Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 8: Folter ----------------- In der Gegenwart: Wie gebannt starrte ich die Haarsträhne an; konnte meinen Blick gar nicht mehr davon lösen. Jetzt gab es für mich überhaupt keinen Zweifel mehr, dass sich mein Freund in der Gewalt der Kiowas befand, denn es war ganz eindeutig Haar von seinem Kopf. Ich konnte mir auch nicht mehr vormachen, dass es ihm bei einer möglichen Flucht herausgerissen worden sein könnte, die Strähne war dafür zu groß und es war ersichtlich, dass man sie sauber abgeschnitten hatte. Nach einigen Sekunden gelang es mir dann doch, mich von dem beängstigenden Anblick abzuwenden und Motawateh anzusehen, wobei ich meine ganze Willenskraft aufbringen musste, um weiterhin einen unbeteiligten Eindruck zu machen. Das Gesicht des Häuptlings war jetzt ein einziger Ausbund an Niedertracht, es strotzte nur so vor Häme und bösartigem Spott. Mit einem zynischen Lächeln beobachtete mich der Kiowa auf das Genaueste und registrierte schließlich sichtlich zufrieden, dass ich Mühe hatte, die Kontrolle zu bewahren. Wieder baute er sich hoch erhobenen Hauptes und voller Siegesgewissheit vor mir auf und sprach: „Nun? Wird die feige Krähe, die hier vor mir sitzt, jetzt dem großen Häuptling der Kiowas verraten, woher der elende Pimo das Gold hat?“ Ich musste wirklich eiserne Disziplin wahren, um weiterhin äußerlich ruhig zu erscheinen, als ich ihm antwortete: „Und wenn der unbekannte Kiowa mir noch so oft die gleiche Frage wieder und wieder stellt, meine Antwort wird sich doch nicht ändern. Ich kenne keinen einzigen der Orte, an welchem das Gold des größten Häuptlings der Apatschen versteckt liegt, denn ich wurde nie in das Geheimnis eingeweiht. Damit musst du dich halt zufrieden geben!“ Motawateh hatte offensichtlich fest damit gerechnet, dass ich spätestens jetzt vor Angst um meinen Freund einknicken und alles ausplaudern würde, was ich über das Gold wusste. Dass ich dieses immer noch nicht tat, sondern mich ihm weiterhin kaltblütig entgegenstellte, ließ den Kiowa nun völlig die Beherrschung verlieren. Er krallte seine Hände in meine beiden Schultern und begann mich aufs Heftigste zu schütteln, so dass mein Kopf mehrmals gegen den Pfahl hinter mir schlug, ohne dass ich es verhindern konnte. Dabei brüllte er mich mit hochrotem Kopf in ohrenbetäubender Lautstärke an: „Du Hund!! Damit sprichst du dein Todesurteil und das des Apatschen aus!! Du...“ „Das hast du doch schon längst gefällt, erinnerst du dich nicht mehr?“, unterbrach ich ihn, woraufhin er mir, jetzt außer sich vor Wut, die Faust ins Gesicht schlug, so dass das Blut aus einer Platzwunde an der Lippe nur so floss. „Du hast nur zu reden, wenn Motawateh es erlaubt!“, herrschte er mich zornig an. „Alles, was ab jetzt geschieht, hast du dir selber zuzuschreiben! Du hattest die Wahl zwischen einem schnellen Tod für den Apatschen und dich, oder den fürchterlichsten Martern, die du dir nur denken kannst. Du hast dir die Hölle, die dich jetzt erwartet, selbst erwählt. Der San-Juan-River wird sich rot färben von eurem Blut, und euer Gewinsel wird noch tagelang über die Berge und durch die Täler hallen!