Der Skorpion von Haruki_ ================================================================================ Kapitel 17: Kapitel 17 ---------------------- Jess‘ Pov Ein anderes Leben. Ein fremdes Leben. Weit hinter dem sich mir ausbreitenden Horizont. Wie jeden Abend sass ich an der Reling des Oberdecks und starrte Ewigkeiten in die Ferne in der Hoffnung, sie möge mir ein anderes Leben eröffnen. Mein altes Leben. Immer dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust, wenn ich an sie dachte. An all jene, die ich verloren hatte. An all jene, die mir beigestanden hatten, die mich auf eine Selbstmordmission begleitet hatten ohne mit der Wimper zu zucken. Alle schien ich verloren zu haben. Denn diejenigen, die noch am Leben waren, waren nicht mehr dieselben, wie zuvor. Oder war ich es? Die Sonne ging unter in einer Symphonie von Orange und Rot. Wie lodernde Flammen erschienen die Wellen in der Ferne und eine Träne entwischte meinen Augen. Mit dem Handrücken wischte ich in schon gewohnter Manier darüber. „Jess?“, drang eine sanfte Stimme an mich heran und langsame Schritte näherten sich mir. Ich hob meinen Kopf, den ich auf der Reling abgestützt hatte und stand auf. Mich meinem Gesprächspartner zuwendend seufzte ich. Seit dem er mich, Viktoria, Luffy und Jimbei aus dieser Hölle herausgeholt hatte war sein Gesicht gezeichnet. Er war blasser mit jedem Tag und seine dunklen Augenringe liessen ahnen, wie wenig er seither geschlafen hatte. Ob es seine Sorge unseretwillen war oder Alpträume konnte ich nicht sagen. Womöglich eine Mischung der beiden. „Jess, willst du in den Palast zurück oder hier bleiben? Deine Eskorte wäre sonst hier...“, sagte er müde. Ich sah an ihm vorbei an den Rand des Urwaldes hinter ihm. Da standen Sandersonia und Mariegold, die wie jeden Abend auf mich warteten. Jeden Abend hatte ich die Wahl auf Laws Schiff zu bleiben oder in Boas Palast zu übernachten. Diese Möglichkeit hatten sie mir offen gehalten, da sie dachten, es würde meiner Genesung helfen, wenn ich mit dieser Entscheidung unter keinem Zwang stünde. Und dennoch musste ich jeden Tag zurück zu Law, um mich untersuchen zu lassen, was den Aufenthalt hier ohnehin unabdingbar machte. Dank Boa durften Law und seine Crew an Amazon Lily anlegen, die Insel jedoch nur bis zu einer Abgrenzung betreten. Ich wiederum durfte mich frei bewegen und jeden Abend entscheiden, wo ich mich wohler fühlte zu übernachten. Boa schickte jedoch jeden Abend jemanden, um mich abzuholen, da laut Law die Gefahr bestand, dass ich einen Nervenzusammenbruch erleiden könnte, sollte ich mich allzu sehr alleine fühlen. Doch bisher war nichts dergleichen geschehen. „Jass?“, fragte Law noch einmal ruhig und legte den Kopf leicht schief. Ein Stich ging mir durchs Herz. Für einen Moment hatte ich Ace vor mir gesehen. Diese Gestik, den Kopf schief zu legen... Das hatte Ace immer... Schnell schüttelte ich den Kopf. „Palast...“, sagte ich schlicht und ging an ihm vorbei. „Bis morgen Jess“, hörte ich Law noch hinter mir. Ich hob nur eine Hand und ging wortlos weiter. Angenehm kühle Luft wehte durch die offene Balkontüre herein und über mein Gesicht. Das riesige Himmelbett, in dem ich lag liess mich kaum einschlafen. Darin fühlte ich mich einsam. Ich drehte mich auf die rechte Seite und sah hinaus in den sternenklaren Himmel und hinauf zum Vollmond, der das ganze Zimmer hell erleuchtete. Langsam glitt ich unter den Laken hervor und setzte leise meine Füsse auf dem Boden auf. Meine Schritte lenkten mich auf den Balkon, hinaus an die frische Nachtluft. Dort strich ich mit einer Hand leicht über das Geländer und sah hinaus aufs Meer, welches weit