Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 3: Todeskampf (zwei Wochen zuvor) ----------------------------------------- Ich wurde sofort von der Gewalt des Flusses mitgerissen. Es war unglaublich schwer, sich überhaupt an der Oberfläche zu halten, immer wieder drohten die Strömungen mich in die Tiefe zu reißen. Im Moment war es mir nur möglich, alle Kraft darauf zu verwenden, den Kopf oben zu halten, um Luft zu bekommen. Sehen konnte ich vor lauter Gischt nichts, und die Naturgewalt hatte mich fest im Griff, ich wurde hin und her gerissen, teils mit Wucht gegen die scharfen Felsen geschleudert, so dass ich bald gar nicht mehr wusste, wo ich mich befand. Die Kinder kamen mir in den Sinn; wie sollten sich die armen Wesen nur in dieser tosenden Flut halten können? Und wie sollte ich sie finden, da ich überhaupt nicht mehr Herr über meine Bewegungen und fast schon orientierungslos war? Und wo war Winnetou? Schon jetzt, nach wenigen Sekunden, spürte ich, wie kräftezehrend der Kampf mit den entfesselten Elementen war. Viel Zeit hatten wir nicht, wenn wir nicht nur die Verunglückten, sondern auch uns retten wollten. Ich nahm also all meine Kraft zusammen und versuchte, den fast schon teuflischen Wassermassen irgendwie meinen Willen aufzudrücken. Es gelang mir dann auch zumindest, meinen Bewegungen eine Richtung zu geben, und nun sah ich endlich Winnetou. Es war ihm tatsächlich schon gelungen, ein Kind zu ergreifen! Im Moment schwamm er halb auf den Rücken liegend und das Kind fest an seine Brust gedrückt haltend Richtung Ufer, und trotz meiner übergroßen Anstrengung konnte ich nicht umhin, ihn für seine Gewandtheit und seine schier unerschöpfliche Kraft zu bewundern. Es sah bei ihm fast schon leicht aus, als bereite ihm der reißende Strom kaum Schwierigkeiten. Jetzt war er am Steilufer angelangt; er fasste das Kind fester, und dann, mit einem unglaublichen Kraftakt, gelang es ihm, sich mit einer Hand an einer aus dem Erdreich des Hanges ragenden Wurzel festzuhalten und sich mitsamt dem Kind so hochzuziehen, dass er es halb ans Ufer legen, halb werfen konnte. Sofort danach verließen ihn dann aber doch seine Kräfte und das Wasser riss ihn wieder mit. In diesem Augenblick spürte ich einen heftigen Schlag an meiner Schulter, sah hin und bemerkte zu meiner Freude, dass eines der Kinder, offenbar ein Junge, wie ich im ersten Moment zu erkennen glaubte, von den Wassermassen in meine Richtung getrieben worden war. Ich ergriff ihn sofort, es gelang mir auch, ihn festzuhalten, und dann setzte ich alles daran, die Stelle zu erreichen, an der Winnetou der Kontakt zum Ufer gelungen war. Unter Aufbietung aller Kräfte brachte ich es auch tatsächlich fertig, den Jungen auf die gleiche Weise an das rettende Land zu befördern, aber danach konnte auch ich mich nicht mehr halten und glitt zurück in die reißenden Fluten. Wieder begann der Kampf mit der höllischen Naturgewalt, und erschrocken bemerkte ich, wie schnell ich an meine körperlichen Grenzen, an meine letzten Reserven angelangt war. Wie mochte es da Winnetou ergehen? Verzweifelt arbeitete ich mich durch die rauschenden Fluten und plötzlich sah ich meinen Freund in greifbarer Nähe, ich konnte ihn fast berühren. Gleichzeitig erkannte ich, dass auch er jetzt schwer zu kämpfen hatte, sich aber trotzdem zielsicher in eine bestimmte Richtung bewegte, und dann entdeckte ich auch schon den kleinen Kopf, der in kurzer Entfernung vor ihm einen Augenblick lang auftauchte, wenig später aber schon wieder in den Fluten verschwunden war. Winnetou aber ließ nicht zu, dass das Kind völlig unterging; mit einem wahren Hechtsprung schnellte er sich an die Stelle, wo die Wellen über den Kopf des Kindes zusammengeschlagen waren, tauchte unter und kam wenige Momente später mit einem kleinen Mädchen im Arm wieder hoch. Ich bündelte nochmals meine letzten Kräfte und schaffte es dann auch, ihm zu Hilfe zu eilen. Gemeinsam gelang es uns beiden, auch dieses Kind sicher an das Ufer zu hieven, dann aber konnten wir beide nicht mehr, die wilde Strömung riss uns wieder mit. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie sich Menschen dem Mädchen am Ufer näherten, viele Menschen, und sie schrien uns etwas zu, was wir aber aufgrund der tosenden Wassermassen nicht verstehen konnten. Kurze Zeit später musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mehr lange würde durchhalten können. So viel ich mich auch dagegen wehrte, das Wasser war stärker, wirbelte mich wie in einem Hurrikan herum, warf mich ein übers andere Mal gegen die spitzen Felsen, doch ich spürte seltsamerweise keine Schmerzen. Ich wusste aber, dass diese später um so stärker auftreten würden. Später? Wenn es überhaupt noch mal ein Später gab! Meine Kräfte verließen mich endgültig, und nur mein unbändiger Lebenswille ließ mich noch weiterkämpfen. Wo war nur mein Freund abgeblieben? Ich hoffte von ganzem Herzen, dass wenigstens er sich würde retten können, aber ich wollte es ihm auch nicht antun, dass er sich um mich Sorgen machen oder noch schlimmer, um mich trauern musste! Dieser Gedanke mobilisierte nochmals alles in mir, ich stieß mich vorwärts, auf das Ufer zu, aber es reichte nicht, ich wurde von unsichtbaren Kräften nach unten gezogen, das Wasser schlug jetzt schon über meinen Kopf zusammen. Nochmals kam ich hoch, wieder riss mich ein Strudel in die Tiefe; unwillkürlich schluckte ich Wasser. Unter Aufbietung der allerletzten Reserven gelang es mir noch ein Mal, den Kopf über die Wasseroberfläche zu bekommen. Verzweifelt schnappte ich nach Luft, hustete krampfhaft, schluckte wieder Wasser, keuchte, kämpfte, alles mit der bitteren Erkenntnis, dass ich beim nächsten Mal wohl nicht mehr würde auftauchen können. Plötzlich spürte ich etwas an meinen Beinen, spürte Hände, die sich um meine Mitte legten, einen Arm, der sich um meine Taille schlang, und dann ging es endlich, endlich Richtung Ufer! Ich sah zur Seite und erkannte Winnetou, der meinen Todeskampf bemerkt hatte. Trotzdem er selber völlig erschöpft sein musste, hatte er sich bis zu mir durchgekämpft, umfasste mich jetzt mit seinen starken Armen und dann gelang es ihm wirklich, mich leicht anzuheben, so dass ich die Grasbüschel am Uferhang packen konnte. Im gleichen Augenblick waren dann auf einmal weitere Arme da, die mich an beiden Händen festhielten und mich hochzogen. Endlose Sekunden später dann lag ich Gott sei dank endlich auf festem Boden! Schwer atmend, schwindelnd, hustend und absolut am Ende meiner Kräfte richtete ich mich aber dennoch sofort wieder auf, zumindest versuchte ich es, aber die fremden Hände hielten mich fest und ich hörte eine mir bekannte Stimme rufen: „Nein, Mr. Shatterhand, nein, bleibt jetzt erst einmal liegen! Ihr seid völlig am Ende, Ihr müsst Euch ausruhen, ich bitte Euch!“ Ich sah hoch, erkannte einige Siedler, erkannte den damaligen Treckführer Schumann, dann schüttelte ich den Kopf. „Winnetou....“ krächzte ich, mit einer Stimme, die sich gar nicht nach meiner anhörte, dann setzte ich mich schnell auf - woher ich dazu noch die Energie hernahm - ich wusste es nicht. Ängstlich sah ich mich um, erkannte noch mehr Siedler, aber Winnetou war nicht da. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Mit einem Satz war ich wieder auf den Beinen, wehrte die Auswanderer ab, die mich festhalten wollten, suchte mit panischen Blicken die Umgebung ab, dann den reißenden Fluss. Nicht eine Spur von dem Apatschen war zu sehen! Todesangst umfasste mit kalter Hand mein Herz; ich wollte es einfach nicht glauben, dass er schon wieder sein Leben für meines eingesetzt hatte. Ich rannte ein Stück weit flussabwärts, obwohl mich meine Beine eigentlich gar nicht mehr tragen wollten, und dann sah ich ihn! Zumindest kurz ragte ein Arm von ihm, dann sein Kopf aus dem tosenden Wasser heraus, nur um sofort wieder unterzugehen. Jetzt hielt mich gar nichts mehr. Ich rannte, so schnell es irgendwie ging, und seltsamerweise ging es trotz größter körperlicher Erschöpfung sogar schnell, weiter flussabwärts. Das Ufer stieg hier wieder an, mittlerweile waren es mehr als fünf Meter, die man bis zum Wasser überwinden musste, und dort unten stieß man dann sofort auf scharfe, spitze Felsen, so dass ein Herunterspringen hier unmöglich wurde. Diese Gegebenheiten blieben über eine längere Strecke so, und meine Verzweiflung wuchs ins Unermessliche. Ich sah den Apatschen auch nicht mehr, und dieser Umstand versetzte mich nun in eine grenzenlose Panik. Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper, ob vor Schwäche oder vor Angst, es war wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Was sollte ich nur tun? Wieder ins Wasser, und wahllos mit dem Strom schwimmen, in der Hoffnung, zufällig auf ihn zu treffen? Absoluter Wahnsinn. Ich rannte weiter, suchte weiter, und dann sah ich von weitem eine Stelle, an der das Ufer abflachte und von der aus man mühelos wieder ins Wasser gelangen konnte. Dorthin eilte ich jetzt, so schnell ich konnte, und während ich mir noch die Lunge aus dem Leib hetzte, sah ich plötzlich einen Arm, dann noch einen, dann einen Kopf mit langem dunklen Haar aus den Fluten auftauchen. Winnetou! In diesem Moment kämpfte er sich mit der allerletzten Energie aus dem tiefen, reißenden Strom ins flachere Wasser, dort aber verließen ihn dann seine Kräfte endgültig - er brach zusammen und blieb mit dem Gesicht halb im Wasser liegen! Ich schrie auf vor Entsetzen, beschleunigte meine Schritte, soweit es irgendwie noch ging, und nach mir endlos erscheinenden Sekunden erreichte ich endlich meinen Freund. Zitternd vor Angst hob ich seinen Kopf an und erkannte mit großem Schreck, dass er anscheinend keine Luft mehr bekommen hatte, da Mund und Nase von Wasser bedeckt worden waren. Sofort zog ich ihn weiter ans Ufer, Gott weiß, woher ich die Energie dazu nahm. Als wir uns endlich vollständig auf dem grasigen Boden befanden, legte ich ihn auf den Rücken und begann in fliegender Hast, ihn zu untersuchen. Großer Gott! Er atmete nicht mehr! Ich stöhnte gequält auf, rief laut seinen Namen, schüttelte ihn, keine Reaktion. Was, um Himmels Willen, sollte ich denn jetzt tun? Nochmals schüttelte ich ihn heftig, voller Verzweiflung, wieder brachte das keinen Erfolg. Und dann fiel mir Dr. Hendrick ein; ich sah den Arzt vor meinem geistigen Auge, wie er mit aller Kraft den Brustkorb meines Freundes bearbeitet hatte, als dieser mit einem Herzstillstand bewusstlos vor uns lag, ausgelöst durch das Eindringen einer Gewehrkugel direkt neben dem Herzen. Sollte diese Methode, die ich bis dahin noch gar nicht gekannt hatte, auch hier helfen? Ich dachte gar nicht weiter nach, ich handelte, und das wurde auch höchste Zeit, denn Winnetous Lippen liefen schon blau an. Ich riss ihm das Jagdhemd auf, legte beide Hände mittig übereinander auf seine Brust und begann, diese mit aller Gewalt in regelmäßigen Abständen einzudrücken, wieder und wieder und wieder. Nichts tat sich, aber ich machte weiter, was blieb mir auch anderes übrig? Um nichts in der Welt würde ich meinen geliebten Freund aufgeben, niemals. Eine lange, lange Zeit über - zumindest fühlte es sich für mich so an - sah es so aus, als würden meine intensiven Bemühungen überhaupt keinen Erfolg zeigen, und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde schrecklicher, verzweifelter, panischer. Und dann, ich glaubte, dass inzwischen Stunden vergangen sein mussten, bäumte Winnetou sich urplötzlich auf, ein Schwall Wasser ergoss sich aus seinem Mund, dann noch einer, und nun begann er fürchterlich zu husten, verkrampfte dabei völlig, zitterte unkontrolliert, hustete weiter, hustete sich die Lunge aus dem Leib. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn zu halten, ganz fest zu halten, dabei leicht auf seinen Rücken zu klopfen und ansonsten einfach abzuwarten, bis er es endlich überstanden hatte, während mich eine Welle der grenzenlosen Erleichterung überrollte und mir die Tränen dabei nur so aus den Augen rannen. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wurde er ruhiger, mit stockendem Atem und immer noch zitternd sank er in meinen Armen in sich zusammen. Behutsam legte ich ihn wieder auf den Rücken, behielt aber seinen Kopf in meinen Armen, streichelte dabei unentwegt seine Stirn und Wangen und flüsterte ihm leise und beruhigend zu: „Ganz ruhig, mein Bruder, du hast es jetzt überstanden! Versuche ganz ruhig zu atmen, ja? Ganz ruhig, es ist alles gut!“ Ich spürte, wie er sich bemühte, regelmäßiger zu atmen, aber er zitterte zu sehr, sein Atem ging immer noch stoßweise, er bekam ihn noch nicht unter Kontrolle. Ich sah mich suchend um, in der Hoffnung, dass uns die Siedler zu Hilfe kommen würden, sah sie auch, aber sie waren noch weit entfernt. Aufgrund seines völlig erschöpften Zustandes kühlte mein Freund nun auch rasch aus, aber weder er noch ich hatten trockene Kleidung oder Decken dabei, womit ich ihn hätte wärmen können. Zumindest musste er schnellstmöglich aus den durchnässten Sachen raus, und so hielt ich ihn mit einem Arm fest, während meine andere Hand ihn vorsichtig seiner Oberkleidung entledigte. Das Gleiche wiederholte ich noch einmal bei mir, und dann nahm ich ihn wieder fest in die Arme, um ihm soviel Wärme wie möglich zu spenden. Irgendwann ließ sein Zittern etwas nach, sein Atem wurde ruhiger, und dann öffnete er langsam die Augen. Lange sah er mich an, ein erleichtertes Lächeln erschien auf seinem schönen, jetzt aber vom Todeskampf schwer gezeichneten Gesicht. Ganz leise hauchte er: „Mein Bruder....dir ist nichts geschehen?“ Immer noch unter Tränen schüttelte ich den Kopf, antwortete dann stockend: „Dank dir! Dank dir ist mir nichts geschehen, mein lieber, guter Bruder!“ Seine Augen blickten sich suchend um, dann fragte er: „Die Kinder....Was ist mit den....“ Ich unterbrach ihn schnell, ich wollte nicht, dass er sich jetzt anstrengte und viel redete: „Wir haben die Kinder ans Ufer gebracht, die Siedler kümmern sich in diesem Augenblick um sie. Bitte, sprich jetzt nicht mehr, es strengt dich zu sehr an. Du musst dich nun ausruhen, ja?“ Er nickte nur, sah mich nun wieder mit seinen unglaublich schönen Augen lange an, meine Augen versanken förmlich in seinem Blick. Ich dachte daran, dass ich ohne seine Hilfe jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre, strich ihm nochmals liebevoll über die Stirn und sagte leise nur das eine Wort: „Danke!“ Im gleichen Augenblick hatte er wohl auch über meine eben geleistete Hilfe nachgedacht, denn von ihm kam jetzt genau im selben Moment ebenfalls ein gehauchtes „Danke, mein Bruder!“ über die Lippen. Trotz der widrigen Umstände, trotz der gerade überstandenen Todesgefahr mussten wir beide leicht lächeln aufgrund unserer wiederholten Übereinstimmung. Dann aber übermannte ihn die Erschöpfung endgültig und seine Lider schlossen sich wieder. Ich drückte ihn noch etwas fester an mich, streichelte weiter unentwegt über seinen Kopf und flüsterte ihm zu: „Du musst dich jetzt erst einmal erholen, mein guter Bruder. Ruh dich aus, ja? Ich werde hier wachen, und Hilfe ist auch unterwegs!