“ Er hatte inzwischen von mir abgelassen, aber befand sich mit seinem Gesicht immer noch dicht vor mir, so dass ich deutlich erkennen konnte, dass seine Augen vor Wut regelrecht Funken sprühten. Einen Augenblick noch verblieb er in dieser Stellung, dann drehte er sich abrupt um und verschwand aus dem Zelt, und seine Krieger taten es ihm gleich. Eine bleischwere Stille legte sich nun wie dichter Nebel über den Raum. Ich war im Augenblick zu geschockt, um irgendetwas zu sagen, und den Gefährten ging es ebenso. Die blutige Haarsträhne hatte der Indianer vor mir liegen lassen, und ihr Anblick ließ mich nicht los, ich fühlte fast so etwas wie eine tödliche Bedrohung von ihr ausgehen. Meine Gedanken kreisten rasend schnell um Winnetous Schicksal, obwohl ich ja gar nicht wissen konnte, wie dieses genau aussah, aber im Augenblick hegte ich die allerschlimmsten Befürchtungen. Für mich stand jetzt fest, dass Winnetou irgendwo von den Kiowas gefangen gehalten wurde, und das blutdurchtränkte Haar verhieß nichts Gutes über seinen Zustand. Trotzdem war es mir völlig unverständlich, warum man ihn von uns isoliert hatte. Auch die Tatsache, dass es um das Zelt herum so verdächtig still war, passte nicht zu den üblichen Gebräuchen der Kiowas, die solch wertvolle Gefangenen manchmal tagelang bis zu ihren Weidegründen schleppten, um sie vor dem ganzen Volk, auch den Alten, Frauen und Kindern, über Tage hinweg zu martern. So ein Ereignis wurde stets die ganze Zeit über in großer Lautstärke gefeiert, denn es brachte dem Sieger einen umso größeren Ruhm ein, je höhergestellt der oder die Todgeweihten waren. Von solchen Feierlichkeiten aber war bisher überhaupt nichts zu hören gewesen, noch nicht einmal die üblichen Geräusche eines Indianerdorfes wie das Wiehern oder Getrappel von Pferden oder lautes Durcheinanderrufen der Bewohner konnten wir vernehmen. Doch, gerade jetzt in diesem Augenblick drangen Geräusche ins Zelt herein! Es klang so, als wenn ein heftiger Streit zwischen zwei Personen ausgebrochen wäre. Zwei wütende Männerstimmen brüllten sich in höchster Lautstärke an, und in einer glaubte ich Motawateh zu erkennen. Ich lauschte angestrengt, konnte aber leider nicht verstehen, was der Grund des Zwistes war. Allerdings meinte ich herauszuhören, dass die andere Person kein Indianer sein konnte, denn laute Streitigkeiten unter Rothäuten waren äußerst selten. Waren Weiße hier im Lager? Und wenn, waren sie uns freundlich oder feindlich gesinnt? Wussten sie überhaupt von unserer Anwesenheit oder waren sie sogar selber Gefangene? Konnten wir von ihnen Hilfe erwarten? Während ich in solche Grübeleien versunken war, lauschte ich nebenher auf weitere Stimmen von draußen. Die Streitereien waren zwar noch im Gange, aber leiser geworden. Nun wandte sich Emery zu mir: „Charlie, ist alles in Ordnung mit dir? Der Kerl hat ja nicht gerade sanft zugeschlagen....“ „Das ist gar nicht der Rede wert, Emery, keine Sorge“, beruhigte ich ihn. „Und das ist jetzt auch wirklich nicht wichtig – viel dringender ist die Suche nach einem Ausweg! Ich denke, dass Winnetou schnell unsere Hilfe braucht; wir müssen ihn so bald wie möglich finden!“ „Tja, da könntet Ihr recht haben“, meldete sich Sam Hawkens zu Wort. „Aber kann mir das ehrenwerte Greenhorn hier vor mir mal erklären, wie es das anstellen will? Ich weiß nicht, ob Ihr es schon bemerkt habt – aber wir sind allesamt mehrfach gefesselt, und die Indsmen sahen nicht unbedingt so aus, als ob sie diesen Zustand in absehbarer Zeit ändern würden, wenn ich mich nicht irre!“ „Ich weiß ja, Sam, ich weiß!