Requiem von Phantom (Ganondorf) ================================================================================ Introit of Terror (Ocarina of Time) ----------------------------------- Irrlichter spinnen. Sie taumeln im Atem des Himmels und spinnen die Geschichte. Sie, die sie die Alleinigen sind es zu vermögen, jedwede Ideen und Triebe, Kriege und Pakte, Fehlgeleitete und Helden entstehen und vergehen zu sehen, spinnen aus ihren Erlebnissen den Weisentalar jenen, die bereit sind, ihren stummen Worten Gehör und Glauben zu schenken. Ihre Spindeln überdauern alle Äonen, und kein Ereignis, sei es auch noch so heftig, vermag den feinen Faden zu zerreißen. Niemand weiß ihn ihnen zu entwenden wie ein Despot einem Land den Frieden, niemand versteht seinen Lauf aufzuhalten wie ein Recke die Herrschaft des Tyrannen, denn Recken, Despoten, Herrschaften und Länder sind vergänglich, die Geschichte über sie aber ist es nicht. Allein durch die Finger der Irrlichter streift sie, und die Irrlichter taumeln im Atem des Himmels und spinnen die Geschichte. Jene vom Königreich Hyrule und das Kapitel des Helden der Zeit, von ihm und der diabolischen Macht, welche er zu bekämpfen hat. Es ist dies eine Geschichte wie ein Same, der in warmer Erde sich gegen die kalten Steinplatten darüber stemmt, weil er instinktiv ahnt, dass hinter ihnen das Licht strahlt, welches er wie jedes Leben zum Werden braucht. Die Steinplatten sind resistent, doch der Spross gibt nicht nach; er streckt seine Blätter aus und schiebt sie voneinander, steigt aus diesem Spalt, rüstet sich bald in starke Rinde und wächst Dins feurigem Auge entgegen, hoch und höher, unter seinem weiten Ast- und Blätterdach nachfolgenden Keimen Obhut bietend. Vor solch einem Spross sitzt auch der tapfere Held der Zeit mit seiner Fee und lauscht andächtig dem zuversichtlichen Knistern und Rascheln. "Nun, Du hast es sicher schon geahnt: Du bist kein Kokiri! Du bist ein Hylianer!" Die Worte des Deku-Sprosses vermischen sich mit den beunruhigenden Fragmenten im Gedächtnis des Jünglings. Die lohende Burg, das Trommeln von Pferdehufen, die blitzenthüllte Entschlossenheit in den Augen einer Frau – all dies erscheint ihm nun nicht mehr so fremd. Es macht Sinn. Es beantwortet vergessene Fragen und bringt auch auf neue, die an Vorwürfe grenzen, aber es ist nicht an ihm, sich zu beklagen. "So sei es, Link!", schließt der aufmunternd lächelnde Deku-Baum seine Erklärung ab. "Befreie die Tempel von ihren Flüchen und sorge für Frieden in Hyrule!" Und der Held der Zeit erhebt sich aus dem weichen Gras seiner Kindheit und geht. Seine Fee jedoch verharrt beim Deku-Baum, versieht selbigen mit einem kummervollen Blick. "War es das Richtige, ihm ausgerechnet jetzt davon zu erzählen? Wird es ihn denn nicht zu schwer belasten in der Stunde der entscheidenden Gegenüberstellung?" Weiterhin schmunzelt der Sprössling. "Meinst Du, holde Fee, es wäre richtiger gewesen, dem Ahnungslosen jenen einzigen Entschluss abzunehmen, der nicht dem Schicksal Hyrules, sondern ihm persönlich gilt?" Navi braucht nicht lange zu überlegen, ehe sie ihren winzigen Kopf schüttelt. Sie versteht, dass es wichtig ist, die Wahrheit zu kennen und in die finale Auseinandersetzung mitzunehmen. Und doch: Es bleibt ein tragisches Los. Für das Schicksal scheint der Held der Zeit nur eine Waffe zu sein, die es wider alles Finstere entsendet, woher es auch kreucht. Für sie aber und den Deku-Baum ist er ein Freund, der einen Krieg zu gewinnen hat, für den er nichts kann, eine Entscheidung zu treffen, der seine Gefühle gleichgültig sind. Eine Träne entrinnt ihr, die aufgefangen wird vom Finger des Deku-Baumes: Einem Grashalm, der sie diesen tröstenden Morgen tragen wird wie einen kostbaren Ring. Dann fliegt sie von dannen. Sie