Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Kapitel 9 ~Aoi POV~ Mein Atem ging keuchend, als ich die Treppe des Hochhauses hinauftaumelte. Rennen tat ich schon seit dem siebzehnten Stockwerk nicht mehr. Schweiß lief über meine Stirn und meinen Rücken. Eine große 69 im Treppenhaus zeigte mir, dass ich noch 6 Stockwerke hinter mich bringen musste, um aufs Dach zu kommen. Ich stolperte. Automatisch griff ich nach dem Geländer, doch es war schon zu spät. Mein Schreckensschrei hallte durch das Treppenhaus. Ich knallte auf die Stufen und stürzte die Treppe nach unten. Benommen blieb ich liegen. Atmen. Ich musste weiteratmen. Zischend strömte die abgestandene, heiße Luft in meine Lungen, die darum kämpften wieder genug Sauerstoff aufzunehmen. Schritte. Ruhige, gemessene Schritte. Irgendwo unter mir. Mein Puls beschleunigte sich wieder. Angst brachte meinen Körper zum Beben. Er folgte mir. Natürlich. Unter Schmerzen kam ich auf die Knie. Ich krallte mich am Geländer fest, stemmte ich mich hoch und zwang mich die nächsten Stufen zu erklimmen. Weiter. Immer weiter nach oben. Ich musste aufs Dach. Meine Beine zitterten vor Anstrengung. Ich bekam keine Luft mehr. Seine Schritte hatten sich nicht verändert. Immer noch ruhig, doch er war viel näher. Er durfte mich nicht einholen. Schwarze Punkte begannen in meinem Sichtfeld aufzutauchen. Wenn ich nun aufgab, hatte ich verloren. Ich musste weiter laufen. Das Ultimatum, das er mir gestellt hatte, war noch nicht erreicht. Meine Lunge brannte, als ich einatmete. Die Treppen sahen mit einem mal so steil aus. Meine Beine gaben nach. Ich sackte auf den Boden und lehnte mich schwer atmend gegen die kühlen Eisenstangen des Geländers. Die große 74, die an der Wand angebracht war, verhöhnte mich. Wie hatte ich nur geglaubt ihm entkommen zu können? Wieso war ich darauf eingegangen? Hätte ich es akzeptiert, wäre der Kampf bereits vorbei! Verzweiflung übermannte mich. Ich war alleine in dieser verdammten Dunkelheit. Und ich wusste, dass der Tod nicht mehr weit war. Er würde mich so und so einholen. Wozu noch kämpfen? Die Gestalt eines Engels tauchte am Absatz der Treppe auf. Dunkle Augen und schwarze Haare mit blonden Akzenten. Seine Gestalt war mit einer weißen Robe verhüllt, ließ aber erahnen, dass er wunderschön war. Er sah mich nur an – traurig. Seine Lippen bewegten sich. „Kämpfe!“, forderte mich seine melodische Stimme auf. „Nicht aufgeben! Bitte gib nicht auf!“ Ich streckte meine zitternde Hand nach ihm aus. Wie konnte etwas nur so wunderschön sein? Meine Sicht wurde wieder etwas klarer. Sein Strahlen gab mir Mut. Er war das einzige Licht in dieser Dunkelheit. Ich hatte noch nie aufgegeben. Ich hatte immer gekämpft. Warum sollte es jetzt anders sein? Jetzt, wo es um mein Leben ging? Die Schritte verstummten kurz und ich warf einen Blick nach unten. Mein Atem stockte. Er war viel zu nahe. Sein Gesicht war unter einer dunklen Kapuze versteckt, aber ich hatte es gesehen. Eine grausame Maske, die seine Lust zu töten nicht verbergen konnte. „Stell dich deinem Schicksal, Yuu. Gib auf! Hör auf zu kämpfen! Es ist sinnlos!“ Seine Stimme, ein dunkler Bariton, der gleichzeitig so eiskalt war, dass man glaubte in seiner Nähe erfrieren zu müssen. Ohne Emotionen, genau wie seine weißen, eisigen Augen. Ein heißeres Stöhnen entkam mir, als ich mich wieder auf die Beine kämpfte. Mein Körper fühlte sich an, wie eine einzige Prellung, als ich die Stufen erklomm. Ich zog mich am Geländer hoch. Ein Schritt nach dem anderen. Weiter! Ich durfte nicht aufhören. Die Schritte erklangen wieder unter mir - schneller dieses Mal. Meine Beine gaben nach. Er lachte. „Ich hab es dir gesagt! Du verlierst!