Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- ~Uruha POV~ Warme, weiche Lippen strichen zärtlich über meine Wange, küssten sich über mein Kinn und verweilten am Hals. Das war der Moment, in dem ich endgültig wach wurde. Meine Augen blieben trotzdem geschlossen. Ich genoss das leichte Prickeln gefolgt von einem angenehmen Schauer, den seine Lippen in mir auslösten. Sein heißer Atem traf auf meine nackte Haut, als er seine Lippen leicht wie eine Feder über meine Schulter streichen ließ. Mein Innerstes zog sich in freudiger Erwartung zusammen. Mein Herz begann schneller zu pochen und das Blut rauschte in meinen Ohren. „Uruha …“ Seine sinnliche Stimme ließ mich erbeben. Die Spitzen seiner Haare kitzelten mich, als er sich erneut über mich beugte und mir einen Kuss auf die Lippen hauchte. „Komm schon, du Schlafmütze!“ Es war wundervoll so geweckt zu werden. Nach und nach verzogen sich meine Lippen zu einem müden Lächeln, was mir erneut sein leises, dunkles Lachen einbrachte. Gott ... dieses dunkle Lachen. Dabei wurde mir immer so verdammt heiß. Auch jetzt strömte die Hitze, wie eine Lavawelle durch mich hindurch, durchdrang jede Pore und stärkte mein Verlangen auf mehr. Schlaftrunken öffnete ich nun doch meine Augen und blinzle träge. Mein Schatz saß auf der Bettkante und lächelte schon wieder dieses Lächeln, das meistens das Ausschalten meines Hirns zur Folge hatte, da alles Blut in tiefere Regionen strömte. „Morgen“, murrte ich leise und unwillig, während ich mich in die Kissen kuschelte. Im Zimmer war es bereits hell - er hatte schon die Jalousien hochgezogen. Die Bestätigung holte ich mir, indem ich aus dem Fenster in den trüben, wolkenverhangenen Himmel blickte. Es regnete in Strömen. Einige vereinzelte Tropfen waren auch auf die Fensterscheibe gefallen und zogen ihre Spuren nach unten, als die Schwerkraft sie gen Erde zog. Ein leises Seufzen kam über meine Lippen und ich verkroch mich tiefer unter der warmen Bettdecke, was ihn natürlich wieder zum Lachen brachte. Dabei wusste er doch ganz genau wie sehr ich solches Wetter hasste! Doch das Wetter war Nebensache, als er sich über mich beugte, die Decke wegzerrte und mich in einen sanften Guten-Morgen-Kuss zog. „Hast du gut geschlafen?“ In seinen Augen blitzte Freude auf, als ich meinen Arm ausstreckte und ihn am T-Shirt zu mir zog, damit ich ihn erneut küssen konnte. Mein Körper begann heftig zu kribbeln, als unsere Lippen aufeinander trafen. Weich. Warm. Er stöhnte leise und leckte über meine Unterlippe, was mich dazu ermunterte den Kuss hitziger werden zu lassen. Hart ließ ich meine Zunge über die seine gleiten und umspielte sie anschließend zärtlich. Er schmeckte nach Kaffee. Aoi drückte mich mit seinem Gewicht auf die Matratze, als er sich weiter über mich beugte. Seine Fingerkuppen streichelten liebevoll über meine Wange und ließen mich erneut erbeben. Doch mit einem Mal löste er sich von mir und setzte sich wieder auf. Mit dem verruchten Blick, den, vom Küssen, kirschroten Lippen und den schulterlangen, dunklen Haaren, sah er aus wie ein griechischer Gott. MEIN griechischer Gott! „Komm wieder ins Bett!“, verlangte ich. Da gab es ein, zwei Dinge, die ich noch machen wollte, bevor wir heute in diesen Tag starteten. „So sehr ich auch möchte, aber das geht nicht. Wir müssen in ca. 40 Minuten los! Du wolltest noch duschen und frühstücken“, kam es bedauernd von ihm als er sich wieder von mir löste. Ich haschte noch einmal nach seinen Lippen und holte mir einen sanften Kuss. Dann setzte ich mich auf, streckte mich und gähnte müde. Nicht, dass ich schlecht geschlafen hätte (Neben ihm schlief ich nie schlecht - außer wir hatten Streit. Ansonsten liebte ich es von ihm im Arm gehalten zu werden und einzuschlafen.), aber ich war eben einfach kein Morgenmensch. Aoi selbst mochte es zwar länger liegen zu bleiben (vor allem liebte