Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 23: Kapitel 23 ---------------------- ~Aoi POV~ „Ich sagte doch, dass dir ein bisschen Farbe stehen würde! Du bist sonst immer so düster!“ Ich sah auf und begegnete Tsukoyomi-sans Blick. Er schien sichtlich erfreut darüber zu sein, dass ich gestern einem Stilwechsel zugestimmt hatte. Auch für mich war es etwas Besonderes gewesen. Immerhin war das hier so was wie ein Neuanfang für mich. Daher hatte ich auch entschieden, dass die langen Haare weg mussten. Allerdings war Tsukoyomi-san nicht ganz damit zufrieden gewesen mir nur kurze Haare zu verpassen. Er meinte ich wäre viel zu düster und mit Make-up würde es noch schlimmer aussehen. Ich hatte eigentlich kein Problem mit düster, aber dennoch hatte ich eingewilligt, als er mir vorschlug zumindest mein Deckhaar zu färben, während der Rest schwarz blieb. Da weder Blond noch Giftgrün meine Farben sind (und Letzteres eher ausgesehen hätte, als hätte mir jemand die Haare vollgekotzt), hatte ich mich schließlich für ein kräftiges Rot entschieden. Umso größer war der Schock, als mir nach dem Färben ein blasses Rosa im Spiegel entgegenleuchtete. Irgendein Idiot hatte die Färbemittel vertauscht! Tsukoyomi-san war wirklich untröstlich und unser Manager verdammt sauer gewesen. Unser Stylist hatte noch versucht zu retten, was zu retten war und als ich eine Stunde später mit knallig pinken Haaren den Raum verließ hob Ruki anerkennend den Daumen. „Das sieht wirklich gut aus!“, lobte er mich und fügte auf Englisch hinzu: „Only a real man can wear pink!“ „An was denkst du gerade, Aoi?“, fragte der Vocal, der neben mir in der Garderobe saß und einen perfekten Lidstrich zog, während Tsukoyomi-san eine meiner Haarsträhnen zwischen seinen Fingern zwirbelte und sie mit viel Haarspray aufrichtete. Ich rutschte unruhig auf dem Stuhl herum und schüttelte den Kopf. „Nichts Wichtiges!“ Ich hatte wirklich das Gefühl, dass meine Wangen bei der Lüge zu glühen begannen. Ruki war nicht der Einzige gewesen, dem meine Haare gefielen. Auch Uruha hatte sich gestern Abend zu Hause im Lift eine Strähne um die Finger gewickelt und daran gezupft, während sich sein Körper an meinen presste. Sein herber Duft umfing mich, ließ mich ganz benebelt gegen die Kabinenwand des Lifts sinken. „Ich dachte eigentlich, dass du einen roten Farbton wählen würdest“, murmelte er leise, beinahe so, als hätte er es gar nicht laut aussprechen wollen. „Aber um ehrlich zu sein steht dir das Pink besser. Es lässt deine Züge nicht so hart wirken.“ Mein Körper war wie erstarrt. Jedes Mal, wenn er mir so nahe kam wurde mir ganz heiß. Meine Finger zitterten. Doch noch bevor ich entscheiden konnte, ob ich sie in seinen, nun ganz braunen Haaren, vergraben sollte oder nicht, hatte er sich wieder von mir gelöst und ich brauchte die ganze Zeit bis in die Wohnung, um mich wieder unter Kontrolle zu bekommen, weil mir mein Herz immer noch bis zum Hals schlug. Ich fühlte mich in seiner Nähe immer so unsicher. Klar kamen wir gut miteinander aus. Wir blödelten auch oft genug herum. Aber andererseits ließ mich seine Nähe auch immer atemlos zurück, während mein Kopf mich anschrie, weshalb zum Teufel ich jedes Mal die AUS-Taste meines Gehirns drückte, wenn Uruha ins Spiel kam. „So! Genug geträumt, die Haare sind fertig. Jetzt fehlt nur noch das Make-up!“ Damit drehte Tsukoyomi-san den Stuhl, sodass ich mit dem Rücken zum Spiegel saß und er sich vor mich stellen konnte. „Hmm ich würde mal sagen, wir versuchen zuerst etwas Dezentes. Aber wir müssen unbedingt deine Augenringe überschminken!