch nein – ich konnte froh sein, dass mein geliebter Freund überhaupt noch lebte, und dieses Leben durfte ich keinesfalls wieder in Gefahr bringen, auch wenn ich ihm nur Gutes tun wollte. Also versuchte ich es mit einem Ablenkungsmanöver, und was konnte ihn wohl besser ablenken als die Aussicht, der Enge der Festung endlich wieder zu entkommen und zügellos die Weiten der Prärie auf dem Rücken seines geliebten Rappen zu erkunden? Ich brauchte gar nicht viele Worte zu machen; das Aufleuchten in seinen Augen schon nach wenigen Sätzen sprach Bände, und der tiefe Seufzer, der ihm entfuhr, zeugte von seiner übergroßen Erleichterung, endlich ein Stück weit der Gefangenschaft seiner Krankheit entkommen zu können. Allerdings war es mir ein großes Bedürfnis, seinen aufkommenden begeisterten Tatendrang gleich wieder ein wenig zu zügeln, denn die übergroße Angst um sein Leben steckte mir immer noch in den Knochen und hing gleich einem Damoklesschwert ständig über mir und meinem Handeln gegenüber Winnetou. So zog ich ihn fest in meine Arme und sprach: „Ich bitte meinen Bruder aber inständig, sich auch jetzt nicht und schon gar nicht während unserer Reise in irgendeiner Weise zu überanstrengen, ja? Du hast es trotz allem bis hierher geschafft, mein Freund, und doch bin ich immer noch in größter Sorge um dich, da die Gefahr eines erneuten Zusammenbruchs ja noch lange nicht vorbei ist!“ Sacht strich mir Winnetou über die Wange, als er antwortete: „Und ich bitte meinen Bruder, diese Sorgen nun endgültig aus seinem Herzen zu verbannen! Winnetou wird dich nicht verlassen, Scharlih – er würde das spüren, ganz sicher!“ Zweifelnd sah ich meinen geliebten Freund an, weshalb er nochmals nachlegte: „Vertraue mir doch, mein Bruder!“ Äußerst gerührt presste ich ihn noch fester an mich und flüsterte: „Wem sonst sollte ich denn nur vertrauen, wenn nicht dir? Ich glaube es doch auch: wenn es jemand zustande bringen kann, den Tod so oft, wie in letzter Zeit geschehen, in die Flucht zu schlagen, und war er noch so gefährlich nahe gekommen, dann dir, mein lieber Bruder! Und doch wird es mir wohl nie gelingen, meine Angst um dich gänzlich abzulegen – kannst du das verstehen?“ „Natürlich, Scharlih!“, antwortete Winnetou mit sanfter Stimme. „Und deshalb verspricht Winnetou dir auch, stets vorsichtig zu sein!“ Eine Weile saßen wir schweigen nebeneinander auf unserem Lager, die Arme umeinander geschlungen und einfach nur froh, noch einander zu haben, denn unser kurzer Wortwechsel hatte uns wieder einmal daran erinnert, wie knapp wir beide, vor allem aber Winnetou, vor wenigen Wochen dem Tod entronnen waren. Diese Erinnerungen ließen dann auch mit einem Mal ein Bild in mir aufsteigen, welches mir kurz nach meinem Erwachen aus der langen Bewusstlosigkeit nach dem Überfall der Kiowas ständig im Kopf herumgegangen war, eine Folge der Worte, die sich mir im Fiebertraum quälend lange wiederholt hatten, verbunden mit einer furchtbaren Empfindung des Grauens. Und nun hatte ich das Gefühl, dass ich meinen Blutsbruder einfach danach fragen musste, obwohl mir vor seiner Antwort schon ein wenig bange war. „Winnetou... du... du warst dem Tode kurz nach dem Überfall zweimal so nahe gewesen... so unfassbar nahe...“ Ich stockte, wusste im Augenblick nicht, wie ich die richtigen Worte finden konnte – doch mein geliebter Freund hielt mich fest, und nicht nur das. Er ahnte natürlich auch schon wieder, was genau mich gerade jetzt bewegte, und gab seine Antwort, bevor ich meine Frage überhaupt aussprechen konnte. „Winnetou hatte in diesen Momenten den Himmel nicht mehr berühren dürfen, mein Bruder! Aber er konnte ihn spüren – die Wärme, das Licht, die Geborgenheit, das alles war in mir und um mich herum, und ich wäre gerne gefolgt – doch deine Stimme rief mich zurück... und meine Sehnsucht zu dir war viel zu groß, als dass ich dem hätte widerstehen können...“ Für einen kurzen Augenblick war wieder dieses beinahe schon überirdische Leuchten auf seinem schönen Gesicht erschienen, und dieser Anblick, vor allem aber seine so sehr zu Herzen gehenden Worte, rührten mich zu Tränen, die ich in diesem Moment auch nicht mehr ganz zurückhalten konnte. Stumm vor Rührung und aufgrund dieser überwältigenden Gefühle strich ich ihm mit meiner Hand, fast schon ein wenig hilflos, einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, und als er daraufhin die Augen schloss und sich in diese Berührung hinein lehnte, verlor ich dann doch wieder die Kontrolle, beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn sanft auf den Mund. In diesem Augenblick aber waren laute Schritte auf dem Weg zu unserer Kammer zu hören, so dass wir uns sofort wieder voneinander lösten und eine möglichst unauffällige Position einnahmen. Es war allerdings nur der Doktor, der sich noch einmal vor der Nachtruhe überzeugen wollte, dass es Winnetou soweit gut ging. Walter sah wohl schon auf dem ersten Blick, dass dem auch wirklich so war. Er nickte zufrieden, ließ ein schwer einzuschätzendes Lächeln sehen und kam dann schließlich noch einmal auf unseren geplanten Aufbruch zu sprechen. Er wollte meinen Freund am nächsten Morgen noch einmal einer gründlichen Untersuchung unterziehen, und wenn diese zu Walters Zufriedenheit ausfallen sollte, dann würde nichts mehr gegen eine Abreise in zwei oder drei Tagen sprechen. Winnetous Blicke sprachen Bände – für ihn konnte es natürlich gar nicht schnell genug losgehen, weshalb er wahrscheinlich alles daran setzen würde, so früh wie nur möglich aufzubrechen. Lachend sprach ich meine dahingehende Vermutung aus, was meinem Freund ein leises Lächeln ins Gesicht zauberte und Hendrick grinsend zu dem Versprechen hinreißen ließ, dafür zu sorgen, dass es dann auch zu keinerlei Verzögerungen mehr kommen würde. Anschließend wünschte er uns eine gute Nacht, nickte uns noch einmal zu und verließ schnellen Schrittes den Raum. Kurz darauf hörten wir ihn draußen mit dem Apatschen sprechen, der zur Zeit in der Nähe unserer Kammer Wache hielt – die stellvertretenden Häuptlinge hatten darauf bestanden, dass Winnetou diesen besonderen Schutz erhielt, allein schon wegen der Anwesenheit Thomsons in der Festung – und nun war deutlich zu hören, dass unser Doktor den Mescalero darum bat, bis zum nächsten Morgen keinen Besuch mehr zu uns durchzulassen, obwohl wir ihn gar nicht darum gebeten hatten. Nanu? Schnell breitete sich jetzt im ganzen Tal eine friedliche Ruhe aus, die sich auch auf uns übertrug und dafür sorgte, dass mein Freund und ich recht schnell einschliefen. Meine Ruhe währte allerdings nicht sehr lange, denn unser abendliches Gespräch hatte mich wohl doch ziemlich aufgewühlt und bescherte mir nach längerer Zeit mal wieder einen üblen Albtraum. Und wie schon zuvor am Ship Rock handelte auch dieser Alb von meiner Furcht und der darauffolgenden, fast schon greifbaren Gewissheit, vor dem Verlust meines geliebten Freundes zu stehen, ein Umstand, der mich im schrecklichsten Augenblick des Traumes mit einem entsetzten Aufkeuchen in die Höhe fahren ließ, woraufhin ich erst einmal schwer atmend versuchte, wieder zur Besinnung zu kommen. Doch fast zeitgleich spürte ich eine Hand in meinem Rücken, die mich sanft zu streicheln begann, und sofort darauf Winnetous beruhigende Stimme, die mich leise flüsternd wieder in die Wirklichkeit zurückbrachte – und was für eine herrliche Wirklichkeit war das! Mit seiner feinfühligen Art gelang es ihm ganz schnell, dass ich mich wieder völlig entspannen konnte, und diese Entspannung nutzte mein Freund auch sogleich aus. Es war ihm am Abend und auch in den Tagen und Wochen zuvor schon sehr, sehr schwergefallen, sich mit Zärtlichkeiten mir gegenüber zurückzuhalten, was er auch nur deshalb getan hatte, weil er um meine großen Sorgen um ihn wusste. In dieser Nacht jedoch schien er sämtliche Bedenken über Bord zu werfen; vielleicht wurde er jetzt auch selbst von einer Leidenschaft überrollt, die er einfach nicht mehr kontrollieren konnte – und da ich mich zu diesem Zeitpunkt immer noch in einem emotionalen Ausnahmezustand befand, wurde ich von ihm völlig überrumpelt. ACHTUNG: SLASH!!! Seine Hand glitt von meinem Rücken zu meiner Schulter und drückte mich sanft, aber sehr bestimmt zurück auf unser Lager. Kaum lag ich wieder, war er schon über mir und begann mein Gesicht über und über mit Küssen zu bedecken. Noch bevor ich darauf irgendwie reagieren konnte, drückte er seine Lippen schon auf meinen Mund, und seine Zunge begehrte fordernd Einlass. Dieser innige Kuss begann sanft, wurde aber innerhalb von Sekunden wilder und unbeherrschter, genauso wie meine Gemütslage, über die ich langsam aber sicher die Kontrolle verlor. Zwar wollte mein Verstand noch einmal aufbegehren, aber in diesem Moment ließ sich Winnetou mit seinem ganzen Körper auf mich nieder, und da er nur seinen Lendenschurz trug und ich somit seine schon harte Männlichkeit deutlich spüren konnte, verabschiedete sich mein Verstand schneller als ich überhaupt Luft holen konnte. Mit abwechselnd zärtlichen, dann aber wieder harten und wilden Bewegungen brachte mein Freund mein Innerstes rasend schnell zum Glühen, und die Leidenschaft überwältigte mich mit einer Macht, gegen die jegliche Gegenwehr sinnlos war – ich wollte es auch gar nicht mehr. Mittlerweile hielt ich meinen Blutsbruder fest umschlungen, presste ihn immer wieder mit den Händen auf seinen Hüften hart an mich, rieb mich an ihm und unser Stöhnen und Keuchen wurde nur noch durch den wilden Kuss gedämpft, der uns immer noch gefangen hielt und von dem sich keiner von uns zu lösen vermochte. Die Gier nach mehr brachte meine Hände nun dazu, sich auf eine wilde Wanderschaft zu begeben. Mit festem Druck fuhren sie über seinen Rücken, seine Schultern, durch sein herrliches Haar, umschlossen sein Gesicht, glitten wieder an seinem Hals und über die Brust hinunter, an den Seiten entlang, über seine Hüften, und schließlich drängte ich sie zwischen unsere Körper, um ihn endlich an seiner empfindlichsten Stelle umfassen zu können. Mit einem leisen Aufschrei entriss er mir seinen Mund, presste sein Gesicht in meine Halsbeuge und ließ dort nun mit jeder Handbewegung von mir ein unterdrücktes Keuchen hören. Seine Hände waren derweil auch nicht still geblieben, doch jetzt wurde er von einer solchen Erregung gepackt, dass er sie auf meinem Gesicht liegen ließ und mit beiden Daumen gleichzeitig in meinen Mund eindrang, woraufhin meine Zunge sofort ein wildes Spiel mit ihnen begann. Beide waren wir bis ins Innerstes aufgewühlt, und ich spürte, dass wir einander nicht mehr lange standhalten würden. Noch gieriger, noch heftiger wurden unsere Bewegungen, ich wollte seinen Körper überall spüren, wollte alles von ihm gleichzeitig erkunden, umfassen, mich in ihn verkriechen. Winnetous Hände glitten von meinem Gesicht hinunter zu meinen Hüften, und als auch er zwischen unsere Körper fuhr und meinen Schaft hart umfasste, entfuhr mir ein tiefes, grollendes Stöhnen, von dem ich im Nachhinein hoffte, dass es nicht zu laut und außerhalb unserer Kammer zu hören gewesen war. Ein Lustpfeil nach dem anderen jagte jetzt durch meinen Körper, und diese unsagbare Erregung tobte ich gleichzeitig an Winnetous Männlichkeit aus, was ihn augenscheinlich beinahe um den Verstand brachte. Die Hitze in unseren Körpern stieg und stieg, wir wussten gar nicht mehr, wohin mit unseren Gefühlen, drehten uns mittlerweile mehrmals um uns selbst, so dass mal Winnetou und mal ich die Oberhand behielt, unsere Hände und Lippen waren überall und nirgends. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, ich umfasste seinen prallen Schaft wieder mit beiden Händen, liebkoste ihn, mal sanft, mal hart, massierte ihn dann immer kräftiger, ließ zwischendurch die Finger der anderen Hand über seine feuchte Spitze gleiten, und nun brauchte es nur noch wenige Sekunden, bis es mit einem weiteren Aufschrei aus ihm herausbrach – in unregelmäßigen Schüben entlud er sich, zitternd, pulsierend, und ich wurde sogleich mitgerissen, keuchte meine Lustlaute in seine Schulter, ergoss mich, wieder und wieder, gleichzeitig massierte ich ihn weiter, so dass ich bald nicht mehr wusste, wo sein Orgasmus endete und ein neuer begann, wurde auch von ihm von einem Gipfel der Lust auf den nächsten getrieben – irgendwann ließ ich mich völlig erschöpft auf ihn sinken, wurde gleichzeitig von seinen starken Armen umfangen, und dann blieben wir eine gefühlte Ewigkeit eng umschlungen und schwer atmend liegen, die unendliche Glückseligkeit einfach nur genießend. SLASH – ENDE ! Wie viel Zeit letztendlich vergangen war, bis sich mein Verstand wieder einschaltete, weiß ich gar nicht mehr. Als erstes registrierte ich, dass mein geliebter Freund schon tief und fest schlief, aber glücklicherweise gleichmäßig und ruhig atmete. Um mein aufkommendes schlechtes Gewissen zu beruhigen, legte ich meinen Kopf auf seine Brust, so dass ich seinen Herzschlag, der auch ruhig und langsam ging, immer unter Kontrolle hatte, zog die Decke über unsere Körper und war dann doch innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Eine innere Stimme sorgte dankenswerterweise dafür, dass ich am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang erwachte. Mein erster Gedanke galt natürlich meinem Freund, der weiterhin noch im Tiefschlaf lag und dem es augenscheinlich aber auch wirklich gut ging, zumindest konnte ich keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten seines Herzschlages feststellen, was natürlich außerordentlich zu meiner Beruhigung beitrug. Vorsichtig löste ich mich von ihm, und spätestens jetzt wurde mir bewusst, dass unsere Körper dringend einer Reinigung bedurften, am besten natürlich noch vor dem Eintreffen des Arztes oder der Gefährten. Glücklicherweise stand in einer Ecke der Kammer immer ein kleines, bis an den Rand gefülltes Wasserfass, und somit nutzte ich sogleich dieses kühle Nass, um sorgfältig die Spuren der letzten Nacht zu beseitigen. Leider konnte ich nicht verhindern, dass auch Winnetou davon erwachte; ich hätte ihm jedenfalls sehr gerne noch seinen Schlaf gegönnt. Er setzte sich rasch auf, und das liebevolle Lächeln, welches er mir jetzt zuwarf, hätte mich fast wieder dazu gebracht, ihn sofort wieder in meine Arme zu ziehen, doch mit Müh und Not konnte ich mich noch gerade so beherrschen. Stattdessen fragte ich ihn sogleich: „Wie geht es dir, mein Bruder?“ Sein Lächeln vertiefte sich noch ein wenig mehr, als er antwortete: „Nach dieser Nacht besonders gut – und das sollte Scharlih nun wirklich nicht verwundern!“ Grinsend erwiderte ich seinen schelmischen Blick und fuhr dann mit meiner Reinigungsarbeit fort, wobei er mir jetzt schnell half. Der leise Hauch der Belustigung lag weiterhin auf seinem Gesicht, was mich zu der Bemerkung veranlasste: „Ein Glück, dass wir in der Nacht nicht gestört worden sind...“ „Das war kein Zufall, mein Bruder!“, antwortete Winnetou lächelnd. „Wie meinst du das?“, kam meine verwunderte Gegenfrage. „Hast du nicht den wissenden Blick unseres Freundes Walter bemerkt am gestrigen Abend? Und seine anschließende Bitte draußen an meinen Stammesbruder, keine Störung mehr zuzulassen?“ „Du glaubst...?“ Überrascht brach ich ab und bedachte Winnetou mit einem verblüfften Blick. Er nickte, wieder mit diesem schelmischen Ausdruck und einem leisen Lächeln im Gesicht. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meiner Aufgabe zu, wobei mir das soeben Gesagte nicht mehr aus dem Kopf ging und letztendlich dazu führte, dass ich urplötzlich in haltloses Gelächter ausbrach, welches ich beim besten Willen auch nicht mehr beherrschen konnte. Mein Freund beobachtete mich mit einem von Herzen kommenden Lächeln, und es dauerte dann auch eine ganze Weile, bis ich mich endlich wieder beruhigen konnte. Schließlich zog ich ihn fest in meine Arme und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich bedauere die Menschen wahrhaftig von Herzen, die miteinander durchs Leben gehen, ohne sich wirklich zu lieben – wie viele unendlich glückliche Momente bleiben ihnen so vorenthalten!“ Winnetou nahm statt einer Antwort mein Gesicht in beide Hände und schenkte mir einen innigen Kuss, der das soeben Gesagte mehr als bestätigte. Kurz darauf betrat Walter Hendrick den Raum, im Schlepptau zwei Apatschen, die uns ein herrliches Frühstück kredenzten, über welches wir uns zusammen mit dem Doktor mit großem Appetit hermachten. Mir fiel auf, dass er zwischendurch vor allem Winnetou immer wieder mit einem prüfenden Blick bedachte. Das Ergebnis fiel dann aber offenbar zu seiner Zufriedenheit aus, denn am Ende konnte ich sein erleichtertes Aufatmen beobachten, welches schließlich in ein leises Schmunzeln überging. Auch Winnetou waren die Reaktionen unseres Freundes nicht entgangen, denn von ihm unbemerkt sandte der Apatsche mir hier und da einen belustigten Blick zu, woraufhin ich schon wieder einige Anstrengungen unternehmen musste, um nicht abermals einem unkontrollierten Heiterkeitsausbruch zu unterliegen. Nach dem Frühstück aber wurde es ernst. Der Doktor unterzog Winnetou nun einer ausgiebigen Untersuchung, deren Ergebnis ich voller Spannung erwartete. Und glücklicherweise fiel dieses dann auch sehr positiv aus, denn Walter gab nun sein endgültiges OK zu dem Beginn einer langen, langen Reise. Zielgerichtet wurden ab diesem Zeitpunkt im ganzen Tal schnell, aber gründlich alle Reisevorbereitungen und gleichzeitig sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die nötig waren, um einerseits Winnetou vor dem Angriff eventueller Feinde und zugleich vor zu großen Anstrengungen zu schützen, die andererseits aber auch für das sichere Gewahrsam unseres Erzfeindes Thomson und seiner beiden Kumpane sorgen sollten. Am nächsten Morgen war dann endlich die ganze Gesellschaft bereit zu Abreise. Es war ein großer Zug, der sich nun auf den Weg machen würde: Neben Winnetou und mir begleiteten uns Old Firehand, der Hobble Frank, Tante Droll, der Bärenjäger Baumann nebst Sohn Martin, Old Surehand mit den beiden vermeintlichen "Zwillingspärchen", nämlich den dicken Jemmy und den langen Davy sowie Dick Hammerdull und Pitt Holbers, schließlich noch Sam Hawkens mit dem Juggle Fred und zu guter Letzt natürlich auch unser Englishman Emery. In Portales sollte dann ja noch Bloody Fox hinzustoßen, so dass wir auf die Begleitung und die Hilfe von sage und schreibe vierzehn hochkarätigen Westmännern vertrauen durften, die die Sicherheit des ganzen Unternehmens erheblich verstärkten. Zusätzlich gehörten noch vierzig bis an die Zähne bewaffnete Apatschen der Reisegruppe an, so dass es eigentlich schon einer ganzen Armee an Feinden bedürfen würde, um unserer Reisegruppe noch gefährlich werden zu können. Die Indianer waren vor allem für die Jagd und die Bewachung von Thomson und seinen beiden überlebenden Kumpanen zuständig, und da sie diesen widerwärtigen Verbrechern gegenüber voller Rachsucht waren, konnten wir uns sicher sein, dass es in dieser Hinsicht keine bösen Überraschungen während des ungefähr fünfzehntägigen Ritts geben würde. Auch die Butterfields bildeten natürlich einen Teil der Reisegesellschaft. Die zehn Jünglinge hatten sich in den letzten Wochen in der Festung so unauffällig wie möglich benommen, um ja keinen Ärger mehr zu provozieren, was ihnen allerdings auch nicht sehr schwer gefallen sein dürfte, da sie diese Zeit vornehmlich mit süßem Nichtstun verbracht hatten. Auch jetzt nahmen sie ihren Platz ziemlich weit hinten in unserem langen Zug ein, da sie Winnetou und mir offenbar nicht gerne allzu nahe kommen wollten – die jungen Männer verspürten anscheinend noch eine gehörige Portion Schuldgefühle, da sie durch ihr unbedachtes Handeln uns, vor allem aber Winnetou, während unserer gemeinsamen Reise zum Ship Rock in mehrere Gefahrensituationen gebracht hatten, nicht zu vergessen natürlich ihre gut gemeinte, trotzdem aber unsagbar dumme Pflanzensuche vor dem Eingang der Festung, die unter anderem auch dadurch die Kiowas auf den Plan gerufen hatte. Trotzdem nahm ich mir vor, mit diesen Wirrköpfen in den nächsten Tagen einmal ein ausführliches Gespräch zu führen, um ihnen den Anschluss an unsere Gefährten und uns wieder zu ermöglichen, denn ich konnte diesen Greenhorns einfach nicht weiter böse sein. Den Abschluss unserer großen Gesellschaft bildete ein Trupp von zwanzig Soldaten, die uns Kommandant Collister noch bis zur Ankunft am Pueblo der Mescaleros zu unserem zusätzlichen Schutz zur Verfügung gestellt hatte, wobei ich mir nicht sicher war, wer im Notfall dann eigentlich wem tatsächlich Schutz bieten würde! Die Pelzjäger Old Firehands würden allerdings in der Festung bleiben, denn sie wollten nach den ganzen Aufregungen der letzten Wochen das Tal wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen und dann endlich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich dem Erbeuten von Pelzen, nachgehen. Nur Old Firehand hatte es sich nicht nehmen lassen, uns zu begleiten, zumal er ja auch das ganze nächste Jahr bei der großen Aufgabe, den Frieden im Apatschenland zu erhalten, eine verlässliche Hilfe darstellen wollte. Und somit bildete sich nun, kurz vor dem Aufsitzen, ein Zug von neunzig Menschen in der Festung, welcher weit bis in die Mitte des kleinen Tales hereinragte, und bei dessen Mitgliedern nach den langen, ereignislosen letzten Wochen eine freudige Aufbruchstimmung deutlich zu spüren war. Kapitel 40: Rot und Weiß auf Reisen ----------------------------------- Als Winnetou jetzt aufsaß, richteten sich sogleich fast alle Augen auf ihn. Es war aber auch ein zu schönes Bild, wie er mit seinem schwarzen Hengst sofort zu einer Einheit verschmolz - ein stolzes, beinahe majestätisches und wirklich prachtvolles Bild. Iltschi hatte zunächst stocksteif dagestanden, war er doch von Winnetou selbst in die beste indianische Schulung genommen worden, so dass er nichts tat, was sein Herr ihm nicht erlaubt hätte. Und doch schien der Rappe zu spüren, dass es jetzt wieder auf eine größere Reise ging und somit auch sein langweiliges Dasein in dem kleinen Tal, in dem sich das rassige Tier niemals richtig hatte austoben können, dem Ende zuging. Kaum aber hatte Winnetou nun den Druck seiner Schenkel etwas gelockert und dem Hengst somit ein wenig mehr Freiheit zugestanden, da begann der Rappe auch schon, nervös umherzutänzeln, erst nur ein wenig, dann immer mehr, was schließlich in ein paar verrückten Bocksprüngen gipfelte und letztlich mit einem Satz endete, bei dem sich alle vier Beine des Tieres gleichzeitig in der Luft befanden. Hatatitla erging es nicht anders, und da ich ihm auch nicht von vornherein Einhalt gebot, sah er sich jetzt genötigt, es seinem Bruder gleichzutun und mich mit seiner Herumtollerei schnell gehörig ins Schwitzen zu bringen. Dieser Anblick löste bei fast allen Beteiligten einen ordentlichen Heiterkeitsausbruch aus, und auch Winnetou konnte sich eines Lächelns nicht mehr erwehren, während er seinem Iltschi noch einige Sekunden lang dessen Willen ließ. Das nutzte dieser jetzt auch noch einmal ausgiebig aus und vollführte dabei ein paar solch halsbrecherische Sprünge, dass sich die Mimik des Doktors vor Sorge verdunkelte. Mein Freund bemerkte dessen aufkommende Besorgnis und zwang den Hengst sogleich zur Ruhe. Bloß nicht schon direkt am Anfang den Arzt dessen Erlaubnis für die Reise bereuen lassen! Übrigens hatte es kurz zuvor noch eine Überraschung gegeben, die für die meisten Weißen einen nicht enden wollenden Freudenausbruch zur Folge gehabt hätte, bei meinem Blutsbruder aber nur geringe Beachtung fand: Seine beiden Säckchen mit den Nuggets waren wieder aufgetaucht! Kurz vor dem geplanten Aufbruch hatten nochmals einige Späher der Apatschen das Gelände rund um die Festung auf eventuelle Gefahren durch Mensch oder Tier überprüft, aber nichts Außergewöhnliches gefunden – bis auf das von Thomson geraubte und ganz in der Nähe versteckte Gold! Das Edelmetall war so nahe bei der Festung vergraben gewesen, dass niemand vorher auf die Idee gekommen wäre, schon hier zu suchen, und auch jetzt war es nur einem dummen Zufall zu verdanken gewesen, dass sie gefunden werden konnten. Winnetou reagierte, wie schon erwähnt, recht gleichgültig auf den Fund - ganz anders aber Wayne Thomson! Der gewissenlose Verbrecher hatte wohl bis zuletzt die Hoffnung gehabt, irgendwann doch noch einmal die Freiheit wiederzugewinnen, so dass er sich dann das Gold hätte holen und sich damit ein schönes Leben hätte machen können. Diese Chance war nun für immer dahin, und das vor Zorn tiefrote Gesicht des Erzschurken, der offenbar wie ein Vulkan kurz vor einem fulminanten Wutausbruch stand, war schon sehr reizvoll anzusehen und amüsierte mich wirklich sehr! Als unsere Tiere sich endgültig beruhigt und der lange Tross eine gewisse Ordnung angenommen hatte, kam endlich Bewegung in die Reiterschar. Entgegen unserer sonstigen Gewohnheit setzten mein Blutsbruder und ich uns dieses Mal nicht an die Spitze des Zuges – das übernahmen Til Lata und Entschah-koh - sondern ritten inmitten eines Pulkes aus Westmännern und Apatschen. Diese beiden Gruppen blieben nämlich nicht gesondert für sich, wie es meistens bei der Begegnung zwischen Weißen und Roten geschah, sondern ritten wild durcheinander. Auf Helmers Home war das auch schon so gewesen, und viele der Westmänner hatten dort sogar enge freundschaftliche Beziehungen zu den Mescaleros aufgebaut, so dass es nach der Ankunft unserer weißen Freunde in der Festung mehrere freudige Wiedersehens-Szenen gegeben hatte. All diese Krieger und Jäger scharrten sich jetzt um Winnetou und mich, und das geschah nur aus dem einzigen Grund: dem Häuptling so viel Schutz wie nur möglich zu bieten. Wir alle konnten uns zwar sagen, dass sich mein Freund im Falle eines Angriffs in seinem jetzigen Zustand durchaus selbst würde verteidigen können, aber das könnte fatale Auswirkungen auf seinen Gesundheitszustand haben und alle bisher erzielten Erfolge mit einem Schlag zunichte machen, so dass es eine solche Situation unter allen Umständen zu vermeiden galt. Unter großem Hallo, lauten Abschiedsrufen und dem wild durcheinandergehenden Geschrei, mit dem die Männer ihre Pferde antrieben, bewegte sich der Zug nun aus dem Tal heraus, was natürlich einiges an Zeit kostete, da der Tunnel zu dem eigentlichen Ausgang aufgrund seiner Enge uns zwang, im Schritttempo hintereinander zu reiten. Auch die die Festung umgebende Bergwelt ließ ein schnelles Traben oder gar Galoppieren nicht zu, doch die unglaublich schöne Natur entschädigte uns mit ihren großartigen und schnell wechselnden Schauspielen dafür ungemein. Ein ums andere Mal ertappte ich mich dabei, wie sich meine Blicke staunend in dem Anblick der verschiedenen kalkweißen Felsformationen samt ihren Kleidern aus dunkelgrünen, in der Sonne samtig schimmernden Wäldern verloren und ich bei einer Ansprache durch die Gefährten nur sehr schwer wieder in die Wirklichkeit zurückfand. Auch Winnetou konnte ich deutlich ansehen, wie sehr er seine neu errungene Freiheit und die Schönheit der Bergwelt mit allen Sinnen genoss. Oftmals ließ er seinen Kopf in den Nacken sinken, schloss die Augen und empfing die wärmenden Sonnenstrahlen mit sichtbarer Wonne auf seinem Gesicht, ein Anblick, für den alleine sich für mich diese Reise schon lohnte. Zwischendurch warf ich immer mal wieder einen Blick nach hinten, um die drei Gefangenen zu beobachten. Fast musste man den Eindruck gewinnen, als ob selbst der eiskalte Verbrecher Thomson positive Gefühle für die ihn umgebende Natur zu entwickeln begann, denn er reckte und streckte sich genüsslich auf seinem altersschwachen Gaul – dem man ihm natürlich mit Absicht untergeschoben hatte – soweit es seine Fesseln zuließen, und machte einen beinahe zufriedenen Eindruck; selbst der Ärger über das verlorene Gold schien mittlerweile vergessen. Aber das war eigentlich auch kein Wunder – der Mann hatte beinahe acht volle Wochen stramm gefesselt in einer dunklen und feuchten Kammer zugebracht, deren Innerstes das Sonnenlicht nie erreicht hatte, und daher musste ihm die hier herrschende Helligkeit und Wärme sowie die wunderbar klare Luft wie das wahre Paradies vorkommen. Die drei Ganoven waren natürlich die ganze Zeit über den strengen Blicken der Apatschen ausgesetzt, die sofort die Kolben ihrer Gewehre einsetzten, sobald einer der Schurken eine Bewegung tat, die seine Bewacher nicht guthießen. Unter diesen Umständen brauchten die drei an eine Flucht gar nicht zu denken, zumal ihnen die Füße unter dem Bauch ihrer alternden Pferde zusammengebunden worden waren, während man die Zügel der Gäule mittels langer Lederriemen miteinander verknüpft hatte und gleichzeitig diese noch einmal mit weiteren Riemen an den Handgelenken der sie bewachenden Mescaleros befestigt waren. Zu guter Letzt wurden die Verbrecher von mindesten sechs Indianern zu Pferd umrundet, so dass es ihnen noch nicht einmal möglich war, miteinander zu sprechen, geschweige denn nebeneinander her zu reiten, wodurch jeder Versuch zum Schmieden eines möglichen Fluchtplanes von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Dreiviertel des Tages ritten wir durch die wilde Schönheit der ursprünglichen Bergwelt, bis die schroffen Gipfel allmählich in sanftere Hügel übergingen und diese dann gegen Abend in die endlose Weite der Prärie ausliefen. Ab jetzt änderte sich auch unsere Zugformation. Wir ritten nicht mehr zu zweit oder höchstens zu dritt nebeneinander, was in der engen Bergwelt ja gar nicht anders möglich gewesen war, sondern bildeten größere Trupps, so dass man mit mehreren Gefährten gleichzeitig lockere Gespräche führen konnte. Das war natürlich nur möglich, weil unsere Prozession von allen vier Seiten durch genügend Späher abgesichert wurde, so dass wir sicher sein konnten, dass uns keine überraschende Gefahr drohen würde. Als der Boden ebener wurde, verfielen wir in eine schnellere Gangart, und nachdem die ersten sich im Wind wiegenden Gräser der Prärie die Hufe unserer Pferde umspielten, stieß Winnetou einen wilden Kriegsschrei aus und jagte mit einem Mal im halsbrecherischen Tempo davon. Auch Iltschi ließ vor lauter Begeisterung, endlich einmal wieder seine Schnelligkeit unter Beweis stellen zu können, ein lautes Wiehern hören und machte dann seinem Namen alle Ehre: Schon nach wenigen Sekunden konnte man Ross und Reiter nur noch als dunkle Silhouette wie ein Sturmwind am Horizont dahin brausen sehen. Ich brauchte Hatatitla gar nicht erst anzutreiben, denn der Hengst hatte nur darauf gewartet, es seinem Bruder gleichtun zu dürfen und wie der Blitz auf die Ebene hinauszujagen. Ich ließ ihm natürlich seinen Willen und hielt mich währenddessen diagonal zu Winnetou etwas südöstlich, so dass ich langsam aber sicher zu ihm aufschließen konnte – und dann ließen wir unsere herrlichen Rappen weit ausgreifen, während ich mich an dem glückseligen Gesicht meines Freundes weidete und gar nicht richtig satt sehen konnte. Erst als es allmählich zu dunkeln begann, kehrten wir wieder zu den Unsrigen zurück, die sich auch keinerlei Sorgen gemacht hatten, da sie wussten, dass wir uns immer nur innerhalb des Kreises aufgehalten hatten, den unsere Späher um den großen Reitertross geschlossen hatten. Der größte Kundschaftertrupp, der immer voraus geritten war, hatte schon einen für so viele Menschen und Tiere geeigneten Lagerplatz ausgemacht, der von einem Teil der Späher gerade hergerichtet wurde, als wir anderen eintrafen. Schnell beteiligten sich alle, die nicht die Bewachung des Lagers oder der Gefangenen zur Aufgabe hatten, an den anfallenden Arbeiten, sei es das Jagen, das Zubereiten der Mahlzeiten oder auch nur das Suchen von Feuerholz. Einzig Winnetou wurde jegliche Arbeit von vornherein verboten, nicht nur von Hendrick, sondern in aller Entschiedenheit auch von seinen Jugendfreunden und stellvertretenden Häuptlingen – und aus Solidarität wurde mir auch direkt die gleiche Weisung erteilt. Um den anderen nicht bei der Arbeit zusehen zu müssen, wobei wir uns unweigerlich ziemlich nutzlos vorgekommen wären, und um ihnen nicht im Weg zu sein, begaben sich mein Blutsbruder und ich an den klaren, hellen Bach, der sich ungefähr fünfzig Schritte entfernt vom Lager durch das wogende Gras schlängelte. Wir freuten uns darauf, ein ausgiebiges Bad nehmen zu können, um uns von dem Staub der Reise zu befreien und das kühle Nass nach der Hitze des Tages zu genießen. Dabei musste ich zusehen, dass ich meinem Freund nicht zu nahe kam, denn allein seine im samtigen Bronzeton schimmernde Haut, die im Licht der Abendsonne erglänzte und von den einzelnen Wassertropfen wie mit strahlenden Diamanten bespickt schien, war eine einzige Versuchung und forderte meine ganze Selbstbeherrschung heraus, nicht einfach über ihn herzufallen. Ich getraute mich allerdings auch nicht so recht, mich einfach ans Ufer zu legen und die Augen zu schließen, denn ich kannte ja mittlerweile Winnetous Vorliebe, mich unverhofft mit kaltem Wasser zu übergießen und wollte ihn dazu nicht auch noch einladen. Doch noch während ich im kniehohen Wasser stand und überlegte, wohin ich mich wenden sollte, hatte mein geliebter Freund sich schon etwas Neues einfallen lassen. Unbemerkt von mir war er hinter mir weggetaucht, näherte sich jetzt unter Wasser von der Seite her, wo ich ihn ebenfalls nicht im Blick haben konnte – und schon hatte er mich bei den Knöcheln gepackt und mir mit einem Ruck buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen, so dass ich vornüber der Länge nach ins Wasser klatschte. Kaum war ich hustend und spuckend wieder hochgekommen, sah ich mich suchend nach der Ursache der Attacke um – und gewahrte meinen Blutsbruder, der schon wieder am Ufer saß und sich buchstäblich ausschüttete vor Lachen. Ihn so herrlich unbeschwert, ja, beinahe ausgelassen zu erleben, war ein einziger Genuss und mit Sicherheit auch seiner heute neu eroberten Freiheit geschuldet. Dieses wahrhaft seltene Bild von ihm war wiederum so köstlich, dass ich minutenlang wie festgewurzelt stehenblieb, um ihn lächelnd und gleichzeitig völlig fasziniert zu beobachten. Leider beruhigte sich mein Freund wieder viel zu schnell, als dass ich mich an diesem Anblick hätte wirklich sattsehen können. So gerne hätte ich jetzt mein vor Liebe zu ihm überquellendes Herz eng an seiner Seite sprechen lassen, aber hier, mit fast neunzig Menschen in der Nähe, konnte davon natürlich überhaupt keine Rede sein. Also riss ich mich so weit wie nur irgend möglich zusammen und beendete mein gemeinsames Bad mit dem Apatschen mit der gebotenen Sitte und Anstand. Nach einem beinahe fürstlichen Abendmahl, an dem sich neben einigen Mescaleros auch Dick Hammerdull, der Bärenjäger Baumann sowie der Lange Davy ausgetobt hatten – von denen sich gerade Dick in den letzten Jahren trotz der spärlichen Möglichkeiten im Wilden Westen zu einem wahren Meisterkoch entwickelt hatte – legten wir uns schnell zur Ruhe. Winnetou war natürlich wieder von vornherein von der Wache ausgenommen worden, und sämtliche Gefährten hatte einstimmig darüber entschieden, dass ich ihm lieber Gesellschaft leisten sollte, bevor ich mir noch zusätzlich zu den vielen hervorragenden Westmännern und Apatschen mehr oder weniger unnötig die Nacht um die Ohren schlug. Diese Regelung sollte zumindest bis zum Rande des Llano gelten, da dort ganz in der Nähe das Gebiet der Comanchen begann und man dann auf keinen fähigen Mann mehr verzichten würde wollen. In den nächsten Tagen geschah nichts Außergewöhnliches, so dass fast alle Mitglieder unserer Reisegesellschaft die Freiheit und die scheinbar unendliche Weite der Prärie nach der Enge des Tales sehr genossen. Wenn ich sage, fast alle, so schließe ich allerdings hier die drei Gefangenen definitiv aus. War es am Anfang noch so gewesen, dass Thomson diesen Ritt ebenfalls beinahe schon zu genießen schien, wurde er jetzt von Tag zu Tag immer missmutiger und übellauniger, was sich auch dahingehend äußerte, dass er unter anderem bei jedem Fehltritt seines Pferdes wie ein Rohrspatz zu schimpfen begann, woraufhin er meistens in eine endlos scheinende Litanei aus den schrecklichsten Flüchen verfiel. Dabei wurde er immer lauter und seine Ausdrücke immer widerwärtiger, bis ihm einer der ihn bewachenden Apatschen mit seinem Gewehrkolben einen tüchtigen Schlag versetzte, der den Ganoven sofort verstummen ließ. Diese Wutausbrüche wurden trotzdem immer häufiger und fanden bei jedem noch so geringen Anlass statt. Mal war es ihm zu heiß oder zu windig, dann schnitten ihm die Fesseln ständig in die Handgelenke, ein anderes Mal wiederum wetterte er über das schlechte Essen – und das, obwohl seine Mahlzeiten seit Beginn seiner Gefangenschaft immer die gleichen geblieben waren: Pemmikan in allen möglichen Variationen. Aber niemals kam er in den Genuss des leckeren Wildbrets, mit welchem wir anderen Abend für Abend verwöhnt wurden, so dass er während unseres Nachtmahls regelmäßig vor Wut zu kochen begann und zumindest uns Weiße damit einen Lachanfall nach dem anderen bescherte. Trotzdem beobachteten Winnetou und ich ihn nach einiger Zeit noch etwas genauer, denn diese Wutausbrüche erschienen uns doch sehr suspekt, vor allem aber einfach nur grundlos und völlig aus der Luft gegriffen. Und daher fiel uns auch recht schnell auf, dass der Schurke sich sehr oft nach allen Seiten hin umsah. Vor allem dann, wenn wir größere Buschgruppen oder die hier sehr spärlich vorkommenden Waldgebiete passierten – was allerdings immer in größerer Entfernung geschah, damit wir nicht aus dem Hinterhalt angegriffen werden konnten – bohrten sich Thomsons Blicke regelrecht in das Dickicht. Hoffte er etwa auf Hilfe von irgendwelchen Gefährten, die uns unbekannt waren? Seine am Überfall beteiligten Kumpane waren doch bis auf seine beiden Leidensgenossen alle im Kampf gefallen, und die anderen Schurken, mit denen er ganz zu Anfang der Reise der Goldsucher dieselben gefangen genommen hatte, sollten jetzt eigentlich in einem dunklen Verlies in Fort Summer schmoren. Doch auf wen konnte er denn sonst warten? Wir teilten unsere Vermutung sofort den anderen mit, natürlich ohne dass es der Bastard mitbekam, und das veranlasste Westmänner wie Apatschen auch sogleich zu erhöhter Vorsicht, so dass die Spähtrupps gerade in der Nähe von undurchsichtigem Gelände verdoppelt wurden. Doch mit jedem Tag, an dem nichts geschah, wurde die Laune des Verbrechers miserabler und seine Schimpftiraden häufiger und lauter, was seine Bewacher immer öfter ihre Gewehrkolben zum Einsatz bringen ließ, da ihnen seine Flüche einfach zuwider waren. Wenn das so weiterging, würde ich glatt aufpassen müssen, dass wir den Dreckskerl noch in einem Stück zum Pueblo bekamen, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen! Bis auf diese kleinen Zwischenfälle ging es auf unserer Reise sehr ruhig und harmonisch zu. Vor allem Winnetou schien der ausgedehnte Ritt durch die herrliche Natur äußerst gut zu tun – man konnte förmlich zusehen, wie er sich mehr und mehr erholte. Trotzdem behielt sein Äußeres weiterhin diesen durchscheinenden und zerbrechlich wirkenden Ausdruck, seine Gestalt blieb schmal, was der Doktor immer als äußeres Zeichen für die weiterhin vorhandene Herzmuskelentzündung wertete und nicht müde wurde, uns diesen Umstand vor Augen zu halten, damit wir auf keinen Fall übermütig wurden. Ansonsten boten sich viele Gelegenheiten für lange Gespräche mit den anderen Westmännern, zu denen wir in früheren Zeiten nur selten so viel Zeit übrig gehabt hatten. Gerade der Hobble Frank machte seinem Ruf als wirrer Erzähler alle Ehre, vor allem dann, wenn er in seine Muttersprache überging und aus vollem Herzen sächselte. Einige unserer Gefährten stammten ja ebenfalls aus Deutschland, und diese Männer wirkten an manchen Abenden so, als würden sie unter einem heftigen Bauchmuskelkater leiden, so sehr brachte der Frank sie zum Lachen, allerdings eher gegen seinen Willen – für ihn waren diese Gespräche nun einmal hochwissenschaftlicher Natur, und er war überzeugt, dass er der Einzige weit und breit war, der sich auf diesem hohen Niveau überhaupt unterhalten konnte. Und dabei brachte er in seinen Reden alles nur Menschenmögliche durcheinander und verwechselte ständig historische Orte, Personen und Zitate auf eine Weise, aus der dann ein unmögliches Kauderwelsch hervorging, was auch mir ein übers andere Mal die Lachtränen in die Augen trieb. Winnetou verstand nur wenig deutsch, und das Sächsische war ihm natürlich völlig unbekannt, so dass er kein Wort von den Verrücktheiten verstand, die der Frank so von sich gab – aber allein die Tatsache, dass ich mich manchmal wirklich ausschüttete vor Lachen, zauberten ihm ein übers andere Mal ein Lächeln ins Gesicht, und ich konnte des Öfteren bemerken, dass er mich in solchen Momenten beinahe versonnen beobachtete. Am sechsten Abend unserer Reise fasste ich endlich einmal die Gelegenheit beim Schopfe und setzte mich zu den Butterfields, die zu diesem Zeitpunkt, wie beinahe an jedem Tag, etwas abseits vom Feuer zusammen hockten und offenbar eifrig dabei waren, wunderbare Pläne für die Zukunft ihrer Familie zu schmieden. Sie wirkten dabei locker und gelöst, und man spürte deutlich die Freude, die sie beherrschte, wenn sie an das große Glück dachten, was in Form ihres neuen Reichtums den Ihrigen zuteil werden würde. Als sie meiner gewahr wurde und bemerkten, dass ich direkt auf sie zuhielt, war es mit der zuvor guten Stimmung aber schlagartig vorbei. Richtiggehend ängstlich beobachteten sie jede meiner Bewegungen, und als ihnen schließlich bewusst wurde, dass ich mich tatsächlich in ihre Mitte setzen wollte, hatte ich beinahe den Eindruck, dass sie unwillkürlich sogar ein wenig von mir zurückwichen. Aus weit geöffneten Augen starrten sie mich an, und jedes Gesicht wies jetzt ein aufkommendes diffuses Schuldgefühl aus – offenbar waren sie der Meinung, dass sie schon wieder irgendeine Dummheit begangen hatten, welche ich nun zu rügen gedachte. Natürlich war nichts dergleichen geschehen, und ich hatte bei dem Anblick, der an einen Haufen verängstigter Hühner erinnerte, wirklich Mühe, mein Schmunzeln nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Doch genau deswegen wollte ich mich mit den Jünglingen unterhalten – sie hatten sich in den letzten Wochen ja schließlich geradezu vorbildlich benommen, und darüber wollte ich ihnen einfach einmal meine beziehungsweise unser aller Anerkennung aussprechen; außerdem sollten sie wissen, dass ihnen niemand mehr wegen ihrer vorherigen unbedachten Taten böse war und wir alle wünschten, dass sie sich wieder in unsere große Gemeinschaft einfügen würden. Als ich der Familie das alles erklärte, wuchs ihr Erstaunen noch einmal beträchtlich. Immer wieder huschten ihre Blicke hinüber zu Winnetou, der wenige Meter entfernt zusammen mit Til Lata und Entschah-koh sowie einigen anderen Apatschen an einem Feuer saß. Befürchteten sie, dass mein Blutsbruder anderer Meinung als ich sein würde, zumal er ja unter ihren Dummheiten am meisten zu leiden gehabt hatte? Sofort begann ich sie in dieser Hinsicht zu beruhigen, doch so ganz nahmen mir die Butterfields das alles wohl noch nicht ab, denn der Älteste von ihnen, Elias Peterson, wandte sich jetzt stellvertretend für alle an mich, wobei er ein leises Zittern in seiner Stimme nicht verhindern konnte: „Aber... aber, Mr. Shatterhand... Euer bester Freund wäre wegen... wäre wegen uns beinahe getötet worden – und auch Ihr habt aufgrund unseres... na ja, unseres Unvermögens halt... doch sehr zu leiden gehabt – wie solltet Ihr uns das jemals verzeihen können? Noch dazu, wo Ihr ständig Euer Leben für uns eingesetzt habt, und das nur, damit wir einen Reichtum für uns gewinnen können, von dem Ihr selbst überhaupt nichts habt?