Bruderliebe von randydavies ================================================================================ Kapitel 13: ------------   ~°~13~°~     Noch nie kam ein Telefonanruf in diesem Moment so ungelegen. Woher wusste er es? Woher nur? Hatte ich ihn angemacht? Waren meine Blicke zu eindeutig gewesen, oder sah ich wirklich offensichtlich schwul aus? Ich bekam Panik. Carsten musste meine Beklemmung gespürt haben, denn er gab mir ein Zeichen zu warten und auf keinen Fall aufzustehen, während er weiter telefonierte. Den Tränen nahe war ich trotzdem aufgesprungen und wollte hier raus. Weglaufen, einfach davonlaufen, vor ihm, vor mir, vor der gesamten Menschheit – vor Darian! Manchmal fragte ich mich, warum ich so geboren worden war. Ich sah es schon als einen Fluch an, auf Männer zu stehen oder so auszusehen, als ob es auf meiner Stirn geschrieben stand. Vielleicht sollte ich mich komplett umstylen? Aber was wäre dann noch von mir übrig? War ich nicht jetzt schon nicht mehr ich selbst und total in mich gekehrt? Carsten hatte meine Flucht nach draußen bemerkt und mich an der Hand gepackt. Ich zuckte unter seiner unvorhergesehenen Berührung zusammen. „Jaden, es ist alles okay?“ Ich gab ihm keine Antwort. Weder ein Nicken noch sonst was. „Warte bitte, ich bin gleich für dich da“, sprach Carsten sanft zu mir, dann telefonierte er weiter. Ich hingegen wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, blieb aber dann doch da und lauschte seinem Gespräch. „Ich rufe Sie zurück“, teilte er dem Gesprächsteilnehmer mit. „Ja … Genau … Machen Sie nichts Unüberlegtes und denken Sie immer daran: Es geht immer weiter ... vergessen Sie nicht ihre Entspannungsübungen.“ Carsten beendete das Gespräch und atmete tief durch, während ich ihn weiterhin wie ein aufgeschrecktes Reh anschaute. Was würde auf mich zukommen? Würde er mich nun hinauswerfen, mich wie Abschaum behandeln? Er wandte sich mir zu. „Jaden!“ Ich bebte, versuchte die Fassade aufrechtzuerhalten. Carsten klang sehr ernst. Es war keine Belustigung in seiner Stimme zu hören, aber auch kein Zorn, er klang einfach nur ernst. „Es ist mein Beruf, Menschen zu helfen“, entschuldigte er sich und fuhr sich über seine kurzen Locken. „Okay.“ Meine Lippen bebten. Das war jetzt nicht das, was ich erwartete, daher ging ich in die Offensive. Was hatte ich zu verlieren? Im Prinzip gab es nichts mehr zu verlieren. Immer noch war ich dem Tod näher als dem Leben, auch wenn ich mich hier wohlfühlte, merkte ich, wie dünnhäutig doch alles war. Alles konnte in einer Minute aus sein. „Aber woher wusstest du, dass ich …? Ich meine, ich …“ Ich brach ab. Meine Fassade bröckelte und ich fühlte, wie ich blass wurde und einige Sterne vor meinen Augen auf und ab tanzten. Mein Kreislauf spielte verrückt. Ich hielt mich am Stuhl fest, bis es besser wurde, dann atmete ich tief durch, bevor ich weitersprechen konnte. Carsten ließ mir die Zeit. „Sieht man mir das so an?“ Carsten seufzte. Kurz war er gewillt, den Kopf zu schütteln, ließ es aber bleiben. „Ich habe es gespürt. Man wird einen Tick länger als gewöhnlich angesehen, intensiver.“ „Wirklich?“ Ich sah weiter erschrocken zu ihm und schämte mich. „Keine Angst, es steht dir nicht auf deiner Stirn geschrieben“, versuchte er mich zu beruhigen und auf seine Art aufzumuntern. „Du hast keine Ahnung, du weißt nicht, wie schlimm das ist.“ Meine Knie schlotterten, ich war innerlich immer noch sehr aufgewühlt. Er hatte mich praktisch in Panik versetzt gehabt, und davon runterzukommen fiel mir nicht leicht. Ich ließ mich fast schon auf den Stuhl zurückfallen und sah ihn weiterhin an, befürchtete schon das Allerschlimmste, doch erkannte ich in seinen Augen die sich darin widerspiegelnde Wärme. Genau diese, die er mir vor zwei Tagen entgegenbrachte. Als ich auf seinen Mund schaute, sah ich ein Lächeln. Du lächelst? „Schön“, sagte er nur, „dann haben wir beide etwas gemeinsam.