Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 22: Ein Rückschritt? ---------------------------- Ein vielstimmiger Schreckensruf ertönte, als der Apatsche in sich zusammensackte, und ich konnte ihn nur im letzten Moment davor bewahren, mit voller Wucht auf den Boden aufzuschlagen. Diesmal war ich aber etwas besser vorbereitet als beim letzten Mal; ich hatte den Zusammenbruch fast schon kommen sehen. Trotzdem lief es mir vor Sorge und Schrecken heiß und kalt den Rücken herunter. Ängstlich begann ich, nach seinem Puls zu tasten, nach einem Lebenszeichen zu suchen. Sofort waren Emery, Firehand und Martin Baumann an meiner Seite, um mich zu unterstützen. Winnetou atmete nur flach, seinen Puls konnte ich gar nicht fühlen, was ich aber auf meine vor Aufregung zitternde Hand zurückführte. In diesem Moment kam - Gott sei dank – der Doktor zu uns, der das Geschehen zusammen mit den Siedlern ebenfalls voller Spannung verfolgt hatte. Er sagte kein Wort und überprüfte sofort Atmung, Puls und Herzschlag meines Freundes. Sein Gesicht nahm daraufhin einen sehr ernsten Ausdruck an. Emery fragte voller Ungeduld: „Sollen wir ihn nicht schnell hinauf bringen, Doktor?“ „Nein!!“ stieß dieser ungewohnt heftig hervor, griff mit seiner Hand jetzt unter das Jagdhemd des Apatschen und legte diese auf seine Brust. Einen Moment später rief er laut und eindringlich: „Jemand muss mir sofort meine Tasche holen!“ Martin Baumann sprintete im Eiltempo los. Ich spürte, wie mir das Blut aus den Wangen wich und nahm die Hand meines Freundes in die meinige. Dr. Hendrick legte jetzt sein Ohr an Winnetous Brust, seine Züge wurden immer angespannter. Ich getraute mich nicht, nach dem Grund zu fragen, tastete nochmals nach dem Puls und fand ihn abermals nicht. Ich glaube, um uns herum war es totenstill, nicht einmal ein Flüstern war zu hören. Dafür rauschte es in meinen Ohren um so mehr, mein Herz raste vor Angst. Doch, nun regte sich jemand. Bloody Fox, der sich nach seiner Rettung erst einmal völlig fertig auf eine Bank gesetzt und den Kopf in seine Hände vergraben hatte, bekam jetzt endlich mit, dass irgend etwas nicht stimmte. Voller Entsetzen stürzte er auf uns zu, warf sich neben Winnetou auf die Knie und schrie, beinahe panisch: „Nein! Um Gottes Willen - Nein! Das ist doch jetzt nicht wahr!“ Dabei liefen ihm die Tränen nur so über das Gesicht. Ich konnte ihn gut verstehen, aber seine Aufregung half uns im Moment auch nicht weiter. Einige der Siedler erkannten, dass Fox hier jetzt nur störte, zogen ihn hoch und brachten ihn unter beruhigendem Zureden ins Haus. Endlich, endlich kam Martin mit der Tasche des Arztes zu uns gestürmt. Dieser ergriff sie hastig, durchsuchte ihren Inhalt und begann, so schnell er konnte, eine Spritze mit irgendeinem Medikament aufzuziehen. Währenddessen legte ich nun selbst meine Hand auf das Herz des Apatschen, und fühlte – nichts! Doch! Jetzt spürte ich etwas, wenn auch nur ganz minimal. Es klopfte ganz leise, viel zu langsam, unregelmäßig, kaum spürbar. Die Angst um ihn überfiel mich jetzt mit aller Macht, schnürte mir die Kehle zu. Inzwischen hatte Hendrick die Spritze aufgezogen, entrollte den Ärmel Winnetous, staute die Vene kurz an und verabreichte ihm das Medikament. Anschließend wies er Emery, der stocksteif und völlig geschockt neben ihm saß, mit wenigen Worten an, mit einem Tuch auf die Einstichstelle zu drücken, während er sein Stethoskop hervorholte, um die Herztöne genauer zu untersuchen. Winnetou lag immer noch völlig regungslos. Ich konnte nichts anderes tun als zu warten, seine Hand zu halten, über seine Stirn zu streicheln und ein Stoßgebet nach dem anderen in den Himmel zu senden. Zwischendurch fragte ich den Doc leise, ob ich den Kopf meines Freundes in meinen Schoß legen dürfe, was er mit einem knappen, aber deutlichen „Nein!