weiß, ihre empfindlichen Flügel vermögen nicht einmal einen Teil der Bürde auf seinen Schultern zu tragen. Sie wünscht sich bloß, ihr heller Schein wird ihn noch in schwärzester Nacht den Weg nicht verlieren lassen. Irrlichter verfolgen den jungen Streiter und seine Fee bis hin zu den letzten Fingerkuppen des Waldes, die hinausweisen. Sie wispern ihnen zu, plaudern von unerträglicher Hitze und erbitterten Sandstürmen, doch auch von einem monumentalen Tempel und einem mysteriösen Volk. Sie verraten ihm, die Gespensterwüste werde sein nächstes Ziel sein. Und während er auf dem Rücken seines Pferdes den Wald weit hinter sich lässt, wiederholen sie düsteren Tonfalles nur eines: Prinz der Wüste, Prinz der Wüste, Prinz der Wüste… Ein Prinz, der auszog, seine Loyalität dem König von Hyrule zu schwören. "Ein Herrscher begibt sich nicht unter die Griffel eines anderen!", tadelten ihn die Hexenschwestern Kotake und Koume im Chor. "Noch bin ich Initiand und in meinen Entscheidungen frei", entgegnete der Rotschopf, beherzt seinen Rappen sattelnd. "Welche Gründe mögen einen Gerudo verleiten, einem Hylianer zu dienen?" "Ich diene nicht dem Hylianer, ich diene dem Frieden." "Und was wird aus Naboru?!", krächzten sie entsetzt. "Eine einwandfreie Herrin in meiner Abwesenheit. Es ist nicht mein Verhängnis, gleich meinen Ahnen zu regieren über ein Gebiet, welches sich hochmütig und furchtsam zugleich vor den anderen verschließt." Und tatsächlich verstanden nicht einmal die Worte einer stolzen Gerudo-Kriegerin ihn zurückzuhalten. Aber Naboru vermochte – anders als die mondäugigen Matronen – seine Beweggründe nachzuvollziehen. Hoffnungsschwer verabschiedete sie ihn dort, wo das Land anfing, fruchtbar zu werden. Nur alle 100 Jahre wird dem Geschlecht der Gerudo ein Mann geboren. Fortan sei es sein Geschick, über die Wüste zu walten und zu befehlen das dort lebende Volk der Kriegerinnen. Dem Herren dieses Jahrhunderts, zu reihen in ein Register überschaubarer Vorväter von unvergessenen Taten, hatten sich die Hexen Kotake und Koume angenommen, um durch seinen Arm ihre sinisteren Träume von Macht und Gewalt Wirklichkeit werden zu lassen. Doch aller Härte ihrer Erziehung zum Trotz entwickelte er einen ehernen Willen, geleitet von nichts denn seinem selbstvertrauenden Verstand, der ihre Pläne nun zu durchkreuzen drohte. Noch in der Nacht seines Aufbruches griffen sie ihn an, ergaben sich allerdings als wehrlos gegenüber seinem von den Goronen gefertigten Schwert. Er tötete sie jedoch nicht und ritt weiter in das Reich seiner Erwartungen. "Die Außenwelt wird Dich mit ihren Verführungen verderben!", beschworen sie ihn, doch das Stampfen der Hufe tönte zu laut, als dass er ihre Flüche noch vernehmen konnte. Nach einer Reise von wenigen, aber wundervollen Tagen über endlos anmutende Wiesen erreichte er die Stadt und das Schloss Hyrule. Nichts hinderte ihn, sich vor dem Monarchen auf das Knie zu begeben und ihm sein Schwert darzubieten. "Ihr seid Ganondorf Agahnim Dragmire von dem Geschlecht der Gerudo", erkannte ihn der König mit unverhohlenem Erstaunen. "Verratet mir bitte: Was veranlasst ihr Oberhaupt zu solch selbstloser Tat? Bislang zogen Eure Leute es vor, den Bewohnern dieser Nation wie Unwetter nur ihre schlechten Seiten zu offenbaren." "So lasst es uns ändern", empfahl ihm der Junker aus der Fremde. "Eine neue Zeit soll anbrechen. Es liegt in unseren Händen." Die Züge des Königs wurden ernst; er nickte gravitätisch. "Eine erstrebenswerte Vorstellung. Und ein großer Schritt des okzidentalischen Volkes. Sollte er sich erweisen, sein Schwert ebenso begabt zu führen wie seinen Stamm, möchte ich diesen künftigen König untertänig ersuchen, Lehrmeister unserer Soldaten sowie Revisor meiner Dekrete zu werden." Ganondorf entging