Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 6: Viel Ruhe und erste Lebenszeichen -------------------------------------------- Am frühen Morgen wurden die Bewohner des Trecks und des Hauses langsam munter. Emery und Old Surehand waren die ersten, die zu uns ins Zimmer kamen, zuerst regelrecht ängstlich und vorsichtig – man konnte ihnen ansehen, wie sehr sie schlechte Nachrichten fürchteten. Kurz zuvor hatte Dr. Hendrick erneut Fieber gemessen – es war weiter gesunken! Wie sich diese nochmalige Verbesserung auf meinen Seelenzustand auswirkte, kann man sich wohl denken. Die alles lähmende Angst wich langsam von mir, ich begann meine nähere Umgebung genauer wahrzunehmen und entwickelte jetzt auch eine richtige Redseligkeit. Als meine beiden Freunde die gute Nachricht hörten, drückten ihre Gesichter genau das aus, was ich fühlte. Schnell verbreiteten sie diese unter den anderen Mitbewohnern, und von draußen hörte ich kurze Zeit später den ein oder anderen Freudenjuchzer hereinwehen. Dieser dritte Tag nach Winnetous Ankunft verging relativ schnell. Bis zum Abend hatten alle anwesenden Westmänner sowie der Führer des Trecks uns nacheinander ihre Aufwartung gemacht – jedem von ihnen stand der Schreck über Winnetous schlechtem Aussehen ins Gesicht geschrieben, als sie das Zimmer wieder verließen, obwohl wir ihnen versicherten, dass er bei seiner Ankunft noch viel schlimmer ausgesehen hatte. Ich selber freute mich aber sehr, die vielen guten Bekannten alle mal wiederzusehen, und da meine Hoffnung auf eine völlige Genesung meines Freundes immer neue Nahrung bekam, war ich auch richtig in Plauderlaune geraten. Außerdem tat es äußerst gut, meine natürlich immer noch vorhandenen Ängste und Sorgen mit den Gefährten zu teilen. Das Wundfieber sank im Laufe des Tages weiter und weiter, die Atmung des Apatschen wurde etwas ruhiger, die Vitalwerte besserten sich leicht und – worüber sich der Doktor am meisten freute – das Herz schlug endlich etwas regelmäßiger. Trotzdem mahnte er uns, realistisch zu bleiben. Der Blutverlust war so enorm hoch gewesen, dass ihn die meisten Menschen wohl nicht überlebt hätten. Das dadurch völlig geschwächte Herz musste sich jetzt erst ein Mal lange erholen, und das hieß mindestens noch zwei Wochen allerstrengste Bettruhe sowie ein Vermeiden jeder noch so kleinen Anstrengung. Dr. Hendrick sorgte weiter unermüdlich für meinen Freund, wechselte Infusionen sowie Verbände, flößte ihm mit meiner Hilfe weiter Kräutertee ein und ruhte sich selber höchstens mal eine Stunde am Stück aus. Auch ich hatte seit Beginn dieser Tragödie fast nicht geschlafen, fühlte aber auch kein besonderes Bedürfnis nach Ruhe. Winnetou und ich waren es gewohnt, nur zu schlafen, wenn die Zeit und Muße dafür gegeben war. Gegen Abend bekam ich dann vom Doktor die Erlaubnis, Winnetou grundpflegerisch versorgen zu dürfen. Seine linke Körperhälfte war ja immer noch teilweise blutverschmiert, von den Haaren mal ganz abgesehen. Erst am Mittag hatte mir Entschah-koh angeboten, ihm oder seinen Apatschen die Körperpflege Winnetous zu überlassen; ich als anerkannter Häuptling der Apatschen sei ja über so eine Aufgabe erhaben. Na, da kam er bei mir aber an den Richtigen! Freundlich, aber bestimmt erklärte ich ihm, dass ich diesen Dienst an meinem besten Freund gerne selber tun würde, dieses sei ich ihm schuldig und es sei auch das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Entschah-koh hatte mich kurz angesehen, leise gelächelt, genickt und dann wieder den Raum verlassen. Ich glaubte, dass er mich jetzt mit nochmal anderen Augen sah, und das im positiven Sinne. Am Abend beschloss ich also, erst ein mal Winnetous Haare gründlich auszuwaschen. Ich ließ mir von Mrs. Helmer mehrere Schüsseln mit warmen Wasser und ein paar reine Tücher und Laken bringen und begann das Werk. Ich saß fast die halbe Nacht daran, so viel Blut hatte sich in seinem reichlichen Haar angesammelt. Erst als Wasser und Laken sich