“ Ruki erhob sich und nickte mir aufmunternd zu. Ich versuchte ein optimistisches Lächeln, doch es misslang ziemlich in Anbetracht dessen, dass ich in nicht ganz einer Stunde den ganzen Reportern Rede und Antwort stehen musste. Die Nervosität, die mich wegen dieser Pressekonferenz beschlich, war beinahe nicht mehr zu ertragen. Ich hatte die ganze Nacht kaum geschlafen, weil dieses nagende Gefühl einfach nicht verschwinden wollte. Es konnte so viel schief gehen! Stunde um Stunde hatte ich mich wach auf dem Sofa hin und her gewälzt, aber der Schlaf war nicht gekommen. Als ich schließlich doch von Uruha geweckt wurde fühlte ich mich wie gerädert. Und so sah ich auch tatsächlich aus. Ich versuchte die nun aufkommende Nervosität wieder irgendwie zu vertreiben und atmete tief durch. Noch war es nicht so weit! Noch musste ich nicht vor die ganzen Reporter treten! Mein Puls, der vor Anspannung in die Höhe geschnellt war, begann sich wieder etwas zu beruhigen. Das Übelkeitsgefühl aber blieb. Uruha tauchte neben mir auf, als Tsukoyomi-san begann den Puder aufzutragen. Auch er war schon fertig geschminkt und angezogen, aber anscheinend mussten bei ihm noch die Haare gemacht werden. Er legte eine Hand auf meine Schulter und sah mich ernst an. „Alles in Ordnung?“ Ich wusste gar nicht, wie oft ich diese Frage heute schon gehört hatte und wie oft ich daraufhin schon mit ‚JA’ geantwortet hatte. Wieder nickte ich, während Tsukoyomi-san sich wegdrehte um nach einem Pinsel zu greifen. Uruhas Blick war durchdringend, so als würde er mir nicht glauben, doch dann nickte er einfach nur und setzte sich auf den leeren Platz neben mich, wo auch gleich jemand erschien, um sich um seine Frisur zu kümmern. Ich war froh darüber, dass er nicht nachbohrte. Er schien wie üblich zu verstehen, dass ich das mit mir alleine ausmachen musste. Diese Angst war nicht wirklich gerechtfertigt, wenn man bedachte wie viele Interviews ich bereits gegeben hatte. Und dennoch schwitzten meine Hände, meine Atmung wurde schneller und abgehakter und mein Herz begann schneller zu pochen, als ich daran dachte, dass es bald losging. „Hast du schon das Curry probiert, das Kai mitgebracht hat?“ Ich hob die Augenbrauen. Uruha bot mir eine willkommene Ablenkung. Vielleicht war das auch Sinn der Sache gewesen. Da war ich mir bei ihm nie ganz sicher. Allerdings kannte er mich besser als jeder andere, einschließlich mir selbst. „Er hat Curry mitgebracht?“ Tsukoyomi-san schnalzte laut mir der Zunge und sah mich ungehalten an. „Halt still und mach die Augen zu, oder willst du, dass ich den Eyeliner über dein ganzes Gesicht verteile?“ Uruha schmunzelte leicht und nickte. „Ja und es ist wirklich lecker! Du solltest es probieren!“ Ich bemerkte, worauf das hinauslief! Uruha wusste nur zu gut, dass ich heute vor Aufregung noch nichts in den Magen bekommen hatte. Wenn ich nicht dieses dumme Gefühl hätte gleich alles wieder hochzuwürgen, hätte ich zumindest versucht etwas zu essen. Doch die Nervosität schnürte mir die Kehle zu. „Ich hab keinen Hunger!“ „Und dann beginnt dein Magen vor der ganzen Meute zu grummeln…“ Uruhas leises Lachen war in der Garderobe zu hören. Eine leichte Gänsehaut zog sich über meine Arme. Gott, dieses Lachen war so wundervoll! Mir wurde ganz warm. Meine Anspannung lockerte sich ein bisschen, während ich meine Augen schloss, damit Tsukoyomi-san den Lidstrich ziehen und Lidschatten auftragen konnte – in Schwarz natürlich. Er musterte mich und nickte dann. „Wir belassen es dabei!“ Als ich mich nun wieder dem Spiegel zuwandte schnappte ich leise nach Luft. Ich erkannte mich selbst kaum wieder. Dieser Mann im Spiegel … war das tatsächlich ich? Uruhas Blick lag ernst auf mir. Dann begann er zu lächeln. „Du siehst fantastisch aus!“ Wieder verfärbten sich meine Wangen rot, was man selbst durch die Puderschicht erkennen konnte. Warum sagte er immer solche Dinge? Warum war er so verdammt direkt? Merkte er denn nicht, dass es mich jedes Mal verlegen machte, wenn er so was sagte? Ich konnte damit einfach nicht umgehen. „Danke … du aber auch!“ Es war nicht reine Höflichkeit, die mich dazu veranlasste das Kompliment zu erwidern. Uruha sah unglaublich gut aus mit der schwarzen, zerrissenen Hose und dem nietenbesetzten, tief ausgeschnittenen Oberteil. Darüber würde noch eine Jacke kommen, aber auch so schien das Outfit ausgehtauglich zu sein! Er verzog seine vollen Lippen nur zu einem zufriedenen Grinsen und erhob sich, da er nun auch fertig war. „Ich weiß!