“ Nein. Nein! Ich durfte nicht verlieren. Es gab etwas, weshalb ich kämpfen musste. Jemand, der auf mich wartete. Meine Hand legte sich auf die nächste Stufe. Meine Finger klammerten sich an die Eisenstangen. Ich hatte die Kontrolle über meinen Körper verloren. Aber mein Geist kämpfte. Auf Händen und Knien kroch ich die Stufen hinauf. Meine Muskeln zitterten vor Anstrengung. Es war, als würden sich Glasscherben durch meine Haut bohren. Meine Atemzüge wurden flacher, unregelmäßiger. Die schwarzen Punkte kamen zurück. Bitte nicht! Noch ein bisschen. „Ich muss zugeben, dass ich selten jemanden gesehen habe, der so um sein Leben kämpft. Nur vereinzelte Menschen klammern sich so daran fest.“ Seine Stimme klang nicht mehr kalt. Sie war amüsiert! Es machte ihm Spaß mir zuzusehen und er genoss es die Fäden in der Hand zu halten. Er wusste, dass er trotz meiner Gegenwehr gewinnen würde. So kurz vor dem Ziel. Nur noch ein paar Stufen. Meine Sicht kippte. Ich sank auf den Stufen zusammen und spürte, wie die Dunkelheit nach mir griff. Mein Engel erschien vor mir. Er streckte mir seine Hand entgegen. „Drück meine Hand! Komm zu mir zurück, Yuu! Ich brauche dich! Ich warte auf dich!“ Ich versuchte nach ihm zu greifen. Meine Kraft verließ mich. Ich würde ihn nicht erreichen! Doch dann spürte ich, wie seine Hand mein Handgelenk umschloss. Eine wundervolle Woge der Wärme und Zuneigung durchflutete mich, während ich den Druck erwiderte. Dann wurde ich hoch gezogen, genau in dem Moment, in dem der Tod nach mir griff. Sein Wutschrei brachte mich wieder zurück in die Gegenwart. Mein Engel war verschwunden. Ich stand am Absatz des fünfundsiebzigsten Stockwerkes und sah zu ihm hinunter. Gewonnen! Ich hatte gewonnen! Wut war in den weißen Augen zu lesen. „Du hast betrogen. Dafür stirbst du!“ Seine dunkle Gestalt schoss die Treppe nach oben. Panik schnürte mir die Kehle zu. Ich wirbelte herum. Meine Finger trafen auf kühles Metall. Ich zerrte am Griff. Quietschend sprang die Tür zum Dach auf. Kühle Luft traf auf meine erhitzte Haut. Ich taumelte nach draußen. Er bekam meine Schulter zu fassen, zerrte mich herum. Ich fiel. Mein Gesicht und meine Arme schrammten über den harten Boden. Den Schmerz nahm ich nicht wahr. Nur seine vor Wut verzerrte Fratze. „Es hat Spaß gemacht mit dir zu spielen. Du wirst hervorragend in meine Sammlung passen. Und ich gebe ehrlich zu, dass ich deinen Mut bewundere.“ Selbstgefällig sah er auf mich hinunter. Meine Nägel kratzten über den Boden, als ich mich nach hinten schob. Er folgte mir, mit einem erheiterten Ausdruck auf seinem Gesicht. Mein Rücken stieß gegen die niedrige Begrenzungsmauer. Gefangen. Ich saß in der Falle. „Und nun? Was gedenkst du zu tun, Yuu?“ „Ich habe gewonnen! Du hast versprochen mich gehen zu lassen, wenn ich gewinne!“ Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Du hast betrogen. Auch wenn ich noch nicht genau weiß wie du das geschafft hast!“ Er hatte den Engel also nicht gesehen? „Was denkst du, was du da machst?“, fragte er mich vergnügt, als ich auf die Begrenzungsmauer kletterte um mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Mein Blick ging nach unten. Die Straße sah von hier oben aus, wie ein dunkler Fluss. Die Lichter der Straßenlaternen waren kleine, weiße Punkte in der Dunkelheit. Die Höhe ließ mich schlucken. Ich drehte mich um ihn anzusehen. Erschrocken zuckte ich zurück. Wo war die Sense hergekommen?! Er lachte leise. „Bekommst du Angst?“, fragte er mich und streckte seinen Arm aus. „Bitte … nicht!“ Nur ein Flüstern. Doch er hatte es gehört. Er wollte mich betteln hören, nur um meine Verzweiflung besser auskosten zu können. Er griff nach meinem Hals. „Lass dich fallen! Ich werde dich immer auffangen!