nicht mehr rot färbten, erklärte ich mein Werk für beendet. Die andere Nachthälfte verschlief ich und am frühen Morgen begann ich mit der restlichen Körperpflege, die bis weit in den Vormittag andauerte. Der Doktor hatte die Nacht zwar auch wieder im Zimmer verbracht, dieses Mal aber mehr Zeit und Ruhe gefunden, den fehlenden Schlaf nachzuholen. Nach Beendigung meines Werkes untersuchte er Winnetou wieder gründlich und stellte fest, dass sich sein Zustand weiter verbessert hatte. Er hielt es jetzt auch nicht mehr für ausgeschlossen, dass dieser vielleicht sogar in Kürze zu sich kommen würde! An diesem Tag war der Besuch im Krankenzimmer sehr zahlreich. Meistens saßen sechs oder sieben der Westmänner gleichzeitig an Winnetous Bett und berichteten mir abwechselnd leise, wie sie alle nach und nach in den letzten Wochen zusammengetroffen waren. Alle wunderten sich heute noch über diese eigentlich unglaublichen Zufälle, hatten aber beschlossen, für längere Zeit zusammenzubleiben, und da niemand von ihnen zur Zeit etwas Wichtiges vorhatte, waren sie durch den Llano geritten, um Winnetou einen Besuch abzustatten. Das dieses Vorhaben so geendet hatte, war für alle ein großer Schock gewesen, bestärkte sie jetzt aber um so mehr. Nun wollten sie halt solange warten, bis der Apatschenhäuptling wieder einigermaßen genesen und reisefähig war, um ihn dann unter ihren Schutz in seine Heimat zu begleiten. Na, dann brauchte mir um meinen Freund ja in punkto Sicherheit nicht mehr bange zu sein! Ich begann mich jetzt regelrecht auf die nächste Zeit zu freuen, denn mit so einer Gesellschaft waren viele schöne Stunden ja geradezu vorprogrammiert. Auch der Auswanderer-Treck, der ja in die gleiche Richtung wollte, hatte beschlossen, auf Winnetous Genesung zu warten. Zwar hätte er unter der Begleitung einiger Westmänner, die dann anschließend wieder zurückgekommen wären, sofort aufbrechen können, denn Mensch und Tier hatten sich von den Strapazen gut erholt, aber – man wollte nicht. Alle Treckmitglieder, ob groß oder klein, wussten, was sie Winnetou zu verdanken hatten. Sie wollten sich alle unbedingt persönlich bei ihm bedanken und dann mit ihm gemeinsam durch den Llano reisen. Den letzteren Gedanken fand ich ja ganz vernünftig – je größer eine Gesellschaft, um so sicherer ist sie vor Banditen – aber mit dem Ersteren hatte ich so meine Probleme. Man denke sich, über achtzig Personen wollten Winnetou mit Dank und Lob überschütten! Nicht nur, dass ich meinen Freund auch in dieser Beziehung genau kannte; er redete nicht gerne über seine Wohltaten, die er für selbstverständlich hielt und die er nur vor seinem Manitou verantworten wollte; es war ihm auch gar nicht zuzumuten, dass man in seinem instabilen Zustand solch eine Menge Menschen auf ihn losließ. Aber da würde ich schon eine Lösung finden, ich zerbrach mir jetzt noch nicht den Kopf darüber. Natürlich wurde mir auch heute wieder unentwegt von allen Bekannten angeboten, mich abzulösen, aber ich war in dieser Hinsicht stur, wollte nicht einen Zentimeter von meinem Freund weichen und, wenn ich ehrlich zu mir selber war, auch niemand anderen so nah an ihn heranlassen. Ich lag ja immer noch bei ihm im Bett, und er so auf mir, dass sein Kopf in meiner linken Ellenbeuge ruhte, die ich mit einem großen Kissen abstützte, und sein Oberkörper halb auf meinem lag. Wir wechselten seine Lage allerdings alle paar Stunden, um zu verhindern, dass er sich wundlag. So körperlich nahe waren wir uns noch nie gekommen, die einzigen engeren Kontakte bestanden eigentlich immer nur aus den Umarmungen bei Begrüßungen oder Trennungen. Ich musste mir eingestehen, dass mir dieser Zustand, jetzt, wo ich sein Leben in nicht mehr in unmittelbarer Gefahr wusste, immer besser gefiel. Ich genoss es, meinen Freund zu halten, zu wärmen, an mich zu drücken, allein weil mir das noch nie möglich gemacht worden war. Der Arzt befürwortete diese Lage weiterhin, denn solange Winnetou noch ohne Bewusstsein