“ Allein schon aufgrund dieser kleinen Rede mit der darin enthaltenen spürbaren Reue hätte ich der Familie alles verziehen, selbst wenn ich vorher noch nicht dazu bereit gewesen wäre. Die jungen Männer waren sich ihres häufig unbedachtes Verhalten selbst mehr als bewusst, und es tat ihnen wirklich unsäglich leid, dass gerade Winnetou und ich deswegen einiges hatten durchmachen müssen. Die reumütigen Greenhorns taten mir jetzt in ihrer sichtlichen Verlegenheit richtig leid, weshalb ich sie mit einer nochmaligen Versicherung, dass alles vergeben und vergessen wäre, daraus erlösen wollte, wobei ich mit Folgendem schloss: „Winnetou und ich wissen sehr genau, dass Ihr uns niemals absichtlich verletzen wolltet! Dazu kommt, dass Ihr mir mit dieser Heilpflanze, die Ihr vor der Festung gefunden hattet, wirklich die Gesundheit, wenn nicht sogar das Leben erhalten habt – und Ihr könnt mir glauben: Wenn es etwas gibt, was den Häuptling der Apatschen immer alle noch so schlimmen Taten vergeben lässt, dann ist es der Umstand, dass der Betreffende mir das Leben gerettet hat! So etwas wiegt bei ihm alles andere auf – und bei mir natürlich ebenso! Und zu guter Letzt: Seit Wochen habt Ihr Euch nichts mehr zuschulden kommen lassen, seit Wochen bemüht Ihr Euch sichtlich, uns alles Recht zu machen... wir möchten einfach nicht mehr dabei zusehen, wie Ihr Euch trotzdem aufgrund Eurer Schuldgefühle weiterhin von uns entfernt haltet – also tut uns den Gefallen und gesellt Euch endlich wieder zu uns, in Ordnung?“ Die Reaktion der Butterfields war einfach herrlich! So froh, erleichtert und glücklich habe ich selten einen Menschen erlebt, und dann gleich zehn Männer auf einmal! Dass sie mir nicht sofort alle nacheinander um den Hals fielen, war wohl nur dem großen Respekt geschuldet, den sie mir entgegenbrachten. In bester Laune folgten sie mir dann auch an die beiden Feuer, an denen sich fast alle Westmänner versammelt hatten. Auch dort wurden sie sehr herzlich aufgenommen, und innerhalb kürzester Zeit waren überall lautes Gelächter und angeregte Gespräche zu vernehmen. Am schönsten aber war für mich der Moment, als Elias Peterson zusammen mit Morton Butterfield – der junge Mann, der sein Leben im Besonderen Winnetou verdankte, da dieser vor vielen Wochen einen angreifenden Bären mit dem Messer erlegt hatte, bevor Morton ein Opfer desselben werden konnte – nochmals aufstanden und sich vorsichtig und in ehrfürchtiger Weise dem Apatschenhäuptling näherten, der immer noch mit seinen Mescaleros an einem der anderen Feuer saß. Ich konnte natürlich nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber aus den Mienen der jungen Männer konnte man lesen wie in einem Buch. Offenbar wollten sie sich bei meinem Blutsbruder nochmals persönlich entschuldigen, stellvertretend für alle Butterfields. Winnetou saß mit dem Rücken zu mir, so dass ich seine Reaktionen nicht genau erkennen konnte, aber ich sah, dass er nach wenigen Sekunden die beiden mit einer Handbewegung aufforderte, sich zu ihm zu setzen. Sie taten das mit einer solchen Ehrerbietung in ihrer ganzen Haltung, dass es mich wiederholt zum Schmunzeln brachte. Lange dauerte das Gespräch nicht, was bei meinem wortkargen Winnetou ja auch kein Wunder war, doch am Ende war deutlich zu erkennen, dass die beiden Greenhorns den Häuptling am liebsten in die Arme geschlossen hätten; allerdings verbot ihnen das allein schon seine würdevolle Aura, und ihre Ehrfurcht vor ihm war einfach zu groß, als dass sie so etwas jemals ohne seine Erlaubnis gewagt hätten. Die beiden Jünglinge kamen wenig später beinahe schwebenden Schrittes zurück an unser Feuer und ließen sich dann vor übergroßer Erleichterung so schwer auf den Boden plumpsen, dass sich Elias einen Augenblick später mit recht schmerzverzerrtem Gesicht den Allerwertesten hielt. Das Gelächter, welches daraufhin erscholl, musste meilenweit zu hören gewesen sein! Apropos meilenweit: Natürlich stand weiterhin die Sicherheit unserer Gesellschaft an erster Stelle. Pro Nacht sicherten mindestens acht Wachen gleichzeitig das Lager ab, je nachdem wie das Gelände beschaffen war, und diese Männer wechselten sich alle zwei Stunden ab, wovon Winnetou und ich aber weiterhin ausgeschlossen waren. Elias Peterson lag wohl in Sachen Sicherheit schon länger eine Frage auf der Zunge, und aufgrund des neu gewonnen Zusammengehörigkeitsgefühl getraute der junge Mann sich jetzt auch, sich damit an mich zu wenden. „Mr. Shatterhand – darf ich Euch mal etwas fragen?“, begann er in immer noch sehr vorsichtiger Weise. „Nur zu, junger Freund – was gibt es denn?“ antwortete ich. „Sagt einmal, Sir – warum habt Ihr diese drei Schwerverbrecher eigentlich nicht schon in der Festung verurteilt und hingerichtet? Das bedeutet für Euch doch viel mehr Mühe, wenn man den ganzen langen Weg über auf diese Kerle aufpassen muss?“ „Da habt Ihr natürlich Recht, Mr. Peterson, aber wir haben dafür auch ganz besondere Gründe!“, entgegnete ich, und dann begann ich ihm die Sache noch einmal in aller Ausführlichkeit zu erklären. Ich ließ dabei auch nicht aus, dass ich unter normalen Umständen wahrscheinlich niemals einer Hinrichtung zustimmen würde, aber dieser Teufel hatte meinem Winnetou so viel Leid zugefügt, dass ich ihn einfach nur noch tot sehen wollte, allein schon für Winnetous zukünftige Sicherheit. Und ich hatte ja nicht nur das alleinige Recht, über ihn zu richten – da waren schließlich auch noch ganz viele andere, vornehmlich die Apatschen, die meinen Freund unter allen Umständen rächen wollten, und an allererster Stelle stand natürlich Winnetou selbst. Dieser machte allerdings schon seit unserer Befreiung aus Motawatehs Zelt den Eindruck, als würde ihn Thomson gar nichts mehr angehen. Er würdigte ihn keines Blickes, redete nicht über ihn, schon gar nicht mit ihm, zeigte keinerlei Interesse an dessen künftiges Schicksal und bewies damit genauso wie mit seiner ganzen Haltung deutlich, dass der Dreckskerl einfach weit, weit unter seiner Würde stand. Aufgrund dieses Themas vertiefte ich mich an jenem Abend in ein längeres Gespräch mit dem jungen Mann, in dem es um Menschlichkeit und einer der Situation angebrachten Gnade ging – dass ich jedoch gerade die Erwähnung dieser humanitären Dinge später noch einmal bereuen würde, hätte ich an dieser Stelle niemals geglaubt! In jener Nacht wie auch in den folgenden Tagen blieb alles ruhig und friedlich, so dass wir recht ausgeruht und in guter Stimmung am neunten Tag unserer Reise in Portales eintrafen. Die Apatschen allerdings beschlossen verständlicherweise, außerhalb der kleinen Stadt in einem Waldstück zu lagern, da sie alle wenig Lust verspürten, sich der Hektik und dem Schmutz der Ansiedlung auszusetzen, und daher beließen wir die drei Gefangenen auch in ihrer Obhut; dort waren sie wohl am sichersten aufgehoben. Nur Winnetou wollte uns Westmänner und die Soldaten in die Stadt begleiten, da er ja schon seit geraumer Zeit vorhatte, einige Besorgungen zu tätigen – und jetzt, da die beiden Beutel mit seinen Nuggets auf eine so überraschende Weise wiedergefunden worden waren, konnte er das ja auch ohne Bedenken tun. Natürlich wurden wir auch von dem Doktor begleitet, der damals in Farmington kaum Gelegenheit bekommen hatte, seine Vorräte in ausreichendem Maße aufzufüllen – aber vor allem ging es ihm darum, meinen Freund keinen Moment lang aus den Augen zu lassen, um im Notfall schnell zur Stelle sein zu können, denn trotz Winnetous bislang sichtlich guter Erholung konnte und wollte der Arzt die Gefahr eines plötzlichen Rückfalls nie ganz ausschließend. Die Krankheit schlief nur im Augenblick, war aber weiterhin ständiger Begleiter des Apatschen. Kaum waren wir in Portales angekommen und hatten auf der größten – allerdings auch einzigen Straße des Ortes – vor einem Store Halt gemacht, schallte eine laute, sich vor Begeisterung beinahe überschlagende Stimme durch die halbe Stadt: „Oh – Oh – Massa Shatterhand und Massa Winnetou sein da! Oh Goodness! Was für Freude sein nun in Massa Bob's Herzen! Bitte eben warten, Massa Bob sein gleich bei Euch!“ Es war natürlich niemand anderer als der Neger Bob, der zwar ein freier Neger war, aber trotzdem sein Leben ganz in den Dienst von Bloody Fox gestellt hatte, den er sehr verehrte und dem er mit größter Freude zur Hand ging. Der riesige Schwarze hatte vor dem Saloon in etwa hundert Metern Entfernung gestanden und bewegte sich jetzt schnell auf uns zu, indem er seine Hände und Arme wie große Schaufeln ausfuhr und damit alles beiseite fegte, was sich ihm in den Weg stellte, egal ob Mensch oder Tier. Die Unmutsäußerungen der dabei nicht gerade sanft getroffenen Leute bekam er in seiner Begeisterung, uns zu sehen, gar nicht mit. Als er bei uns angelangt war, riss er mich ohne Umschweife an seine mächtige Brust, allerdings mit einem Schwung, dass ich kurz zu hören glaubte, wie einzelne Knochen meines Brustkorbes zu knacken begannen. „Oh, Massa Shatterhand! Wie freuen sich Massa Bob, den gut, lieb Massa wieder sehen dürfen!“ Bei diesen Worten verstärkte sich der Druck seiner Arme noch ein wenig, so dass mir jetzt wirklich angst und bange um meine Rippen wurde, und daher begann ich mich langsam und in vorsichtiger Weise aus seinen Pranken zu schälen. „Lass es gut sein, lieber Bob! Wir freuen uns doch auch sehr, dich wiederzusehen...“ Doch Bob hörte gar nicht mehr zu, denn er hatte sich schon Winnetou zugewandt und war gerade im Begriff, diesen der gleichen Behandlung wie soeben bei mir zu unterziehen, doch in dem Moment stockte er abrupt in seiner Bewegung – Winnetous machtvolle Aura und seine würdevolle Haltung hielten den Schwarzen wohl im letzten Augenblick von seinem Vorhaben ab. Stattdessen vollführte er nun vor meinem Freund eine formvollendete Verbeugung und strahlte dabei wie ein Honigkuchenpferd, so dass seine prachtvollen Beißer im Sonnenlicht nur so blitzten. Anschließend ergriff er beide Hände des Apatschen und begann sie wie wild zu schütteln. Und mein Winnetou ließ sich diesen Freudenausbruch mit einem feinen Lächeln in seinem schönen Gesicht auch gerne gefallen, denn das vergnügte Funkeln in seinen Augen verriet mir deutlich, dass auch er sich sehr über die Begegnung mit dem gutmütigen Bob freute. Allein die freundliche Miene des Apatschen ermutigte den Schwarzen nun dazu, eine ganze Armader an drolligen Liebesschwüren in einem wahren Begeisterungssturm über meinen Freund auszuschütten, die Winnetou aber nach nur wenigen Sekunden mit erhobener Hand abwehrte. „Mein schwarzer Bruder mag sicher sein, dass auch der Häuptling der Apatschen große Freude über unser Zusammentreffen verspürt! Aber nun ist es genug, da wir nicht viel Zeit haben!“, fiel er Bob ins Wort. „Der Häuptling hat Recht“, schaltete ich mich nun auch wieder ein. „Sag, Bob, hast du Bloody Fox in den letzten Wochen getroffen?“ „Oh – oh ja, Massa Shatterhand! Massa Bob hat nix Mühe gescheut, um mit Massa Bloody Fox wieder treffen! Massa Bob ist hierhin gereist, Massa Bob ist dorthin gereist...“ „Das ist wunderbar, Bob – aber hast du Fox auch von den letzten Ereignissen berichtet, wie Sam Hawkens es dir aufgetragen hat?“, unterbrach ich den übereifrigen Schwarzen schnell, denn wenn dieser sich einmal in Rage geredet hatte, konnte ihn so schnell nichts mehr stoppen. „Oh natürlich! Massa Bob tun alles, was Massa Sam Hawkens ihm sagen! Massa Bob sein immer folgsam, Massa Bob sein....“ „Schon gut, schon gut, lieber Bob, das hast du gut gemacht – aber wie hat sich Fox entschieden? Wird er sich uns anschließen und uns unterstützen?“ „Oh – oh, Massa Shatterhand – das können Massa schnell ganz viel Massa Fox selbst fragen! Beide Massas können sitzen zusammen und alles erzählen und...“ „Bob... BOB! Höre kurz zu!“ Ich musste jetzt tatsächlich einmal etwas lauter werden, um mir bei dem Schwarzen wieder Gehör zu verschaffen. „Bob – ist Fox denn etwa schon hier?“ „Aber ja, Massa Shatterhand, aber ja! Massa Bob haben ihn finden in Tulsa! Massa Bob sein selbst reiten dorthin, ganz alleine! Massa Bob sein ein groß, tapferer Westmann, er können schießen, hauen, stechen...“ „Ja, Bob, du bist wirklich ein wahrer Held! Aber nun führe uns bitte schnell zu Fox, es muss ja nicht die ganze Stadt mitbekommen, wer wir sind und was wir vorhaben!“ Mittlerweile hatten sich nämlich schon einige Neugierige um uns versammelt – Bobs Stimme war aber auch wahrlich dazu geeignet, Tote aufzuwecken! Mein Ton war deshalb jetzt auch recht streng geworden, so dass Bob seinen Redeschwall sofort einstellte. Schon in früheren Zeiten hatte er ein gutes Gespür dafür entwickelt, bis zu welchem Punkt wir uns seine liebenswerten Marotten gefallen ließen und ab wann es dann für ihn aber besser war, zu schweigen und zu gehorchen. Deshalb grinste er jetzt auch nur breit und winkte uns, ihm zu folgen. Vor dem Saloon angekommen, banden wir die Zügel der Pferde an die dafür vorgesehene Holzstangen und betraten den etwas heruntergekommenen und muffigen Raum. Winnetou und ich waren übrigens die ersten unserer Gruppe, denn nur Emery hatte uns beide vorhin bis zum Store begleitet. Die anderen Westmänner, Soldaten und der Doktor hielten sich zur Zeit an anderen Orten in der Stadt auf, um ihre Besorgungen zu erledigen. Emery hatte sich jetzt auch prompt wieder umgedreht, um unsere Gefährten über unseren jetzigen Aufenthaltsort und das Zusammentreffen mit Bloody Fox in Kenntnis zu setzen. Als ich mich in dem dämmrigen Saloon umsah, musste ich schnell feststellen, dass der um diese frühe Tageszeit vor allem von ungefähr zwei Dutzend äußerst zwielichten Gestalten besucht war, die sich vornehmlich um den Tresen scharrten oder sich in der hintersten Ecke zusammengerottet hatten. Die Blicke, die sie bei unserem Eintreten vor allem Winnetou zuwarfen, sprachen Bände, und wir konnten davon ausgehen, dass diese Kerle schnell auf Ärger aus sein würden. Dann aber wurde ich Bloody Fox gewahr, der an einem Tisch am Fenster saß und ein schmutziges Glas mit einem undefinierbaren Gebräu vor sich stehen hatte, welches er missmutig begutachtete. Von der plötzlichen Stille aufmerksam geworden, die aufgrund unserer Anwesenheit mit einem Mal herrschte, sah er hoch, erkannte uns und war fast im selben Moment schon an unserer Seite. Die Begrüßung zwischen uns war nun eine äußerst freudige, während der auch Bob lautstark seine Begeisterung kundtat, was den Halunken hinten im Raum und an den Tresen aber offenbar sehr missfiel. „Hey, ihr da!“, schrie jetzt auch einer der schmierigen Kerle in meine Richtung. „Könnt Ihr Euch nicht wie anständige Menschen benehmen? Was fällt Euch eigentlich ein, einfach so mit einem Nigger und dann auch noch mit einer widerlichen, stinkenden Rothaut hier einzufallen? Solche Subjekte dulden wir hier nämlich nicht, und schon gar nicht in dieser Lautstärke – also schert Euch raus, aber sofort!“ Ich lasse mich nur äußerst ungern von solch ungehobelten Widerlingen beschimpfen, wäre aber dennoch wahrscheinlich darüber hinweggegangen, denn sie wären es gar nicht wert gewesen, mich ihretwegen schmutzig zu machen. Das hier aber war etwas anderes. Diese elenden Wichte hatten meinen Winnetou schamlos beleidigt – und das brachte augenblicklich mein Blut in Wallung. Als dann noch der am nächsten stehende Mann dem Apatschen ganz dicht vor die Füße spuckte, setzte kurzfristig mein Verstand aus. Ich spürte zwar noch Winnetous Fingerspitzen auf meinem Oberarm, der mich zurückhalten wollte, aber ich hatte in diesem Augenblick schon völlig die Kontrolle verloren und war nun auf dem direkten Weg zu dem Dreckskerl vor mir. Kapitel 41: Keine Ruhe vor dem Sturm ------------------------------------ Mit einem raschen Handgriff hatte ich den Mistkerl, der die Beleidigungen ausgestoßen hatte, am Kragen gepackt und ihm gleich darauf meine Faust ins Gesicht gerammt. Sofort griff der Rest der Bande zu den Waffen oder stürzte sich einfach auf uns, wohl in der Hoffnung, durch ihre deutliche Übermacht einen schnellen Sieg zu erringen. Es waren ungefähr zwanzig Männer, die da auf uns eindrangen, allerdings lagen die ersten wenige Sekunden später schon am Boden oder waren von mir und dem riesigen Schwarzen durch Tür und Fenster – die natürlich geschlossen gewesen waren – auf die Straße befördert worden. Fast zeitgleich hatten Winnetou, Bloody Fox und ich unsere Waffen gezogen und denjenigen Halunken, die gerade ihrerseits auf uns abdrücken wollten, die Revolver aus den Händen geschossen, woraufhin ein großes Wehklagen erscholl. Doch jetzt wurden die Kerle erst richtig wütend. Mit geballten Fäusten gingen sie wieder zum Angriff über, und gleich darauf entbrannte ein wilder Kampf in dem Saloon, bei dem natürlich auch so einiges an Mobiliar zu Bruch ging. Bob, der mit seinen riesigen Pranken gleich mehreren Männern die Zähne ausschlug, schien von Sekunde zu Sekunde mehr Spaß an der Sache zu entwickeln, denn er begann lauthals und voller Begeisterung durch den Raum zu brüllen: „Ah – Oh – Massa Bob hauen alles kurz und klein – Massa Bob sein groß und stark Westmann – alle haben viel Angst vor Massa Bob...“ Dieses Gebrüll ging so in einem fort, während wir vier uns der restlichen Schurken annahmen, die weiterhin voller Wut auf uns eindrangen. Der Raum war recht eng, so dass in dem Gewühl glücklicherweise niemand unserer Gegner soviel Platz bekam, eine weitere Waffe zu ziehen und auch noch in Ruhe auf uns zu zielen. Ich wehrte mich nach Kräften und bemühte mich dabei aber dennoch, die Kerle nur zu betäuben und nicht ernsthaft zu verletzen. Doch dann musste ich mit ansehen, wie sich gleich drei der Männer auf meinen Blutsbruder warfen und ihn dabei fast unter sich begruben. Sofort hieb ich mit deutlich mehr Wucht als vorher angedacht meinem derzeitigen Gegner die Faust an den Kopf, so dass dieser augenblicklich zusammenbrach, und war in der nächsten Sekunde mit einem einzigen Satz an der Seite meines Freundes. Gerade wollte ich seinem ersten Kontrahenten in den Nacken greifen, um ihn von dem Apatschen wegzuziehen, da flog der Kerl mir auch schon entgegen – Winnetou hatte ihn mit einem wahren Kraftakt von sich geschleudert, war jetzt aber in einen heftigen Kampf mit den beiden anderen verwickelt. Mich durchfuhr ein riesiger Schreck: er durfte sich doch auf keinen Fall überanstrengen! Sogleich bekam der Mann, der durch Winnetous Stoß gerade gegen mich getaumelt war, meine Faust auf eine Weise zu spüren, dass es nur so krachte, und war im nächsten Moment ausgeschaltet. Daraufhin zog ich den zweiten Kerl von Winnetou weg, stellte ihn mir zurecht und verpasste ihm eine solch schallende Ohrfeige, dass er sich wie ein Kreisel zweimal um sich selbst drehte, gegen den Angreifer prallte, der gerade auf Bloody Fox eindrang, und diesen dabei mit zu Boden riss. Um den dritten brauchte ich mich dann aber gar nicht mehr zu bemühen, den hatte in diesem Augenblick Winnetou schon mit der Flachseite seines Thomahawks ausgeschaltet. Voller Grimm wandte ich mich nun wieder den anderen Gegnern zu, als mit einem Mal die Flügeltüren des Saloons aufsprangen und der Großteil unserer Gefährten sowie ein paar der Soldaten in den Raum drängten. Innerhalb von Sekunden war dann auch der ganze Spuk vorbei. Die Kerle wurden gefesselt und schließlich auch geknebelt, nachdem sie es trotz ihrer deutlichen und vor allem schmerzhaften Niederlage immer noch nicht lassen konnten, gerade in Richtung des Apatschen sowie auch Bob einige widerliche Beleidigungen loszulassen. Die Westmänner übernahmen diese Aufgabe sehr gerne und ließen dabei ihre Wut über die Schmähungen sowie den Angriff auf uns auf eine nicht gerade zartfühlende Weise an den Halunken aus, die nach den Fesselungen vor Schmerzen nur so stöhnten. Ich kümmerte mich allerdings nicht darum, sondern war sofort an die Seite meines Freundes geeilt, der auch schon wieder aufgestanden war. „Geht es dir gut?“, war dann natürlich auch meine erste Frage, wobei meine aufkommende Panik in der Stimme nicht zu überhören war. Ängstlich tastete ich mit meinen Blicken seine Gestalt ab, konnte aber keine Wunden erkennen; zudem sah der Apatsche auch weiterhin frisch und munter aus – man konnte kaum einen Unterschied zu dem Zeitpunkt vor dem Kampf ausmachen. Trotzdem fragte ich hastig weiter: „Ist dir etwas geschehen? Bist du verletzt?“ „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, Winnetou geht es gut!“ antwortete er im gelassenen Ton, doch beruhigt war ich deswegen noch lange nicht. „Willst du dich nicht lieber kurz setzen? Ich denke, das wird im Augenblick das beste...“ Weiter kam ich nicht, denn nun erntete ich einen mahnenden, fast schon strengen Blick des Apatschen und erkannte im gleichen Moment, dass ich aufgrund meiner großen Sorge völlig überzogen und der Situation überhaupt nicht angemessen reagiert hatte. Sicher, meine Fragen hatte ich recht leise gestellt, aber auch sehr überhastet, und meine Tonlage hatte schon ausgereicht, um die ersten Gefährten auf uns aufmerksam werden zu lassen. Glücklicherweise wurden die Gefangenen gerade ganz hinten im Saloon angebunden, so dass sie die für Winnetou wirklich nicht würdige Situation mitbekommen hatten, trotzdem wusste ich doch genau, dass mein Freund so etwas gerade in Gegenwart von anderen Menschen auf den Tod nicht leiden konnte. Ich atmete einmal tief durch, um mich wieder zu sammeln, beugte mich dann zu ihm hinüber und flüsterte ihm zu: „Verzeih mir, mein Bruder! Das war nicht recht von mir – meine Sorge um dich hatte meine Gedanken verwirrt!“ Winnetou sagte zwar nichts darauf, wohl um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch unbeobachtet von den anderen ergriff er kurz meine Hand, drückte sie fest und warf mir einen liebevollen Blick zu. Natürlich war auch den anderen nicht ganz wohl in ihrer Haut, wenn sie an Winnetou dachten, der solchen Situationen nun mal noch gar nicht ausgesetzt werden durfte; und deshalb maß ihn der ein oder andere auch immer wieder mit einem sorgenvollen Blick. Old Firehand konnte schließlich auch nicht an sich halten und legte dem Apatschen für einen kurzen Moment eine Hand auf die Schulter. Auch ihm schenkte mein Freund einen beruhigenden Blick, doch dann konzentrierte sich alles auf die Ankunft des Sheriff, der aufgrund des Tumults rasch herbeigerufen worden war und in diesem Augenblick den Saloon betrat. Die Aufklärung der Sachlage übernahmen Fox und unsere Gefährten, so dass der Gesetzeshüter mich nur noch kurz fragte, ob ich wirklich nur auf eine Beleidigung reagiert und nicht vielleicht doch selbst den Kampf provoziert hatte. Dadurch und auch aufgrund der Anwesenheit der Soldaten, die letztendlich den Sheriff restlos von unseren guten Absichten überzeugte, wurde Winnetou vollends einer Befragung enthoben, was mir natürlich sehr lieb war. Übrigens war uns der Sheriff geradezu dankbar, denn wir hatten hier mal eben auf einen Schlag fast sämtliche stadtbekannte Galgenvögel außer Gefecht gesetzt, die zumindest in den nächsten Tagen den Bewohnern keinen Kummer mehr machen konnten. Schließlich wurden die Ganoven mit Unterstützung einiger Deputies auf dem schnellsten Weg hinaus und in das Gefängnis der kleinen Stadt verbracht, so dass wir anderen erst einmal durchatmen und zur Ruhe kommen konnten. Dabei wurde der Sieg über die Halunken mit einem kühlen Glas Bier gefeiert – zumindest hatten wir das vor, aber als wir einen Blick auf die schmutzigen Gläser und die undefinierbare Farbe des Getränks geworfen hatten, verging den meisten von uns das Verlangen danach. Fox, der von dem Gebräu ja schon vor unserer Ankunft gekostet hatte, rührte es erst gar nicht mehr an, und auch Winnetou lehnte von vornherein ab – er trank lieber nur etwas Wasser, und zwar aus seiner eigenen Feldflasche. Der Wirt hatte uns zunächst überhaupt nicht bedienen wollen, da er verständlicherweise äußerst verstimmt war über seine zum größten Teil demolierte Einrichtung. Aus den Augenwinkeln sah ich schon Winnetous Hand zu seinem Beutel mit den Nuggets gehen, doch Emery war schneller. Er versorgte den Wirt mit einer solch üppigen Entschädigung, dass dessen Stimmung in Windeseile umschlug und er uns nun hofierte, dass man seine Freude daran hätte haben können – aber leider machte das sein Bier auch nicht besser! Nun begann natürlich das große Erzählen. Bloody Fox brannte geradezu darauf, unsere Erlebnisse aus erster Hand nochmals in aller Ausführlichkeit zu hören, und im Gegenzug dazu wollten wir natürlich auch alles über seine letzten Abenteuer hören. Während des Gespräches bemerkte ich, wie Fox immer wieder einen verstohlenen Blick zu Winnetou riskierte. Ihm ging es wahrscheinlich genauso wie unseren anderen Gefährten, die ja auch anfangs ziemlich entsetzt über die zerbrechlich wirkende und durchscheinende Gestalt meines Freundes gewesen waren. Zwar war der ehemalige „Avenging Ghost“ von Bob schon vorgewarnt worden, aber den Anblick hatte er offenbar nicht erwartet. Gleichzeitig allerdings konnte er sein Erstaunen über das soeben erlebte kämpferische Auftreten des Apatschen nicht ganz verbergen, denn schließlich sah Winnetou im Augenblick beileibe noch nicht danach aus, als könne er auch nur einen einzigen Kampf gewinnen. Übrigens konnten wir hier ungehindert und frei sprechen, denn außer den Ganoven hatte sich noch kein anderer Bürger der Stadt in den Saloon verirrt, und jetzt, nach dem Kampf, sorgten die uns begleitenden Soldaten dafür, dass wir uns in Ruhe austauschen konnten. Ein Gast wurde aber dann doch noch von ihnen durchgelassen – denn jetzt erschien unser Doktor in dem Saloon, völlig außer Atem und mit einem beinahe ängstlichen Gesichtsausdruck. Einer der Soldaten hatte ihn in der Stadt erst suchen müssen und ihn dann schließlich nach längerer Zeit bei einem hier ansässigen Arzt ausfindig gemacht, wo Walter gerade dabei gewesen war, seine medizinischen Vorräte sorgfältig aufzufüllen, was allerdings viel Zeit in Anspruch genommen hatte. Und nun zeigte sich, dass Hendrick in dieser Situation viel mehr Feingefühl besaß als ich vorhin bewiesen hatte. Er warf einen sehr besorgten und kritischen Blick auf Winnetou, sah diesen aber entspannt und gelassen am Tisch sitzen und ihm freundlich zunicken. Daraufhin verzichtete der Doktor auf alle Nachfragen oder Anweisungen, sondern setzte sich gleichfalls an unseren Tisch, sichtlich bemüht, den Apatschen nur ab und an verstohlen zu beobachten, ohne dass es den anderen auffiel. Ich aber war immer noch sehr beunruhigt. Dieser Vorfall heute hatte mir wieder einmal deutlich bewiesen, dass es für Winnetou hier in diesem mehr oder weniger gesetzeslosen Landstrich einfach zu gefährlich war, solange dieser noch unter seiner Erkrankung litt, und er hatte somit meine Entscheidung für die Europareise nur noch einmal bestätigt. Deshalb bestand ich jetzt auch auf einen baldigen Aufbruch und eine schnelle Erledigung unserer Besorgungen, damit wir mit meinem Freund schnellstmöglich wieder zu seinen Mescaleros zurückkehren konnten. Unsere Gefährten dachten ähnlich wie ich, und darum wurde meinem Wunsch auch rasch Folge geleistet. Nach nur einer knappen Stunde hatten wir alles Wichtige erledigt und verließen die Stadt nun auf dem schnellsten Wege. Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass Bloody Fox sich uns mit großer Freude angeschlossen hatte. Daher hielt er sich auch während des Ritts dicht an Winnetous und meiner Seite, wo wir ausführlich die Aufgaben und Pläne für das kommende Jahr besprachen, während unsere ganze Gesellschaft gutgelaunt und fröhlich schwatzend auf das Wäldchen zuhielt, in dem die übrigen Apatschen mit unseren Gefangenen lagerten. Zwischendurch allerdings kam es dann doch noch zu einem kleineren Scharmützel mit Bob, der von Fox soeben über die Tatsache unterrichtet wurde, dass er jetzt gleich alleine zur Oase zurückkehren sollte, um das kleine Anwesen dort weiterhin zu bewirtschaften und auf seine Mutter achtzugeben. Damit war der Schwarze allerdings überhaupt nicht einverstanden. Mit einer herzergreifenden und theatralischen Rede sowie vielen großen Gesten versuchte er seinen „Massa Fox“ davon zu überzeugen, dass er ein „groß und stark Westmann“ sei, der dem ganzen Unternehmen eine wichtige Hilfe sein würde, wenn nicht sogar nur er alleine er in der Lage wäre, alle in dieser Zeit aufkommenden Schwierigkeiten zu beseitigen. Eine kleine Weile stritt er sich mit Bloody Fox herum, sehr zum Vergnügen der ganzen Gesellschaft, wobei er einfach nicht einsehen wollte, dass er diesem „wundervoll und groß Abenteuer“ nicht beiwohnen durfte – bis Winnetou dem unnötigen Palaver endlich ein Ende bereitete. Es war schließlich einfach unmöglich, dass der riesige Schwarze Einzug in das Pueblo der Apatschen halten sollte. Kaum einer der Mescaleros würde einen Neger vorbehaltlos in ihren Reihen akzeptieren, zumal Bob auch kaum eine Gelegenheit ausließ, um in irgendein Fettnäpfchen zu treten. Außerdem war er in der Lage, ganz allein den kompletten Stamm mit seinen verworrenen Aktionen durcheinanderzuwürfeln oder aufgrund seiner grenzenlosen Unvernunft sogar gewisse Gefahren für diesen heraufzubeschwören. All das hatte Fox fast schon verzweifelt als Gegenargument angeführt, natürlich auf eine freundliche Art verpackt, doch Bob blieb stur. Aber jetzt kam Winnetou ins Spiel, und mit seiner unvergleichlichen Art gelang es ihm binnen kürzester Zeit, Bob davon zu überzeugen, dass er auf dem Anwesen in der einzigartigen Oase des Llano Estacado dringend gebraucht wurde und es niemanden anderem als ihm gelingen könnte, während Fox' Abwesenheit diesen Ort vor unerwünschten Eindringlingen zu beschützen. Mein Freund brachte es sogar fertig, dass der Schwarze sich trotz der Zurückweisung keinesfalls unnütz vorkam, sondern im Gegenteil nach kurzer Zeit mit stolzgeschwellter Brust von dannen zog, vor allem da Winnetou seine kurze Rede mit den Worten geschlossen hatte: „Mein schwarzer Bruder ist ein starker und tapferer Mann, was er während des Kampfes vorhin auch allen bewiesen hat – und daher wird Bloody Fox auch nur ihm sein Heim und sein Hab und Gut anvertrauen können!“ Nachdem Bob sich verabschiedet hatte und zumindest uns Weiße mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurückließ, begab sich der Anführer des kleinen Soldatentrupps, der uns auf Befehl von Kommandant Collister begleitete, an unsere Seite, da er eine wichtige Mitteilung für uns hatte: „Mr. Shatterhand“, begann er eilfertig. „Vorhin in Portales habe ich einen Soldaten aus Fort Lowell getroffen, der mir von einer Bande herumstreunender Halunken berichtete, die sich in der Gegend zwischen den Zuni Mountains und dem San-Juan-River herumgetrieben habe. Da diese offenbar nur von dem lebten, was sie unschuldigen Reisenden während ihrer Raubzüge abgenommen hatten, waren die dort stationierten Soldaten ausgezogen, um diese Ganoven dingfest zu machen, was ihnen glücklicherweise auch recht schnell gelungen ist!“ „Zwischen Zuni-Mountains und dem San Juan?“ Jetzt wurde ich hellhörig. „Also schon in der Nähe des Ship Rocks, nicht wahr?“ „Richtig. Der Anführer der Bande war so dermaßen wütend über die Gefangennahme, dass er seine Kumpane mehrmals kräftig zusammenstauchte – er gab ihnen die ganze Schuld für die Situation, da sie alle angeblich völlig dilettantisch gehandelt hätten – und während dieser Strafreden ließ er in seiner Wut durchblicken, dass die ganze Bande sich dort aufgehalten habe, weil sie auf ihren Oberboss warteten, der sich offenbar mit einem großen erbeuteten Goldschatz in der Gegend aufhalten sollte. Ich könnte mir vorstellen, dass damit Thomson gemeint war, denkt Ihr nicht auch?“ „Ja, da bin ich mir fast sicher“, antwortete ich und wandte mich sofort an Winnetou. „Könnte es sein, dass Thomson auf eine Befreiung genau durch diese Bande gewartet hat? Immerhin hat er sich ja vor allem in den ersten Tagen unserer Reise, als wir noch in der Nähe der besagten Gegend gewesen waren, recht auffällig benommen, indem er beinahe jedes Gebüsch, an dem wir vorbeigekommen sind, mit seinen Blicken geradezu durchleuchtet hatte!“ „Mein Bruder mag sicher sein, dass es genau so war“, antwortete mein Freund. „Na – dann wird der Kerl aber sehr erfreut sein über die Tatsache, dass er weiterhin unser Gast bleiben darf, weil sich seine vermeintlichen Retter nun auf Staatskosten in der Zelle ausruhen! Sollen wir ihm, wenn wir den Lagerplatz erreicht haben, sogleich die gute Nachricht überbringen?“ Meine Schadenfreude war nicht zu überhören, als ich diese Frage stellte. Winnetou ließ deshalb auch ein mildes Lächeln sehen, weigerte sich aber weiterhin, unseren Gefangenen auch nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn mit ihm zu sprechen. Ich hingegen freute mich schon regelrecht darauf, dem Kerl nun auch noch seine letzten Hoffnungen zu nehmen und konnte es daher kaum erwarten, wieder zurück ins Lager zu kehren. Dort angekommen, wurden natürlich zuerst die Apatschen über den Vorfall im Saloon unterrichtet, und während das geschah, konnte unser Doktor meinen Freund endlich unauffällig beiseite nehmen. Derweil er ihn beim Handgelenk fasste und seinen Puls überprüfte, fragte er ihn leise nach seinem Befinden, woraufhin ihm Winnetou freundlich, aber bestimmt mitteilte, dass ihm wirklich nichts geschehen sei. Überhaupt hätte mein Blutsbruder solch eine Behandlung, und das auch noch in unmittelbarer Nähe zu seinen Apatschen, bei jeden anderen abgelehnt, aber aus den bekannten Gründen ließ er Walter einmal mehr nach Herzenslust gewähren, während ich stumm daneben stand und achtgab, dass uns jetzt auch ja niemand störte. Ich hielt mich aber vor allem deshalb zurück, weil ich Winnetou vorhin schon in eine für ihn unangenehme Situation gebracht hatte – und das durfte auf keinen Fall nochmals geschehen! Zudem war ich ja auch nicht ganz unschuldig daran, dass diese Prügelei überhaupt stattgefunden hatte, schließlich hätte ich auf die Schmähung eigentlich gar nicht zu reagieren brauchen – selbst Winnetou als der Beleidigte hatte es in keinster Weise für nötig befunden, darauf zu antworten, weil es einfach unter seiner Würde war. Natürlich war ich sehr erleichtert, als der Doktor uns schließlich mitteilte, dass mein Freund den kurzen, aber heftigen Kampf wahrscheinlich ohne gesundheitliche Schäden überstanden hatte – zumindest konnte Walter im Augenblick nichts Besorgniserregendes feststellen, wie er das gute Ergebnis sogleich wieder relativierte. Auch deshalb ließ er am Schluss seiner ärztlichen Begutachtung noch die mahnenden Worte folgen: „So etwas darf einfach nicht noch einmal vorkommen, Herrschaften! Ich weiß ja, dass ihr beide an der Auseinandersetzung keine Schuld tragt – aber es gilt immer noch der eiserne Grundsatz: Keine Überanstrengungen! Das hätte jetzt tatsächlich ernste Folgen haben können, und schlimmstenfalls könnte es sogar deinen Tod bedeuten, Winnetou! Ihr beide MÜSST in Zukunft wirklich jedem Kampf ausweichen, und wenn es euch noch so schwer fällt, weil es natürlich jedem Ehrgefühl widerspricht!“ Ich nickte bedrückt und sah meinen Blutsbruder an. Dieser ließ einen leisen Seufzer hören und meinte dann: „Winnetou kann nicht versprechen, dass er in Zukunft jeder gefährlichen Situation ausweichen kann – aber er wird sich sehr darum bemühen!“ Allein dieses Versprechen zu geben fiel ihm sichtlich schwer, aber es in die Tat umzusetzen, vor allem in Situationen, in denen es um unser Leben gehen könnte, würde ihm in Zukunft noch viel mehr abverlangen und wahrscheinlich auch einiges an Selbstbeherrschung kosten. Seine Mimik sprach in diesem Augenblick Bände, weshalb ich einfach nicht mehr an mich halten konnte und einen Arm um seine Schultern legte. Kaum merklich lehnte er sich leicht in meine Umarmung hinein, woraufhin ich ihm ganz leise ins Ohr flüsterte: „Wir stehen das zusammen durch! Ich bleibe an deiner Seite, egal was kommt – und wenn es einst darum gehen wird, dein oder unser Leben zu verteidigen, dann werde ich eben für dich mitkämpfen!“ Er ließ ein leises Lächeln sehen und antwortete, ebenfalls flüsternd: „Old Shatterhand und Winnetou sind eins. Wenn Old Shatterhand kämpft, wird es genauso sein, als würde Winnetou an seiner Stelle stehen!