Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 23: Zur Untätigkeit gezwungen ------------------------------------- Nachdem meine Gefährten das Zimmer verlassen hatten, half mir der Doktor, Winnetous Kleidung abzulegen. Anschließend ging auch er kurz hinaus, um in seinem Zimmer noch einige Utensilien zur Überwachung von Winnetous Zustand zu holen, während ich mich ebenfalls auszog und mich neben meinen Freund legte. Ich schloss ihn fest in meine Arme und dachte über seine Rettungstat nach. Das war mal wieder ein Ding gewesen, welches auch nur er fertig bringen konnte! In seinem Zustand, noch lange nicht im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte, über eine solche Steilwand fast fünfzig Meter im Eiltempo hinaufzuklettern, um dann einen Menschen festzuhalten, der schwerer und größer war als Winnetou selber, und das über einen nicht gerade kurzen Zeitraum – wem hätte das sonst gelingen können? Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum er es getan hatte, abgesehen von einer ebenfalls in Betracht kommenden Reflexhandlung. Er hätte sich zurückhalten und den anderen Westmännern die Rettung überlassen können. Niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, ihn deswegen für mutlos zu halten, weil jedermann wusste, dass der Apatsche zu solch einer körperlichen Anstrengung eigentlich noch gar nicht in der Lage war. Aber jeder der Anwesenden hätte viel, viel länger bis nach oben gebraucht und ob sich Bloody Fox so lange hätte halten können? Wahrscheinlich nicht. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass Winnetou diese Aktion nicht dauerhaft geschadet hatte. Er lag zwar ganz ruhig und tief atmend in meinen Armen, sein Herzschlag fühlte sich ebenfalls wieder etwas kräftiger an, aber mir wäre es deutlich lieber gewesen und hätte meine Sorgen wesentlich verringert, wenn mein Freund zumindest für kurze Zeit zu sich gekommen wäre. Nun betrat Hendrick wieder den Raum, untersuchte meinen Freund nochmals und versicherte mir, dass ich ruhig schlafen dürfe, denn er wolle Wache halten und Winnetous Zustand ergäbe jetzt kaum mehr einen Grund zur Besorgnis. Ich schloss also die Augen und schlief tatsächlich ein, allerdings nicht für lange. Ich hatte meine Hand die ganze Zeit über auf Winnetous Brust über seinem Herzen liegen und erwachte immer wieder in der Nacht, weil ich das Gefühl hatte, die Atmung oder der Herzschlag des Apatschen würde weniger werden, was allerdings nur auf Einbildung beruhte, wie mir der Doktor nach dem sechsten Mal fast schon etwas entnervt versicherte. Noch lange vor Sonnenaufgang hielt ich es nicht mehr aus, ich musste irgend etwas tun, wollte aber auf keinen Fall das Zimmer verlassen. Der Arzt sah die einzige Möglichkeit, um meine Unruhe zu mindern, darin, mir wieder die Körperpflege des Indianers zu überlassen. Er besorgte sämtliche dafür notwendigen Dinge, unter anderem auch das Öl, welches Entschah-koh mir für diese Zwecke schon einmal gegeben hatte. Der Doktor gab mir dann die Anweisung, mich bei dieser Aufgabe ruhig richtig auszutoben, vor allem das Einmassieren des Öls konnte sich nur positiv auf Winnetous Zustand auswirken. Jetzt, im Nachhinein gesehen, hätte mir sein Vorschlag damals eigentlich schon etwas seltsam vorkommen müssen, im Moment aber war ich einfach nur froh, irgendetwas tun zu können, was dem Apatschen vielleicht sogar helfen könnte. Kaum hatte er das Zimmer wieder verlassen, begann ich mein Werk. Durch die gestrigen Ereignisse befand sich wirklich einiges an Schweiß und Staub auf der Haut meines Freundes, so dass ich ihn mit warmen Wasser sorgfältigst überall wusch und anschließend vorsichtig abtrocknete. Winnetou allerdings rührte sich immer noch nicht. Ich fühlte dabei übrigens nicht die kleinste Regung der Lust in mir, das wäre auch wirklich absurd gewesen angesichts der Sorgen, die ich mir immer noch um ihn machte. Anschließend begann ich, das Öl langsam und ausdauernd in seine Haut einzureiben. Ich ließ mir dabei unendlich viel Zeit, massierte in aller Ruhe Muskel für Muskel, Körperteil für Körperteil und stellte fest, wie viel ruhiger ich dadurch tatsächlich wurde. Und anscheinend führte dieser intensive Körperkontakt wirklich zum Erfolg. Eben war ich an seiner linken Schulter angelangt, als Winnetou sich plötzlich bewegte. Er holte tief Atem, hob seine rechte Hand und griff sich damit an die Stirn. Seine Mimik deutete auf Besorgnis, vielleicht sogar plötzliches Erschrecken hin. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände, küsste ihm die Stirn und rief leise seinen Namen. Er blinzelte, hatte offenbar Schwierigkeiten, die Augen zu öffnen und seine Brust hob und senkte sich aufgrund der Anstrengung und Anspannung schneller und heftiger. Ich streichelte sein Gesicht und redete leise und beruhigend auf ihn ein: „Ganz ruhig, mein Bruder, ganz ruhig! Ich bin ja da, es ist alles gut.“ Wieder küsste ich ihn und flüsterte ihm leise weiter zu: „Ich bin bei dir, hab keine Sorge!“ Langsam beruhigte sich seine Atmung etwas und nach einigen Sekunden gelang es ihm wirklich, die Augen zu öffnen. Sein Blick traf mich und in seinem Gesicht deutete sich ein erleichtertes Lächeln an, als er kaum hörbar sagte: „Scharlih! ….Dann ist es gut!“ Jetzt durchlief mich eine Welle der Erleichterung; ich war so unendlich froh, dass er wieder reagierte! Nun wollte ich aber zur Sicherheit noch herausfinden, an was er sich als Letztes erinnerte, aber vorsichtig, damit ich ihn keiner Anstrengung aussetzte. Wie schon so oft kam Winnetou mir aber zuvor. „Scharlih,“ flüsterte er. „ist Fox unversehrt?“ Natürlich! Das sah ihm wieder einmal ähnlich! Anstelle mich zu fragen, warum er selber wieder liegen musste, interessierte ihn nur das Schicksal des Gefährten! Ich klärte ihn über das Ende des gestrigen Abends auf, wobei ich ihm besonders deutlich zu machen versuchte, wie knapp er wieder dem Tode entronnen war. Er aber nickte nur und fragte: „Ist Fox denn wieder wohlauf?“ Also, es war manchmal wirklich zum Verzweifeln mit ihm! Ich berichtete ihm, dass Fox aus Todesangst um ihn regelrecht zusammengebrochen war und ich seither nichts Neues über seinen Zustand erfahren hatte, da meine gesamte Aufmerksamkeit einzig und allein meinem Blutsbruder gegolten hatte. Er konnte wohl an meinem Tonfall hören oder mir auch ansehen, wie sehr mich das Ganze doch mitgenommen hatte, denn jetzt nahm er meine Hand, drückte sie mit beiden Händen fest an sich und sagte leise, fast entschuldigend: „Ich bitte meinen Bruder, sich nicht immer so viele Sorgen um mich zu machen, es ...“ „Zu spät,“ unterbrach ich ihn lächelnd, „es ist schon längst geschehen!“ Er verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln, und in mir wallte wie so oft ein solch intensives Gefühl der Liebe, ja, fast schon Verehrung für ihn auf, dass ich seinen Oberkörper in meine Arme nahm, ihn mit seinem Kopf an meiner Brust ganz fest an mich drückte und für lange Minuten so sitzen blieb. In dieser Stellung fand uns Dr. Hendrick, der jetzt eben wieder das Zimmer betrat. „Na, Gott sei dank,“ rief er sichtlich erleichtert, „dass Ihr wieder unter den Lebenden seid, mein Freund!“ Er trat ans Bett, während ich den Apatschen wieder in die Kissen bettete und fragte ihn: „Wie geht es Euch jetzt?“ „Es ist alles gut,“ antwortete Winnetou und hielt dem Arzt seine Hand hin, welche dieser sofort ergriff. „Winnetou kann gar nicht genug danken für die Mühen seines weißen Bruders!“ Der Arzt wehrte etwas verlegen ab und ging dann zum Angriff über. „Übrigens ….als ich davon sprach, dass Ihr Euch auf keinen Fall verausgaben dürftet – genau solche Art von Aktionen wie gestern war damit gemeint, Häuptling Winnetou!“ Dieser ließ ein entwaffnendes Lächeln sehen und versicherte: „Winnetou verspricht, in Zukunft vorsichtiger zu sein!“ „Natürlich,“ entgegnete der Doktor, „und ich werde dann mal versuchen, Euch das irgendwie zu glauben!