“ Die Stimme des Engels. Ich zögerte keine Sekunde. Ich vertraute ihm mein Leben an, als ich mich zurücklehnte. Die knochigen Finger schlossen sich um die Stelle, an der sich bis vor wenigen Sekunden noch meine Kehle befunden hatte. Ich sah, wie er seine Augen aufriss, hörte seinen Wutschrei, als meine Sohlen sich von der Mauer lösten und ich nach hinten kippte. Und dann kam der Boden rasend schnell auf mich zu. Das Szenario wechselte plötzlich. Ich fiel nicht mehr, sondern stand barfuß, in kurzem T-Shirt und Shorts am Strand. Es war mitten in der Nacht. Der Mond stand hell und groß am Himmel und sein fahles Licht brachte die Gischt der Wellen zum Glitzern. Am Himmel wogten dunkle Wolken – ein Sturm zog auf. Die Wolken verdeckten den Mond und brachten die Dunkelheit heran. Angst befiel mich. Ich wollte nicht alleine im Dunkeln sein. Ich brauchte ein Licht. Etwas, das mich führte, auf das ich mich verlassen konnte. Die Dunkelheit war beängstigend. Es begann zu regnen. Ein Orkan kam auf und das Wasser begann zu tosen. Obwohl es mir auch Angst machte, konnte ich meinen Blick nicht davon wenden. Die Schönheit der puren Gewalt der Natur, zog meinen Blick wie hypnotisiert auf sich. Draußen auf dem Meer erschien ein Licht. Eine wunderschöne, leuchtende Gestalt inmitten von dunklen Gewitterwolken. Sie schwebte regungslos über dem, vom Sturm aufgepeitschten Meer. Der Engel strahlte eine unglaubliche Ruhe und Sicherheit aus. Selbst der Orkan, der in seine Nähe kam, wurde zur schwachen Brise und das schwarze, tobende Wasser, wurde zu einem wunderschönen Azurblau. „Danke!“, rief ich dem Engel zu. Er hob seinen Kopf und sah mich an. „Kämpfe! Komm zu mir zurück!“ Seine Lippen hatten sich nicht bewegt, aber ich hörte seine Stimme klar und deutlich in meinem Kopf. Und ich hörte noch etwas. Eine sanfte, weiche Melodie drang an meine Ohren. Das Tosen des Meeres wurde leiser, fügte sich in die Melodie ein und erzeugte dunkle Vibrationen. Sie klang seltsam vertraut und dennoch wusste ich nicht, in welchen Zusammenhang ich sie schon einmal gehört hatte. Jemand begann leise zu singen. Eine wunderschöne, reine Stimme, die meinen Körper zum Summen brachte. Die Stimme meines Engels. Immer noch stand er inmitten der Wolken. Doch nun zeigte er nach oben. Die Wolken lichteten sich und das sanfte Licht der Sonne strahlte auf mich herab. Wärme umgab mich. Der Geruch von blühenden Blumen drang an meine Nase. Irgendwo zwitscherten Vögel und ein leichter Wind brachte die Blätter der Bäume zum Rauschen. Meine Lider waren schwer, doch ich wollte sehen, woher diese Melodie kam. Sie durchdrang meinen Körper und brachte mich immer mehr und mehr in die Gegenwart. Gleißend helles Licht begrüßte mich, als sich meine Lider flatternd öffneten. Mein Kopf explodierte vor Schmerz. Das Licht tat weh in meinen Augen. Immer wieder musste ich sie schließen, da ich es anders nicht ertrug. Dabei wollte ich die Helligkeit nach der langen Zeit im Dunkeln willkommen heißen. Ich blinzelte, versuchte meinen Blick zu fokussieren, doch immer wieder irrte er wirr durch den Raum. Ich konnte keine Einzelheiten erkennen, nur schwache Umrisse. Die Melodie perlte weiter vor sich her. Nicht aufhören. Bitte. Nach und nach konnte ich immer mehr Konturen erkennen. Der Raum, in dem ich lag, kam mir in keiner Weise bekannt vor. Weiße Wände, seltsame Geräte und ein sehr komischer Geruch – er gefiel mir nicht. Mein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt, was einen klaren Gedanken unmöglich machte. Was war passiert? Wo war ich? Warum war ich hier? Fürs Erste interessierte mich diese wunderschöne Melodie mehr. Langsam gelang es mir meinen Kopf etwas in die Richtung zu drehen aus der sie kam. Bei dem sich bietenden Anblick stockte mir der Atem. Ein junger Mann saß neben meinem Bett auf einem Sessel. Schwarze Haare mit blonden Akzenten, ein konzentrierter, aber dennoch sehr weicher Blick und Lippen, die zum Küssen einluden. Die orangegoldenen Strahlen der Sonne, die gerade am Horizont verschwand um der Nacht zu weichen, umspielten seine Gestalt, sodass es aussah, als würde er strahlen. Mein Herz machte einen Satz und begann schneller zu pochen. So … wunderschön. Wie der Engel aus meinem Traum. In meinem Magen begann