“ beantwortete. Wir mussten lange warten. Während Hendrick unentwegt die Herzschläge des Apatschen überwachte, versuchten die Umstehenden, sich irgendwie nützlich zu machen. Einige brachten warme Decken, um zu verhindern, dass mein Freund in seiner Bewusstlosigkeit vollends auskühlte, andere schleppten Wasser und Tücher heran in dem Glauben, dass der Arzt diese anschließend brauchen würde, wieder andere holten alle Arten von Getränken herbei; vielleicht würde etwas davon helfen, wenn es dem Indianer eingeflößt wurde. Ich selber hielt seine Hand fest an meine Brust gedrückt und wünschte, wenigstens etwas helfen zu können, aber es gab einfach nichts, was ich tun konnte. Irgendwann schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, stieß Hendrick einen zittrigen Stoßseufzer aus und sah mich jetzt zum ersten Mal an. Ich erwiderte fragend seinen Blick, konnte aber vor Angst kein Wort herausbringen, meine Kehle war wie ausgetrocknet. „Das war jetzt nicht gut,“ begann er mit belegter Stimme. „Das war genau die völlige Überanstrengung, die er noch zu vermeiden hatte!“ „Und?“ Mehr als dieses kleine Wort kam nicht über meine Lippen. „Er stand ganz kurz vor einem Herzstillstand,“ antwortete der Doc. „Da fehlte jetzt wirklich nicht mehr viel. Gott sei dank hat das Medikament noch rechtzeitig angeschlagen! Aber wenn er jetzt alleine gewesen wäre....“ Seine Hand lag währenddessen weiterhin auf der Brust des Apatschen; er getraute sich noch nicht, sie wegzunehmen. Ich war noch lange nicht beruhigt und es gelang mir endlich, eine vollständige Frage zu stellen: „Besteht immer noch Lebensgefahr?“ „Ich glaube ...ich glaube nicht.“ Anscheinend war er sich da selber noch nicht ganz sicher, zumindest ließ seine zögernde Antwort diesen Schluss zu, was natürlich auch nicht unbedingt dazu beitrug, meine Ängste und Sorgen zu mindern. „Ist es denn jetzt möglich, ihn hochzubringen, hier auf der nackten Erde ist seine Lage ja nicht die Beste?“ forschte ich weiter. Hendrick schüttelte den Kopf. „Ich möchte sicherheitshalber noch etwas warten, bis sich sein Herzrhythmus weiter stabilisiert hat. Aber es liegen ja genug Decken hier, wir können ihn jetzt ganz vorsichtig darauf legen.“ Auf diese Worte hin griffen Emery, Old Firehand und ich sofort zu und betteten Winnetou so sanft wie nur irgend möglich auf ein paar von den vorhin von den Siedlern herbeigebrachten Decken. Wieder saßen wir wartend da und ich hatte Zeit, meinen geliebten Freund zu betrachten. Wegen der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht genau sehen, hatte aber den Eindruck, dass es bleich in das Dunkel der Nacht herausstach. Seine Atmung allerdings ging jetzt tiefer, und ich konnte auch endlich an seinem Handgelenk den Puls ertasten. Unwillkürlich musste ich an unseren Ausritt am Vormittag denken, an unserem sorglosen und fröhlichen Spiel im Wasser und das anschließende wundervolle, heftige Zusammensein. Er war so glücklich gewesen! Und jetzt lag er schon wieder ohne Besinnung und völlig erschöpft vor mir! Bei diesen Gedankengängen wurde ich von einem fürchterlichen Grimm gepackt. Der Angreifer oben auf der Höhe war unter Garantie ein Kundschafter der Geier-Banditen gewesen. Schon wieder! Schon wieder war ein Geier daran schuld, dass mir mein Freund fast unter den Händen weggestorben wäre! In diesen Minuten schwor ich mir, nicht eher zu ruhen, als bis wir dieser Verbrecherbande endgültig den Garaus gemacht hatten. Gnade Gott jedem dieser Schufte, der mir in die Hände