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Zeiten des Schreckens

von

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Inmitten des Feindes

Barty reagierte blitzschnell. Ohne länger nachzudenken, verdrehte er die Augen und sackte in sich zusammen. Bevor er jedoch auf dem Boden aufschlagen konnte, hatte Frank ihn bereits an der Robe gepackt und mehr schlecht als recht aufgefangen.

„Barty? Hörst du mich?“

Barty beschloss, nicht sofort zu reagieren. Stattdessen begann er sich mental darauf vorzubereiten, dass er sich ganz schwach fühlen musste. Er musste Kräfte sammeln.

„Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht, auf einmal…“

„Oh Merlin, w-“

„Barty!“

Langsam öffnete Barty die Augen. Er gab sich alle Mühe, so zu tun, als müsste er erfassen, was geschehen war. Da war seine Mutter, die voller Sorge auf ihn hinab starrte und seine Hand hielt. Da waren Frank und Alice, die Weasleys, sogar dieses Schlammblut sah besorgt auf ihn hinab. Und irgendwo im Hintergrund hörte er das Schreien eines Babys.

Mit einem Stöhnen versuchte Barty sich wieder aufzurichten. Sofort waren irgendwelche helfenden Hände da, die ihn fürsorglich stützten.

„Vorsicht, nicht zu hastig.“

„Vielleicht solltest du lieber noch etwas liegen bleiben.“

„Habt ihr nicht noch irgendwo einen Stärkungstrank, Alice?“

„Der arme Junge ist ja ganz blass.“

„Es geht schon“, flüsterte Barty heiser, während er sich vorsichtig wieder aufrappelte. „Ehrlich“, fügte er dann noch hinzu, als seine Mutter keine Anstalten machte, seinen Arm loszulassen. Auch Frank schien nicht sonderlich überzeugt. „Das … das war bestimmt nur die Müdigkeit. Und gegessen habe ich auch noch nicht.“

„Dann setzt du dich am besten hin und isst erst einmal etwas“, bestimmte Mrs Weasley. Für einen Augenblick war Barty versucht, sich nun erst recht nicht hinzusetzen und das zu tun, was diese Blutsverräterin vorschlug, doch hatte er keine andere Wahl. Beipflichtendes Nicken folgte auf ihre Worte, während Alice bereits verschwunden war, um ihm irgendeine Stärkung zu holen. Frank war indessen der Ansicht, dass er ihn dringend stützen musste und griff nach seinem anderen Arm. Den linken Unterarm. Barty zuckte zusammen. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und holte tief Luft, froh darüber, dass er das seinem Schwächeanfall zuschreiben konnte. Er musste sich konzentrieren. Er durfte sich nichts vom Dunklen Mal anmerken lassen — am besten sollte er gar nicht daran denken. Was wesentlich leichter gedacht als getan war.
 

„Hier bitte“, sagte Alice schließlich und reichte Barty eine neue Schüssel von dem Eintopf. „Und wenn das nicht hilft, hier ist auch noch ein kleiner Stärkungstrank.“ Damit stellte sie eine kleine Phiole auf einen niedrigen Tisch, der neben dem Sofa stand.

Glücklicherweise hatte sich die Aufregung gelegt und die meisten Gäste widmeten sich wieder ihren ursprünglichen Gesprächen. Als Barty flüchtig zu Moody spähte konnte er in dessen zerfurchtem Gesicht einen merkwürdig zufriedenen Ausdruck sehen. Es fehlte nur noch ein „Hab ich doch gesagt, dass der Junge zu nichts taugt.“

Grübelnd rührte Barty in dem heißen Eintopf und beobachtete, wie gelegentlich die Speckklumpen an die Oberfläche trieben, bis ihm plötzlich etwas anderes auffiel.

„Wo ist eigentlich Vater?“, fragte er seine Mutter, die besorgt auf dem zweiten Sofa ihm gegenüber saß.