er es zu kuscheln), aber er hatte keine Probleme damit in der Früh aus den Federn zu kriechen – ganz im Gegensatz zu mir! Schließlich schaffte ich es aufzustehen und im Badezimmer zu verschwinden, wo ich mich leise summend in die Duschkabine stellte. Das warme Wasser tat gut und ließ mich langsam immer mehr entspannen. Eine Weile blieb ich unter dem Strahl stehen und träumte noch ein bisschen vor mich hin. Erst dann wusch ich die Haare und griff nach dem Duschgel. Die Kälte begrüßte mich wieder, als ich das Wasser abstellte. Zitternd nahm ich das Badetuch von der Heizung und wickelte mich darin ein. Ich griff nach dem Föhn, begann meine Haare zu trocknen und putzte mir die Zähne, während ich im Badezimmer auf und ab ging. Als wir zusammen gezogen waren mussten wir beide eine größere Wohnung suchen, da weder seine noch meine für eine weitere Person geeignet war. Das Angenehme daran: Wir konnten uns unsere Traumwohnung mieten, mit einem Schlafzimmer, einem Wohnzimmer, einer Küche, einem Bad und sogar ein eigens geplantes Musikzimmer, dessen Wände schalldicht waren. Wir konnten uns komplett austoben und alles zusammen einrichten. Ich war wirklich überrascht, dass er damals so viel Eigeninitiative ergriffen hatte. Eigentlich war Aoi mehr fürs ‚Große Ganze‘ zuständig (mit Ausnahme der Musik natürlich) und mochte es nicht sich mit den Kleinigkeiten auseinander zu setzen. Das traf sich gut, weil das vor allem mein Bereich war. Obwohl er nicht unbedingt der Typ war, der sich für Farben und Muster interessierte, hatte er sehr wohl Freude daran gehabt die Farben der Fließen (Cremefarben) und der Wände (ein helles Braun) auszusuchen, die perfekt mit der Einrichtung aus hellem Holz harmonierten. Die Dusche und die Badewanne (oh ja eine große Badewanne mit genug Platz für ein Bad zu zweit) waren beide weiß. Er hatte mich überrascht, als er an einem Nachmittag den Spiegel angeschleppt hatte, der nun über dem Waschbecken hing – ein großer Spiegel und mit kleinen Lämpchen am Rand, die man extra einschalten konnte, was ich jetzt auch tat, als ich die Zahnseide zur Hand nahm. Weitere zehn Minuten später verließ ich dann fix und fertig das Badezimmer und tappte in Socken, einer dunkelgrünen Stoffhose und einem schwarzen Shirt (lange Ärmel –draußen war es kalt) in die Küche, aus der der wundervolle Duft von Kaffee kam. Aoi saß bereits wieder am Tisch, hatte die Zeitung in der Hand, in der er versunken las, und eine Tasse Kaffee vor sich stehen (vermutlich schon der Dritte an diesem Morgen). In der hautengen, schwarzen Jeans und dem weißen, mit schwarzen Schnallen und Bändern versehenen Oberteil sah er verdammt heiß aus. Mein Blick ging zur Uhr – ich hatte nur 25 Minuten gebraucht und lag damit hervorragend in der Zeit. Ich schenkte mir großzügig Kaffee in meine Tasse und lehnte mich gegen die Küchenzeile um ihn zu beobachten. Obwohl wir schon seit drei Jahren zusammen waren, betrachtete ich ihn immer wieder gerne. Warum auch nicht? Er war ein schöner Mann. Unbewusst spielte er mit seinem Piercing – zog es zwischen die Lippen, drehte es mit der Zunge, ließ es wieder los und begann wieder von vorne. Das machte er immer, wenn er nachdachte. Kurz fragte ich mich, was wohl in seinem hübschen Köpfchen vor sich ging, entschied mich dann aber dafür doch nicht nachzufragen. Wenn er es für nötig empfand, würde er es mir sagen. In diesem Punkt vertraute ich ihm, obwohl er in letzter Zeit auffallend oft in seine Gedankenwelt abdriftete. Fürs Erste ließ ich ihn mit seinen Gedanken alleine und aß ein Joghurt mit Früchten drin. „Wir sollten los!“, durchbrach ich schließlich die Stille und schenkte mir noch in ein Glas Orangensaft ein, den ich dann sofort gierig hinunterstürzte. Die Packung fand wieder ihren Platz im Kühlschrank. Mein Freund erwachte aus seiner Trance. Sein Blick glitt zuerst auf die Zeitung, dann auf mich und schlussendlich zur Uhr. „Oh … schon so spät?