Letzter Auftrag von KleineSchwester ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Verdammt!“, murmle ich und meine Stimme klingt irgendwie rau und erstickt. Das Wetter ist beschissen, nass-kalt und dunkelgrau, nicht wirklich angenehm für einen Hochelfen. Ich hätte ein Taxi nehmen sollen, ein Auto besitze ich nicht. Schniefend und zitternd, die Kapuze meines Sweaters tief ins Gesicht gezogen, trabe ich stoisch weiter. >Einfach nicht darauf achten!<, befehle ich mir stumm. >Ignoriere die Kälte!< An sich macht mir kaltes Wetter nichts aus, ich ziehe mich einfach warm an. Es ist die Feuchtigkeit, nicht mal richtiger Regen, nur so ein Niesel wie dichter Nebel, dazu noch ein wenig Wind und ich bin sofort durchgefroren. Ich hasste das Gefühl, dass mein Körper sich nicht nur außen kalt anfühlt. Drei angetrunkene, junge Okrs kommen mir entgegen und beanspruchten den Großteil des Gehwegs für sich. Ich schlage fast einen Haken um ihnen auszuweichen. Sie pöbeln mich trotzdem an, glauben aber einen Menschen vor sich zu haben. Ohne Kapuze, die meine auffälligsten elfischen Merkmale bedeckt, hätte ich mich vielleicht mit ihnen auseinandersetzen müssen. So trotte ich weiter und lasse die Beleidigungen unkommentiert hinter mir. Corro, die Stadtteil in dem ich mich befinde, inoffiziell benannt nach einem legendären Mafiosi, ist wirklich mies. Man kann davon ausgehen, dass jeder, den man hier trifft, in irgendeiner Weise kriminell ist. Dementsprechend halte ich mich nur äußerst selten hier auf, weil mich das, wie ich finde, degradiert. Zugegeben, ich verdiene mein Geld zum größten Teil mit illegalen Machenschaften, dennoch will ich nicht mit diesen Leuten in eine Schublade gesteckt werden. Da kommt wohl meine hochelfische Arroganz zum Vorschein. Obwohl ich völlig durchfroren bin, bleibe ich vor dem RED PAIN stehen. >Was für ein dämlicher Name!<, denke ich zu zigsten Mal und fixiere böse die roten Buchstaben auf der Tür. Die Bar ist immer gut besucht, trotz albernen Namens. Obwohl er wahrscheinlich überhaupt keine Rolle spielt, es hätte auch LITTLE LAMP heißen können. So oder so, sind die Räume hinter der rotbeschriebenen, grauen Metaltür zum ersticken verqualmt, die Drinks billig und so stark, dass sie einem bei unsachgemäßen Gebrauch, den Boden unter den Füßen wegziehen und hilflos liegen lassen. Ich habe da drinnen schon Trolle, wie gefällte Bäume umkippen sehen. Es war eigentlich nur einer, aber beeindruckend war es dennoch gewesen. Richtig beliebt ist die Bar durch ihre vielen Séparées und Hinterzimmer und der wachsamen Security, die jeden der sich auffällig, was natürlich in ihrem Ermessen liegt, benimmt, nettesten falls vor die Tür setzt oder aber umlegt. Ich bin mir nach einigen Besuchen dieses Etablissements ziemlich sicher, dass das zum Teil stimmungsabhänig geschieht. Die Tür wird aufgerissen und ich springe geistesgegenwärtig zur Seite als ein Körper auf mich zufliegt. Er prallt an ein parkendes Auto und fällt zu Boden. In der Tür steht Nicolai und knurrt missbilligend. An dem guten Nicolai ist nicht mehr viel Menschliches. Nach und nach war er durch Verletzungen gezwungen, seine Körperteile durch kybernetische Alternativen ersetzen zu lassen. Tellin erzählte mir irgendwann einmal, dass es fast schon an ein Wunder grenzte, Nicolai noch lebend zu sehen. Etliche Male war er mit zerfetzten Gliedmaßen und in seinem Blut schwimmend gefunden worden und jedes Mal hatte er überlebt. Tellin ist übrigens der Mann, mit dem ich im RED PAIN verabredet bin. Er ist Invé, eine Art Agent oder Vermittler. Von ihm bekomme ich meine Aufträge. Nicolai legt den Kopf schief und sieht mich mit blauen, kybernetischen Augen an, die genauso wirkten, wie vor dem unglücklichen Zusammenstoß mit einigen Sprat-Gang-Mitgliedern. Ich unterdrückte einen Seufzer und schlurfe schicksalsergeben in Richtung Tür. Er grinst schief, „Tellin wartet schon auf dich, Kleiner!