„Der musste leider schon gehen. Anscheinend gibt es gleich noch eine wichtige Verhandlung, bei der er als Abteilungsleiter gebraucht wird und anschließend soll eine Pressekonferenz mit dem Tagespropheten stattfinden. Er meinte, das könnte länger dauern und er würde wohl diese Nacht nicht mehr zur Feier zurückkommen.“ Mrs Crouch seufzte leise.

Verwirrt runzelte Barty die Stirn und überlegte, was das für eine Konferenz sein konnte. Warum wusste er davon nichts?

„Weißt du, worum es geht?“, fragte Barty schließlich Longbottom.

„Ja“, antwortete Frank knapp und klang alles andere als begeistert.

„Was ist es?“

Ein merkwürdiger Ausdruck stahl sich in Franks Gesicht. „Du hast nichts davon mitbekommen?“

Unbemerkt strich sich Barty über den Ärmel, flüchtig, als könnte er so das beharrliche Rufen des Dunklen Mals abwischen. „Ich glaube nicht“, sagte er dann und konnte nicht verhindern, wie sein Tonfall hart wurde. Es missfiel ihm, doch nicht in alles Wichtige eingeweiht zu sein.

„Dann wirste das morgen im Tagespropheten lesen können, Junge.“

Moody hatte sich von der lebhaften Konversation am langen Esstisch abgewandt und sich auf dem großen Holzstuhl zu der kleinen Gruppe auf den Sofas gedreht.

Barty nahm schweigend einen Löffel Eintopf. Er gab sich alle Mühe, nicht zu dem Auror zu schauen, weil er spürte, wie er kurz davor war, sich zu verraten. Er konnte diese selbstherrliche Art nicht ausstehen, mit der Moody sein ehrenvolles Dasein als Auror bedachte und auf ihn herabsah.

„Es war eine Sache, die hauptsächlich in Absprache mit der Aurorenzentrale gehalten wurde — wahrscheinlich hast du deswegen nichts davon gehört, schließlich hast du genug mit den ganzen Verfahren zu tun gehabt“, wandte Frank tröstend ein.

Barty bewunderte noch immer, mit welchem Optimismus dieser Mensch von seinem Vater dachte. Als ob der alte Mistkerl je an ihn gedacht hätte, wenn es um sein Arbeitspensum gegangen war!

„Bestimmt“, sagte er jedoch nur leise und zwang sich zu einem unbeschwerten Gesichtsausdruck. „Manchmal habe ich einfach nur Sorge, dass Vater selbst mir nicht traut. Er macht immer aus allem ein Geheimnis.“

„Mach dir nichts draus, das hat er schon immer gemacht — zumindest seit ich meine Ausbildung zum Auror begonnen habe“, meinte Frank mit einem aufmunternden Schulterklopfen.

„Frank hat recht“, wandte seine Mutter ein, „du weißt doch, wie dein Vater ist. Morgen wird er uns bestimmt alles erzählen.“

Gedankenverloren nahm Barty etwas von dem Eintopf und kaute so lange wie möglich darauf herum, bis er sich schließlich zu einem ehrlichen Lächeln zwang. Eine Antwort, die seiner Mutter ebenso wie Longbottom auszureichen schien und ihm endlich etwas Ruhe gewährte.
 

Während Barty sich voll und ganz auf seine Mahlzeit konzentrierte, verloren sich die anderen um ihn herum in fröhliches Geplauder. Er beobachtete, wie Frank und Alice sich zu Moody und Emmeline Vance an den Tisch gesellt hatten. Eine hitzige Diskussion über Quidditchmannschaften war zwischen James und Frank losgebrochen, an der sich die anderen mal mehr mal weniger enthusiastisch beteiligten. Barty konnte sehen, wie sich Pettigrew anders als all die übrigen Gäste seltsam still und unruhig verhielt. Dann waren da noch die beiden Weasley Jungen, die nun brav aber sichtlich gelangweilt bei ihren Eltern saßen. Das Schlammblut hatte sich dazu gesellt und hielt in ihrem Arm ihren kleinen Sohn. Es fiel Barty schwer, seinen Missfallen zu verbergen. Stattdessen wollte er sich ablenken, indem er zu seiner Mutter sah, die in ein angeregtes Gespräch mit Augusta Longbottom verwickelt war. Ihre Augen strahlten und aus ihrem Mund kamen so viele lebhafte Worte. Barty konnte sich nicht daran erinnern, sie in letzter Zeit so glücklich gesehen zu haben.