hinter der Stadt und dem Jungel zu sehen war. Auch von hier aus erkannte ich das Glitzern millioner Sterne auf dem wogenden Wasser und schloss für einen Moment die Augen, als wieder ein sanfter Windstoss über mein Gesicht wehte. Zwei starke Arme zogen mich in eine sanfte Umarmung und umschlossen meinen Oberkörper. Ein Kopf legte sich auf meine Schulter und lehnte gegen den meinen. Ruhig atmend. Nur diesen Moment lebend. Würde ich die Augen öffnen, würde er verschwinden. Tränen flossen leise über meine Wangen und mit dem Erliegen des Winds war auch er wieder verschwunden. Ich war alleine. Tränen tropften auf meine zitternden Hände, welche auf dem steinernen Geländer ruhten. Mir Ace‘ Präsenz einzubilden war sowohl ein Trost, für einige Sekunden, als auch ein harter Schlag, wenn ich aus dieser kurzen Trance erwachte. Meine Brust schmerzte heftig. Hatte ich es dieses Mal übertrieben? Hatte mich das eben wieder zu sehr aufgeregt? Die Wunde war bisher nicht richtig verheilt, trotz meiner heilenden Fähigkeit. Ich ignorierte den Schmerz. Wut bahnte sich mit einem Mal ihren Weg an die Oberfläche. Warum konnte ich mich nicht mehr selbst heilen? Warum konnte ich Ace nicht heilen? Warum war es mir vergönnt irgendjemandem auch nur im Geringsten zu helfen? Egal was ich tat, es machte alles nur noch schlimmer. Hätte ich Ace einfach in Ketten gelegt und mitgenommen in Alabasta wäre das alles nicht passiert. Und wieder war ich diejenige, die der Hilfe anderer benötigte. Luffy hatte Rayleigh, der ihn aufrichtete und mit ihm trainierte. Luffy hatte sich von allen anderen abgeschottet, um wieder auf Kurs zu kommen. Ich sass nur hier oder auf Laws Schiff herum und tat nichts als ins Leere zu starren und vor mich hin zu weinen. Ace war tot und daran konnte ich nichts ändern. Entschlossen wandte ich mich um, tauschte meine kurzen Hosen und das Top, welche ich zum Schlafen trug gegen meine kampftauglichen Kleider ein und packte meine Sachen zusammen. Das Meiste hatte ich jedoch noch an Bord von Laws Schiff. Schnell hinterliess ich noch einen Brief für Boa und ihre Schwestern und sprang vom Balkon. Boa’s Pov „Sie geht ohne ein Wort zu sagen, Schwester“, sagte Sandersonia, als sie sich zu Boa auf die Terrasse begab. „Ich habe mich gefragt, wann sie wohl soweit ist“, antwortete Boa nur lächelnd und sah ihrer Freun-din nach, wie sie mit ihren rot lodernden Flügeln in Richtung Bucht flog. Sie wusste, dass Jess es nicht lange hier aushalten würde. Sie musste einen Weg finden um mit all dem Geschehenen alleine zurecht zu kommen. Irgendwann würden sie sich wieder sehen. Ganz bestimmt. Jess‘ Pov Ich schnappte nach Luft und spuckte Wasser aus. Mein Rachen brannte und meine Lunge fühlte sich an als hätte sie vorläufig die Aufgaben eines Wassertanks übernehmen wollen. „Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen!“, schrie mich jemand an, doch ich hatte noch so viel Wasser in den Ohren, dass ich erst nicht ausmachen konnte wer es war. „Ihr beide! Habt ihr eure Intelligenz etwa in Marineford liegen lassen oder was?!“ Jetzt erkannte ich sie unweigerlich. Diejenige, die mich anschrie war Viktoria und sie kochte vor Wut. Ich liess mich keuchend zurück auf den Rücken fallen und hielt mir meine schmerzende Brust. Die Wunde hatte sich wieder geöffnet. Viktoria stand über mir, klitschnass und mit hochrotem Kopf. „Und du... Kurz vergessen, dass du auch nicht schwimmen kannst oder ist unser Star-Chirurg etwa noch grössenwahnsinniger als sonst?! Hast du etwa gedacht, du könntest die Naturgesetzte mal kurz wegoperieren oder was?!