“ „NEIN! Das sehen wir nicht ein! Wir haben immer betont, dass uns die Fans sehr wichtig sind! Was glauben Sie, was sie wohl empfinden, wenn die Band sich hinter ihrem Rücken ins Hotel stiehlt!? Das geht nicht! Sie haben auch ein Recht darauf uns zu sehen! Vor allem, wenn sie seit Tagen vor dem Hotel warten!“ Uruha und ich erstarrten an der Tür, als Kais wütende Stimme zu uns auf den Gang drang. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Aber auch Reita und Ruki hatten ihre Arme verschränkt und starrten wütend vor sich her. „Das ist nicht unser Problem! Wir haben sie schließlich nicht dazu aufgefordert!“ Wem gehörte diese Stimme? „Das tun wir bei Lives auch nicht und sie machen es trotzdem!“ Ich beugte mich etwas weiter vor um einen Blick auf den Mann zu werfen, mit dem Kai sich gerade in der Wolle hatte. Sotooka-san? „Ich stimme Kai in dem Punkt voll zu. Wir sind nur so lange beliebt bei den Fans, solange wir auch uns treu sind!“, stellte sich Reita hinter unseren Drummer. „Wir wollen ja keine großen Reden schwingen! Aber sich still und heimlich ins Hotel zu schleichen macht keinen guten Eindruck! Man glaubt wohlmöglich noch, dass wir was vor ihnen verbergen wollen!“, gab nun auch Ruki zu bedenken. „Versuchen Sie uns zu verstehen! Aoi-san ist noch nicht bereit dafür über einen roten Teppich zu laufen und seine Fans zu begrüßen! Wir haben ausgemacht, dass ihr zum Hotel fahrt und während wir durch den Vordereingang gehen werden, benutzt ihr den Lieferanteneingang!“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Warum versuchten alle darüber zu bestimmen, was ich konnte und was nicht? Und warum sollte ich dazu nicht bereit sein? Immerhin musste ich auch mit auf diese Pressekonferenz, was vermutlich schlimmer war, als den Fans nett zuzuwinken! Kai verdrehte die Augen und schüttelte ungehalten den Kopf. „Das ist nicht unsere Art und das wissen Sie genau!“ Sotooka-san zuckte nur mit den Schultern und nickte vage. „Natürlich wissen wir das. Aber das ändert nichts an der Situation.“ Uruhas Finger lagen immer noch am Türgriff. Er warf mir einen kurzen Blick zu, den ich aber nicht deuten konnte, dann stieß er die Tür auf und ich folgte ihm in den Raum. Bevor ich etwas sagen konnte, drehte Sotooka-san sich zu uns um und nickte. „Gut, dass ihr nun auch fertig seid! Lasst uns losfahren. Wir sind eh schon knapp dran!“ Damit schien das Gespräch für ihn offenbar beendet zu sein, denn er ging einfach und ließ uns zurück. Kai starrte ihm hinterher und fluchte leise. „Wir sind doch keine Diebe, die sich hinterrücks ins Haus schleichen!“, moserte er wütend. „Was bilden die sich eigentlich ein!?“ Meine Kollegen sahen wirklich ernsthaft sauer aus. Auch Uruha biss nun heftig die Zähne zusammen, während er seine Jacke anzog. Ich wusste ganz ehrlich gesagt nicht wirklich ob ich froh darüber sein sollte, dass mir die Sache mit den Fans erspart blieb oder eben nicht. Einerseits empfand ich es als bodenlose Frechheit, dass andere versuchten mir zu sagen, für was ich bereit war und für was nicht. Das war immer noch meine Entscheidung. Andererseits war ich mir im Moment nicht sicher, ob ich mich dazu im Stande fühlte einer weiteren Horde von Leuten gegenüberzutreten. Auch ich griff nach der Jacke, die Chirac-san für mich rausgelegt hatte. „Leute! Kommt ihr?!“, rief unser Manager in den Raum. Ruki seufzte abgrundtief. „Kommt, sonst nimmt das noch ein schlechtes Ende! Es wäre schlimmer für alle, wenn wir die Pressekonferenz deswegen boykottieren.“ Wir folgten unserem Vocal schweigend. Erst als wir in dem Auto mit den verdunkelten Fensterscheiben saßen begann die Diskussion von vorne. „Das wirft ein denkbar schlechtes Licht auf uns! Ich meine, die warten doch schon seit Tagen vor dem Hotel! Nicht, dass das was Neues ist, aber wenn sie uns nach der langen Zeit so unterstützen, dann können wir ihnen das nicht antun!