war, konnte es ihm seiner Meinung nach nur gut tun, menschliche Nähe und Wärme vielleicht auch in seinem Unterbewusstsein zu spüren. Gegen Abend dieses vierten Tages, als mal gerade kein Besuch im Zimmer war, nickte ich tatsächlich kurz ein. Geweckt wurde ich von einer ungewohnten Bewegung. Ich schlug die Augen auf und überlegte angestrengt, was mich wohl aus dem Schlaf gerissen hatte. Da war es wieder! Im Nu war ich hellwach. Winnetou hatte zum zweiten Mal tief Luft geholt und begann, seinen Kopf, den ich diesmal in der rechten Armbeuge hielt, leicht zu bewegen! Ich streichelte kurz seine Wangen und beobachtete dann gespannt sein Gesicht. Würden weitere Reaktionen folgen? Tatsächlich, er fing an zu blinzeln! Jetzt gab es für mich kein Halten mehr; ich rief Dr. Hendrick, der ebenfalls schlief, leise an. Er war auch sofort wach, trat zu uns, beobachtete, gleichzeitig nach seinem Puls tastend, Winnetou einen Moment und nickte mir dann erfreut zu. In diesem Moment betraten Old Surehand sowie Old Firehand das Zimmer. Ich legte den Finger auf den Mund und winkte ihnen, leise näher zu treten. Sie setzten sich wieder zu beiden Seiten des Apatschen. Ihren Gesichtern konnte man eine große Anspannung ablesen. Winnetous Atmung wurde jetzt deutlich tiefer und regelmäßiger, er blinzelte stärker. Der Doktor flüsterte mir zu: „Wichtig ist jetzt vor allem, zu erfahren, ob er Euch erkennt, ob er Schmerzen hat und was das Letzte ist, an was er sich erinnern kann. So können wir feststellen, ob, und wenn, welche Folgen der Blutverlust hatte!“ Ich nickte, sah weiterhin unverwandt in das schöne Gesicht meines Freundes. Dr. Hendrick fuhr fort: „Wir müssen ihm aber Zeit geben. Die Verletzungen und ihre Folgen haben ihn sämtlicher Kräfte beraubt. Er wird große Mühe haben, überhaupt die Augen zu öffnen, geschweige denn, zu sprechen. Also alles ganz langsam und in Ruhe, mit vielen Pausen dazwischen. Er darf sich auf keinen Fall zu sehr anstrengen!“ Winnetou blinzelte jetzt mehrmals hintereinander. Ich glaubte, erkennen zu können, dass er schon bei Bewusstsein war, aber die Augen vor Schwäche noch nicht öffnen konnte und er erst einmal versuchte, sich irgendwie zurechtzufinden. Ja richtig, jetzt begann er auch schon, nacheinander kurz seine Hände zu bewegen. Mit seiner Rechten hatte er aber kaum Spielraum, da sie wegen der Infusionsnadel in seiner Ellenbeuge am Bett fixiert war, damit er sich nicht durch eine plötzliche Bewegung die Vene verletzte. Als er die Fixierung registrierte, glaubte ich, in seinem Gesicht einen Hauch des Erschreckens zu bemerken. Ich verstand auch sofort, warum: Seine letzte Erinnerung beinhaltete wahrscheinlich den Angriff auf ihn; er konnte also jetzt nicht wissen, wo er sich befand, er könnte ja auch durchaus in die Hände von Feinden gelangt sein. Also bewegte er kurz seine Gliedmaßen, um festzustellen, ob er vielleicht gefesselt war und jetzt sah er das durch die Fixierung bestätigt. Old Surehand und Old Firehand hatten wohl im gleichen Augenblick denselben Gedanken, denn sie begannen beide, Winnetous Hände vorsichtig zu drücken und zu streicheln. So etwas macht kein Feind, und daher musste er für sich ja spüren, dass er sich unter Freunden befand. Er entspannte sich auch gleich wieder. Ich hätte ihn gerne angesprochen, hatte aber einfach Sorge, dass er sich dann mit aller Gewalt dazu zwang, die Augen zu öffnen oder zu antworten, und sich dabei zu sehr anstrengte. Also wartete ich geduldig ab, ob er langsam die Kraft dazu fand oder wieder einschlief. Und dann gelang es ihm doch, die Augen zu öffnen! Sein noch etwas verschwommener Blick traf mich, und ich sah ihm an, dass er sich erst einmal konzentrieren musste auf das, was er da eigentlich sah. Dann weiteten sich seine Augen, und ich erkannte vor allem eine völlige Fassungslosigkeit darin. Man konnte richtiggehend sehen, dass er ernsthaft darüber nachdachte, ob sein ermatteter Geist ihm gerade einen Streich spielte. Anscheinend hatte