“ Ohne es beeinflussen zu können, verziehe ich mein Gesicht. Immer noch kratz es an meinem Ego, auf meine Größe angesprochen zu werden.Ich bin viel zu klein für einen Hochelfen. Das hat mir meine Mutter vererbt, wobei sie definitiv reinrassig hochelfisch ist. Bei meiner eigenen Rasse bin ich eindeutig ein Außenseiter, weshalb ich in meiner Schulzeit meistens mit Waldelfen abhing oder mit Menschen. Das war auch der Vorteil in einer gemischtrassigen Stadt aufzuwachsen. Ich kann mir gar nicht vorstellen auf dem Land zu leben oder schlimmer noch in der Kaiserstadt der Hochelfen. Schon bei der Keth-Weihe, einem alten Ritual, nachdem man wohl erwachsen sein sollte, war es mir mehr als unangenehm gewesen. Ich wurde von diesen ganzen hinterwäldlerischen Hochelfen angestarrt als wär ich ein Ork. Da bleibe ich doch lieber in einer der Mischstädte, zwar gibt es hier tatsächlich Orks, die meistens nicht so viel mit Elfen oder Menschen oder Zwergen… Eigentlich mit niemand anderen etwas anfangen können, aber das ist mir immer noch lieber, als von meinen eigenen Leuten ausgegrenzt zu werden. Kaum zwei Schritte im RED PAIN beginnen meine Augen zu tränen und ich habe das Gefühl, als probiere ich stinkende Watte zu atmen. Ich huste und schiebe mich zwischen den übelriechenden Körpern hindurch. Das kann ich recht gut, mich unauffällig durch Ansammlungen bewegen. Ich muss nur darauf achten, dass ich meine Haare bedeckt halte – weiß ist einfach zu auffällig und ständiges färben nervt. Und dann ist da noch mein Gesicht… Einige meinen, es wäre auffällig hübsch. Aber ich bin nun mal ein Elf und hässliche Elfen sind so selten wie hübsche Orks. Trotzdem werde ich gern mal angestarrt, wenn ich nicht halb vermummt herumlaufe. Also Kapuze tief ins Gesicht ziehen und schon bin ich fast unsichtbar. So schlängle ich mich bis zur Tür, hinter der ein Gang mit noch mehr Türen liegt, sehe Stomp an, nur um ihn mein Gesicht zu zeigen. Der Troll in schuss- und magiesicherer Panzerung öffnet mir die Tür. Ich schlüpfe hindurch und sie schließt sich wieder. Augenblicklich wird der Lärm der Bar auf ein angenehmes Minimum gedämpft und die Luft ist auch um Längen besser. Die dritte Tür rechts – wie immer. Ich habe kein bisschen Lust zu arbeiten, aber mein Kontostand motiviert mich nicht, er zwingt mich dazu. Meine gegenwärtige depressive Phase macht es mir nicht leicht überhaupt etwas zu tun. Eigentlich würde ich meine Zeit lieber mit Büchern oder Online-Shootern verbringen. Und schon wieder stehe ich vor einer Tür. Ich atme so tief durch, dass mir fast schwindlig wird und weiß gar nicht, wo mein Problem liegt. Als Elf sollte ich weit weniger gefühlsbetont sein. Ich muss unbedingt mal recherchieren, wie oft es bei Elfen zu Depressionen kommt. Aber so wie ich meine Rasse kenne, ist die Dunkelziffer wahrscheinlich wieder um einiges höher, weil sie jedes Gefühl als Schwäche auslegen und dementsprechend daraus ein Geheimnis machen. Egal, dann bin ich eben der einzige launische, depressive Elf. Als die Tür mit leisen Klicken aufschwingt, bin ich noch nicht mal annähernd bereit mit Tellin zu sprechen. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich nicht mit ihm allein sein werde. Noch verwirrter bin ich als ich die Frau zu seiner Linken genauer ansehe. Eine Cyborg-Elfe, Halbelfe um genau zu sein. Die nichtelfische Hälfte ist menschlich, was wohl auch erklärt, warum sie keine ethischen Probleme mit der ganzen Kybernetik hat. Meine ethischen Vorstellungen sind in der Hinsicht aber auch nicht gerade hoch. Wenn mir jemand mal den Arm absprengen sollte, würde ich keinen Moment zögern, mir einen neuen dranbasteln zu lassen. Eigentlich merkwürdig, dass ich trotz Depression so daran interessiert bin, am Leben zu bleiben. Vielleicht hab ich ja doch was anderes. Tellin stellt uns vor. Sie nennt sich Nell. Ich setzte mich ihr gegenüber an den unscheinbar anmutenden Tisch, der es technisch gesehen in sich hat. Genau wie mein Gegenüber. Ihre ureigene Aura ist von elektronischen Impulsen durchzogen, dass es mich in Erstaunen versetzt. Nicht mal Nicolai strahlt so ab und er ist kaum noch menschlich. Nell muss eine Symbiose aus organischem und Hi-Tech vom Feinsten sein. Ihre Haut sieht aus wie Haut und doch irgendwie nicht. Perfekt, mit dezenten Makeln um natürlich zu erscheinen. Ich sehe ihr in die Augen und bekomme eine Gänsehaut. Der gesamte Augapfel ist schwarz und starrt mich an. Dann zwinkert sie und schon ist die anfängliche grau Iris wieder zusehen. Sie lächelt mich kühl an und ich frage mich, was sie grad gemacht hat. Mich abgecheckt vermutlich und das verunsichert mich. Je nachdem wie gut sie ist, kann sie einiges über mich herausfinden. Ich hoffe, sie steht auf der richtigen Seite. „Warten wir noch auf jemanden?“, frage ich Tellin um mich von Nell-Allwissend abzulenken. Er will mir gerade antworten, als sich die Tür öffnet. Ich starre den eintretenden Dunkelelf an. Mein Mund ist trocken und ich nehme alles nur noch am Rand wahr. Ich habe so ein Faible für bestimmte Typen. Er gehört eindeutig dazu und eigentlich müsste jetzt mein Selbsterhaltungstrieb sich melden. Der glotzt aber zusammen mit mir zu dem Elfen an der Tür. Er hat seine dunkeln Haare am Hinterkopf zusammengebunden. Seine schwarzbraunen Augen wandern von Nell zu Tellin und bleiben schließlich an mir hängen. Ein fast schon erfreutes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und seine Ohren zucken dabei etwas nach hinten-oben. Mit den geschmeidigen Bewegungen eines stolzen Elfen kommt er näher und bleibt am Tisch stehen. Ich hocke bewegungsunfähig auf meinem Stuhl und starre mit offenen Mund und großen Augen zu ihm hoch. Er setzt sich. Zu spät merke ich, wie meine Aura nach der seinen greift. Sein Lächeln wirkt amüsiert, aber nicht arrogant, als er es bemerkt. Er berührt mich kurz mit seiner weitaus dunkleren Energie bevor er sie wieder in seinen physischen Körper zurückzieht. Es ist mir höllisch peinlich und ich habe rote Ohren bekommen, die sich jetzt sicherlich leuchtend von meinen Haaren abheben. Anständige Elfen behalten ihre Aura schön bei sich und umschmeicheln damit nicht wildfremde Leute wie rollige Katzen. Unauffällig schaue ich zu Nell. Falls sie irgendwas mitbekommen hat, lässt sie es sich nicht anmerken. Bei Tellin bin ich mir so wie so nie sicher, was er alles weiß oder sieht oder hört. Mir ist jetzt schon klar, dass das ganze schief gehen wird. Ich kann mit diesem Dunkelelf nicht zusammenarbeiten, wenn ich dermaßen auf ihn stehe. Ich reiße mich zusammen um nicht zu resigniert zu seufzen. Tellin beginnt die Mission zu erklären und schafft es damit langsam mich von Eden abzulenken. So hat der Dunkelelf sich vorgestellt Sicher selbst gewählt. Ich nenne mich Sai. Schon zu Beginn meiner Schulzeit habe ich meinen elfischen Namen abgelegt, irgendwie war er mir unangenehm. Was ich von Tellin höre, gefällt mir immer weniger – bis auf die Entlohnung, die stimmt. Oder vielleicht auch nicht, denn sie ist verdammt hoch. Das Geld reizt mich, dass was ich dafür tun muss weniger. Wir sollen Daten aus einem Syma-Tech-Gebäude holen. Ich fühl mich bei dem Gedanken daran verdammt unwohl. Syma-Tech ist mehr als nur ein Großkonzern, er ist DER Großkonzern. Mein Interesse an Wirtschaft und Politik hält sich sehr in Grenzen, doch selbst ich weiß gewisse Dinge. Die haben ihre Finger