Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 35: Heimatgedanken -------------------------- „Natürlich gab es auf unserer Seite auch einige Verletzte – wobei man aber getrost behaupten kann, dass es euch beide mit Abstand am schlimmsten getroffen hat, von den Toten mal abgesehen....“ Die letzten Worte hatte Emery mit einer immer leiser werdenden Stimme ausgesprochen, und schon waren all meine Sinne wieder hellwach. „Wer wurde getötet? - Emery, nun sag schon: wer hat den Angriff nicht überlebt?“ Unwillkürlich hatte ich mich wieder etwas aufgerichtet, mit der Folge, dass beide Gefährten mit drohender Gebärde natürlich sofort Anstalten machten, mich abermals festzuhalten. Schnell ließ ich mich wieder zurücksinken, hob dabei rasch beide Hände zu einer beruhigenden Geste und sah die Freunde dann mit einer verharmlosenden Unschuldsmiene an. Ein leises Lächeln erschien auf Emerys Gesicht, bevor er erneut ansetzte, jetzt wieder mit großem Ernst in der Stimme: „Bei dem Kampf draußen am Tunneleingang ist Pete Muller erstochen worden. Du hattest ihn ja bei Beginn des Überfalls geweckt, und er hat sich sofort aufgemacht, um den draußen wachhabenden John McBentstone beizustehen und gleichzeitig zu verhindern, dass die Angreifer auch von dieser Seite aus in die Festung eindringen konnten. Dann wurde McBenstone von dem ersten Kiowa angegriffen, und bei dem sich anschließend entbrennenden Kampfgetümmel hat einer der Feinde Pete das Leben nehmen können.“ Wieder seufzte der Engländer leise, bevor er mit bewegter Miene weitersprach: „Auch der wachhabende Apatsche, Negat'tseh, hat sofort bei Beginn des Überfalls an den Steilhängen sein Leben lassen müssen – er war der großen Übermacht der Feinde einfach nicht mehr gewachsen gewesen, obwohl er sich bis zum Schluss tapfer gewehrt hat. Doch ansonsten gab es auf unserer Seite glücklicherweise keine Verluste mehr – natürlich hat jeder von uns diverse kleinere Schrammen abbekommen, und selbst unserem Doktor hier wollten die Rothäute noch während des größten Schlachtgetümmels bei lebendigem Leibe die Haut vom Kopf ziehen! Der hatte das allerdings überhaupt nicht bemerkt, weil er sich in diesen Sekunden auf dem Weg zu euch befand. Er sah euch beide ohne Bewusstsein am Boden liegen und war deshalb so in Eile, dass er jeden, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, ob Freund oder Feind, mit seinen Waffen in den Händen einfach zur Seite schleuderte. Als er sich dann um Winnetou bemühte, versuchte doch tatsächlich einer der Kiowas, Walter dort noch an Ort und Stelle zu skalpieren – ein kleiner Schnitt ist ihm zwar noch gelungen, aber glücklicherweise kam dann Surehand genau im rechten Moment dazu, und der hat dem Indsman anschließend gezeigt, was er mit Gegnern zu tun gedenkt, die sich an seinen Freunden vergreifen wollen!“ Nun zeigte sich wieder ein breites Grinsen auf Emerys Gesicht, und auch ich konnte mich eines Lächelns nicht mehr erwehren, zumal Hendrick abermals solch einen herrlich betretenen Ausdruck im Gesicht hatte, dass es fast eine Kunst war, nicht laut loszulachen! Es war ihm offenbar ein wenig peinlich, einfach gar nichts von den Angriffen auf ihn mitbekommen zu haben, noch nicht einmal die kleine Kopfwunde war ihm aufgefallen, wie Emery noch lachend hinzufügte. Erst als Walter zusammen mit Tsain-tonkee und einigen anderen Apatschen, die in der indianischen Heilkunst recht gut bewandert waren, jede noch so kleine Verletzung aller Gefährten versorgt hatten, wurde er von dem jungen Unterhäuptling auf seinen eigenen blutigen Schädel aufmerksam gemacht und daraufhin auch sofort fachmännisch versorgt. Schmunzelnd nahm ich abermals Walters Rechte in meine beiden Hände und bedankte mich nun erst einmal im aller Ausführlichkeit bei ihm für seine hervorragende Hilfe, die er uns ja nicht zum ersten Mal gewährt hatte. Der Doktor wehrte mich verlegen ab, doch er konnte nicht verhindern, dass ich ihn, obwohl das eigentlich gar nicht meine Art ist, für kurze Zeit mit Lobeshymnen nur so überschüttete – ich musste mir mein Herz irgendwie erst einmal erleichtern. Wir wurden jedoch schnell wieder ernst, denn Emery hatte mir ja noch nicht alles berichtet – vor allem der Verbleib Thomsons war Gegenstand meines brennenden Interesses! Der Engländer entschied sich aber dafür, mir zuerst den Grund für die so unerwartet schnelle Ankunft der Soldaten zu nennen. Sam Hawkens war am späten Nachmittag des Tages vor dem Überfall aufgebrochen, um bei den Militärs, die er und die anderen noch in Farmington wähnten, um Hilfe zu bitten. Im günstigsten Fall wäre er dann aber erst frühestens am Abend des nächsten Tages wieder hier eingetroffen, doch die Soldaten waren dann mit einem Mal