“ Bis die Offenbarung richtig zu mir vordrang und ich diese Nachricht verdauen konnte, verstrichen allerdings einige Minuten. Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Danach wusste ich nicht, wer sich mehr freute, ich, mein Herz oder beide zusammen. „Du?“ „Ja, ich auch!“ Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit so etwas. Ein Stein fiel von meinem Herzen. Endlich hatte ich eine positive Reaktion auf mein Outing erfahren. Dass Carsten ebenfalls homosexuell war, dies wollte nicht so recht in meinen Schädel, zumal er doch vorher mit einer Frau zusammen war, daher wäre ich niemals auf den Gedanken gekommen. Aber darauf würde ich später zurückkommen. Auf jeden Fall sah ich heute ein kleines Licht am Himmel für mich – etwas Positives.   Die Tage vergingen, in denen ich mich erholte. Es ging mir gesundheitlich immer besser. Und da lag mein Problem. Ich wusste, es würde bald der Zeitpunkt kommen, an dem ich wieder gehen musste, meine Zufluchtsstätte verlassen sollte und das stimmte mich irgendwie traurig. Zudem brauchte ich dringend einen Job, wenn ich wieder auf eigenen Beinen stehen wollte. Aber war ich wirklich so weit? Jedes Mal stellte ich mir die Frage. Dann sah ich mich im Spiegel, der mir einen wesentlich erholteren Jaden präsentierte. Mir gefiel die Entwicklung, und doch, wie sah es in meiner Seele aus? Der dunkle Punkt, den ich, seit ich Carsten begegnet war, einfach eingeschlossen hatte. Und seitdem ich nun wusste, dass Carsten auch schwul war, sah ich ihn mit anderen Augen. Ertappte mich dabei, wie ich ihn heimlich beobachtete, wenn er gerade in Gedanken versunken schien. Ob er meine Blicke bemerkte? Ich achtete immer darauf, nicht erwischt zu werden, denn schließlich waren es meine Blicke, die mich verraten hatten. Kurzum, ich fühlte mich wohl bei ihm und wollte nicht wirklich gehen. Zudem liebte ich seinen Hund, der mir oft Gesellschaft leistete, wenn Carsten arbeiten musste. Carsten ließ mich überall hingehen und einmal zeigte er mir seine Büchersammlung, weil ich ihm erzählt hatte, dass ich gerne las. Da ich mich im Haushalt weiterhin nützlich machte, während er arbeitete, erledigte ich die anfallenden Tätigkeiten wie Saugen, das Geschirr in den Geschirrspüler stellen, das Bett zu überziehen, sogar die schmutzige Wäsche zu waschen. All diese Dinge machte mir als Mann nichts aus und die Putzhilfe war dankbar über die Abnahme, konnte sie somit andere Sachen in dieser Zeit erledigen, die liegen geblieben waren. Ich atmete tief durch, als ich das Wohnzimmer betrat. Wie immer stach mir zuerst der Flügel ins Auge, der mit seiner schwarzen Schönheit aus hoch poliertem Material und exquisiter Verarbeitung glänzte. Ab und an spielte er mir auf seinem Klavier etwas vor, und ich lauschte andächtig den Klängen der Stücke von Chopin, Brahms und vielen anderen großen Komponisten. Mein Lieblingsstück war aber von Richard Clayderman – Pour Adeline. Das ging mir sehr unter die Haut. Doch heute fand ich Carsten auf seiner Couch vor, wie er die Sportnachrichten im Ersten schaute. Er hatte sich für diese Woche Urlaub genommen – wegen mir? Das war es auch, was mich so alarmierte. Er wollte sicherlich, dass ich gehe. Carsten blickte von der Couch auf, als er mich kommen sah. Was für schöne Augen er doch hat! Doch kamen diese an Darian nicht ran. Immer wieder verglich ich Carsten unbewusst mit meinem Bruder. Schnell verbannte ich den Gedanken an ihn. Was kümmerte es mich, wie Darian aussah. Er war ein Ekel. Ja, ich hasste ihn. Ich musste lernen, ihn zu hassen, um mich endlich von ihm zu lösen. „Jaden, komm, setz dich, es kommt gleich ein spannender Western.