“ Ich nickte bekräftigend und drückte ihn noch einmal kurz an mich, bevor wir uns wieder dem Lagerleben zuwandten. Mein Vorhaben hatte ich darüber hinaus aber nicht vergessen, und so begab ich mich eine halbe Stunde später zu dem Platz, wo die Gefangenen sitzend an drei Bäumen angebunden waren. Thomson starrte mir schon hasserfüllt entgegen, woraufhin ich mit noch mehr Schadenfreude in der Stimme daranging, ihm von dem Schicksal seiner jämmerlich gescheiterten Kumpane zu berichten. Dass wir mit unserer Vermutung voll ins Schwarze getroffen hatten, zeigte sich jetzt deutlich, denn der Schurke brach auf meine Worte hin in solch wüste Beschimpfungen aus, dass man sich hätte die Ohren zuhalten mögen. Stattdessen verpasste ich ihm als Antwort darauf einige schallende Ohrfeigen, vor allem nachdem seine Wutrede in eine Litanei nicht enden wollender Beleidigungen uns gegenüber übergegangen war – und das ließ ihn erst einmal für eine lange Zeit verstummen. Sehr viel später am Abend vernahm ich mit einem Mal, dass der Schurke jämmerlich zu stöhnen begonnen hatte und ging deshalb nachsehen, was es damit wohl auf sich haben könnte. Thomson hielt sich bei meiner Ankunft seine Wange und stöhnte immer wieder auf eine beinahe herzzerreißende Weise. Überhaupt hatte er jetzt eine ganz andere Haltung angenommen: Aus dem selbstbewussten und aggressiven Widerling schien nun mit einem Mal ein Häufchen Elend geworden zu sein, der keiner Fliege mehr etwas zu leide tun konnte und selbst dringend der Hilfe bedurfte. Doch wir sahen auf dem ersten Blick, dass sich der Kerl nur verstellte, und das auch noch relativ schlecht – was ihm das bringen sollte, war mir allerdings ein Rätsel. Sicherheitshalber ließ ich aber trotzdem den Doktor einmal auf die sichtlich geschwollene Wange des Halunken schauen, wobei ich natürlich mit gezogenem Revolver direkt daneben stand, um ja kein Risiko einzugehen. Das fehlte gerade noch, dass Thomson die Möglichkeit bekam, unserem guten Walter etwas anzutun! Dieser bestätigte dann auch nach einer kurzen Untersuchung meine Vermutung, indem er die kleine Verletzung als völlig belanglos abtat, und somit überließen wir den sterbenden Schwan lachend sich selbst, um uns lieber wieder den Gefährten zu widmen. Der nächste Tag brachte uns dem Llano Estacado wieder ein ganzes Stück näher, was man auch der sonst so üppigen Vegetation allmählich ansehen konnte. Die farbenfrohe und blühende Prärie verwandelte sich nach und nach in eine mit nur spärlichem Graswuchs versehene Steppe, auch die Trockenheit nahm zu, so dass die durch die vielen Pferde aufgewirbelte Staubwolke hinter uns immer dichter wurde. Ansonsten geschah bis zum Abend hin nichts Besonderes, außer dass Thomson weiterhin den Schwerverletzten mimte, das aber mit solch einer nervtötenden Intensität, dass die ihn bewachenden Apatschen irgendwann von dem Gejammer einfach die Nase voll hatten und ihm kurzerhand einen Knebel verpassten. Dass der Kerl daraufhin dunkelrot anlief, war wohl nicht einer beginnenden Luftnot geschuldet, sondern eher der Tatsache, dass er wieder einmal vor Wut zu kochen begann. Dieser Anblick hatte wirklich etwas Urkomisches an sich, denn unser und vor allem Winnetous Erzfeind wurde dadurch einfach nur ins Lächerliche gezogen, was die ganze Gesellschaft mehr und mehr amüsierte, so dass wir uns letztendlich gutgelaunt und entspannt zum Nachtmahl an das gemeinsame Lagerfeuer setzten. Es würde wahrscheinlich das letzte Mal sein, dass wir ein so großes Feuer anbrennen konnten, denn am nächsten Abend würden wir schon den Rand der Wüste erreichen und damit der Grenze des Jagdgebietes der Comanchen sehr nahe kommen. Das hieß dann natürlich, erhöhte Vorsicht walten zu lassen, denn trotz unserer kampfstarken Truppe wollte niemand unbedingt einen Zusammenstoß mit dem den Apatschen feindlich gesonnenen Stamm riskieren. Die Reiseroute würde uns anschließend zwei Tage lang am Rande des Llano entlangführen, bis wir am Ende des dritten Tages in Carlsbad eintreffen sollten - wenn bis dahin nichts Unvorhergesehenes geschah – und dort würde die Familie Butterfield endlich, endlich am Ziel ihrer langen und gefährlichen Reise sein! Man merkte den jungen Leuten von Tag zu Tag, nein, inzwischen beinahe von Stunde zu Stunde mehr an, dass sie diesen Glückstag für ihre große Familie kaum mehr abwarten konnten. Was würden ihre Verwandten nur für Augen machen, wenn die jungen Männer, wahrscheinlich entgegen jeder realistischen Erwartung, tatsächlich mit einem solch immens großen Reichtum dort eintrafen? Unsere Greenhorns malten sich diese glücklichen Stunden in den schönsten Farben aus, und das nicht nur jetzt am Lagerfeuer, nein, das hatten sie schon während des ganzen Tages getan, wobei sie zunehmend unruhiger geworden waren. Natürlich freuten wir uns mit den Jünglingen, aber ihre rastlose Nervosität machte uns dann doch allmählich ziemlich zu schaffen, so dass wir alle wahrscheinlich insgeheim froh sein würden, wenn wir die Familie sicher in Carlsbad abgeliefert hatten – und damit auch das Restrisiko des Heraufbeschwören von gefährlichen Situationen für unsere Gesellschaft auf ein Minimum reduziert werden würde! Die jungen Männer hatten sich zwar seit vielen Wochen nichts mehr zuschulden kommen lassen, aber in der Festung war das nun auch nicht allzu schwer gewesen, und während unserer bisherigen Reise hatten sie noch nicht viele Gelegenheiten erhalten, irgendwelchen Unfug anzustellen. Das aber sollte sich in Kürze ändern. Wir hatten dem ehrenwerten Mr. Thomson zum Abend, vor allem auf meinem Wunsch hin, seinen Knebel abgenommen, woraufhin der Kerl zum Dank seine Rolle konsequent weiter spielte und in einem fort jammerte, mal leise, mal lauter, aber immer in einem wirklich nervenaufreibenden Singsang. Das hatte zur Folge, dass er irgendwann in die hinterste Ecke unseres Lagers verbannt wurde, natürlich weiterhin stramm gefesselt – allerdings mit nach vorne zusammengebundenen Händen, da ihm sonst unweigerlich körperlicher Schaden zugefügt worden wäre, wenn er die ganze Nacht mit auf dem Rücken gefesselten Händen zugebracht hätte – und dabei zusätzlich noch an einen der Bäume gebunden war. Wir konnten uns sicher sein, dass ihm alleine dadurch schon keinerlei Möglichkeiten für eine Flucht geboten wurden, und wollten daher auf eine direkte Bewachung verzichten, um denjenigen nicht die ganze Zeit über dem weinerlichen Gejammere auszuliefern – zumal ja noch um das Lager herum die übliche großzügige Anzahl an Wachposten für zusätzliche Sicherheit sorgten. Das jedoch gaben die Apatschen nicht zu. Sie wollten auf keinen Fall auch nur eine Spur weniger Aufmerksamkeit im Hinblick auf ihren Gefangenen walten lassen und losten darum unter sich die zuständigen Wachposten aus, die aber gnädigerweise schon nach jeweils einer Stunde wieder abgelöst werden sollten. Auch die Butterfields hatten sich weit in den hinteren Teil des Lagers zurückgezogen, da sie spürten, dass sie uns mit ihrer immer größer werdenden Unruhe nicht unbedingt einen Gefallen taten. Ich dachte mir nichts weiter dabei, vielleicht auch deshalb, weil die Jünglinge sich in der letzten Zeit wirklich ausnehmend gut benommen hatten. Auch das lange Gespräch über Humanität und Gnade vor Recht, das ich mit Elias Peterson vor Tagen geführt hatte, kam mir nicht mehr in den Sinn – sonst hätte ich die Greenhorns mit Sicherheit nicht in die Nähe des Erzschurken gelassen, der sich noch dazu weit außerhalb unseres Blickwinkels befand! Winnetou und ich saßen nebeneinander am Lagerfeuer, zusammen mit Til Lata, Entschah-koh sowie Firehand, Surehand und Sam Hawkens, und ein großer Teil der anderen Westmänner sowie einiger Apatschen saß uns gegenüber. Trotzdem konnte ich irgendwann nicht mehr an mich halten und begann, mich ganz langsam und vorsichtig näher an meinen Freund heranzuschieben. Er bemerkte es natürlich sofort und bemühte sich nun auch seinerseits, sich mir ebenfalls Stück für Stück näher zu kommen. Als sich kurz darauf auch noch Emery zwischen Surehand und Sam Hawkens quetschte, bekam ich dadurch die wunderbar günstige Gelegenheit, eng an Winnetous Seite aufzurücken. Fast hätte ich wohlig aufgeseufzt, als ich seine Wärme verspürte und den ihm so eigenen Duft seiner Haut einsog – am liebsten hätte ihn mir sofort gepackt und wäre mit ihm in die Dunkelheit verschwunden, aber das war ja leider völlig unmöglich. Aber wenn wir erst einmal in Deutschland wären... dort würde ich ihn die ganze Zeit über nur für mich haben... für mich ganz alleine... Dieser Gedanke erfüllte mich mit einem Mal mit solch großer Freude, dass ich selig zu lächeln begann, ohne mir darüber eigentlich so richtig bewusst zu werden. „Na – du scheinst dich ja heute besonders wohl zu fühlen, nicht wahr, Charlie?“ Ein kräftiger Schlag auf meine Schulter und der joviale Ton von Old Firehand rissen mich so plötzlich aus meinen Träumereien, dass ich heftig zusammenzuckte, was bei unseren Gefährten ein herzliches Gelächter auslöste. Winnetou senkte schnell den Kopf und sah zu Boden, aber ich kannte ihn einfach zu gut, um nicht zu spüren, dass er krampfhaft bemüht war, seine Heiterkeit nicht für jeden sichtbar werden zu lassen. Alle Blicke waren jetzt auf mich gerichtet, so dass ich mich beinahe schon gezwungen sah, eine Erklärung für mein befremdliches Verhalten abzugeben. Also entgegnete ich auf Firehands Vermutung, wenn auch nur ganz vage: „Nun ja – ich habe wohl auch allen Grund dazu, nicht wahr? Wir alle haben überlebt, und ich bin so dankbar für das größte Geschenk, welches mir gemacht worden ist – und damit meine ich natürlich das Leben Winnetous!“ Mein Blick blieb an der schlanken Gestalt neben mir haften, und ich konnte gar nicht anders als ihn dabei liebevoll anzulächeln. Mein Blutsbruder erwiderte dieses Lächeln auf seine feinsinnige Art, und sein Blick ruhte nun innig und voller Wärme auf mir. „Recht hast du, mein Junge!“, dröhnte Firehand mit lauter Stimme und haute mir zur Bestätigung noch einmal mit Wucht auf die Schulter, so dass ich unwillkürlich mit dem Oberkörper leicht einknickte, was die Männer ringsherum wieder in gröhlendes Gelächter ausbrechen ließ. Doch dann widmete sich der Hüne glücklicherweise wieder den Gefährten, so dass ich mich nach einigen Sekunden wieder ganz auf den herrlichen Menschen neben mir konzentrieren konnte. Aber leider war mir dieses Glück nicht lange hold. Ein plötzlicher Tumult aus der hintersten Ecke des Lagers, in der sich die Gefangenen befanden, ließ uns alle mit einem Male aus der friedlichen Stimmung hochschrecken. Nun drang auch noch lautes Rufen und Schreien zu uns hinüber, gefolgt von lautem Schmerzensgeheul, so dass wir uns sofort und auf das Schlimmste gefasst zu der Quelle der Geräusche aufmachten, jeder schon mit einer Waffe in der Hand. Als wir dort ankamen, blieben wir alle wie auf Kommando stehen, als ob wir gegen eine unsichtbare Wand gerannt wären, denn vor uns bot sich ein erschreckendes Bild: Alle zehn Mitglieder der Familie Butterfield befanden sich, warum auch immer, plötzlich bei den Gefangenen, und diese waren auch glücklicherweise weiterhin unsere Gefangenen, das heißt, sie waren allesamt noch gefesselt. Das allerdings hatte den Dreckskerl namens Thomson nicht daran hindern können, seine immer noch nach vorn gebundenen Hände samt seiner Unterarme um den Hals des vor ihm knienden Elias Peterson zu legen und mittlerweile damit so fest zuzudrücken, dass dem armen Kerl schon fast die Augen aus den Höhlen traten und sein Gesicht eine fürchterliche blaurote Färbung angenommen hatte. Nach der ersten Schrecksekunde zielten im nächsten Moment mindestens dreißig Gewehre und Revolver auf den Widerling, der aber entgegen aller Erwartungen darüber nur lauthals zu lachen begann. Noch bevor einer von uns zum Sprechen ansetzen konnte, spürte ich neben mir eine leise Bewegung und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich mein Winnetou ganz langsam und äußerst vorsichtig von uns zurückzog. Was hatte er nur vor? Wollte er den Schurken von hinten überraschen und überwältigen? Das Gebüsch hinter Thomson war gespickt mit großen Dornen, da würde selbst für den Apatschenhäuptling ein Durchkommen unmöglich werden, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen oder sich die Haut in Fetzen reißen zu lassen! Trotzdem ließ ich mir natürlich nichts anmerken, sondern wandte mich Thomson zu, indem ich ihn wütend anfauchte: „Was soll das, Thomson? Lasst den jungen Mann los, aber sofort!“ Auch das machte keinerlei Eindruck auf den Halunken, im Gegenteil, er begann nur noch lauter zu lachen. Es dauerte aber nicht lange, da wurde seine Mimik wieder ernst und sein Gesicht verwandelte sich in eine hasserfüllte Fratze, als er mich anraunzte: „Das werde ich ganz sicher nicht tun, Shatterhand! Und wenn Ihr jetzt nicht sofort gehorcht und macht, was ich Euch sage, dann wird dieses Bürschchen hier die nächsten Minuten garantiert nicht mehr überleben, das schwöre ich!“ „Euren Schwur könnt Ihr Euch sonst wo hin stecken, Thomson! Was bezweckt Ihr mit dieser Farce hier eigentlich? Glaubt Ihr etwa im Ernst, dass Ihr mit einer Geisel im Schlepptau in dieser wasserarmen Gegend weit kommen werdet?“ Ich sah Winnetou nicht mehr, und egal was mein Blutsbruder auch vorhaben mochte, ich konnte ihn jetzt nur unterstützen, indem ich den Mistkerl hier vor mir so gut wie möglich ablenkte, weshalb ich immer weiter redete: „Ganz abgesehen davon, dass wir Euch auch mit einer Geisel ganz bestimmt nicht einfach mal eben so laufen lassen werden!“ „Das lasst mal alles hübsch meine Sorge sein, Shatterhand! Ihr werdet jetzt sofort das Jüngelchen dort hinten“ - er deutete auf Morton Butterfield, dem jüngsten Mitglied der hier anwesenden Familie – „meine Fesseln lösen lassen. Dann wird er mir einen geladenen Revolver überreichen und sich anschließend um die Befreiung meiner Kumpane kümmern, und auch diese werden von ihm bewaffnet, und zwar mit Euren eigenen Revolvern und Gewehren!“ „Habt Ihr getrunken?“, fragte ich kopfschüttelnd. „Wie kommt Ihr nur auf den Gedanken, dass wir Euch zu Willen sein werden? Ihr werdet noch nicht einmal einen rostigen Nagel von uns in die Hände bekommen, so wahr ich hier stehe!“ „Meint Ihr?“, entgegnete Thomson mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht. „Wenn nicht binnen zweier Minuten alles genauso geschehen ist, wie ich es will, dann ist das Greenhorn hier ein toter Mann, darauf könnt Ihr Euch verlassen!“ „Ebenso wie Ihr, und zwar noch in derselben Sekunde!“, stellte ich unmissverständlich klar. Thomson aber befand meine Antwort wohl für recht belustigend, denn schon wieder begann er, lauthals zu lachen. „Ach, Shatterhand – macht Euch doch nicht lächerlich! Als ob gerade Ihr kaltblütig dabei zusehen könntet, wie ein so junges Leben einfach ausgelöscht wird, noch dazu, wenn es Euch möglich ist, dieses durch kleine Zugeständnisse zu retten! Außerdem seid Ihr viel zu gutmütig und viel zu christlich, als dass Ihr einem Mord an mich zustimmen könntet – habe ich Recht?“ Als ich nichts darauf antwortete, und auch keiner unserer Gefährten irgendetwas sagte, begann er wieder zu lachen. „Seht Ihr? Also, ab jetzt habt Ihr nur noch eine Minute – und dann will ich meine Kumpels samt meiner Wenigkeit befreit und bewaffnet sehen, sonst macht Ihr Euch des Mordes an diesem Kind hier mitschuldig!“ Was für eine zynische Verdrehung der Tatsachen! Und tatsächlich war ich einen Augenblick lang richtiggehend hilflos, denn weder wollte ich den Mörder befreien, noch wollte ich mit ansehen, wie er Elisas Peterson vor meinen Augen erwürgte! Dieser begann nun auch noch laut zu röcheln und zu keuchen, und an seinen hervorquellenden Augen konnte ich gut erkennen, dass er gar nicht mehr richtig bei Bewusstsein war. Meine Gefährten schauten alle genauso ratlos drein wie ich, während die Sekunden verrannen – doch jetzt war auf einmal ein sirrendes Geräusch zu vernehmen – und nun zuckte Thomson plötzlich heftig zusammen und stieß im gleichen Moment ein wahrhaft ohrenbetäubendes Gebrüll aus, während er sich mit beiden Händen an seine Schulter fasste, wo mit einem Male ein Pfeil steckte, der tief in das Fleisch eingedrungen war. Glücklicherweise entließ er dabei unbewusst Elias Peterson aus seinem Würgegriff, ohne ihm noch weiteren Schaden zufügen zu können. Der Jüngling brach keuchend und nach Atem ringend auf der Erde zusammen, doch im gleichen Augenblick waren schon drei, vier Westmänner bei ihm, packten ihn unter den Armen und zogen ihn schnellstmöglich aus dem Gefahrenbereich. Zeitgleich dazu warfen sich mindestens ein Dutzend Apatschen auf den immer noch schreienden Thomson, schnitten ihm die Fesseln an den Handgelenken durch, rissen ihm dann die Hände auf den Rücken und verschnürten ihn in Windeseile zu einem kunstvollen Paket, ungeachtet seines fortdauernden Schmerzensgeheul, welches aufgrund dieser brutalen Behandlung natürlich noch an Stärke deutlich zunahm. Offenbar wurde dieses den Mescaleros dann auch schnell zu viel, denn kurzerhand stopften sie dem Halunken sein eigenes Halstuch in den Mund und knebelten ihn anschließend auf eine nicht minder unzarte Art und Weise. Ich hatte mich derweil suchend umgesehen und schnell meinen Blutsbruder ausgemacht, der mit Pfeil und Bogen in der Hand auf einer kleinen Anhöhe stand. Kurz zuvor musste er sich tief in den Schatten eines großen Felsens zurückgezogen haben, um unbemerkt den Pfeil auf Thomson abschießen zu können, was aus dieser Entfernung wirklich nur ein wahrer Meisterschuss genannt werden konnte. Jetzt sprang er leichtfüßig von den Felsen herunter und wurde sogleich von den Gefährten umringt, die ihm lautstark zu diesem Kunststück gratulierten. Das wurde Winnetou allerdings schnell zu viel, und daher begab er sich rasch an meine Seite in der Hoffnung, dem Ganzen so irgendwie entgehen zu können. Ich machte aus diesem Grund unseren Freunden mittels einiger Zeichen deutlich, dass sie sich jetzt bitte zurückhalten sollten, und diesem Wunsch wurde auch schnell Folge geleistet. Nun begaben wir uns schnell zu den Butterfields, die ihr völlig unter Schock stehendes Familienmitglied umringt hatten und sich mit vor Aufregung zitternden Händen um ihn bemühten. Als ich mit Winnetou an ihre Seite trat, machte man uns rasch Platz, so dass der Apatsche den Zustand des jungen Mannes begutachten konnte. Dieser bekam zwar mittlerweile wieder etwas Luft, doch seine Atmung ging noch laut und pfeifend und viel zu schnell, außerdem zitterte er wie Espenlaub. Winnetou betastete in seiner unvergleichlichen sanften Weise die Würgemale am Hals des Unglücklichen und sorgte schließlich dafür, dass dieser sich in einer etwas bequemeren Lage hinlegen konnte. Dann war auch schon unser Doktor da, der direkt nach Beendigung der Geiselnahme losgesaust war, um im Eiltempo seine Tasche mit allen notwendigen medizinischen Utensilien zu holen. Gemeinsam mit Winnetou bemühte er sich einige Zeit lang um Peterson, und kurz darauf gaben sie die Anweisung, dass der junge Mann in einer ruhigen Ecke, natürlich weit entfernt von den Gefangenen, zu liegen kam, wo er mittels einiger Medikamente in einen erholsamen Schlaf fallen konnte, während einige seiner Verwandten bei ihm wachten. Die anderen wurden jetzt aber sofort an das Feuer beordert, wo sie nun aufgrund ihres sichtlich schlechten Gewissens mit äußerst betretenden Mienen in Reih und Glied aufgestellt vor uns standen, die Köpfe zu Boden gesenkt und wie die Schulbuben eine geharnischte Strafpredigt erwartend. Und die erfolgte auch gleich darauf, denn die unvernünftigen Jünglinge hatten mal wieder in einer Weise gehandelt, die selbst dem größten Greenhorn noch alle Ehre gemacht hätte! Aufgrund des ständigen und qualvollen Wehklagens von Thomson waren einige der Butterfields von tiefem Mitleid erfüllt worden, zumal der gerissene Halunke immer dann, wenn wir es nicht mitbekamen, einen oder gleich mehrere der Jünglinge mit jammervoller Miene um Hilfe gebeten hatte. Gleichermaßen war in Elias Peterson die Erinnerung an das Gespräch mit mir von vor einigen Tagen, wo es um Menschlichkeit und Gnade vor Recht ging, wieder hochgekommen, und zu guter Letzt hatte er aus unserer Entscheidung, Thomson die Hände nach vorne anstatt auf den Rücken fesseln zu lassen sowie meiner dahingehenden Fürsprache, dem Halunken die Knebel abzunehmen und ohne besondere Bewachung zu lassen, zu erkennen geglaubt, dass ich im Grunde mit einer medizinischen Behandlung des Kerls einverstanden gewesen wäre, mich aber nicht gegen die Gefährten hatte durchsetzen können. Als er sich am späten Abend dann zu den Gefangenen begeben und den wachhabenden Apatschen davon überzeugt hatte, dass ich damit einverstanden gewesen sei, glaubte er sicher, dass ich sein Handeln im Nachhinein noch gutheißen würde, da er die Milde walten lassen wollte, für die ich ja so bekannt sei. Der Apatsche hatte sich, während sich Peterson die immer noch geschwollene Wange des Erzschurken betrachtete, nur einmal kurz umgedreht, nämlich genau in dem Augenblick, als unsere ganze Gesellschaft wegen meiner Träumerei vorhin am Feuer in lautes Gelächter ausgebrochen war. Dadurch war der Indianer nur einen kleinen Moment abgelenkt gewesen, so dass Thomson blitzschnell seine Arme über den Kopf des jungen Mannes werfen und sogleich fest zudrücken konnte. Kopfschüttelnd hörten wir uns den kleinlauten Bericht der jungen Leute an. Dann aber führten wir ihnen in aller Strenge ihr Fehlverhalten ausgiebig vor Augen, und diesen Part übernahm nun ganz bewusst Old Firehand, denn der Westmann machte allein schon durch seine hünenhafte Statur und seine kraftvolle Stimme den meisten Eindruck auf die Jünglinge. Er ließ dann auch in seiner langen Strafpredigt nichts aus und genoss deren Wirkung auf die Butterfields sichtlich, so dass ich fast in Versuchung gekommen wäre, ihn um ein schnelleres Ende zu bitten, denn die jungen Männer sahen mittlerweile so aus, als würden sie gleich in Tränen ausbrechen. Ihr Leichtsinn war schließlich auch sofort bestraft worden, so dass ich mir sicher war, dass sie aus diesem Fehler recht viel würden lernen können. Trotzdem stimmte ich mit den anderen Gefährten überein, dass wir alle wohl einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen konnten, wenn wir diese unvergleichlichen Greenhorns an ihrem Zielort sicher ihrer Familie übergeben haben würden! Am nächsten Tag ging es dem jungen Butterfield schon viel besser, wenngleich die großflächigen Male an seinem Hals einfach schauderhaft aussahen und ihn noch lange an den gestrigen Abend erinnern würden. Stumm hielt er sich während des Ritts in der Mitte seiner Familie und wagte kaum aufzusehen, so sehr schämte er sich für seine Dummheit, die ja schließlich nicht nur ihn in große Gefahr hätte bringen können. Wir überließen die jungen Männer dann auch für den Rest des Tages sich selbst – Strafe muss schließlich sein! Thomson hingegen lag mehr auf seinem Pferd, als dass er saß. Die Schulterwunde war zwar professionell vom Doktor versorgt worden, der dazu allerdings nur deshalb bereit gewesen war, „damit der Kerl auch ja noch bis zum Pueblo durchhält, wo wir ihn endlich hängen sehen können!“, wie er sich so treffend ausdrückte. Allerdings musste der Verbrecher wohl unter den größten Schmerzen leiden, doch weder Winnetou noch Walter Hendrick fühlten sich in irgendeiner Weise genötigt, ihm diese etwas zu erleichtern. Am frühen Abend konnten wir die ersten Ausläufer des Llano Estacado ausmachen. Der Boden wurde immer sandiger, und es gab kaum noch etwas Grün zu sehen, mit Ausnahme einzelner Kakteen, deren Anzahl mit jedem Kilometer nach Osten mehr und mehr zunahm. Winnetou hielt sich die meiste Zeit stumm an meiner Seite. Bisher hatte ich geglaubt, dass er den Ritt einfach weiterhin mit allen Sinnen genießen wollte, und das tat er ja am liebsten ohne irgendwelche Worte zu verlieren. Doch je öfter ich sein schönes Gesicht betrachtete, umso mehr gewann ich den Eindruck, dass ihn irgendeine Sorge bedrückte. Jetzt, am späten Nachmittag, fiel mir auch auf, dass sein Blick immer öfter zum Himmel ging, so dass ich es schließlich genau wissen wollte und ihn kurzerhand fragte: „Mein Bruder macht sich über irgend etwas Gedanken – will er mich nicht daran teilhaben lassen?“ Etwas überrascht sah er mich an, dann aber ging ein verstehendes Lächeln über sein Gesicht und er antwortete: „Old Shatterhand bleibt auch wirklich nichts verborgen!“ „Vor allem dann nicht, wenn es um dich geht, mein Freund! Also: was genau macht dir Sorgen?“ „Winnetou fühlt großes Unheil nahen – und er fürchtet, dass es nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Sieh dir den Himmel an, Scharlih – kannst du dort hinten am Horizont nicht die rötlichen Verfärbungen erkennen? Es braut sich ein Sturm zusammen, und dieser wird heftiger werden als alles, was wir in dieser Hinsicht bisher erlebt haben!“ Sogleich folgte mein Blick der ausgestreckten Hand meines Blutsbruders, die in Richtung des Llano wies, und seine letzten Worte bewirkten, dass sich mir die Nackenhaare hochstellten. Kapitel 42: Durch die Hölle und zurück -------------------------------------- Sogleich machte ich die Gefährten auf die drohende Gefahr aufmerksam, woraufhin sich alle Blicke fast im Gleichklang zuerst auf die völlig harmlos anmutende rötliche Verfärbung des Himmels richteten, auf die mein Blutsbruder mich soeben aufmerksam gemacht hatte, um dann sofort wieder zu den Anführern der Apatschen zu gehen, vornehmlich auf Winnetou. Dieser besah sich den Himmel noch etwas intensiver, und auch Til Lata sowie Entschah-koh, die wohl auch erst vor wenigen Minuten auf das unscheinbare Wolkengebilde am Horizont aufmerksam geworden waren, studierten es nun intensiv, wobei sich die Wolken auf ihren Gesichtern mehr und mehr verdunkelten. Fast zeitgleich begannen die drei sich um die eigenen Achsen zu drehen, um die nähere Umgebung zu begutachten. Offenbar waren sie schon auf der Suche nach einem geeigneten Schutz vor dem kommenden Sturm – das sah wahrlich nicht gut aus! „Wie viel Zeit bleibt uns noch, mein Bruder?“ fragte ich Winnetou daher ganz direkt. „Höchstens noch eine halbe Stunde“, beschied er mir tonlos. Erschrocken begann auch ich mich jetzt nach einem raschen und vor allem sicheren Unterschlupf umzusehen, denn ich hatte schon des Öfteren düstere Bekanntschaften mit den furchtbaren Sandstürmen des Llano machen müssen – allerdings waren das zum Glück immer nur Ausläufer gewesen. Würde uns hier, auf der schon mehr sandigen als grasigen Steppe, die volle Wucht eines solchen Ungetüms treffen, hätten wir so gut wie keine Überlebenschancen, soviel war sicher! Aber leider befanden wir uns auf einer sehr, sehr weitläufigen Ebene, kein Baum, kein Strauch konnten wir in Sichtweite ausmachen – und schon begann der Himmel sich am Horizont bedrohlich schwarz zu verfärben: Erst war es nur ein winziger Punkt in dem rötlichen Grau im Osten, doch dieser Punkt schien von einer Sekunde zur anderen immer mehr zu allen Seiten hin auseinander zu fließen und sich dennoch gleichzeitig zu vergrößern. Das Ganze ging so schnell, dass binnen weniger Minuten der gesamte östliche Horizont in einem tiefen Schwarz getaucht war, und alleine dieser Anblick bewirkte, dass unter den meisten Männern nun hektische Betriebsamkeit ausbrach und unsere bisherige schöne Ordnung sich zunehmend verflüchtigte. Viele drehten sich mit ihrem Pferd im Kreis oder brachen sogar einige Schritte komplett aus der Gruppe aus, auf der verzweifelten Suche nach einem Ausweg, zumindest was die meisten der Weißen anbelangte – die Apatschen hingegen hatten sich noch vollständig in ihrer Gewalt. Ich konnte es den Westmännern nicht verdenken, dass sie aufgrund der bedrohlichen Lage, die da auf uns zurollte, jetzt teilweise schon in leise Panik verfielen, denn die meisten von ihnen hatten solch einen Hurrikan schon einmal erlebt, meist aus der Ferne, einige wenige aber auch von Nahen und auch unter der größten Lebensgefahr – und die Örtlichkeit, an der wir uns ausgerechnet jetzt befanden, trug nicht gerade zu einer Beruhigung bei. Die Soldaten hingegen hatten mit solchen Naturgewalten wohl noch nicht viel zu tun gehabt, denn anfangs waren sie noch sehr ruhig geblieben, als Winnetou auf die kleinen, harmlosen Wölkchen gezeigt hatte, doch als diese sich nun in einer solch rasanten Geschwindigkeit vergrößerten, begann sich auch ihre bisher mustergültige militärische Ordnung ganz schnell in Luft aufzulösen. Nun entfernten sich sogar schon ein paar der Soldaten in dem beinahe verzweifelt anmutenden Versuch, irgendwo doch noch schnell eine Deckung zu finden – doch da wurde es Old Firehand zu bunt. „STILLGESTANDEN, VERDAMMT NOCH MAL!!! ALLE BLEIBEN ZUSAMMEN!!“, brüllte er mit seiner machtvollen Stimmgewalt, einem Donnerhall gleich, hinter den Flüchtenden her – und die gehorchten augenblicklich! Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich bei diesem Anblick schallend gelacht - so aber wartete ich gar nicht mehr ab, bis die Soldaten ihre Pferde gewendet und wieder zu unserer Gruppe gestoßen waren, sondern rief Firehand zu, er solle die Männer zusammenhalten, bis Winnetou einen Ausweg gefunden habe. Der Apatsche war nämlich schon unterwegs, um zu schauen, ob nicht doch noch irgendwo in der Nähe ein Unterschlupf auszumachen war, was ich mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen konnte, da weit und breit war wirklich nichts dergleichen zu sehen war. Doch mein Freund war ein Kenner der Natur und der Landschaft, der seinesgleichen suchte, und so wie er da jetzt zielgerichtet auf eine Stelle südwestlich von uns zuritt – nein, eher zuflog, da er alles aus seinem Iltschi herausholte, was irgendwie möglich war – sah es für mich schon so aus, als könnte sich dort doch noch ein Hoffnungsschimmer für uns verbergen. Ich selbst hatte natürlich mittlerweile auch mein Fernrohr zur Hand genommen und strich damit die Umgebung bis zum Horizont ab, doch auch in größerer Entfernung konnte ich rein gar nichts entdecken, was in der Lage sein sollte, uns aus dieser misslichen Lage noch irgendwie zu retten. Als ich das Glas dann auf den sich immer schneller entwickelnden Hurrikan im Osten richtete, konnte ich schon die heftigsten Sturmböen ausmachen, und ich war mir sicher: hätte es dort Bäume oder sogar Häuser aus Holz gegeben – diese hätte ich jetzt wie Papier durch die Luft fliegen sehen können! Jetzt wurde mir wirklich mulmig zumute, wobei ich dabei eigentlich nicht an mich selbst dachte, sondern vielmehr an Winnetou. Wie hatte es noch gleich geheißen? Keine gefährlichen Situationen! Bloß keine Anstrengungen! Doch was da gerade auf uns zukam, verhieß eigentlich genau das Gegenteil und spottete wirklich jeder Beschreibung. Und egal was wir jetzt noch zu unternehmen gedachten – meinem Freund würde das Unwetter in jedem Fall ordentlich zusetzen, und vor den daraus drohenden gesundheitlichen Folgen für ihn wurde mir jetzt schon Angst und Bange – wenn der Sturm uns nicht sogar ans Leben ging! Übrigens hatten die Pferde die anrollende Gefahr auch schon längst bemerkt, und für die Reiter wurde es mittlerweile immer schwieriger, ihre Tiere noch irgendwie unter Kontrolle zu halten. Wie gut, dass gerade die Apatschen ihre Rosse meisterhaft beherrschten, so dass es ihnen nebenher sogar auch noch gelang, die Gefangenen nicht aus den Augen zu lassen und deren Pferde fest bei den Zügeln zu halten! Die sowieso schon zur Genüge vorhandene Hitze der letzten Tage hatte in den letzten Minuten noch einmal spürbar zugenommen und begann sich jetzt in eine solch bedrückende Schwüle zu entwickeln, dass Mensch und Tier das Atmen immer schwerer fiel. Es fühlte sich an, als ob die gesamte Umgebung zu kochen beginnen würde – die Luft flirrte, die Sonne brannte noch gnadenloser auf die Reisenden herab und man bekam tatsächlich das Gefühl, sich schlichtweg in einem Backofen zu befinden. Zugleich wurde es mit einem Mal völlig windstill, was die Hitze nur noch unerträglicher machte. Der östliche Horizont war mittlerweile pechschwarz, und diese Schwärze breitete sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit zu allen Seiten hin aus, kam bedrohlich schnell auf uns zu – ganz entfernt glaubte ich auch schon, ein dunkles Grollen vernehmen zu können, gemischt mit einer Art seltsamen Fauchen, was das Ganze noch unheimlicher erscheinen ließ. Ich warf einen kurzen Blick auf unsere Gefangenen, die angesichts der großen Gefahr aber keinerlei Anstalten zu einem Fluchtversuch machten. Sie wussten genau, es wäre ihr sicherer Tod gewesen, wenn sie sich von der Gruppe entfernt hätten, und das auch noch mit gefesselten Gliedmaßen! Es war ihnen auch deutlich anzusehen, dass sie daran keinen einzigen Gedanken verschwendeten, denn ihre Gesichter drückten große Furcht, ja, eigentlich schon richtige Panik aus. Das Großmaul Thomson so zu sehen, wie ein Häufchen Elend, das sich am liebsten unter einer Bettdecke verstecken wollte, nur um der Gefahr nicht ins Auge blicken zu müssen – ja, das war schon eine kleine Genugtuung für mich, die ich sehr gerne noch länger genossen hätte, nach all dem, was er meinem Winnetou angetan hatte! Doch das Brüllen und Fauchen des nahenden Hurrikans wurde immer lauter, die bedrückende Schwüle nahm mir fast den Atem, und jetzt wurde es wirklich höchste Zeit, Mensch und Tier in Sicherheit zu bringen. Ich wollte Winnetou zurückrufen, damit wir uns wenigstens zusammen dem Sturm stellen konnten und ich somit noch eine, wenn auch sehr geringe, Möglichkeit bekommen würde, mich seiner anzunehmen und ihm soviel Schutz zu bieten, wie es nur ging – ein frommer Wunsch angesichts der fürchterlichen Naturgewalt, die uns da binnen kürzester Zeit überrollen würde! Mein Blutsbruder war allerdings schon auf dem Weg zurück zu uns. Seinen Iltschi hatte er zu einem solch rasenden Galopp angetrieben, dass die beiden förmlich auf uns zuflogen, und schon von Weitem sah ich ihn winken und rufen, um uns aufzufordern, ihm sofort zu folgen. Hatte er tatsächlich etwas entdeckt, was uns Schutz bieten könnte? Und wenn, dann wo? Hier gab es doch weit und breit nur versandete Steppe, von vereinzelten Felsbrocken durchzogen, die aber viel zu klein und in viel zu geringer Anzahl vorhanden waren, um unsere große Truppe samt Pferden vor dem gnadenlosen Sturm zu verbergen! Aber mein Vertrauen in meinen geliebten Freund mit seinem untrüglichen Gespür für die Natur war grenzenlos, und so trieb ich die Gefährten eiligst an, alles aus ihren Pferden herauszuholen, was nur ging, um den Apatschen noch vor Ausbruch des Hurrikans zu erreichen. Ich selbst preschte voraus, Soldaten, Westmänner, die Butterfields sowie die Apatschen samt den Gefangenen folgten mir in einem mörderischen Tempo, so dass den schwächsten Pferden bald schon die Zunge aus dem Hals hing und der Schaum in großen Flocken aus ihren Mäulern tropfte – und dann konnte der ganze Pulk aus Reitern und Pferden nur noch mit der allergrößten Mühe zum Stehen kommen, gerade noch rechtzeitig, bevor die vordersten Tiere in eine Felsspalte rutschen mussten, die hier zwar recht steil, aber nur wenige Meter in die Tiefe führte und von der Ebene aus überhaupt nicht zu entdecken gewesen war. Das war die Rettung! Die Felsspalte glich eigentlich eher schon einer kleinen Schlucht, nicht tief, aber breit und vor allem lang genug, um die nahezu einhundert Menschen und Tiere vor den ärgsten Orkanböen schützen zu können. Doch genau in diesem Moment brach um uns herum schon die Hölle los! Zuerst nur in Form von ohrenbetäubenden Geräuschen; Fauchen, Pfeifen, Zischen, Jaulen, all das ging einher mit einer fürchterlichen Backofenglut, während derer man das Gefühl bekam, dass es einem die Haut am Körper beinahe versengte. Doch das waren nur die Vorboten, die aber dennoch bewirkten, dass vor allem unter den Butterfields und den Soldaten, aber auch unter einem Teil der Westmänner Panik ausbrach. Wir konnten schreien, soviel wir wollten, um die nötige Ruhe und Ordnung herbeizuführen, die es nun mal brauchte, wenn man die vielen Menschen und Tiere schnell, aber vor allem sicher in die Felsspalte hinein manövrieren wollte, ohne dass es zu Unfällen kam. Bei dem nun folgenden Durcheinander war das aber gar nicht mehr möglich. Ein Knäuel aus Menschen und Pferde, die nun größtenteils auch in Panik geraten waren, stürzte nun unter großem Geschrei in die kleine Schlucht, währenddessen sich die fürchterliche Gluthitze mit einem Mal in eine grausame Kälte verwandelte, die einem den Atem gefrieren ließ. Auch dieses Phänomen gehörte zu den typischen Stürmen des Llano. Diese Kälte währte nie lange, höchstens zwei Minuten, doch wenn man sich in dieser kurzen Zeit nicht unablässig tüchtig bewegte und vor allem die Pferde nicht kräftig abrieb, konnte es durchaus geschehen, dass der Sturm hier schon die ersten Todesopfer forderte. Gerade die Pferde waren in ihrem erhitzten Zustand der plötzlichen Kälte hilflos ausgeliefert und ohne die beschriebenen Maßnahmen fast immer dem Tode geweiht. Winnetou und ich hatten mit etlichen der anderen Westmänner bis jetzt gerade versucht, die Gefährten trotz des heillosen Durcheinanders irgendwie noch in die Felsspalte zu befördern, doch jetzt ging es auch unseren Tieren und uns ans Leben, so dass wir nun alles daransetzten, uns dieses irgendwie zu erhalten. Zusammen mit Emery, Firehand, Surehand, Sam Hawkens, Davy, Bloody Fox, Dick Hammerdull und den allermeisten Apatschen langten wir nach unseren Decken und rieben unsere Pferde ab, bis wir vor Anstrengung kaum noch Luft bekamen. Diese wurde kurz darauf auch schon wieder furchtbar drückend und schwül; die Kälte war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war – aber nun brach der eigentliche Sturm los. In der Felsspalte gab es keinen Platz mehr für uns, und es war dort auch aufgrund der Panik, die immer noch herrschte, wirklich nicht gerade ungefährlich – wie leicht konnte der Huf eines Pferdes einen Menschen in diesem Durcheinander treffen und gefährlich verletzen, wenn nicht sogar töten! Und wie leicht konnte eines der Tiere in der engen Spalte den Halt verlieren und einen Menschen unter sich begraben! Doch hier oben wurde es jetzt noch viel gefährlicher. Wir hatten aufgrund der fehlenden Vegetation so gut wie keine Möglichkeit, uns vor der Hauptwucht des Sturmes wenigstens etwas zu schützen, also verteilten wir uns, wo es nur ging, mit den Pferden hinter den wenigen Felsbrocken in der Nähe – doch wir waren noch mindestens vierzig Personen, und hinter den einzelnen Felsen gab es insgesamt nur Platz für höchstens zehn Menschen. Der Rest warf sich daher jetzt einfach der Länge nach bäuchlings auf den Boden, hinter ihren Pferden, die sich wie bei Winnetou und mir sowie allen Apatschen auf Zuruf sofort legten, dann nahmen wir die Köpfe tief herunter und schützen diese mit unseren Armen. Kurz schaute ich noch einmal hoch – und sah eine schwarze Wand auf mich zukommen. Der Sturm hatte offenbar ganze Wagenladungen an Sand aus dem Llano hochgewirbelt und trug diese jetzt direkt auf uns zu! Ich konnte nur noch schnell den Gefährten zuschreien: „Die Köpfe unten lassen, Leute! Schützt Mund und Nase vor dem Sand, sonst erstickt ihr!“, und dann ging endgültig die Welt unter. Es war ein Heulen, ein Brausen, ein Stürmen und Toben, ein Zerren und Ziehen, dass ich meine liebe Not hatte, an Ort und Stelle liegen zu bleiben und nicht von der Gewalt des Windes weggerissen zu werden. Festhalten konnte ich mich nirgends, mir blieb nur mein braver Hatatitla, an dessen Körper ich mich mit aller Kraft klammerte. Und schon spürte ich, wie ich von einer Sandschicht nach der anderen begraben wurde, was zumindest den Vorteil hatte, dass die Gefahr vorüber war, von dem Sturm erfasst und weit in die Wüste hinausgeschleudert zu werden. Aber mit jeder Schicht wurde mein Körper, vor allem die Lunge, weiter zusammengepresst, verstopfte der Sand mehr und mehr Nase und Mund, trotz des Halstuches, welches ich mir noch schnell vor das Gesicht gehalten hatte, und trotz des ebenfalls davor gedrückten Unterarmes, so dass mir das Atmen von Sekunde zu Sekunde schwerer fiel. Hören konnte ich jetzt ebenfalls nichts mehr, denn der Sand hatte sich schon längst in meine Gehörgänge hineingegraben. Nur dumpf vernahm ich noch das Brausen und Stürmen der um mich herum tobenden Naturgewalten, war dabei froh über jedes bisschen Luft, die ich noch atmen konnte, und hoffte ansonsten von ganzem Herzen, dass der Hurrikan unter uns keine Opfer fordern würde. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ich an meinen Winnetou dachte. Würde er die Kraft haben, diesem Horror zu widerstehen? Ich glaubte ihn wenige Meter neben mir zu wissen, wusste es aber nicht genau, denn trotz meiner dahingehenden Bemühungen war es mir nicht gelungen, mich noch an seine Seite zu werfen, als die Hölle losbrach. Die Sekunden und Minuten verronnen, doch ich empfand diese Zeit als endlos, einer Ewigkeit gleich. Aber dann – endlich, endlich – verstummten die Begleitgeräusche des Sturmes völlig abrupt, und fast zeitgleich wurde ich auch aus der trotz der Sandschichten immer noch heftig an mir zerrenden und ziehenden Kraft entlassen. Plötzlich breitete sich eine unnatürliche Stille aus, fast einer Totenruhe gleich – es fühlte sich so an, als ob alles Leben mit einem Male ausgelöscht worden war. Aufgrund der Sandmengen vor meinem Gesicht bekam ich kaum noch Luft, und daher gingen meine ersten Bemühungen natürlich in die Richtung, mir irgendwie einen Freiraum zu schaffen, so gut es ging, um besser atmen zu können und dadurch die Kraft zu gewinnen, mich weiter von dem Sand zu befreien, denn immer noch lag ich unter großen Mengen davon begraben, zumindest fühlte es sich so an. Und mit jeder Kopfbewegung konnte ich jetzt auch spüren, wie mehr und mehr Sand von mir abfiel. Sofort verdoppelte ich meine Mühen, und bald hatte ich meine Arme und Teile des Oberkörpers aus der Falle befreit. Schon machte ich mich daran, auch den Rest so schnell wie möglich auszubuddeln, da fühlte ich plötzlich zwei große Hände, die mir unter die Achseln griffen und mich mit einem kräftigen Ruck aus den Sandbergen herauszogen und auf die Füße stellten. Niemand anderer als Old Firehand war es, der mir da buchstäblich aus der Patsche geholfen hatte! Ich klopfte dem Hünen auf die Schulter und keuchte dabei ein kurzes: „Hab Dank, mein Freund!