All das Gelächter um ihn herum, die wohlwollenden Blicke, das Kinderschreien, das Gezanke, das Geplauder und das Gegrinse. Barty starrte in die mittlerweile leere Schüssel hinein, die er noch immer in den Händen hielt und stand plötzlich auf. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, suchte er sich zielstrebig einen Weg zum Badezimmer und atmete erleichtert auf, als der Riegel hinter ihm ins Schloss fiel. Er verfluchte sich dafür, zu dieser bescheuerten Feier gekommen zu sein. Er hatte dort nichts verloren. Viel eher hätte er nun an der Versammlung des Dunklen Lords teilnehmen können, hören können, was sein Herr und Meister zu sagen hatte und lachen können, über die erbärmlichen Widerstandsversuche ihrer Gegner.

Nachdenklich saß Barty auf dem hölzernen Toilettensitz, den weiten Ärmel seiner Robe hatte er hochgeschoben und unter ihr die lederne Armschiene aufgeknüpft, um einen Blick auf das Dunkle Mal werfen zu können. Die schönen pechschwarzen Linien. Immerhin konnte er sich mit dem Gedanken beruhigen, dass seine Anwesenheit nicht verlangt war, dass der Dunkle Lord sogar wusste, wo er sich befand. Mit einem tiefen Atemzug bedeckte Barty wieder sein Dunkles Mal, erhob sich und ließ kaltes Wasser in das kleine Waschbecken laufen. Das Rufen war bereits abgeschwächt und wie er von Rookwood erfahren hatte, gab es keinen Grund dem nachzutrauern. Der Unaussprechliche selbst konnte nicht immer seinen Posten in der Mysteriumsabteilung verlassen und zu den einberufenen Zusammentreffen erscheinen. Und das war auch gut so. Es half, seine Identität vor einigen Todessern zu verbergen.

Barty fröstelte, als das eiskalte Wasser auf seine Handflächen traf. Dann spritzte er sich etwas davon ins Gesicht, um wieder klare Gedanken fassen zu können, und sah mit grimmiger Entschlossenheit in den kleinen Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen.
 

Kaum hatte Barty das kleine Badezimmer verlassen, schlug ihm die heitere Stimmung der Feier wie ein kalter Schwall Wasser entgegen. Mit Mühe suchte er den ruhigen, etwas linkischen Jungen, den so viele in ihm zu sehen schienen, und betrat wieder das Wohnzimmer.

Sein Blick huschte unsicher durch den weitläufigen Raum, dann entschied er sich, an dem Tisch bei Potter, seinen unausstehlichen Freunden und den ebenso unausstehlichen Auroren Platz zu nehmen.

„Geht’s dir wieder besser?“, erkundigte sich Frank, kaum dass sich Barty neben ihn gesetzt hatte.

Der Junge nickte bloß und gab sich alle Mühe, ein optimistisches Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern.

„Das freut mich zu hören.“ Gerade als Barty glaubte, Frank würde ihn nun wieder in Ruhe lassen, fügte der jedoch hinzu: „Vielleicht solltest du Mr Crouch um ein, zwei Tage Urlaub bitten. Das ist ja nicht das erste Mal gewesen, dass du wegen Erschöpfung fast umgekippt bist.“

Auch das noch! Barty spürte, wie ihm tatsächlich die Röte ins Gesicht stieg. Für wie schwach und unfähig mussten diese Leute ihn halten? Nervös spielte er an dem Saum seines Ärmels, während er überlegte, was er sagen konnte. Ihm gegenüber hatte sich Moody ihrem Gespräch mit einer unbeteiligten Miene zugewendet.