“ Die Ironie in seinen Worten war nicht zu überhören, aber er milderte sie sofort wieder ab: „Wer aber sollte Euch dafür böse sein können? Ihr habt einfach bewundernswert reagiert, es hätte sonst aller Wahrscheinlichkeit nach einen Toten mehr gegeben!“ Bei diesen Worten erinnerte sich Winnetou an seine Frage und glaubte, endlich bei Hendrick eine Antwort zu bekommen: „Hat Bloody Fox alles gut überstanden?“ Der Doktor begann soeben, den Apatschen gründlich zu untersuchen, unterbrach aber noch mal und antwortete: „Er stand gestern richtiggehend unter Schock, allerdings eher aus Angst, fast schon Panik um Euer Leben, Häuptling. Ich hatte nicht viel Zeit, mich um ihn zu kümmern, da Euer Zustand bedeutend ernster war. Vorhin aber habe ich ihn kurz gesehen und konnte ihn etwas beruhigen, zumindest in der Hinsicht, dass Ihr nicht mehr in Lebensgefahr seid. Nachher werde ich ihn aber über die deutliche Besserung Eures Zustandes unterrichten.“ Winnetou nickte nur. Die Erschöpfung übermannte ihn langsam wieder und er schloss die Augen. Kurz darauf teilte Hendrick mir das Resultat seiner Untersuchung mit: „Die Gefahr ist endgültig vorüber, aber die Herzrhythmusstörungen haben sich im Gegensatz zum letzten Mal doch wieder etwas verstärkt.“ Er bemerkte meinen erschrockenen Blick und wiegelte schnell ab: „Das ist aber jetzt nach dem gestrigen Abend wirklich nicht verwunderlich und wird sich wohl auch bald wieder bessern. Häuptling Winnetou, Ihr bleibt für heute auf jeden Fall liegen, morgen sehen wir dann weiter!“ Er hatte diese Worte in größerer Strenge als sonst ausgesprochen, so dass Winnetou nun doch etwas erstaunt die Augen öffnete. Als er aber die liebevolle Besorgnis in der Miene des Arztes erkannte, fügte er sich. Es hätte nicht seiner Art entsprochen, den Mühen des Doktors damit zu danken, dass er sich mutwillig wieder in Gefahr brachte. Nachdem er Winnetou noch genötigt hatte, etwas Wasser zu trinken, verließ Dr. Hendrick jetzt wieder den Raum, um allen anderen und vor allem Bloody Fox die guten Nachrichten zu überbringen, und ich legte mich wieder zu meinem Freund. Es war noch sehr früh am Morgen, und da meine Nachtruhe nicht gerade sehr üppig gewesen war, wollte ich mir jetzt noch etwas Schlaf gönnen. Winnetou tat es mir gleich, er hatte sowieso noch viel Ruhe nötig. Ich erwachte um die Mittagszeit herum durch ein leises Klopfen an der Tür. Mein Freund schlief noch, und so rief ich den Besucher so leise wie möglich herein. Es war Bloody Fox, der ein großzügig beladenes Tablett voller guter Gerichte als Mittagsmahl in den Händen hielt. Sein erster Blick galt Winnetou, und sein Gesicht drückte dabei eine solch große Angst um ihn aus, dass er mir wirklich leid tat. Nachdem er das Tablett auf den Tisch abgestellt hatte, bat ich ihn, am Bett Platz zu nehmen und versuchte anschließend, ihm die Sorgen wenigstens etwas zu nehmen. So ganz gelang mir das allerdings nicht, aber jetzt kam mir Winnetou zu Hilfe, der nun auch erwacht war. Als er Fox sah, lächelte er ihm zu, ergriff seine Hand und wollte zu sprechen beginnen, doch Fox war schneller: „Ich weiß wirklich nicht, wie ich das jemals wieder an Euch gutmachen kann, Winnetou!“ Während dieser Worte schwankte seine Stimme bedenklich und seine Augen schwammen in Tränen. Winnetous Antwort dagegen konnte ich fast schon voraussagen. „Wieder gut machen? Winnetou bittet seinen tapferen weißen Bruder inständig, nicht mehr davon zu sprechen, dann ist alles wieder gut!