weit, weit früher, nämlich schon kurz vor Morgengrauen, inmitten des heftigsten Kampfgetümmels urplötzlich auf der Bildfläche erschienen, mit Sam in ihrer Mitte. Das lag ganz einfach daran, dass sich diese große Kompanie, die sogar vom Fort-Kommandanten selbst, nämlich Ronald Collister, angeführt wurde, zu der Zeit gar nicht mehr in der Stadt befunden hatte. Auf der Suche nach einer Bande von Halunken, die seit einiger Zeit die Gegend unsicher machten, hatten die Soldaten sich im Gegenteil sogar zufälligerweise schon weit in unsere Richtung bewegt und waren gerade dabei, ihr Nachtlager aufzuschlagen, als Sam bei ihnen eintraf. Der hatte auch glücklicherweise gar nicht lange suchen müssen – obwohl sich das Lager der Kompanie nicht auf gerader Strecke zwischen Festung und Farmington befand, sondern ein ganzes Stück weit entfernt, hatte er noch im letzten Licht des Tages Spuren entdeckt, die eindeutig auf eine große Menschenansammlung in nicht allzu weiter Ferne hinwies. Und damit nicht genug – Ronald Collister kannte viele von uns persönlich; vor allem für Winnetou empfand er fast schon so etwas wie Ehrfurcht, und auch Sam Hawkens war für ihn kein Unbekannter. Somit hatte er keine Minute gezögert, als dieser den Kommandanten eindringlichst um Hilfe bat. In Windeseile ließ er das Lager wieder abbauen, und dann begab sich alles, so schnell es nur irgendwie ging, zurück zur Festung, wo sie auch wirklich gerade noch zur rechten Zeit eintrafen. Wieder stockte der Engländer, als er an dieser Stelle seines Berichts angelangt war. Er sah sinnend zu Boden und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf einen imaginären Punkt zu Füßen meiner Bettstatt. Ich seufzte. „Emery – ich finde es sowieso heraus, also kannst du mir genauso gut jetzt schon mitteilen, was du mir so gerne verschweigen würdest!“ „Hmpf!“, kam es von dem Angesprochenen, der jetzt zwar wieder hoch sah, aber alles andere als begeistert aussah, als er begann, mit seinen Erklärungen fortzufahren. „Gut, wie du willst. Aber ich muss dich warnen: Das, was ich dir jetzt sagen muss, wird für dich nicht gerade ein Grund zur Freude sein!“ In mir stieg eine leise Ahnung auf – eine Befürchtung, von der ich von ganzem Herzen hoffte, dass sie sich nicht als wahr erweisen würde. Mein englischer Freund begann seinen Bericht mit einer Frage: „Ich weiß nicht, ob du dich an die Erzählung von Walter erinnern kannst, in der er den seltsamen Kerl erwähnte, der unsere Greenhorns in der Bank von Farmington beim Umtausch ihres Goldes beobachtet hatte?“ „Ja, natürlich entsinne ich mich!“, antwortete ich sofort und wandte mich dann an den Doktor: „Hattest du nicht damals sogar versucht, den Mann ein Stück weit zu verfolgen?“ „So ist es!“, bestätigte dieser auch sofort. „Ich hatte da aber schnell einsehen müssen, dass meine spärlichen Fähigkeiten in dieser Hinsicht bei Weitem nicht an die euren heranreichen...“ Hendrick brachte es jetzt doch tatsächlich fertig, eine richtiggehend zerknirschte Miene aufzusetzen, was mir sofort Grund genug war, ihm diesen Unsinn gleich wieder auszureden. „Ich bitte dich, Walter - hör bloß auf, dir deswegen Vorwürfe zu machen! Du hast bisher mehr für uns getan, als wir je wieder gutmachen können, und ich weiß genau, dass du auch damals dein Bestes versucht hast! Glaube mir, oft genug habe auch ich eine Verfolgung aufgeben müssen, weil die betreffende Person im Menschengewühl einer Stadt einfach verschwunden war!“ Hendrick nickte, fast schon dankbar, und seine Miene hellte sich sofort wieder auf. Emery hingegen räusperte sich kurz und fuhr dann fort: „Na ja – wir wissen inzwischen, dass dieser Kerl niemand anderer war als der besagte weiße Komplize von Thomson, dessen Fehlen dir bei Motawateh aufgefallen ist und der uns damals zusammen mit Thomson am Hondo entwischt war – du weißt, als wir die beiden Butterfields aus den Händen der Tramps befreiten; Thomson und der andere Halunke konnten damals doch mit viel Glück aufgrund der völligen Dunkelheit im Wald entfliehen!