“ Anscheinend hatte er nicht bemerkt, dass ich schon lange hier bei ihm in der Küche stand, was mir ein Lächeln entlockte. Ich legte meine Arme um ihn und schmiegte meine Brust an seinen Rücken. „Was ist denn nur los mit dir, hmm? Du bist so abwesend in letzter Zeit. Ist alles in Ordnung?“ So viel zum Thema nicht neugierig zu sein. Meine guten Vorsätze gingen wieder mal über Bord. Seine Hand legte sich zärtlich auf meinen Unterarm. Dann lehnte er sich zurück. „Ja, alles in Ordnung. Ich hab nur über den neuen Song nachgedacht!“ Er trank seinen Kaffee aus und half mir anschließend dabei den Tisch abzuräumen. „Bereit für die Aufnahmen?“, fragte er und seine Augen blitzen auf. Ich musste schmunzeln. Aoi hatte nicht lange gebraucht um mitzubekommen, dass ich Morgenmuffel es hasste auf solche Themen angesprochen zu werden, bis ich zumindest aus der Dusche gekommen war und daran hielt er sich auch. Es gab oft Tage an denen wir in der Früh kein Wort wechselten, jedoch auf dem Weg zum Studio begannen uns zu unterhalten. Jeder hat so seine Macken, nicht? Und das war eben meine. Er kannte sie jedoch und konnte damit leben. Meistens erwischte er sowieso immer genau den Moment, an dem ich wieder so weit war mich meinem Tag zu stellen. „Es wird ziemlich anstrengend. Ich meine … du hast das Pensum gesehen, das die heute durchbekommen wollen. Aber ich freue mich drauf wieder mal im Studio zu sitzen.“ Er schnalzte mit der Zunge und nickte zustimmend, während er mir in den Hausflur folgte. „Hmm … hab ich. Ich bin fürs Erste froh, dass wir die Tour hinter uns haben und uns auf das Album konzentrieren können.“ Aoi war ein Arbeitstier. Er hängte sich in die Arbeit, bis er zu 100% zufrieden mit dem Ergebnis war. Davor hörte er nicht auf. Einerseits bewunderte ich ihn dafür. Es war eine Seite, die mir an ihm besonders gut gefiel. Man wurde von seinem Enthusiasmus einfach angesteckt und wollte selbst sein Bestes geben um mit ihm mithalten zu können. Andererseits war es auch die Seite, wegen der ich ihn gleichzeitig auch vor Wut schütteln konnte. Dieser Perfektionismus war hin und wieder einfach nur übertrieben. Auch wenn wir Menschen waren, die oft genug im Rampenlicht standen, hieß es nicht, dass wir keine Fehler machen durften. Die Fans liebten uns so wie wir waren. Das machte den Charme der Band aus. Sonst hätte man genausogut auch Roboter auf die Bühne stellen können. Er band sich die Schuhe zu, tastete seine Jacke nach dem Schlüssel ab und verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen, weil er ihn nicht fand. „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir heute überhaupt aufnehmen werden. Immerhin steht der eine Song noch nicht wirklich. Sieh mal in der Obstschüssel nach!“ Aois Augenbrauen hoben sich elegant. Die Frage in seinen Augen war unmissverständlich: Warum zum Teufel glaubst du ich hätte meinen Schlüssel in die Obstschale gelegt? „Ich denke du hast gestern Äpfel hochgetragen …“ Mehr brauchte ich nicht zu sagen. Aois Motto war grundsätzlich: ‚Das Genie beherrscht das Chaos.‘ So sah es auch meistens aus, obwohl es sich schon um einiges verbessert hatte, seitdem wir beide zusammengezogen waren. Da er es nie schaffte seine Schlüssel am selben Ort abzulegen, war es keine Seltenheit, dass wir kurz vor dem Aufbruch auf Schlüsselsuche gingen. Nur gut, dass die nicht weit kommen konnten. Und da ich sozusagen einen sechsten Sinn dafür hatte seine Schlüssel zu finden, drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging auch dieses Mal nachsehen. In der Zwischenzeit schloss ich die Knöpfe meines Mantels und suchte meine Strickmütze, die aus der Tasche gerutscht war. „Meinst du, ...“, kam es gedämpft aus der Küche, begleitet von einem leisen Klong, als er vermutlich die Obstschale durchsuchte. „… dass wir es heute ausdiskutieren können? Ruki will ihn gerne mit drauf packen.