„Da muss der Junge durch“, knurrte er. „Wir können es uns im Momente nicht leisten, auf Arbeitskräfte zu verzichten — ich denke, Crouch sieht das genauso.“

Frank stieß einen unzufriedenen Seufzer aus. Sah sich dann aber gezwungen, dem Ganzen zuzustimmen, wohingegen Barty gegen den Ärger ankämpfte, dass einfach so über seinen Kopf hinweg von ihm gesprochen wurde.

„Ich hätte auch nicht vorgehabt, meine Arbeit ruhen zu lassen“, warf er deshalb steif ein. „Ruhen kann man immer noch, wenn der Krieg gewonnen ist.“

„Das wird dir aber auch nichts mehr nützen, wenn du tot bist“, mischte sich plötzlich Alice ein. Auf dem Arm hielt sie den kleinen Neville, der mit großen Augen auf die Anwesenden starrte.

„Irgendwelche Leute müssen doch die ganze Arbeit machen“, meinte Barty.

„Und vergessen darüber hinaus, wofür sie das eigentlich tun.“

Barty schwieg und beobachtete, wie Alice einen Stuhl herbeizauberte und sich mit ihrem Sohn auf dem Arm neben Moody setzte. Vom anderen Ende des Tisches drang lautes Gelächter herüber. Sirius musste einen Witz gerissen haben, denn Potter schlug ihm gerade mit einem beipflichtenden Nicken auf die Schulter, während Vance ihn breit grinsend ansah.

„…egal, was es nun ist, das wir tun, wir sollten uns immer daran erinnern, wofür wir das am Ende machen. Wenn mir was passiert, dann wird das nicht umsonst gewesen sein. Ich werde an meinen kleinen Neville denken können; ich werde wissen, dass ich diesem Pack einen weiteren Stein in den Weg gelegt habe…“ Der entschlossene Blick wich einem zärtlichen Lächeln. „Nicht wahr, mein Kleiner?“, sagte Alice und brachte ihr Gesicht ganz nah an das ihres Sohns.

Barty sah weg und wünschte sich, er hätte irgendetwas zu essen oder trinken mitgenommen, damit er wenigstens etwas hatte, mit dem er sich ablenken konnte. Sirius war gerade wild am Gestikulieren. Gebannt hingen die anderen an seinen Lippen, während Worte wie „Kampf“, „Zauberstab“ und „Gegner“ fielen. Es war offensichtlich, dass er sich mit irgendeinem lächerlichen Duell brüstete.
 

„Hattest du schon überlegt, wann du eine Familie gründen wirst?“
 

Es dauerte, bis Barty dämmerte, dass die Frage an ihn gerichtet war. „Ähm“, brachte er nicht sehr eloquent heraus und starrte verdattert zu Frank. „Nicht wirklich, der Krieg hat Vorrang.“

„Das eine schließt das andere nicht aus. Lily und James haben schließlich auch ihr Glück gefunden…“

Wieder schaute Barty zum anderen Ende des Tisches; dieses Mal zu Lily und James, die glücklich nebeneinander saßen und überhaupt keinen Anlass gaben, warum der Dunkle Lord ausgerechnet sie ausspioniert haben wollte. Potter schien seinen Blick bemerkt zu haben, denn plötzlich sah er auf und schenkte Barty ein Lächeln.

„Ich werde warten“, erklärte Barty und konzentrierte sich hastig wieder auf sein eigentliches Gespräch. „Ich möchte die Traditionen meiner Familie ehren und für die ist im Moment wenig Zeit.“

Zu seinem Glück schien das ein akzeptables Argument zu sein, das die Diskussion beendete. Zu seinem Unglück schien sich jedoch Potter dazu ermutigt, sich in das Gespräch einzumischen.