“ Kai seufzte und schüttelte den Kopf. Es war nicht unsere Entscheidung gewesen. Ich schluckte trocken, als der Wagen startete und losrollte. Mein Herzschlag beschleunigte sofort wieder, als die altbekannte Panik in mir hoch kam. Nur nicht aus den Fenstern sehen! Als hätte er es geahnt hielt Uruha mir seine Hand entgegen. Er überließ es mir, ob ich sie annehmen wollte, oder nicht. Ich griff danach, ohne lange zu überlegen. Ich war mit der Situation so überfordert, dass ich Halt brauchte. Seine Lippen verzogen sich augenblicklich zu einem zufriedenen Lächeln. Während die anderen weiterdiskutierten sah ich betreten auf unsere Hände hinunter. Kai hatte Recht. Der Unfall war nun schon über ein halbes Jahr her. Dennoch standen Fans vor dem Hotel um uns zu sehen, um mich zu sehen! Sie hatten mir Genesungskarten geschrieben, mir Geschenke, Blumen und Gebetsbänder geschickt. Wie konnte ich sie dann jetzt enttäuschen, wenn sie mich nur sehen wollten? Es ging doch nicht um mehr, oder? Ich klopfte gegen die geschlossene Scheibe, hinter der der Fahrer verborgen war. Nach dem Einverständnis der anderen fragte ich gar nicht erst. Wenn sie es nicht wollen würden, hätte es diese Diskussion nicht gegeben. Ich räusperte mich, während ich mich hinüberbeugte, als die dunkle Scheibe nach unten glitt. „Sagen Sie … würden Sie einen kleinen Umweg fahren?“, fragte ich den Fahrer dann, als die Scheibe zwischen uns verschwunden war. „Ich habe strikte Anweisung euch auf direktem Weg zum Lieferanteneingang des Hotels zu bringen!“ Ruki quetschte sich zwischen Uruha und mich, um auch in die Fahrerkabine sehen zu können. „Drücken Sie ein Auge zu und lassen Sie uns am Vordereingang raus!“ Die anderen hatten ihr Gespräch eingestellt und hörten aufmerksam zu. „Es tut mir wirklich leid, aber ich habe eine Frau und zwei Kinder. Ich kann es mir nicht leisten den Job zu verlieren, nur weil ich euch einen Gefallen tun wollte!“ Und dann ging die Scheibe wieder nach oben. Ruki schaffte es gerade noch seine Finger wegzuziehen, bevor sie eingeklemmt wurden. Er fluchte leise, ließ sich ungehalten in den Sitz sinken und starrte nach draußen auf die Straße. Ungläubig sah ich die anderen an und runzelte die Stirn. Was sollte das!? Wir waren doch keine Babys zum Teufel noch Mal!! „Wir haben es zumindest versucht!“ Kais Aussage blieb unkommentiert, bis der Wagen im Hinterhof hielt. Ich ließ Uruhas Hand los, stieg aus und ging langsam los. Wow, dieses Hotel sah ja wirklich ziemlich protzig aus. Vermutlich kostete die Saalmiete ein halbes Vermögen! Unser Fahrer stieg aus und deutete auf eine Tür. „Das ist der Eingang … Aoi-san Sie gehen in die falsche Richtung!!“ Ich wusste nicht woher diese Eingebung plötzlich kam - vielleicht aus Trotz. Im Gehen drehte ich mich um und sah den Mann an. „Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt und uns in den Hinterhof gefahren.“ Ein freches Grinsen erschien auf meinem Gesicht. „Was können Sie dafür, wenn ich zu dämlich bin den richtigen Eingang zu finden?“ Reita begann zu lachen und klatschte in die Hände. „Klar … ich bin dabei! Wissen Sie … mein Orientierungssinn ist nicht der Beste“, meinte er dann nur und legte mir einen Arm um die Schultern. Auch die Gesichter der anderen hellten sich auf. „Aoi, ist das wirklich in Ordnung für dich?“ Ich schluckte trocken und sah zu Uruha auf, der vor mir stehen geblieben war und mich besorgt musterte. Er wusste wie aufgeregt ich war, vermutlich sah man es mir auch auf 100 Metern an. „In Ordnung … ich glaube mein Puls ist mindestens auf 200, mein Herz rast, als würde ich einen Marathon laufen, meine Hände zittern und ich kann vor Aufregung kaum ruhig stehen. Aber ich bin es ihnen schuldig! Wir sind es ihnen schuldig! Ich kann sie nicht im Stich lassen und das werde ich auch nicht!