nicht die vertrauensprüfende Komponente der Einladung, als Ausbilder früher feindlicher Streitkräfte das Geheimnis der gerudischen Kampfeskunst preisgeben zu müssen, doch überzeugt von einer Zukunft des Zusammenhalts empfand er keinerlei Scheu davor und sagte zu. Mit dem Verstreichen der Zeit erweiterte sich das Arsenal seiner Fertigkeiten, und unter dem König von Hyrule lernte er, wie es sein würde, ein Land verheißungsvoll zu lenken. Im Gegenzug präsentierte er ihm eine Armee, selbstbewusst und pflichtgetreu, und schenkte ihm, wann immer es angemessen erschien, seinen gewitzten Rat. So bestand alsbald nicht nur ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen, sondern auch eine gewisse gegenseitige Unverzichtbarkeit. Doch nie ist die Aussicht ganz ohne Sorge, wenn es ein wacher Stratege ist, der sie genießt. Ganondorfs Sorge hatte spitze Ohren, einen Bogen in der Hand und absolut kein Talent dafür, diesen zu benutzen. Es wäre einfacher, gegen einen Sandsturm anzulaufen, dachte Ganondorf verzweifelt, als jenem Mädchen die korrekte Bedienung irgendeiner Waffe beizubringen, und führte ihm doch zum ungezählten Mal geduldig und anschaulich das Einspannen eines Pfeiles vor – ihre Hände in den seinen. Die Irrlichter schwärmen, wenn sie sich der transzendenten Blüte erinnern dürfen, die nun zaghaft ihre Blätter spreizte. Kein Medium für die Zukunft vermag den Anblick, den Duft dieser Blume zu konservieren; Worte, Abbilder können nur skizzieren, was zwischen den beiden Wesen wie zwischen so vielen Geschöpfen gestern, heute und in aller Zeit für ein Zauber tätig ward, während der Wirbelwind mit dem Namen so klar wie behutsam aneinanderstoßendes Glas Ganondorfs Leben innerhalb der Schlossmauern erheblich durcheinanderbrachte. Sein Leben… und seine Gefühlswelt. Mirari. In vollkommener Seligkeit saß Ganondorf Tag um Tag, Woche für Woche, Monat um Monat und Jahr für Jahr auf dem Rücken seines Rosses und überblickte die kraftgrünen, friedlichen Felder Hyrules. Aber wer aufmerksam die Historie studiert, der weiß, dass eine Periode des Friedens irgendwann endet. Ohne Dunkelheit wäre Licht nicht Licht. "Es ist ruhig", bemerkte Ganondorf, und die Kuhle zwischen seinen Augen wurde tiefer. "Viel zu ruhig." "Spürt Ihr Besorgniserregendes?", erkundigte sich ein ehemaliger Lehrling seiner sofort, dessen Miene sich bereits im Wandel zum ungewohnten Ernst befand, als verlangte er nach gar keiner Erläuterung mehr, nur schon eine Bestätigung. "Etwas liegt in der Luft", deutete Ganondorf ihm lediglich an, sich selbst noch nicht sicher. "Es drückt sogar der Vögel Flug in die Tiefe." "Wir werden wachsam sein – wie wir es stets sind", suchte der Soldat seinen Mentor mit vertrauensvollem Blick zu beschwichtigen. Der erwiderte ihn. Wann immer er Linklayne betrachtete, kam er nicht umhin, hier das Werk der Göttinnen Din und Nayru harmonisch vereint zu sehen: Din, die die goldbraune, widerstandsfähige Erde geformt hatte. Nayru, die den klaren, unbegrenzten Himmel darüber ausgespannt hatte. Farores Schaffen schließlich loderte unverkennbar aus diesen Augen. Ganondorf plante, jenem Würdigen zum angebrachten Zeitpunkt seine Stellung als Lehrmeister der königlichen Garde zu überantworten; er bräuchte sich dann nicht mehr um die Nachfolger der gegenwärtigen Soldaten zu sorgen und würde sich für eine Weile in seine Burg zurückziehen können, welche er hatte an behaglichem Ort errichten lassen, wo die Gemahlin seiner harrte. Sie hatte sich überreden lassen, zumindest für die paar Monate Rüstung sowie Bogen an den Nagel zu hängen und sich kraftsparenden Tätigkeiten zuzuwenden. Am Ende des Tages über ihren Bauch zu streichen war ihm, wie die halbe Erdkugel unmittelbar nach ihrer Geburt berühren zu dürfen, die unbefleckte, unverschuldete, als