“ Er nickte kurz, drückte mir leise die Hand, zum Zeichen, dass er verstanden hatte, aber seine Augen blieben nun geschlossen. Meine Hand lag die ganze Zeit über auf seiner Brust über seinem Herzen. Ich fühlte, dass sich seine Atmung mittlerweile wieder beruhigt hatte, doch inzwischen ging sie nur noch matt, mit großen Pausen dazwischen. Ich war unendlich besorgt, und in fast schon kindlicher Panik forderte ich ihn hastig auf: „Aber du atmest weiter, ja? Hol ganz tief Luft, atme, atme weiter, ruhig und langsam...“ Immer wieder leitete ich ihn zum Luftholen an, hatte richtiggehend Angst, dass er es vor Schwäche einfach vergaß. Anfangs versuchte er auch wirklich, meinen Anweisungen Folge zu leisten, aber nach und nach entglitt sein Geist seinem Körper, und kurze Zeit später war er dann auch nicht mehr ansprechbar. Dieser gnadenlose Kraftakt der letzten halben Stunde forderte nun seinen Tribut, und auch ich fühlte jetzt in Windeseile alle Anspannung von mir abfallen. Meine Knie waren butterweich, ich zitterte leicht und eine unglaubliche Müdigkeit überwältigte mich plötzlich. Am liebsten hätte ich mich jetzt einfach lang ausgestreckt und mich einem gnädigen Schlaf in die Arme geworfen, aber ich wollte auf jeden Fall weiter über meinen Blutsbruder, meinen Lebensretter wachen, zumindest bis Hilfe kam, koste es, was es wolle! Erschöpft schloss ich kurz die Augen, schüttelte dann ungläubig den Kopf. Himmel, was konnte das Leben doch manchmal verrückt spielen! In der einen Hälfte der Stunde durfte ich meinen geliebten Freund in die allerhöchsten Sphären der Lust katapultieren, in der anderen Hälfte musste ich mit allerletzter Kraft um sein Leben kämpfen und hatte erst im letzten Augenblick doch noch gewonnen! Wieder schüttelte ich den Kopf und dachte darüber nach, wie viel Glück wir eigentlich gerade wieder gehabt hatten. Das man so eine Hölle überhaupt überleben konnte! Während ich noch so dasaß und versuchte, wieder die Kontrolle über mein Seelenleben zu übernehmen, hörte ich hinter mir eilige Schritte. Schnell drehte ich mich um und sah zu meiner übergroßen Erleichterung mindestens zwanzig Siedler auf mich zukommen. Beim näheren Hinsehen erkannte ich, und jetzt wuchs meine Erleichterung ins Unermessliche, nicht nur Entschah-koh bei ihnen, sondern auch den Doktor! Der kam jetzt wirklich wie gerufen; meine Ängste und Sorgen verringerten sich auch sofort. Und noch ein sehr bekanntes Gesicht konnte ich entdecken: Emery! Ich wunderte mich zwar, warum er auf einmal bei den Siedlern war und nicht im Pueblo, aber die Aufklärung darüber konnte warten; im Moment fühlte ich mich nicht mehr sonderlich aufnahmefähig. Walter Hendrick hatte spätestens jetzt erkannt, dass irgendetwas nicht stimmte. Er beschleunigte erst seine Schritte, aber dann rannte er, so schnell er konnte, auf uns zu, erreichte uns auch als erstes und warf sich sofort an Winnetous Seite. „Was ist geschehen? Ist er....?“ Vor Aufregung geriet er regelrecht ins Stottern, seine Hände aber befanden sich schon am Puls des Apatschen an Handgelenk und Hals. Äußerst konzentriert, mit geschlossenen Augen erspürte er einige Augenblicke die Pulsschläge, stieß dann einen zittrigen Seufzer der Erleichterung aus. Während sich seine Hand jetzt auf die Brust meines Freundes legte und dessen Herzschlag ertastete, sah er mich erwartungsvoll an; er hoffte natürlich auf eine genaue Auskunft meinerseits. Mit etwas schleppender Stimme erklärte ich ihm den genauen Hergang der Geschehnisse. Walters Augen