er mich erkannt, und da ich für ihn ja im Augenblick in Afrika weilte, konnte er mit dem Gesehenen überhaupt nichts anfangen. Ich schaffte es gerade noch, ihm zuzulächeln, da schlossen sich seine Augen schon wieder. Er verzog das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf, so als ob er ein Trugbild verscheuchen wollte. Als er sie nach wenigen Augenblicken wieder öffnete und ich tatsächlich immer noch da war, da ging ein Leuchten über sein Gesicht, welches gar nicht zu beschreiben war. In seine samtig-schwarzen Augen trat ein erhöhter Glanz, und dann flüsterte er, nein, eigentlich war es nur ein Hauchen zu nennen, ganz leise: „Scharlih!“ In diesem einen Wort lag alles, seine Liebe zu mir, seine unbändige Freude, aber auch Verwirrung, Angst ebenso wie Erleichterung....Mir traten die Tränen in die Augen. Ich strich mit meiner Hand über seine Stirn und Wangen und sagte leise: „Ich bin ja da, Winnetou, ganz ruhig. Ich bin hier und bleibe auch hier!“ „Aber.... wie kommst..... du denn.... hier....“ Bei diesen Worten begann er doch tatsächlich, sich leicht aufzurichten! Sofort drückte ich ihn, die eine Hand auf seiner Brust und die andere auf die Stirn gelegt, vorsichtig wieder zurück in die Kissen und unterbrach ihn: „Nein, Winnetou, um Himmels Willen, bleib liegen! Du darfst dich nicht anstrengen! Du bist schwer verletzt, jede noch so kleine Anstrengung könnte deinen sicheren Tod bedeuten, und ich bitte dich, mein Bruder, tu mir das nicht an!“ Er hatte während meiner Worte, von denen ich vor allem die letzten besonders betonte, seine Augen wieder geschlossen, und sein Atem ging schon jetzt aufgrund dieser wenigen Bewegungen heftiger. Der Doktor gab mir daher auch schnell durch Zeichen zu verstehen, ihn zur Ruhe zu zwingen. Ich ließ meine Hand auf seiner Brust und fügte für ihn als Erklärung hinzu: „Ich werde dir später genauer erzählen, warum ich hier bin, für's Erste lass dir nur gesagt sein, dass ich das Schiff nach Afrika schon gebucht hatte, aber eine tiefe Sehnsucht zu dir und diesem Land hat mich davon abgehalten, es zu betreten!“ Winnetou lächelte leise, zum Zeichen, dass er mich verstanden hatte. Ich gab ihm ein, zwei Minuten Zeit, ließ ihn erst mal wieder zu Atem kommen, dann fragte ich leise: „Hast du Schmerzen?“ Er schüttelte leicht den Kopf, seine Lider blieben weiterhin geschlossen. Man sah deutlich, er war schon wieder am Ende seiner Kräfte und deshalb wollte ich ihn auch nicht länger mit Fragen von der ihm doch so nötigen Ruhe abhalten. Nach einigen Augenblicken öffnete er aber doch noch mal gewaltsam seine Augen, sah mich an und wollte zu sprechen beginnen. Ich aber legte ihm den Finger auf den Mund und flüsterte: „Nicht mehr sprechen, mein Freund, es strengt dich zu sehr an.“ Er aber nahm trotzdem nochmal alle Kraft zusammen und hauchte stockend, in dem er seine linke Hand aus der von Old Surehand herauswand und auf meine Rechte legte, die auf seiner Brust lag: „Ich.... ich bin so froh,.....dass du da bist,........Scharlih....“ Bei diesen Worten glitzerten tatsächlich Tränen in seinen Augen! Jetzt war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Weinend drückte ich ihn fest an mich und schluchzte: „Und ich bin so froh, dass du lebst! Was hatte ich für eine Angst um dich!“ Ich verbarg mein Gesicht dabei in seiner Halsbeuge und ließ meinen Gefühlen nun einfach ihren Lauf. Nach wenigen Minuten spürte ich, dass sein Körper in meinen Armen erschlaffte - er hatte wieder das Bewusstsein verloren. Vorsichtig bettete ich ihn zurück in die Kissen und sah meine Gefährten an. Ausnahmslos allen standen die Tränen in den Augen. Dr. Hendrick schluchzte einmal noch leise auf und untersuchte dann Winnetou ein weiteres Mal; kurz darauf signalisiert er mir, dass alles soweit in Ordnung sei, mein Freund aber Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe brauche. Das ich dafür sorgen würde, war wohl selbstverständlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)