“ Uruha erwiderte meinen Blick ernst und nickte mir dann zu. „Ich wusste, dass der alte Aoi noch irgendwo in dir ist“, sagte er dann leise und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Erschrocken riss ich die Augen auf und erstarrte wieder. Warum machte er das!? Vor allen anderen! Bevor ich jedoch irgendwie reagieren konnte, löste er sich schon wieder von mir. Perplex sah ich ihm hinterher, als er an mir vorbeiging und mit Reita zusammen auf die Straße hinter dem Hotel trat. Kai blieb bei mir stehen und sah ihnen hinterher. „Na dann, lass uns unseren Fans guten Tag sagen!“ So bestimmt ich auch meine Überzeugung gerade eben durchgesetzt hatte, desto unsicherer wurde ich dafür jetzt. Das Wissen, dass die anderen hinter mir standen hatte mich stark gemacht, doch nun würde es zur Konfrontation kommen. Ich hätte doch wissen müssen, dass man Dinge leicht sagte, sie umzusetzen war allerdings umso schwerer. Mit jedem Schritt, den ich ging wurde mein Herzschlag schneller. Das Blut rauschte laut in meinen Ohren und meine Beine fühlten sich ganz wackelig an. Mir war schlecht vor Nervosität. Ich fühlte mich ganz elend. Obwohl es sich zuvor noch richtig angefühlt hatte, wünschte ich mir in diesem Moment doch durch die unscheinbare Tür gegangen zu sein. Ich machte beinahe einen Satz zurück, als Uruha plötzlich wieder vor mir stand und mich besorgt musterte. Wo war er plötzlich hergekommen. „Träumst du?“ Seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Seine warme Handfläche legte sich an meine Wange. Er streichelte zärtlich mit dem Daumen über meine Lippen. „Ich weiß, dass du das kannst! Aoi, das ist unser Leben! Wir lieben es! Hab Vertrauen in dich, so wie wir anderen auch!“ Ich schloss meine Augen und genoss die Berührung, bei der mir ein heißer Schauer über den Rücken lief. „Geht es wieder?“ Ich nickte nervös und schluckte trocken. Ich fühlte mich aufgekratzt, ganz kribbelig. Ich musste etwas tun, bevor ich mich wieder umdrehte und zurückging. „Dann los!“ Ruki, Kai und Reita waren bereits vorgegangen, was ich gar nicht gemerkt hatte. Ich schluckte den dicken Klos in meinem Hals hinunter und folgte dann den anderen – mit Uruha an meiner Seite. Durchdringendes Gekreische setzte ein, als die Fans uns schließlich bemerkten. Uruha setzte sofort ein strahlendes Lächeln auf. Kein Wunder, dass die Fans so auf ihn abfuhren. Er sah damit irgendwie richtig … heiß aus. Ich fühlte mich zittrig vor den ganzen Leuten. Aber seine Nähe half mir dabei ruhig zu bleiben und das durchzuziehen. „Aoi lächeln und winken!“ Ich musste über seinen trockenen Kommentar leise lachen und hob nun auch meinen Arm, was die Meute noch lauter zum Kreischen brachte. „Es ist … unglaublich Uruha!“, flüsterte ich. Überwältigend traf es wohl eher. Ich kann nicht beschreiben, welche Gefühle durch mich hindurchflossen. Überraschung. Glück. Freude. Ehrfurcht. Sie kreischten unsere Namen, verlangten nach Aufmerksamkeit! Und obwohl ich zuvor solche Panik vor dem Trubel gehabt hatte, waren es die überwältigenden Glücksgefühle, die nun überwogen, als ich vor die kreischende Menge trat. Die Securitykräfte hatten alle Hände voll zu tun um die Situation ein bisschen zu entspannen, als die Fans gegen die Absperrungen drängten, ihre Arme nach uns reckten. Mein Puls wurde wieder normal während Reita mich neben sich zog, um für Fotos zu posieren. Ein weiteres Gefühl brandete in mir auf. Dankbarkeit! Dankbarkeit gegenüber den Leuten, die uns nicht aufgegeben hatten, die mich nicht aufgegeben hatten. Ich hob kurz die Arme und bedeutete der Menge ruhiger zu sein und mit einem Mal kehrte absolute Stille ein. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, selbst die der Band. Die Ruhe war beinahe unheimlich. Doch die Panik, die mich zuvor noch so fest in ihren Klauen hatte, war verschwunden. Meine Stimme war klar und fest, als ich zu sprechen begann. „Eine sehr schwierige Zeit ist nun vorbei! Ich möchte mich bei allen, die Uruha, mich und die Band so wundervoll unterstützt haben bedanken! Vielen Dank für die Genesungswünsche, eure wundervolle Unterstützung und euren Glauben an uns!