ein sonderbares Ziehen. Sehnsucht? Seine langen, eleganten Finger streichelten über die Saiten der Akustikgitarre, die er in den Händen hielt und entlockten ihr diese wunderschöne Melodie. Etwas ungeduldig pustete er sich in einer Gesangspause eine vorwitzige Strähne aus der Stirn und schüttelte den Kopf, während er eine Phrase noch einmal wiederholte. Dann begannen seine Lippen sich wieder zu bewegen. Dieses Mal sang er nicht. Doch seine Stimme war genauso schön anzuhören, als er zu sprechen begann: „Weißt du … ich hab es dir eigentlich nie gesagt, aber ich denke Cassis wird immer mehr und mehr zu meiner Lieblingsballade. Es hängen sehr schöne Erinnerungen daran.“ Irgendwo in meinem Kopf ging ein Lämpchen an. Cassis. Aber obwohl ich versuchte eine Verbindung herzustellen konnte ich sie nicht greifen. Ich wusste, dass sie da war, aber ich konnte den Deckel der Box nicht öffnen, in der sie verborgen war. Er spielte weiter und ich verfiel seinem Anblick. Plötzlich hob er seinen Blick und ich versank in wundervollen braunen Augen, die mir eine Wärme entgegenbrachten, von der ich gar nicht wusste, dass sie existierte. Nur nebenbei bemerkte ich, wie die Gitarre aus seinen Fingern rutschte und auf dem Boden aufkam. Doch weder er, noch ich reagierten darauf. Emotionen brandeten in ihm auf und spiegelten sich, für die ganze Welt sichtbar, in seiner Miene wieder. Er rutschte nach vorne und zärtliche Hände legten sich auf meinen Arm. Sie strahlten Wärme ab, ließen mich erschaudern. Seine Augen glänzten. Einzelne Tränen lösten sich und kullerten, strahlend wie Diamanten über seine Wangen. Etwas überrascht zuckte ich zusammen, als er sich über mich beugte und seine Lippen auf meine Stirn presste. Was sollte das!? Ich beobachtete ihn weiterhin als er sich die Tränen von den Wangen wischte. Er schien überrascht zu sein. Hatte er denn nicht bemerkt, dass er weinte? Immer mehr Fragen drängten an die Oberfläche. Ich verstand nicht, was ich hier machte. Wer war er? Warum war er hier? Wo war hier? Meine Lippen bewegten sich, doch meine Kehle war so trocken, dass ich keinen Ton herausbekam. Er zog das Ding weg, das sich über meinem Mund und meiner Nase befunden hatte. Es dauerte etwas, bis mein benebeltes Hirn das Ding erkannte: Eine Atemmaske. Er hielt mir ein Wasserglas mit einem Strohhalm an die Lippen. Wasser! Kaum benetzte es meine Lippen begann ich gierig zu trinken. Der Durst überwältigte mich und mir wurde schwindelig. Doch er zog das Glas wieder weg, ließ mich nicht fertig trinken. Er sah mich abwartend an. „Aoi?“ Ich runzelte die Stirn. Sprach er mit mir!? Noch ein Mal musterte ich ihn. Ich leckte mir über die Lippen und stellte schließlich die Frage, die mir auf der Zunge lag: „Wer sind Sie?“ Seine Gesichtszüge entgleisten. Sein Blick wurde mit einem Mal düster und Schmerz spiegelte sich in den dunklen Augen wider, als er mich sprachlos anstarrte. Das Wasserglas hatte er Gott sei Dank schon abgestellt, sonst hätte es mit Sicherheit den Weg auf den Boden gefunden. Ungläubig schüttelte er den Kopf, ließ mich jedoch nicht aus den Augen. Er atmete zitternd aus, während sein Blick hilflos über mich und dann quer durch den Raum glitt. Ich folgte seinem Blick. Doch ich verstand nicht, nach was er Ausschau hielt. Er schluckte hart, schien sich dann aber wieder zu besinnen und versuchte ein ziemlich missglücktes Lächeln. „Ich hole deinen Arzt.“ Das war das Einzige, was er sagte. Dabei wollte ich doch nur seinen Namen wissen. Ich musste ihn wissen! Etwas verwirrt sah ich ihm hinterher, als er zur Tür lief, sie öffnete und nach draußen verschwand. Beinahe als wäre er auf der Flucht. Ein leises Seufzen kam über meine Lippen. Was hatte er denn nur? Mein Blick fiel auf die, am Boden liegende Gitarre. Ich hatte das dumme Gefühl, dass irgendetwas gerade mächtig schief gelaufen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)