“, denn zu mehr fehlte mir einfach noch der Atem. Deshalb sog ich jetzt auch die nun überraschend klare Luft in großen Zügen gierig ein, während ich mich hustend und spuckend daran machte, auch meinen Hengst, der sich ebenfalls gerade aufrappelte, vollständig aufzuhelfen. Mit einem bangen Gefühl tastete ich ihn sorgfältig ab und hoffte dabei von ganzem Herzen, dass auch er den Hurrikan wohlbehalten überstanden hatte. Zum Glück konnte ich keinerlei Verletzungen feststellen, im Gegenteil, der Rappe begann sich schon wie suchend umzusehen und eilte dann zielstrebig auf eine kleines Fleckchen Erde zu, das der Sturm vom Sand befreit hatte und dadurch Hatatitla die Möglichkeit bot, sich der wenigen Grashalme zu widmen, die hier nur noch vereinzelt und ganz spärlich wuchsen. Ich wandte mich wieder Firehand zu. Beinahe zeitgleich begannen wir damit, uns gegenseitig zu taxieren, und konnten schließlich wenig später beide erleichtert feststellen, dass dem anderen offenbar auch nichts geschehen war. In der Zwischenzeit begann sich rings um uns herum die Sanddecke zu bewegen, und bald darauf erschienen überall weitere Köpfe und Arme der Gefährten, die sich krampfhaft um ihre rasche Befreiung bemühten. Firehand und ich eilten sofort hinzu und halfen, wo wir konnten, so dass wir innerhalb kürzester Zeit von einer großen Menge hustender und keuchender Apatschen sowie Westmännern umgeben waren. Sam Hawkens, Dick Hammerdull und zwei der Mescaleros hatten allerdings schon das Bewusstsein verloren, und mehrere andere der Gefährten bluteten aus den verschiedensten Wunden – doch sie alle lebten! Aber die Versorgung der Verletzten musste bis später warten: zuerst einmal galt es, sicherzustellen, dass kein Mitglied unserer großen Reisegruppe fehlte. Noch während ich zu zählen begann, tauchten auch schon der dicke Jemmy, der Hobble Frank sowie Pitt Holbers mitsamt ihren Pferden aus der Felsspalte auf, wo es ihnen kurz vor dem Sturm tatsächlich noch gelungen war, dort Unterschlupf zu suchen – und zu meiner großen Erleichterung sah ich einige Sekunden später auch unseren Doktor aus der kleinen Schlucht herauskrabbeln, der sich offenbar auch nichts getan hatte, wenn man von einer tiefen Schnittwunde am linken Unterarm einmal absah. Er kümmerte sich allerdings gar nicht darum, sondern eilte schnell auf die noch am Boden liegenden Verletzten zu und begann sofort, sie fachmännisch zu versorgen. Auch die Pferde unserer unter dem Sand begrabenen Freunde hatten sich größtenteils, zumindest soweit ich das überblicken konnte, von selbst befreit und waren schon dabei, eine Stelle zu suchen, wo sie sich wie mein Hatatitla auf den überstandenen Schrecken hin an ein paar Grashalmen gütlich tun konnten. Übrigens stand mein Hengst schon längst nicht mehr alleine da, denn Winnetous Iltschi hatte ihm mittlerweile Gesellschaft geleistet. Winnetou! Mich durchfuhr ein riesiger Schreck, als ich mich suchend umblickte, den Apatschen aber nirgends entdecken konnte. Ich warf noch ein Mal einen kurzen Blick auf seinen Rappen, dessen seltsames Verhalten mir erst jetzt so richtig auffiel. Dieser graste nämlich gar nicht wie sein Zwillingsbruder, sondern stampfte unruhig mit den Vorderhufen auf dem Boden herum, warf immer wieder seinen schönen Kopf in die Luft, während sein Blick wie suchend umherirrte; ganz anders als Hatatitla, der es sich seelenruhig schmecken ließ. Rasch ging ich jetzt wieder zu der Stelle, an der ich unter dem Sand begraben gelegen hatte, weil ich mir ja recht sicher war, dass auch Winnetou dort ganz in der Nähe Schutz gesucht hatte – aber auch hier war nichts von meinem Freund auszumachen! Ich begann sofort fieberhaft zu graben, was das Zeug hielt, überall. Mit jeder Sekunde, in der ich kein Lebenszeichen meines Freundes fand, grub ich wilder und gebärdete mich bald darauf fast wie ein Irrer. Firehand, Surehand, Emery, der lange Davy und Fox waren schon an meine Seite geeilt und halfen mir nach Kräften, denn sie hatten sofort den Grund für mein seltsames Verhaltens begriffen. Doch soviel wir auch suchten, wir fanden nicht die geringste Spur des Apatschen, was meine Sorge um ihn natürlich ins Unermessliche steigerte. Schließlich machte uns Firehand auf eine Stelle ganz in der Nähe aufmerksam, an der der Sand nicht wie an den meisten anderen Orten aufgehäuft worden war. Im Gegenteil, auch hier waren schon einige Grashalme auf dem fast blankgefegten Boden zu sehen, und als wir uns das Ganze näher betrachteten, konnten wir noch mehr Anzeichen dafür entdecken, dass genau hier eine dieser fürchterlichen Windböen gewütet haben mussten, die alles, was nicht vorher fest mit dem Boden verwurzelt gewesen war, wohl mit sich fortgetragen hatte. Als ich direkt daneben dann eine Stelle entdeckte, an der offenbar ein Pferd unter dem hier wieder aufgehäuften Sand begraben gelegen hatte, sich aber inzwischen daraus befreit haben musste – zumindest war das anhand der Spuren deutlich zu erkennen – wurde mir wirlich mehr als mulmig zumute. Und dann bückte sich Emery mit einem Male und hob genau an dieser Stelle etwas vom Boden auf. Einen Augenblick lang starrte er mit versteinerter Miene auf den gefundenen Gegenstand, trat dann an meine Seite und hielt mir schweigend seine geöffnete Hand hin – in der sich mehrere Bärenkrallen befanden, an denen noch Reste eines Lederbandes befestigt waren. All das kannte ich nur zu gut, denn es handelte sich unbestritten um die Grizzlykette meines geliebten Blutsbruders! Ich konnte nicht verhindern, dass meine Beine mir jetzt kurzfristig ihren Dienst versagten und ich ungewollt in die Knie sank, was mir vorher wirklich noch nie passiert war. Doch ich war völlig geschockt und im Augenblick einfach zu keiner vernünftigen Reaktion mehr fähig, daher blieb ich erst einmal wie betäubt am Boden sitzen. Um mich herum schwärmten die Westmänner aus, um die verzweifelte Suche nach Winnetou fortzusetzen, während Firehand sich bemühte, die Übersicht über dem ganzen Wirrwarr zurückzugewinnen und festzustellen, ob noch mehr unserer Gefährten fehlten. Mittlerweile waren auch alle Geflüchteten wieder aus der Felsspalte herausgekommen, und es stellte sich jetzt heraus, dass es auch hier etliche Leichtverletzte gegeben hatte, was aber ausschließlich dem unglaublichen Durcheinander geschuldet war, welches aufgrund der Panik wegen des aufziehenden Sturmes unter Mensch und Tier ausgebrochen war. Eine Weile noch wurde gezählt und gesucht, dann stand fest: Zwölf Leicht- sowie zwei schwerer Verletzte aufgrund diverser Knochenbrüche waren dem Hurrikan zum Opfer gefallen, außerdem wurden sechs Menschen vermisst: Zwei Soldaten, Morton und Frederic Butterfield, dann ausgerechnet der Verbrecher Wayne Thomson und – mein Winnetou! Wie diese Nachricht auf unsere ganze Gesellschaft wirkte, kann ich gar nicht beschreiben. Das Entsetzen darüber war förmlich mit den Händen zu greifen, und nun brach allseits eine hektische Betriebsamkeit aus. Soldaten, Apatschen und Westmänner schwärmten aus, um die Umgebung in einem großen Umkreis abzusuchen, und nur einige wenige Apatschen blieben zurück, nämlich diejenigen, die ein wenig in der indianischen Heilkunst bewandert waren und somit unseren Doktor bei der Versorgung der Verletzten unterstützen konnten. Sam und Dick Hammerdull waren mittlerweile zwar wieder aus ihrer Ohnmacht erwacht, wurden jedoch von Hendrick energisch davon abgehalten, sich sofort wieder ins Geschehen zu stürzen. Der kauzige Westmann wollte sich dem Willen des Arztes allerdings keinesfalls beugen, doch dann bekam er von Walter eine solch eindringliche Standpauke verpasst, dass er letztendlich wie ein Schulbube mit betretendem und leise verblüfften Gesichtsausdruck am Boden sitzen blieb. Auch die Butterfields wollten allesamt und in einem wilden Durcheinander losstürmen, wurden aber von Firehand und Surehand fast gewaltsam daran gehindert. Das fehlte noch, dass sich diese unerfahrenen und leichtsinnigen Jünglinge aufs Geratewohl in die gefährliche Umgebung aufmachten – sie würden das niemals unverletzt überstehen und uns unweigerlich verloren gehen! Die acht jungen Männer waren aber kaum zu bremsen, denn das Verschwinden von Frederic – dem jungen Mann, der damals während der Büffeljagd durch sein Missgeschick Winnetou in größte Gefahr gebracht hatte – und dann noch das ihres jüngsten Familienmitgliedes Morton hatte sie natürlich zutiefst erschüttert, weshalb sie jetzt alles Erdenkliche daran setzen wollten, die beiden wiederzufinden. Erst als sich ihnen ein paar Apatschen mit grimmiger Miene in den Weg stellten, ließen sie von ihrem Vorhaben ab, wenn auch nur widerwillig. Mittlerweile hatte ich mich von meinem ersten Schock soweit erholt, dass ich mich wieder erheben konnte, und gerade wollte ich meinen Rappen herbeirufen, um mich schnellstmöglich an der Suche, vor allem nach Winnetou, zu beteiligen – da wurde ich heftig von hinten angestubst, einmal, zweimal, begleitet von einem fast schon ungeduldigen Schnauben. Ich drehte mich um und gewahrte Iltschi, der dicht vor mir stand, mit den Hufen scharrte und unruhig hin und her tänzelte. Als das Tier sich jetzt meiner Aufmerksamkeit sicher war, drehte es sich abrupt um, lief einige Schritte hinaus in die Wüste, blieb dann stehen und sah sich wieder nach mir um. Verwundert wollte ich mich dem Hengst nähern, aber kaum hatte ich mich in Bewegung gesetzt, lief er wieder ein Stück weit voraus und wiederholte das Spiel von vorhin. Nun war ich mir sicher: Das Tier wollte mir etwas zeigen! Sofort rief ich Hatatitla zu mir, schwang mich auf seinen Rücken und schoss im Eiltempo hinter Iltschi her, der sich ebenfalls sofort wieder in Bewegung gesetzt hatte und mich jetzt zielsicher in eine ganz bestimmte Richtung führte. Nach etwa zweihundert Metern blieb der edle Rappe mit einem Mal wieder stehen und begann erneut, voller Unruhe auf der Stelle hin und her zu tänzeln. Sofort war ich bei ihm, sprang ab und sah mich suchend um. Deutlich war zu erkennen, dass die Sturmböen hier eine Unmenge Sand aufgetürmt hatten, und wenn ich den Weg des Windes richtig einschätzte, konnte es gut möglich sein, dass etwas, was bei uns drüben gelegen hatte, bis hierher geworfen worden war! Ich befand mich ein Stück abseits von den anderen Suchenden, doch diese jetzt erst noch mir zu Hilfe zu holen, dafür hatte ich einfach keine Zeit mehr. Wenn Winnetou tatsächlich hier unter dem Sand begraben lag – und Iltschis Verhalten deutete nun mal darauf hin – dann war jetzt allerhöchste Eile geboten, um ihn noch vor dem Ersticken zu retten – wenn es nicht schon zu spät war! Wie von Sinnen begann ich den Sand weg zu schaufeln, mit bloßen Händen, drehte mich dabei im Kreis, um an so vielen Stellen wie möglich gleichzeitig graben zu können – und dann, nach nur wenigen Sekunden, stieß ich mit einer Hand auf einen weichen Widerstand! Hastig, mit fliegendem Atem, entfernte ich Sandschicht um Sandschicht, so schnell es nur ging. Da – ich hatte ihn gefunden! Ich hatte meinen geliebten Blutsbruder gefunden! Rasch, rasch den Kopf vom Sand befreien – schon war auch das geschehen. Er lag auf der Seite, hielt die Augen geschlossen, und als ich vorsichtig seinen Kopf umfasste, spürte ich etwas Warmes, Feuchtes an meiner Hand – Blut! Ein hilfloses Stöhnen entwich mir, als ich zudem noch erkennen musste, dass meine Berührungen immer noch keine Reaktion bei meinem Freund hervorriefen. Doch als ich eine Hand auf seinen Oberkörper legte, fielen mir ganze Felsbrocken vom Herzen, da ich jetzt leichte Atembewegungen ausmachen konnte – es war mir dann auch nicht mehr möglich, zu verhindern, dass ich vor Erleichterung laut aufschluchzte. Erst jetzt registrierte ich, dass es Winnetou trotz der um ihn herum tobenden und ihn umher wirbelnden Naturgewalten gelungen war, bei der Landung im Sand mit den Armen eine kleine Kuhle vor seinem Gesicht zu bilden, so dass dadurch eine Art Luftblase entstanden war, die ihn wohl bis jetzt vor dem Ersticken gerettet hatte. Doch nun galt es aber erst einmal, ihn vollends von dem Sand zu befreien und vorsichtig auf die von mir schnell bereit gelegte Satteldecke zu betten. Gerade als ich meinen geliebten Freund aus seinem Gefängnis herausheben wollte, kamen Firehand, Surehand, Entschah-koh und Emery in fliegender Hast auf mich zugeprescht, die offenbar aus der Ferne gesehen hatten, dass ich fündig geworden war. Nur ganz knapp vor uns brachten sie ihre Pferde zum Stehen, und die Wolke aus Sand und Staub, die ihnen hinterher geweht war, hüllte uns jetzt erst einmal alle vollständig ein, so dass man kaum seine Hand vor Augen sehen konnte. Das war natürlich nicht gerade förderlich für eine freie Luftzufuhr für den Apatschen, und gerade wollte ich deshalb wütend und viel heftiger als sonst lospoltern, was natürlich auch der gewaltigen Sorge um meinen Winnetou geschuldet war, doch da knieten die Freunde auch schon neben mir, mit betroffenen Gesichtern, in denen deutlich größte Sorge zu erkennen war. Beinahe schon stammelnd aufgrund ihrer Angst um den Häuptling entschuldigten sie sich wortreich bei mir, während sie zugleich damit begannen, mir bei seiner Bergung behilflich zu sein. Ich konnte sie aber vorerst zumindest mit der Tatsache dahingehend beruhigen, dass Winnetou noch Lebenszeichen von sich gab, was sie dann auch erst einmal im höchsten Grade erleichtert zur Kenntnis nahmen. Gerade als wir den Apatschen anhoben, ließen Entschah-koh und Surehand mit einem Male laute Rufe der Überraschung hören. Schnell sah ich genauer hin – und glaubte dabei zu erkennen, dass unter meinem Freund noch ein weiterer menschlicher Körper lag, auf den sich Winnetou offenbar im letzten Augenblick schützend geworfen hatte! Sogleich betteten wir Winnetou schnell, aber natürlich auf äußerst vorsichtige Weise auf die Decke, und dann begannen die anderen drei hastig, weitere Sandschichten zu entfernen, wobei sie ihre Anstrengungen sogar noch verdoppelten. Eigentlich hatte ich auch mithelfen wollen, doch sofort wurde ich fast brüsk zurückgewiesen, denn meine Begleiter wollten, dass ich mich jetzt auf jeden Fall weiter um Winnetou bemühen sollte, über dessen Zustand wir ja eigentlich noch gar nichts Genaues wussten. Also legte ich den Kopf meines Freundes so sachte wie es nur ging in meinen Schoß und begann mit einer ersten vorsichtigen Untersuchung, während Entschah-koh und die beiden Westmänner schnellstmöglich weitergruben, bis sich nach wenigen Augenblicken unsere Vermutung bestätigte – es war tatsächlich ein Mensch, offenbar einer unserer Gefährten... Noch schneller gruben sie, und dann hatten wir schließlich die traurige Gewissheit: Es war Morton Butterfield – und er war tot, da kam leider jede Hilfe zu spät! Was für ein Schlag für diese Familie, die in den letzten Wochen und Monaten durch so viele Höhen und Tiefen gegangen war! Und was waren die Jünglinge, gerade in den letzten Tagen, glücklich und voller Vorfreude auf die große Überraschung gewesen, die sie ihrer Familie daheim bereiten würden! Und nun, schon fast am Ende ihrer abenteuerlichen Reise, war ausgerechnet der Jüngste der ehemaligen Goldsucher dem manchmal wirklich grausamen Schicksal zum Opfer gefallen! Für mich stand jetzt fest: ab diesem Moment würden sich die Butterfields lieber all ihre Armut zurückwünschen, wenn ihnen dafür nur das Leben ihres Morton noch einmal neu geschenkt werden könnte! Äußerst betroffen bargen Old Surehand und Old Firehand den jungen Mann und befreiten ihn dann so gut es ging von dem Sand, der wie bei Winnetou in sämtliche Ritzen der Kleidung eingedrungen war. Entschah-koh eilte derweil wieder an meine Seite, um mir bei der Behandlung und Versorgung meines Blutsbruders zu helfen. Nach einer kurzen Untersuchung konnten wir aber nur eine blutende Wunde am Hinterkopf ausmachen, ansonsten schien mein Freund tatsächlich unversehrt zu sein. Allerdings war es uns aber auch nicht möglich, weder Knochenbrüche noch innere Blutungen ausschließen, daher handelten wir weiterhin so umsichtig wie es nur ging, um ihm ja nicht versehentlich noch mehr zu schaden. Immer noch war er ohne Bewusstsein, so dass wir auch nicht durch gezieltes Nachfragen weitere Diagnosen stellen konnten. Aber wenigstens atmete er, etwas flach zwar, aber doch recht regelmäßig, was mir zumindest die größten Ängste nahm. Die ganze Zeit über hatte Iltschi in unserer Nähe ausgeharrt und mehrere Male sogar versucht, seinen geliebten Herrn zu beschnobern, so auch jetzt wieder, und so herzergreifend ich dieses Verhalten auch fand – ich musste das Tier mit einem energischen Befehl wegschicken, um zu verhindern, dass Winnetou durch sein unruhiges Herumtänzeln immer wieder mit Sand beworfen wurde, von dem wir ihn doch gerade so mühsam zu befreien versuchten. Nun näherten sich uns aber noch drei weitere Pferde im beinahe halsbrecherischen Tempo und kamen ebenfalls erst knapp vor uns zum Stehen, so dass ich auch diesen Reitern schon beinahe entnervt eine Standpauke halten wollte – doch dann erkannte ich in einem von ihnen unseren Doktor, und der kam mir natürlich gerade recht. Er war in Begleitung von Til Lata und dem Bärenjäger gekommen. Winnetous stellvertretender Häuptling hatte nämlich trotz der großen Entfernung von der Felsspalte aus gesehen, dass ich mit den beiden Rappen hier halten geblieben und offenbar auch fündig geworden war, und aus dem Verhalten Iltschis hatte er sofort erkannt, dass es sich bei dem vor mir liegenden Mann nur um Winnetou handeln konnte. Daraufhin hatte er sich sofort den Doktor gepackt, der sich noch inmitten der Behandlung eines Leichtverletzten befand, und ihn mehr oder weniger einfach zu dessen Pferd hingeschleppt – es brauchte dann auch ein paar Schrecksekunden, bis Walter endlich begriff, was den Unterhäuptling zu seinem befremdlichen Verhalten getrieben hatte, wie er mir später lächelnd erzählte. Til Lata löste jetzt einen in weiser Voraussicht mitgebrachten Wasserschlauch von der Satteldecke seines Pferdes und trat an die Seite des Doktors, der mir schon längst das Heft aus der Hand genommen und mit der Untersuchung meines Freundes begonnen hatte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, denn vor dem Ergebnis war mir jetzt wirklich bange. Konnte Winnetou dieses Umherwirbeln und dann auch noch den Sturz aus vielleicht sogar großer Höhe wirklich ohne schwere Verletzungen überstanden haben? Und wie würde sich diese ganze Sache auf seine Krankheit auswirken? Erst jetzt begann ich mir über die möglichen Folgen Gedanken zu machen, und das Herz rutschte mir buchstäblich in die Hose. Der Bärenjäger, der Til Lata und dem Doktor übrigens nur auf Verdacht gefolgt war, als die beiden in einem fast schon wahnwitzigen Tempo in die Wüste geprescht waren, legte mir jetzt vorsichtig seine Hand auf die Schulter und drückte sie tröstend, was ich mit einem dankbaren Lächeln zur Kenntnis nahm. Ich hatte mittlerweile die Linke meines Freundes ergriffen und sandte nun mehrere Stoßgebete gen Himmel, der übrigens wieder im leuchtenden Blau erstrahlte und den Eindruck machte, als könne er niemals auch nur ein Wässerchen trüben. Auch die Luft war nach dem Abzug des Sturms wunderbar klar und angenehm, beinahe schon erfrischend geworden, so dass wir alle unbewusst immer wieder tief Atem holten und uns an der frischen Luft labten. Nachdem Hendrick meinen Freund überall abgetastet hatte, begann er nun, dessen Kopfwunde mit dem mitgebrachten Wasser auszuwaschen – und das kühle Nass hatte jetzt offenbar eine sehr belebende Wirkung auf Winnetou, denn nur Sekunden später schlug er die Augen auf! Sein Blick irrte im ersten Augenblick suchend umher, dann sah er mich, offenbar unverletzt, und ließ daraufhin einen erleichterten Seufzer hören. Auch die drei anderen wurden von ihm mit einem erfreuten Blick bedacht, der verdeutlichte, wie froh er über die Tatsache war, sie lebend wiederzusehen. Kurz schloss er wieder die Augen, doch noch bevor der Doktor ihn ansprechen konnte, hatte Winnetou sich schon aufgesetzt, so schnell, dass keiner von uns ihn daran hatte hindern können. Hendrick und ich wollten gerade aufbrausen und ihn zum Liegenbleiben auffordern, da ließ sein mahnender Blick uns wieder verstummen. Natürlich – es war Winnetou einfach zuwider, vor jemandem anderen als vor Walter und mir eine Schwäche zeigen zu müssen, und nichts auf der Welt hätte ihn jetzt noch dazu bringen können, hier weiter den Patienten zu spielen, solange er noch in der Lage war, sich selbständig zu bewegen. So sehr sich alles in mir dagegen auflehnte, ich konnte und durfte hier nicht anders handeln, als meinem Freund zu Willen zu sein, und auch der Doktor, der sich mittlerweile in Winnetou gleichermaßen hineinzudenken vermochte, hielt ihn jetzt nicht mehr auf. Mein Freund erntete zwar noch einen strengen Blick seines Unterhäuptlings, als er Anstalten machte, aufzustehen, doch als Til Lata dann auch noch seinen Unmut in Worten ausdrücken wollte, vor allem in dem Moment, als Winnetou nochmals kurz die Augen schloss, sichtlich bemüht, einen aufkommenden Schwindel zu unterdrücken, erhielt der Unterhäuptling im Gegenzug einen noch strengeren Blick, woraufhin er sich wohl oder übel fügen musste. Der Bärenjäger und ich hatten beide gleichzeitig zupacken wollen, um den Apatschen beim Aufstehen zu unterstützen, doch auch wir wurden sanft, aber bestimmt abgewehrt. Ich selbst bemühte mich, nicht zu besorgt zu klingen, als ich meinen Blutsbruder jetzt leise fragte: „Bist du sicher, dass du dir nichts gebrochen hast? Du musst weit durch die Luft geschleudert worden sein, und...“ „Winnetou ist sich sicher!“, unterbrach er mich bestimmt, während er alle Hände voll zu tun hatte, den um ihn herum tobenden und offensichtlich hocherfreuten Iltschi einigermaßen in Zaum zu halten. Meinen zweifelnden Blick bemerkend, nahm er mit einem leisen Seufzer meine Hand und führte mich ein Stück abseits, fasste mich dann bei den Schultern und drehte mich so, dass er mir tief in die Augen schauen konnte. „Winnetou kennt seinen Körper ganz genau. Er hat dir versprochen, alles zu tun, um seinen Zustand zu verbessern und im Gegenzug alles zu vermeiden, was seiner Gesundheit noch weiter schaden könnte – aber deshalb muss er sich doch nicht bei jeder kleinen Verletzung legen! Scharlih – so hab doch Vertrauen zu deinem Bruder! Er weiß genau, was er sich im Augenblick zumuten kann und was nicht!“ „Verzeih mir, mein Bruder – du hast bestimmt recht“, antwortete ich und drückte ihn leicht an mich, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, ließ Winnetou seinen Blick umherschweifen und blieb schließlich bei Surehand und Firehand haften, die sich immer noch um den leblosen Körper von Morton Butterfield bemühten. Erschrocken wandte er sich wieder mir zu. „Der Sturm hat Opfer gefordert?“, fragte er mich hastig. Ich nickte. „Wie viele?“, kam schon die nächste Frage hinterher. „Wir wissen es noch nicht genau. Zwei Soldaten sowie Frederic Butterfield werden noch vermisst, und leider auch...“ Weiter kam ich nicht, denn Winnetou hatte wieder zu unseren beiden Gefährten hinüber gesehen, und jetzt glitt der Ausdruck des Erschreckens über sein Gesicht. „Ist das dort drüben Frederic? Winnetou ist sich sicher, dass er einen der Butterfields noch ergreifen und zu Boden drücken konnte, bevor der Sturm den Sand auf uns warf!“ „Wo war das? Hier oder drüben bei der Felsspalte?“, kam meine überraschte Gegenfrage. „Natürlich dort drüben“, entgegnete mein Freund leise erstaunt, denn mein Gesicht musste nun einen recht verdutzten Ausdruck aufweisen. „Dann hat der Sturm euch beide hierher... und du hast den jungen Mann die ganze Zeit über festgehalten!“ Ich war ehrlich verblüfft. Wie war dem Apatschen das nur gelungen? Solch eine Naturgewalt entriss einem Menschen doch für gewöhnlich jegliche Kontrolle, sowohl über den eigenen Körper wie auch über den eigenen Willen! „Ich weiß es nicht sicher“, meinte dieser jetzt. „Ich weiß nur noch, dass ich das Bleichgesicht mit aller Kraft festgehalten habe, festhalten musste, da es in seiner Panik immer wieder fortlaufen wollte. Ich kann mich aber auch nicht mehr an den Aufprall hier erinnern... Ist das dort der junge Mann?“ „Ja...“, antwortete ich zögerlich, denn es tat mir nun wirklich leid, meinem Freund die traurige Wahrheit sagen zu müssen. „Ja, es ist einer der Butterfields – Morton, der Jüngste, um genau zu sein. Du hast hier wirklich dein Möglichstes gegeben, aber leider hat er es nicht geschafft. Er ist tot.“ Winnetous blickte betroffen zu Boden, während er scharf Luft holte. Am liebsten hätte ich ihn jetzt fest in meine Arme gezogen, um ihn Trost zu spenden, doch daran war in Gegenwart der anderen natürlich überhaupt nicht zu denken. Mein Freund aber hatte seinen Kopf schon wieder erhoben und erkundigte sich jetzt: „Und Frederic wird noch vermisst?“ „Ja“, antwortete ich. „Er, zwei der Soldaten und leider auch... Thomson!“ Wie ein Ruck ging es nun durch den Körper meines Freundes, es sah beinahe so aus, als wäre er von einer Kugel hinterrücks getroffen worden. „Glaubt mein Bruder, dass dieser Hund fliehen konnte?“, fragte Winnetou beinahe entsetzt. „Während dieses fürchterlichen Sturmes? Bestimmt nicht, das ist einfach nicht möglich. Und auch kurz vorher dürfte er dafür keine Chance erhalten haben, denn deine Krieger haben bis zuletzt die Übersicht behalten und auf die Gefangenen geachtet. Noch dazu waren diese gefesselt gewesen, obwohl sie natürlich schnell von den Pferden heruntergenommen worden waren, bevor der Hurrikan über uns war. Ich weiß auch nicht, ob deine Krieger noch Zeit gefunden haben, die Verbrecher wieder an den Füßen zu fesseln... Es kann daher gut sein, dass Thomson genau wie du weit in die Wüste hinausgeschleudert wurde – und wenn er das überlebt hat und nur noch an den Händen gefesselt ist...“ Den Rest des Satzes ließ ich offen, doch meine Sorge, dass uns dieser miese Verbrecher wieder entwischen könnte, war wohl deutlich herauszuhören. Winnetou war mittlerweile mit einem einzigen eleganten Satz auf seinen Rappen gesprungen und trieb mich jetzt zur Eile an. „Wir werden die Vermissten suchen, Scharlih, und nicht eher ruhen, als bis wir sie alle gefunden haben – Howgh!“ Hatte er dieses letzte Wort erst einmal ausgesprochen, war jede weitere Diskussion mit ihm sinnlos, das hatte ich schon oftmals erfahren müssen. So gern hätte ich meinen Freund jetzt daran gehindert, so gerne hätte ich ihm eine lange Ruhepause aufgezwungen, aber da war nun mal nichts mehr zu machen. Ergeben schloss ich die Augen, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als dem Davonpreschenden zu folgen und die Gefährten in unserer Nähe völlig verdutzt zurückzulassen. Auf keinen Fall wollte ich Winnetou jetzt alleine lassen – das fehlte gerade noch, dass ausgerechnet er jetzt zufällig auf Thomson traf und dabei auch noch völlig auf sich allein gestellt war! Kapitel 43: Missstimmungen -------------------------- Beinahe hatte ich Mühe, meinem Blutsbruder zu folgen, solch ein halsbrecherisches Tempo hatte dieser jetzt eingeschlagen auf der Suche nach den Vermissten. Er wusste natürlich ebenso gut wie ich, dass sich mit jeder Minute, die verstrich, die Überlebenschancen unserer Gefährten dramatisch verringerten und sie dem Erstickungstod näher kamen – sofern sie überhaupt vom Sand verschüttet worden waren. Es hätte übrigens rein gar nichts gebracht, wenn ich auf eigene Faust losgezogen wäre, da ich auch nicht im Entferntesten wusste, wo ich eigentlich hätte suchen sollen. Die Landschaft hier war nämlich überall gleich wellig, sandig, teils mit dornigem, ausgedörrtem Buschwerk besetzt und wies nirgendwo große Unterschiede auf. Wo also suchen? Und hier zeigte sich wieder einmal die große Verbundenheit des Apatschen zu seiner Heimaterde und der Natur. Zielsicher stürmte er auf einige bestimmte Stellen zu, an denen sich tatsächlich dann auch immer große und frisch aufgehäufte Sandberge fanden. Dort sprang er ab und begann an wenigen und offenbar nur für ihn sinnvoll erscheinenden Orten zu suchen und zu graben. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, nach welchen Kriterien er dabei vorging, denn wenn ich ihm zu Hilfe kommen und dabei aber an einem anderen Flecken, nur wenige Meter entfernt, zu suchen begann, schüttelte er nur den Kopf und gab mir zu verstehen, dass es an diesem Platz keinen Sinn machte. Auch hätte ich mich viel länger an den einzelnen Stellen aufgehalten und gegraben – Winnetou aber brach seine Suche jedes Mal nach nur wenigen Minuten ab, saß wieder auf und preschte erneut zielgerichtet in die Wüste hinein, nachdem er zuvor einen kurzen Blick zurück zur Felsspalte geworfen hatte, an der sich all unsere Gefährten befanden. Offenbar berechnete er dadurch mögliche Wege, die die einzelnen Sturmböen genommen haben könnten, und das Ergebnis gab ihm auch jedes Mal recht: Überall, wo er hin ritt, fanden sich frisch aufgetürmte Sandhaufen. Der vierte Versuch war dann schließlich von Erfolg gekrönt, allerdings von einem äußerst traurigen: Mein Freund legte binnen weniger Sekunden den Leichnam einer der Soldaten frei. Erschrocken sahen wir uns an: Wenn hier schon jede Hilfe zu spät kam – wie viel Hoffnung bestand denn dann noch für die anderen Vermissten? Doch Aufgeben kam natürlich überhaupt nicht in Frage, also prägten wir uns die Stelle genau ein, um später in der Lage zu sein, sie wiederzufinden und den Toten zu bergen, denn dafür war jetzt absolut gar keine Zeit. Weiter ging es, und schon an der nächsten Stelle wurden wir wieder fündig. Dieses Mal brauchten wir nicht zu graben, denn der Sturm hatte den Mann, den wir dort liegen sahen, wohl ziemlich zum Schluss durch die Gegend gewirbelt, so dass ihn nur noch eine hauchdünne Sandschicht bedeckte – zu mehr hatte es nicht mehr gereicht, weil dem Hurrikan danach die Luft ausgegangen war. Schon waren wir an der Seite des Opfers, entfernten so schnell es ging den Sand aus dessen Gesicht und erkannten schließlich zu unserem großen Schrecken – Frederic Butterfield! Offenbar hatte es ihn ziemlich schwer erwischt, denn er schwamm beinahe in seinem eigenen Blut, während einige seiner Gliedmaßen in einem teils abstrakten Winkel vom Körper ab standen. Schnell kniete Winnetou neben ihm und unterzog den jungen Mann einer kurzen Untersuchung. Seine Stimme klang gehetzt, als er mir schließlich mitteilte: „Das Bleichgesicht wird verbluten, wenn wir nicht sofort handeln! Mein Bruder mag mir helfen!“ Er wies mich an, das rechte Bein des Jünglings anzuheben, woraufhin deutlich zu erkennen war, dass der Unterschenkel gleich mehrfach gebrochen war und einige Knochensplitter nicht nur die Haut, sondern wohl auch größere Blutgefäße durchstoßen hatten, so dass Frederic jetzt Unmengen Blut verlor. Auch der linke Arm war offenbar gebrochen, allerdings schien dieser Bruch im Augenblick nicht für solch große Probleme zu sorgen. Als Winnetou dem Verletzten das Hemd vom Körper riss und in mehrere Streifen zerfetzte, war nicht zu übersehen, dass der Oberkörper ebenfalls von Blutergüssen und kleineren Verletzungen übersät war, genauso wie der Kopf, und ich war mir sicher, dass auch der Rest des Körpers ähnlich aussah. Der Mann befand sich in einem wirklich erbärmlichen Zustand, was wohl darauf zurückzuführen war, dass er der Naturgewalt hilflos ausgeliefert gewesen sein musste – offenbar war er dabei mehrfach durch die Luft geschleudert und dann wieder zu Boden geworfen worden. Gerade die Unterschenkelverletzungen boten einen Anblick, die wirklich nichts für schwache Nerven war, und ich konnte mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass er diese schweren Verwundungen hier in der Wildnis überleben würde können. Winnetou hatte mittlerweile begonnen, das Bein des jungen Mannes abzubinden, um die schlimmsten Blutungen zu stoppen. Als das geschehen war, widmete er sich ausgiebig den weiteren Verletzungen, und ich half ihm dabei, so gut ich nur konnte. Aus dem ringsherum spärlich wachsendem und teils verkrüppelten Strauchwerk bastelten wir eine provisorische Schiene, und als mein Freund dann den mehrfachen Unterschenkelbruch soweit richtete, dass zumindest eine geringe Chance bestand, dass dieser wieder einigermaßen gerade zusammenwachsen würde, war ich für Frederic einfach nur froh, dass dieser in tiefer Bewusstlosigkeit lag – die daraus entstandenen Schmerzen hätten ihn wahrscheinlich sonst halb in den Wahnsinn getrieben! Und nun bekamen wir auch endlich Verstärkung. Ein großer Trupp aus Soldaten, Westmännern und Apatschen hatte sich in Bewegung gesetzt und war unseren Spuren gefolgt, so dass nun die Möglichkeit bestand, den Verletzten auf eine sanfte und vorsichtige Weise zu unserem provisorischen Lager an der Felsspalte am Rande des Llano zu transportieren. Während Winnetou mit Hilfe einiger seiner in der indianischen Heilkunst ebenfalls bewanderten Mescaleros alles dafür tat, dass der junge Butterfield diesen Transport auch lebend überstehen würde, fertigten die anderen Krieger in Windeseile aus dem krüppeligen Gesträuch zwei Travois an, welche zwischen zwei Pferde befestigt werden konnten. Ich nutzte währenddessen die Zeit, um die Soldaten zu der Stelle zu führen, an der wir ihren toten Kameraden gefunden hatten. Die Leiche wurde nun von ihnen ebenfalls für den Transport vorbereitet und sollte anschließend auf dem zweiten Travois befestigt werden. Nachdem Winnetou sein Möglichstes getan hatte, um Frederic vorerst das Leben zu erhalten, konnte er ihn nun beruhigt der Obhut seiner Krieger übergeben, denn uns lief langsam wirklich die Zeit davon. Der Tag neigte sich jetzt rasch dem Ende zu, und noch hatten wir weder den zweiten Soldaten noch den Verbrecher Thomson gefunden – und dass mir das Auffinden desselben, egal ob tot oder lebendig, besonders am Herzen lag, konnte man sich wohl denken! Es gab einfach niemanden, der besser für diese komplizierte Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen geeignet war als Winnetou. Er besaß die einzigartige Gabe, die Natur so zu verstehen, dass er den Weg des Tornados förmlich vor sich sehen konnte – es schien beinahe so, als hielte er Zwiesprache mit den Elementen, mit dem Wind, mit der sonnenverbrannten Erde, wenn er zwischendurch immer mal wieder völlig unbeweglich und mit geschlossenen Augen, wie in Stein gemeißelt, im Sattel saß, während Iltschi starr wie eine Statue dieses Bild abrundete. Die lange, blauschwarze Mähne meines Freundes, in der sich der Wind immer wieder verfing, war dabei das Einzige, was davon zeugte, dass dieses Bild tatsächlich lebte, abgesehen von seinen sich manchmal bewegenden Nasenflügeln, wobei er dann fast den Eindruck machte, als würde er etwas wittern. Doch es war alles umsonst. Wir suchten bis weit in die Abenddämmerung hinein, bis wir fast die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnten, aber ohne Erfolg. Beide Männer blieben verschwunden, und es war nicht auszuschließen, dass der Sturm sie so weit in die Wüste hinausgetragen hatte, dass wir tagelang nach ihnen suchen konnten und doch nichts fanden. Die Gefährten hingegen waren schon längst mit dem Verletzten und dem Toten in das sichere Lager zurückgekehrt, denn nachts verändert die Wüste ihr Aussehen vollständig, so dass jeder, der dann noch auf unbekanntem Terrain dort unterwegs ist, kaum noch eine Chance hat, den Weg zurückzufinden. Nicht so Winnetou. Mit traumwandlerischer Sicherheit führte er uns zurück zu unserer Reisegruppe, wobei ich ehrlich zugeben muss, dass wir diesen Weg beinahe schon resigniert zurücklegten. Natürlich machten wir uns große Sorgen um den Soldaten, der, wenn er denn überhaupt noch lebte, eine bitterkalte Wüstennacht wohl kaum überstehen würde, aber vor allem das spurlose Verschwinden Thomsons gab uns wirklich zu denken – mir wahrscheinlich noch viel mehr als Winnetou selber, von dem ich mehr und mehr den Eindruck gewonnen hatte, dass ihm an einer kaltblütigen Rache an diesem Widerling eigentlich gar nichts mehr lag, trotz des Leides und der fürchterlichen Qualen, die er durch den Schurken hatte ertragen müssen. Nein – mein Freund hätte sich bestimmt damit begnügt, den Dreckskerl einfach nur tot zu sehen, und auch das weniger als Genugtuung für sich, sondern eher noch aus der Verantwortung für dessen zukünftige Opfer heraus. Doch es half alles nichts – für heute konnten wir einfach nichts mehr tun. Als wir im Lager ankamen, das heute aus verständlichen Gründen an der eigentlich nicht sonderlich dafür geeigneten Felsspalte aufgeschlagen worden war, wurden wir schon sehnsüchtig erwartet, denn aufgrund der rasch hereingebrochenen Dunkelheit hatte man allmählich begonnen, sich Sorgen zu machen. Winnetou gönnte sich allerdings auch jetzt keine Pause, sondern eilte sofort zu dem schwerverletzten Frederic, der ja noch lange nicht über den Berg war. Um den jungen Mann herum standen oder saßen die restlichen Butterfields, alle völlig geschockt und wie gelähmt von den schrecklichen Ereignissen der letzten Stunden. Ein Familienmitglied tot, das andere durch schwere Verletzungen versehrt, und dann noch die Ungewissheit, ob diese überhaupt überlebt werden und jemals wieder vollständig heilen konnten! Was für ein fürchterlicher Tag für die jungen Männer; was für eine schreckliche Ausbeute ihrer Goldsuche! Der Doktor hatte sich indessen mit Hilfe einiger Apatschen sowie mehrerer Westmänner zwischen ihnen etwas Platz geschaffen und bemühte sich seitdem aufopferungsvoll um den Jüngling, wobei er von Entschah-koh tatkräftig unterstützt wurde. Als Winnetou sich dazugesellte, verbrachten die beiden die nächste Stunde damit, den zertrümmerten Unterschenkel Frederics so gut zu richten und zu versorgen, dass die Blutungen dort völlig gestillt werden konnten und der junge Mann tatsächlich die größtmögliche Chance bekam, sein Bein in ferner Zukunft bis auf einige kleinere Einschränkungen in beinahe normaler Weise wieder nutzen zu können. Walter Hendrick gab später unumwunden zu, dass er dieses kleine medizinische Wunder selbst wohl niemals so hinbekommen hätte, und er schwärmte danach noch lange Zeit von den unglaublichen Heilkünsten des Apatschenhäuptlings. Aber auch danach konnte ich meinen Blutsbruder noch nicht zu einer Pause überreden. Im Gegenteil, er gab nicht eher Ruhe, als bis auch das letzte Opfer des Sturms von ihm begutachtet worden war, und nicht selten legte er hier und da nochmal Hand an oder wechselte ganze Verbände, und jede seiner Maßnahmen trug zu einer Verbesserung oder einer Erleichterung des Zustandes seiner Patienten bei. Dabei ließ er auch den Doktor nicht aus, dessen Schnittwunde am Arm gleichsam von ihm versorgt wurde, obwohl Walter sich mehrmals dagegen zu wehren versuchte. Immerhin war Winnetou ja ebenfalls verwundet und bedurfte eigentlich einer Behandlung, doch gegen dessen unerbittlichen Willen hatte Hendrick einfach keine Chance. Selbst Sam Hawkens kam um eine Versorgung durch meinen Freund nicht herum. Er hatte während des tosenden Orkans versucht, sich hinter seinem Maultier in Sicherheit zu bringen. Leider war das Tier dann wohl in Panik geraten und hatte im Liegen mehrmals mit den Hufen ausgeschlagen, wodurch Sam einmal mit voller Wucht am Kopf getroffen worden war. Dadurch hatte er für längere Zeit das Bewusstsein verloren; und auch jetzt saß der kauzige Westmann immer noch etwas benommen am Boden und war sichtlich froh über die Linderung, die Winnetous Behandlung mit sich brachte. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, mit dem Apatschen ein wenig zu schimpfen, da dieser schließlich auch am Kopf verletzt worden war, sich aber immer noch keinen Deut darum scherte. Natürlich hatte sich mein Freund zu Anfang als erstes um die anderen beiden Schwerverletzten gekümmert – hier hatte es einerseits noch ein Mitglied unserer militärischen Begleitung getroffen, einen Soldaten mit einem gebrochen Arm sowie einer ausgerenkten Schulter, und andererseits einen Krieger der Apatschen, der ebenfalls aufgrund eines Huftrittes eines Pferdes mit einer gebrochenen Hüfte zu kämpfen hatte. Beide Verletzten mussten sich jetzt noch einmal einer aufwändigen Behandlung unterziehen, die bis weit in den Abend hinein dauerte; und danach ließ es sich mein Freund nicht nehmen, für jeden der Leichtverletzten das Höchstmaß seiner indianischen Heilkunst aufzubringen. Ich begleitete ihn dabei die ganze Zeit über, half, wo ich konnte, und wurde von Mal zu Mal unruhiger und ungeduldiger. Hatte mein Freund vergessen, dass er selbst verletzt worden war? Hatte er vergessen, dass ein Feind in seinem Körper lauerte, der keine großen Anstrengungen duldete und auch nicht die geringste Überforderung desselben verzieh? Zuerst versuchte ich durch mahnende Blicke oder kaum wahrnehmbare Gesten, Winnetou an seine Fürsorgepflicht für sich selbst zu erinnern. Als das nichts fruchtete, warf ich zwischendurch immer wieder kleine Bemerkungen ein, die alle in diese Richtung zielten, aber für die Gefährten nicht zu durchschauen waren. Doch auch hier hatte ich keinen Erfolg, und somit zog ich ihn jetzt nach jeder erfolgreichen Behandlung kurz zur Seite und bemühte mich, ihn von der Notwendigkeit einer Pause zu überzeugen, mittlerweile mit der energischen Unterstützung durch unseren Doktor. Hendrick hatte Winnetou natürlich bei jeder Behandlung begleitet und geholfen, und auch er war jetzt zu der Ansicht gelangt, dass mein Freund mehr als genug getan hatte. Dieser ließ sich aber weiterhin nicht beirren, doch als er nach der Versorgung des letzten Verwundeten nochmals zu Frederic Butterfield zurückkehren wollte, beim Aufstehen aber minimal und von den anderen unbemerkt zu taumeln begann, da hatte ich endgültig genug. Ich packte seinen Arm und zog ihn fast schon heftig ein ganzes Stück zur Seite, in die Dunkelheit hinein, so dass uns die Gefährten nicht mehr sehen konnten. „Winnetou, es reicht jetzt!“, fuhr ich ihn völlig unbeherrscht an. „Du hast hier heute Abend wahrlich dein Möglichstes getan, aber wenn du dich jetzt nicht endlich selbst schonst, dann hat unser Doktor bald einen Patienten mehr – und der würde uns mit Sicherheit die größten Sorgen machen!“ „Scharlih...“, begann mein Freund mit einer Mischung aus leisem Erstaunen und – war das tatsächlich möglich? - einer langsam aufkommenden, wenn auch noch minimalen Gereiztheit. „Winnetou will ja nur helfen – er überfordert sich doch nicht...“ „Und ob du das tust!“, fiel ich ihm fast wütend ins Wort. „Du bist heute selbst verletzt worden, und wir hatten überhaupt noch keine Gelegenheit, uns darum zu kümmern! Zudem warst du auch noch lange bewusstlos, und ich möchte eigentlich gar nicht wissen, was dieses Herumschleudern in der Luft noch alles mit deinem Körper angestellt hat! Dazu kommt die endlose Suche nach den Vermissten, und nun dieser stundenlange Behandlungsmarathon – du hast dir währenddessen auch nicht das kleinste bisschen Ruhe gegönnt, hast nichts gegessen und, noch schlimmer, überhaupt nichts getrunken, trotz der Hitze und der großen Anstrengungen! Es ist jetzt wirklich...“ „Mein Bruder – so hör doch...“, unterbrach er mich jetzt fast hilflos, doch ich hatte mich nun mal endgültig in Rage geredet und war durch nichts mehr zu beruhigen. „Nein! Es ist jetzt wirklich genug! Ich will einfach nicht mehr nur tatenlos zusehen müssen, wie du dich...“ Erschrocken bemerkte ich jetzt seine mit einem Mal verzagte, beinahe schon verschreckte Miene, und sofort war meine Wut wie weggeblasen. Im Gegenteil – mein Herz wurde in diesem Augenblick mit solch einem immensen Gefühl der tiefsten Liebe zu meinem Blutsbruder überflutet, dass ich ihn am liebsten ganz fest in meine Arme gezogen und nie wieder losgelassen hätte. „Bitte... verzeih mir meine Unbeherrschtheit, mein Freund – ich wollte dich auf keinen Fall so anfahren... doch ich bin in großer Sorge um dich!“, versuchte ich meinen Wutausbruch zu rechtfertigen, jetzt aber im sanftesten Flüsterton. „Ich will dich einfach nicht verlieren – du bist doch alles für mich!“ Im fahlen Mondlicht konnte ich es in seinen Augen feucht schimmern sehen, als er meine Hände ergriff. „Aber mein Bruder vertraut mir nicht...“ sagte er leise. Seine beinahe resigniert klingende Stimme, das Glitzern in seinen Augen und zusätzlich noch der für mich deutlich herauszuhörende Vorwurf trafen mich jetzt bis ins Mark. Sprachlos, ja, fast schon erschüttert starrte ich ihn an – was sollte ich darauf nur erwidern? Ich musste in diesem Augenblick wohl einen äußerst hilflosen und wahrhaft zerknirschten Eindruck auf meinen geliebten Freund gemacht haben, denn sein Gesichtsausdruck wurde mit einem Mal ganz weich, und dann fasste er mich bei den Schultern und zog mich in eine heftige Umarmung hinein, die ich beinahe noch heftiger erwiderte – man konnte es schon fast eine Umklammerung nennen, denn ich presste ihn so stark an meine Brust, als wäre ich ein Ertrinkender, der seinen Rettungsanker nie wieder loslassen wollte. Glücklicherweise war es hier hinten so dunkel, dass uns die Gefährten nicht sehen konnten – hoffte ich zumindest! Mir war die Kehle eng geworden, so dass ich ihm nur heiser ins Ohr flüstern konnte: „Natürlich vertraue ich dir, mein Bruder! Niemals könnte und würde ich dein Urteilsvermögen anzweifeln, aber...“ „... aber dennoch folgst du deinem Winnetou auf Schritt und Tritt und wachst über all seine Bewegungen“, unterbrach er mich mit einem deutlich herauszuhörenden Lächeln in der Stimme. „Ich kann doch gar nicht anders!“, brach es aus mir heraus, wobei ich ihn an die Schultern fasste und ein Stück von mir wegschob, so dass ich ihm ins Gesicht schauen konnte. „Mittlerweile kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du deinen Körper im Augenblick einfach überschätzt – oder die Krankheit vielleicht sogar nicht ernst genug nimmst! Und wenn dem nicht so ist, dann bleibt nur die Möglichkeit, dass dein Wille, anderen zu helfen, im Moment stärker ist als der, auf deine Gesundheit zu achten!“ Mein Freund erwiderte nichts darauf, sah mich nur aus seinen so tiefgründigen, dunklen Augen an, in denen sich die Sterne widerspiegelten – Diamanten gleich, und ich war mir nicht sicher, ob dieses Glitzern nur dem Widerschein der Gestirne geschuldet war. Nochmals versuchte ich mich zu erklären: „Ich habe solche Sorge um dich... ich muss dich doch zurückhalten, wenn du dich selbst zu sehr forderst... und ich... was würdest du denn an meiner Stelle tun?“ Ein zaghaftes Lächeln glitt über Winnetous schönes Antlitz, und dann antwortete er leise: „Dich zurückhalten...“ Ich konnte nicht verhindern, dass sich mir jetzt ein breites Grinsen ins Gesicht stahl, und mit einem nur halb unterdrückten Glucksen in der Stimme ergänzte ich: „Und ich an deiner Stelle... nun ja, ich würde mich wahrscheinlich auch nur ungern zurückhalten lassen...“ Sein feines Lächeln wurde noch ein wenig breiter, und rasch senkte er den Kopf, um seiner Belustigung schnell wieder Herr zu werden, währenddessen er meine Hände ergriff und sie kurz drückte. Doch das genügte mir nicht. Sein ganzes Wesen wirkte im Augenblick beinahe hilflos, schien sich unwillkürlich nach einem Beschützer zu sehnen; seine latent vorhandene Melancholie samt dieser leisen Wehmut traten jetzt viel deutlicher hervor, gepaart mit einem ebenso unsinnigen wie unnötigen Schuldbewusstsein mir gegenüber... Außerdem war da ja weiterhin seine immer noch sichtbare körperliche Schwäche, die sich in seinem durchscheinenden und grazilen Äußeren zeigte – das alles rührte mich zutiefst, und jetzt konnte ich einfach nicht mehr an mich halten. Ich riss ihn wieder in meine Arme, presste ihn an mich und hätte ihn jetzt am liebsten mit Zärtlichkeiten nur so überschüttet, doch mit all den Gefährten in der Nähe war da ja nun gar nicht dran zu denken. Mein Herz flutete über vor Liebe zu diesem Mann, und in diesem Moment hätte ich alles dafür gegeben, wenn ich mit ihm alleine gewesen wäre! Eine wunderbar kleine Ewigkeit lang lagen wir uns so in den Armen, hielten uns eng umschlungen, unfähig, den anderen loszulassen. Doch irgendwann hörten wir in unserer Nähe ein verhaltenes Räuspern, so dass wir uns dann doch schnell von einander lösten. Es war der Doktor, der nun aus dem Halbdunkel neben uns auftauchte. Zuerst sagte er kein Wort, sondern musterte Winnetou nur, erst etwas scheu, dann aber mit zunehmend strengerer Miene. Schließlich fasste er sich ein Herz, straffte sich und begann: „Du hast heute Abend wirklich Großartiges geleistet, Winnetou – aber nun ist es genug! Wir waren uns doch einig: Keine Überanstrengungen! Und davon gab es heute wohl mehr als genug, oder meinst du nicht auch? Charlie macht sich zu Recht große Sorgen, und auch ich...“ „Winnetou wird sich sofort zur Ruhe legen“, unterbrach mein Freund den Arzt, bevor dessen Strafrede in eine endlose Litanei ausarten konnte, und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. Aber seine Stimme klang nun doch recht müde, und auch seine Bewegungen wirkten mit einem Mal so, als ob er Zentnerlasten mit sich herumschleppen müsste. Nicht nur mir fiel das jetzt auf, auch Walter besah sich Winnetou nun noch etwas genauer. Als er sich daraufhin zu mir umdrehte, brauchten wir nur einen einzigen besorgten Blick tauschen, um uns über die weiteren Maßnahmen einig zu sein. Ich legte meine Hand leicht auf den Rücken des Apatschen und übte nur so viel Druck aus, wie es nötig war, um ihn dazu zu bringen, sich in Bewegung zu setzen und uns zurück zu dem provisorischen Lager hin zu folgen. Doch noch bevor ich ihn zu unseren Rappen führen konnte, in deren Nähe ich am Abend zwischendurch unsere Decken schon einmal in einer kleinen Nische hinter einigen größeren Felsen ausgebreitet hatte, blieb Winnetou wieder stehen. Sein Blick irrte suchend über das Lager, in dem sich mittlerweile die meisten unserer Gefährten schon zur Ruhe begeben hatten, dann wandte er sich an den Doktor. „Winnetou möchte sich lieber noch einmal das junge Bleichgesicht namens Frederic ansehen...“, doch sofort wurde er wieder unterbrochen, und zwar von Walter und mir gleichzeitig. „Nein! Bitte, Winnetou, ich glaube nicht, dass...“ Doch Hendrick fiel auch mir direkt ins Wort: „Das ist wirklich nicht nötig, mein Junge! Ich war vorhin selbst noch bei ihm... er schläft, und im Augenblick geht es ihm soweit recht gut. Wir können da jetzt wirklich nicht mehr tun – und nun bist du an der Reihe! Du bist erschöpft, das ist deutlich zu sehen, und es wird höchste Zeit, dass du dich endlich hinlegst!“ Sein Tonfall war zum Schluss seiner Rede so streng geworden, dass meinem Freund jetzt gar nichts anderes übrig blieb, als ergeben den Kopf zu senken und Walter ohne jeden weiteren Widerspruch zu folgen. Innerlich atmete ich erleichtert auf, als er sich kurz darauf endlich legte. Seine Kopfwunde war von Walter natürlich nicht vergessen worden, und um Winnetou das lange Sitzen während der Versorgung derselben zu ersparen, sorgte ich jetzt dafür, dass er mit dem Kopf auf meinem Schoß so zu liegen kam, dass Walter ohne Probleme die kleine, aber recht tiefe Platzwunde behandeln konnte – und mein Freund ließ dieses zum Glück auch ohne Widerstand zu. Wie sehr dieser Tag Winnetou dann letztendlich doch erschöpft hatte, konnte man nun daran sehen, dass er tatsächlich noch während der Wundversorgung einschlief! Walter und ich lächelten uns an, als wir es bemerkten, und während der Doktor seine Behandlung so sanft wie möglich fortsetzte, griff ich nach meiner Decke und zog sie vorsichtig über den Körper meines Freundes. In dieser Nacht fand ich so gut wie keinen Schlaf. Einerseits ging mir das Schicksal der Butterfields nicht mehr aus dem Kopf – es war wirklich schrecklich anzusehen, wie sehr Winnetou mit seiner Bezeichnung „tödlicher Staub“, mit der er das Gold regelmäßig betitelte, mal wieder Recht gehabt hatte. Andererseits kam ich erst jetzt dazu, den furchtbaren Sturm mit seinen teils verheerenden Folgen für mich Revue passieren zu lassen und dabei auch irgendwie zu verarbeiten, und das fiel mir wirklich nicht leicht. Im Nachhinein befand ich aber, dass wir trotz der Schicksalsschläge doch noch sehr viel Glück im Unglück gehabt gehabt hatten – wenn Winnetou nicht die Felsspalte entdeckt hätte, dann wären mit Sicherheit noch viel mehr Opfer zu beklagen gewesen. Und dass bei dieser unfassbaren Kraft, die der Hurrikan entwickelt hatte, nicht noch mehr Menschen einfach weggeweht worden waren, konnte man tatsächlich als ein wahres Wunder bezeichnen. Die größten Sorgen aber machte ich mir natürlich um meinen geliebten Freund. Der heutige Tag hatte seiner Genesung wahrhaftig nicht gedient, es war wohl eher das Gegenteil der Fall. Zwar schlief er im Augenblick ruhig in meinen Armen, aber in mir machte sich immer mehr ein Gefühl der Unruhe bemerkbar – und gegen Morgen glaubte ich auch den Grund dafür zu erkennen. Als ich dann zum wiederholten Male die Stirn des Apatschen befühlte, war ich mir sicher, dass er zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder von einem Fieber heimgesucht wurde. Sofort weckte ich den Doktor, der neben uns schlief, bei meinen leise geflüsterten Worten aber sogleich aufsprang und Winnetou einer kurzen Untersuchung unterzog. Seufzend bestätigte er kurz darauf meinen Verdacht – und somit war klar: an eine Weiterreise war heute nicht mehr zu denken! Doch als wenig später die Sonne unser provisorisches Lager in ein strahlendes, rotgoldenes Licht tauchte, wurde uns allen bewusst, dass auch so ein erneuter Aufbruch nicht möglich gewesen wäre. Die meisten der Verwundeten benötigten noch mindestens einen Tag Ruhe, und die drei Schwerverletzten – allen voran natürlich Frederic Butterfield – waren noch gar nicht transportfähig. Das war natürlich so gar nicht in unserem Sinne, hatten wir uns doch vorgenommen, so schnell wie möglich wieder aus dem Gefahrenbereich des Llano und vor allem des in unmittelbarer Nähe liegenden Grenzgebietes der Comanchen herauszukommen. Nun hieß es natürlich doppelt und dreifach wachsam sein. Unser Lager war zudem in keinster Weise dazu geeignet, Angriffe schnell und erfolgreich abzuwehren, allein schon aufgrund der landschaftlichen Verhältnisse – und wie schnell konnte es dann auch wieder zu einem neuerlichen Sturm kommen, wie schnell konnte sich der gestrige Horror nochmals wiederholen! Andererseits kam uns diese Zwangspause auch ganz gelegen, denn so konnten wir die Suche nach den Vermissten doch noch mindestens einen Tag lang fortsetzen, wobei wir dieses Mal aber auf die unvergleichlichen Kenntnisse von Winnetou verzichten mussten. Dieser lag den ganzen Tag über im Fieber, welches wir glücklicherweise durch seine eigenen Heilpflanzen, die wir auf der Reise in einem ausreichend großen Vorrat mitgeführt hatten, soweit absenken konnten, dass es gar nicht erst zu den gefürchteten Fieberkrämpfen kam. Trotzdem war er fast die ganze Zeit über nicht ansprechbar, so dass ich es nicht übers Herz brachte, ihn auch nur für wenige Augenblicke alleine zu lassen. Ich überließ die Führung des Lagers daher Old Firehand sowie Winnetous stellvertretenden Häuptlingen, wobei wir uns jedoch zusammen mit den anderen Westmännern kurz vorher nochmals besprachen. Es wurde beschlossen, dass ein Teil der Apatschen unter der Leitung Entschah-kohs die Suche in der Wüste fortsetzen sollten, denn Winnetous Stammesgenossen war es am ehesten zuzutrauen, hier erfolgreich zu sein, verfügten sie doch über fast ebensolche Fähigkeiten wie mein Freund, wenn auch im deutlich geringeren Maße. Im Gegensatz zu uns Weißen hatten sie jedoch deutlich größere Chancen, zumindest einen der Vermissten zu finden, wenngleich zu befürchten war, dass es dann nur noch Tote zu bergen geben würde. Die restlichen Apatschen bildeten, wie schon des öfteren geschehen, mit den Westmännern gemischte Trupps, wobei die einen weit ausgedehnte Erkundungsritte unternahmen, um die Sicherheit des Lagers zu gewährleisten und eventuelle Gefahren durch umherstreifende Comanchen rechtzeitig zu erkennen, die anderen hingegen in die Richtung aufbrachen, aus der wir gekommen waren, um zu jagen. Hier in dieser öden Gegend hätte man damit niemals Erfolg gehabt, aber da die einzelnen Reiter in der Lage waren, viel schneller eine große Entfernung zu überwinden als wir vorher mit unserem ganzen Zug, konnten sie auch eine deutlich größere Strecke zurücklegen, so dass sie im Laufe des Tages ein Gebiet erreichen sollten, in dem sich eine Jagd auch lohnen würde. Dadurch stand natürlich zu erwarten, dass diese Männer erst am nächsten Tag wieder zu uns stoßen würden, was aber kein Nachteil sein würde, denn so wie die Verhältnisse lagen, würden wir noch mindestens zwei volle Tage hier rasten müssen. Til Lata, der im Lager geblieben und hier das Kommando übernommen hatte, hatte daher Boten zum Pueblo der Mescaleros gesandt, um einerseits unsere Verspätung zu melden und andererseits einen weiteren großen Trupp Krieger zu mobilisieren, die uns entgegen reiten sollten, um auf diese Weise jegliche Gefahr eines Zusammenstoßes mit den Comanchen von vornherein im Keim zu ersticken. Den Soldaten wurde die Aufgabe übertragen, die unmittelbare Umgebung des Lagers abzusichern, natürlich unter der Anleitung der leichtverletzten Apatschen und Westmänner. Einige Mescaleros, die sich in der indianischen Heilkunde gut auskannten, waren ebenfalls daheimgeblieben, um unseren Doktor zu unterstützen, der den ganzen Tag damit zubrachte, die Schwerverletzten zu versorgen und vor allem Frederic Butterfield am Leben zu halten. Da er sich von Winnetous großem Erfahrungsschatz mittlerweile so einiges angeeignet hatte und zudem auch noch von den Apatschen unterstützt wurde, konnte er am Ende des Tages mit großer Zuversicht behaupten, dass der junge Butterfield jetzt endgültig außer Lebensgefahr war und er in einiger Zeit wohl auch wieder sein altes Leben aufnehmen können würde, wenn auch dieses wahrscheinlich verbunden sein würde mit einer dauerhaften Einschränkung der Beweglichkeit seines rechten Beines. Schon am gestrigen Abend hatten wir Winnetou etwas von dem Rest unserer Reisegruppe abgeschirmt, um ihn nicht den neugierigen Blicken der Soldaten auszusetzen, und in unserer unmittelbaren Nähe hatten sich zudem einige weitere Apatschen postiert, die ausschließlich für seine Sicherheit sorgen sollten und nur zu diesem Zweck ebenfalls im Lager geblieben waren. Immerhin konnte niemand von uns mit Gewissheit sagen, wo der Verbrecher namens Thomson wirklich abgeblieben war – natürlich war die Wahrscheinlichkeit mehr als groß, dass der Kerl irgendwo weit draußen in der Wüste unter Unmengen von Sand begraben lag und ihn in der Zwischenzeit wohl das Zeitliche gesegnet hatte... aber wer konnte das schon so genau wissen? Und bevor wir nicht den endgültigen Beweis seines Ablebens finden würden – am besten natürlich in Form seiner Leiche – wollten wir weiterhin die größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen aufrecht erhalten lassen, um Winnetou auf keinen Fall durch irgendeine Nachlässigkeit zu gefährden. Sollte dieser Wahnsinnige nämlich tatsächlich noch leben, war es ihm durchaus zuzutrauen, dass er alles daransetzen würde, um sich irgendwie an meinem Freund zu rächen. Thomson hatte in den letzten Wochen natürlich deutlich mitbekommen, dass dieser im Augenblick noch lange nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war, und von daher war der Zeitpunkt einer Rache für ihn gerade jetzt besonders günstig. Und dass er sich rächen wollte, darüber hatte er uns in den letzten Tagen oft genug in Kenntnis gesetzt, ob wir es nun hören wollten oder auch nicht. Gerade nach Winnetous Meisterschuss, dessen Pfeilwunde dem Kerl bis jetzt höllische Schmerzen bereitet hatte, waren seine Racheschwüre dem Apatschen gegenüber unüberhörbar gewesen, wenn er sich nicht gerade in lautes Schmerzensgeheul ergangen hatte – oder genau deswegen von seinen Bewachern geknebelt worden war! Ich hingegen hielt mich den ganzen Tag über selbstverständlich nur bei meinem geliebten Freund auf, bewachte seinen Schlaf, flößte ihm immer wieder etwas von dem fiebersenkenden Heiltee ein, wusch sein von der Kopfwunde blutdurchtränktes Haar aus, sorgte dafür, dass er stets bequem lag – und nahm selbst zwischendurch öfter mal eine Mütze voll Schlaf, da meine letzte Nachtruhe nun mal nur sehr kurz bis gar nicht vorhanden gewesen war. So oft es ihm möglich war, leistete Walter mir Gesellschaft, vor allem auch deshalb, weil er einigermaßen beunruhigt war über die nun wieder vermehrt auftretenden Rhythmusstörungen, die den Apatschen seit der Nacht heimsuchten und schnell wieder bekämpft werden mussten, bevor es für ihn zu gefährlich wurde. Am späten Abend dann schlug Winnetou endlich die Augen auf und sah mich erstmals wieder mit einem klaren und unverschleierten Blick an, an dem ich erkennen konnte, dass er in diesem Moment auch wieder ganz bei Sinnen war. Ich lächelte ihm zu und war gerade im Begriff, nach dem Becher mit dem Tee zu langen, als sein niedergeschlagener Blick mich sofort wieder innehalten ließ. Zärtlich legte ich ihm meine Hand auf seine Wange und fragte leise: „Geht es dir nicht gut, mein Bruder?“ „Winnetou hat sich geirrt“, flüsterte er. „Wie meinst du das?“, fragte ich ihn besorgt. So hatte ich ihn bisher selten gesehen – was war es nur, das ihn in diese seltsame, beinahe melancholische Stimmung gebracht hatte? „Winnetou war ganz sicher, seinen Zustand richtig beurteilen zu können – und nun hat er seinem Bruder Scharlih doch wieder großen Kummer bereitet...“ Ich wusste, dass wir in diesem Augenblick alleine waren, außerdem war es dunkel – doch auch wenn es anders gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht mehr an mich halten können. Ich riss ihn beinahe hoch, presste ihn an mich und drückte ihm einen innigen Kuss auf die Stirn. „Nun mach dir doch darüber keine Gedanken!“, rief ich fast schon entrüstet aus. „Das war gestern nun ein wirklich furchtbarer Tag, der uns allen sehr viel abverlangt hat – da ist es doch selbstverständlich, dass du dich unbewusst übernimmst, während du so vielen Menschen beistehst... und du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass du das alles bis hierhin recht unbeschadet überstanden hast!“ „Und doch hatte Winnetou um dein Vertrauen geworben – er hat es aber nicht verdient!“, unterbrach er mich mit düsterer Stimmte, sich weiterhin in Vorwürfen ergehend. Deutlich waren seine Selbstzweifel herauszuhören. „Aber das ist doch gar nicht wahr!“ Jetzt war ich ehrlich entsetzt. „Du hast mein grenzenloses Vertrauen, in jedweder Hinsicht – und du hast mich noch niemals enttäuscht! Außerdem weiß ich doch selbst am besten, wie schwer es ist, sich zurückzuhalten, wenn Not am Mann ist! Winnetou, mein geliebter Bruder: es ist ja bald vorbei! Wenn wir erst einmal aus diesem gefährlichen Landstrich heraus sind, wirst du auch gar nicht mehr in Versuchung kommen, dich zu überanstrengen – und wenn wir dann in einigen Monaten wieder hierher zurückkehren, wirst du so stark und gesund sein wie früher, so dass unsere Sorgen endgültig der Vergangenheit angehören werden!“ Winnetou hatte mich während meiner kurzen, aber eindringlichen Rede unverwandt angesehen, und wie immer wurde ich auch jetzt von den Diamanten in seinen nachtdunklen Augen wie magisch angezogen. Nun glitt ein sanftes Lächeln über seine schönen Züge, und mit leiser Stimme meinte er: „Mein Bruder versteht es, jedwede Düsternis im Herzen des Apatschen mit seinen Worten zu vertreiben – so wie der langersehnte Regentropfen den Staub von der Wüstenblume entfernt!“ Ich lächelte ihn breit an: „Dafür bin ich doch schließlich da! Irgendjemand muss dir ja diese unsinnigen Gedanken aus dem Kopf treiben! Du kannst nun wirklich...“ „Was denn für unsinnige Gedanken?“ Diese Unterbrechung kam von dem Doktor, der gerade eben Winnetous abgeschiedenes Lager betreten hatte; in seinem Gefolge befanden sich zudem noch Emery sowie Sam Hawkens. Ich sah Walter nur stumm an und schüttelte beinahe unmerklich den Kopf – das hier war bestimmt kein Thema, welches Winnetou vor den Gefährten ausgebreitet sehen wollte, so nahe diese uns auch standen. Doch dem Arzt gelang es mal wieder wie schon so oft, mich zu überraschen. Offenbar erahnte er den Inhalt des Gespräches zwischen Winnetou und mir, denn schon kniete er bei dem Apatschen und begann, in einem leisen Flüsterton auf ihn einzureden. Ein paar wenige Worte bekam ich davon mit und konnte hören, wie er meinem Freund klarzumachen begann, dass dieser für seine neu aufgetretenen Fieberattacken in keinster Weise verantwortlich war, da solcherlei Rückfälle zu dem Krankheitsbild unweigerlich dazugehörten. Dann jedoch drehte ich mich schnell zu Emery und Sam hin, um sie in ein Gespräch zu verwickeln, damit sie davon nichts mitbekamen. „Ist euch etwas Außergewöhnliches begegnet?“, fragte ich den Engländer ganz direkt, denn dieser hatte dem Erkundungstrupp angehört, der das Grenzgebiet zu dem Lager der Comanchen ausspionieren sollte. „Nein – im Augenblick ist offenbar alles ruhig, alter Junge“, antwortete Emery und ließ sich dann ächzend neben mir zu Boden sinken. Anschließend schlug er mir herzhaft auf die Schulter und meinte in einem jovialen Ton: „Herr im Himmel – da haben wir gestern mal wieder richtig Glück gehabt, nicht wahr, mein Lieber?“ „Wir ja – aber zu meinem großen Bedauern gilt das nicht für alle unsere Gefährten, alter Freund, leider nicht für alle!“ „Da sprichst du wahre Worte,“ gab mir der Engländer recht und meinte dann: „Und gerade für unsere Butterfields tut es mir wirklich sehr, sehr leid! Diese armen, unerfahrenen Burschen – in den letzten Monaten und vor allem gerade jetzt wird ihnen einmal auf eine ganz harte Weise gezeigt, wie nah Licht und Schatten, Glück und Unglück im Leben beieinanderliegen!“ Ich nickte nachdenklich, und neben mir tat es Sam Hawkens mir gleich, der sich ebenfalls zu uns gesellt hatte. Seine Kopfwunde bereitete ihm kaum noch Schwierigkeiten, und Schmerzen hatte er auch schon seit geraumer Zeit nicht mehr, was er vor allem Winnetous Behandlung zuschrieb, bei dem er sich deswegen jetzt auch bedanken wollte. Da sich der Apatsche aber immer noch im Gespräch mit dem Doktor befand, ging der kauzige Westmann in der Zwischenzeit auf Emerys Bemerkung ein: „Leider, leider! Es sind zwar Greenhorns durch und durch, die nur von unserem guten Mr. Shatterhand hier noch übertroffen werden dürften – aber ihr Schicksal geht selbst dem alten Sam Hawkens richtig zu Herzen! Wollen hoffen, dass die Burschen dennoch ihr Glück zu schätzen wissen, welches sie in all dem Unglück gehabt haben. Ohne unsere – und vor allem ohne Winnetous Hilfe – wären sie doch niemals an ihr Ziel gekommen, wenn ich mich nicht irre! Vorher nämlich hätten ihnen diverse Indsmen so einige hübsche Löcher in den Leib geschossen, wenn ihnen nicht gar noch ein wenig früher Thomson und seine Schurkenbande ans Leben gegangen wäre, wenn ich mich nicht irre – und das hätte dem Äußeren dieser zarten Jünglinge wirklich gar nicht gut getan – hihihi!“ Der gute Sam ließ sich einfach durch nichts aus der Ruhe bringen! Auch er war ja dem Wirbelsturm mit nur knapper Not entronnen, und trotzdem wandelte er schon den ganzen Tag über so gleichmütig durch das Lager, als würde er sich auf einem Spaziergang entlang des Elbufers befinden. Allerdings hatte er nun auch schon wieder die Nase voll von der seiner Meinung nach nutzlosen Schonfrist, die ihm der Doktor aufgrund seiner Verletzung für den heutigen Tag verpasst hatte, und als dieser sein Gespräch mit Winnetou beendet hatte, setzte der kleine Mann nun alles daran, den Arzt von seiner vollständigen Genesung zu überzeugen und ihm zu verdeutlichen, dass er am nächsten Tage auf keinen Fall wieder nur im Lager herumzulungern gedachte. Seltsamerweise setzte auch Sam Hawkens sich nämlich nicht einfach über die Anordnungen von Walter hinweg, genauso wenig wie Winnetou es tat – auch er hatte wohl im Laufe der letzten Wochen und Monate die medizinischen Fähigkeiten des Doktors gleichsam wie dessen bemerkenswerten Charakter nebst seiner natürlichen Autorität schätzen gelernt. Ein wenig mochte es vielleicht auch daran liegen, dass gerade der Apatschenhäuptling dem Doktor sein unbedingtes Vertrauen aussprach und dieses auch ständig öffentlich bezeugte, in dem er immer wieder dessen Anweisungen Folge leistete und gleichzeitig dafür sorgte, dass es dem Arzt an nichts fehlte und ihm alle den nötigen Respekt erwiesen. Und Sams Respekt vor Walter sorgte jetzt auch dafür, dass er völlig still hielt, als sich dieser seine Kopfwunde noch einmal genau besah und anschließend zu dem Ergebnis kam, dass er Sams Wunsch durchaus Folge leisten konnte. Der Kleine nahm diese Nachricht mit seiner üblichen humorigen Art auf: „Wusste es doch, dass mein liebliches, aber gleichwohl falsches Haupthaar meinen Schädel zu schützen weiß, hihihi! Daher sollte ich mich bei Gelegenheit dann doch einmal bei den Indsmen recht herzlich bedanken, die mir den echten damals genommen hatten, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen, wenn ich mich nicht irre! Aber hoffentlich steht es bei Winnetou ebenso gut?“ Mit diesen Worten kniete er sich bei meinem Freund nieder und sah den Apatschenhäuptling fragend und mit liebevollem Blick an. Dieser hatte sich mit Walters Erlaubnis und meiner Hilfe etwas aufgesetzt und legte jetzt mit einem milden Lächeln seine Hand auf Sams Unterarm. „Mein berühmter weißer Bruder mag keine Sorge haben – Winnetous Wunde heilt ebenfalls gut, auch wenn er keinen falschen Skalp trägt!“ Diese Worte lösten bei uns allen natürlich großes Gelächter aus, und auch Sam konnte sich kaum beruhigen, während er kichernd antwortete: „Das wäre ja noch schöner – es ist wirklich mehr als ausreichend, wenn ich die ehrenvolle Rolle eines lebenden Skalpierten alleine übernehme, hihihi! Und wehe demjenigen, der es wagen sollte, Winnetous prächtigen schwarzen Schopf auch nur anzurühren – der bekommt es dann nämlich mit mir zu tun, wenn ich mich nicht irre!“ Trotzdem der Apatsche weiterhin leise lächelte, konnte ich ihm ansehen, dass er sich mittlerweile nur noch mit Mühe wach halten konnte; auch hatten seine Augen wieder einen erhöhten Glanz angenommen, trotzdem sein Blick leicht verschleiert wirkte, so dass ich davon ausgehen musste, dass das Fieber wieder im Begriff war, weiter anzusteigen. Natürlich hatte auch Walter diesen Umstand sofort bemerkt und sorgte jetzt mit meiner Unterstützung dafür, dass Sam und Emery Winnetous Lager schnell wieder verließen. Der Engländer setzte eine besorgte Miene auf, als er den Grund für unsere Aufforderung erkannte. Deutlich war ihm anzusehen, dass er sich nur höchst ungern zurückzog, doch gleichzeitig war er sich natürlich darüber bewusst, dass der Häuptling jetzt weiterhin viel Ruhe benötigte. Er konnte aber nicht umhin, diesem kurz seine Hand auf die Schulter zu legen und leicht zuzudrücken, wobei er meinem Freund einen äußerst liebevollen Blick zuwarf, den dieser freundlich erwiderte, darauf bedacht, den Gefährten ihre Sorgen zu nehmen, was ihm allerdings nicht gerade gut gelang. Kapitel 44: Das Leben ist bunt ------------------------------ Winnetous Fieber stieg in der Nacht tatsächlich noch einmal in bedenkliche Höhen, und auch wenn Walter zusammen mit Entschah-koh alles daransetzte, es wieder in den Griff zu bekommen, was ihnen auch leidlich gelang, ging es meinem Freund am folgenden Tag doch noch zu schlecht, als dass wir ihn einer strapaziösen Weiterreise aussetzen wollten und auch konnten. Zudem hatte sich der Zustand der anderen drei Schwerverletzten ebenfalls noch nicht allzu sehr verbessert, so dass es dringend noch einen weiteren Tag der Krankenpflege bedurfte. Ganz unlieb war uns das aber nicht, denn wir gewannen dadurch noch einmal viel Zeit, die Suche nach den Vermissten fortzusetzen, die am gestrigen Tag trotz aller Anstrengungen völlig erfolglos verlaufen war – heute allerdings genauso: Thomson und der andere Soldat waren und blieben verschwunden. Erfolgreich hingegen waren die Gefährten gewesen, die gestern zur Jagd aufgebrochen waren und nun gegen Mittag mit reicher Beute wiederkamen. Und auch die Männer, die nochmals auf Kundschaft gegangen waren, um mögliche Bedrohungen durch die Comanchen frühzeitig erkennen zu können, konnten gegen Abend einen Erfolg vorweisen: Sie waren tatsächlich auf Spuren einiger feindlicher Späher gestoßen! Dieses Mal hatte Til Lata die Truppe angeführt – er war es übrigens auch gewesen, der die von den Feinden sorgsam verwischten Spuren trotzdem noch entdeckt hatte – und es war gut, dass dieser erfahrene sowie kluge Krieger und stellvertretende Häuptling der Mescaleros hier die Führung innegehabt hatte, denn ihm war es tatsächlich gelungen, die Kundschafter der Comanchen zu beschleichen und sogar zu belauschen! Dabei war herausgekommen, dass der seit Jahrzehnten mit den Apatschen verfeindete Stamm uns tatsächlich schon entdeckt hatte und offenbar sehr überrascht von der Größe unseres Zuges gewesen war. Deshalb hatten sie beschlossen, uns erst einmal nur weiter zu beobachten und im Falle unser anhaltenden Harmlosigkeit einfach ziehen zu lassen. Dieser Entschluss wurde auch durch die Tatsache verstärkt, dass die feindlichen Späher noch einen weiteren Trupp mit einer großen Anzahl von bis an die Zähne bewaffneten Apatschen ausgemacht hatten, die in unsere Richtung zogen, und angesichts einer solchen Übermacht befanden es die Comanchen wohl für sicherer, jeder kriegerischen Handlung vorerst aus dem Weg zu gehen. Als Winnetou, dessen Zustand sich gegen Abend zu meiner großen Erleichterung deutlich verbessert hatte, dies hörte, sprach er Til Lata seine größte Anerkennung aus, erbat sich aber gleichzeitig von ihm, die Comanchen weiterhin zu beobachten, denn er traute diesem Frieden noch nicht so ganz. Spät am Abend traf dann auch die von den feindlichen Spähern beobachtete große Kriegerschar im Lager ein, und somit waren wir im Augenblick wirklich von allen Sorgen bezüglich möglicher Gefahren durch die Comanchen enthoben. Alles in allem konnte man am Ende dieses zweiten Ruhetages von einer spürbaren Verbesserung der Situation im Lager sprechen. Unsere leichtverletzten Gefährten hatten ihre Blessuren fast alle überwunden oder spürten deren Vorhandensein gar nicht mehr, und selbst den Schwerverletzten ging es mittlerweile deutlich besser. Dem Soldaten hatte mein Freund ja schon am Abend des Sturmes die Schulter wieder eingerenkt, und der gebrochene Arm war die ganze Zeit über so gut versorgt worden, dass der Mann diese Verletzung fast gar nicht mehr wahrnahm. Und dann war da noch der Apatsche mit der gebrochenen Hüfte. Hier würde es allenfalls Schwierigkeiten mit dem Transport während der Reise geben, aber auch bei ihm heilte die Wunde mehr als gut, und als Indianer war er sowieso Meister im Ignorieren von Schmerzen, so dass wir hier wie auch bei allen anderen davon ausgehen durften, dass die Weiterreise ohne große Probleme bewältigt werden könnte. Einzig Frederic Butterfield war und blieb ein schwerer Fall. Allerdings hatte sich die Zuversicht auf seine vollständige Genesung bei dem Doktor von Tag zu Tag deutlich vergrößert, und da die Wunden des jungen Mannes mittels diverser Medikamente und verschiedenster Heilkräuter bisher keinerlei Schwierigkeiten bereiteten, das Wundfieber ebenfalls fast vollständig verhindert worden war und Frederic kaum Schmerzen verspürte – auch weil er die meiste Zeit über schlief – waren wir uns sicher, dass wir ihn in einem bequem ausgestatteten Travois, welches zwischen zwei ruhigen Pferden angebracht werden sollte, recht komplikationslos würden transportieren können. Auch diesen zweiten Tag der Zwangspause hatte ein Großteil der Apatschen mit der Suche nach dem vermissten Soldaten und Wayne Thomson verbracht, aber die beiden waren und blieben unauffindbar. Gerade das Schicksal des Ersteren hatte Winnetou keine Ruhe gelassen, und nur unter Aufbringung aller Überzeugungskräfte von den Gefährten, dem Doktor und mir hatten wir ihn davon abhalten können, dass er sich in der zweiten Tageshälfte, als es ihm aufgrund des gesunkenen Fiebers schon besser ging, wieder intensiv an der Suche beteiligte. Auch ich hätte gern meinen Anteil dazu beigetragen, vor allem aus dem Grund, weil ich Thomson unbedingt wieder sicher in meinen Händen wissen wollte, aber da ich meinen geliebten Freund nur mit Müh und Not von seiner Beteiligung zurückhalten konnte, blieb ich natürlich weiterhin an seiner Seite, um es ihm nicht noch schwerer zu machen. Doch auch heute kamen alle Suchmannschaften mit leeren Händen zurück, und somit mussten wir alle davon ausgehen, dass die beiden Vermissten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überlebt hatten. Allerdings – im Hinblick auf Thomsons Schicksal hatte ich immer noch ein ganz diffus auftretendes, unruhiges Gefühl, konnte aber den Grund dafür nicht genau benennen, doch es sollte mich für lange Zeit nicht mehr verlassen. Diesen Abend und auch die ganze Nacht über verbrachten mein Freund und ich eng aneinander geschmiegt auf Winnetous Lager, welches immer noch von den anderen abgeschirmt war, und da wir auf der bisherigen Reise dazu bisher keinerlei Gelegenheit gehabt hatten, genossen wir diese innigen Momente wirklich sehr. Am nächsten Morgen wurde schon früh aufgebrochen, da wir so schnell wie möglich aus dem gefährlichen Grenzgebiet zu den Weidegründen der Comanchen herauskommen wollten. Zwei Tage würde uns der Weg noch hart am Rand der Wüste entlangführen, bis wir endlich Carlsbad erreichen mussten, wo die Butterfields ja zu Hause waren. Von da an sollte es noch ungefähr drei Tage dauern, bis wir endlich an dem Ziel unserer Reise, dem Pueblo der Mescaleros, angelangt sein würden. Kurz wurde überlegt, ob wir uns teilen sollten, um Winnetou auf den schnellsten Wege und ohne den Umweg über Carlsbad in die Sicherheit des Pueblos zu bringen, den Weg, den auch die Boten von Til Lata genommen hatten, doch dann verwarfen wir den Gedanken schnell wieder. Diese Strecke führte nämlich zum Teil direkt durch das Gebiet der Comanchen und war auch von der Beschaffenheit her sehr unwegsam und alles andere als geeignet, meinem Freund einen ruhigen Ritt zu ermöglichen. Dazu kam, dass Winnetou noch gerne die Familie der Butterfields kennenlernen und sich dann ausgiebig von den jungen Männern verabschieden wollte, und somit war der Ritt in die Stadt eine beschlossene Sache. Trotz aller Befürchtungen blieb es in den nächsten beiden Tagen beinahe verdächtig ruhig, während wir an der Grenze zu dem Gebiet der Feinde entlang ritten, und am Morgen des dritten Tages erreichten wir zu unser aller Erleichterung unbehelligt die Heimatstadt unserer Zöglinge. Endlich konnten wir die Verantwortung für diese Greenhorns, die uns so viel abverlangt hatten, abgeben! Doch gleichzeitig mussten die meisten von uns auch zugeben, dass sich in den letzten Tagen, je näher der endgültige Abschied gekommen war, so etwas wie eine leise Wehmut breit gemacht hatte – zu sehr waren uns diese unerfahrenen, aber auch so unschuldigen jungen Männer ans Herz gewachsen! Frederic Butterfield hatte diese letzten Tage der Reise deutlich besser überstanden, als wir anfangs noch gedacht hatten. Er fühlte sich sogar schon wieder so kräftig, dass er am liebsten hoch zu Ross vor dem Hause seiner Familie erschienen wäre, doch das schwer verletzte Bein ließ ein solch sportliches Unterfangen natürlich noch lange nicht zu. Die gesamte Familie Butterfield hatte sich schon vor dem Haus des Urgroßvaters William Butterfield eingefunden, als wir dort eintrafen. Unsere überaus große Gesellschaft hatte natürlich, vor allem aufgrund der vielen Indianer, schon weit vor den ersten Gebäuden der Stadt größtmögliche Aufmerksamkeit erregt, und als dann einer der vielen Neugierigen, die sich daraufhin vor der Stadt eingefunden hatten, die jungen Butterfields in unserer Mitte erkannte, waren in Windeseile alle im Ort verstreuten Familienmitglieder derselben zusammengetrommelt worden. Somit wurden unsere verhinderten Goldsucher schon sehnsüchtig erwartet, und umgekehrt konnten diese sich vor lauter Vorfreude gar nicht mehr ruhig im Sattel halten. Kaum hatten wir das Haus erreicht, sprangen die Jünglinge dann auch schon von ihren Pferden und warfen sich in die weit geöffneten Arme ihrer Frauen, Mütter und Schwestern, die vor lauter Freude über das Wiedersehen allesamt in Tränen ausbrachen. Und als ihnen dann die traurige Mitteilung über den Tod des Jüngsten gemacht wurde, wollte der Tränenstrom gar nicht mehr versiegen, zumal sie ja auch noch das Schicksal des schwerverletzten Frederic vor Augen hatten. Die Apatschen und auch die Soldaten waren mittlerweile weitergezogen, um in einem großen Waldstück, welches direkt am anderen Ende der Stadt angrenzte, ihr Lager aufzuschlagen. Für so viele Menschen war einfach kein Platz in dem damals noch recht kleinen Ort, zumal gerade die Mescaleros keine Lust hatten, sich auch nur eine Stunde länger als nötig in den engen und stickigen Straßen und Häusern aufzuhalten. Auch die Soldaten schienen in den letzten Wochen Gefallen an dem Leben in der freien Natur gefunden zu haben, denn sie entschieden sich beim Anblick der gedrungen wirkenden