Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 10: Geborgenheit ------------------------ So ging auch dieser Tag friedlich und ohne Sorgen zu Ende. Die Stimmung unter allen Anwesenden wurde deshalb auch immer besser, und die Luft war erfüllt von viel Gelächter, laut geführten Unterhaltungen und dem Wiehern der Pferde. Der Treck versorgte sich, unabhängig von der Farm, komplett selbst, da die Westmänner genügend Zeit hatten, für alle Anwesenden auf Jagd zu gehen. Abends saßen viele der Westmänner und Treckbewohner gerne in der Gaststube, die dem Krankenzimmer direkt gegenüber lag, feierten ihre Jagderfolge und wurden dabei immer ausgelassener. Sie bemühten sich zwar alle, auf den Kranken Rücksicht zu nehmen, aber wenn man über einhundert Menschen nicht zwingen will, Tag und Nacht auf Zehenspitzen zu laufen und nur zu flüstern, lässt sich ein gewisser Geräuschpegel nun mal nicht vermeiden. Winnetou hatte von der steigenden Lautstärke bisher nichts mitbekommen, aber ich befürchtete, dass das nicht so bleiben würde. Auch wenn er nicht mehr so tief und lange schlief, benötigte er doch noch für die nächsten acht bis zehn Tage viel Ruhe und Erholung, und Helmer meinte, dass man dieses in seinem unten im Haus liegenden Zimmer nicht mehr so gut gewährleisten könne. Er schlug daher am nächsten Tag vor, dass wir den Patienten in ein Gastzimmer im oberen Stockwerk verlegen sollten, und nach einer kurzen Rücksprache mit dem Doktor, der das Vorhaben sehr sinnvoll fand, gingen wir ans Werk. Als die Wirtin das neue Zimmer vorbereitet hatte, wurde Winnetou vorsichtig nach oben getragen, diesmal von Old Firehand, der sich das absolut nicht nehmen lassen wollte. Er war ja noch etwas größer und breiter gebaut als Emery und hatte deshalb überhaupt keine Schwierigkeiten, zumal Winnetou in den letzten acht Tagen deutlich an Gewicht verloren hatte, da er ja bis jetzt keinerlei Nahrung zu sich nehmen konnte. Die Infusionsnadel hatte der Arzt natürlich vorher entfernt und legte sie wieder neu an, als der Apatsche sicher auf seinem neuen Lager lag, dieses Mal aber in den anderen Arm. Winnetou hatte von der ganzen Prozedur nichts mitbekommen, sondern tief und fest geschlafen, wurde aber jetzt durch das Setzen der Infusionsnadel geweckt. Er schaute sich leicht verwundert, auch über den plötzlichen Aktionismus um ihn herum – wir waren noch dabei, alles häuslich einzurichten – in dem ihm unbekannten Zimmer um, wurde aber von mir sofort über den Grund unterrichtet. Er wirkte noch etwas müde, so dass sich die Freunde schnell verabschiedeten, um ihm seine nötige Ruhe zu ermöglichen, nur der Doktor blieb noch da, um ihn zu untersuchen und sicherzugehen, dass der Umzug ihm nicht geschadet hatte. Ich hatte ja bisher das Bett mit meinem Freund aus den bekannten Gründen geteilt, und war gerade dabei, mich wieder aus reiner Gewohnheit an seine Seite zu legen, als ich plötzlich innehielt, weil mir ein Gedanke kam. Ich hatte ihn in den letzten Tagen vor allem aufgrund der akuten Lebensgefahr während seiner Bewusstlosigkeit in den Armen gehalten, damit sein Körper von meinem gewärmt wurde, weil er dazu selber nicht mehr ausreichend in der Lage gewesen war. Seine Genesung schritt aber jetzt täglich weiter fort, und deswegen war diese Maßnahme wohl nicht mehr länger nötig. Sollte ich mich trotzdem wieder zu ihm legen? Wollte er das überhaupt noch? Und wenn nicht, würde er es mir dann aus Rücksicht auf mich verschweigen? Schadete ich vielleicht sogar seiner Ehre, vor allem seiner Häuptlingsehre, wenn ich ihn weiter in meinen Armen hielt und seine Schwäche dadurch nach außen hin noch verdeutlichte? Ich wurde äußerst unsicher. Natürlich konnte ich jetzt mein Vorhaben abbrechen, um mir vom Wirt ein eigenes Zimmer anweisen oder zumindest ein zweites Bett ins Zimmer stellen zu lassen, da man nachts wahrscheinlich doch noch ein Auge auf Winnetous Zustand haben musste und ihn noch nicht ganz alleine lassen durfte. Sollte ich? Und wieso fiel mir diese Entscheidung so schwer? Ganz einfach – ich hatte mich nicht nur an seine unmittelbare Nähe und Wärme