“ Das fiel Fox allerdings sichtlich schwer, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, und so konnte er nur vor überquellender Dankbarkeit Winnetous Hand küssen, die dieser ihm daraufhin rasch entzog. Ich half dem Apatschen, sich richtig aufzusetzen, und dann machten wir uns über unser Mittagessen her, wobei ich freudig beobachten konnte, dass Winnetou mit großem Appetit aß. Anschließend dauerte es nicht mehr lange, bis sich nach und nach fast alle Westmänner in unserem Zimmer versammelt hatten. Alle wirkten grenzenlos erleichtert, meinen Freund wieder in einem relativ guten Gesundheitszustand zu erblicken. Jetzt aber galt es, das Naheliegende zu besprechen. Unsere Gefährten hatten am Morgen die drei Toten schon begraben, und im Moment waren insgesamt zehn Kundschafter unterwegs, die wahrscheinlich erst am nächsten Tag wiederkommen würden, da sie einen sehr großen Umkreis abreiten wollten, um endlich eine Spur der Banditen zu finden. Emery und Surehand mit seinem Old Wabble hatten sich am Morgen die Anhöhe neben dem Haus, an dem sich das gestrige Drama abgespielt hatte, gründlich vorgenommen und jeden Quadratzentimeter nach möglichen Hinweisen abgesucht. Sie waren auch tatsächlich fündig geworden. Den Spuren nach hatten sich nicht nur ein, sondern zwei Schurken auf dem Hügel versteckt gehalten, um das Haus und den Treck auszuspähen. Fox hätte sie eigentlich gar nicht entdecken können, wenn er nicht ganz hart an der Abbruchkante entlang gegangen wäre, womit die beiden wohl nicht gerechnet hatten, da dieser Weg nicht gerade ungefährlich war. Er war auf seinem Gang dem einen Verbrecher so nahe gekommen, dass er ihn Sekunden später unbedingt entdeckt hätte müssen, und so war diesem nichts anderes übrig geblieben, als Fox zuvorzukommen und ihn anzugreifen. Er hatte das mit dem Messer getan, weil er hoffte, Fox so für uns unhörbar auslöschen zu können. Als dann der Schuss des Apatschen fiel, hatte der andere schnell sein Heil in der Flucht gesucht. Seine Spuren wurden nun von sechs der zehn Kundschafter, nämlich von Tante Droll, dem dicken Jemmy, Pit Holbers, Old Firehand sowie zwei Apatschen verfolgt, denn dadurch versprach man sich den meisten Erfolg. Wir hofften, dass der Bandit auf direktem Weg zurück zu der Verbrecherbande geflohen war, und so konnten wir vielleicht endlich erfahren, wo diese sich befand, wie viele es waren und – und das war das Wichtigste – was sie eigentlich vorhatten. Bis dahin konnten wir nichts weiter tun, als abzuwarten und in der Zwischenzeit die Umgebung so gut wie möglich abzusichern. Erst wenn wir wussten, was die Banditen vorhatten, konnten wir entscheiden, ob wir es wagen durften, mit dem Treck durch den Llano zu ziehen oder ob wir uns auf Helmers Home verschanzen mussten, um einen Angriff der Geier abzuwehren. Da Winnetou auf Anweisung des Arztes den restlichen Tag über ruhen sollte, überließ ich es den Gefährten, alles Notwendige in die Wege zu leiten, denn ich blieb lieber bei meinem Freund. Es fiel diesem schon schwer genug, nicht auf Kundschaft gehen zu können; aber auch noch liegen bleiben zu müssen, während unsere Freunde unter anderem auch für seine Sicherheit sorgten, war für ihn fast eine Höchststrafe. Ich versuchte, ihn den Rest des Tages so gut wie möglich abzulenken, und dann gab es am späten Abend Ablenkung genug, denn fünf der sechs Kundschafter unter Firehands Führung kamen schon jetzt zurück. Unser Zimmer war viel zu klein, um fast vierzig Personen - Apatschen und Westmännern zugleich - Raum geben zu können, denn alle wollten jetzt auch sofort die Neuigkeiten hören. Also wurde beschlossen, in der großen Gaststube des Hauses eine ausführliche Beratung abzuhalten. Natürlich wollte niemand Winnetou davon ausschließen und so ließ der Doktor sich letzten Endes doch erweichen, ihm einen Ausflug nach unten zu erlauben, aber nur unter der Bedingung, sofort seinen Anweisungen Folge zu leisten, wenn er feststellen sollte, dass es dem Apatschen schlechter ginge. Winnetou bestand wie üblich darauf, selbstständig zu laufen, was dem Arzt eine urkomisch verzweifelte Grimasse entlockte, und als alle sich endlich in der Stube versammelt und jeder irgendwo einen Platz gefunden hatte, erwarteten wir unendlich gespannt den Bericht unserer Kundschafter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)