weiteten sich im Sekundentakt, und als ich ihm dann noch Winnetous Atemstillstand schilderte, wobei ich selbst ins Stocken geriet, so sehr nahm mich sogar nur die Erinnerung daran wieder mit, da erschrak er noch nachträglich furchtbar. Sofort begann er mit einer gründlichen Untersuchung, und Augenblicke später war auch Entschah-koh bei uns angelangt. Er hatte die Tasche des Arztes dabei, in der dieser seine wichtigsten Utensilien aufbewahrte, so dass er jetzt alles tun konnte, was getan werden musste, während sich der Unterhäuptling langsam neben Winnetou niederließ und ihn unendlich besorgt musterte. Dann warf er mir einen fragenden Blick zu, ich aber winkte ab; ich wollte warten, bis alle Siedler sich hier versammelt hatten, damit ich die Geschichte nicht ständig wiederholen musste, denn dazu hatte ich wirklich keine Kraft mehr. Emery war jetzt auch an meiner Seite, brachte aber vor Schreck kein Wort heraus, und den Siedlern, die jetzt nach und nach bei uns eintrafen, ging es genauso. Jeder von uns hatte sich von Herzen gewünscht, Winnetou nie wieder so sehen zu müssen, und nun war es doch wieder geschehen. Schweigend beobachtete ich die Mühen des Doktors und kämpfte dabei gegen eine enorme Müdigkeit an. Ich wusste aber, dass ich noch ein wenig durchhalten musste, zumindest bis ich endgültige Klarheit über Winnetous Gesundheitszustand hatte. Da jetzt alle um uns herum versammelt waren, nutzte ich die Zeit und erzählte unser Abenteuer nochmals, diesmal etwas ausführlicher. Atemloses Schweigen der Siedler begleitete meinen Bericht und das hielt, nachdem ich geendet hatte, auch noch einige Momente an. Dann löste sich der ehemalige Treckführer Schumann aus der Menge, ging auf mich zu und kniete bei mir nieder. Er wurde von den Auswanderern weiterhin hoch geschätzt und so hatten sie sich ihn einstimmig zu ihrem Wortführer auserkoren. Als er mich jetzt ansprach, konnte ich deutlich sehen, dass seine Augen sich mit Tränen füllten. „Mr. Shatterhand.....Mr. Shatterhand, Sir, Ihr wisst ja gar nicht, was wir alle Euch jetzt zu verdanken haben! Ihr habt Euer Leben eingesetzt, und Winnetou nun zum wiederholten Male, um uns allen oder einigen von uns vom sicheren Tode zu erretten, denn dieses Mal ….“. Er stockte sichtlich bewegt, die Tränen liefen jetzt an seinen Wangen hinab. Es dauerte einen Moment, bis er fortfahren konnte: „Diese Kinder....Es sind Kinder aus drei unserer Siedlerfamilien – könnt Ihr Euch eigentlich vorstellen, welch unsagbares Leid Ihr da verhindert habt?“ Völlig erstaunt sah ich ihn an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass diese Kinder Angehörige der Auswanderer waren, da ich uns zu weit entfernt von der Siedlung wähnte, als dass so junge Kinder sich hier aufhalten konnten. Ich schätzte ihr Alter auf vielleicht höchstens sieben, acht Jahre, zumindest grob, denn die Umstände hatten mir nicht erlaubt, sie genauer zu betrachten. Vielleicht würde Schumann mir jetzt erläutern, wie dieser Unfall von statten gegangen war, doch zuerst einmal war ich nur unendlich froh, dass diese guten Menschen nicht schon kurz nach ihrer Ansiedlung einen solch schrecklichen Verlust verkraften mussten. Ich drückte Schumann leicht die Hand und erwiderte: „Ich bin selbst mehr als froh darüber, dass Eure Kinder das überlebt haben. Könnt Ihr mir sagen, wie es den dreien geht?“ Das war das Stichwort für den Doktor, der seine Behandlung beendet hatte und sich jetzt von Entschah-koh einige wollende Decken geben ließ, in die er Winnetou einhüllte, damit dieser nicht noch weiter auskühlte. Mir reichte er dann auch eine, die ich dankbar annahm, denn allmählich spürte ich eine unangenehme Kälte mir bis in die Knochen kriechen. Dann berichtete Hendrick: „Ich habe mir die kleinen Herrschaften vorhin angesehen. Sie sind stark unterkühlt und natürlich völlig erschöpft, aber das wird wieder, sie müssen jetzt halt mal ein paar Tage Bettruhe einhalten.