überall drin. Von der Energieversorgung bis hin zum Militär. Ich habe keine Ahnung von Tochterfirmen oder Aktienmehrheit, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass Syma-Tech mehr Macht hat als die meisten anderen, die das von sich behaupten. Der Auftrag ist jetzt schon zum Weglaufen, besonders da ich nun gezwungen werden, mich mit dem Konzern auseinanderzusetzten. Mir macht der Gedanke ehrlich gesagt Angst zu erfahren, wie einflussreich Syma-Tech ist und wie ich sie alltäglich unterstütze in dem ich einfach nur Licht einschalte oder etwas esse. „…ihr müsst dann durch den unteren Labortrakt. Der wird nicht ganz so stark überwacht. Allerdings solltet ihr euch auch hier darauf einstellen auf Engel zu treffen.“ „Oh, Mann!“ Ich reibe mir mit beiden Händen das Gesicht. Engel sind die Spezialeinheiten von Syma-Tech. Offiziell heißen sie Seraph, doch es ist ja wohl offensichtlich aus welcher Ecke diese Namensgebung erfolgt ist. Umgangssprachlich bleiben es „nur“ Engel. Nichtsdestotrotz ist diese Spezialeinheit verdammt gefährlich. Hochaufgerüstete Killercyborgs gern in Begleitung von Klasse 1 Magiern. „Ich weiß nicht, Tellin! Die ganze Sache schein mir ein bisschen zu heiß zu sein.“ Ich sehe ihm direkt in seine grau-blauen Augen und mir ist es auch ziemlich egal, ob man mir meine Besorgnis ansieht. „Wir sind denen da drinnen ausgeliefert!“ „Nell hackt sich ins System, die Kommunikation wird unterbrochen sein. Ihr werdet mit Sicherheit nicht von Engeln überschwemmt!“, Tellins Anspannung ist spürbar, doch er probiert ruhig zu bleiben. „Selbst wenn uns nur zwei oder drei begegnen, ist Eden fast auf sich allein gestellt. Ich kann da nicht zaubern, die Magieüberwachung kann Nell nicht stören und meine Nahkampffähigkeiten sind eher bescheiden.“ „Ihr solltet so wie so probieren niemanden umzubringen – zu eurer eigenen Sicherheit!“, er grinst als er mein entgeistertes Gesicht sieht. „Ihr werdet alle betäuben müssen. Bei so gut wie jedem in dem Gebäude werden die Biowerte überwacht. Deshalb bekommt ihr auch Spezial-Mun. Weder Herzschlag noch Gehirnwellen, geschweige denn die biochemischen Abläufe dürfen sich großartig ändern.“ „Also dürfen wir auch keine Aufmerksamkeit erregen, bevor wir sie schlafen legen!“ Ich bin wenig begeistert. „Dann musst du uns immer auf dem Laufenden halten!“, meine ich zu Nell. „Das hatte ich auch vor!“ Nell wird nicht mit reinkommen, sie hackt sich von außen ins System und zwar mindesten einen ganzen Tag bevor Eden und ich reingehen. Die Besprechung ist vorbei. Ich stehe vor dem RED PAIN. Es dämmert schon. Die Luft ist kalt und feucht. Mir ist ziemlich übel. Syma-Tech! Ich hätte nein sagen sollen. Wir haben stundenlang in dem kleinen Hinterzimmer gesessen und ich habe fleißig mit geplant. Die Ausarbeitung und Planung hatte mich tatsächlich in ihren Bann gezogen, vor der Ausführung schrecke ich jedoch zurück. Egal wie gut man plant, es gibt immer Unvorhergesehenes. Völlig in Gedanken setzte ich mich in Bewegung. Ich habe noch etwas Zeit um ein paar Sachen einzupacken, bevor wir uns in knapp zwei Stunden in ein Sphären-Shuttle nach Moontown begeben. So verträumt auch klingt, so wenig ist es das. Eine hochtechnisierte Metropole auf dem Mond eines dicht bewaldeten Planeten, zu der man durch den Dimensionsriss Daleth kommt. Dimensionsrisse, die künstlich offen gehalten werden, gibt es mittlerweile einige. Vor sehr, sehr langer Zeit gabe es ein Dimensionsrissauslösendes Ereignis. Über dieses Etwas gibt es nur Spekulationen, weil wohl keine Aufzeichnungen mehr exestieren. Vernichtet oder nicht mehr zu entziffern. Jedes denkende Lebewesen machen zwar diese ganzen Erklärungsversuche etwas stutzig, aber da irgendwas herauszubekommen, ist so gut wie unmöglich. Außerdem