Of Boots and Heels von Jyll ================================================================================ Kapitel 1: On Heels ------------------- An seinem linken Zeigefinger hatte der rote Nagellack ein kleines Eck weg. Wie hatte er das heute Morgen nicht sehen können? In seinem Büro war nur das Kobaltrot und nicht das Karmesinrot, verdammt! Rasch versteckte Ruki seine Finger in seiner Faust, wobei die vielen Ringe die er trug leicht aneinander klackerten. Ein gewohntes Geräusch für ihn und auch alle die ihn kannten. Er lief weiter den Gang entlang, welcher auf der linken Seite nur aus Fensterglas bestand, durch die man aus dem 21. Stock nach Tokyo West blicken konnte. Unten tummelten sich die Massen der Hauptstadt Japans, wie in einem riesigen Ameisenbau. Auf der anderen Gangseite hingen teure Bilderrahmen an der Wand, die Cover des „Torture“- Magazins aus den letzten Jahren zeigten. Rukis Absätze klackerten wie immer über den harten Boden und er liebte dieses Geräusch über alles, wie er seinen Job liebte, das Rascheln von Seidestoffen, das metallene Öffnen von Gürtel, das Kratzen seiner langen Nägel über hochwertiges Papier, Ebenholztische und muskulöse Rücken… Als seine Gedanken kurz abschweiften, musste er grinsen, war aber sofort wieder da, kaum erreichte er das Ende des Ganges und somit die hohe Glastür zum Besprechungsraum drei. Schwungvoll stiess er die Tür auf, die darauf fast an der Wand anstiess und bedachte seine Mitarbeiter mit einem kühlen Blick. Sie erstarrten und verfielen sofort in Stille. Ruki war der Ressortleiter der Modeabteilung und hatte alles unter Kontrolle. Alles. Wirklich alles. Mit geschultem Blick überprüfte er die Netzstrümpfe der Damen auf Laufmaschen, die Höhe ihrer Absätze, die nur so hoch sein durften, dass sie seine und ihn selbst nicht überragten und ihre Maniküre, Frisur, das Make-up. Nur die Rocklänge war ihm egal, nicht umsonst war er schwul und hatte deshalb auch mehr Geschmack als sie hier alle zusammen. Kein Wunder führte er das Moderessort des Magazins. "Sa? Sind das die Louboutins aus der vorletzten Saison?", fragte er zuckersüss, als er die Heels mit den roten Sohlen entdeckte. Sie lächelte nervös. "Ja, das sind..." "Ich wiederhole: Vorletzte Saison!" Sofort duckte sich die Frau runter. "Letzte Saison lass ich euch ja noch durchgehen, bei eurem Gehalt...aber vorletzte Saison...das hatten wir doch schon besprochen..." Ruki hob die Finger an die Stirn und schüttelte schwer gebeutelt den Kopf. "Was haben sie für Ersatzschuhe da?" "Da- Das...schwarze Paar von Prada, das sie ausgesucht hatten...", stotterte die Kleine. Rukis Gesicht erhellte sich etwas. "Wie gut, dass ich immer mitdenken. Zeitlose Prada-Pumps, die zu jedem Outfit passen. Holen, auf der Stelle!" Er machte mit der ausgestreckten Hand und dem Zeigefinger einen kleinen Looping und zeigte zur Tür. Seine Mitarbeiterin sprang auf und stöckelte aus der Tür. Sie konnte nicht mal richtig laufen mit den Dingern, dachte Ruki augenverdrehend und ging nochmals mit Adleraugen durch seine üblichen Angestellten. Da es nichts weiter zu beanstanden gab, stellte er sich an die Kopfseite des langen Tisches und betrachtete die Skizzen, Entwürfe, Stoffexempel und Fotografien auf der Ebenholzplatte. Prüfend hob er eine Augenbraue. „Was ist das?“ Er zeigte mit einem Finger und einem langen, intakten, karmesinroten Nagel auf die Fotos von Models in Lederjacken. „Das…das sind die Vorshootings für den Herbst.“, meinte die schlanke Blondine halbwegs mutig. „Lederjacken? Bikerstil? Bitte, das ist sowas von letzte Saison.“, schnaubte Ruki. „Letzte Saision 1994!“ Es kam keine Antwort, was Ruki zu seufzen veranlasste. „Und das?“ Er schob die Blätter auf dem Tisch auseinander und betrachtete die feinen Bleistiftstriche, überflog die Texte. „Hmmm…was war nochmals das Motto der nächsten Ausgabe?“, fragte er, um sie alle daran zu erinnern. „Rock´n´Roll!