„Eigentlich solltest du wissen, wie weit dich Familientradition bringt. Guck dir die ganzen Fanatiker von Du-weißt-schon-wem draußen an.“

„Das ist was anderes“, entgegnete Barty steif. „Die Crouchs geben sich nicht mit einem solchen Pack ab. Aber es darf nicht verkehrt sein, sich Tradition bewahren zu wollen, egal mit welchen Umständen man nun konfrontiert wird. Ich werde mir nicht von irgendwelchen Fanatikern mein Leben bestimmen lassen.“

„Du weißt, was das Regulus und seinen Eltern gebracht hat.“

Mit einem Mal herrschte dröhnendes Schweigen. Alle Ausgelassenheit war mit Potters Worten am Tisch getilgt worden. Stattdessen wurden sie nun von allen Seiten angestarrt, teils neugierig, teils traurig, teils misstrauisch.

Regulus Black. Der Name war zu einem empfindlichen Thema geworden.

„Wenige Monate nach Blacks Verschwinden hat man Orion tot aufgefunden“, fügte Moody hinzu. „Eine Schande. Er war ein guter Fluchbrecher. Hat sich vielleicht was zu sehr für die Dunklen Künste interessiert, aber hervorragende Arbeit geleistet.“

„Und das alles, weil Regulus zu sehr an Traditionen gehalten hat“, meinte Lupin bedauernd, wobei er Sirius einen mitfühlenden Blick zuwarf. Dieser schwieg beharrlich. Seine Augenbrauen waren finster zusammengezogen, während er mit verschränkten Armen und sichtlichem Missfallen die Wendung des Gesprächs verfolgte.

„Sag mal, wart ihr beide nicht so gut befreundet, Barty?“, warf auf einmal Lily ein. „Ich kann mich auf jeden Fall daran erinnern, dass ich euch damals auf Hogwarts sehr oft zusammen gesehen habe.“

Lilys Worte fühlten sich an wie ein Schlag ins Gesicht.

„Er hat irgendwann den Kontakt gemieden“, erklärte Barty und musste feststellen, dass sein Betrüben gar nicht gespielt war. Er vermisste Regulus, den einzigen richtigen Freund, den er je gehabt hatte.

„Es ist einfach eine Schande, zu was Du-weißt-schon-wer und sein Gefolge manche Familien treiben“, pflichtete Lupin dem bei. Seine Worte verloren sich in dem brütenden Schweigen, das sie alle befallen hatte.

Schließlich schlug Sirius wütend auf den Tisch, sodass das Geschirr klirrte und Harry erschrocken zu weinen anfing. „Das ist er selbst schuld. Das sind sie alle selbst schuld — diese Vollidioten!“

Sirius’ kleiner Ausbruch brachte wieder Leben unter die Anwesenden. Auf einmal schienen sie sich zu erinnern, zu welchem Zweck sie auf dieser Feier waren und widmeten sich erfreulicheren Angelegenheiten des Lebens. Nur Barty blieb zurück und schien es nicht zu schaffen, seine Gedanken aus der Vergangenheit zu holen. Wie hatte ihm nie klar sein können, was mit Regulus war? Wie hatte der Black ihre Freundschaft so hintergehen können?

Zorn kochte in ihm hoch. Zorn darüber, dass alles hätte anders sein können.

Um Barty herum setzte die Zeit ihren normalen Lauf fort. Frank verließ irgendwann seinen Platz, um sich mit anderen Gästen unterhalten zu können, während Mrs Crouch und Augusta Longbottom sich zu den anderen am Tisch gesellten. Es wurden viele Belanglosigkeiten ausgetauscht. Peinliche Kindheitsgeschichten, die ersten Dinge, die Harry und Neville taten, Molly Weasley erzählte von ihrer ganzen Sippe, auf die derzeit ihr Bruder aufpasste, damit sie mit Bill und Charlie hatte herkommen können, und währenddessen schauten immer mal wieder andere Gesichter bei der Feier vorbei. Gesichter, denen Barty teils nicht einmal Namen zuordnen konnte und die wiederum nie lange genug blieben, um sie in Erfahrung bringen zu können. Offensichtlich patrouillierten sie.
 