“ Ich nickte verstehend und musste dabei feststellen, dass mich das Ganze irgendwie nicht wirklich überraschte. Doch was hatte das mit dem jetzt gerade überstandenen Überfall der Kiowas zu tun? War der Kerl aus der Bank etwa dabei gewesen? „Der Schurke hat die Butterfields in der Bank sofort wiedererkannt“, erzählte mein Freund weiter. „Dabei ist ihm natürlich nicht entgangen, dass die Familie nun im Besitz eines nicht gerade kleinen Goldbetrages ist – und er machte sich sofort auf den Weg, um das alles Thomson, den er ja noch bei Motawateh wähnte, wo er ihn kurz zuvor verlassen hatte, mitzuteilen. In seinem Schlepptau befanden sich zwölf weitere Halunken, die er in der Stadt aufgelesen hatte – die ganze Bande kannte sich untereinander wohl schon von früher her; solche Strolche ziehen sich ja gegenseitig an wie das Licht die Mücken. Irgendwo in dem Gebiet zwischen Farmington, Motawatehs letztem Lagerplatz und der Festung musste die Bande dann mit Thomson und den Kiowas zusammen getroffen sein. Diese Gruppe war zu dem besagten Zeitpunkt ja gerade dabei, Winnetou, Sam, dich und mich zu verfolgen, und für Thomson dürfte es ab da nicht allzu schwer zu erraten gewesen sein, dass die Butterfields sich in Begleitung der Apatschen ebenfalls auf den Weg zur Festung gemacht hatten, welche nun mal auch unser Ziel war, wie Thomson von unserer damaligen Geisel im Zelt erfahren hatte.“ Nun wurden mir alle bisher noch im Unklaren liegenden Zusammenhänge mehr als deutlich. Dass es nach unserer Flucht von Motawahs Lagerplatz für Thomson nicht völlig unmöglich sein würde, uns zu verfolgen und unser angestrebtes Ziel herauszufinden, zumal wir damals ja auch noch durch den schwerverletzten Winnetou nicht allzu schnell vorangekommen waren – ja, damit hatten wir schon während unserer Flucht gerechnet. Dann aber hatte der Kerl auch noch unverschämtes Glück gehabt, allein schon dadurch, dass noch zwölf weitere Strolche auf dem Weg zu ihm stießen; zudem hatte er ohne große Schwierigkeiten die Unterstützung der anderen achtzig, am San-Juan-River lagernden Kiowas gewonnen, wie Emery mir ebenfalls berichtete. Zwei Dinge wollte ich nun aber doch noch in diesem Zusammenhang von dem Engländer wissen: „Warum hat sich Thomson denn nicht einfach mit dem Gold der Butterfields begnügt? Er wusste doch durch seinen Kumpan aus der Bank, dass diese eine Menge dabei haben mussten; außerdem befanden sich unsere Greenhorns mit den Apatschen zu diesem Zeitpunkt doch noch auf dem Weg zur Festung – es wäre für den Halunken sicherlich viel einfacher gewesen, sie im Freien zu überfallen, als mit uns zusammen in der Festung!“ Emery nickte bestätigend, hatte aber sofort eine Antwort parat: „Das ist natürlich richtig, aber der Bande ist wohl irgendwann bewusst geworden, dass man die Apatschen samt den Greenhorns nur mit viel Glück noch auf dem Weg zur Festung einholen würde, zumal man gar nicht genau wusste, welchen Weg dorthin die Gesellschaft eigentlich genommen hatte. Außerdem erschien ihnen ein Angriff zu gefährlich, da immer die Gefahr bestand, dass einem der Mescaleros dabei die Flucht gelingen und er uns vor Thomson und den Kiowas warnen könnte – damit wäre natürlich der Überraschungsmoment für einen Überfall auf die Festung dahin gewesen, und genau den wollten Thomson mitsamt den Rothäuten auf jeden Fall durchführen!“ Hier unterbrach ich meinen Freund kurz, um ihn zu fragen: „Sag einmal – woher weißt du das alles eigentlich so genau?“ Emery zwinkerte mir zu und antwortete feixend: „Na ja – von Thomsons Bande gibt es noch genau zwei Überlebende, und die beiden hatten die große Güte, mir alles haarklein zu berichten, was ich wissen wollte – und ich musste auch nur manchmal ein wenig nachhelfen, wenn sie mal nicht so auskunftsfreudig waren....“ Er grinste, und ich tat es ihm gleich, denn ich konnte mir doch sehr gut vorstellen, wie die „Nachhilfe“ des Engländers ausgesehen haben musste, zumal er wohl mit einer ordentlichen Portion Wut im Bauch gehandelt haben dürfte! In diesem Moment fuhr er auch schon mit seiner Erzählung fort: „Ich hatte die beiden natürlich auch gefragt, warum sich Thomson nicht allein mit dem Gold der Butterfields zufrieden geben wollte, da wäre er doch mit etwas Glück sehr viel leichter herangekommen als an Winnetous Nuggets hier in der Festung – aber offensichtlich trieben ihn seine Rachegelüste, sein Hass auf Winnetou und auch auf Firehand dazu, das Tal hier mit allen Bewohnern darin auf jeden Fall anzugreifen. Außerdem saß ihm die Hundertschaft der Kiowas ja auch noch im Nacken, die sich nun mal nichts sehnlicher erwünschten, als Winnetou lebend in die Hände zu bekommen!“ Wieder nickte ich, doch bei Emerys letzten Worten konnte ich nicht verhindern, dass mir ein leiser Schauder den Rücken herunterlief. Dass von Thomson eine große Gefahr für Winnetou ausging, war mir von Anfang an bewusst gewesen – spätestens, seit vor einem knappen Dreivierteljahr die Kugel aus seinem Revolver meinen Freund fast getötet hatte. Und obwohl für mich nun endgültig alles geklärt war, gab es in diesem Zusammenhang doch noch einen Umstand, der Fragen aufwarf, und genau diesen Umstand hatten meine Gefährten bis dahin tunlichst verschwiegen. Jetzt aber sollten sie keine Gelegenheit mehr bekommen, meiner Frage auszuweichen, und diese stellte ich darum nun auch mit Nachdruck: „So, meine Freunde – und nun endlich heraus mit der Wahrheit: Was ist mit Thomson geschehen?