“ entgegnete ich ihm. „Aber vielleicht kommen wir mit einer List weiter. Vielleicht... hm...es könnte ja sein, dass der Häuptling sich auf einen Kampf einlässt, einen Zweikampf mit mir, so eine Art Gottesurteil?“ „Hm“, machte jetzt auch der Engländer. „Du hattest den Kerl doch schon bis aufs Blut gereizt, und er wirkte nicht so, als ob er sich in einem ehrlichen Kampf mit dir messen wollte. Aber... du könntest es versuchen. Wenn es dir gelingt, dass du ihn beim nächsten Mal wieder aufs Äußerste beleidigen kannst, und ihm dann so ein Gottesurteil vorschlägst, vielleicht geht er ja darauf ein, und wenn es nur deshalb ist, um nicht vor seinen Kriegern seine Würde zu verlieren!“ „Ja, das wäre möglich – ein Versuch ist es jedenfalls wert, und irgendetwas muss ich tun! Alles ist besser als hier weiterhin untätig herumzusitzen!“ Obwohl es völlig unsinnig war, zerrte ich wieder an meinen Fesseln, was mir aber nur ein weiteres Mal Schmerzen und Striemen an den Handgelenken einbrachte. Ich war innerlich äußerst aufgewühlt, die Sorge um meinen Freund nagte an mir und machte es mir schwer, ruhig und überlegt zu handeln. Die Streitigkeiten unweit unseres Zeltes waren mittlerweile wohl beendet worden, und eine Zeit lang herrschte wieder eine fast schon gespenstige Stille. Ich legte mir im Geiste einige spöttische Bemerkungen zurecht, mit deren Hilfe ich hoffte, Motawateh so zu reizen, dass er einem Kampf mit mir nicht ausweichen würde, selbst wenn dieser noch so ungerechte Bedingungen für mich bereit halten sollte. Und dann wurde es rund um das Zelt doch wieder lebendig. Abermals wurden die Felle am Eingang zurückgeschlagen, aber diesmal hielten mehrere Krieger sie weit auf, denn nun wurde von vier weiteren Rothäuten ein längliches großes Bündel hereingetragen. Ich musste zweimal hinsehen, um zu erkennen, was es war, und konnte dann nicht verhindern, dass mir ein entsetztes Keuchen entfuhr. Es war der Körper eines Indianers, offensichtlich ohne Bewusstsein, an Händen und Füßen gefesselt, der bloße Oberkörper blutüberströmt, verunstaltet mit mehreren Stich- und Schnittverletzungen sowie einer offenen Wunde an der Stirnseite. Auch die Halskette fehlte, denn dieser Indianer war niemand anderes als – Winnetou, der Häuptling der Apatschen! Die Kiowas ließen ihn alles andere als sanft auf die Erde fallen, direkt vor unseren Füßen, aber doch so weit entfernt, dass wir ihn nicht berühren konnten. Neben mir sog Emery vor Entsetzen scharf die Luft ein. Im gleichen Augenblick trat Motawateh ein, der immer noch sehr wütend wirkte, sich aber auch die offensichtliche Zufriedenheit über mein Erschrecken nicht verkneifen konnte. Er machte nicht mehr viele Worte, als er mir erklärte: „Die Krähe, die sich Häuptling der Apatschen schimpft, krächzt nicht mehr. An allen Lagerfeuern wird man darüber lachen, dass er nicht einmal die Martern eines halben Tages ertragen konnte, ohne dass sein Körper aufgab! Er stirbt, und ihr alle werdet nun die Ehre haben, ihm dabei zuzusehen und nichts dagegen tun zu können! Der weiße, feige Hund hier vor mir hat sich das selber zuzuschreiben, da er nicht willens ist, mir die gewünschte Auskunft zu geben. Aber sollte er sich vielleicht doch noch entschließen, mir die Wahrheit zu sagen, werde ich ihn und seine Gefährten anschließend freilassen und ihnen sogar das stinkende Aas mitgeben, welches hier vor uns auf dem Boden liegt!