gewöhnt, ich hatte diesen Zustand sogar äußerst lieb gewonnen. Wenn ich ehrlich zu mir selber war, hatte ich schon einige Male mit einem leisen Bedauern an die kommende Zeit gedacht, wenn Winnetou wieder vollständig gesund sein und dann alles seinen früheren gewohnten Gang nehmen würde. Dann wiederum schimpfte ich mich selber innerlich einen Dummkopf; ich musste doch absolut froh und glücklich darüber sein, wenn wir diesen Normalzustand überhaupt erreichen würden; wer hätte das noch vor ein paar Tagen eigentlich geglaubt? Diese Gedanken schossen mir in Windeseile während meines kurzen Zögerns, auf dem Bettrand sitzend, durch den Kopf, und gerade hatte ich mich dazu entschieden, wieder aufzustehen, als ich bemerkte, dass Winnetou die Bettdecke etwas angehoben hielt, damit ich bequem meine frühere Position einnehmen konnte. Völlig erstaunt über diesen Zufall folgte ich freudig seiner Aufforderung. Aber war es wirklich Zufall? Der Apatsche hatte schon oft bewiesen, dass er teilweise genau wusste, woran ich dachte, vielleicht war das hier auch gerade geschehen. Trotzdem beschloss ich auch um seinetwillen, diesen Umstand zur Sprache zu bringen, denn ich wollte nichts tun, was ihn irgendwie oder irgendwann in Verlegenheit bringen könnte. Nachdem der Doktor das Zimmer verlassen und angekündigt hatte, am Nachmittag, wenn sich bis dahin nichts Auffälliges ereignet haben sollte, wiederzukommen, lehnte Winnetou sich mit einem tiefen Atemzug zurück an meine Brust, nahm meine Hand in die Seinige und schwieg. Wenn wir unter uns waren, hatten wir nie viele Worte machen brauchen, und vielleicht vermisste er jetzt sogar ein wenig dieses freundschaftliche Schweigen. Trotzdem musste ich es nun brechen, denn ich schob nicht gerne ungeklärte Fragen vor mir her und außerdem würde er es sowieso spüren, wenn ich ein Problem mit mir herumschleppte. In dieser Hinsicht konnte ich vor Winnetou einfach keine Geheimnisse haben. Ich überlegte noch eine kleine Weile, wie ich anfangen sollte, da nahm er mir die Entscheidung schon ab: „Mein Bruder hat etwas auf dem Herzen. Winnetou spürt es schon, seit sein Freund sich zu ihm gelegt hat“, bemerkte er schlicht. War er nicht einfach unglaublich? Mit diesen Worten bewies er eindrucksvoll, dass seine Feinfühligkeit auch durch seine große Schwäche und Müdigkeit nicht gelitten hatte. Also begann ich: „Winnetou weiß, dass er aufgrund seiner schweren Verletzungen einen unglaublich hohen Blutverlust erlitten hatte. Als Folge davon kühlte sein Körper völlig aus; deswegen und auch wegen der akuten Lebensgefahr beschlossen der Doktor und ich, dass ich meinen Bruder mit meinem Körper wärmen sollte, denn auch das konnte ihm helfen, zu überleben. Nun hat sich dein Zustand glücklicherweise erheblich verbessert und es ist nicht mehr nötig, dass wir die Wärme teilen.“ Hier unterbrach ich mich, um zu überlegen, ob ich ihm meinen Wunsch mitteilen sollte. „Ich.....ich würde es also verstehen, wenn Winnetou nicht mehr wünscht, dass ich noch hierbleibe...“ Die letzten Worte sprach ich ungewollt etwas leiser aus. Fürchtete ich tatsächlich seine Antwort? Ich verstand mich selber nicht. „Ich kann den Wirt sofort um ein zweites Bett für dieses Zimmer bitten“, machte ich ihm die Situation nochmal unmissverständlich klar. „Warum solltest du?“ kam seine leise Gegenfrage. „Ich bin doch froh, dass du so nahe bei mir bist! Winnetou hat sich noch nie so.....“ er suchte nach dem richtigen Wort, „....so geborgen gefühlt wie in diesen Tagen!“ Das war deutlich! Glücklich schlang ich meine Arme noch fester um ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Das ist schön. Ich bin so froh, dass dir das gut tut! Und ich werde sehr gerne solange bei dir bleiben, wie du es wünscht!“ Und um ganz sicher zu gehen, fragte ich ihn noch einmal: „Es stört dich wirklich nicht?“ „Nein,“ antwortete er. „im Gegenteil....“ damit drückte er meine Hand etwas fester, schloss die Augen und war bald wieder eingeschlafen. Auch ich lehnte mich entspannt zurück und genoss dieses stille Glück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)