gibt es schon genug Leute, die sich die fantasievollsten Verschwörungstheorien zusammenreimen. Da kann man sich schon ziemlich drin verrennen. Ärgerlich ist es dennoch, wenn man offensichtlich belogen wird. Ich habe vergessen meine Kapuze wieder aufzusetzen und die Leute fangen an zu gaffen. Ein Hochelf in Corro – das ist schon sehenswert. Schnell ziehe ich sie mir über und setzte zügig meinen Weg fort. Meine Gedanken schweifen von Syma-Tech zu Eden. Seine Einsatzgebiete sind ähnlich breitgefächert wie meine. Dass er auch als Auftragskiller arbeitet, überrascht mich wenig. Dunkelelfen sind ja fast schon dafür prädestiniert. Ihre natürliche Fähigkeit mit den Schatten zu verschmelzen, ist ein ungeheurer Vorteil. Trotzdem ist das nicht gerade vertrauenerweckend. Das ändert allerdings nichts daran, dass ich mich von ihm extrem angezogen fühle. Ungewollt habe ich so viele Kleinigkeiten wahrgenommen. Zum Beispiel wenn er nachdenkt, beißt er leicht auf seine Unterlippen und zieht die dann zwischen den Zähnen wieder hervor. Was für eine miese Angewohnheit, die die Aufmerksamkeit seines Gegenübers so auf seinen Mund lenkt. Schlimmer noch war sein Blick. Das erste Mal traf er mich völlig unerwartet, was eigentlich an sich schon total bescheuert war, denn er fragte mich etwas. Als ich ihn ansah um zu antworten, war ich übermäßig fasziniert von seinen dunklen Augen mit den Lichtreflexen der 3D-Ansicht des Symatec-Laborkomplexes. Ich starrte ihr an und war mir nicht mehr sicher, was er eigentlich gefragt hatte. Leider mangelt es mir hin und wieder an angemessener Selbstbeherrschung und anstatt Eden so wenig wie möglich anzusehen, tat ich genau das Gegenteil. Und er war Mitstkerl genug, um mir, bei jeder sich bietenen Gelegenheit mit süffisantem Lächeln tief in die Augen zu sehen. Bei Nell weiß ich auch nicht so recht, was ich von ihr halten soll. Sie ist unheimlich, mir zumindest. Redet nicht viel, beobachtet und trägt ununterbrochen ein Pokerface zur Schau. Das Gefühl, dass das mein letzter Auftrag sein wird, ist fast übermächtig und ich bin verwirrter als sonst. Besorgt bin ich ja immer, aber diesmal? Ich sehe zu dem heller werdenden Himmel hoch. Grau-rosa Wölkchen kriechen träge am Himmel entlang. Ich frage mich, ob ich jetzt noch absagen kann. Ich wohne nicht gerade billig, obwohl meine Wohnung klein ist. Der hohe Preis liegt daran, dass das Gebäude abgeschirmt ist und das auf ziemlich hohem Standard. In meinem Fall könnte das ja verdächtig sein, vorausgesetzt man weiß, dass ich nicht ganz legal meinen Lebensunterhalt verdiene. Wenn ich so recht darüber nachdenke, glaube ich, dass wohl einige Bewohner dieser Gebäude sich hart an der Grenze zum Illegalen bewegen. Na ja, so lange man nicht den falschen damit auf die Füße tritt und wenn, dann sollte diejenigen wenigsten nicht mitbekommen, wer da getreten hat. Offiziell dient diese Abschirmung der persönlichen Sicherheit. Keine Hacker, Viren, Trojaner auf den verbundenen Geräten – das Internet hat schon einige auf dem Gewissen. Sicherheitspersonal an allen Aus- und Eingängen. Zutritt zu meiner Wohnung bekomme ich nur durch einen fiesen Alles-Scanner. Fies deshalb, weil es für mich echt unangenehme ist auch auf magische Weise gescannt zu werden. Mir wird davon jedes Mal etwas schlecht. Eigentlich könnte ich mir das sparen, da ich mir sicher bin, ich würde es merken, wenn ich besessen oder verflucht wäre. Nur werde ich mich davor hüten, bekannt zu geben, dass ich magisch hochbegabt und jetzt schon den regulären Klasse 1 Magiern überlegen bin. So was müsste ich eigentlich melden, bei den Ältesten der Hochelfen und der Behörde für magische Aktivitäten. Mein Interesse daran, nicht mehr in Ruhe gelassen zu werden, hält sich jedoch stark in