“ Abwartend und voller Spannung sah er mir jetzt ins Gesicht. Ich war in diesem Augenblick überhaupt nicht fähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Völlig geschockt starrte ich auf den leblosen Körper meines Freundes, der auf dem Rücken lag und sich nicht rührte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht einmal irgendwelche Anzeichen erkennen, dass er überhaupt noch lebte. Aber über eines war ich mir direkt im Klaren: Der Kiowa log wie gedruckt. Selbst wenn ich von dem Placer meines Freundes gewusst hätte und es Motawateh verraten würde – er würde uns niemals freilassen. Unser Tod war eine beschlossene Sache. Mein Schweigen währte dem Häuptling zu lange; ihm riss schon wieder der Geduldsfaden. Nochmals donnerte er mich wütend an: „Nun? Wird sich Old Shatterhand auch diese letzte Gelegenheit, die Freiheit zu erlangen, entgehen lassen?“ Ich benötigte nur wenige Sekunden, um mich zu sammeln und meine furchtbare Angst um Winnetou tief in meinem Inneren zu verschließen. Kaltblütig antwortete ich: „Du wirst es niemals zu einem berühmten Häuptling bringen; dazu fehlt dir der Mut sowie die Klugheit! Dein Mund spricht die Unwahrheit, und deine Augen sagen mir, dass du dich vor meinen Kameraden und mir am liebsten wie ein Wurm in die Erde verkriechen und es auch sofort tun würdest, wenn wir nicht gebunden wären. Du wirst das Gold des großen Häuptlings der Apatschen nie zu Gesicht bekommen!“ „So stirb!“ zischte mir Motawateh entgegen. „Euch erwarten ab jetzt die furchtbarsten Qualen, erst die der Seele, dann die des Körpers! Die der Seele werden genau jetzt beginnen, da ihr ab nun dem elenden Pimo, den ihr euren Freund nennt, beim langsamen Sterben zusehen werdet!“ Er verabreichte Winnetou noch einen heftigen Fußtritt und verließ anschließenden wutschnaubend das Zelt. Ich sah ihm hinterher, bis er verschwunden war, und wandte mich dann, fast schon ungläubig, meinem Freund zu. Lähmendes Entsetzen hatte uns drei jetzt ergriffen. Der Engländer schüttelte mehrmals verzweifelt mit dem Kopf, und als ich kurz zu Sam sah, glaubte ich sogar, in seinen Augen das Glitzern von Tränen zu erkennen. Ich schaute wieder zu Winnetou mit dem Gefühl, dass mein Hirn einfach nicht begreifen wollte, was meine Augen erblickten. Wie sah er aber auch aus! Kopf, Gesicht und Oberkörper waren blutverschmiert, und das so massiv, dass man die einzelnen Wunden gar nicht mehr genau erkennen konnte und deshalb auch keine Möglichkeit für mich bestand, die Schwere der Verletzungen richtig einzuschätzen. Sein Gesicht konnte ich ebenfalls nicht sehen, da sein Kopf sich zur anderen Seite geneigt hatte, als man ihn hatte fallen lassen. Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich mit einer krächzenden Stimme, die ich gar nicht als meine eigene erkannte, ihn leise beim Namen rief. Er reagierte nicht; ich rief noch zwei-, dreimal, ohne Erfolg. Hatte ihn der Tod doch schon ereilt? Neben mir machte sich Sam bemerkbar:„Verdammt!“, fluchte er und von Emery kam nur ein „Herr im Himmel!“ Ich saß da wie betäubt. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Was hatte mein Freund in dem letzten Dreivierteljahr alles erleiden und erdulden müssen, und nun sollte das Ganze wieder von vorne beginnen? Aber so, wie es jetzt aussah, konnte ich froh sein, wenn es überhaupt noch einmal die Möglichkeit eines Neubeginns gab - wie um alles in der Welt sollten wir uns denn aus dieser Situation noch befreien können? Verzweifelt senkte ich den Kopf und schloss die Augen. Ich versuchte, mich zu sammeln, schien aber im Augenblick zu keinem klaren Gedanken fähig zu sein. Es sah jetzt tatsächlich so aus, als gäbe es keine Rettung mehr für uns, vor allem aber nicht für Winnetou. Es war wirklich eine furchtbare Situation und eine unglaubliche Qual für mich, meinen Freund nur wenige Schritte vor mir in völliger Hilflosigkeit und noch dazu schwer verwundet liegen zu sehen und ihm nicht helfen zu können – ein absolut perfider Plan des Kiowa-Häuptlings; er hatte diese Situation mit voller Absicht herbeigeführt, um mich leiden zu sehen und meine seelischen Qualen ins Unermessliche zu steigern. Diese trübseligen Gedanken währten aber nicht allzu lange; ich hatte mich früher ja schon mehrfach in scheinbar aussichtslosen Lagen befunden, war aber dabei immer mit großem Gottvertrauen und einem Zusammenspiel von Klugheit und Mut in der Lage gewesen, mich aus denselbigen doch noch zu befreien. Und auch dieses Mal konnte ich mich nochmals aufraffen, denn in meinem Kopf hatte sich jetzt ein einziger Gedanke breit gemacht, und der ließ sich auch nicht mehr vertreiben: Bevor ich nicht den letzten Atemzug getan hatte, würde ich immer auf einen Ausweg hoffen und auch dafür kämpfen, vor allem für meinen geliebten Blutsbruder! In diesem Moment zischte Emery mir in unterdrückter Aufregung zu: „Charlie! Charlie, ich glaube, er lebt! Sieh doch!“ Mein Kopf ruckte sofort wieder hoch, ich sah schnell zu Winnetou, dann wieder zu meinem englischen Freund und fragte hastig: „Bist du sicher? Hat er sich bewegt?“ „Nicht direkt“, entgegnete der Engländer. „Aber sieh hin! Sieh genau hin! Er atmet, allerdings flach und ganz langsam, aber ich bin fast sicher, dass es so ist!“ Ich folgte seiner Aufforderung, und nach einigen Sekunden glaubte ich ebenfalls, schwache Atembewegungen bei dem Apatschen erkennen zu können. Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich. Wir hatten also doch noch eine Chance, ihn und auch uns hier lebend herauszubekommen! Nur wie? Viel Zeit blieb uns nicht mehr in Anbetracht der vielen Verletzungen Winnetous, die zwar im Augenblick nur leicht, aber dafür unaufhörlich bluteten. Wieder versanken wir für einige Zeit in nachdenkliches Schweigen, da jeder für sich über eine Möglichkeit zur Flucht nachdachte. Ich konnte nicht genau sagen, inwieweit der Tag inzwischen fortgeschritten war, da sich im Zelt der Stand der Sonne nur schwer abschätzen ließ. Nach einer ganzen Weile aber hörte ich schwere Schritte, die sich dem Zelt näherten. Es hörte sich an, als ob der Verursacher hinken würde. Und dann trat eine große Gestalt herein, die ich aufgrund des Gegenlichtes nicht genau erkennen konnte, aber soviel war sofort klar: es war ein Weißer. Als er langsam auf uns zukam, sah ich, dass ich recht mit meiner Vermutung gehabt hatte, denn er hinkte nicht nur mit dem linken Bein, sondern schien auch auf der gleichen Seite Bewegungseinschränkungen in seinem Arm zu haben. Als dann aber das Licht auf sein Gesicht fiel, musste ich doch kurz nach Luft schnappen. Dieses Antlitz würde ich in meinem Leben nicht mehr vergessen, auch wenn es jetzt, ebenfalls auf der linken Seite, teilweise entstellt war – und zwar durch die Verletzungen, die ihm Old Firehand in seiner mörderischen Wut zugefügt hatte, nachdem der Unteranführer der Geierbande, denn niemand anderes als der stand hier vor mir, Winnetou fast erschossen hätte. Ich war fassungslos, als ich diesen Kerl so nah