“ Der Doktor und Emery sahen sich beide erst etwas perplex, dann aber mit sichtlich zerknirschter Miene an, und ich war mir im gleichen Moment sicher, dass ich einen Wutausbruch nicht mehr würde aufhalten können, sollte sich meine jetzt aufkommende Befürchtung bestätigen. Mein englischer Freund sah mir offen ins Gesicht, seufzte leise und begann dann zu sprechen: „Hm – zuerst einmal das Wichtigste: Der Mistkerl lebt; er liegt angekettet und zu einem hübschen Paket verschnürt in der dunkelsten und feuchtesten Kammer, die hier in der Festung überhaupt zu finden war!“ Zum zweiten Mal durchfluteten mich mehrere Wellen der Erleichterung, hatte ich doch schon das Schlimmste befürchtet! Was immer meine Gefährten zu ihren betretenen Miene veranlasst hatte, konnte nicht mehr allzu tragisch sein: Dieser gefährliche Sadist lebte und befand sich in unserer Hand, würde somit niemandem mehr, vor allem nicht Winnetou, je wieder gefährlich werden können – und endlich, endlich würde er für seine grausamen Taten büßen müssen, endlich würde ich ihn hängen sehen! Ich war fast schon ein wenig erschrocken über die Intensität, mit der ich von solch eindringlichen Rachegedanken beseelt war, aber das tat dem heißen Wunsch nach Vergeltung keinen Abbruch – denn natürlich hatte ich keinen einzigen Tritt, keinen einzigen Messerstich vergessen, den Winnetou von diesem grausamen Widerling hatte erleiden müssen! Trotzdem wollte ich jetzt natürlich wissen, was genau da noch schiefgegangen war, denn es musste ja einen Grund für das zögerliche Verhalten meiner Freunde geben; daher sah ich Emery nun auch wieder auffordernd an, so dass dieser erneut ausführlich zu erzählen begann: „In dem Moment, als du auf Winnetou geschossen hattest, war Thomson, wie du ja weißt, gerade im Begriff gewesen, deinem Freund sein Messer in den Leib zu rammen – und das wäre ihm höchstwahrscheinlich auch geglückt, trotzdem auch Winnetou beinahe im gleichen Augenblick in sich zusammengesackt war. Doch dem Himmel sei Dank – wir haben nun einmal äußerst fähige Männer in unseren Reihen, und einer davon ist zweifelsohne Tsain-tonkee. Der war zwar noch recht weit entfernt vom Ort des Geschehens, hatte aber die Todesgefahr für seinen Häuptling trotzdem sofort erkannt – und handelte im gleichen Augenblick, indem er dem Dreckskerl mit einem wahren Meisterschuss den Oberarm durchlöcherte! Der musste daraufhin sein Messer fallen lassen, doch leider war ihm das Glück trotz allem weiterhin hold. Kämpfen konnte er zwar nicht mehr, aber um ihn herum versank alles im Schlachtgetümmel - niemand achtete mehr auf ihn, und Tsain-tonkee war noch zu weit entfernt. Als der Unterhäuptling dann bei Winnetou eintraf, war unser Doktor schon damit beschäftigt, diesen irgendwie wieder ins Leben zurückzuholen, und Tsain-tonkee war es natürlich jetzt viel wichtiger, ihn darin zu unterstützen, als dem flüchtenden Thomson zu folgen. Der gerissene Kerl hat es daraufhin dann tatsächlich geschafft, sich ungesehen durch die kämpfenden Menschen zu schleichen. Die Feuer brannten noch hell, und vielleicht hat er dadurch die Kammern entdeckt..... Vielleicht wollte er sich dort auch nur verstecken, ich weiß es nicht – Tatsache aber ist, dass er ausgerechnet in eure Kammer hier eingedrungen ist!“ Leicht genervt schloss ich die Augen und ließ meinen Kopf nach hinten sinken – es war nicht schwer zu erraten, was daraufhin geschehen sein musste. Und da kam es auch schon: „Nun ja – Winnetous Beutel mit den Nuggets war nicht schwer zu finden, und ich kann mir vorstellen, dass der Dreckskerl einen wahren Freudentanz aufgeführt hat, als er ihn in den Händen hielt! Es kam dann, wie es kommen musste – ihm gelang tatsächlich die Flucht, sogar über die steile hintere Hangseite, wie wir später an den Spuren feststellen konnten....“ Gespannt sah ich den Engländer an, begierig zu erfahren, wie es den Gefährten gelungen war, den Schurken wieder einzufangen, und Emery ließ mich nicht lange warten: „Seine Flucht wurde kurze Zeit später entdeckt, als es gerade hell geworden war. Unsere Wut darüber war schon immens, aber das war nichts gegen den Zorn der Apatschen! Bis auf Tsain-tonkee, der hier wegen seiner Heilkünste dringend gebraucht wurde, schwärmten alle Mescaleros aus, um den Verbrecher wieder in ihre Gewalt zu bekommen, begleitet von Firehand und Surehand. Unseren indianischen Meistern im Spurenlesen gelang es glücklicherweise innerhalb weniger Stunden, Thomson wieder aufzuspüren, und somit wurde dem Kerl unter großem Hallo schon am Mittag ein wirklich netter Empfang bereitet!