“ Das Geschrei setzte wieder ein, als wir uns unisono verbeugten. Meine Verbeugung fiel nicht ganz so tief aus, wie die der anderen, da mein Kopf heftig zu pochen begann, als ich mich nach unten beugte, weshalb ich mich auch recht schnell wieder aufrichtete. Als ich die, vor Freude glitzernden Augen der Fans sah, wusste ich, dass ich mich richtig entschieden hatte. „Oh oh!“, meinte Kai leise, als wir aus dem Lift ins Foyer des fünften Stockwerks traten. Unsere Manager standen mit verschränkten Armen und einem ziemlich ernsten Gesichtsausdruck vor einer geschlossenen Tür. Sotooka-san funkelte uns wütend an. „Hatten wir nicht eine Vereinbarung!?“, fragte er dann ernst. Noch bevor Kai etwas sagen konnte zuckte ich mit den Schultern. „Es war meine Schuld, tut mir wirklich leid! Mein Orientierungssinn war schon immer schlecht. Ich bin glatt in die falsche Richtung gelaufen!“ Ich hörte wie sich die anderen bei meiner nicht ernst gemeinten Entschuldigung das Lachen verkneifen mussten. Uruha legte mir seinen Arm um die Schultern und schob mich langsam an den drei Herren vorbei, die mich perplex anstarrten. Nun vermutlich hatte niemand mit so einer Antwort gerechnet. Reita begann frech zu grinsten. „Und wir konnten ihn ja schlecht alleine in die falsche Richtung laufen lassen, nicht wahr?“ Sotooka-san wollte gerade etwas erwidern, als unser Manager sich räusperte und darauf aufmerksam machte, dass die Pressekonferenz nun losgehen sollte. Wir betraten den Raum durch den Eingang, vor dem unsere Manager gestanden hatten. Ruki klopfte mir auf die Schulter und folgte Reita dann zu seinem Platz. „Tief durchatmen!“ Ich befolgte Uruhas Ratschlag und betrat unter Blitzlichtgewitter den Raum. Wir ließen uns auf den Plätzen nieder, die durch Tischkarten gekennzeichnet waren. Niemand sagte etwas, bis die Fotografen zufrieden ihre Bilder geschossen hatten. Erst dann erhob sich Morishita-san und begrüßte die Anwesenden. Auch wenn es nicht mehr notwendig war, stellte er jeden Einzelnen vor und erläuterte noch einmal weshalb wir zur Pressekonferenz eingeladen hatten. Ruki sah gelangweilt auf die ganzen Leute vor sich hinunter, Kai hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt, Reitas Ausdruck konnte man wohl am besten mit Desinteresse beschreiben und Uruha sah einfach nur ernst auf die Unterlagen, die vor uns auf dem Tisch ausgebreitet waren. „… möchten mitteilen, dass sowohl Aoi als auch Uruha sich wunderbar erholt haben und die Band mit vollem Elan wieder durchstarten wird! Dazu wollen wir auch gleich das neue Album anpreisen, das bald herausgegeben wird!“ Kai hatte den allgemeinen Teil übernommen und den Pressevertretern geschildert, wie es nun weitergehen würde. Meine Finger zitterten leicht, als ich das Glas anhob um einen Schluck zu trinken. Obwohl ich bisher keinen Ton gesagt hatte, fühlte meine Kehle sich an, als hätte ich seit Stunden gesprochen. Schließlich kam der Teil, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte – zurecht, wie sich schließlich herausstellte, denn die Fragen, die die Reporter stellten, machten mich ganz mürbe. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt. Der Trubel, die Aufregung, das alles hatte mich geschlaucht. Meine Kopfschmerzen begannen sich wieder zu melden. Dabei musste ich doch konzentriert bleiben um die Fragen zu beantworten. „Aoi-san! Es gab viele Gerüchte, dass Sie und Uruha-san nach einer Party betrunken nach Hause gefahren wären und im Rausch den Unfall verursacht hätten! Was sagen Sie zu den Anschuldigungen?“ Noch bevor ich reagieren konnte, beantwortete Uruha die Frage. „Wir weißen diese Anschuldigungen entschieden zurück! Niemand von der ganzen Band würde jemals betrunken Autofahren! Aoi und ich haben eine Fahrgemeinschaft und waren nach dem Arbeiten auf dem Nachhauseweg.“ „Wie genau ist der Unfall zustande gekommen?“ Diesmal war ich es, der antwortete. „Es tut mir Leid Ihnen keine befriedigende Antwort geben zu können, doch ich kann mich leider nicht mehr an den Tag des Unfalls erinnern.“ Ein leises Flüstern ging durch den Raum. „Ist diese Erinnerungslücke verletzungsbedingt?