vor mir sah, und hätte alles darum gegeben, die Hände frei zu haben, um ihm die sofort um den Hals zu legen und ihn auf diese Weise für seine Tat zur Rechenschaft ziehen zu können. Statt dessen musste ich mit ansehen, wie der Schurke sich zu mir herunterbeugte und mich mit einem äußerst höhnischen Grinsen betrachtete, bevor er mich ansprach. „Tja, Mr. Shatterhand, diesmal sind die Karten wohl anders gemischt, nicht wahr? Und zwar zu meinen Gunsten, so wie ich das sehe! Wie fühlt Ihr Euch denn so als Ehrengast der Kiowas? Habt Ihr Euch schon eingelebt? Viel Zeit bleibt Euch ja nicht mehr, um Euch hier gemütlich einzurichten, wusstet Ihr das eigentlich schon?“ Wieder einmal musste ich mich im höchsten Grade dazu zwingen, mir keine Gemütsregung anmerken zu lassen. Ich tat ihm auch nicht den Gefallen, sofort Antwort zu geben, sondern dachte vielmehr angestrengt darüber nach, warum sich dieser Mensch im Lager der Kiowas befand und von diesen sogar offenbar als Gast aufgenommen worden war! Als Winnetou und ich ihn kurz vor der Befreiung der zwei Goldsucher hatten belauschen könnenn, hatten wir zwar einiges erfahren, unter anderem seinen vollen Namen, Wayne Thomson, sowie die Gründe, wie er seiner Verurteilung und Hinrichtung hatte entgehen können, genauso welche Absicht ihn in das Land der Apatschen getrieben hatte, aber dass er freundschaftliche Kontakte zu den Kiowas hegte, war uns bis dahin nicht bekannt gewesen. An meiner Statt antwortete dafür jetzt Emery auf die Fragen des Banditen: „Ja, jetzt traust du dich, uns unter die Augen zu kommen, jetzt, wo uns die Hände gebunden sind! Wären die Meinen frei, ich würde dir zeigen, wie ich mit Verbrechern zu verfahren pflege, du lumpiger Hundesohn!“ Seine Wut auf den Kerl war grenzenlos; er knirschte mit den Zähnen und sein Blick sagte uns, dass er seinen Wunsch sofort in die Tat umsetzen würde, sobald sich eine Möglichkeit dazu bot. Wayne Thomson schien von den Worten des Engländers nicht sonderlich beeindruckt zu sein, dennoch glaubte ich auch bei ihm Anzeichen mühsam unterdrückten Zorns zu erkennen, als er Emery entgegnete: „Halts Maul, du lausige Ratte! Du interessierst mich nicht, dein Leben ist sowieso schon Geschichte! Aber mit dir“, und damit wandte er sich wieder mir zu, „mit dir habe ich noch ein Wörtchen zu reden! Du hast einen elenden Tod vor dir, wie du vielleicht schon gehört hast, und die stinkende Rothaut hier hat es sowieso schon fast hinter sich. Du weißt aber von Motawateh, dass du auch schnell sterben könntest, wenn du nur ein wenig auskunftsfreudiger wärst!“ Aha! Daher wehte der Wind! Jetzt wurde mir schlagartig so einiges klar! Der laute Streit vorhin hatte mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen Motawateh und diesem Banditen hier stattgefunden, und mit Sicherheit war der Grund des Zwistes das Gold Winnetous gewesen! Er war also der unbekannte Freund, für den der Häuptling die Nuggets aus uns herauspressen wollte! Müßig zu fragen, wie die zwei wohl zueinander gefunden hatten, denn Gleichgesinnte schließen sich schnell zusammen, wenn es um fremdes Eigentum und große Reichtümer geht, die man erbeuten könnte. Aber wenn der Kerl hier vor mir glaubte, dass er mehr aus mir herausbekam als Motawateh, dann irrte er sich doch ganz gewaltig! Auch wenn ich genaue Kenntnisse über eine Bonanza Winnetous gehabt hätte, eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als solch einem Schurken zu Willen zu sein! Daher blickte ich ihm mit deutlicher Verachtung ins Gesicht, bevor ich mit kalter Stimme begann: „Du Abschaum in Menschengestalt hast dich umsonst hierher bemüht! Weder du noch dein indianischer Freund werdet jemals das Gold des Häuptlings der Apatschen zu sehen bekommen, also scher dich hier raus und begib dich wieder zu deinesgleichen!