sie noch kein Leid erfahren hatte, arglos gespannt auf das, was kommen wird. "Die Wolken rücken eng zusammen und werden bald weinen", prophezeite Ganondorf dem Vertrauten. "Seht Ihr, wie sie schwer über dem Schloss hängen? Es ist an der Zeit, den Mantel unserer Pflicht über seine Insassen zu breiten. Ein Gewitter ist aufgezogen." Auf ihrem Rückweg streifte es über ihnen hinweg, ließ die stürmenden Pferde unbeeindruckt hinter sich, um bald darauf seine Blitze gnadenlos in die Dächer und Türme der Stadt zu schlagen, die Bewohner mit lautstarkem Donnern und gleißendem Leuchten zu ängstigen. Ob der unerschrockenen, unermüdlichen Eingriffe Ganondorfs, Linklaynes sowie der königlichen Truppen hinterließ es eine entsetzliche Verwüstung. Seist Du auch noch so kräftig: Einen Blitz triffst Du nicht – er trifft Dich. Und da der Meister des hylianischen Heeres einen karneolroten Haarfaden aus der Gefallenen Blut zog, ward er in der Tat tief getroffen. Nicht lange danach standen sie einander gegenüber, die Waffen ins breite Tal zwischen ihnen gestreckt. Keinerlei Anflug der Reue, Trauer, Sehnsucht in den goldgefassten Pupillen der Herrlichen Naboru. Verbarg sie ihre Empfindungen wie einen mit den Augen nicht zu messenden Schatz der Geistertempel oder war er es, der dies lediglich hoffte? Was mochte geschehen sein? Jäh wurde er sich der Jahreszahl seiner langen Abwesenheit bewusst, und die Erinnerungen an die Zeit davor erwachten aus ihrem totenstillen Schlummer, als ihre Klingen aufeinanderprallten, hell wie kein Blitz, in einem Duell, spannender und geladener als jedwedes Gewitter, wenn man den betrübten Worten der Irrlichter glauben kann, was man mit großer Gewissheit darf. Sie berichten von einem Sieg seitens des Prinzen, der jedoch nicht willig war, seine früher Verbündete zu töten, und sie stattdessen fliehen lassen wollte. "Sorge für ein Ende jener sinnlosen Gewalt, die von eurem Land ausgeht", lautete die Botschaft, wie er sie ihr mitzugeben gedachte. "Ich kenne euer Ungemach und euren Stolz, aber was hat denn der Krieg schon Erstrebenswertes?" "Es ist auch Dein Land", warf die schöne Kriegerin ein. "Und was glaubst Du von uns zu wissen? Deine den Gerudo geltenden Gedanken sind so der Zeit gemäß wie die Zeilen auf den Sandtafeln im Tempel. Und ebenso selten gelesen, ruhen sie in gleicher staubiger Dunkelheit." "Das ist wahr", gab er unverschämt zu. "Und bewusst sprach mein Mund die Formel, um sie dorthinein zu versiegeln." "Verleugner Deines Ursprungs!", spie sie aus. "Damit kränkst Du mich nicht. Verleugnen kann ich, jedoch nicht wider mein Gefühl handeln." "Dann verrate mir: Für wen schlägt nun Dein Herz?" Er schwieg. Naboru nutzte den Moment zur gewünschten Flucht. Da sie fort war, setzte er sich in Bewegung über das nasse Gestein. Der ihnen nachgemunkelten Grausamkeit wahre Ehre bereitend, hatten die Gerudo-Kriegerinnen ein Blutfest zelebriert. Steif ließ er sich auf die Knie fallen und hob einen der hauchlosen Körper mit reliquienwürdiger Behutsamkeit auf. Des Todes nüchterne Kälte krabbelte in seine Finger, wo diese den Leichnam berührten, kroch die Arme hinauf bis in seinen Verstand. Nichts fühlte der General des Königs von Hyrule, während er Linklayne, seinen Schüler und Kameraden, in den Armen hielt. Jene Nacht stieß die Identität, in welche er sich über Jahre gehüllt hatte, aus ihrem selbstsicheren Gleichgewicht. Ganondorf musste einsehen, dass, wenn er entschlossen in die Zukunft schaute, sich die Augen seiner Vergangenheit immer irgendwann öffnen und ihm von dort entgegenblicken würden. Nicht der oberste Berater stand seinem Namen vorweg, sondern fürderhin die Würde des Königs der Gerudo. Damit stände er auf derselben Stufe wie sein langjähriger Freund, Hyrules Herrscher. Stimmen