“ Emery hatte jetzt Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken, wurde aber schnell wieder ernst. „Leider war der Halunke gerissen genug, das Gold vorher irgendwo zu verstecken, und bisher konnte es noch nicht gefunden werden, was aber auch daran liegt, dass Winnetou, kurz bevor er endgültig zusammengebrochen war, seinen Apatschen die Suche danach verwehrte. Er wollte nicht, dass all die fähigen Krieger da draußen herumsuchen, wo sie hier drinnen einfach dringender gebraucht wurden, und das Gold ist unserem Häuptling ja nun einmal überhaupt nicht wichtig!“ Abermals schloss ich meine Augen und atmete mehrmals tief durch. Die Gefahr war gebannt; wir hatten diesen eigentlich ausweglosen Kampf überlebt, aber am Wichtigsten war: dieser Teufel namens Thomson befand sich in unserer Gewalt, er konnte niemanden mehr schaden, vor allem nicht Winnetou – was bedeutete dagegen schon der Verlust von ein wenig Gold! Doch die für mich schönste und bewegendste Nachricht war natürlich, dass mein geliebter Freund am Leben war, dass er weder durch die Hand der Feinde noch durch meine eigene – welch ein schrecklicher Gedanke noch im Nachhinein! - sterben musste; und obwohl es ab hier mit Sicherheit noch ein weiter Weg sein würde, bis er wieder vollkommen genesen war, so wurde mir und uns zumindest die Möglichkeit gegeben, weiter um seine Gesundheit zu kämpfen. Ich spürte, wie mir die Lider mit einem Male schwer wurden - schon hatte ich das Gefühl, meine Augen gar nicht mehr öffnen zu können. In meinem Kopf wirbelten noch unzählige Gedanken herum, die ich aber gar nicht mehr richtig zu fassen bekam. Eigentlich wollte ich meinen Freunden noch die Bitte mit auf den Weg geben, dass sie den Verbrecher auf keinen Fall mehr aus den Augen lassen durften; dass wir ihn so schnell wie möglich einem Savannen-Gericht unterziehen und das Urteil dann auch sogleich vollstrecken sollten, um keinerlei Risiko mehr einzugehen. Und vor allem sollten sie auf Winnetou achtgeben, solange ich dazu selber noch nicht in der Lage war - aber jetzt versagten mir meine Sprechwerkzeuge ebenfalls ihren Dienst. Es gelang mir noch einmal, wenn auch nur ganz kurz, die Augen zu öffnen und den Gefährten ein Lächeln entgegenzubringen, dann glitt ich zurück in einen tiefen, diesmal aber traumlosen Schlaf. Ein leises Flüstern drang an mein Ohr, als ich das nächste Mal wieder erwachte. Sofort wollte ich die Augen öffnen, aber mein Körper hatte immer noch mit einer hartnäckigen Schwäche zu kämpfen, denn allein diese kleine Bewegung wollte mir noch nicht gelingen, zumindest nicht auf Anhieb – und genauso wenig konnte ich irgendein anderes Körperteil bewegen. Doch da ich in den flüsternden Stimmen Old Surehand sowie unseren guten Doktor Hendrick erkannte, gab es für mich keinen Grund zur Beunruhigung, also blieb ich erst einmal ruhig liegen, um zu erforschen, zu welchen Aktionen meine Gliedmaßen im Augenblick überhaupt schon fähig war. Viel war es noch nicht, aber ich war doch sehr zuversichtlich, dass es mit mir rasch wieder aufwärts gehen würde. Allein schon die Tatsache, dass mich so gut wie keine Kopfschmerzen mehr plagten, machte mir in dieser Hinsicht viel Mut. So blieb ich also erst einmal eine Weile ruhig liegen und bemühte mich, Kräfte zu sammeln, um schnell wieder am Leben teilnehmen zu können. Dann jedoch durchfuhr mich der Gedanke an meinen Winnetou so plötzlich, dass ich unwillkürlich leicht zusammenzuckte – und im gleichen Augenblick gehorchten mir auch wieder meine Augenlider. Das Licht, in das ich jetzt hineinsah, war viel heller als beim letzten Mal – und als es mir mit erstaunlich geringer Kraftanstrengung sogar gelang, Richtung Eingang zu schauen, erkannte ich, dass es um die Mittagszeit sein musste – nur: welcher Tag? Vorsichtig drehte ich den Kopf zur anderen Seite und gewahrte Surehand und den Doktor, die an Winnetous Seite saßen. Während der Erstgenannte meinem Freund wiederholt den Schweiß von Stirn, Hals und Brust wischte – offensichtlich fieberte dieser immer noch - beendete Hendrick gerade seine Untersuchung und machte sich nun daran, die Infusionen zu wechseln. Seine Miene erhellte sich sichtlich, als er mich erblickte, und schon war er an meiner Seite. „Wie geht es dir, Charlie? Hast du noch Schmerzen?