“ Ich verdrehte die Augen. Nichts gegen unseren Sänger, aber Ruki wollte generell viel! Anscheinend kompensierte er den letzten Beziehungsreinfall mit Arbeit, weshalb er im Moment ein richtiger Teufel war, wenn es ums Texten ging. Das Problem entstand aber, wenn er bereits eine Melodie im Kopf hatte und von uns erwartete sie umzusetzen. Auch wenn er es in Texten immer auf den Punkt brachte, gab er uns oft genug nur recht vage Anweisungen, was die musikalische Umsetzung betraf. „Ich weiß es nicht, Aoi. Im Moment ist es recht schwierig und Kai hat in einem Punkt wirklich Recht! Er klingt zu…“ Ich suchte nach dem passenden Wort. „…leer? Ohne Substanz? Lasch? Ha, hab ich dich!“ Ja, genau das war das Wort gewesen. Unsere Musik wurde immer nach dem Motto ‚Nur Musik, die von Herzen kommt, geht zu Herzen.‘ gemacht. Im Moment kam sie zwar von Herzen, aber vermutlich würde sie niemanden erreichen, weil wir es einfach nicht schafften den Song etwas aufzumöbeln. Vor allem im Mittelteil hing es gewaltig. Schwierigkeiten machte uns dabei weniger der Text sondern die Musik. Nachdem mein Liebster es endlich geschafft hatte die Tür aufzusperren, und ich ihn noch mal deswegen geneckt hatte, stiefelten wir die Treppe nach unten zum Auto, wo ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ und die Tür zuzog. Dreißig Minuten später (alles nur wegen dem scheiß Verkehr – es hatte wieder mal einen Stau gegeben, sonst brauchten wir nur 15 Minuten) betraten wir mit fünf Kaffeebechern, vom Starbucks nebenan, den Probenraum. Es war ein großer Raum, der in zwei Hälften geteilt wurde. Zirka ¾ des Raumes nahmen verschiedene Verstärkerboxen und Instrumente ein – darunter jene, die wir jeden Tag verwendeten, aber auch ein Keyboard, eine E-Geige (die an der Wand in einer Halterung hing), mehrere Rasseln, Trommeln und sonstiges Zeug für Kai und noch einige Instrumente, mit denen wir ein bisschen was versuchten (hin und wieder passte es ganz gut dazu auch was anderes mit einzubauen). Das restliche Viertel bestand aus einer gemütlichen Sitzecke und einem Tisch auf den wir nun die Becher stellten. Außerdem gab es eine Kaffeemaschine (die aus irgendeinem Grund den Geist aufgegeben hatte), einen Kühlschrank und einen weiteren Schrank für Krimskrams. Der Schrank für die ganzen Notenblätter, Songs, etc. stand zusammen mit noch zwei Keyboards, Gitarren, Bässen, Schlagzeugkomponenten, Mikrofonen, Verstärkern, Kabelsalat (eine ganze Schublade voll), Plektrons (auch eine Menge) und Instrumenten- und Notenständern in einem angrenzenden ‚Lagerraum’, wenn man den so nennen wollte. Eigentlich war es ja mehr eine Besenkammer. Ruki, der bereits auf dem Sofa saß, hob nur kurz den Blick vom Laptop, bedankte sich für den Kaffee und legte dann wieder die Hände auf die großen Kopfhörer, mit denen er sich vermutlich noch einmal die Songs anhörte, die er während der Probe aufgezeichnet hatte. Oder er komponierte gerade mit dem neuen Programm, das wir ihm letztens zum Geburtstag geschenkt hatten. Darauf konnte man die Melodien selbst eingeben und sich vorspielen lassen, mixen und noch einige andere Dinge, die ihm offensichtlich viel Spaß machten. Er hatte sich sehr darüber gefreut und saß gerne vor seinem Laptop um ein bisschen herumzuspielen und Neues auszuprobieren. Seine Lippen bewegten sich, als er stumm den Text mitsang. Die Augen hielt er wieder geschlossen um sich besser darauf konzentrieren zu können. Dann runzelte er die Stirn, öffnete seine Augen wieder und begann aufs Neue zu tippen. Reita und Kai waren noch nicht hier, was aber rein gar nichts zu bedeuten hatte. Die beiden waren sicher irgendwo im Gebäude. Auch wenn man gerne mit der ‚Pünktlichkeit’ von Prominenten herumwitzelte – keiner von uns war unpünktlich (meistens zumindest). Aoi begann zu grinsen und ließ sich auf das Sofa fallen. „Meinst du er schreibt gerade unseren Mittelteil um? Wäre super, dann wüsste ich wenigstens endlich, was ihm beim Aktuellen nicht gefällt!