in seinem Kopf begannen ihn zu belästigen, und er betete, dass die künftige Zeit, Mirari und seine Obliegenheiten sie beruhigen würden. Die exotischen Angreifer waren brutal, aber unorganisiert. Wie Raubtiere vermochte man sie in ihren ariden Käfig zu jagen, und so kehrte nach dem tragischen Vorfall ein oberflächlicher Frieden zurück. Strahlend kam der König eines Tages auf ihn zu und schloss ihn in seine Arme. "Vertrauter! Hat die frohe Nachricht bereits Euer Gehör erreicht? Meine Gattin befindet sich nicht mehr lange vor der Niederkunft!" Die Stadt um das Schloss traf wochenlang Vorbereitungen für das große Fest, zu dem jeder Bewohner des Reiches, gleich welcher Abstammung, eingeladen war. Doch als der Thronfolger dann das Licht über Hyrule erblickte, feierte kein einziger, blieben die Versammelten stumm. Denn die Königin überlebte die Strapazen nicht. Ganondorf sollte erst später von dem Unglück erfahren, denn am selben Tag hatte seine Frau ihm in der fernen Burg eine kleine Kerze angezündet, ein notwendiges Flämmchen gegen die Finsternis. "Danke", atmete er demütig aus. "Du hast lange gelitten, und ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um für Dich da zu sein." "Da irrst Du. Sieh doch! Aus diesem Antlitz lächeln Deine Augen mir entgegen. Er wird ein großartiger Mann mit einer bedeutsamen Zukunft werden, genau wie Du." Ja – vielleicht sollte ihr Sohn eine Bitte um Vergebung des Schicksals sein, ein gewagter Ausgleich für den Verlust seines verdienstvollen Lehrlings. "Gan", hielt Mirari ihn noch einmal auf. "Es ist kein Widerspruch, Gerudo zu sein und Hyrule zu schätzen. Was hättest Du besser gemacht, wenn Du damals geblieben wärst, als jetzt und hier auf dem fortschrittlichen Pfad des Botschafters? Du hast ihn der Schneise des Kriegers vorgezogen, und ich bin zuversichtlich, dass Deine die richtige Entscheidung war: Erkenne nur in diesem Geschöpf aus Liebe den Beweis, dass einander suspekte Völker sich sehr wohl annähern können." Nachdem Mutter und Kind dem verdienten Schlaf übergeben waren, galoppierte der Rappe Richtung Schloss, wo sein Reiter die bittere Kunde vom Geschick der Königin erhielt. Der einsame Vater hatte sich in seinen Gemächern verbarrikadiert und wies auch seinen räsonierenden Berater tränenerstickender Stimme ab. Gedankenvoll streifte derselbe zwischen den massiven Mauern entlang und geriet dabei zufällig in einen von ihnen schützend umschlossenen Garten. Er war überrascht, im Herzen dieses Steinen entwachsenen Gebäudes eine Wiese grünend vorzufinden. Nur eines gereichte ihm zu noch staunenderer Aufmerksamkeit: Ihm gegenüber, inmitten winziger bunter Blüten sowie entspannt wippender Halme, ragte unverwechselbar ein Schwert aus dem Grund, vom Knauf bis zur Blutrinne schwarz wie Obsidian. Wenngleich wohl kaum ein Schmied jemals ein vollkommeneres Schwert zu Gesicht bekommen haben dürfte, erhitzte der Anblick Ganondorfs Blut. Jener eiskalte, scharfe Stahl gehörte nicht in die kindliche Szenerie des Gartens. Gleich einem lichtschlotzenden Fremdkörper hatte er sich in den empfindlichen Organismus genistet. Entschlossen, ihn zu entfernen, streckte Ganondorf die Hand aus… Die sonderbar lebendige Aura begrüßte sie geradezu… Seine Finger wanden sich, die günstige Einladung erfassend, um den Schaft… Doch nein, sie berührten ihn nicht, denn die letzten Töne einer Weise versetzten sie in Stillstand. Ihr Gebieter erspähte die Amme Impa. Unter der Erscheinung der ruhenden Prinzessin in ihren Armen verlor das Elysium um sie her an Auffälligkeit, und ihn beschlich dieselbe Beklemmung, welche er zuvor bei der Ansicht des Jungen wahrgenommen hatte. Irrlichter wurden Zeugen eines Versuchs, den uralten Teufelskreis aufzubrechen und ihn in eine gerade Bahn zu lenken. "Ein