„Duuuh“, drang irgendwann eine kleine Jungenstimme an Bartys Ohr und er spürte ein vorsichtiges Zupfen an seinem Ärmel. Etwas benommen blinzelte Barty, dann sah er auf Charlie. Schüchtern aber dennoch entschlossen stand er neben ihm und hielt in seinen Händen den kleinen Schokodrachen, den Barty ihm gezaubert hat.

„Ich wollte mich für den Drachen bedanken.“

„Gern geschehen.“

Schweigend betrachtete Barty Charlie und überlegte, ob er noch irgendetwas zu sagen hatte. Er war nicht gut mit Kindern.

„Wenn ich auf Hogwarts bin, kannst du mir dann zeigen, wie man so einen Drachen macht?“

„Barty geht gar nicht mehr auf Hogwarts, Schatz, er hat letztes Jahr seinen Abschluss gemacht“, mischte sich Molly Weasley ein.

„Oh.“ Etwas unbeholfen blickte Charlie auf den kleinen Drachen hinab. Ihm war anzusehen, dass er diese Möglichkeit gar nicht in Betracht gezogen hatte.

Um irgendetwas zu sagen und sich der Situation — wie Barty hoffte — angemessen zu verhalten, sagte er jedoch: „Macht nichts. Ich kann dir das bestimmt ein andermal zeigen.“

„Ehrlich?“

„Ganz bestimmt.“

Strahlend sah Charlie von Barty zu seiner Mutter und wieder zurück.

„Es dauert aber noch vier Jahre, bis du zaubern lernst. Bis dahin musst du brav sein und gut auf deine Geschwister aufpassen, in Ordnung?“

Charlie nickte artig, wobei er wieder neugierig zu Barty spähte, während Molly seufzend die Hände in die Hüfte stemmte und nach ihrem ältesten Sohn Ausschau hielt.

„Arthur!“, rief sie und zwängte sich einen Weg an der Stuhlreihe zum anderen Ende des Tisches entlang. „Fabian sollte jeden Augenblick hier sein. Kommst du dann mit oder bleibst du noch?“

Neugierig verfolgte Barty das Gespräch, weil es immerhin interessanter war, als sich mit einem kleinen Jungen zu unterhalten.

„Ich wollte noch ein bisschen bleiben. Sirius hat mir gerade von einem Muggelgerät erzählt, dass…“

„Magst du Drachen?“, tönte es wieder von Bartys Rechten.

„Ähm Drachen sind groß … artig?“, brachte Barty nicht sehr überzeugend heraus. Doch für den kleinen Jungen war das genug.

„Hast du schon einmal einen echten gesehen?“

Glücklicherweise hatte Barty das nicht. Und eigentlich hatte er das auch nicht vor. Diese Biester waren gefährlich — da reichte es, mit was er sich damals in Pflege Magischer Geschöpfe bei dem inkompetenten Professor Kesselbrand hatte rumschlagen müssen.

„Nein, hab ich nicht. Du etwa?“

„Nee, aber wenn ich groß bin, werde ich welche suchen gehen“, verkündete Charlie.

„Ah ja.“

Barty spähte wieder rüber zu den anderen Weasleys und erkannte zu seiner Freude, dass sich Molly diesmal mit Bill im Schlepptau zu ihrem Sohn zurückbegab.

„Charlie scheint dich zu mögen“, stellte Molly lächelnd fest und strich sich eine widerspenstige Strähne zurück. „Ich finde, du und deine Mutter solltet uns mal besuchen kommen. Dann kann Charlie dir seine Drachenfigurensammlung zeigen. Was meinst du?“

Charlie nickte begeistert, Barty brachte ein höfliches Lächeln zustande.