“. Neben mir hustete Law und lag erschöpft und keuchend im Gras. Wir beide liessen Viktorias Wutausbruch über uns ergehen. Viel zu unserer Verteidigung beitragen konnten wir ohnehin nicht. Immerhin hatte sie uns gerade beiden das Leben gerettet. Nach einer gefühlten Ewigkeit stapfte Viktoria entnervt davon mit den Worten: „Ihr macht mich echt fertig... wirklich... Ich geh schlafen...“. Law und ich lagen eine ganze Weile still nebeneinander im Gras. Dann ergriff ich das Wort: „Es tut mir leid...“, begann ich und Law lachte plötzlich auf. „Bin ich froh, dass du wieder lebst!“, lachte er und fasste sich mit einer Hand erschöpft an die Stirn. „Wie bitte?“, fragte ich erstaunt und wandte den Kopf. „Du lebst wieder. Versteh mich nicht falsch... Deine Aktion gerade, dich an Bord zu schleichen, deine Sachen zu packen, mir Schmerzmittel zu klauen und zu versuchen in deinem Zustand aus eigener Kraft zur nächsten Insel zu fliegen war das dümmste, was du je getan hast, aber immerhin ein Zeichen, dass du wieder lebst und nicht vor dich hin vegetierst“, sagte Law und die Erleichterung war in jedem seiner Worte deutlich zu hören. Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte. „Weißt du Jess, irgendwie habe ich gehofft, dass du eine aggressive Phase durchmachst wie Luffy sie hatte, als er aufgewacht ist. Ich hatte gehofft, dass du dich dann wirklich mit deinem Verlust auseinandersetzen könntest. Denn das, was du die letzten Wochen durchgezogen hast... Dieses deprimierte, nicht darüber reden und alles in dich hineinzufressen, das musste ja schief gehen. Du warst wie eine tickende Zeitbombe...“. Ich seufzte. Da hatte er wohl Recht und das war mir bewusst. Meine derzeitige Verfassung war alles andere als vorteilhaft, wollte ich mich wirklich alleine auf den Weg machen. Abgesehen davon hatte ich kein Boot und bis zur nächsten Insel zu fliegen würde ich auch in meiner besten Verfassung nicht schaffen. „Du willst weg von hier? Dann fahren wir. Aber du musst mir versprechen, dass du dich schonst bis das da“, er zeigte auf die Wunde, „gänzlich verheilt ist“. Ich bejahte und setzte mich auf. Ein heftig stechender Schmerz in meiner Brust liess mich krampfhaft zusammenzucken, was Law alarmierte. Blut war bereits durch die Bandage hindurch zu sehen. „Komm, das sollte ich mir gleich ansehen“, sagte er nun wieder besorgt und hob mich mit Leichtig-keit in die Arme, trug mich zum Schiff und gab der Crew im Vorbeigehen den Befehl zum Auslaufen... ... Ein warmer nostalgischer Wind wehte über mein Gesicht und durch meine Haare. Das grüne Gras unter mir gab sachte nach, wenn ich einen Fuss darauf setzte und die sanften Wogen des Windes liessen die weiten Grasflächen aussehen wie fliessendes Wasser. Es war ein beruhigendes Bild, welches sich mir bot, kaum hatte ich einen Fuss auf diese Insel gesetzt. Sie war völlig unbewohnt und hatte man erst einmal einige Meter zwischen sich und die Küste gebracht war man auch schon im Herzen der Insel und überblickte diesen kleinen grünen Hügel, der sich aus der Tiefe der See erhob komplett. Ausser Gras gab es da gar nichts, bis auf zwei Gräber in der Mitte der Insel. Es war beinahe als könne man die Präsenz zweier verstorbener Seelen wahrnehmen, denn die Luft bewegte sich nicht nur über die Insel, sondern um die Gräber herum. Eine andächtige und trotzdem lebendige Atmosphäre herrschte da und sie nahm mich auch sogleich gefangen. Mein Herz schlug ruhig und langsam. Mein Blick war ständig auf die Gräber vor mir gerichtet, als ich mich langsam näherte. Ich war vollkommen alleine und sah Whitebeards Grab hoch. Sein Mantel flatterte im Wind und auch Ace‘ Hut bewegte sich leicht hin und her. Einige Blumenblätter wurden davon getragen wie winzig kleine Flocken, als