bedauernswertes Gefilde", sprach die rotäugige Shiekah in das abendliche Idyll. Erklärung heischend hob Ganondorf den Blick. "Jener Ort, welchem Ihr entstammt. Unerbittliche Hitze am Tag, erbarmungslose Kälte in der Nacht. Euer Volk leidet Dürre und Unverständnis; den meisten von uns ist es lediglich als eine Sippe von Räubern bekannt." "Vertretet auch Ihr die Meinung, dass es unsere Strafe dafür sei, nicht an das göttliche Triummaterat der Hylianer zu glauben und unsere religiöse Treue stattdessen einer einzigen Gottheit zu erweisen?", ließ sich der Mann aus dem Westen auf eine sonst strikt gemiedene Konversation ein. Sein Gegenüber schwenkte ihr Haupt von einer Seite zur anderen. "Euer Volk lebt schlichtweg in nicht zu beneidenden Verhältnissen. Dennoch sind die Gerudo zu stolz, die angrenzenden Areale um Unterstützung zu ersuchen. Allein Ihr entwickeltet das Bewusstsein und die Opferbereitschaft, jene unzumutbare Situation zu verändern. So begabt Ihr Euch auf die Reise in dieses Land, das Euch befremdlich reich anmutet, um sein Geheimnis zu ergründen und es mit nach Hause zu nehmen wie ein dort unvorstellbares Souvenir. Ein laudables Vorhaben." Ihn wurmte die Präzision der Shiekah, mit welcher sie seinen nobel klingenden Optimismus zurückliegender Jahre rezitierte, als hätte er ein Tagebuch darüber geführt und sie es heimlich gelesen. Aber der Ausdruck seiner Miene schien nicht bei ihr anzukommen. Fortwährend ließ sie ihre langen Finger um das schimmernde Antlitz der Thronerbin fahren, als würde jene Geste allein den Schlummer des Kindes sichern. "Ich habe viel Leid erschauen müssen, Ganondorf. Aus diesem Grund öffnete sich das Dorf der Shiekah vom Weg abgekommenen Wanderern. Wir alle streben doch danach, Wohltaten zu vollbringen, wenn auch der eine dabei bloß sein eigenes Wohl im Sinn hat, der andere jenes der Allgemeinheit. In Euren Augen lese ich den majestätischen Edelmut des Anderen – sowie den inbrünstigen Wunsch, jenen Stamm, dem Ihr Euch als König verpflichtet fühlt, aus seinem ihm auferlegten Elend zu erretten. Aber wie selbst Wolken, die nur aus Dampf bestehen, so wirft auch dieses Begehr Schatten, deren sich auf Eurer lauteren Seele deutlich abzeichnende Intensität mir zur Sorge gereicht." Er wandte seine Front dem Schwert zu, welchem die Betreuerin keinerlei Achtung schenkte, und bemerkte, dass es verschwunden war. "Jetzt lecken sie ihre Wunden; bald werden sie erneut über Hyrule herfallen. Die Souveränität seines Regenten ist geschwächt und dessen Erbin ein unwiderstehlicher Schatz, der die Moral einer ganzen Nation in sich trägt. Sie werden Mirari und das Kind bedrängen. Womöglich muss ich zurück wie das irrende Kalb, das allein seine kummervolle Mutter besänftigt." "Nicht das Junge kümmert diese Mütter", entgegnete sie freiheraus. "Sie sind Usurpatoren, denen bloß der Handlanger fehlt. Wollt Ihr aus dem Sanktuarium Eurer Familie und Eures hart erarbeiteten Ruhmes wirklich in das Miasma kranker Ambitionen der Twinrova hinabsteigen? Ich spüre die Zweifel an Eurem instabilen Geist nagen. Schwingt nicht für Eure hehren Ziele ein Schwert, dessen obskuren Vorbesitzer Ihr nicht kennt, und fallt nicht ab von der Überzeugung Eures fürstlichen Verstandes. Nur so vermögt Ihr Eurem ungerechten Los zu entkommen." Unter dem Umhang glitt der waffenführende Arm hervor, und der Gerudo betrachtete seine olivgrüne Faust. "Sollte es mein Schicksal sein, die Brände des Terrors in Hyrule zu entfachen und nach der Herrschaft zu greifen, so will ich nicht vor ihm fliehen." Der Blick aus den roten Iriden wurde scharf. "Euch reizt die Vorstellung?" "Jetzt noch nicht. Doch Helden werden durch die Widersacher gemacht, die sie bezwingen, und Wohltaten nur erkannt, wenn es an etwas mangelt. Die Einsicht, verwundbar