Gebäude ebenfalls, lieber im Wald zu übernachten. Uns Westmännern hingegen blieb gar nichts anderes übrig, als die Einladung des Familienoberhauptes der Butterfields anzunehmen und die Gastfreundschaft der Familie zu genießen, denn mittlerweile war ihr von unseren Zöglingen so einiges über die Reise und unserem großen Anteil an ihrem Erfolg berichtet worden – und als die jungen Männer dann auch noch ihren neu gewonnenen Reichtum hervorholten, da brach sich unter den Familienmitgliedern grenzenlose Begeisterung Bahn, und in die furchtbare Trauer mischte sich nun eine unbändige Freude über die Erkenntnis, nie wieder Hunger und nie wieder unter großer Armut leiden zu müssen. Wir Weißen wurden jetzt also regelrecht hineingezogen in das Haus des Urgroßvaters, aber auch Winnetou fand keinerlei Möglichkeiten mehr, sich der grenzenlosen Dankbarkeit und liebevollen Gastfreundschaft der Familie zu entziehen. Er hatte während der tumultartigen Begrüßungsszenen regungslos etwas abseits gestanden und mit verschränkten Armen sowie unbewegter Miene alles beobachtet, und nur jemandem, der ihn genau kannte, hätte auffallen können, dass seine Augen lächelten über soviel Glück, Freude, Harmonie und Liebe, die trotz der tiefen Trauer deutlich in dieser Familie zu erkennen waren. Als dann aber die ersten Frauen begannen, uns ins Haus einzuladen und uns ihre Gastfreundschaft regelrecht aufzudrängen, wollte sich mein Freund schnellstens entfernen, doch sein Versuch scheiterte kläglich. Unsere Zöglinge kannten ihn mittlerweile gut genug und hatten deshalb sein Vorhaben schon vorausgeahnt. In dem Augenblick, wo er sich umdrehte, wurde Winnetou mit einem Mal von den acht jungen Männern eingekreist und regelrecht in Haus verschleppt, was mir und allen anderen Gefährten, die diese Szene beobachtet hatten, ein vergnügtes Grinsen entlockte. Einen solchen Abend, ein solch großes Wechselbad der Gefühle hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Freude und Trauer wechselten sich beinahe minütlich miteinander ab, und die Dankbarkeit uns, vor allem aber Winnetou gegenüber kannte gar keine Grenzen mehr. Mittlerweile hatte die Familie die ganze Geschichte erfahren und wusste demnach also, welche Opfer vor allem der Apatschenhäuptling für ihre Familienmitglieder gebracht hatte und wie viel Leid ihm deswegen zugefügt worden war, so dass sie jetzt alles daransetzte, ihn auf jede erdenkliche Weise zumindest ein wenig dafür zu entschädigen. Für Winnetou, der sich in solchen Situationen immer äußerst unwohl fühlte, wurde die ganze Sache sehr schnell richtig anstrengend, so dass ich irgendwann den Urgroßvater zur Seite nahm, ihm von meinen Sorgen um den Häuptling berichtete und ihn bat, dem Spuk schnell ein Ende zu bereiten, damit mein Freund und ich uns für die Nachtruhe, die vor allem für ihn immer noch sehr wichtig war, zurückziehen konnten. Das Familienoberhaupt der Butterfields reagierte prompt und sorgte dafür, dass wir endlich das kleine Gästezimmer aufsuchen konnten, welches für Winnetou und mich bereitgestellt worden war, nicht aber ohne uns vorher nochmals eine einfühlsame Dankesrede zu halten, an deren Ende uns ein tosender Applaus umfing. Und dann ergriff Winnetou das Wort, in seiner ihm so eigenen leisen, freundlichen und gleichzeitig unglaublich eindringlichen Weise. Er wiederholte zum Teil noch einmal seine Rede, die er den Greenhorns schon am Ship Rock gehalten hatte, und fügte noch das ein oder andere hinzu – vor allem aber verstand er es, der Familie trotz des Verlustes, den sie erlitten hatte, großen Trost zu spenden und ihnen gleichzeitig Mut und Zuversicht für die Zukunft mitzugeben. Auch ihm wurde ein nicht endend wollender Beifall gezollt, und dann, endlich, konnten wir uns in die Stille und Ruhe unseres Gästezimmers zurückziehen. Hier durfte ich es auch wieder wagen, meinen Freund eng an mich zu drücken, ihn zu halten und zu wärmen und ihn mit Liebe und Zärtlichkeiten zu verwöhnen. Bis zum Letzten gingen wir aber dann doch nicht – das Haus war recht klein, hatte dünne Wände und beherbergte im Augenblick zu viele Menschen, als dass es unbemerkt bleiben konnte, sollte einem von uns im Wahn der Leidenschaft unabsichtlich ein Lustlaut entweichen. In solchen Momenten sehnte ich mich geradezu nach der Ruhe und Abgeschiedenheit unserer verborgenen Plätze innerhalb der Berge rund um das Pueblo, wo wir unsere Begierde ohne Hemmungen schon so oft hatten ausleben können. Und auch die kommende Zeit in Deutschland würde uns hoffentlich in dieser Hinsicht noch viele Möglichkeiten bieten, so dass ich mich jetzt mühsam wieder zur Ordnung rief, obwohl ich am liebsten wieder über meinen geliebten Freund hergefallen wäre und ihn nach allen Regeln der Kunst verwöhnt hätte. Am nächsten Morgen wurden wir von den Butterfields mit solch einer Herzlichkeit und so vielen rührenden Dankesworten verabschiedet, dass mir beinahe die Tränen kamen. Deshalb bemühten wir uns auch, den Abschied so kurz wie möglich zu halten, um die Emotionen nicht zu sehr hochkochen zu lassen, was uns dann auch so leidlich gelang. Am späten Vormittag hatte sich unser großer Zug wieder vollständig versammelt und in Bewegung gesetzt. Ohne die Butterfields kamen wir auch trotz der Größe unserer Gesellschaft deutlich schneller voran, so dass wir tatsächlich keine drei Tage benötigten, um das Pueblo der Mescaleros zu erreichen. Der Empfang dort übertraf dann auch alle meine Erwartungen. Die Mescaleros waren so unendlich froh und glücklich darüber, ihren Häuptling endlich wiederzusehen – und dann auch noch in einem Zustand, der ihnen beinahe Glauben machte, dass ihm rein gar nichts fehle, wenn man mal von seiner durchscheinenden und zerbrechlich wirkenden Gestalt absah – dass sie fürs erste ihre indianische Zurückhaltung vollkommen vergaßen. Es herrschte solch ein Jubel und ein Gewusel auf dem großen Versammlungsplatz, dass es einem schwindelig werden konnte. Und jetzt in Winnetous Gesicht zu blicken, war eine einzige große Freude: Da war nichts mehr von Krankheit, Melancholie, seinem übergroßen Ernst oder seiner stolzen Zurückhaltung zu sehen, im Gegenteil, er strahlte förmlich vor Glück, und als er von seinem Rappen sprang und sich unter die vielen Menschen mischte, hatte ich das Gefühl, als würde er jeden einzelnen Krieger, jede einzelne Frau, jedes einzelne Kind begrüßen. Es war ein wunderschönes Bild, den Häuptling inmitten seines vor Freude strahlenden Volkes zu sehen, und gleichzeitig gab es in mir einen kleinen Stich. Nicht mehr lange, und ich würde ihn seinen Mescaleros wieder entziehen, würde ihn aus seiner Heimat herausreißen, ihn von seinen Jugendfreunden trennen, ihn von seinen Kriegern fernhalten. War das wirklich der richtige Weg? Diese Frage stellte sich mir zwar nicht zum ersten Mal, aber nun brannte sie sich mit großer Intensität in die Szenerie vor mir ein. Vor meinem inneren Auge stiegen befremdliche Bilder auf: Bilder von meinem Freund, der in der ihm so ungewohnten Umgebung sichtlich an Heimweh litt und dadurch richtiggehend abgemagert war, der sich mit aller Macht nach seinen Wäldern, seinen Bergen, seiner Prärie und vor allem nach seinen Pferden sehnte, der sich vollkommen unwohl fühlte zwischen all den fremden Menschen, der lauten Umgebung, der sich eingeschlossen fühlte von den Mauern meiner Wohnung oder der großen Stadt, der sich schutzlos den misstrauischen, teils sogar feindseligen Blicken meiner Landsleute ausgesetzt sah, die vor allem seiner dunkleren Hautfarbe und dem langen, schwarzen Haar galten... Tat ich meinem geliebten Freund mit dieser Reise wirklich einen Gefallen? Würde er in Deutschland wirklich vollständig genesen – oder durch die ungewohnten und teils schwierigen Umstände vielleicht sogar noch kränker werden? Was war nur der richtige Weg? Völlig gedankenverloren stand ich inmitten der Mescaleros und starrte auf meinem Blutsbruder, sah aber eigentlich durch ihn hindurch, während mein Blick auf einen imaginären Punkt in der Ferne gerichtet war. In meiner Versunkenheit bekam ich daher auch gar nicht mit, dass meine Träumerei Winnetou schon aufgefallen war und er sich jetzt langsam aus dem Kreis seiner Krieger löste. „Warum blicken die Augen meines Bruders voller Kummer auf das Volk der Apatschen?“ Ich schreckte richtiggehend auf, als mein Freund mich jetzt so unvermittelt ansprach und sah ihn fast schon schuldbewusst an, da ich nun auch bemerkte, dass auch Entschah-koh sowie Til Lata mich fragend musterten. War mein Verhalten so offensichtlich gewesen? Daran musste ich wohl doch noch etwas arbeiten... Doch nun wandte ich mich Winnetou zu, bemüht, ihm eine glaubhafte Erklärung zu liefern, ohne ihn mit meinen Befürchtungen zu beunruhigen. „Ich... ich dachte nur an die kommenden Monate... Ich hoffe so sehr, dass sich unsere Hoffnungen bezüglich deiner Krankheit wirklich erfüllen“, stammelte ich und wusste in diesem Moment selbst, dass ich gerade nicht sehr glaubwürdig wirkte, was mir Winnetou mit einem leisen Schmunzeln im Gesicht auch sogleich bestätigte: „Das ist aber nicht der alleinige Grund für deine Missstimmung, ist es nicht so, mein Bruder?“, forschte er weiter, nun noch etwas eindringlicher. Seine dunklen Sternenaugen fingen meinen Blick ein, sogen mich förmlich in seinen Bann, so dass ich mit einem Male das Gefühl hatte, dass nur wir beide noch real waren, alle anderen Personen um uns herum hingegen nur eine Illusion. Aber irgendetwas war anders an seinem Blick... nur was genau? Ich konnte es nicht definieren, also löste ich mich mühsam aus dem Bann, nahm dann so unauffällig wie möglich die Hand meines Freundes und drückte sie kurz. „Ach, mein Bruder“, begann ich seufzend und in dem Bewusstsein, ihm sowieso nichts verheimlichen zu können. „Ich habe mich gerade gefragt, ob es wirklich deiner Gesundheit dienlich ist, wenn du deine Heimat für lange Zeit nicht siehst...“. Ich unterbrach mich, weil ich bemerkte, dass Winnetou mich jetzt mit einem leisen Lächeln bedachte. Dann entgegnete er: „Winnetou war schon des Öfteren für eine lange Zeit fern seiner Heimat gewesen, wie mein Bruder genau weiß!“ „Das ist natürlich richtig“, erwiderte ich mit einem weiteren Seufzer und fuhr dann fort: „Aber dieses Mal befindest du dich auf einem ganz anderen Kontinent, in einer völlig anderen Landschaft – dir könnte die Weite der Prärie, die kühlende Dämmerung der riesigen Urwälder fehlen... in meiner Heimat ist alles viel kleiner... enger... Sein Lächeln vertiefte sich noch ein wenig, als er mir die Hand auf meine Schulter legte und mir zuflüsterte: „Wir werden später darüber reden, mein Bruder – wenn wir alleine sind...“ Der Tonfall in seiner Stimme zeugte von einer gewissen Vorfreude, als er diese Worte sprach, und nun musste auch ich breit grinsen, auch weil ich dieses Funkeln, ja, eigentlich schon jene verheißungsvolle Glut in seinen Augen entdeckte, die bei jedem Auftreten einen kurz darauf folgenden sinnlichen Hochgenuss versprach – und schon stand mein ganzer Körper unter einer kaum zu bändigen Anspannung. Noch einmal sah ich meinem Freund tief in die Augen, lächelte ihm zu und wollte meinen Blick gerade wieder von ihnen lösen, als mir abermals die leise Veränderung in ihnen auffiel, die ich vorhin schon bemerkt hatte. Und plötzlich wusste ich, warum mir diese so bekannt vorkam. Rasch sah ich mich um, konnte aber nicht erkennen, dass irgendjemand der vielen Menschen um uns herum so genau auf uns achtete, als dass er unbedingt bemerken musste, wie ich jetzt schnell meine Hand hob und sie auf Winnetous Stirn legte. Nur kurz ließ ich sie dort verweilen, um es nicht zu auffällig werden zu lassen, zumal mein Freund schon zu einer abwehrenden Bewegung ansetzte – aber diese kurze Zeitspanne reichte vollkommen aus, um zu wissen, woran ich war. „Winnetou – du hast Fieber! Lass uns hier nicht länger verweilen, sondern lieber schnell deine Wohnung aufsuchen...“ „Nein!“ Energisch mit dem Kopf schüttelnd wehrte er mein Ansinnen ab und erklärte: „Winnetou ist der Häuptling der Apatschen! Es ist seine Pflicht, zuerst die Gäste unseres Stammes zu begrüßen, die unserer Einladung gefolgt und schon hier eingetroffen sind!“ Erstaunt sah ich mich um. Richtig – erst jetzt bemerkte ich einige fremde Gesichter unter den vielen Menschen und erkannte nun auch einige Häuptlinge und hervorragende Krieger aus den benachbarten Indianerstämmen. Wahrscheinlich waren sie mir vorher noch nicht aufgefallen, weil sie im Augenblick nicht im vollen Ornat eines Häuptlings gekleidet waren – dazu hatten sie wohl vorher keine Zeit mehr gehabt. Innerlich stöhnte ich auf. Ich wusste ja nur zu genau, wie lange solch eine „Begrüßung“ unter Anführern der Indianer dauern konnte, und da es nun auch nicht wenig zu besprechen gab, würde sich das unweigerlich folgende Palaver wahrscheinlich über Stunden hinziehen. Aber so viel Zeit durfte sich mein Freund nicht mehr nehmen! Ich hatte diese tückischen Fieberanfälle ja nun mittlerweile zur Genüge kennengelernt und wusste daher, wie schnell seine Temperatur ab jetzt wieder steigen würde. Zusammen mit den gerade eben überstandenen Strapazen der langen Reise und den Folgen des fürchterlichen Sturmes am Rande des Llano, von denen er sich ja erst noch erholen musste, barg das aufkommende Fieber nun eine nicht zu unterschätzende Gefahr für meinen Freund! Doch jetzt konnte ich überhaupt nichts dagegen tun. Winnetou hatte natürlich Recht: er als der oberste Häuptling musste die Gäste persönlich und mit der gebotenen Höflichkeit in aller Form begrüßen. Auf keinen Fall durfte er eine Krankheit als Entschuldigung vorbringen und seinen Pflichten deshalb nicht nachkommen – das würde ihn ganz schnell die Häuptlingswürde kosten und, was noch weitaus schlimmer wäre, ihm jede Menge Verachtung, vielleicht sogar Hohn und Spott einbringen. Mir waren also die Hände gebunden; ich konnte nur abwarten, bis Winnetou seine Pflicht erfüllt hatte, welcher er natürlich wie immer überaus gründlich nachkommen würde, und dann erst konnte ich mich um sein Wohlergehen kümmern. Die folgenden Stunden waren für mich dann auch so ziemlich die längsten, die ich jemals erlebt hatte. Mit zusammengebissenen Zähnen verfolgte ich die vielen Gespräche der Häuptlinge, denen ich aufgrund meines Status als anerkannter Häuptling der Mescaleros und auch aufgrund meiner Blutsbrüderschaft mit Winnetou beiwohnen sollte, und durfte dabei mit keiner Miene zu erkennen geben, dass ich mir mittlerweile die größten Sorgen um meinen Freund machte. Dessen Fieber stieg und stieg, die Anzeichen dafür waren jetzt auch schon mit bloßem Auge zu erkennen, ohne dass es einer fühlenden Hand noch bedurft hätte. Kein einziges Wort nahm ich von all den Beratungen auf, und die Ungeduld in mir wuchs ins Unermessliche. Ich versuchte allerdings gar nicht erst, mit Winnetou Blickkontakt aufzunehmen und ihn dadurch zu einer Beendigung der Gespräche zu bringen – damit hätte ich auch niemals Erfolg gehabt. Dann aber, während einer kurzen Verhandlungspause, hätte ich vor Erleichterung beinahe laut aufgestöhnt: Entschah-koh nahm mich rasch zur Seite und fragte mich, ob auch ich die deutliche Verschlechterung von Winnetous Gesundheitszustand bemerkt hätte. Sofort versuchte ich ihn mit allen Mitteln zu überreden, als stellvertretender Häuptling das Heft in die Hand zu nehmen, meinen Freund aus den Verhandlungen herauszuholen und dann selbst die Führung zu übernehmen. Doch leider weigerte sich Winnetous Jugendfreund ganz entschieden, meinem Wunsch zu entsprechen. Niemals würde er etwas tun, was die Ehre und die Würde seines geliebten Häuptlings beschädigen könnte, selbst wenn dadurch dessen Leben in Gefahr geraten sollte. Meine Verzweiflung wuchs deshalb weiterhin von Stunde zu Stunde, und dann, endlich, geschah etwas, womit ich keinesfalls gerechnet hatte: Nhepeke t'ha, der hervorragendste Häuptling unter den anwesenden Gästen, hatte meinem Freund schon seit geraumer Zeit einige fragende Blicke zugeworfen, und nun nahm er ihn während einer kurzen Gesprächspause zur Seite, um offenbar einige Fragen zu stellen. Ich konnte nicht hören, was gesprochen wurde, bemerkte aber, dass der Ausdruck im Gesicht des Anführers immer besorgter wurde. Winnetou schüttelte ein paarmal mit dem Kopf, aber seine Bewegungen, seine ganze Haltung zeugten mittlerweile von einer gewissen Kraftlosigkeit, so dass es Nhepeke t'ha jetzt offenbar zu bunt wurde und er nun kurzerhand die Führung übernahm. Mit lauter Stimme und einem energischen Tonfall erklärte er die Verhandlungen für den heutigen Tag für beendet und bestimmte, dass die Gespräche erst am nächsten Tag weiter fortgeführt werden sollten. Die Gäste nahmen diese Nachricht gleichmütig zur Kenntnis, wobei ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, als wenn einige von ihnen den Grund für diese plötzliche Wendung zumindest erahnten. Die anwesenden Mescaleros, die natürlich schon längst bemerkt hatten, wie es um ihren Häuptling stand, bemühten sich sehr, ihre Erleichterung nicht zu offensichtlich werden zu lassen, denn auch ihre Sorgen dürften in den letzten Stunden deutlich zugenommen haben. Schon standen Entschah-koh und Til Lata neben meinem Freund, nahmen ihn so unauffällig wie möglich in ihre Mitte und dirigierten ihn auf diese Weise zu mir herüber. Als ich meinen Blutsbruder nun so nah vor mir sah, konnte ich nur mit Mühe verhindern, dass mir meine Gesichtszüge vor Schreck entgleisten. Er sah schlimm aus: seine Gesichtsfarbe hatte eine wächserne Blässe angenommen, die Augen lagen in tiefen Höhlen und wiesen aufgrund des Fiebers ein unruhiges Flackern auf, und nur mit äußerster Selbstbeherrschung konnte er ein Zittern unterdrücken, welches ihn immer wieder aufs Neue zu quälen begann. Er wirkte jetzt furchtbar erschöpft, ja, beinahe hilflos, und zusammen mit seiner schmalen Gestalt ergab das ein Bild, welches mir jetzt richtiggehend Angst machte. Am liebsten hätte ich ihn nun hochgehoben und in seine Wohnung getragen, aber auch das durfte ich ihm aufgrund seines Häuptlingsstatus nicht antun. Noch wurden wir beobachtet, noch folgten uns viele Blicke der Gäste und auch der Mescaleros, und daher blieb uns nichts anderes übrig, als Winnetou den jetzt für ihn äußerst anstrengenden Weg hoch zu seiner Wohnung selbständig gehen zu lassen. Am schlimmsten empfand ich dabei das Hochklettern der vielen Leitern, und mehr als einmal hatte ich die Befürchtung, dass mein geliebter Freund gleich fallen würde. Doch er hielt sich weiterhin tapfer aufrecht, bewahrte eine Haltung, der niemand aus der Ferne ansehen konnte, dass es ihm nicht gut ging, und die uns allen wirklich den größten Respekt abrang. Kaum waren wir jedoch in Winnetous Wohnung angelangt, da fiel mit einem Mal jedwede Selbstbeherrschung von ihm ab. Ich hatte gerade meinen Arm um seine Taille gelegt, da brach er auch schon zusammen, wobei ich nur ganz knapp verhindern konnte, dass er mit Wucht auf dem Boden aufschlug, denn er hatte schon das Bewusstsein verloren. Während Entschah-koh und ich ihn schnell auf sein Lager betteten, drehte sich Til Lata um und machte Anstalten, aus der Wohnung zu rennen und den Doktor zu holen – da wäre er in der Türe beinahe mit gerade eben diesem zusammengeprallt. Unser guter Walter hatte nämlich die ganze Zeit über viel mehr mitbekommen, als ich für möglich gehalten hatte; zudem hatte er vorhin beobachtet, auf welche Weise wir den Gang zu Winnetous Wohnung angetreten hatten, und all das hatte seine Befürchtungen nur bestätigt. Nun hielt er auch schon seine kompletten Utensilien in den Händen, drängte uns beinahe rücksichtslos zur Seite, setzte sich mit höchst besorgter Miene neben Winnetous Lager und begann sofort mit seiner Untersuchung und der anschließenden Behandlung. Es stellte sich heraus, dass mein geliebter Freund von einem äußerst aggressiven Fieberschub heimgesucht worden war, ausgelöst durch einen neuerlichen Rückfall, und da sein Körper während der Reise trotz aller Vorsichtsmaßnahmen von den Anstrengungen geschwächt worden war, hatte das Fieber jetzt leichtes Spiel und wurde für Winnetou in den nächsten Tagen sogar richtig gefährlich. Er befand sich in fast demselben Zustand, unter dem er auch schon kurz nach unserer Ankunft in der Festung Old Firehands gelitten hatte, und der Doktor hatte zusammen mit dem Dijin des Stammes alle Hände voll zu tun, um die gefürchteten Fieberkrämpfe irgendwie von Winnetou fernzuhalten. Mehr als zehn Tage dauerte diese wirklich gefährliche Phase der Krankheit an, und mein Freund war währenddessen so gut wie gar nicht ansprechbar. Ich saß natürlich Tag und Nacht an seinem Lager und durchlebte in dieser Zeit noch einmal wirklich schlimme Stunden, immer mit der Angst im Nacken, dass das Herz meines Winnetou irgendwann zu geschwächt sein würde, um dem Ganzen noch weiterhin standhalten zu können. Selbstverständlich konnte man den schlechten Gesundheitszustand des obersten Häuptlings der Apatschen nun nicht weiter vor den Gästen geheim halten, doch das ganze Ausmaß seiner Herzmuskelentzündung wurde ihnen weiterhin verschwiegen. Den Anführern der befreundeten Stämme hatte man als Grund für die Krankheit die angeblich noch nicht ausgeheilten Verletzungen angegeben, die Winnetou während der Folter in Motawatehs Zelt erlitten hatte, und damit gaben sich die Gäste auch zufrieden. Natürlich hatte man ihnen alles von unseren verschiedenen Zusammenstößen mit den Kiowas berichtet, und seitdem hörte man im Dorf ständig irgend jemanden davon sprechen, wobei gleichzeitig der Mut und die Tapferkeit des Apatschenhäuptlings immer wieder gerühmt wurde. Mittlerweile war auch Tsain-tonkee wieder im Pueblo eingetroffen, wobei er auch gleich einige Anführer oder die hervorragendsten Krieger der benachbarten Stämme, zu denen er als Bote gesandt worden war, in seiner Begleitung hatte. Es waren sogar die Häuptlinge mitgekommen, die den Apatschen im Augenblick eher feindlich gegenüber standen, und allein diesen Umstand musste man wirklich als Meisterleistung von Tsain-tonkee bezeichnen, der all sein Geschick, seine Diplomatie und seine Überredungskunst eingesetzt hatte, um diese Stämme zumindest zu den nötigen Gesprächen im Sinne einer Bereitschaft zu einer vorläufigen Zusammenarbeit zu bringen. Dafür wurde der junge Unterhäuptling nach seiner Ankunft auch gebührend geehrt, aber trotzdem tat er mir wirklich leid. Er hatte so sehr gehofft, seinen geliebten Häuptling in einer deutlich gesünderen Verfassung anzutreffen – und nun musste er sich schon wieder die größten Sorgen machen! Auch den Neuankömmlingen hatte man die Geschichte der nicht ausgeheilten Verletzungen aufgetischt, um Winnetous momentanen Zustand zu erklären, und auch diese Männer, so skeptisch sie auch den Apatschen gegenüber standen, zeigten daraufhin öffentlich ihre Bewunderung für die Taten des Apatschenhäuptlings. Glücklicherweise waren die uns begleitenden Soldaten kurz nach unserer Ankunft im Pueblo schon wieder aufgebrochen, um zu ihrem Fort zurückzukehren und dem Kommandanten Collister Bericht zu erstatten, und das war auch gut so, denn diese Männer hätten sich irgendwann mit Sicherheit verplappert. Gleichzeitig hatten wir beschlossen, zwischen dem Fort und dem Pueblo eine Postenkette zu unterhalten, um besser miteinander kommunizieren und schneller auf mögliche Geschehnisse, die den Frieden in der Region gefährden könnten, reagieren zu können. Unsere Freunde hingegen, die Westmänner also, schlichen während dieser Tage betrübt und niedergeschlagen durch das Dorf, denn sie alle hatten im Laufe der Zeit Winnetou natürlich einen Besuch abgestattet, und dessen Anblick war im Augenblick keinesfalls dazu geeignet, große Hoffnungen aufkeimen zu lassen und eine fröhliche Stimmung zu erzeugen. Doch dann, endlich, am elften Tag nach unserer Ankunft im Pueblo, verbesserte sich der Zustand meines Freundes mit einem Male in einem fast schon unerklärlichen Maße. Ganz plötzlich schlug er die Augen auf, und sein verwirrter Blick zeigte deutlich, dass er von dem neuerlichen Krankheitsausbruch bisher wirklich rein gar nichts mitbekommen hatte, worüber ich ehrlich gesagt auch ziemlich froh war. Aber jetzt war er wieder ansprechbar und wollte auch sofort alles wissen, was bisher geschehen und mit den Häuptlingen besprochen worden war. Er schien wieder Feuer und Flamme für die bevorstehende Aufgabe zu sein, und wenn ihm sein geschwächter Körper nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, wäre er in seinem Tatendrang wahrscheinlich noch in der gleichen Stunde aufgestanden. Zum Glück konnten der Doktor, Til Lata, Entschah-koh und ich ihn vorerst bändigen, und Walter machte meinem Freund auch sogleich eindringlich klar, dass er mindestens noch eine Woche der Erholung bedurfte, bevor er sich wieder und mit aller gebotenen Vorsicht an den Gesprächen und Verhandlungen über die kommende Zeit würde beteiligen können. Da Winnetou mittlerweile von uns erfahren hatte, dass ihm seine Krankheit von den Gästen nicht als Schwäche ausgelegt wurde, begann er jetzt auch deutlich ruhiger und verständiger zu werden – es blieb ihm zudem ja gar nichts anderes übrig, und seine körperliche Schwäche tat dann auch noch ein übriges. Auch ich trug meinen Teil dazu bei, denn als wir einige Zeit später endlich mal alleine waren, nutzte ich auch sofort die Gelegenheit, um ihm mein Herz auszuschütten und ihm klarzumachen, welch große Ängste ich in den vergangenen Tagen mal wieder um ihn hatte ausstehen müssen. Dieses Geständnis brach nun endgültig den Widerstand meines Freundes, und da ich in der letzten Zeit auch kaum Appetit verspürt und deshalb sogar ein wenig an Gewicht verloren hatte, war sein Innerstes bald erfüllt von Mitleid für mich. Er bat mich zu sich auf sein Lager, wies mich an, mich ganz zu ihm zu legen, und dann schloss er mich auf eine solch innige Weise in seine Arme, dass ich einen wohligen Seufzer ausstieß. In diesem Augenblick war ich beinahe trunken vor Freude über diese deutliche Verbesserung seines Zustandes und fühlte erstmals seit Tagen wieder ein solches Glück in mir, dass ich am liebsten die ganze Welt umarmt hätte! Die folgenden Tage hielt sich mein Freund, vor allem mir zuliebe, auch strikt an die Anweisungen des Arztes, so dass er sich jetzt sehr rasch erholte und nach Ablauf einer Woche endlich wieder an den Gesprächen und Verhandlungen mit den Gästen beteiligen konnte. Unter Winnetous Führung und durch sein Geschick, vor allem aber auch aufgrund seiner unvergleichlichen Aura und seiner außergewöhnlichen Wirkung auf andere Menschen gelang es ihm recht schnell, schon lange bestehende Streitigkeiten zu schlichten, Ängste um Landverlust oder dergleichen zu minimieren oder sogar ganz zu nehmen und zudem noch so manch andere Sorge aus dem Weg zu räumen. In den weiteren Verhandlungen wurden natürlich noch Pläne für die kommenden Monate geschmiedet und gleichermaßen einige für lange Zeit gültige Vereinbarungen getroffen; außerdem konnten die befreundeten und benachbarten Stämme, sogar die den Apatschen recht feindlich gesonnenen, davon überzeugt werden, dass die Soldaten der naheliegenden Forts ebenfalls an einem längerfristigen Frieden in der Region interessiert waren und daher mit den umliegenden Indianerstämmen zusammenarbeiten wollten, anstatt sie zu bekämpfen. Winnetou begründete seine jetzt so intensiven Verhandlungen und ausgiebige Zukunftspläne übrigens damit, dass er das kommende Jahr über mehrmals weite Reisen unternehmen müsse und somit selten hier vor Ort sein könne. Das war keine wirkliche Lüge – und diese Erklärung leuchtete den Gästen auch sofort ein. Zwei Wochen später war dann endlich alles besprochen, und mit einem großen Abschiedsfest wurde der äußerst zufriedenstellende Abschluss der Gespräche mit allen Abgesandten der benachbarten Stämme, auch wenn sie den Apatschen früher feindlich gegenüber gestanden hatten, ausgiebig gefeiert. Als dann am nächsten Morgen der große Aufbruch folgte, konnten wir sicher sein, dass die Mescaleros einige neue Freunde dazugewonnen hatten, und das war vor allem ein Verdienst meines Winnetou, auf den ich in diesen Stunden wirklich unglaublich stolz war. Nun rückte auch unsere Abreise näher, weshalb wir die wenigen Gelegenheiten bis dahin nutzten, um noch einige herrliche Jagdausflüge in die Umgebung zu unternehmen, was uns zusätzlich die Möglichkeit gab, mit unseren Hengsten vor der langen Trennung noch ein paar Mal ausgiebig auszureiten. Auf dem ersten dieser wenigen Ausritte führte uns unser Weg mehr oder weniger zufällig in die Nähe der kleinen Höhle, in der wir schon früher so einige leidenschaftliche Stunden verbracht hatten. Als wir uns der Nähe zu diesem abgeschiedenen Ort bewusst wurden, bedurfte es nur eines einzigen Blickaustausches, und schon waren wir nicht mehr zu halten, so heftig wurden wir mit einem Male von unserer Begierde aufeinander überrollt. Kaum waren wir in der Höhle angekommen, riss ich meinen Freund beinahe schon brutal in meine Arme und vergrub mein Gesicht in seine Halsbeuge. Wie sehr hatte ich mich nach solch einem Moment der innigen Zweisamkeit gesehnt! Endlich konnte ich meinem Winnetou wieder das ganze Ausmaß meiner Liebe zu ihm zeigen, ihn endlich wieder mit all den Zärtlichkeiten überschütten, die nur darauf warteten, ihm einen Hochgenuss nach dem anderen zu verschaffen! **** ACHTUNG: SLASH!! **** Völlig unbeherrscht zerrten wir an der Kleidung des anderen, begierig darauf, ihn endlich von dieser zu entledigen. Kurz darauf lagen wir schon eng ineinander verschlungen auf dem Teppich aus weichem Moos, während wir in einem wilden Kuss vertieft waren. Meine Hände erkundeten währenddessen jeden einzelnen Quadratzentimeter von Winnetous wundervoll weicher und samtener Haut, pressten seinen Körper zwischendurch eng an mich, um sich dann wieder auf eine lustvolle Wanderschaft zu begeben und sich immer wieder in seinem herrlichen Haar zu verfangen. Auch mein Freund ließ seiner Leidenschaft freien Lauf und liebkoste mich überall, wo es ihm möglich war. Es dauerte dann auch nicht lange, bis sich seine Hände immer öfter meiner Mitte näherten, dann wieder über die Hüfte hoch zu meinem Gesäß glitten, dort mit einer beinahe überraschenden Heftigkeit die Muskeln kneteten, sich wieder zurückzogen und sich schließlich mit einer energischen Bewegung zwischen unsere Körper drängten, um mich an der Stelle zu berühren, die voller Sehnsucht seine Hand erwartete. Die Wollust überkam mich jetzt plötzlich mit solch einer Macht, dass ich größte Mühe hatte, mich noch irgendwie zurückzuhalten und nicht schon mit der nächsten Handbewegung seinerseits vorzeitig zum Ende zu kommen. Um dieser Gefahr vorerst aus dem Weg zu gehen, beendete ich unseren stürmischen Kuss und glitt statt dessen mit meinem Mund ganz langsam an seinem Körper weiter nach unten; erst über seine Wangenlinie, dann über die Mundwinkel, wo ich ihn kurz neckte und nochmals meine Lippen leicht auf die seinigen drückte, sie aber sofort wieder zurückzog, als er diese gleich öffnete, um mir erneut Einlass zu gewähren, währenddessen ich meinen Unterkörper außerhalb seiner Reichweite brachte. Weiter ließ ich meinen Mund seinen Körper erkunden, erst das Kinn, dann den Kehlkopf und schließlich die kleine Kuhle kurz darunter, bis ich etwas seitlich glitt und auf seiner Halsschlagader verweilte. Dort saugte und knabberte ich ganz sanft über seine Haut, während meine Lippen seine Pulsschläge erspürten. Ich hörte meinen Freund wohlig aufseufzen, wobei er seinen Kopf leicht zur Seite neigte, um mir mehr Platz zu verschaffen. Während ich dort die Haut weiter liebkoste, ging meine rechte Hand weiter auf Wanderschaft, berührte seine Brust, reizte die Brustwarzen, was ihm ein leises Aufstöhnen entlockte, wanderte kurz darauf weiter nach unten, glitt über seinen Bauch, spielte ein wenig mit seinem Bauchnabel, fuhr noch weiter nach unten und kam dabei seinem schon hoch aufgerichteten und prallen Schaft weiter näher, der mittlerweile jeder meiner Bewegungen entgegen zuckte. Einige Sekunden lang liebkoste ich noch die weiche Haut, die seine Männlichkeit umgab, genoss dabei seine immer schneller werdende Atmung und sein zwischenzeitliches Aufstöhnen – doch dann konnte ich mich selber einfach nicht mehr zurückhalten. Langsam umschlossen meine Finger seinen Schaft, wobei ihm ein heftiges Keuchen entfuhr, glitten an der seidigen Haut hinauf, massierten leicht seine Spitze, woraufhin er sich unter mir zu winden begann und sein Keuchen immer lauter wurde. Schließlich umschloss ich ihn mit deutlich mehr Druck und begann, seine Härte auf der ganzen Länge zu massieren, was ihm jetzt ein solch wildes, grollendes Stöhnen entlockte, dass sich in mir alles zusammenzog. Währenddessen hatten meine Lippen schon seine rechte Brustwarze umschlossen, was bewirkte, dass er kurz darauf schon vor einer Explosion zu stehen schien, vor allem deshalb, weil meine Handbewegungen noch etwas schneller wurden und mein Griff gleichzeitig fester. Mittlerweile stöhnte er unaufhörlich, und auch ich konnte beinahe nicht mehr an mich halten, so sehr erregte mich alleine sein vor Lust bebender Körper, sein entrückter Gesichtsausdruck und der Anblick seines prallen Schaftes, auf dem sich schon der erste Lusttropfen zeigte. Unbewusst hatte ich wieder damit begonnen, meine Erregung an seinem Körper zu reiben, was unweigerlich in den nächsten Sekunden zu einem vorzeitigen Höhepunkt führen musste, weshalb ich mich fast schon mit Gewalt dazu zwingen musste, mich nochmals etwas von ihm wegzuschieben, so dass nur mein Mund und meine Hände den geliebten Freund noch berühren konnten. Der Anblick seines prallen Schaftes mit der feucht glänzenden Spitze sorgte dafür, dass ich wie magisch davon angezogen wurde. Die Strecke von seiner Brust bis dort hinunter überwand ich schnell, wobei ich viele kleine Küsse auf seiner Haut verteilte – und dann hatte ich endlich seine überaus erregende Männlichkeit direkt vor Augen. Winnetous Atem flog jetzt förmlich, seine Haut war schweißnass und sein Körper zitterte vor Erregung, und als ich endlich meine Lippen um seine Spitze schloss und meine Zunge gleichzeitig über die empfindlichste Stelle kreisen ließ, da entfuhr ihm ein tiefer, grollender, lang anhaltender Lustlaut, der mich nur noch mehr erregte. Mit der rechten Hand seine Hoden umfassend ließ ich jetzt seinen Schaft auf ganzer Länge in meinen Mund gleiten, spürte, wie seine Spitze auf Widerstand stieß, was ihm ein nochmaliges Grollen entlockte, und dann steigerte ich mit einem Mal mein Tempo und brachte ihn mit schnellen, harten Bewegungen an den Rand des Wahnsinns. Beide stöhnten wir jetzt ununterbrochen, doch als ich spürte, wie er in meinem Mund zu pulsieren begann, entließ ich ihn rasch wieder, denn so schnell wollte ich es einfach noch nicht beenden. Dieses brachte mir ein beinahe verzweifelt klingendes, nochmaliges Stöhnen meines Freundes ein, was mich zufrieden lächeln ließ. Um ihm Luft zum Atmen zu verschaffen und etwas zu beruhigen, verließ ich jetzt mit meinem Mund diesen so hochsensiblen Bereich und für mich äußerst erregenden Anblick, schob mich wieder hoch, um ihn noch einmal intensiv zu küssen. Dabei ließ ich mich eher unbewusst mit meinem ganzen Körper auf ihn sinken, und als sich während unseres immer wilder werdenden Kusses unsere Schäfte mit einem Mal berührten, da war es erneut aus mit meiner mühsam errungenen Beherrschung. Beide stöhnten wir tief auf und begannen uns dann gleichzeitig zu bewegen, unsere Mitte dabei gegeneinander pressend, so dass ich schon nach wenigen Sekunden wusste, dass ich nicht mehr lange würde durchhalten können. Doch dann geschah etwas, womit ich niemals gerechnet hätte, woran ich noch nicht einmal gedacht hatte: Winnetous Oberschenkel hatten sich während seiner heftigen Bewegungen leicht geöffnet, und im nächsten Augenblick rutschte mein Schaft in die dort entstandene Lücke. Unbewusst drängte ich mich noch mehr an ihn heran, bis meine Spitze plötzlich eine Stelle an ihm berührte, die ihn völlig überrascht aufkeuchen ließ und mir einen ungeahnten Hochgenuss verschaffte. Sofort hielten wir inne, sahen uns beinahe erstaunt in die Augen, während unsere Körper vor haltloser Erregung nur so bebten. Ich selbst wusste nur ganz vage, was es da noch für Möglichkeiten gab, und dieses Wissen hatte ich mir auch nur aus einigen bruchstückhaften Gesprächsfetzen von betrunkenen Männern in der Heimat angeeignet. Wie weit mein Blutsbruder mit seinem Wissen war, konnte ich hingegen nur erahnen. Ganz sacht drückte ich trotzdem noch einmal gegen diese so empfindliche Stelle, und mit einem Mal sehnte sich alles in mir nach einer Fortsetzung dieser Berührung, nach einer noch tiefer gehenden Verschmelzung mit meinem über alles geliebten Freund, und ich wusste plötzlich: das hier würde die endgültige Erfüllung meiner in der Vergangenheit immer latent vorhandenen Sehnsucht nach einer vollendeten Vereinigung mit diesem herrlichen Menschen sein – aber wie stand er wohl dazu? Für einige Sekundenbruchteile wirkten unsere Bewegungen wie eingefroren, und ein wenig ratlos begann ich zu überlegen, wie es nun weitergehen könnte – da spürte ich mit einem Mal, wie er seine Beine um mich herum schlang und mich auf diese Weise geradewegs dazu drängte, ein Stück weit in ihn einzudringen, was auch aufgrund meiner feuchten Spitze recht leicht gelang. Eine wahre Urgewalt von in mir tobenden Lustgefühlen brandete jetzt wie eine Welle über mich hinweg und schlug haltlos über mich zusammen, während ich gleichzeitig wie aus weiter Ferne das tiefe, wollüstige Aufstöhnen meines Winnetou vernahm. Kurz hielt ich inne, nicht sicher, ob ich ihm nicht doch Schmerzen bereitete, aber da verstärkte er schon den Druck seiner Beine und zwang mich, noch tiefer in ihn einzudringen. Niemals hätte ich gedacht, dass es noch eine Steigerung unserer bisherigen, in unendlich berauschenden Liebesakten empfundenen Lustgefühle geben konnte, aber in diesen Momenten wurde ich eines Besseren belehrt. Beinahe hätte ich geschrien, als sich in mir eine heiße Erregungswelle nach der anderen ausbreitete, und Winnetou schien es nicht anders zu ergehen, denn sein Körper zitterte jetzt unaufhaltsam, und sein Stöhnen hatte schon beinahe etwas Animalisches an sich, was er überhaupt nicht mehr kontrollieren konnte. Mehrmals zog ich mich wieder ein wenig aus ihm zurück, aus Angst, ihn mit einer zu schnellen und heftigen Bewegung zu verletzen, auch und gerade weil mich eine so unglaubliche Enge umfing, dass ich es kaum glauben konnte, dass sie meinen prallen Schaft vollständig aufnehmen könnte. Winnetou aber schien diese Ängste in keinster Weise zu teilen, im Gegenteil: sobald ich mich ein Stück zurückgezogen hatte, gab er einen fast unwilligen Laut von sich und schlang dann seine Beine nur noch etwas fester um mich herum, um mich noch tiefer in ihn eindringen zu lassen. In meinem Kopf rauschte und summte es mittlerweile, Blitze zuckten unaufhörlich vor meinen Augen, mein Herz raste, während eine unfassbare Erregung jetzt von mir Besitz ergriffen hatte. Ich musste nun alle Willenskraft aufbringen, um nicht mit aller Macht in ihn hineinzustoßen – statt dessen drang langsam und vorsichtig, Stück für Stück in ihn ein, bis er mich letztendlich vollkommen in sich aufgenommen hatte; und dieses einzigartige Gefühl übertraf bei weitem alles bisher Dagewesene! Keuchend vor Erregung hielt ich ein letztes Mal inne und sah meinen Geliebten an. Er lag auf dem Rücken, hielt den Kopf nach hinten in das Moos gepresst und die Augen geschlossen, die Wangen waren gerötet, der Ausdruck auf seinem Gesicht wies eine völlig entfesselte Erregung auf. Seine Atmung ging schwer, heftig und schnell, sein ganzer Körper bebte vor unstillbarer Lust, seine Hände hatten sich links und rechts in das weiche Moos gekrallt. Dieses unglaublich erregende und gleichzeitig wunderschöne Bild von ihm brannte sich jetzt unwiderruflich in meinem Gedächtnis ein, und fast hatte ich Angst, es durch eine neuerliche Bewegung meinerseits zu zerstören. Dann aber übte er ein weiteres Mal mit seine Beinen Druck auf mich aus, eine erneute heiße Welle der Erregung durchflutete mich – und nun gab es einfach kein Halten mehr. Noch einmal zog ich mich fast vollständig aus ihm zurück, was mir aufgrund seines sofort kräftiger werdenden Druckes beinahe nicht gelungen wäre – und dann stieß ich mit aller Macht zu, wieder und wieder und wieder, berührte dabei jedes Mal einen Punkt in ihm, der ihn laut aufstöhnen ließ und fast zur Raserei brachte, und als ich mich jetzt auch noch mit einem Arm etwas abstützte, um meine andere Hand dafür zu nutzen, seinen vollends angeschwollenen Schaft zu umfassen und mit hartem Druck im Rhythmus meiner Bewegungen zu massieren, da konnte ich förmlich spüren, wie bei ihm kurzzeitig der Herzschlag aussetzte. Er biss sich in die Knöchel seiner Hand, um seine Lustlaute wenigstens etwas einzudämmen, während ich dazu keine Möglichkeit besaß und mich deshalb in einem haltlosen, lauten Stöhnen erging. Immer wieder drang ich tief in ihn ein, wobei ich allmählich das Gefühl bekam, aufgrund dieser unfassbaren Erregung den Verstand zu verlieren – und Winnetou schien es nicht anders zu ergehen. Noch einmal, zweimal stieß ich kräftig zu, und dann spürte ich mit einem Mal, wie sich alles in ihm verkrampfte, spürte es so deutlich wie noch niemals zuvor, sah seinen ganzen Körper steif werden – und jetzt brach sich der bisher heftigste Höhepunkt überhaupt in ihm Bahn, ließ ihn gellend aufschreien und sich gleichzeitig stoßweise über meine Brust ergießen, während er sich krampfhaft bemühte, irgendwo noch Halt zu finden und nicht vollends die Besinnung zu verlieren. Währenddessen ich mit einer bis dahin ungeahnten Intensität seine Kontraktionen erspürte, konnte ich mich auch keine Sekunde mehr länger halten. Mit einem dunklen Schrei, der eher einem Gebrüll glich, erfasste auch mich ein endlos erscheinender und in seiner Dimension niemals für möglich gehaltener Orgasmus, wurde sogar noch verstärkt durch seine immer noch anhaltenden Kontraktionen, während ich vor Erregung zu verglühen glaubte und alleine schon aufgrund dieser übermächtigen Empfindungen weiterhin ungehemmt und mit aller Kraft in ihn hineinstieß. Meine Stöße sowie die für ihn ganz neue Erfahrung, als ich mich heiß in ihm verströmte, ließen ihn wenige Augenblicke später ein zweites Mal kommen, noch etwas heftiger als beim ersten Mal, und diese neuerlichen Kontraktionen bewirkten auch bei mir, dass sich in mir ein weiterer Höhepunkt unaufhaltsam Bahn brach, mich mit aller Macht überrollte und alles bis dahin Gekannte in die Untiefen der Erinnerungen verdrängte. Ich glaube sogar, dass wir beide uns noch ein drittes Mal gegenseitig auf den höchsten Gipfel der Lust trieben, weiß es aber nicht mehr so genau, da mir meine Sinne tatsächlich für Sekundenbruchteile schwanden und ich mich danach nur noch an diesen übermächtigen Rausch, aber an nichts mehr Genaues erinnern konnte. Bis aufs Äußerste erschöpft ließ ich mich irgendwann schwer auf seinen immer noch leicht zitternden Körper sinken, unfähig, mich auf irgendeine Weise noch zu rühren, und auch Winnetou schienen jegliche Kräfte verlassen zu haben. Es gelang mir gerade noch, meine Arme fest um ihn zu schlingen, wobei ich das Gefühl hatte, vor tiefer Liebe zu ihm förmlich überzufließen. Er erwiderte diese Umarmung auch sofort, und Sekunden später waren wir dann auch schon eingeschlafen. Kapitel 45: Aufgeflogen? ------------------------ Ich kann beim besten Willen nicht mehr sagen, wie viel Zeit eigentlich vergangen war, seitdem uns der Schlaf aufgrund unserer völligen Erschöpfung übermannt hatte, aber allzu lange konnte es noch nicht her gewesen sein. Es war noch hell, als ich langsam wieder in die Wirklichkeit zurückfand und schwerfällig die Augen öffnete. Erst erstaunt, dann hocherfreut und schließlich einfach nur selig registrierte ich, wo – und vor allem in welcher Lage – ich mich befand und wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als diesen Zustand für immer festhalten zu können. Gleichzeitig wurde ich mir meiner inneren Glückseligkeit und dem seltsamen Gefühl einer wundervollen Schwerelosigkeit bewusst – beinahe war es mir, als ob ich fliegen würde! In diesem Augenblick schwebte ich einfach nur zeitlos, sorglos, ziellos dahin, erfüllt von irrsinniger Freude und allerhöchstem Glück – was da eben zwischen uns geschehen war, hatte unsere Beziehung, unsere Freundschaft, unsere Liebe gewissermaßen vollendet und komplettiert, und diese Erkenntnis fühlte sich so unsagbar gut, so wundervoll und vor allem so richtig an, dass es mein Herz fast schon schmerzhaft zusammenzog. Immer noch lag ich schwer auf meinem Freund und wollte deshalb seinem abgemagerten Körper die Lage nun etwas erleichtern. Äußerst vorsichtig, Millimeter für Millimeter, begann ich mich aus ihm zurückzuziehen, ganz langsam, um ihn bloß nicht zu wecken, doch das war natürlich nur ein frommer Wunsch – er erwachte noch in derselben Sekunde. Seine Muskeln zogen sich minimal zusammen, als er sich während des Erwachens etwas bewegte, doch diese kurze Reizung wurde von meinem immer noch leicht versteiften Schaft sofort lustvoll erwidert, was meinem Freund im gleichen Augenblick ein leises Stöhnen entlockte. Wir sahen uns tief in die Augen, beide mit einem leisen Lächeln auf den Lippen – und dann schlangen wir die Arme umeinander, pressten unsere Körper fest aneinander, so fest es nur ging, und hielten uns auf diese Weise eine kleine Ewigkeit lang umarmt. Ich konnte allerdings der Versuchung irgendwann nicht mehr widerstehen und begann deshalb, mich in ihm wieder ganz leise zu bewegen, was uns beide im gleichen Moment vor Lust aufkeuchen ließ, doch ich spürte schnell, dass ich noch viel zu erschöpft war, um jetzt sofort wieder aktiv werden zu können. Auch Winnetou schien es nicht anders zu ergehen, denn nach wenigen Sekunden legten sich seine Hände auf meine Hüften und verhinderten durch festes Zupacken jede weitere Bewegung meinerseits. „Winnetou würde gern noch ein wenig ruhen“, flüsterte er in mein Ohr, und in mich hinein grinsend zog ich ihn daraufhin nur noch fester in meine Arme. „Ich jedenfalls bewege mich hier niemals wieder weg“, behauptete ich mit gespieltem Nachdruck, woraufhin er leise zu lachen begann. „Mit der Zeit würde uns das aber sicher in große Schwierigkeiten bringen“, stellte er mit einem nicht gerade erfolgreich unterdrücktem Glucksen in der Stimme fest. „Mir egal!