“ Vorsichtig schüttelte ich den Kopf, und als zu meiner Erleichterung mein Schädel auch dabei nur mit einem dumpfen Brummen antwortete, machte ich sofort Anstalten, mich etwas aufzurichten. Im gleichen Moment aber erinnerte ich mich an das gestrenge Verhalten meiner Gefährten, wurde daraufhin sofort etwas vorsichtiger und langsamer und beobachtete den Doktor währenddessen angespannt. Dieser beäugte mich seinerseits ebenfalls und recht kritisch, ließ mir aber vorerst meinen Willen – ein deutliches Zeichen, dass er mit meinem Gesundheitszustand wohl nicht gerade unzufrieden war. Das ließ mich dann auch gleich noch etwas mutiger werden; ich setzte mich mit einem Ruck gänzlich im Bett auf und wartete auf die nächste Reaktion des Arztes. Aber auch jetzt sagte dieser nichts darauf, sondern begnügte sich damit, meinen Puls zu kontrollieren. Dieses Ergebnis erhielt wohl ebenfalls sein Einverständnis, denn jetzt nickte er mit einem recht zufriedenen Gesichtsausdruck. „In Ordnung“, bestätigte er daraufhin auch meine Vermutung. „Aufstehen solltest du zurzeit noch nicht, aber da sich dein Zustand stetig und wirklich fast schon rasant verbessert, wirst du darauf auch nicht mehr allzu lange warten müssen!“ „Na prima!“, freute ich mich und machte Anstalten, die Decke zurückzuschlagen, da ich mich auf die Kante meiner Bettstatt setzen wollte, um Winnetou noch besser im Auge zu haben – aber da hatte ich mich definitiv zu früh gefreut, denn Walter wurde sofort wieder wütend. „Verdammt noch mal – ich fasse es nicht! Wenn sich dein Freund ein solches Handeln erlauben würde, hättest du ihn schon längst ans Bett gefesselt, aber du selbst glaubst wohl, du bist unbesiegbar, nicht wahr? Mach nur so weiter – widersetze dich noch ein einziges Mal meinen Anordnungen, und ich verpasse dir ein Gebräu, das dich bis nächste Woche schlafen lässt, das kannst du mir aber glauben!“ Beschwichtigend hob ich die Hände, um den aufgebrachten Freund irgendwie wieder zu beruhigen, während ich mich schnell zurück ins Bett verkrümelte und es nochmals mit dem Aufsetzen einer Unschuldsmiene versuchte. Darüber musste er nun doch lachen, und als ich dann auch noch entwaffnend zu grinsen begann, wurde sein Lachen noch um einiges lauter, während Surehand im Hintergrund sichtlich Mühe hatte, nicht zu laut loszuplatzen. Schnell aber wurde ich wieder ernst, und erneut glitt mein Blick zu Winnetou, der blass und reglos in den Decken lag. Während ich ihn besorgt musterte, fragte ich Walter leise: „Wie geht es ihm? Hat er zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt?“ „Nein, Charlie – und das kann er ja auch gar nicht!“, erwiderte der Doktor. „Ich lasse das immer noch nicht zu – er erholt sich einfach viel besser, wenn er tief und fest schläft. Zurzeit ist jegliche Anstrengung Gift für sein Herz, und wir wissen doch beide, dass er im wachen Zustand viel zu viel Kraft dafür aufwenden würde, uns sein wahres Befinden zu verheimlichen und seine Schmerzen irgendwie zu unterdrücken! Es macht im Moment einfach noch keinen Sinn, ihn wieder zu sich kommen zu lassen!“ Nachdenklich und beinahe ängstlich sah ich von Hendrick hinüber zu Winnetou, um dann den Arzt weiter auszufragen: „Bist du dir denn ganz sicher, Walter, dass Winnetou ohne deine Hilfe überhaupt noch einmal das Bewusstsein wiedererlangen wird? Er wirkt so... er sieht so unglaublich geschwächt aus....?“ Fast schon hilflos sah ich den Arzt an, darauf hoffend, dass er meine Sorgen etwas abmildern könnte. „Er ist sehr geschwächt, Charlie! Ich sagte ja schon, und ich habe oftmals davor gewarnt: Der Zustand, in dem er sich jetzt befindet, ist lebensgefährlich, und es ist wirklich ein Wunder, dass er den Kampf überhaupt überlebt hat. Und auch jetzt noch... Es ist einzig und allein seiner hervorragenden Konstitution geschuldet, dass er es bis hierhin geschafft hat, und es wird viel, viel Zeit ins Land gehen müssen, bevor er vollkommen wiederhergestellt ist.“ Ich nickte verstehend, während ich an mein großes Vorhaben dachte, für das ich auf jeden Fall das Einverständnis des Doktors benötigen würde – am liebsten aber würde es mir sein, wenn ich ihn als dauerhafte Begleitung gewinnen könnte! Es wurde Zeit, dass ich ihn in meinen Plan einweihte, aber vorher wollte ich noch etwas anderes wissen: „Wer hat denn bisher seine Pflege übernommen? Habt ihr euch diese Aufgabe geteilt?“ Ich konnte gar nicht genau sagen, warum mir das so wichtig war... vielleicht war es die Tatsache, dass ich den Körper meines Geliebten eigentlich niemand anderem überlassen wollte – aber mir waren da ja leider noch die Hände gebunden, obwohl mich mittlerweile alles an die Seite meines Blutsbruders zog. „Nein, mein Freund – das wurde uns nicht erlaubt“, antwortete Walter auf meine Frage. Verdutzt sah ich ihn an, doch schon fuhr er fort: „Tsain-tonkee hat darauf bestanden, diese Aufgabe zu übernehmen. Er wollte auf keinen Fall einen anderen Weißen als dich an Winnetou heranlassen, deshalb wurden wir auch immer herausgeschickt, wenn er mit Lihà-ka'pan seine Arbeit begann; und das Gleiche galt im Übrigen auch für dich – hier durften wir ebenfalls keinen Finger rühren, da du ja genauso gut zu den Häuptlingen der Apatschen zählst!