zu sein, bewahrt vor leidenschaftlichem Hochmut – eine Erkenntnis, die die Gerudo lange nicht teilten. Falls ich der Erkorene bin, diese ewigen Zahnräder in Gang zu setzen, werde ich es tun; dann haben alle anderen Gelegenheit, Helden zu sein." Nicht viele können sich rühmen, das Antlitz Impas in Verwunderung aufgehen gesehen zu haben. "Ganondorf! Kein Gesetz schreibt Königen vor, einander anzufeinden! Lasst uns einen Kompromiss für Eure zwiegespaltene Sehnsucht finden. Lasst die Dunkelheit nicht Herr über Euer Herz werden." Er stand schon unter dem Torbogen, der den Schlossgarten nach außen öffnete. "Niemals sei ein vergleichbar bestialischer Akt bezeugt worden wie jener, da Dragmire, der vormalige König, zuletzt über meine Mutter herfiel wie von einem Dämonen besessen. Wenn es auch gelänge, diesem auszuweichen: Bald wird ein anderer Anstoß den Stein, der Hyrule bedroht, ins Rollen bringen und mein Gewissen in das Giftbecken stürzen." Vom unerklärlichen Bedürfnis nach einem Sturm erfasst, schwang Ganondorf sich auf sein Pferd und ließ es über die in der Nacht ertrunkene Steppe preschen. Aerische Verirrungen stachen in seine Augen, doch er hielt sie rücksichtslos auf den Weg gerichtet, welcher in der Finsternis schwierig auszumachen war. Wie naiv er entschieden hatte, wie inkonsequent gehandelt! Kühn hatte er das Gerudo-Tal verlassen und die Hexenschwestern hintergangen, selbstgefällig die Invasion der Gerudo-Kriegerinnen zerschlagen und Naboru enttäuscht, gefügig das Haupt dieses Raub- und Mordzuges entrinnen lassen und Linklayne verraten; und wenn er nun zurückkehrte dorthin, wo die Nacht den letzten Tagesstreifen vertilgt, würden ihn die traditionellen Pflichten des gerudischen Herrschers als einziger männlicher Vertreter jene Frau, die er liebte, auf ungeheure Weise betrügen lassen. Verzweifelt warf er sich auf dem höchsten Hügel nieder und streckte die Arme gen Himmel. "Höre meine Worte, gnädige Göttin des Sandes! Ich habe Fehler begangen, unverzeihlich viele Fehler, doch jetzt bitte ich Dich: Lass mich sie sühnen! Niemals wieder will ich fortlaufen wie ein feiges Kind; ich kenne meine Bestimmung und bin bereit, mein Dasein fortan ihrer Erfüllung zu widmen, wenn Du mich nur auf den Wüstenkoloss hebst, den weit und breit nichts überragt, auf dass ich endlich klar sehen kann! Erhöre mein Flehen, Herrin, und ich werde tun, wofür Du mich in Deiner unergründlichen Weisheit vorgesehen hast." Der Wind blies weiter nach Norden. Sowie er Zeuge ward vom anschwellenden Unglück des Reiches unter einem Regenten, der von Kummer so eingelullt genauso wirksam hätte schon bestattet sein können, gewahrte er, wie eng verbunden das Geschick des Staates mit jenem des Fürsten tatsächlich war: Das Land leidet mit seinem König, aber es lebt auch mit ihm auf. Jahrelang hatte er diesem Prozess beigewohnt. Es erboste ihn, die Erkenntnis seit jeher greifbar geahnt zu haben und doch erst jetzt die Hand um sie zu schließen, wo sich das Grabtuch bereits über Hyrule gesenkt hatte. Wie einfältig von dem König, es in seinem Selbstmitleid dem Verderben an die Hand zu geben! Ganondorf nahm sich vor, verantwortungswürdiger zu sein. Als Anwärter ausgezogen, wollte er als König wiederkehren und überlegen gebieten über die harte Erde seiner Jugend, wollte die Kraft haben, die Macht haben, den Gerudo aufzutischen, was anderen Stücken dieses Weltabschnittes lange selbstverständlich war: Hoffnung. Aussicht. Eine Zukunft. Er wollte Stabilität errichten und sie selbst mit eisernem Griff festigen. Macht. Er wollte herrschen. "Ich wusste, Du würdest zurückkommen, mein lieber Ganondorf!" "Ich wusste, Du würdest zur Vernunft kommen, mein lieber Ganondorf!" Die Geierstimmen seiner Ziehmütter umkreisten ihn, kaum dass er den ersten Schritt