“ Mein Grinsen wurde noch ein wenig breiter, und dann setzte ich noch eins drauf: „Das hier könnte ich sowieso mindestens eine ganze Woche lang ständig wiederholen!“ Jetzt begann mein Freund tatsächlich sogar richtig herzhaft zu lachen, und es dauerte eine Weile, bis er mühsam herauspressen konnte: „DAS würde Winnetou aber bestimmt nicht überleben!“ Nun brachen bei uns alle Dämme – und ich schwöre, dass ich meinen Winnetou noch niemals so laut und so befreit habe lachen hören! Wir befanden uns in einer völlig entspannten, gelösten und friedvollen Stimmung, und dieser Moment war einfach nur für die Ewigkeit geschaffen! Die unaufhaltsamen Heiterkeitsausbrüche ließen unsere Körper immer wieder erbeben, und in unserer weiterhin miteinander verschmolzenen Lage erzeugte jede noch so minimale Bewegung erneut ein intensives Lustgefühl. Unser Lachen erstarb daher schnell, und am liebsten wären wir sofort wieder dem beinahe übermächtigen Drang nachgekommen, das Geschehene zu wiederholen, aber wir spürten beide, dass wir dazu einfach noch viel zu erschöpft waren. Also begnügten wir uns mit ganz sanften und ruhigen Bewegungen, die uns bald in einen Zustand des unendlichen lustvollen Wohlgefühls katapultierten, ohne uns zu überanstrengen. Dieses Gefühl der vollendeten Vereinigung mit dem Menschen, den ich von ganzen Herzen liebte, das Wissen, von ihm so eng umfangen zu werden, diese innige Verbundenheit unserer Seelen und jetzt endlich auch unserer Körper war so intensiv, so einzigartig schön, dass mir beinahe die Tränen kamen. Und wieder wünschte ich mir, diese kostbaren Augenblicke für immer und ewig festhalten zu dürfen! Viele tausend kleine Unendlichkeiten später zog ich mich aber dann doch vorsichtig aus ihm zurück und umschlang meinen Freund, so fest ich nur konnte. „Wir gehören zusammen“, flüsterte ich ihm ins Ohr. „Auf ewig“, ergänzte er ebenso leise, mit einem überaus glückseligen Ausdruck im Gesicht. Wohlig seufzend schmiegte ich nun mein Gesicht an seine Halsbeuge und gab mich ganz dem wunderbaren Gefühl hin, unsere Liebe endlich einmal wieder völlig entspannt genießen zu dürfen, ganz ohne die in der Vergangenheit ständig vorhanden gewesene Angst, von den Gefährten durch Zufall entdeckt werden zu können. Stumm lagen wir über eine lange Zeit so ineinander verschlungen, bis Winnetou mit einem Mal wieder das Wort ergriff. „Warum war mein Bruder vor einigen Tagen auf einmal so besorgt um Winnetou – wirklich nur aufgrund unserer geplanten Reise?“ Etwas irritiert richtete ich mich leicht auf und sah ihn an. An diese kurze Szene vom Tag unserer Ankunft im Pueblo erinnerte er sich noch? Obwohl er da schon unter hohem Fieber gelitten hatte? Seine dunklen Augen ruhten voller Wärme auf mir, aber der fragende Ausdruck in ihnen war nicht zu übersehen. Und natürlich – im Grunde genommen war es auch nur recht und billig, dass er über meine Bedenken informiert wurde, er musste schließlich wissen, was genau in Deutschland auf ihn zukommen könnte. Daher fackelte ich jetzt auch nicht lange, strich ihm leise über die Wange und sah ihn liebevoll an, während ich mit meiner Erklärung begann: „Ich habe dich damals inmitten der innigen Umarmung deines Volkes gesehen und beobachtet – und mit einem Mal drängte sich mir die Frage auf, ob es wirklich richtig und sinnvoll ist, dich aus deiner gewohnten Umgebung herauszureißen. Du musst dich schließlich in einem dir völlig fremden Land zurechtfinden, und dort könnte dir schnell die heimatliche Landschaft fehlen...“ „Aber Winnetou ist doch dort nicht alleine! Mit dir an meiner Seite werde ich mich überall zurechtfinden. Scharlih – DU bist meine Heimat! In deiner Gegenwart kann mir gar nichts fehlen!“ Das war mal wieder eine solch rührende Liebeserklärung meines Winnetou, so voller Vertrauen zu mir, dass es bei mir schon wieder verdächtig hinter den Augenlidern brannte. Mein Herz floss über vor Liebe zu ihm, so dass ich jetzt gar nicht anders konnte als ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn zu geben, aber dann brachte ich ihm trotzdem noch meine restlichen Bedenken nahe: „Aber werden die Mauern der meist recht kleinen Häuser und der großen Städte dich nicht einengen, dir nicht das Gefühl des Eingesperrtseins vermitteln? Vielleicht sehnst du dich nach kurzer Zeit schon so sehr nach den unendlichen Weiten der Prärie, dass diese Sehnsucht dich noch kränker macht und eine vollkommene Heilung erst gar nicht zulässt? Und außerdem... ich werde natürlich alles dafür tun, dass du dich dort wohlfühlst – aber ich kann meine Landsleute nicht beeinflussen, vor allem dann nicht, wenn sie mir selbst fremd sind... ich habe Sorge, dass es prüfende, vielleicht sogar manchmal abweisende Blicke geben könnten, die dir schnell zu viel werden und dich zu sehr kränken könnten!“ Mein Blutsbruder sah mich jetzt eine kleine Weile nachdenklich an, bevor er antwortete: „Müssen wir uns denn stets und ausschließlich in den Städten deiner Heimat aufhalten?“ Dieser Gedanke war mir zwar auch schon mal in ähnlicher Form gekommen, aber ich hatte ihn nie bis zum Ende verfolgt. Jetzt aber... sicher, ich hatte mir schon so einige Pläne für Winnetous Besuch gemacht und mir dabei viele Orte und Sehenswürdigkeiten in Deutschland überlegt, die ihn interessieren könnten. Ich hatte vorgehabt, ihm soviel wie möglich von unserer Kultur nahezubringen – aber war das denn überhaupt nötig? Ganz plötzlich erschien ein völlig anderes Bild vor meinem inneren Auge, eine neue Perspektive, die jetzt auch schnell Gestalt annahm... ja, so könnte es gehen... Winnetou hatte mein Mienenspiel aufmerksam verfolgt, und jetzt huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. „Mein Bruder hat eine Möglichkeit gefunden?“ „Ja, ich denke schon“, antwortete ich und zog ihn abermals fest in meine Arme. „Nichts und niemand wird dich auf dieser Reise in irgendeiner Hinsicht je verletzen können, weder deinen Körper noch deine Seele – dafür werde ich mit allen Mitteln sorgen!“ „Davon ist Winnetou überzeugt“, antwortete mein Freund, in dessen Augen sich ein gerührtes Funkeln geschlichen hatte. „Aber mein Bruder darf sich nicht solche Sorgen um seinen Freund machen – dieser wird sich von den lächerlichen Blicken einiger dummer Menschen bestimmt nicht verscheuchen lassen!“ Leise lachte ich in mich hinein, während ich ihn noch fester an mich drückte. Ich hatte seinen Wink natürlich verstanden und antwortete darum: „Und ich werde mich zumindest bemühen, dir auf jeden Fall genügend Freiraum zu lassen – versprochen!“ Auch Winnetou begann jetzt wieder in seiner leisen, nach innen gerichteten Art zu lachen, während er meine Umarmung ebenso fest erwiderte. Er war so gelöst, so entspannt, so wunderbar fröhlich, wie ich ihn wirklich nur äußerst selten erlebt hatte – und in solch einer Stimmung hatte ich ihn vor meiner Rückkehr nach Amerika überhaupt noch nie gesehen. Mir war bewusst, dass vor allem die neue Ebene unserer tiefen Liebe zueinander in meinem Freund jene positive Veränderung ausgelöst hatte – genauso wie ihn mit Sicherheit auch der kurze Kontakt mit dem Jenseits in diese Richtung geprägt hatte – und in solch kostbaren Momenten wie genau jetzt schwor ich mir ein weiteres Mal, dass ich alles daransetzen wollte, um Winnetous immer öfter hervortretende und so anrührende Heiterkeit nie wieder in die durch Verrat, Hass, Hinterlist und Mord verursachten dunklen Schatten seiner Seele verschwinden sehen zu müssen! Wir verblieben aber nicht mehr lange in dieser innigen Umarmung. Mittlerweile hatten sich unsere Körper wieder erholt und wiesen nun erneut deutliche Zeichen auf, dass die Begierde auf den anderen ein weiteres Mal entfacht worden war. Und nun, wo wir erfahren hatten, wie wir unsere Lust, unsere Leidenschaft sogar noch einmal steigern konnten, gab es auch kein Halten mehr – abermals verschmolz ich mit meinem Geliebten, abermals ließen wir unseren Gefühlen freien Lauf, so heftig, so unglaublich intensiv, dass ich am Ende tatsächlich Mühe hatte, überhaupt wieder zu Atem zu kommen. Die Nacht verbrachten wir dann auch mehr oder weniger gezwungenermaßen in der Höhle, denn wir waren kaum noch zu einer Bewegung fähig, geschweige denn zu einem Jagdausflug! *** ************************** Entwarnung! ********************************* *** Zum Glück hatten wir die Gefährten im Pueblo vorgewarnt, dass sich dieser Ausflug auch über zwei Tage hinziehen könnte, sollten wir am ersten Tag keinen Erfolg haben – und den hatten wir zumindest in dieser Hinsicht wirklich nicht gehabt. Der nächste Tag brachte uns dann aber doch gute und reichliche Beute, so dass wir höchst zufrieden heimkehrten, wobei ich mich allerdings schwer zusammenreißen musste, um meine gute Laune nicht zu auffällig werden zu lassen. Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt umarmen zu wollen und bekam mein Grinsen auch kaum mehr aus dem Gesicht. Winnetou hatte sich da weit besser unter Kontrolle, doch wenn ich ihn genau betrachtete, dann konnte ich seine Augen vor Glück strahlen sehen – und dieser Anblick tat mir so unendlich wohl! Daheim im Pueblo, wenige Stunden später, nahm mich mit einem Mal Emery an die Seite und bat mich um ein Gespräch. Gespannt, was denn jetzt wohl kommen würde, folgte ich ihm, auch weil er ziemlich geheimnisvoll tat, was ich so gar nicht von ihm kannte. Seltsamerweise schien er auch darauf bedacht, dass Winnetou von unserem Gespräch auf keinen Fall etwas mitbekam, denn er hatte offensichtlich genau den Zeitpunkt abgepasst, an dem der Apatschenhäuptling einmal nicht an meiner Seite weilte. Wir setzten uns also an das Ufer des Pecos, etwas abseits von dem Gewusel rund um das Pueblo und unweit der Stelle, an der Klekih-petra, Winnetous geliebter weißer Lehrer und Ziehvater, begraben lag. Und nun begann der Engländer das Gespräch, und zwar auf eine höchst eigentümliche Weise. „Mein lieber Charley! Wir sind doch gute Freunde, nicht wahr?“ „Nun – die besten, denke ich“, antwortete ich auf diese recht seltsame Frage. „Gut! Dann stimmst du wohl auch mit mir überein, wenn ich sage, dass beste Freunde einander auch mal einen Gefallen tun?“ „Natürlich! Welch ein Frage!“, entgegnete ich, mittlerweile etwas irritiert. „Prima! Und wenn ich dich jetzt um einen Gefallen bitte, so kann ich doch hoffentlich davon ausgehen, dass du ihn mir nicht verwehren wirst?“ Vollends verwundert sah ich nun Emery an. Warum fragte er nur nach so etwas Selbstverständlichem? „Mein lieber, alter Freund – du müsstest es doch wirklich selbst am besten wissen: Dir würde ich jeden Gefallen tun, und sollte es mir noch so schwerfallen!“ Einen Moment lang glaubte ich zu sehen, wie ein befriedigtes Lächeln über sein Gesicht huschte, welches mittlerweile einen wahrhaft listigen Ausdruck angenommen hatte. „Oh, keine Sorge“, wandte er nun ein. „DIESEN Gefallen brauchst du nicht zu fürchten – er wird dir sogar sehr, sehr leicht fallen!“ Kopfschüttelnd antwortete ich: „Verzeih mir, wenn ich dir jetzt sage, dass mir dein Verhalten etwas seltsam vorkommt! Sprich doch also bitte nicht mehr in Rätseln und sage mir endlich, was genau du dir eigentlich von mir erhoffst?“ „Nun gut“, begann er, während sich sein Gesichtsausdruck langsam aber sicher in den eines Raubvogels verwandelte, der kurz davor steht, zur Erde zu stürzen und sich seine lang ausgespähte Beute zu schnappen. „Ich möchte dich bitten, mir zu erlauben, die gesamten Reisekosten für Winnetou genauso wie für dich übernehmen zu dürfen!“ Völlig verblüfft starrte ich dem Engländer ins Gesicht. „Bist du wahnsinnig?“ Das war das erste, was ich hervorbringen konnte, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Wieso sollte ich das zulassen? Winnetou ist mein bester Freund, mein Gast, und ich werde natürlich selbst für ihn aufkommen und auch...“ „Winnetou ist auch MEIN Freund“, unterbrach er mich mit Nachdruck. „Und ich will dir auch gerne erklären, was ich mir dabei denke – wenn du mich noch für einen Moment ausreden lässt!“ Er hatte natürlich gesehen, dass mir allerlei Erwiderungen auf den Lippen lagen und wollte mir auf diese Weise zuvorkommen. Ergeben nickte ich und sah ihn aufmerksam an. „Charley – du kennst mich und weißt daher auch genau, dass ich über immens hohe finanzielle Mittel verfüge und eigentlich gar nicht mehr weiß, wie ich das alles in diesem Leben überhaupt noch ausgeben soll“, begann Emery mit seiner Erklärung. „Das soll jetzt beileibe nicht selbstgefällig klingen – aber es ist nun einmal Tatsache. Für mich bilden diese Reisekosten einen lächerlich kleinen Teil meines monatlichen Einkommens, für dich aber sind sie gar nicht so einfach zu schultern, wie ich genau weiß. Schriftsteller werden halt nicht so hoch bezahlt, und du hast leider auch keine reiche Verwandtschaft, die dir, wie in meinem Fall, beizeiten ein Vermögen vererbt hat!“ Grinsend sah er mich an, auf eine solch spitzbübische Weise, dass auch ich lachen musste, zumal er ja Recht hatte. Nur: wieso sollte ich mich von ihm aushalten lassen? Der Engländer sah mir meine Zweifel natürlich an und begann daher von Neuem: „Ich habe euch beide sehr lieb, und Winnetous Gesundheit liegt mir wirklich am Herzen. Ich frage mich daher schon seit geraumer Zeit: Wie soll dieser freiheitsliebende Mensch eine wochenlange Überfahrt auf dem Meer überstehen können, wenn er in einer engen Kabine der Zweiten, oder noch schlimmer, in den überfüllten und muffigen Quartieren der Dritten Klasse eingesperrt ist? Es ist hier wirklich deine Pflicht, ihm nichts anderes als die Erste Klasse zur Verfügung zu stellen – und dass das ein halbes Vermögen kostet, weißt du selbst am besten. Genauso sieht es mit den Bahnfahrten in Deutschland aus – und wenn du dort noch einige weitere Rundreisen oder sonstiges vorhast, kannst du das auch nur machen, indem du so viel Geld wie nur möglich ausgibst, damit Winnetou seine Ruhe hat und nicht von irgendwelchen aufdringlichen Zeitgenossen belästigt wird... Ich denke, dass diese Gedanken soweit deine Zustimmung finden, ist es nicht so?“ Auch wenn ich mich noch etwas zierte – aber ich musste ihm recht geben. Und natürlich hatte ich zu diesem Thema schon mehrfach Überlegungen angestellt und mir in Gedanken ausgerechnet, ob ich mit meinen bescheidenen Ersparnissen wirklich auskommen würde – aber alles andere als die erste Klasse, egal ob wir mit Schiff oder Bahn reisen würden, kam für meinen Blutsbruder einfach nicht in Frage. Natürlich hatte ich mit ihm noch nicht darüber gesprochen und dachte auch gar nicht daran, es jemals zu tun, denn er hätte mir sofort einen riesigen Betrag aus seinen Goldvorräten ausgehändigt – und das wollte ich auf gar keinen Fall. Er war mein Gast – und Gäste müssen bei mir niemals für sich selbst aufkommen! Ich befand mich also in einer Zwickmühle, und der Engländer nutzte diesen Umstand jetzt auch gnadenlos aus. „Du hast vorhin gesagt, dass du mir jeden Gefallen tun würdest, richtig? Nun gut: ich erbitte mir also von dir nichts weiter als die Erlaubnis, diese Reise einfach von meinem Geld bestreiten zu dürfen! Ich kann leider nichts anderes dazu beitragen, um Winnetou bei seiner Genesung zu helfen, da ich nicht an seiner Seite sein werde. Und außerdem: Wir sind Freunde, gute Freunde, sogar die besten, wie du eben ganz richtig sagtest. Unter Freunden ist es eigentlich doch ganz gleich, wem das Geld gehört, vor allem dann, wenn genug davon vorhanden ist! Was mein ist, ist also auch dein, und somit wirst du jetzt auch ohne Probleme in der Lage sein, meinen Wunsch zu erfüllen, nicht wahr?“ Emery sah mich jetzt auf eine solch treuherzige Weise an, dass ich gar nicht anders konnte als laut aufzulachen – seine Argumentation war aber auch zu drollig! Und nun wurde sein Blick auch noch richtiggehend flehend, so dass ich eigentlich gar keine andere Wahl hatte, wollte ich ihn nicht gegen meinen Willen kränken. „Also gut“, begann ich, doch ich wurde nochmals von ihm unterbrochen. „Im übrigen kannst du dich drauf verlassen, Charley, dass niemand jemals etwas davon erfahren wird – Winnetou natürlich eingeschlossen! Ich selbst möchte es auch gar nicht anders.“ Seufzend nickte ich zu seinen Worten, war aber nicht so ganz von ihnen überzeugt. Vor Winnetou etwas geheim halten zu wollen war nämlich alles andere als einfach! Man darf jetzt nur nicht glauben, dass es mir leicht fiel, Emerys Angebot anzunehmen. Noch nie habe ich mir von Freunden Geld geliehen, geschweige denn, mich von ihnen aushalten lassen! Doch die Argumente des gutherzigen Engländers waren wirklich hieb- und stichfest, und außerdem kam das alles für mich nicht so ganz ungelegen, da ich tatsächlich damit rechnen musste, je nach Dauer des ganzen Unternehmens, dass mir irgendwann das Geld ausgehen könnte. Außerdem bekam Emery dadurch auch eine Möglichkeit, Winnetou zu helfen, und das war ihm wirklich wichtig, das wusste ich schon seit langem. „Nun gut“, begann ich also erneut. „Ich glaube ja nicht, dass du mich jetzt für einen Schmarotzer hältst...“ „Wo denkst du hin?“, antwortete er empört. „Es gäbe da aber noch eine dritte Möglichkeit“, fuhr ich unbeirrt fort. „Die da wäre?“, fragte er augenrollend zurück. „Wir könnten uns die Kosten auch teilen!“ Energisch schüttelte der Engländer den Kopf. „Nichts da – ganz oder gar nicht, und ich will alles – Basta!“ Nochmals seufzte ich auf, dann aber streckte ich ihm die Hand hin. „In Ordnung! Diesen „Gefallen“ werde ich dir tun – aber gerne mache ich es eigentlich nicht!“ „Na – das ist doch mal ein Wort! Also gilt es!“ Emery ergriff rasch meine Hand, drückte sie fest und machte sich daraufhin zufrieden pfeifend von dannen. Doch nach wenigen Sekunden überlegte er es sich noch einmal anders, kehrte um und fragte mich mit einem leichten Grinsen im Gesicht: „Sag einmal, mein Freund – was genau hat dich eigentlich heute in eine solch gute Laune versetzt? Euer Jagderfolg? Der allein kann es doch nicht gewesen sein, oder doch?“ Oh je! Da hatte ich mein neu empfundenes Glück, meine überaus große Freude über das gestrige Erlebnis wohl doch nicht vollständig vor den Gefährten verbergen können! Nun galt es aber, schnellstmöglich eine harmlose Antwort für meine offenbar ziemlich auffällige Stimmungslage zu finden – wenn möglich auch eine, die Emery nicht nur noch misstrauischer werden ließ... Einige wenige Augenblicke – die für mein Empfinden allerdings viel zu lange dauerten – musste ich überlegen, und dann begann ich, in der Hoffnung, überzeugend zu wirken, was mir aber wohl mehr schlecht als recht gelang: „Nun ja... Ich bin... es ist doch wohl nicht weiter erstaunlich, dass ich über Winnetous vorläufige Genesung äußerst erfreut bin! Es ging ihm vor ein paar Tagen ja wirklich noch sehr schlecht, und nun...“ Hatte ich jetzt gehofft, dass dem Engländer diese Antwort genügen und er von dem Thema wieder ablassen würde, wurde ich nun eines Besseren belehrt. Emery machte nämlich überhaupt keine Anstalten mehr, sich wie geplant von mir zu entfernen – im Gegenteil: jetzt wirkte er noch interessierter als vorher, was sich nun auch dahingehend zeigte, dass er sich nun wieder an meine Seite setzte, um mich weiter auszuforschen: „Auch ich sehe Winnetou sehr wohl an, dass es ihm im Augenblick offenbar richtig gut geht – allerdings glaube ich nicht, dass das nur allein an seinem Gesundheitszustand liegt!“ In mir breitete sich eine leise Unruhe aus, als ich erwiderte: „Aha – und was sollte dann sonst dafür verantwortlich sein?“ Emery ließ jetzt ein wissendes Lächeln sehen und antwortete: „Nun ja – ehrlich gesagt, habe ich unseren Apatschenhäuptling noch nie so entspannt und gelöst erlebt wie im gesamten letzten halben Jahr, wobei ich sogar der Meinung bin, dass seine melancholische Ernsthaftigkeit gerade in den letzten Wochen immer öfter beiseite getreten ist, um einer – warum auch immer – neu gewonnenen Lebensfreude Platz zu machen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sogar behaupten, dass dabei die Liebe zu einer Frau im Spiel ist, so glücklich, wie er oftmals wirkt. Hast du das nicht auch bemerkt?“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich vor Schreck über diese Worte kurz zusammenzuckte. „Hm – da ist sicherlich etwas Wahres dran“, entgegnete ich recht zögerlich, immer noch hoffend, dass das Gespräch noch eine Wendung nehmen könnte. „Und?“, forschte Emery unbeirrt weiter. „Was könnte wohl diese heitere Stimmungslage unseres Freundes ausgelöst haben?“ Zu meinem Glück fiel mir auf die Schnelle jetzt tatsächlich etwas ein, was dem Englishman als Antwort hoffentlich genügen würde: „Das ist sehr einfach zu erklären: Winnetou hat in den letzten Monaten dem Tod ein Schnippchen geschlagen, und das gleich mehrfach. Er konnte sogar schon einen Blick auf die andere Seite werfen, wie er mir selbst erzählt hat. Jemand, der so knapp nur überlebt hat, genießt das Leben natürlich noch einmal ganz anders und viel intensiver als vorher!“ Emery Blick war ganz weich geworden, während er neben mir saß und vor sich hin sinnend zu meinen Worten mehrfach nickte. Nach wenigen Augenblicken aber begann er erneut: „Natürlich wird die Todesnähe und das mehrfache Besiegen desselben eine große Rolle spielen – aber ich bin mir sicher, dass das nicht der alleinige Grund ist. Ich glaube nämlich ganz bestimmt, dass du selbst daran einen sehr großen Anteil hast!“ Jetzt wurde mir aber richtig mulmig. Ich musste mich furchtbar zusammennehmen, um meine Anspannung nicht zu offensichtlich werden zu lassen, als ich Emery fragte: „Und wie genau sollte dieser Anteil aussehen?“ „Aber Charley – die Antwort darauf kennst du doch selbst am besten!“ Emery grinste spitzbübisch, und mir wurde heiß und kalt zugleich bei seinen Worten. In diesem Moment brachte ich keinen Ton mehr heraus, konnte den Engländer nur anstarren, in der Hoffnung, dass er mir meine Fassungslosigkeit nicht ansah. Da ich nicht antwortete, übernahm er das schließlich selbst, wobei er mir lachend auf die Schulter schlug: „Ach, Charley – nur nicht so bescheiden! Dass dein Freund unendlich dankbar und hocherfreut über deine Entscheidung ist, für immer an seiner Seite zu bleiben und ihn nicht wie früher monatelang, ja, teils sogar jahrelang zu verlassen, dürfte nun wirklich keine Überraschung für dich sein! Ich habe es auch schon mehrfach von unseren Gefährten gehört, vor allem von Firehand: es ist mehr als deutlich geworden, dass du die Quelle seiner Kraft bist, die er benötigt, um dieser riesigen Verantwortung gerecht zu werden, die ihn in der Vergangenheit manchmal zu überwältigen drohte! Jetzt kann er endlich aufatmen, jetzt hat er jemanden an seiner Seite, der ihn stützt, hält und ihm Mut macht, wenn er die Gier der weißen Rasse wieder einmal als zu übermächtig empfindet!“ Beinahe hätte ich meine Erleichterung in einem lauten Seufzer nach außen getragen, konnte mich aber gerade eben noch zurückhalten. Also darum ging es meinem englischen Freund! Da hatte ich mir also völlig umsonst Gedanken gemacht... Doch leider hatte ich mich schon wieder zu früh gefreut – Emery musste nämlich doch noch etwas loswerden: „Weißt du, mein Lieber“, begann er mit einem – fast schon anzüglichen? - Grinsen im Gesicht: „Ich bin allerdings der Meinung, dass dieser Umstand noch nicht alleine für die doch recht ungewöhnliche Gemütsverfassung unseres Winnetou verantwortlich ist. Ich kenne ihn gar nicht anders als zurückhaltend, sehr ernst, in sich gekehrt – ich habe ihn eigentlich noch nie lachen gehört, und gerade in der letzten Zeit ist genau das aber schon mehrmals geschehen!“ In diesem Augenblick wusste ich wirklich nicht mehr, was ich darauf noch sagen sollte, und tat deshalb das Erstbeste, was mir einfiel: ich schwieg. Und jetzt musterte Emery mich mit einem solch intensiven Blick, als ob er meine Seele nach all ihren dunklen Flecken genauestens absuchen würde. „Charley – Dein Blutsbruder hat dich von Herzen lieb, genau wie du ihn auch, nicht wahr?“ „Ja... selbstverständlich...“ stammelte ich, fast schon entsetzt. Worauf um Himmels Willen wollte der Mann jetzt nur hinaus? „Nun – ich bin mir nämlich mittlerweile ganz sicher, dass eure Freundschaft, eure Beziehung zueinander in den letzten Monaten noch einmal sehr viel enger geworden ist, habe ich recht?“ Emerys Blick war jetzt undurchdringlich und bot mir keinerlei Möglichkeit, ihn zu durchschauen. Aber der leise Verdacht, der sich in mir schon seit einigen Minuten aufgedrängt hatte, wuchs nun zu einem riesigen Problem. Ahnte der Engländer etwas? So, wie er sich nun verhielt, gab es bald schon keine andere Erklärung mehr – und wenn dem so war, was in Gottes Namen sollte ich denn jetzt bloß tun? Niemals würde dieser Mann Verständnis für meine körperliche Beziehung zu Winnetou aufbringen – niemals! Ich hatte das Gefühl, dass mir alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war, während ich mich beinahe verzweifelt darum bemühte, irgendeine sinnvolle Entgegnung zusammenzubringen. Doch ich brachte einfach nicht mehr heraus als den verunglückten Versuch, einen halbwegs verständlichen Satz zu formulieren: „Sicher... ich... wir... nun ja, wir sind uns natürlich... ich meine... das ist doch verständlich, oder?“ „Na prima! Das ist doch wunderbar! Und es freut mich so sehr für euch beide“! Noch einmal schlug mir Emery mit Wucht auf die Schulter, stand dann auf, um sich fröhlich vor sich hin pfeifend auf den Weg zurück zum Pueblo zu machen – und ließ mich völlig verdattert und wirklich am Ende meiner Beherrschung zurück. Was sollte das? Was um alles in der Welt meinte Emery mit seinem letzten Satz? Wusste er Bescheid? Aber das konnte ja gar nicht sein – niemals hätte er dann so gelassen reagiert! Minutenlang blieb ich noch in derselben Stellung am Ufer sitzen, bis ich mich endlich dazu aufraffen konnte, ebenfalls den Rückweg anzutreten. Ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich beinahe meinen Blutsbruder überrannt hätte, der sich schon auf die Suche nach mir gemacht hatte. Amüsiert über meine Gedankenlosigkeit lächelte er mich an, doch im gleichen Augenblick erstarb dieses Lächeln, als er meinen Gesichtsausdruck wahrnahm. „Was ist geschehen?“, fragte er mich mit deutlicher Sorge in der Stimme. Ich sah mich um, ob sich noch irgendjemand in unserer Nähe befand, dem aber nicht so war, nahm dann meinen Blutsbruder bei der Hand und führte ihn an eine versteckt gelegene Einbuchtung des Ufersteilhangs. Erwartungsvoll und vielleicht sogar schon ein wenig verstört sah Winnetou mich an. Um ihn nicht weiter zu beunruhigen, begann ich schnell, zuerst allerdings noch etwas stockend, ihm von meinem seltsamen Gespräch mit dem Engländer zu berichten. Als ich geendet hatte, sah ich meinem Freund ins Gesicht in der Erwartung, dort den gleichen ungläubigen Schrecken erkennen zu müssen, der auch mich kurzzeitig überwältigt hatte – doch dem war nicht so. Er blieb zwar eine Zeit lang still sitzen, mit unbewegter und ausdrucksloser Miene, wirkte aber im Großen und Ganzen so, als ob ihn mein Bericht nicht allzu sehr überraschen würde. Doch da er nichts sagte, schwieg ich ebenfalls und wartete einfach ab. Nach einer für mich dann aber doch schwer zu ertragenden Stille richtete sich mein Freund endlich auf und straffte die Schultern, bevor er mit seiner leisen, sonoren Stimme, die sehr gefestigt klang, zu sprechen begann. „Auch Winnetou hat in den letzten Wochen einige Anzeichen dafür zu erkennen geglaubt, dass Emery mehr zwischen Winnetou und Old Shatterhand sieht, als diese nach außen hin jemals zeigen wollten. Aber die Augen unseres englischen Freundes blicken nach wie vor sehr freundlich und auch voller Liebe auf dich und deinen Blutsbruder, so dass Winnetou glaubt, dass wir uns keine Sorgen machen brauchen!“ „Du bist also wirklich der Meinung, dass Emery Bescheid weiß?“, fragte ich ihn mit nur mühsam unterdrücktem Schrecken in der Stimme. „Ja – ich denke doch“, antwortete Winnetou ruhig. „Aber – das ist doch nicht möglich! Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wieso dieser dann noch weiterhin an unserer Freundschaft festhalten sollte! Eigentlich würde er mit diesem Wissen schnellstmöglich das Weite suchen, weil wir ihm zuwider...“ „Bin ich Old Shatterhand zuwider?“, unterbrach mich mein Freund plötzlich, mit einem Ausdruck in seinen samtenen, dunklen Augen, der mich tief berührte. „Um Himmels Willen – natürlich nicht!“, rief ich nun völlig entsetzt aus. „Winnetou – ich liebe dich doch! Ich liebe dich über alles – so etwas darfst du nicht einmal denken!“ Mein geliebter Blutsbruder musste nun doch lächeln aufgrund meines heftigen Ausbruchs, und begütigend legte er mir die Hand auf den Unterarm. „Genauso fühle ich auch“, begann er erneut. „Und Emery liebt dich ebenfalls! Natürlich auf eine andere Art als Winnetou – zumindest hoffe ich das – und dieser Umstand...“ Er wurde nun von mir unterbrochen, denn dieser kleine Halbsatz in seinen letzten Worten, dieser winzig kleine Anflug von Eifersucht berührte mich so unendlich, dass ich gar nicht anders konnte als meine Arme um ihn zu schlingen und ihn so fest es nur ging an mich zu drücken. „Ach, Winnetou...“, murmelte ich, mein Gesicht dabei in seinem Haar vergrabend. „Du bist einfach alles für mich – nur du, ganz allein!“ „Ich weiß es, Scharlih!“ Winnetous leise, melodische Stimme klang gerührt, als er sich sanft aus meiner Umklammerung löste und mir einen leichten Kuss auf die Stirn gab. „Winnetou wollte auch nur deutlich machen, dass Emerys freundschaftliche Liebe zu dir alles verzeihen würde, alles, außer Lüge, Verrat oder Hass. Der Mond hat sich sehr oft gerundet, seitdem Emery an unserer Seite weilt, und vielleicht war er am Anfang seines Verdachtes oder Wissens darüber auch sehr erschrocken – aber er wird sich im Laufe der Zeit an diese neue Möglichkeit gewöhnt haben, und vielleicht hat sich seine Einstellung zu jener anderen Art der Liebe sogar geändert!“ Immer noch war ich zutiefst erschrocken, aber Winnetous Worte bewirkten nun, dass ich deutlich ruhiger wurde. Was, wenn er tatsächlich recht mit seiner Annahme hätte? Würde es etwas verändern? Nein – zumindest ließ Emerys Reaktion vorhin darauf schließen. Aber wie konnte ich Gewissheit über dessen Erkenntnisstand erlangen? Doch nur, wenn ich noch einmal ein persönliches Gespräch mit dem Engländer suchte... Dann bestand aber immer noch die Gefahr, dass ich von einer völlig falschen Voraussetzung ausgegangen war und sein Verhalten nicht richtig eingeschätzt hatte – und dann? „Mein Bruder sollte noch einmal mit unserem englischen Freund sprechen!“ Mit diesen Worten riss mich mein Blutsbruder aus meinem Nachsinnen und bewies damit wieder einmal, wie sehr er sich in mein Seelenleben einfühlen konnte, wie sehr unsere Gedanken immer wieder eins wurden. Lächelnd legte ich meine Hand auf seine und entgegnete: „Winnetou hat wie immer recht. Ja, ich werde mit ihm sprechen, am besten noch heute Abend, bevor mich der Mut dazu wieder verlässt...“ „Old Shatterhand war noch niemals mutlos – er wird auch diese Aufgabe leicht bestehen!“ Winnetous Vertrauen zu mir war wie immer unerschütterlich, und er sprach den letzten Satz in einem solchen Brustton der Überzeugung, dass ich beinahe verlegen werden wollte. Nochmals drückte ich ihm die Hand, dann standen wir auf und traten gemeinsam den Rückweg zum Pueblo an. Kapitel 46: Aufgeflogen - Ausgeflogen ----------------------------------------- An diesem Abend nahm ich tatsächlich all meinen Mut zusammen. Nach dem Essen, welches wir gemeinsam mit Winnetous Unterhäuptlingen und den Westmännern in einer großen Runde an einem der Lagerfeuer vor dem Pueblo einnahmen, nutzte ich einen günstigen Augenblick, um dem Engländer unauffällig ein Zeichen dafür zu geben, dass er mir folgen sollte. Er tat das auch, offenbar kein bisschen überrascht und mit einem recht seltsam wirkenden, fast schon belustigten Lächeln im Gesicht. Ich führte ihn ein weiteres Mal bis ganz hinunter an den Pecos, weil mir die vielen abgeschiedenen Buchten dort als der einzig sichere Platz erschienen, wo wir vor unwillkommenen Zuhörern geschützt sein würden – und aufgrund dieses brisanten Themas war mir das natürlich immens wichtig. Nach einem kurzen Schweigen, welches auch nötig war, damit ich mich noch einmal sammeln konnte, fasste ich mir endlich ein Herz und begann: „Mein lieber Freund! Mir geht unser Gespräch von heute Nachmittag nicht mehr aus dem Kopf – und ich würde zu gerne wissen, ob meine Vermutung in die richtige Richtung geht!“ „Welche Vermutung denn?“, fragte Emery, dessen Lächeln immer verschmitzter zu werden schien. Ich seufzte. Hatte ich geglaubt, es würde einfach werden? Wohl kaum. „Nun ja... du hattest die offenbar noch enger gewordene Bindung zwischen Winnetou und mir angesprochen – und auch seinen positiven Stimmungswandel erwähnt... Ich hatte dabei den Eindruck gewonnen, als würdest du glauben, dass...“ Ich kam wieder ins Stocken, denn ich wollte es einfach nicht aussprechen – nicht, bevor ich nicht sicher sein konnte, dass Emery tatsächlich Bescheid wusste. Wäre dem nicht so und ich würde mich trotzdem vor ihm offenbaren, käme ich damit ja buchstäblich in Teufels Küche! Wenn man sich jetzt aber das Mienenspiel des Engländers ansah, lag die Vermutung nahe, dass er sich beinahe einen Spaß daraus machte, mich so in der Luft hängen zu lassen; als wüsste er genau, worauf ich hinaus wollte, er es aber erst aus meinem Munde hören wollte – eine Situation, die für mich eine einzige Quälerei war. Fast schon verzweifelt sah ich meinen alten Freund an, der mich jetzt schelmisch angrinste und dann auch noch einen drauf setzte: „Welchen Eindruck hattest du denn gewonnen?“ Himmel! War er wirklich so ahnungslos – oder wollte er mich etwa mit Absicht entnerven? Seine Augen schienen mittlerweile vor Vergnügen zu blitzen, und dieser Anblick war es, der mir ein unabsichtliches Stöhnen entlockte. „Ach, Emery! Weißt du denn wirklich nicht, worauf ich...“ „Worauf du hinaus willst?“, unterbrach der Engländer mich sofort wieder, wobei er tatsächlich Mühe zu haben schien, vor Lachen nicht einfach loszuplatzen. „Natürlich weiß ich das, alter Junge! Und um dich jetzt nicht völlig in die Verzweiflung zu treiben – dir steht ja mittlerweile buchstäblich der Schweiß auf der Stirn! - will ich dich nun auch endlich einmal erlösen.“ Begütigend legte er mir die Hand auf die Schulter und begann dann erneut: „In der Hoffnung, dass ich mich jetzt nicht völlig irre und du mir deswegen im nächsten Moment den Kopf abreißt: Ich bin mir mittlerweile sehr sicher, dass deine Liebe zu Winnetou nicht nur freundschaftlicher und platonischer Natur ist. Ich glaube vielmehr, dass ihr seit einiger Zeit auch... na ja... ihr habt auch körperlich zueinander gefunden, ist es nicht so?