“ Rukis Kopf schnellte zur Tür herum, in der sein Chef stand, der Redakteur des Magazins, der alle Ressorts unter sich hatte. Er war etwas in die Jahre gekommen, seine Haare waren mit Silber durchwirkt, doch er trat immer noch autoritär auf und leitete mit fester Hand und Stimme. „Rock´n´Roll?“, wiederholte Ruki pikiert, seine Überraschung über das unangekündigte Auftreten überspielend. „Nein, das Thema hiess – “ „Ich weiss, wie das Thema hiess, ich habe ihr Expose gelesen. Aber die Redaktion hat die Zahlen beobachtet, es wurden in letzter Zeit ein paar Statistiken durchgeführt und das Moderessort…wie soll ich sagen…hat Einbrüche aufgezeigt. Die Zahlen sind mitunter einer der schlechtesten aller Ressorts…“ Ruki hatte Mühe, nicht bleich zu werden. "Über diese Zahlen und Untersuchungen wurde ich nicht informiert..." "Das war ja auch Sinn und Zweck der Sache." Damit fühlte sich Ruki vor seinen Mitarbeiter blossgestellt. Andererseits.. Sein Gesicht wurde leicht rot vor Ärger. „So. Wirklich?“, fragte Ruki eine Tonlage zu hoch und sah seinen Chef ernst an. „Nun, dann lassen sie mich meine Arbeit tun und mit meinen Mitarbeiter darüber sprechen…“ Er warf einen kurzen, vorwarnenden Blick in die Runde und einige schoben sich tiefer in ihre Sitze. „Ja, nun, wir denken, dass sie Unterstützung brauchen könnten und deshalb wird ihnen Reita Suzuki für die nächste Zeit zur Seite stehen und die nächsten Ausgaben führen.“, hängte der Redakteur hastig nach. Er stand immer noch im Türrahmen und war nicht hereingekommen. „Was?!“ Vor lauter Wut bekam Ruki keine Luft und es war ein Wunder, dass er nicht gleich Flammen mit seinen Worten aus dem Mund spie. „Suzuki? Wie diese Automarke?“ „Reita Suzuki…bekannt geworden durch sein Bassspiel für Karasu und vor allem seine Snaked Lows Kollektion.“ meldete sich die Frau mit den bronzenen Creolen – die Ruki für eine Beleidigung hielt. Ruki wollte sie entgeistert anstarren, doch dazu kam es nicht, weil in dem Moment an der Glaswand des Raumes zum Gang hin ein Typ auftauchte, langsam zur Tür hin schlenderte und Rukis Blick abfing. Eine Hand hatte er in den ewig tiefen Taschen seiner zerflickten, zerrissenen, schwarzen Jeans vergraben und seine Ketten überall an der Kleidung rasselten so laut, dass man es durchs Gals hören konnte. Fassungslos verfolgte Ruki dies, bis er in der Tür stand. Worüber Ruki am meisten geschockt sein sollte, wusste er nicht einmal. Den zweifarbigen Iro? Die Lederweste? Oder das komische Band mitten in seinem hässlichen Gesicht? „Was geht?“, dröhnte die tiefe Stimme und der Typ grinste in die Runde, bis er Ruki entdeckte. „Oh, ich weiss, warum ihr Hilfe braucht…“, meinte er, sobald sein Blick an Rukis Schuhen hängen geblieben war. „Genau…also ich freue mich auf die Resultate ihrer Zusammenarbeit!“ Damit verschwand der Redakteur schnell, bevor Ruki einer seiner berühmt berüchtigten Wutausbrüche hatte. Mit Todesblick erdolchte der Dunkelhaarige durch das dünne Glas dessen raschen Abgang. Das durfte nicht wahr sein und es war eine verdammte Frechheit. Ruki hätte schäumen können, er wollte in sein Büro und die Vasen, die er extra dafür dort aufbewahrte, an die Wand schmeissen. „Stellen sie sich in die Ecke, bis ich mich mit Ihnen befasse!“, knurrte Ruki und zeigte über die Schulter. Gerade als er sich wieder den anderen, zusammengesunkenen Figuren zuwenden wollte, latschte dieser Reita an ihm vorbei und setzte sich auf einen freien Stuhl, das hiess, er lümmelte sich eher darauf. Ruki biss sich fast die Zungenspitze ab, schaffte es aber tatsächlich nichts zu sagen. „Okay, also ihr habt es alle gehört, anscheinend wurde über unsere Köpfe entschieden. Neues…Thema, wenn auch absolut abgedroschen und uralt…“ Er lächelte süffisant zu Reita hinüber. „…wie unser Vertreter hier. Aber einige haben das anscheinend noch nicht begriffen.“ Es verärgerte Ruki, dass die Lippen unter dem Gesichtsverband nur grinsten. „Also wird hier alles verworfen.