“ Ruki schien das gar nicht wahrgenommen zu haben, denn er nippte an seinem Kaffee und starrte weiterhin auf den Bildschirm. Ich warf Aoi einen mahnenden Blick zu und schüttelte den Kopf. „Lass ihn das ja nicht hören! Im Moment reagiert er generell sehr sensibel auf Kritik!“, murmelte ich leise. Allerdings wusste Aoi das wohl am besten. Als Rukis bester Freund war er es gewesen, der zuerst von der gescheiterten Beziehung erfahren hatte. An dem Abend war er nach einem kurzen Telefongespräch wie der Teufel durch die Wohnung geschossen, hatte seine Sachen zusammengesucht und nach einer knappen Erklärung war er auch schon zu Ruki gefahren. Was die beiden genau gemacht hatten, wusste ich nicht, aber Ruki schien am nächsten Tag schon wieder der Alte zu sein – mal davon abgesehen, dass er noch wortkarger war als sonst und eine große Sonnenbrille trug, obwohl es draußen regnete. Dass es ihm mehr zusetzte, als er durchblicken ließ, sah man allerdings an der Fülle von neuen Songs, die er im Moment zu Papier brachte. Ich setzte mich neben Aoi aufs Sofa und streckte meine Beine aus. Nachdenklich wanderte mein Blick nach draußen in den trüben Wolkenhimmel. Blödes Wetter! Genüsslich schlürfte ich meinen heißen Kaffee und wärmte meine Fingerspitzen an dem Becher. Aoi nahm schließlich seine Gitarre auf den Schoß und ließ das Plektron über die Saiten tanzen. Ich erkannte die Melodie erst etwas verspätet: Cassis! An diesem alten Song hatte er wohl einen Narren gefressen. Den Grund konnte ich mir denken. Die Gitarrenstimmen hatten wir beide zusammen entwickelt. Wir hatten nächtelang unser ganzes Herzblut in den Song gesteckt und waren verdammt stolz auf das, was herausgekommen war. Es erinnerte ihn immer wieder daran, wie wundervoll wir beide harmonierten. Dabei waren wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zusammen gewesen. Mit einem leisen Seufzen lehnte ich mich an ihn und schloss die Augen. Ich liebte es, ihm beim Spielen zuzuhören. Wie ein Bildhauer den Stein zu einer Skulptur formte, formte Aoi mit Klängen ein Gebilde, das mein Herz berührte. Obwohl ich die Leadgitarre spielte, hatte ich oft genug das Gefühl, dass er in Wahrheit der bessere Gitarrist von uns beiden war. Jedoch hatten wir es noch nie auf ein Battle angelegt. Er war zufrieden mit den Parts, die er spielte. Aoi mochte es den Rhythmus zu untermauern, zu stärken und voranzutreiben. Die Einwürfe und Gegenmelodien waren mein Part. Er brannte für Solis, wobei nicht er derjenige sein musste, der sie auf der Bühne spielte. Er überließ sie auch gerne mir, solange er daran mitfeilen durfte. Ich zuckte zusammen, als die Tür mit einem Ruck geöffnet wurde und Reita und Kai den Proberaum betraten. Ohne Umschweife setzten sie sich zu uns an den Tisch. „Kaffee!“, freute sich unser Leader, griff nach einem Becher und trank seufzend ein paar Schlucke. Aoi war zwar nahe dran der Koffeinsucht zu verfallen, doch Kai war vollkommen verloren. Was erwartete man sich bei seinem Job? Dabei steckte er den Stress, der durch die Doppelbelastung entstand, verdammt gut weg. „Klar immer wieder gerne!“, hörte ich Aoi sagen, der die Gitarre nun zur Seite stellte und sich nach vorne beugte. Kai hatte einen Ordner dabei, den er aufschlug um uns den Terminplan für die heutige Session zu zeigen. Nachdem wir genau abgesprochen hatten, wer wann welche Aufnahmen machte, unterrichtete uns Kai auch darüber, was in den nächsten Wochen anstand – was nicht viel war, zum Glück. Schon die Aufnahmen am Album würden kräfteraubend sein. So sehr ich unsere Fans auch liebte – ich konnte währenddessen nicht auch noch am laufenden Band Konzerte und Interviews geben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)