“ Offenbar war Thomson ein ebensolcher Choleriker wie der Kiowahäuptling und genauso schnell reizbar. Wütend sprang er auf, verabreichte mir einen heftigen Tritt in die Seite und drehte sich dann zu Winnetou, um diesem ebenfalls den Fuß in die Seite zu rammen. Gerade wollte er wieder zu sprechen beginnen, da unterbrach ihn auch schon Sam Hawkens, den ich noch nie so außer sich vor Wut gesehen hatte wie gerade jetzt. „Du feige Ratte!“, schrie er mit vor Zorn fast funkensprühenden Augen. „Was für ein Mut, sich erst an einem Wehrlosen und dann noch an einem Bewusstlosen zu vergreifen! Elender Wicht! Wenn ich jetzt könnte, wie ich wollte, ich würde dir den Hals umdrehen, wenn ich mich nicht irre!“ Thomson war allerdings von genauso großem Zorn erfüllt, als er Sam anschrie: „Maul halten! Wenn du nicht sofort still bist, werde ich dir mit deinem Riesenzinken dein Maul stopfen, also sieh dich vor!“ Sam aber ließ es sich nicht nehmen, zu entgegnen: „Mit meinem zarten Näschen wirst du doch gar nicht fertig, du Schuft! Aber du kannst gerne herkommen und es versuchen, nur dann wirst du dein blaues Wunder erleben, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!“ Doch Thomson achtete schon gar nicht mehr auf ihn, sondern baute sich jetzt bedrohlich vor mir auf und knirschte durch seine zusammengebissenen Zähne: „Das ist deine letzte Gelegenheit, Dutchman! Auf die Gnade Motawatehs solltest du gar nicht erst hoffen; der platzt nämlich fast vor Wut, weil diese elende Rothaut hier trotz massiver Folter keinen Ton verraten hat! Außerdem hat der Kerl die Kiowas einst beleidigt, deswegen hat einer der Krieger Motawatehs während der Martern mit dem Tomahawk unwillkürlich fester zugeschlagen als beabsichtigt, und so wird er sich dein Freund von dieser Welt wohl in Kürze verabschieden. Allerdings konnte Motawateh nun leider seine Rache nicht mehr vollenden und auch seinen größten Trumpf nicht mehr ausspielen, nämlich dich vor den Augen des Apatschen zu foltern, um ihm die schlimmsten Seelenqualen zuzufügen und auf diese Weise auch das Versteck des Goldes zu entlocken!“ „Glaube ja nicht, dass der Häuptling der Apatschen euch jemals das Geheimnis verraten hätte“, unterbrach ich ihn. „Ihr hättet ihn niemals zum Reden gebracht, trotz eurer perfiden Methoden, niemals! Er wäre auf alle Fälle standhaft geblieben!“ „Jaaa, er vielleicht“, erwiderte Thomson mit vor Bosheit triefender Stimme. „Es handelt sich bei ihm ja auch um eine gefühlskalte Rothaut, aber bei dir ist das, wie ich gehört habe, völlig anders, richtig?“ Als ich nicht antwortete, fuhr er fort: „Du könntest nicht einfach zusehen, wie dein Freund hier gemartert wird, wenn du die Macht hättest, das zu beenden, indem du das Versteck verrätst, nicht wahr? Und das werden wir deshalb jetzt auch gleich mal ausprobieren!“ Mit diesen Worten zückte er sein Messer, beugte sich zu Winnetou hinunter und setzte die Spitze auf dessen rechte Schulter, wobei er mir einen äußerst heimtückischen Blick zuwarf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)