“ Ich war tief berührt, als ich das hörte und dabei an Tsain-tonkee dachte, der mit wahrhaftiger Ehrerbietung an seinem Häuptling hing und für diesen alles Menschenmögliche tun würde. Dass er auch mich in sein Tun mit einbezogen hatte, war für mich sehr bewegend. Und doch wollte ich mehr als gerne wieder die Pflege meines geliebten Freundes selbst übernehmen, und das am liebsten sofort! Also fragte ich weiter: „Walter – wann, glaubst du, siehst du mich wieder in der Lage, dass ich mich selbst um Winnetou werde kümmern können?“ „Wenn du dich noch einige Zeit schonst und meine Anordnungen beachtest – und deine Genesung weiterhin so schnell voranschreitet, dann wirst du wahrscheinlich schon morgen wieder aufstehen dürfen; doch körperliche Aktivitäten sind trotzdem noch nicht erlaubt! Doch ich denke, dass du spätestens in zwei Tagen zumindest die Pflege wieder übernehmen kannst – aber mehr noch nicht, auf keinen Fall!“ Schnell nickte ich bestätigend, bevor der Arzt sich wieder in Rage reden konnte, dann setzte ich mich im Bett ein wenig zurecht, um jetzt endlich das große Thema zu besprechen, welches mir seit Tagen auf dem Herzen lag. „Ich denke, ich liege richtig, wenn ich davon ausgehe, dass Winnetou zurzeit nicht transportfähig ist?“, begann ich. „Damit hast du genau ins Schwarze getroffen, mein Lieber!“, antwortete Hendrick sofort und sah mich dabei neugierig an. Offensichtlich konnte er mir ansehen, dass ich etwas vorhatte. „Hm – und wie lange wird dieser Zustand andauern?“, fragte ich weiter. „Das kann ich dir leider nicht genau beantworten, Charlie“, entgegnete der Doktor. „Das hängt einfach von zu vielen Faktoren ab, und ich werde auf keinen Fall mehr auch nur das geringste Risiko eingehen – noch einen Herzstillstand überlebt unser Freund hier mit Sicherheit nicht!“ „Da hast du natürlich recht – wir werden auf jeden Fall solange hierbleiben, wie es vonnöten sein wird! Wenn ich das richtig sehe, besteht zur Zeit ja keinerlei Gefahr für uns, auch nicht auf lange Sicht, oder?“ Diese Frage hatte ich an Old Surehand gerichtet, der mir meine Vermutung auch gleich bestätigte: „Nein, Charlie, da brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen“, antwortete er. „Der Großteil der Kiowas und der Banditen ist vernichtet, der Rest ist in unserer Hand. Das Militär ist immer noch hier und wird auch solange bleiben, bis zumindest du wieder voll einsatzfähig bist – und wenn der Kommandant das verantworten kann, würde er zumindest noch einen kleinen Trupp zu unserem Schutz hierlassen, bis wir die Festung verlassen.“ Überrascht sah ich ihn an. Ich wusste ja, dass Kommandant Collister uns sehr zugetan war, aber dass er sich auch nach so vielen Tagen noch immer hier aufhielt und sogar noch viel länger bleiben wollte – damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet! „Wie ist das möglich?“, fragte ich daher. „Er kann doch nicht aus reiner Freundschaft zu uns eine solche Entscheidung treffen – er ist doch an seine Befehle von oben gebunden?“ „Das ist richtig“, entgegnete Old Surehand. „Aber er hat gute Gründe, seine Vorgesetzten von seinem Vorgehen zu überzeugen. Die Bande, die sich Thomson und Motawateh angeschlossen hatte, treibt schon seit Jahren ihr Unwesen in dieser Gegend, und das war unter anderem ja auch der Grund, warum Collister mit seinen Soldaten die Stadt und die Umgebung schärfer kontrollieren wollte. Jetzt hat sich die Bande dank unserer – vor allem aber eurer Hilfe – in Wohlgefallen aufgelöst und wird nie wieder irgendjemandem schaden können; dadurch haben wir Collister natürlich jede Menge Arbeit abgenommen.“ „Ihr habt euch, so nehme ich doch an, nach dem Kampf bestimmt auch vergewissert, dass sich in der nahen und näheren Umgebung der Festung keine weiteren feindliche Rothäute befinden, nicht wahr?“ wollte ich jetzt wissen, obwohl ich fest davon überzeugt war, dass meine Gefährten die Situation vollkommen unter Kontrolle hatten. „Selbstverständlich – wo denkst du hin?“ Aus Surehands Worten sprach schon fast eine gewisse Empörung. „Sämtliche Apatschen nebst Firehands Männern sind mehrere Tage lang ausgeschwärmt und haben in immer größeren Umkreisen um dieses Tal herum fast jeden Stein umgedreht! Seit dem Überfall wird die Festung rund um die Uhr bewacht, und zwar ständig von fast der Hälfte aller Bewohner! Außerdem haben wir zwei Boten zum Pueblo geschickt, um die Mescaleros von den letzten Geschehnissen in Kenntnis zu setzen und um zusätzliche Unterstützung zu bitten. Solltest du also vorhaben, Winnetou hier herauszubringen, sobald sein Zustand es erlaubt, dann können wir mit einer großen Zahl Apatschen rechnen, die ihn auf der Reise zurück zum Pueblo schützen werden.