ins Tal gesetzt hatte. Nichts hatte er mitgenommen, nichts außer dem neuen Entschluss. "Jetzt wird alles wieder gut…" "Ja, alles wieder gut…" "Ruhe Dich aus, mein lieber Sohn…" "Ja, bette Dich nieder, mein lieber Sohn, und lausche dem süßen Gesang von Kotake und Koume…" "Lass die Zweifel Deinem rechtmäßigen Zorn weichen, lass ihn wachsen…" "Wer ist schuld? Wer ist schuld?" "Ganondorf, das Triforce…" "Das Triforce vermag es, Wünsche zu verwirklichen…" "Jeden Wunsch, jeden Wunsch…" Jenem, der es besitzt. ⁂ Schreie. Purpurner Rauch dringt aus den Wunden einstiger Asyle. Marionetten mit Schwertern, Rechen treten über menschenförmige Säcke hinweg. Eine lohende Burg. Kohlschwarze Wolken, saure Tränen. Das Trommeln von Pferdehufen. Ein Blitz! – im Grauen erstarrte Masken, die trostlosen, entschlossenen Augen einer Frau, welche jüngst ihren Gatten verloren hat, im Arm das von ihm väterlich geliebte Kind. Ungewissheit. Unverständnis. Trauer, Enttäuschung und Wut. Panik. Furor. Schreie und Rauch. Energiespendende Abscheu gegenüber einem Mann, dessen respektvolle Lippen sie noch auf den ihren spüren kann. Donnern, Blitze, ein Tor in den Wald. Feuer, Furor, Gewalt. Angst. Depression. Schreie und Rauch. Krieg. Ein Einziger hob sich aus ihm hervor. Ein Jemand, der den fast fünfjährigen Zustand der Zerrissenheit für seine sinisteren Pläne zu nutzen verstanden hatte. "Eure Majestät, er ist hier…" Noch lauerte der Gast im Schummer des Korridors, am Rand der dem Tageslicht im Thronsaal weichenden Schatten. Die blutleeren Lippen des Monarchen von Hyrule bildeten ein Lächeln; seine Pupillen blieben starr. "Ahhh! König Ganondorf Agahnim Dragmire von dem Geschlecht der Gerudo, tretet vor! Eure furchtlosen Vermittlungen zwischen den unversöhnlichen Parteien während des Bürgerkrieges sind uns mitnichten verborgen geblieben! Niemandem leihe ich mit geringerem Argwohn mein Gehör! Also sprecht: Was dürfen wir für Euch tun?" Ein breites Grinsen verzerrte den Mund des Mannes, dessen Erscheinung nicht alles war, was sich auffällig pervertiert hatte. Doch hohe Mächte hatten bereits sämtliche Vorkehrungen in die Wege geleitet, um das Böse nicht widerstandslos voranschreiten zu lassen. Wenngleich er dies nun wähnte, so ragte Ganondorf keineswegs auf dem kolossalen Felsen seiner Heimat empor, denn in dem Fall hätte er voraussehen können, was ihn am Horizont erwarten und wer es sein würde, der auserkoren war, ihm Einhalt zu gebieten, wenn derjenige auch noch, von Albträumen geplagt, tief im Schutz des Waldes schlummerte, erwartend jenen Tag, da auch ihn eine Fee finden würde, ohne zu ahnen, dass dieselbe ihm den enormen Onus seiner Bestimmung offenbaren würde. Irrlichter – lasst sie spinnen und schaut aufmerksam zu! Niemals werden die zwei Fäden von Gut und Böse aus ihren Handflächen rinnen, die Legende vom Schwert der alten Ritterlinie vergessen werden, das hassverfluchte Ruhe geben und Gras über ihr Schlachtfeld wachsen können. Denn solange Hyrule existiert, wird der Erwählte aus dem Schlaf seines Alltages gerissen, um mit Licht reflektierender Klinge die Finsternis vom Antlitz der Welt zu vertreiben. Das Gute muss sich beweisen, um zu bestehen. Das Böse muss bestehen, damit das Gute sich beweist. Ganondorf erhob sich und kehrte dem König den Rücken unter der Aufsicht einer wissenden Prinzessin. Das Unheil war wiederauferstanden. Und die Irrlichter spinnen, spinnen die Geschichte eines jungen Mannes, gewandet im Grün der Wiesen, der auszieht, sein sagenhaftes Schwert wider die teuflische Macht im Königreich Hyrule zu erheben und es zu stoßen in das Triebwerk des Verderbens, die Quelle größten Übels, in das zur Rache verdammte Herz seines eigenen Vaters. Hosted by Animexx e.V. 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