“ Mit ausladender, beinahe dramatischer Bewegung wischte Ruki alle Papiere vom Tisch, die darauf flatternd den Boden bedeckten wie ein Schwarm weisser Tauben. „Ich will Vorschläge hören. Wir müssen nun in kürzerer Zeit das schaffen, was wir seit einem Monat vorbereiten.“ „Nieten?“ „Leder?“ „Gitarren?“ Aufgrund der Zurufe fasste sich Ruki abermals an die Stirn. „Ernsthaft?! Vielleicht etwas Originelleres?“ „Schädel…“ Ruki schlug die Augen auf und fixierte Reita, der sich mit dem Stuhl hin und her drehte, die Finger ineinander verschränkt, auf seinen Schritt abgelegt und immer noch grinsend. „Schädel…“, wiederholte Ruki ohne jegliches Verständnis. „Schädel, Knochen, Struktur.“ „Ich höre nur Worte aneinandergereiht!“, zischte er zurück. In diesem Moment öffnete sich die Tür und die Mitarbeiterin schlich sich in schwarzen Pradas wieder herein, blieb aber angewurzelt stehen, sobald sie den neuen Mann in der Runde erblickte. Nun völlig nervös, wischte sie sich die Hände am Rock ab. "Wer ist denn das?", brachte sich fast schon aufgelöst vor. Wahrscheinlich weil Reita auch noch den Platz neben ihr beschlagnahmt hatte. Ruki gab ein genervtes Stöhnen von sich, und seine Laune erreichte den Nullpunkt, als der Typ sie auch noch breit und in seinen Augen wohl charmant angrinste. Noch bevor er etwas sagen konnte, nahm rasch Ruki das Wort an sich. „Ich will brauchbare Vorschläge und Entwürfe bis morgen auf meinem Tisch!“, befahl er den Mitarbeiter und mit lauten, wütenden Schritten rauschte er aus dem Raum, über die Papierberge, die hinter ihm aufwirbelten, und weiter den Gang zurück zu seinem Büro, blind für alles um sich. Angesäuert warf er die Tür seines Büros auf und stürmte hinein. Wo war die erste Vase? Er musste etwas schmeissen, musste hören, wie es zerbrach und sehen wie es in tausend Stücke zerbarst, das würde ihn beruhigen und wieder runterkommen lassen. Die Welt war scheisse, aber wenn er etwas hingeworfen hatte, war seine Wut weg und etwas kaputt, ohne dass es sein eigenes Leben war. Kaum hatte er die erste auf dem Beistelltischchen beim grossen Spiegel entdeckt, die Alibi-Blumen raus gerupft und mit einer schnellen Bewegung von sich weggeschleudert, in einer halben Drehung, fühlte er sich sofort besser. Doch das Gefühl verschwand auf der Stelle wieder, als kein Splittern erfolgte. Reita stand da und hielt die Vase in den erhobenen Händen. „Wenn du auf mich schiesst, solltest du schon sehen, dass ich es nicht mitbekomme, damit du auch wirklich triffst.“ Ruki war knapp davor an die Decke zu gehen. „Gib mir das!“, herrschte er ihn an, jegliche Höflichkeitsformen verlierend, und streckte den Arm nach der Vase aus. Der Halbblonde hob sie gleich über den Kopf, damit Ruki nicht mehr rankam. „Danke, aber nein, ich hab keine Lust sie nochmals zu fangen.“ „Die war für die Wand bestimmt!“, keifte Ruki. Er hatte ja nicht einmal mitbekommen, wie Reita ihm gefolgt war und wenn, dann hätte er besser gezielt. Und zwar so, dass er sie nicht hätte fangen können. „Da braucht anscheinend ganz dringend jemand ein Ventil!“ Die Tür wurde zugeworfen, die Vase auf einen Sessel in der Ecke geworfen, wo sie jedoch so sanft aufkam, dass sie weder runterrollte noch sonstigen Schaden nahm. Den Mund hatte Ruki schon geöffnet, um zurückzuballern, doch so schnell konnte er gar nicht gucken, da war er schon auf seinen Schreibtisch gesetzt worden. „Fass. Mich. Nicht. An.“, spie er dem Grösseren ins Gesicht und griff hinter sich. „Dir sollte man dringend die High Heels abziehen und dich wieder auf den Teppich bringen! Am besten auf allen Vieren!“, knurrte es unter dem Nasentanga. „Mach weiter, noch etwas und du fliegst gleich wegen sexueller Belästigung raus und ich bin dich los!“ Das Grinsen wurde breiter, enthüllte eine Reihe weisser Zähne und die Hände legten sich an Stellen, wo sie definitiv nicht hingehörten. „Eine Bewegung weiter und ich tackere deinen Schwanz an deinen Oberschenkel!“ Das kühle Metall eines orangefarbenen Tackers drückte an Reitas Schritt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)