wäre jede einzelne ein Gruss an Bekannte. Mit einer Hand strich ich sanft über Ace‘ Grabstein und mir wurde mehr denn je bewusst, dass er nie mehr wiederkommen würde. Tränen rannen mir über die Wangen, doch nicht mehr still, wie sie es bis anhin getan hatten. Schluchzend begann ich zu begreifen. Er war fort. Ace war fort. Ich würde ihn niemals wieder sehen. Ich würde ihm niemals wieder sagen können, dass ich ihn liebte. Niemals wieder würde ich mit ihm an Bord der Moby Dick trainieren, lachen, Marco auf den Arm nehmen, mit ihm und den Jungs auf Sauftour gehen... Nichts davon würde ich jemals wieder tun können. Warum hatte ich nur so lange gebraucht, um zur Moby Dick zurück zu kehren damals? Warum konnte ich nicht noch etwas mehr Zeit mit ihm verbringen? „Warum du Pyroidiot?!“, schrie ich verzweifelt, „Warum verlässt du mich genau jetzt?! Konntest du nicht einmal an mich denken?!!! Was soll ich jetzt ohne dich tun??!!“. Ein starker Windstoss blies mir direkt ins Gesicht und ich hob einen Arm schützend vor meine Augen. „Was willst du?! Sag’s mir! Was soll ich tun ohne dich?!“, schrie ich erneut, brach schluchzend zusammen und sank auf die Knie. Das Gesicht in den Händen verborgen weinte ich und stellte mir immerzu dieselbe Frage: Warum musste er jetzt schon gehen? „Ich kann das nicht, Ace...“, schluchzte ich nach einer Weile. „Ich weiss nicht, was ich nun tun soll... Zurück zur Crew kann ich noch nicht. Zu meinem Vater auch nicht. Keiner von ihnen würde mich mehr gehen lassen. Ich bin alleine, Ace... Ohne dich... was soll ich nur tun...?“. Die Stille erdrückte mich mit meiner Trauer. Ich war allein... „Wenn du willst... kannst du mit mir mitkommen...“, sprach plötzlich eine sanfte vertraute Stimme neben mir und ich sah völlig hilflos und tränenüberströmt auf. Neben mir hatte sich Sabo ins Gras gekniet und lächelte mich an. Doch seine Augen lächelten nicht. Sie waren erfüllt von ebenso tiefer Trauer, wie die meinen. Die Erleichterung Sabo neben mir zu sehen liess meinen Tränen erneut freien Lauf und Sabo zog mich tröstend in seine Arme. Ich weinte an seiner Schulter und auch er weinte leise, versuchte jedoch trotz allem mich zu trösten. Als wir uns beide einigermassen beruhigt hatten und die Tränen abgewischt waren stand Sabo auf, kramte etwas aus seiner Tasche hervor und ging direkt zu Ace‘ Grabstein. Dort legte er eine Zeitung, eine Flasche Sake und drei Sake Schalen darauf, in welche er zuletzt auch Sake eingoss. Ich stand die ganze Zeit neben ihm und sah ihn von der Seite her an. Sabo sah lange nur auf Ace‘ Grab und stille Tränen rannen über seine Wangen bis er schliesslich mit einem Ärmel darüber wischte und mich anlächelte. „Was sagst du? Willst du mit mir mitkommen fürs Erste? Du kannst natürlich jederzeit wieder gehen“, versicherte er mir. Ich nahm dankend an und wir machten uns auf den Weg zu Sabos Schiff. Doch kaum hatten wir uns einige Schritte vom Grab entfernt blieb ich stehen, wandte ich mich noch einmal um und liess Sabo vorgehen. Mein Blick fiel auf meinen Verlobungsring und ich drehte ihn einige Male nachdenklich um meinen Finger. Würde ich über Ace‘ Tod irgendwie hinweg kommen wollen, musste ich ihn loslassen. Ich musste meine Trauer gehen lassen und Abschied nehmen. Abschied nehmen von der Idee mein Leben mit ihm zu verbringen. Mich an ein Leben ohne ihn gewöhnen. Schnell rannte ich zurück zu seinem Grabstein und hielt inne, den Ring in meiner Hand. Mein Herz fühlte sich für einen Moment an, als wolle es entzwei brechen. „Danke Ace... Für alles...“, sagte ich leise und legte den Ring neben Sabos Sake Schalen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)