geriet - hier würde ich mit Sicherheit zu keinerlei Schonung mehr bereit sein! Es verging bestimmt noch eine halbe Stunde, bis sich der Doktor endlich sicher war, dass ein Transport in unser Zimmer für Winnetou keine Gefahr mehr darstellte. Emery und Old Firehand sahen sich kurz an, Emery nickte – Firehand hatte von dem Engländer aufgrund seiner noch extremeren Größe und Körperkraft den Vorzug erhalten, den Apatschen nach oben zu tragen. So geschah es auch. Oben angekommen untersuchte ihn der Arzt sofort wieder, und so ganz allmählich schien das Ergebnis ihn zufrieden zu stellen. „Er erholt sich langsam,“ teilte er mir mit. „Ich werde ihm jetzt noch mal etwas zur Stärkung des Herzmuskels spritzen, dann dürfte die Gefahr vollends gebannt sein.“ Ich nickte, fühlte langsam die Anspannung von mir abfallen und eine regelrechte Erschöpfung dafür in mir hoch kriechen. Der Tag war doch lang gewesen, und vor uns lag mit Sicherheit keine ruhige Zeit mehr. Hendrick sah mir meine Müdigkeit wohl an und meinte: „Ihr könnt Euch ruhig hinlegen, Mr. Shatterhand. Ich werde heute Nacht hier wachen, ich hätte sonst sowieso keine Ruhe!“ Eigentlich hatte er Recht, aber ich hatte das Gefühl, mich auf keinen Fall von meinem Freund lösen zu können, schon gar nicht nach dem gerade überstandenen Schock. „Vielleicht wäre es für Winnetou am besten, wenn Ihr Euch wie früher direkt zu ihm legt. Ich glaube nämlich nicht, dass er so schnell wieder erwachen wird, und dass Eure Nähe ihm äußerst gut tut, wurde ja schon mehrfach bewiesen.“ Konnte Hendrick hellsehen oder woher wusste er, was ich mir gerade am meisten wünschte? Oder – ein leiser Schauer lief mir bei diesem Gedanken über den Rücken – ahnte er eventuell sogar etwas? Verstohlen sah ich ihn von der Seite her an, er aber war offensichtlich völlig unbefangen. Ich beschloss also, seinem Vorschlag Folge zu leisten, besprach mich allerdings vorher noch mit Firehand und Emery, die sich beide im Zimmer befanden. Die Kundschafter, die wir nachmittags ausgeschickt hatten, waren alle nach und nach zurückgekommen, keiner von ihnen hatte etwas Wichtiges entdeckt. Morgen sollte aber ein deutlich größerer Umkreis nach möglichen Banditen oder Spuren von ihnen abgesucht werden. Die drei Toten waren durchsucht worden, niemand von ihnen hatte einen Hinweis dabei, wer oder was sie waren. Bei den beiden Brüdern war das auch kein Wunder, hier hatten wohl die Geier sämtliche Taschen vor uns gelehrt und alles Brauchbare mitgenommen. Morgen wollten wir dann alle drei bestatten. Am Nachmittag hatte ich noch größte Hoffnung gehabt, in spätestens drei Tagen mit Winnetou - der dann wohl allmählich so weit wiederhergestellt gewesen wäre, dass er die Reise ohne Probleme überstehen würde - und allen anderen zu den Jagdgründen der Apatschen aufzubrechen. Wenn ich ihn mir aber jetzt so betrachtete, hatte ich erhebliche Zweifel, ob dieses Vorhaben gelingen würde, seine Rettungstat hatte ihn wahrscheinlich in seiner Genesungsphase wieder einen oder mehrere Schritte zurückgeworfen. Ich wollte aber so schnell wie möglich aufbrechen, ich wollte meinen Freund und natürlich auch die Siedler in der Sicherheit der Mescaleros wissen. Nach dem heutigen Nachmittag und Abend hatte dieser Wunsch in mir natürlicherweise an Intensität zugenommen, vor allem, weil der Apatsche gerade jetzt wirklich nicht belastbar war und meiner Meinung nach eher vor der Verbrecherbande geschützt werden musste als dass er selber in der Lage war, den Treck zu beschützen. Dass ich mit dieser Ansicht allerdings völlig daneben lag, konnte ich an jenem Abend noch nicht wissen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)