“ Mir wurde in diesem Augenblick siedend heiß, gleichzeitig aber fiel mir auch ein Stein – ach was, ein wahrer Felsbrocken vom Herzen. Emery wusste tatsächlich Bescheid! Und er hatte sich nicht gleich beim ersten Verdacht angewidert von uns abgewendet, sondern brachte offenbar sogar noch Verständnis für uns auf – auch wenn es auch ihm gerade eben noch sichtlich schwergefallen war, die Dinge beim Namen zu nennen. Sein Gesicht wies nun auch einen leicht verlegenen Ausdruck auf, so dass es jetzt an mir war, ihn von seiner Ungewissheit zu erlösen und das für die meisten Menschen eigentlich Unfassbare erstmals vor einem Außenstehenden auszusprechen. „Ja – du hast das Richtige vermutet, mein Freund. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie überaus erleichtert und vor allem dankbar ich bin, dass du trotzdem deine Freundschaft zu uns aufrecht erhalten willst – oder bist du jetzt vielleicht doch anderer Meinung?“ „Sag einmal – bist du von Sinnen?“, ereiferte sich der Engländer sofort. „Das traust du mir doch nicht etwa ernsthaft zu – oder doch? Nur weil ihr beide euch so sehr liebt, seid ihr doch keine anderen oder schlechteren Menschen geworden?? Was um alles in der Welt denkst du eigentlich von mir??“ „Schon gut – ist ja schon gut, alter Knabe!“, versuchte ich ihn lachend zu besänftigen, während im gleichen Moment eine tonnenschwere Last von meiner Seele zu weichen schien. Mit dieser Reaktion hätte ich nun wirklich niemals gerechnet – bei keinem unserer weißen Gefährten! Um mein Misstrauen ihm gegenüber zu rechtfertigen, versuchte ich ihm nun meine Gedanken nahezubringen: „Emery – du kannst dir vielleicht gar nicht vorstellen, wie sehr Winnetou und ich uns vor solch einem Moment der unabsichtlichen Offenbarung gefürchtet haben! Vielleicht nicht gerade vor seinen Stammesgenossen – da scheinen einige zumindest etwas zu ahnen, aber ein Großteil der Apatschen ist doch der Ansicht, dass alle Liebe, egal welcher Art, von Manitou kommt und niemals zu verurteilen ist. Aber unsere weißen Freunde! Himmel, Emery – ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich selbst noch vor einem Jahr reagiert hätte, wenn mir eine solche Beziehung zwischen zwei Männern unter unseren Freunden untergekommen wäre! Wer weiß, vielleicht hätte ich mich dann selbst sogar zum größten Moralapostel stilisiert!“ „Ich kann deine Sorgen sehr gut verstehen, mein Lieber“, pflichtete Emery mir lächelnd bei. „Und ich bin ganz ehrlich: Nicht jedem unserer hier anwesenden Freunde würde ich über euren Beziehungsstand reinen Wein einschenken , denn einigen würde in diesem Fall tatsächlich jegliches Verständnis fehlen!“ „Weiß denn sonst noch jemand davon?“, fragte ich in einem erneuten Anflug von Besorgnis. „Ich habe mit niemanden darüber gesprochen“, antwortete Emery bestimmt. „Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass dennoch der ein oder andere die richtigen Schlüsse aus seinen Beobachtungen der letzten Wochen und Monate gezogen hat, so wie es bei mir geschehen ist.“ „Ja, war unser Verhalten denn so auffällig?“ forschte ich mit leicht betretener Miene nach. „Für ungeübte Beobachter und Leuten mit weniger Menschenkenntnis sicherlich nicht. Außerdem würden die meisten allein schon einen solchen Verdacht euch gegenüber als etwas so Abstruses empfinden, dass sie dem gar nicht nachgehen würden. Gerade euch beiden traut man so etwas wohl am wenigsten zu. Nein, auffällig wart und seid ihr keineswegs – aber erinnerst du dich an meine Beobachtung von heute Nachmittag? Als ich Winnetous derzeitige Stimmungslage einer neuen Liebe zuordnete? Wie recht ich damit doch hatte!“ Lachend schlug er mir ein weiteres Mal auf die Schulter; seine Augen blitzten nur so vor Vergnügen. Deutlich war zu sehen, dass er sich wirklich und wahrhaftig mit uns freute – und das tat so unendlich gut! Doch war das der einzige Grund, weshalb er diese besondere Art der Liebe jetzt so schnell akzeptierte? Oder steckte noch etwas anderes dahinter? Neugierig geworden, stellte ich Emery eine in diese Richtung zielende Frage, woraufhin er antwortete: „Charley – ich war früher Soldat, wie du vielleicht noch weißt. Und du glaubst gar nicht, wie oft mir solcherlei Beziehungen während eines Feldzugs aufgefallen sind! Allerdings mit einem deutlichen Unterschied: dort war fast nie Liebe im Spiel, es ging eher nur um den reinen Stressabbau. Euch beiden hingegen braucht man ja nur in die Augen zu schauen, um zu sehen, wie sehr ihr den anderen liebt – und das ist ja nun einmal das absolut Wichtigste im Leben, nicht wahr?“ Lächelnd sah ich ihn an und legte meinem englischen Freund dann beide Hände auf die Schulter. „Du glaubst gar nicht, wie froh und glücklich ich bin, dass du so denkst, Emery!“ „Kann ich mir gut vorstellen, mein Lieber“, grinste er. „Aber eine Frage brennt mir jetzt doch noch auf der Zunge: Seit wann weißt du eigentlich, dass du überhaupt so empfindest? Und wie hat Winnetou das aufgenommen? Oder hat er etwa die Initiative ergriffen?“ Nun konnte ich mir ein Lachen nicht mehr verkneifen, während ich antwortete: „Das waren jetzt aber schon drei Fragen, mein Freund! Um es kurz zu machen: Das Ganze hat uns beide gewissermaßen einfach überfallen – keiner von uns hatte zuvor jemals darüber nachgedacht oder auch nur geahnt, dass wir für den anderen auf diese Art empfinden; auch hatten wir niemals damit gerechnet, dass wir überhaupt zu solchen Gefühlen einem anderen Mann gegenüber fähig sind. Erst als wir während Winnetous Genesungsphase vor fast einem Jahr über einen längeren Zeitraum so einen engen körperlichen Kontakt hatten, wie es so vorher noch nie geschehen war, sind wir uns darüber bewusst geworden. Natürlich waren auch wir zuerst richtig erschrocken, aber dann hatte das uns beide überkommende untrügliche Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein, deutlich über den Schrecken gesiegt!“ „Ja... ich glaube, ihr seid wirklich angekommen, alter Junge! Es ist ganz klar zu erkennen, dass eure Entscheidung euch beiden einfach nur gut tut – vor allem an Winnetou kann man das deutlich ausmachen. Ich bin sogar der Meinung, dass es für ihn gar nicht besser hätte kommen können! Eine Frau an seiner Seite würde ihn doch zu sehr einschränken – sie würde seine notwendigen Reisen behindern, er wäre in ständiger Sorge um ihre Sicherheit, während sie ihn niemals so beschützen könnte wie du es vermagst. Nein... gerade unser Häuptling dürfte hier das große Los gezogen haben – du aber natürlich nicht weniger!“ Emery sagte das in einem Brustton der Überzeugung, und sein Blick ruhte mit einem innigen Strahlen auf mir. „Das habe ich ganz bestimmt“, entgegnete ich, nicht minder strahlend. „Ich bin so glücklich wie noch niemals zuvor in meinem Leben – und ich kann mir ehrlich gesagt auch überhaupt nicht mehr vorstellen, jemals wieder so etwas für einen anderen Menschen empfinden zu können, weder für einen Mann – noch für eine Frau!“ „So ist es recht, mein Junge!“ Der Engländer hieb sich jetzt selber auf die Schenkel, stand dann auf und streckte mir die Hand hin, um mir beim Aufstehen behilflich zu sein. Einträchtig schweigend traten wir jetzt den Rückweg an, und ich freute mich beinahe schon diebisch auf den Moment, wo ich Winnetou von dieser erfolgreichen Unterredung berichten konnte. Gleichzeitig ahnte ich schon, dass es bei dieser Unterredung wahrscheinlich nicht bleiben würde, und allein der Gedanke daran steigerte meinen Frohsinn beinahe ins Unermessliche. Die folgenden Tage vergingen wie im Fluge, denn der Zeitpunkt unserer Abreise rückte immer näher, und nun wurde es langsam ernst. Den größten Teil der Zeit nahmen dabei unsere Reisevorbereitungen ein, denn es musste noch vieles geregelt werden, um die Reise für Winnetou so angenehm wie nur möglich gestalten zu können. Es war natürlich selbstverständlich, dass mein Freund spätesten auf dem Schiff in New Orleans seine traditionelle Lederkleidung ablegen müssen würde, und das hieß, für ihn möglichst bequeme Ersatzkleidung zu beschaffen. Und hier war dem Erfindungsreichtum unserer Freunde jetzt wirklich keine Grenzen gesetzt! Der Bärenjäger war mit seinem Sohn sowie den „Verkehrten Toasts“ nebst Old Surehand schon vor vielen Tagen nach Santa Fé gereist, um dort soviel Auswahl an in Frage kommender Kleidung zu besorgen, wie es nur ging, denn niemand wollte Winnetou zumuten, sich in einem Kleiderladen zu begeben und sich dort von ignoranten Weißen anstarren lassen zu müssen. Unter den Sachen war auch vieles dabei, was bei meinem Freund und mir zu wahren Heiterkeitsausbrüchen führte, denn so gut ihm die Kleidung meiner Meinung nach auch stand – sie passte einfach nicht zu diesem freiheitsliebenden, willensstarken, naturverbundenen und mutigen Mann und ließ ihn darin aussehen wie der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. Spätestens bei der Anprobe von Frack und Zylinder war es dann mit unserer Beherrschung endgültig vorbei – mit Lachtränen in den Augen saßen wir kurz darauf auf den Boden, völlig außer Puste, nachdem wir pausenlos versucht hatten, uns diesen unmöglich opulenten Zylinder gegenseitig über den Kopf zu stülpen, mit dem Ergebnis, dass der unschuldige Hut nun völlig zerfetzt vor uns lag. Glücklicherweise waren wir zu diesem Zeitpunkt alleine in Winnetous Wohnräumen, da wir uns jegliche Störung verboten hatten. Es fiel meinem Freund schon schwer genug, die für ihn so ungewohnte und teils sehr einengende Kleidung anzuziehen, da sollte ihm wenigstens niemand dabei zusehen können. Erst eine ganze Weile später hatten wir dann aber doch einige bequeme Hosen und Hemden ausgesucht, die meinen Blutsbruder nicht zu sehr in seinen Bewegungen einschränkten und trotzdem den Standards der deutschen Mittelschicht genügen würde. Und hier kamen nun die Frauen des Stammes ins Spiel. Dabei muss ich erwähnen, dass die meisten der jungen, ledigen Squaws (und teils auch einige der verheirateten) die baldige Abreise meines Freundes zutiefst bedauerten. Viele von ihnen hatten immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, irgendwann vielleicht doch einmal das Herz ihres Häuptlings erobern zu können, und nahmen daher jede sich bietende Gelegenheit wahr, ihm günstig aufzufallen. Die meisten liebten ihn wirklich aufrichtig, ein Umstand, der zum Beispiel während seiner Bettlägerigkeit dazu geführt hatte, dass seine Wohnräume mit guten Speisen beinahe völlig überfüllt gewesen waren und er unweigerlich gemästet worden wäre, wenn sein Appetit es zugelassen hätte. Und so ergriffen die Damen nun dankbar die nächste Möglichkeit, ihm ein weiteres Mal Gutes zu tun, indem sie ihm das Tragen der fremden Kleidung erleichtern wollten. Lustigerweise hatten sie sich dabei ausgerechnet mit den Siedlerfrauen aus der einen Tagesritt von uns entfernt liegenden Auswanderersiedlung zusammengetan – und diese Frauen hatten schon mehrmals bewiesen, dass ihnen der Häuptling der Apatschen ebenfalls alles andere als gleichgültig war! Vor einigen Tagen nämlich war eine große Abordnung der Auswanderer im Pueblo eingetroffen, die sich nach dem Befinden des Mannes erkundigen wollten, der ihnen damals so großzügig einen Teil des Stammlandes der Apatschen überlassen hatte, nachdem er ihnen zuvor in der Wüste sogar erst noch das Leben gerettet hatte. Eigentlich hatten wir ja geplant, bei unserer Rückkehr von der Goldsuche mit den Butterfields noch einmal bei den liebenswerten Menschen vorbeizuschauen, aber Winnetous Gesundheitszustand hatte dies natürlich nicht zugelassen. Da die Siedler von seiner Krankheit mittlerweile auch erfahren hatten, wenn auch nicht die volle Wahrheit, waren sie voller Sorge und hatten es sich deshalb nicht nehmen lassen, ihm persönlich ihre Aufwartung zu machen. Als den Siedlerfrauen von dem Kleiderproblem erfuhren, legten sie sich jetzt mit den Squaws des Stammes so richtig ins Zeug – da gab es nun ein Schneidern und ein Nähen, dass es eine Freude war! Aus ganz feinem und weich gegerbtem Hirschleder fertigten die Frauen im Laufe weniger Tage etliche Hemden und Hosen an und färbten diese unterschiedlich ein, so dass es kaum jemanden auffallen konnte, dass es sich nicht um europäische Tuchware handelte, wenn man die Sachen nicht direkt berührte. Das war natürlich die beste Lösung, denn Winnetou fühlte sich in dieser Kleidung so wohl, dass er sie teilweise schon im Pueblo anbehielt, auch um sich daran zu gewöhnen. Einzig die Schuhe waren ein Problem. Auch hier hatten die Damen versucht, Abhilfe zu schaffen, aber mehr als einige unauffällige Mokassins für den Hausgebrauch konnten sie einfach nicht herstellen, und so würde sich mein Freund in der Öffentlichkeit dann doch leider in die für ihn fürchterlich einengenden und unbequemen Schuhe zwängen müssen. Währenddessen versuchte ich, Winnetou so viel wie möglich von der europäischen Mentalität nahezubringen. Ich erzählte ihm von den deutschen Sitten und Gebräuchen sowie den manchmal seltsamen Eigentümlichkeiten meiner Landsleute – ich wollte einfach verhindern, dass der unweigerlich auftretende Kulturschock ihn völlig überfordern würde. Ein übers andere Mal huschte ihm während meiner Erzählungen ein belustigtes Lächeln über das schöne Gesicht, und ich wusste, dass er innerlich den Kopf schüttelte vor Unverständnis über so manche unserer europäischen Eigenarten. So viele Dinge, auf die der Deutsche Wert legte, erschien dem stolzen Apatschen einfach nur kleinlich, oftmals auch völlig unnötig, und er wunderte sich ein übers andere Mal über die Tatsache, dass wir unsere wertvolle Lebenszeit mit so vielen unwichtigen Dingen füllten! Ich beließ es aber nicht nur bei den Erzählungen, sondern zeigte meinem Freund auch viele Dinge anhand von Bildern und Büchern, die mir der Bärenjäger und seine Begleiter ebenfalls aus Santa Fé mitgebracht hatten. Müßig übrigens zu erwähnen, dass die Kosten sämtlicher Einkäufe auf unauffällige Art und Weise von Emery beglichen worden waren! Und noch etwas hatten die Freunde auf meinem Wunsch dort vorsorglich schon erworben, worüber ich an einem der letzten Abende im Pueblo auch sehr froh war, dass ich so vorausschauend gedacht hatte. An diesem Abend betrat Winnetou unsere Räume, wo ich schon auf ihn gewartet hatte. Er setzte sich sofort zu mir und behandelte mich ab diesem Moment so liebevoll, lies mir so viel Zärtlichkeit zuteil werden, dass ich schnell ahnte, dass er etwas auf dem Herzen hatte, sich aber noch scheute, es offen auszusprechen. Kurzerhand nahm ich ihn in den Arm und bat ihn inständig, sich mir doch einfach anzuvertrauen. Etwas zögerlich griff mein Blutsbruder daraufhin in seinen Gürtel, holte den mir nur zu gut bekannten, reich bestickten Lederbeutel heraus, in dem sich immer eine ganz ansehnliche Menge Nuggets befanden, ließ den kompletten Inhalt in seine Linke fallen und schickte sich an, mir diesen ganzen Reichtum in die Hände zu schütten. Mir war sofort klar, welchen Zweck er damit verfolgte, und daher zog ich jetzt auch schnell meine Hände weg. Verwundert sah er mich an, während ich nur den Kopf schüttelte und mit einem wissenden Lächeln nun meinerseits in meine Brusttasche griff. Aber noch ehe ich die Bewegung vollendet hatte, begann Winnetou mit einem bittenden Ausdruck im Gesicht zu sprechen: „Es ist Winnetous großer Wunsch, dass sein Bruder zulassen möge, wenn der Häuptling der Apatschen die mit Sicherheit hohen Kosten für unsere Reise übernimmt! Winnetou weiß, dass sein geliebter Freund nicht über allzu große Reichtümer verfügt – der Apatsche hingegen kann davon geradezu im Überfluss vorweisen, wann immer er nur will. Mein Bruder weiß aber auch, dass Winnetou all das Gold völlig gleichgültig ist, und da Old Shatterhand nun viel Geld ausgeben muss, obwohl er gar nichts dafür kann, bitte ich ihn jetzt darum, das Gold für diesen Zweck zu verwenden!“ Gott, was war ich jetzt froh, dass ich für diesen Fall rechtzeitig vorgesorgt hatte! Es wäre mir hier sonst wirklich sehr schwergefallen, auch nur ein vernünftiges Gegenargument zu finden. So aber behielt ich mein Lächeln bei, schüttelte wieder nur den Kopf und hielt Winnetou mit frohlockender Miene schließlich einen Sekundenbruchteil später zwei Schiffbilletts unter die Nase. Erstaunt musterte er die Tickets erster Klasse, die ich mir von den Freunden in Santa Fé in weiser Voraussicht hatte besorgen lassen – und zum ersten Mal war ich wirklich richtig glücklich über meine Entscheidung, Emerys großzügiges Angebot anzunehmen. „Mein Bruder sieht, dass er sich um nichts mehr zu sorgen braucht. Sämtliche Reisekosten sind schon vollständig getilgt worden, ohne dass es meine Kasse großartig belastet hätte. Außerdem ist Winnetou mein Gast – und als ein solcher wird er auf keinen Fall auch nur einen Penny für diese Reise oder seinen Aufenthalt in meiner Heimat bezahlen, genauso wenig wie ich hier bei dir jemals etwas bezahlen musste, besser gesagt auch nur durfte. Die Gastfreundschaft wird bei den Apatschen in hohen Ehren gehalten – genauso sehe ich das allerdings auch, und das ist jetzt auch mein letztes Wort!“ Winnetous schönes Antlitz wies jetzt auf meine energische Rede hin doch ein gewisses Maß an Verwunderung auf, auch weil er natürlich die Tickets als Erste-Klasse-Billetts erkannt hatte, aber da ich ihm auf keinen Fall von Emerys großzügigem Geschenk, auch auf dessen eigenen Wunsch, erzählen wollte, legte ich jetzt das überzeugendste Flehen in meinen bittenden Blick hinein, zu dem ich überhaupt fähig war. Und natürlich verstand mein Blutsbruder mich hier wieder ohne Worte. Sein durchdringender Blick wandelte sich nun von einem leisen Erstaunen bis hin zum vollstem Verständnis für meinen Wunsch, nicht mehr über dieses Thema reden zu müssen, und so legte er mir nur mit einem zustimmenden Nicken die Hand auf die Schulter und beließ es einfach dabei. Die finanziellen Dinge waren natürlich nicht das Einzige, und das wir uns kümmern mussten. Ganz klar im Vordergrund standen vor allem die medizinischen Aspekte – wir wollten unbedingt für alle Fälle und für jeden erdenklichen Notfall gerüstet sein, und so saßen Walter und ich oftmals mit dem Dijin sowie Entschah-koh oder Til Lata zusammen, um alles zu planen und zu besprechen. Winnetou wurde hier übrigens selten mit einbezogen, denn ihm war dieses ganze Thema einfach nur noch unangenehm, was mittlerweile deutlich zu sehen war. Am Ende hatten wir schließlich eine Art Medizinköfferchen gepackt, in dem sich nicht nur Walters Medikamente, sondern auch viele indianische Heilkräuter und -pflanzen befanden, und wir waren uns sicher, dass wir damit bestens vorgesorgt hatten. Allerdings hofften wir alle auch von ganzem Herzen, dass ein Notfall niemals eintreten würde und wir somit gar keinen Gebrauch von diesem Koffer machten mussten! Emery war unter einem Vorwand übrigens auch noch einmal nach Santa-Fé gereist, um von dort aus ebenfalls einiges im Voraus zu organisieren. Er war in meine geplante Reiseroute vollständig eingeweiht und hatte jetzt dafür gesorgt, dass an fast allen Orten, an denen ich mit Winnetou ein Schiff oder einen Zug besteigen musste, die dafür notwendigen Tickets – natürlich wieder nur Erster Klasse – an den zuständigen Schaltern hinterlegt worden waren. Vor allem aber hatte er in mehreren auf dieser Route liegenden Banken einen dicken Batzen Geld für mich deponieren lassen. Der Engländer war nämlich bei den betreffenden Banken bestens bekannt und hatte mir angedroht, des Öfteren nachzuhaken, ob ich von dem Reichtum auch Gebrauch machen würde, so dass ich gar nicht erst in Versuchung kommen sollte, mein eigenes bescheidenes Vermögen anzurühren. Der große Vorteil für mich bestand aber vor allem darin, dass ich somit nicht gezwungen war, eine Unmenge Geld mit mir herumzuschleppen, was ja mitunter auch nicht ganz ungefährlich war. Einige Tage später allerdings drohte ein unerwartetes Ereignis das ganze Unternehmen dann aber doch noch einmal zu gefährden. Als die Gefährten aus Santa-Fé zurückkehrten, warteten sie auf eine Gelegenheit, mit mir und den anderen Westmännern sowie den stellvertretenden Häuptlingen alleine sprechen zu können, ohne dass Winnetou davon etwas mitbekam – sie hatten nämlich Nachrichten im Gepäck, die zu einer gewissen Unruhe Veranlassung gaben. Dick Hammerdull und Old Surehand war es gelungen, zwei Kundschafter der Comanchen zu belauschen, die sich nicht weit entfernt von dem Grenzgebiet ihrer Jagdgründe versteckt gehalten hatten. Genaues hatten unsere Gefährten allerdings nicht erfahren können, nur so viel, als dass sich der feindliche Stamm offenbar aus irgendeinem Grund in Aufruhr befand und viele Späher in alle Richtungen ausgesandt hatte. Außerdem war von weißen Gefangenen die Rede und auch von Anschuldigungen gegenüber mehreren Soldatenforts, aber alles nur sehr ungenau und bruchstückhaft. Die Westmänner hatten es sich ja zur Aufgabe gemacht, soweit wie nur möglich für Frieden in der gesamten Umgebung zu sorgen, und somit stand für sie fest, dass sie die Comanchen ab jetzt ganz genau beobachten und zudem auch noch Kontakt zu Kommandant Collister aufnehmen würden, um auch ihn von den Vorkommnissen zu unterrichten und ihn zu bitten, ebenfalls die Augen offenzuhalten. Entschah-koh war natürlich ab jetzt ebenfalls auf der Hut und wollte mit Til Lata und Yato-Ka sein übriges für die Sicherheit des Stammes tun. Auf keinen Fall wollte man von irgendwelchen kriegerischen Aktivitäten urplötzlich überrascht werden! Die Schwierigkeit bestand jetzt allerdings darin, all diese Maßnahmen so zu planen und durchzuführen, dass Winnetou davon bis zu unserer Abreise nichts mitbekam. Das fehlte noch, dass der Häuptling jetzt noch beunruhigt wurde und sich daraufhin vielleicht sogar weigerte, die Reise überhaupt anzutreten! Es gelang uns tatsächlich, unter Einhaltung strengsten Stillschweigens unter den Eingeweihten und auch nur mit äußerster Vorsicht, Späher in das Grenzgebiet zu den Comanchen auszusenden, ohne dass es Winnetou auffiel – zumindest konnten wir nichts Gegenteiliges feststellen, vielleicht auch deshalb, weil der ganze Stamm, wenn auch eher unwissentlich, den Häuptling mittlerweile ordentlich ablenkte. Mein Blutsbruder war nämlich derweil vollauf damit beschäftigt, von all den ihm nahestehenden Familien Abschied zu nehmen. Er hatte so viele Einladungen für ein Abendessen in den einzelnen Zelten und Wohnungen erhalten, dass er kaum noch wusste, wie er das alles in der wenigen verbleibenden Zeit bewältigen sollte. Oftmals war auch ich mit ihm zusammen eingeladen worden, doch nicht wenige Krieger wollten ihren geliebten Häuptling noch einmal ganz alleine für sich und ihre Familien haben, zumindest für wenige Stunden, und dafür hatte ich natürlich vollstes Verständnis. Die Abende, die ich somit ohne meinen Freund verbringen musste, füllte ich entweder mit vielen Zusammentreffen mit den Westmännern aus, auch um die ungewisse Situation mit den Comanchen zu besprechen, oder ich nutzte die ungewohnt ruhigen Mußestunden dazu, an meinen Reiseerzählungen zu schreiben, über die ich dann meistens einschlief, bis ich von Winnetou liebevoll geweckt wurde. Und so näherte sich unsere Abreise mit rasanten Schritten, und somit auch der Abschied von unseren geliebten Pferden. Winnetou und ich hatten schon kurz nach seiner Ankunft Tsain-tonkee mit der Pflege der Rappen beauftragt, so dass diese sich an ihn gewöhnen und ihm vertrauen lernen konnten. Mittlerweile ritt er die beiden auch schon abwechselnd aus, und es war deutlich zu erkennen, wie sehr dem jungen Indianer das Wohl der Tiere am Herzen lag, während diese auch ganz allmählich eine feste Bindung zu ihm aufbauten. Eine seiner Hauptaufgaben während unserer Abwesenheit würde dann auch aus der Pflege der kostbaren Hengste bestehen, eine Aufgabe, die den jungen Unterhäuptling mit großem Stolz erfüllte. Bei ihm konnten wir wirklich sicher sein, dass Iltschi und Hatatitla gut aufgehoben und versorgt sein würden, was uns die Trennung von unseren treuen Gefährten doch sehr erleichterte. Am Tag vor unserer Abreise brachen Winnetou und ich noch ein letztes Mal zu einem langen Ausritt auf, um die Rappen gebührend zu verabschieden. Es fiel uns doch wider Erwarten sehr schwer, die Hengste verlassen zu müssen, aber wir trösteten uns mit einem Wiedersehen in nicht allzu weiter Ferne und natürlich auch mit der Tatsache, dass wir, vor allem aber natürlich ich, schon des Öfteren über eine sehr lange Zeit von ihnen getrennt gewesen waren – und wie schön war dann immer das Wiedersehen gewesen! Schweigend ritten wir jetzt über die blühende Prärie, durchquerten kühle und dämmrige Wälder oder hangelten uns im Schritttempo schmale Bergpässe hinauf, wo wir irgendwann hart am Abgrund hoch über dem Pecos lagerten, die unendliche Weite und Schönheit des Apatschenlandes in uns aufnehmend und mit allen Sinnen genießend. Wie schon während des ganzen Ritts überschütteten wir auch hier unsere tierischen Gefährten mit allerlei Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeit; gleichzeitig bekamen aber auch wir so viele liebevolle Stupser ab, so oft schmiegten sich die Hengste an uns heran, dass wir deutlich spürten: auch Iltschi und Hatatitla ahnten, dass ein Abschied nahte! Am späten Nachmittag führte uns der Weg dann auch unweigerlich an unserer kleinen versteckten Höhle vorbei – wir wurde beinahe wie magisch davon angezogen. In den nächsten Wochen würden wir uns ja entweder in ständiger Gesellschaft oder in einer engen Schiffskabine mit dünnen Wänden befinden, und so war es die vorerst letzte Gelegenheit, unsere Leidenschaft und unsere Begierde aufeinander noch einmal hemmungslos auszuleben – und das taten wir dann auch. Erst spät am Abend kehrten wir ziemlich erschöpft ins Pueblo zurück, wo man schon beinahe besorgt um uns werden wollte. Die Vorbereitungen zu dem großen Abschiedsfest, welches uns zu Ehren stattfinden sollte, waren schon längst abgeschlossen, so dass wir jetzt sehnsüchtigst erwartet wurden. Vor allem Dick Hammerdull und der dicke Jemmy starrten hungrig auf die Unmengen von Wildbret, das neben dem Feuer aufgestapelt lag – und kaum setzten Winnetou und ich uns in den großen Kreis, sprangen die beiden auf und begannen eiligst, das Fleisch aufzuspießen. Dieser Anblick belustigte unseren guten Sam Hawkens dermaßen, dass er aus dem Kichern kaum mehr herauskam. „Da scheinen unsere beiden Schwergewichtler in letzter Zeit aber ganz schön Hunger gelitten zu haben, wenn ich mich nicht irre! Mir scheint, als ob der liebe gute Sam Hawkens in den nächsten Wochen vermehrt auf Jagd gehen muss, damit unter unseren geliebten Apatschenfreunden nicht noch wegen diesen beiden eine Hungersnot ausbricht – hihihi!“ Unter uns Weißen machte sich nun großes Gelächter breit, während Jemmy und Dick den kauzigen Westmann mit teils belustigten, teils wütenden Blicken bedachten, sich daraufhin aber sichtlich bemühten, ihre übertriebene Eile bei der Zubereitung des Essens deutlich zu reduzieren. Und nun begann ein Abend, den ich wahrscheinlich niemals vergessen werde. Die so ernsten und stolzen Apachen vergaßen in diesen Stunden völlig ihre übliche Zurückhaltung und überschütteten ihren geliebten Häuptling geradezu mit Liebesbeweisen. Auch mit ihrer Trauer über dessen morgige Abreise hielten sie nicht mehr hinter dem Berg, was man vielen Gesichtern deutlich ansehen konnte. Wieder versuchten die meisten Frauen, meinem Freund die besten und zartesten Stücke der vielfältigen Speisen zukommen zu lassen, es wurde viele Tänze nur ihm zu Ehren aufgeführt, und immer wieder setzte sich einer der Stammesältesten an seine Seite, zumeist um ihm eine schnelle und vor allem vollständige Genesung zu wünschen oder ihm gute Ratschläge zu diesem Zweck mit auf den Weg zu geben. Auch ich wurde von allen Seiten bedrängt und mit so viel Aufmerksamkeit bedacht, dass es mir beinahe zu viel werden wollte; auch ich bekam so viele Speisen vorgesetzt, wie ich sie im Leben nicht würde verdrücken können, und auch ich wurde von den Stammesältesten mit Ratschlägen nur so überschüttet – diese betrafen aber natürlich und vor allem meinen Blutsbruder. Die guten Menschen sorgten sich doch weiterhin sehr um ihn und wollten auf alle Fälle sichergehen, dass es mir jederzeit gelingen würde, ihren Häuptling zur Schonung anzuhalten, wann immer es nur möglich und vor allem nötig war. Viele lange Reden wurden uns zu Ehren von den Häuptlingen und den hervorragendsten Kriegern der Apatschen gehalten, und dahinter wollten unsere weißen Gefährten auf keinen Fall zurückstehen. Stellvertretend für alle bedachte uns Old Firehand mit den besten Segenswünschen und machte deutlich, wie sehr wir unseren Freunden wie auch dem gesamten Stamm fehlen würden. Gleichzeitig bekräftigte er noch einmal den festen Willen der Westmänner, mit allen Mitteln für den Erhalt des Friedens im und rund um das Stammland der Apatschen zu sorgen, und er versicherte dem Häuptling der Apatschen, dass er dafür notfalls auch mit seinem eigenen Leben einstehen würde. Und dann, ganz zum Schluss, ergriff Winnetou das Wort. Mit seiner klaren, sonoren Stimme, die er gar nicht erst erheben musste, um von allen gehört zu werden, bedankte er sich zuerst bei seinem ganzen Stamm für die Liebe und große Fürsorge, die ihm von all den Menschen gerade in den letzten Wochen entgegen gebracht worden waren. Anschließend ermahnte er jeden einzelnen von ihnen, Krieger wie Frauen, in der Zeit seiner Abwesenheit unbedingt für den Erhalt des Friedens zu sorgen und nicht durch unbedachte Aktionen oder verletztem Stolz den ganzen Stamm in Gefahr zu bringen. Zu guter Letzt überbrachte er den Westmännern seinen ausführlichsten Dank für deren selbstlosen Einsatz für das Volk der Apatschen sowie für die Freundschaft, die Liebe und die Fürsorge, die vor allem er selbst, aber auch seine Stammesgenossen bis jetzt von den weißen Freunden erfahren hatten. Ausführlich lobte der Häuptling unsere Gefährten für deren Hilfe und Beistand, den diese völlig uneigennützig in den kommenden Monaten noch den Mescaleros gewähren wollten, und er tat das auf eine solch herzliche und tief ergreifende Art und Weise, dass den Männern beinahe die Tränen kamen und sie ihm am liebsten Einhalt geboten hätten, wenn das nicht gegen alle Regeln der Höflichkeit gewesen wäre. Seine Worte hatten die Westmänner jetzt aber noch einmal mehr in ihren Absichten bestärkt, und deshalb versicherten sie ihm im Anschluss an seine Rede ein weiteres Mal im Brustton der Überzeugung, notfalls ihr Leben für die Sicherheit und Freiheit des Volkes der Apatschen zu geben, was ihnen den donnernden Beifall des ganzen Stammes einbrachte und Winnetou sogar dazu bewegte, jedem einzelnen noch einmal gegenüberzutreten, fest in die Augen zu schauen und stumm, aber mit dafür um so mehr sprechender Miene beide Hände zu drücken. Am Ende dieses einzigartigen Abends standen mit einem Mal sämtliche Krieger und Frauen auf, wie auf einen unsichtbaren Winke hin, entzündeten jeder rasch eine kleine Fackel und hielten diese schließlich hoch in den sternenklaren Abendhimmel, während sie einen uralten mythischen Singsang anstimmten, der schon seit Hunderten von Jahren in nur ganz besonderen Momenten von den Apatschen gesungen wurde, und das auch nur immer zu Ehren eines großartigen Häuptlings. Es war ein unglaublich bewegender Moment, die vielen Hundert Männer und Frauen überall auf und vor dem Pueblo, teils sogar auch auf den umliegenden Anhöhen mit den Fackeln stehen zu sehen und auf diese ergreifende Art singen zu hören, während der riesige Bau vom Feuerschein hell erleuchtet wurde. Winnetou selbst stand währenddessen stumm und regungslos an meiner Seite, und es war ein solch stolzer und erhabener Anblick, wie er dort, hoch aufgerichtet und mit unbewegten Gesichtszügen, vom flackernden Licht der Flammen beleuchtet wurde! Einzig seine Augen, die nun einen erhöhten Glanz aufwiesen und immer mehr zu funkeln begannen, verrieten seine innere Bewegung – und zum Schluss konnte auch mein geliebter Freund trotz aller Selbstbeherrschung nicht mehr verhindern, dass ihm eine einzelne Träne die Wange herablief. Dieses so anrührende Bild von ihm bewirkte nun allerdings, dass auch ich jetzt mit meiner Beherrschung an meine Grenzen kam. Noch Minuten nach dem Ende des so unglaublich ergreifenden Gesanges rang ich um Fassung und konnte nur mit Müh und Not verhindern, dass ich meinen Tränen freien Lauf ließ, die mir die ganze Zeit über schon hinter den Augenlidern brannten. Winnetou erkannte meine Not, fühlte er doch genau das Gleiche, und so trat er ganz nah an meine Seite, um unauffällig meine Hand zu ergreifen und sie tröstend zu drücken. Sofort erwiderte ich den Händedruck und fühlte mich ihm gleichzeitig so nah, so tief mit ihm verbunden, Herz und Seele waren eins, dass mein Herz wie wild schlug und ich eine Gänsehaut nach der anderen bekam. Spät in der Nacht legten wir uns endlich zur Ruhe, und als wir schließlich eng umschlungen in den Armen des anderen lagen, Winnetou aber lange Zeit über kein Wort sagte, da konnte ich doch nicht umhin, meinen Freund zu fragen: „Geht es dir gut? Oder bedrückt dich der Gedanke an die lange Trennung nun vielleicht doch ein wenig?“ Sofort ergriff mein Blutsbruder meine Hand und zog sie an seine Brust. „Nein, Scharlih. Winnetou fühlt eine große Freude, und das gleich dreifach: Endlich einmal wird er die Heimat seines Bruders kennenlernen; zugleich kann er dir deinen großen Wunsch erfüllen, in friedlicher Umgebung ungehindert gesund zu werden – und das Wissen, dass mein lieber Bruder die ganze Zeit über an meiner Seite sein wird, ist für mich dabei das größte Glück!“ Gerührt schloss ich meinen geliebten Freund noch ein wenig fester in meine Arme, und dieses einzigartige Gefühl der unzertrennlichen Liebe, welches mich schon seit dem Lied der Apatschen erfasst hatte, hielt auch jetzt noch die ganze Zeit über, bis wir eingeschlafen waren, in unverminderter Stärke an und machte mich einfach nur unendlich glücklich. Der endgültige Abschied von den Mescaleros am nächsten Morgen war nicht weniger gefühlvoll als am Abend zuvor, und darum machten wir ihn auch so kurz wie möglich, um die Emotionen nicht zu sehr hochkochen zu lassen. Bis Austin wurden wir von nahezu siebzig Apatschen, angeführt von Til Lata, begleitet, sowie einigen Westmännern, zu denen Old Surehand, Bärenjäger Baumann und Sohn, Sam Hawkens, der dicke Jemmy und der lange Davy und natürlich unser guter alter Freund Emery gehörten. Die große Anzahl an Kriegern waren von allen Westmännern und stellvertretenden Häuptlingen für absolut nötig befunden worden, um im jeden Fall vor einem Angriff von feindlich gesonnenen Stämmen oder, noch schlimmer, von umherziehenden Desperados und Banditen geschützt zu sein. Winnetou hatte zwar mehrmals versucht, sein Veto gegen diese von ihm für ziemlich übertrieben bewertete Maßnahme einzulegen, wurde aber gnadenlos überstimmt. In Austin verließen uns seine Krieger dann aber wieder, da hier ein weithin durch Soldaten gesichertes Gebiet begann und solch eine große Anzahl Indianer unweigerlich für viel Aufsehen sorgen würde, was vielleicht sogar in gefährliche Komplikationen durch eventuelle Zusammenstöße mit Indianerhassern ausarten könnte. Glücklicherweise aber blieb bis zu diesem Zeitpunkt alles friedlich, so dass die Apatschen unbehelligt den Rückweg antreten konnten, nachdem sie sich, wenn auch etwas betrübt, von ihrem Häuptling verabschiedet hatten. Vor allem Til Lata ging die Trennung von seinem Jugendfreund sichtlich nahe, und während der innigen Verabschiedung zwischen konnte ich hören, dass er Winnetou mit bewegter Miene mitteilte, wie sehr er dessen Rückkehr jetzt schon entgegen sehnte und wie sehr er hoffte, dass sein Häuptling auch wirklich vollständig genesen würde. Wir legten den Rest der Reise bis New Orleans somit also nur noch mit unseren weißen Gefährten zurück, die bis zur Ankunft am Hafen auch an unserer Seite bleiben wollten. Winnetou als Roter Mann war ja in den Städten der Weißen immer ein wenig gefährdet, und wir wollten auf keinen Fall riskieren, dass er sich eventueller Angriffe von irgendwelchen ignoranten Menschen erwehren musste, da ihm ja immer noch keine großen körperlichen Anstrengungen zugemutet werden durften. Doch auch dieser Teil der Reise blieb friedlich, so dass wir an einem windigen Morgen im Spätherbst am Kai in New Orleans standen und Winnetou andächtig, beinahe staunend, das riesige Schiff betrachtete, welches uns nach Europa bringen sollte. Ich muss gestehen, dass ich bis dahin mit einem solchen Prachtexemplar auch noch nie gereist war, da diese Art nur in einer Preisklasse buchbar war, die selbst in der dritten Klasse für mich kaum bezahlbar gewesen wäre. Was musste da jetzt wohl eine Kabine der ersten Klasse kosten? Beinahe betreten sah ich Emery an, der dieses Schiff natürlich mit voller Absicht ausgesucht hatte. Meinen Blick bemerkend, trat er an meine Seite und raunte mir zu: „Ein kleines Abschiedsgeschenk, alter Junge! Euch soll es an Bord schließlich an nichts fehlen – und ich habe mir sagen lassen, dass die Zwischenwände im Erste-Klasse-Bereich auch besonders gut Geräusche eindämmen sollen!“ Grinsend schlug er mir auf die Schulter, und ich musste nun alle Anstrengungen aufbringen, nicht laut loszuplatzen. Das war mir ja ein feiner Freund! Zu allem Übel hatte Walter Hendrick den letzten Satz des Engländers gehört. Auch er konnte nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken, als er mir zuflüsterte: „Ich werde hier wohl ein Auge auf euch haben müssen, mein Freund! Schließlich soll Winnetou sich erholen, nicht wahr?“ Nun war es mit meiner Beherrschung vorbei. Lachend knuffte ich den Doktor in die Seite, konnte aber nicht verhindern, dass mir die Verlegenheit eine leichte Röte in die Wangen trieb, was mir einen höchst verwunderten Blick von Winnetou einbrachte, der von all dem ja nichts mitbekommen hatte. Schließlich, nach vielen herzlichen Umarmungen, guten Wünschen und mühsam unterdrücktem Abschiedsschmerz, standen Winnetou, Walter Hendrick und ich endlich an Deck des riesigen Dampfers und winkten etwas wehmütig den Freunden zu, die ihrerseits unermüdlich ihre weißen Taschentücher schwenkten, bis wir einander nicht mehr erkennen konnten. E N D E D E S II. T E I L S Kapitel 47: Epilog - kleine Vorausschau auf Teil III ------------------------------------------------------- „Meine liebe Christiane! Ich ergreife hiermit die letzte Möglichkeit, dir noch einmal zu schreiben, und ich hoffe so sehr, dass dieser Brief dich tatsächlich auch erreicht, denn es wird nicht leicht werden, ihn aus unserer tödlichen Falle noch herausschmuggeln zu können. Ich werde hier sterben – und das ist eine Gewissheit. Doch unserer gütiger Herrgott hat mich nicht verlassen! Er hat dafür gesorgt, dass ich dieses Schicksal mit dem Menschen teilen darf, der mir der liebste überhaupt auf Erden ist. Ich spreche von Winnetou, meinem geliebten Blutsbruder, der mir der beste Freund ist, den man sich überhaupt denken kann. Ich bedauere es von Herzen, dass du ihn, als wir vor wenigen Monaten in Deutschland waren, nie kennenlernen durftest und nun auch niemals mehr kennenlernen wirst, denn seine Worte sind eine einzige Offenbarung und seine Taten lassen jeden Menschen alles Schlechte dieser Welt vergessen. Ich liebe ihn, wie ich noch nie einen Menschen geliebt habe, und ich würde alles darum geben, wenn wenigstens ihm dieses Schicksal, welches uns hier droht, erspart bleiben würde. Aber ich weiß auch genau, dass er es niemals überwinden könnte, wenn uns der Tod trennen und er mich verlieren würde – er würde langsam und qualvoll daran zugrunde gehen. Ich weiß es deshalb, weil es mir genauso ergehen würde, und unsere Gefühle und Gedanken sind die gleichen, genau wie unsere Herzen und unsere Seelen eins sind. Zudem bleibt ihm auf diese Weise erspart, das langsame Sterben der Roten Rasse weiter mit ansehen zu müssen, denn auch dieser Umstand hat seine Seele in den letzten Jahren mehr und mehr zerrissen! Deshalb sehe ich dem Tod gelassen entgegen und erbitte mir nur das Eine von unserem gütigen Gott: dass er meinen Winnetou schnell sterben lässt, ohne Qual, ohne Schmerzen, und ihn dann aufnimmt in sein großes Himmelreich, wo wir zusammen in Frieden ewig leben werden! Bete für mich, meine liebe Schwester, bete für uns, dass uns dieser fromme Wunsch in Erfüllung gehen wird! Denn wenn dem so ist, so wirst du nicht eine Sekunde um mich trauern brauchen, da du gewiss sein kannst, dass mir das Herrlichste vergönnt worden ist, was ein Mensch sich nur wünschen kann! Liebste Christiane – Gott segne dich! Grüße die Eltern und die Geschwister von mir und mache ihnen deutlich, wie sehr ich dem ewigen Frieden entgegen sehne, wenn ich ihn nur mit meinem geliebten Winnetou erleben darf! Darum trauert nicht und seid glücklich – denn auch wir werden uns einst wiedersehen! Ich liebe und ich segne Dich Dein Karl" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)