“ Ich stockte. „Das kann möglich sein. Jedoch ist es auch denkbar, dass es ein, durch den Unfall zurückzuführender Schock ist.“ Man war ich stolz darauf, dass mir diese Antwort eingefallen war. „Uruha-san? Können Sie uns etwas zum Unfallhergang schildern?“ Dieser schüttelte nur bedauernd den Kopf. „Wie ich bereits bei den letzten Interviews sagte, weiß ich nur noch, dass wir vom Arbeiten kamen und nach Hause wollten. Doch ich kann mich an nichts mehr erinnern, das nach dem Meeting stattfand.“ Das war eine Lüge, aber sie mussten ja nicht alles wissen. Nicht einmal mir hatte er die Einzelheiten verraten. Ein enttäuschtes Seufzen ging durch die Menge. Vermutlich hatten sie alle damit gerechnet die Alkoholbeichte des Jahres zu bekommen. „Meine Frage geht an die anderen drei Bandmitglieder. Wie haben Sie von dem Unfall erfahren und was waren Ihre ersten Gedanken?“ Ruki legte die Fingerspitzen aneinander. „Ich war geschockt. Natürlich haben wir erst am nächsten Morgen von dem Unfall erfahren. Wir hatten unseren Arbeitstag erst spät abends beendet und waren alle zum Schlafen nach Hause gefahren. Aoi und Uruha sind eigentlich nie später dran, vor allem nicht, ohne sich vorher abzumelden. Aber an diesem Tag sind sie nicht zu den Aufnahmen erschienen.“ Kai nickte. „Wir haben uns Sorgen gemacht. Ich habe mehrmals auf ihren Handys angerufen und plötzlich nahm jemand das Gespräch entgegen. Es war eine der Krankenschwestern, die mir dann erklärt hatte, dass die beiden die Nacht zuvor einen Autounfall hatten.“ Diese Geschichte hatte ich auch noch nicht gekannt, weshalb ich aufmerksam zuhörte. Das war sicher ein riesen Schreck für die drei gewesen! „Kurz darauf bekamen wir einen Anruf von Aois Vater, dem die Polizei gerade die Nachricht überbracht hatte. Zu dem Zeitpunkt wussten wir allerdings schon, was los war“, schloss Reita die Erzählung. „Wie schlimm waren die Verletzungen tatsächlich und welche Folgen entstanden daraus für die Band?“ Kai räusperte sich. „Uruhas Verletzungen waren weniger schwerwiegend. Nach ein paar Wochen konnte er bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden! Wie Sie bereits von der letzten Pressekonferenz wissen, musste Aoi in ein künstliches Koma versetzt werden, was natürlich dazu führte, dass alle weiteren Aufnahmen, Interviews und Auftritte bis auf Weiteres abgesagt werden mussten!“ „Werden die Auftritte nachgeholt werden?“ Ruki nickte zustimmend. „Ja wir werden die Konzerte nachholen, sobald es uns möglich ist!“ „Was hält Sie jetzt davon ab?“ „Die Performance auf einer Bühne ist sehr harte Arbeit. Zwar geht es Aoi-san mittlerweile wieder besser, jedoch können wir ihm noch kein ganzes Konzert zumuten, weshalb die Konzerte aufgeschoben werden, bis wir vom Arzt ein eindeutiges OK bekommen, dass ein Auftritt ihm nicht schaden wird!“ Morishita-san war derjenige gewesen, der die Antwort gegeben hatte. Ich sah, wie Ruki sich erleichtert zurücklehnte. Vermutlich hätte er darauf auch keine Antwort gewusst – zumindest keine die uns nicht ans Messer geliefert hätte. „Sie haben eine lange Zeit im Krankenhaus verbracht, Aoi-san. Ihr Manager sagte gerade, dass es Ihnen zwar wieder besser geht, aber die Konzerte fürs Erste nicht stattfinden.“ Ich lehnte mich etwas vor und nickte leicht. Während ich versuchte die Kopfschmerzen zu verdrängen, wartete ich darauf, dass mir eine Frage gestellt wurde. Doch er sprach nicht weiter, sondern sah mich nur auffordernd an. Äh … war das nun also eine Frage gewesen? „Ich habe zwar meine Physiotherapie hinter mir, doch es wäre zu früh sich auf die Bühne zu stellen. Soweit geht es mir gut, aber wir wollen unseren Fans eine tolle Zeit schenken, wenn sie zu einem Konzert kommen. Wir wollen wirklich performen und unser Bestes geben. Jedoch wäre mein Bestes im Moment noch nicht gut genug. Daher haben wir beschlossen mit den Auftritten noch zu warten, bis wir mit einem guten Gewissen auf die Bühne gehen und ein mitreißendes Konzert spielen können!