„Das ist eine wirklich schöne Idee. Wenn das meine Arbeit zulässt, komme ich gerne einmal vorbei.“

Bevor diese Blutsverräter jedoch auf weitere grauenvolle Ideen kommen konnten, betrat ein rotblonder Mann Anfang dreißig den Raum, winkte lässig in die Runde und ging dann zu Molly.

„So Schwesterherz, sollen wir los?“, sagte er und drückte sie flüchtig.

„Ist noch Zeit zum Verabschieden?“

„Ich denke schon. Gideon meint, dass er alles abgecheckt hat. Er und Dorcas überwachen grad den Waldrand, aber um ehrlich zu sein, scheint’s ’ne ruhige Nacht zu werden.“

„Das denkt man immer und dann trifft es einen mitten in den Rücken!“, warnte Moody, während Molly sich bereits an die Verabschiedung gemacht hatte.

„Sag mal Lily, willst du vielleicht auch schon mit Harry mitkommen?“

„Danke, Fab, das geht schon. Remus und Sirius kommen später mit. Du weißt schon…“ Bedeutungsvoll ließ sie den letzten Satz in der Luft hängen. „Aber danke.“

Fabian zuckte die Achseln und zog sich einen freigewordenen Stuhl heran. „Hab ich irgendwas verpasst? Weil ich kann euch sagen, ihr habt ganz bestimmt so einiges verpasst. Fred und George sind beide ausgebüxt und wollten Ron zudecken, aber sie hätten’s fast geschafft, den Armen zu ersticken!“

„Gibst du später Marlene noch bescheid oder was hattet ihr abgesprochen?“, fragte Moody, der Fabians Geplapper eiskalt überging.

„Ich wollt später noch mal vorbeischauen, wenn Molly und die Kinder sicher Zuhause angekommen sind und Gideon hatte gefragt, ob Sirius ihn noch ablösen könnte. Ist ganz schön kalt draußen.“

Keiner der beiden bemerkte, dass Barty voller Interesse dieser teils recht kryptischen Unterhaltung lauschte und sich in Gedanken jedes Detail gut einzuprägen versuchte. Allein die Namen waren ungeheuer nützlich und wenn es bedeutete, dass sie öfter so vorgingen, dann konnte das bei späteren Angriffen berücksichtigt werden. Obwohl er sich wunderte, was es mit Lilys Andeutung zu tun hatte.

In dem Moment klopfte es gegen die Fensterscheibe. Mehrere Anwesende zuckten erschrocken zusammen. Moody hatte sogar ohne viel Federlesen seinen Zauberstab gezückt, während er angespannt Richtung Geräuschquelle sah. Doch auf dem Fenstersims hockte lediglich eine Schleiereule, die demonstrativ ihr linkes Bein hob, an dem sich eine kleines Stück Pergament befand.

Eilig nahm Frank die Nachricht entgegen. Barty konnte beobachten, wie sich dessen Gesicht unmerklich verfinsterte, als er auf den Absender starrte. Angestrengt versuchte Barty nicht allzu neugierig zu wirken, was gar nicht so einfach war, da Frank nun zu Moody rübergegangen war und ihm wortlos das kleine Stück Pergament hinhielt.

„Durchgekommen“, war alles, was Frank sagte.

Moody dagegen wirkte relativ zufrieden. „Ist besser so. Das wird denen ’ne Lehre sein. Außerdem ist’s ja nicht für immer, Longbottom.“

Frank nickte gequält, doch war ihm anzusehen, wie wenig er davon hielt. „Das macht uns einfach nicht besser als sie. Wie soll das denn weitergehen? Irgendwie müssen wir uns doch unsere Grundsätze wahren.“

„Betrachte es als Abschreckung.“

Frank sagte nichts. Barty konnte sehen, wie der junge Auror wütend den Unterkiefer vorschob und schließlich zu Alice ging, um ihr die Nachricht zu verkünden. Und plötzlich regte sich in Barty ein Verdacht. Vorsichtig spähte er zu Moody, der sehr zufrieden mit sich aussah, und gerade von Molly Abschied nahm. Konnte es etwa sein?