“ Ich war äußerst zufrieden über das soeben Gehörte und sprach Surehand daher auch sofort meine Anerkennung über seine Umsicht und die der Kameraden aus. Dann aber ließ ich die Katze aus dem Sack: „Ich bin mir alles andere als sicher, ob Winnetou wieder in sein Heimatdorf zurückkehren wird – und wenn doch, dann würde es nur für eine kurze Zeit geschehen.“ Völlig überrascht starrte mich Surehand an. „Was soll das heißen?“, fragte er verblüfft. „Du warst doch schon einmal der Meinung, dass er sich in seiner gewohnten Umgebung am besten erholen kann – schließlich haben wir ihn deshalb doch auch schon damals durch den halben Llano Estacado geschleppt, und das in einem fast noch schlechteren Zustand!“ „Das ist ja richtig“, antwortete ich. „Aber jetzt sieht die Sache doch etwas anders aus. Damals handelte es sich um eine akute und schwere Verletzung, bei der wir sicher waren, dass unser Freund nach deren Abheilung wieder völlig genesen sein und auch seine alte Form wiedererlangt haben würde – und so ist es ja auch gekommen. Nun aber hat unser Doktor festgestellt, dass all die Strapazen und schweren Verletzungen der letzten Zeit dazu geführt haben, dass der schlechte Gesundheitszustand Winnetous chronisch zu werden droht...“ „Er ist es schon!“, unterbrach mich Hendrick in diesem Moment mit fester Stimme. „Mit einer Herzmuskelentzündung ist wirklich nicht zu spaßen, und es braucht viele Monate, um sie wieder vollständig ausheilen zu lassen!“ Ich holte tief Luft, als der Arzt uns noch einmal in aller Deutlichkeit die momentane Lage vor Augen führte – es klang einfach unendlich besorgniserregend und verursachte sofort ein beklemmendes Gefühl in meiner Brust. Doch ich nahm mich zusammen und führte meine Gedanken weiter aus: „Surehand, du weißt selber, dass es Winnetou schon beim ersten Mal mehr als schwer fiel, sich die vielen Wochen, als es ihm schon besser ging, noch zur Ruhe zu zwingen. Er tat damals zwar alles, was von ihm verlangt wurde, aber nur uns zuliebe – und es war ein Glück, dass es in dieser Zeit zu keinerlei Auseinandersetzungen mit den Apatschen feindlich gesonnenen Gruppen gekommen ist! In solch einem Fall wäre Winnetou unter Garantie nicht ruhig geblieben, sondern hätte alles daran gesetzt, sein Volk zu schützen, meinst du nicht auch?“ „Da ist was dran“, murmelte der Angesprochene verunsichert. „Du glaubst also, dass es ihm nicht gelingen wird, noch einmal für eine längere Zeit eine Ruhepause einzulegen?“ „Nicht in diesen turbulenten Zeiten!“, bestätigte ich seine Vermutung. „Zumal er seine Pflichten, zumindest in seinen Augen, schon zu lange „vernachlässigt“ hat. Er war bis vor dem Zusammentreffen mit unseren Butterfields fest entschlossen gewesen, mit mir zusammen ein paar Tage später sämtlichen Stämmen der Apatschen einen Besuch abzustatten – und dann gibt es ja auch noch die immer wieder aufkommenden Unstimmigkeiten mit den anderen Stämmen; hier und da existieren sogar schon kleinere Scharmützel. Um all das wollte er sich in naher Zukunft kümmern – und das geht jetzt einfach nicht mehr, das lässt seine Gesundheit nicht zu! Er würde vielleicht noch eine ruhige Reise einigermaßen überstehen, aber lass währenddessen auch nur einen einzigen feindlichen Angriff geschehen, oder es kommt zu einer ähnlichen Situation wie jetzt mit unseren Greenhorns – das hätte fatale Folgen, das sehe ich doch richtig, oder nicht?“ Mit dieser Frage wandte ich mich an den Doktor, der sofort zustimmte. „Damit hast du vollkommen recht. In einem solchen Fall, der ja immer unweigerlich mit körperlichen Anstrengungen und Anspannungen zu tun hat, würde die Entzündung im Herzen nicht abklingen, sondern ausufern – und die Folgen wären tödlich!“ „Und genau da liegt der Hase im Pfeffer“, erläuterte ich weiter. „Winnetous immens hohes Pflichtgefühl würde niemals zulassen, dass er seinen Aufgaben und allen anderen außergewöhnlichen Anforderungen nicht nachkommt. Ihr kennt ihn ja alle selbst gut genug – er ist ein absoluter Menschenfreund, der niemals einen Hilfebedürftigen im Stich lassen würde, egal ob rot, schwarz oder weiß. Walter ist der Meinung, dass es bis zu einem Jahr währen kann, bis er endgültig außer Gefahr ist – und niemals wird es Winnetou gelingen, sich so lange aus allem herauszuhalten, niemals!“ „Und was hast du jetzt vor?“ Das war Emerys Stimme, die vom Eingang herüberklang; er betrat gerade unsere Kammer und hatte meine letzten Sätze mitangehört. „Er muss heraus aus seinem Verantwortungsbereich“, antwortete ich. „Er muss hier raus, und nicht nur einfach aus dem gefährlichen Südwesten dieses Landes, sondern generell ganz heraus aus den Staaten!“ „Aha“, kam es jetzt von Surehand. „Und wohin soll er dann gehen?“ „In meine ehemalige Heimat – nach Deutschland!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)