Grenzen. Und ich weiß gar nicht, was schlimmer wäre. Von den Elfen genötigt zu werden, mit uralten Magiern noch ältere Bücher und Schriftrollen zu studieren, oder von der Behörde auf Schritt und Tritt überwacht zu werden. Ich hoffe, ich werde nie zu einer Entscheidung gezwungen sein. Ich bin so in Gedanken, dass mich die Übelkeit vom Scannen vor meiner Wohnungstür unerwartet trifft. Ich stöhne auf und einer meiner Nachbarn, der gerade seine Wohnung verlässt, sieht mich überrascht an. Mit zitternden Fingern tippe ich noch den Code ins Sensorfeld der Tür und schon klickt es gleichzeitig an verschiedenen Stellen. Bevor sich die Tür öffnet, blinkt noch ein Briefsymbol auf dem Display. Ich tippe drauf. Es ist der Newsletter meines Vermieters – wie nett! Es ist mal wieder Zeit für ein Mieterfest auf unserem wirklich schön begrünten Dach. Und es gibt demnächst ein Sicherheitssystem-Update, deshalb gibt es nächsten Dienstag zwischen drei und sechs Uhr morgens keine Internetverbindung. Ich lösche die Nachricht. Nächsten Dienstag bin ich nicht da und auf den Mieterfesten war ich seit ich hier wohne, immerhin zweieinhalb Jahre, noch kein einziges Mal. Ich bin mir nicht mal sicher, wer neben mir wohnt. Endlich kann ich meine Wohnung betreten. Es allerdinges mehr eine Wohnküche mit einem winzigen Bad. 26m² laut Mietvertrag. Sicher wäre ein bisschen mehr Platz schöner, aber ich hab nur wenig Zeug. Nicht mal ein Bett. Ich schlafe auf einer Matratze und das reicht mir auch. Meine Klamotten finden meist auch nicht den Weg in den Schrank, den hätte ich mir also auch sparen können. Wichtig ist mir meine Technik, mein 70“ Cyber-Manics-Screen an der Wand gegenüber meines „Bettes“, zuständig für meine Unterhaltung und Kommunikation. Traurig, dass die Diagonale größer ist als ich. Dazu stehe ich überhaupt nicht darauf, das gute Stück über die Bewegungssensoren zu steuern und habe mir zusätzlich noch ein Multi-Pad angeschafft, auf dem sich wiederum meine ca. 60.000 Bücher umfassende Bibliothek befindet. Und jetzt blinkt ein dezentes blaues Lichtlein an der linken Ecke des 9“ großen Pads um sich bemerkbar zu machen. Ich sehe auf meinen Screen, der mir im Schlafmodus als Uhr dient, ob ich noch Zeit hab nachzuschauen, wer was von mir will. Es wird wohl knapp und ich muss ein Expresstaxi nehmen, was echt teuer ist. Während ich mein Pad anschalte indem ich es antippe, überlege ich, ob ich nicht doch besser es auf mein Pixi umstelle. Ja, ich hab noch ein mobiles Kommunikationsgerät und kein Implantat. Bisher hatte ich einfach zu viel Angst vor dem Eingriff. Ich überfliege schnell meine entgangenen Anrufe – nichts Wichtiges dabei! Allerdings erinnert mich mein Pad an den Geburtstag meiner Schwester. Arisha ist was ganz besonders für mich, weil die meisten Hochelfen Einzelkinder sind. Mit einem unbenutzten Essstäbchen kitzle ich ihr Glückwünsche auf das Pad und schicke sie ab. Dann gleiche ich es mit dem Pixi ab um es umzustellen. Ich bin einfach zu neugierig, wer was von mir wollen könnte, während ich nicht da bin. An meiner Wohnungstür gebe ich noch brav meine 5-tägige Abwesenheit dem Vermieter an. Mit meiner Tasche in der Hand steige ich in den Hochgeschwindigkeitslift und bin in wenigen Sekunden im Erdgeschoss. Mein Expresstaxi wartet schon. Bevor es sich mit mir in seinem Inneren über die gewöhnlichen, erdgebundenen Autos erhebt, prüft der Fahrer meine Liquidität. Ich halte ihm mein Handgelenk hin, an dem mein Armband mit dem Kontochip hängt. Ziemlich grob drückt er seinen Scanner drauf, wartet auf das Ergebnis der Überprüfung und nickt schließlich. Ich werfe meine Tasche auf den Rücksitz und klettere hinterher. Die Tür schiebt sich zu und schon heben wir ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)