“ Er hatte mich bemerkt und winkte mich zu sich. Western? Carsten lachte, weil ich das Gesicht verzogen hatte. Ich ignorierte es, denn ich wollte mit ihm was Wichtiges bereden, darum hatte ich ihn aufgesucht, oder etwa nicht? „Du“, fing ich an, als ich mich zu ihm hinsetzen wollte. „Halt, sag nichts. Ich sehe es dir an: Du magst keine Western!“, lenkte er sofort ein und ich blieb vor ihm stehen, schaute irritiert zu ihm runter. Hilflos hob ich die Schulter an, dann seufzte ich. „Ähm, das ist es nicht gerade, aber um deine Frage zu beantworten, stimmt, ich mag sie wirklich nicht,  sie sind für mich langweilig. Männer mit Pistolen auf Pferden, die sich immer wichtig machen müssen und am Ende gibt’s eine Frau als Belohnung.“ Theatralisch rollte ich mit den Augen. „Wenn du den aber gesehen hast, dann nicht!“ Carsten lächelte weiter, war sich seiner Sache sicher. Ich seufzte abermals und ließ mich nun neben ihm auf der Couch nieder. In seinen Augen sah ich, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, mit ihm zu reden. Er würde wegen des Programms keine Kompromisse eingehen, obwohl ich eigentlich was anderes von ihm wollte, als mit ihm einen Fernsehabend zu verbringen. Aber da mir sein Strahlen so an ihm gefiel, gab ich nach. Wehleidig sah ich dennoch auf seine stattliche DVD-Sammlung. Sogar Titanic hätte ich mir lieber angesehen … aber einen Western? „Also, was für ein Film ist das?“, fragte ich darum wenig begeistert. Meine Stimme war ungewollt bei dem letzten Wort in den Keller gerutscht. „Oh Gott, es wird schon nicht der Weltuntergang werden. So schlimm ist er nicht. Ich hole uns einen Wein. Welchen magst du, roten oder weißen?“, überging er noch mein wehleidiges Seufzen. Sein Lächeln blieb dennoch weiterhin bestehen. Ich trank eigentlich immer Bier. Und wenn ich schon einen Western anschauen musste, dann mit einem schönen kühlen Bier. „Hast du ein Bier da?“, fragte ich darum. Er nickte, dann zuckte er mit der Schulter. „Warum nicht. Ich trinke dann auch ein Bier, passt besser zu einem Western.“ Sag ich doch! Mist, dabei sollte ich mit ihm reden! Der Abend verlief ganz gegen meine Erwartungen – toll! Und der Film war wirklich nicht schlecht. Ein alter Schinken zwar mit Gary Cooper und Grace Kelly. Dennoch fand ich den Schwarz-Weiß-Film super. Basta war zwischendurch erschienen und legte sich vor unsere Füße, irgendwann war er zu müde geworden und trottete in seinen Hundekorb. Wir hatten inzwischen jeder von uns drei Bier intus. Carsten jedoch merkte man das Bier nicht an, während ich ununterbrochen wegen jedem Ding lachte. Ich bemerkte auf einmal, wie er mich nachdenklich ansah, und ich hörte auf zu lachen. „Schön, dich mal richtig lachen zu sehen, ich glaube, das hast du nicht getan, seit du bei mir bist“, sagte er plötzlich ernst. Ich legte meinen Kopf schief, betrachtete ihn und wurde ebenfalls nachdenklich. „Nein, hab ich wirklich nicht.“ Der Alkohol ließ mich melancholisch werden. Verlegen nahm ich den letzten Schluck aus der Flasche und stellte sie zurück auf den Glastisch. Zwischen uns entstand eine peinliche Stille. Der Alkohol hatte mich wirklich gelöst, doch nun knubbelte ich verlegen an meinen Fingern. Mein Kopf war leer, und doch … Irgendetwas sagte mir, dass Carsten Antworten von mir wollte. Ich sah es in seinen Augen, die vielen Fragen, über die er so lange geschwiegen hatte. Und ich behielt recht damit. Er räusperte sich. „Willst du mir nicht den wahren Grund nennen, warum du dich umbringen wolltest, du so verzweifelt warst, dass du von einer Brücke springen wolltest?“ Carstens Gesicht kam dabei meinem immer näher und ich wich automatisch ängstlich zurück.       ©Randy D. Avies 2012  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)