“ Ich nickte erleichtert, wollte aber nun natürlich genau wissen, wie es um meinen Freund stand. „Mach dir keine Sorgen, Charlie“, begann Walter Hendrick mir Auskunft zu geben. „Es ist zum Glück noch mal alles gut gegangen! Gott sei dank ist Winnetou ja inzwischen wieder kräftig und gesund, und das hat ihm geholfen, dass er diese Rettungstat wohl unbeschadet überstehen wird. Sein Herz schlägt wieder kräftig, er atmet auch wieder regelmäßig, und glücklicherweise befindet sich kein Wasser mehr in der Lunge, das hatte ich nämlich stark befürchtet. Es sind ein paar oberflächliche Schnittwunden und Prellungen vorhanden, wahrscheinlich von den Felsen im Wasser, aber die habe ich jetzt schon versorgt. Im Moment ist er natürlich sehr geschwächt, doch wenn er sich ein, zwei Tage Zeit nimmt, um sich zu erholen, wird er das Ganze bald schnell überstanden haben.“ Nun wandte er sich mir zu und fuhr fort: „Diese Erholung würde dir allerdings auch mehr als gut tun, du siehst nämlich auch nicht mehr wie der taufrische Morgen aus! Gestattest du mir, dass ich mir deine Verletzungen ansehe?“ Erst jetzt bemerkte ich, dass Teile meines Körpers ebenfalls mit Prellungen und Schnittwunden übersät waren. Ich nickte ihm zu, und während er seine Behandlung an mir fortsetzte, fragte ich Schumann nach Einzelheiten über den Unfall der Kinder aus. „Mr. Schumann, wie kamen die Kinder denn so weit von der Siedlung entfernt alleine an den Fluss?“ „Nun“, begann der Gefragte etwas zögerlich. „So alleine waren sie gar nicht. Ihre Väter, ich und fast alle Anwesenden hier waren auch dabei. Wir hatten vor kurzem in der Gegend Biberfallen aufgestellt und wollten nun schauen, ob wir erfolgreich waren. Die Kinder wollten unbedingt mitkommen und ich war der Meinung, dass es nicht schaden konnte und sie dabei auch etwas lernen würden!“ „Da habt Ihr natürlich recht! Aber wieso sind sie denn ins Wasser gestürzt und dann auch noch alle drei?“ forschte ich weiter nach. Schumann wirkte jetzt etwas peinlich berührt, als er weitersprach: „Nun ja....Ehrlich gesagt, wir haben einfach einen Augenblick nicht aufgepasst, da wir durch eine Gruppe Goldsucher abgelenkt worden waren, die zufällig zu uns gestoßen waren und uns völlig aufgelöst um Hilfe für zwei ihrer Kameraden baten. Den Kindern war wohl während unseres Gespräches die Zeit zu lang geworden; sie kamen deshalb auf die unsagbar dumme Idee, selber eine Biberfalle ausgerechnet an einer der gefährlichsten Uferstellen zu bauen. Dabei sind sie wohl an der Steilkante abgerutscht und in die Fluten gestürzt!“ Er sah mich ernst an, als er ergänzte: „Wenn Ihr nicht gewesen wärt – das wäre wirklich schlimm ausgegangen!“ Ich winkte ab und meinte: „Sprechen wir nicht mehr davon. Ich versichere Euch, dass hätte jeder andere auch getan!“ Er wollte widersprechen, sah mir meine Erschöpfung dann aber wohl an und schwieg erst einmal, um mir etwas Ruhe zu gönnen. Die hatte ich auch bitter nötig, aber zuerst musste ich dafür sorgen, dass unsere Pferde geholt wurden. Ich selbst hatte allerdings absolut keine Kraft mehr, diesen Gang zu tun, außerdem wollte ich um nichts in der Welt von Winnetous Seite weichen. Also erklärte ich Emery, wo er die Tiere finden konnte, und bat ihn, sie zu holen. Mir war es in diesem Moment völlig egal, ob der Engländer unsere kleine Höhle entdecken und vielleicht sogar verräterische Spuren darin finden könnte, ich wollte einfach nur noch zur Ruhe kommen. Hosted by Animexx e.V. 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