“ Der Reporter nickte zufrieden, während er etwas in sein Notizbuch schrieb. Ich sah zu Kai hinüber, der mit seinen Fingerspitzen etwas ungeduldig auf dem Tisch herumtrommelte, mir aber lächelnd zunickte. Es schien wohl eine gute Antwort gewesen zu sein. Ich unterdrückte den Drang meine Finger an die Nasenwurzel zu legen und zuzudrücken um die Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen. Meine Augen begannen vor Schmerz zu tränen. Langsam wurde mir das zu viel! Ich war froh, dass Morishita-san schließlich verkündete, dass die Zeit bald vorbei war. „Das neue Album wird ja bald erscheinen. Aoi-san, was war Ihre Beteiligung bei dem Album? Wie sah sie vor allem nach dem Unfall aus?“ Diese letzte Frage, war eine Frage zu viel gewesen. Ich hob meinen Blick und spürte, wie Uruha sich näher zu mir schob. Seine Nähe tat mir gut. „Uruha und ich haben zusammen die Gitarrenstimmen ausgearbeitet und sie eingespielt. Das ist natürlich nicht die endgültige Fassung, sondern nur ein roher Entwurf. Danach wird noch an den Melodien gefeilt, bis wir damit zufrieden sind. Ich hatte schon einen Großteil der Songs des neuen Albums eingespielt, bevor der Unfall stattfand. Daher musste ich nach meiner Rückkehr nicht alles einspielen, sonst hätten wir das Album noch nicht rausbringen können!“, plapperte ich den Text nach, den wir für so einen Fall eingeübt hatten. „Gab es dabei Streitereien?“ Uruha übernahm für mich. Ich hatte die letzte Frage nicht einmal richtig verstanden. Mein Kopf pochte heftig, während ich versuchte noch dabei zu bleiben und mich nicht zu übergeben. „Es gibt immer Diskussionen, wenn wir an Melodien feilen. Jeder von uns hat Ideen, die er einbringen möchte. Aber es artet niemals in Streitgesprächen aus. Allerdings sind wir immer gnadenlos ehrlich zueinander, damit die Arbeit sich auch auszahlt müssen wir zusammenarbeiten und auch Kritik vertragen können! Aber das schaffen wir eigentlich immer recht gut.“ „Wer gibt Ihnen die Melodie vor?“ Jetzt kam wieder Leben in Ruki. „Ich habe meistens zu den Songs, die ich schreibe bestimmte Vorstellungen, wie sie klingen sollten.“ Uruha begann zu lachen. „Ja und dann kommt seine Aufforderung an uns: Ich stelle mir einen schnellen Gitarrenpart vor! Aber vielleicht dieses Mal nicht als Gitarenbattle sondern als … hmm … Twingitarre. Und dann ist es unsere Aufgabe zu entschlüsseln, was er meint und eine entsprechende Melodie zu finden.“ Sotooka-san beendete schließlich die Pressekonferenz. Ich schwankte leicht, als ich mich erhob, konnte mich aber gerade noch am Sessel festhalten, bevor ich eine äußerst unschöne Landung auf dem Fußboden machte. Vor meinen Augen drehte sich alles. Die Farben begannen zu verlaufen. Alles wurde schwarz weiß. Die Geräusche kamen mir seltsam verzerrt vor, drangen wie durch Wasser zu mir hindurch. Plötzlich war da ein fester Griff um meine Taille, der mich davor bewahrte die Verbindung zur Wirklichkeit völlig zu verlieren. Uruha hatte seinen Arm scheinbar freundschaftlich um mich gelegt, hielt mich jedoch fest, damit ich ohne Unfall von der Bühne kam. „Du hast dich heute wirklich wacker geschlagen, Aoi. Gut gemacht! Ich bin stolz auf dich!“ Seine Stimme klang seltsam dumpf. Dennoch wurde mir bei diesem Lob ganz warm. „Alles in Ordnung?“ Ich nickte nur. „Bin müde und hab Kopfweh“, nuschelte ich leise. „Das glaube ich dir sofort. Lass uns nach Hause fahren. Die Klamotten geben wir das nächste Mal zurück.“ Er stützte mich weiter, als wir uns draußen zu den anderen stellten und Uruha ihnen Bescheid gab, dass wir nach Hause fahren würden. Als wir in den Lift einstiegen lehnte ich mich gegen ihn und seufzte leise. „Danke für die Hilfe heute!“ Er schmunzelte leicht. „Kein Problem. Sag mal, was hältst du von einem Bad und einem Film auf der Couch. Wenn du möchtest, mach ich uns auch Spaghetti?“ Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es in wachem Zustand nach Hause schaffte aber ... „Hört sich himmlisch an!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)