„Tschüss, Barty!“, riss ihn Charlies Stimme erneut aus den Gedanken. Der kleine Junge hatte ein Talent dafür. „Bis bald.“

„Tschüss“, murmelte Barty zerstreut.

„Ich hab noch einmal mit deiner Mutter gesprochen und sie findet die Idee ganz großartig, einmal zu Besuch zu kommen. Sie meinte, dass du auch sicherlich nichts dagegen hättest, wenn Bill und Charlie einmal zu dir kämen.“

Molly Weasley. Ausdruckslos sah Barty diese Blutsverräterin an und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass nun ein Lächeln angebracht war.

„Natürlich nicht, das klingt doch nach einer ganz hervorragenden Idee“, sagte er und verabschiedete sich eilig. Aus dem Augenwinkel bemerkte Barty, wie Moody leise etwas mit Fabian besprach. Auch der wirkte nicht sonderlich angetan, nickte jedoch grimmig.

„Bis später, Leute“, rief Fabian und machte sich gemeinsam mit seiner Schwester und seinen Neffen auf den Weg nach draußen.

„Sind das nicht zwei liebe Kinder?“, sagte Mrs Crouch mit einem Lächeln. Augusta nickte beipflichtend, wobei sie beteuerte, dass Neville eines Tages bestimmt genauso sein würde, wenn nicht sogar besser erzogen — ganz so wie sein Vater. Barty indessen wünschte sich einfach nur ganz weit weg. Unwillkürlich fragte er sich, wie lange er tatsächlich noch an diesem Ort ausharren musste. Natürlich wusste er, dass jede Minute länger mehr Informationen für seinen Meister bedeutete und irgendwo war die ganze Gesellschaft gar nicht mal so schlecht. Es war was anderes. Doch jedes Mal, wenn er sich in Erinnerung rufen musste, um was für eine Gesellschaft es sich handelte, und mit welcher er viel lieber zu tun gehabt hätte, sank seine Laune.
 

Lustlos stand er irgendwann auf und suchte sich einen Weg zwischen den Gästen hindurch, um sich ein Glas Butterbier zu holen. Neben ihm konnte er hören, wie Alice und Lily miteinander sprachen und befanden, dass es längst Zeit war, ihre kleinen Blagen ins Bett zu bringen. In einer anderen Ecke konnte er Sirius und Weasley über irgendetwas namens „Motorräder“ sprechen hören — was auch immer das sein sollte. Und schließlich fand er sich neben James Potter wieder. Potter, der es das letzte halbe Jahr über immer wieder geschafft hatte, mit Frau und Kind spurlos zu verschwinden. Einzig seine Aktivität im Widerstand war bekannt.

„Du siehst nicht sehr glücklich aus“, bemerkte James, während er sich ebenfalls etwas Butterbier einschüttete.

Barty zuckte die Achseln und wusste nicht, was er darauf sagen sollte. „Ich frag mich manchmal, wie das alles enden soll.“

„Das tun wir alle. Aber es hilft nicht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Herausfinden, tun wir das doch so oder so. Genieß lieber mal die Ablenkung.“

James grinste und Barty versuchte zurück zu grinsen.

„Wusstest du, damals auf Hogwarts warst du einer der wenigen wirklich akzeptablen Schlangen. Warst nie so voreingenommen und eigentlich ganz in Ordnung. Zumindest dachte ich, dass du zu der angenehmen Sorte gehörst und es ist schön zu sehen, dass nicht alle Vorurteile zutreffen. Du weißt schon Reinblut, Slytherin. Da geht man sofort von irgendwelchen Fanatikern aus.“

„Das hab ich meinem Vater zu verdanken“, entgegnete Barty und konnte sich den spöttischen Unterton nicht ganz verkneifen.

„Stimmt, obwohl du ja auch viel mit Regulus rumhingst. Sowas ist natürlich auch immer ein Einfluss.“

„Regulus hat seine Fehler gemacht und ich werde die nicht wiederholen, nur weil wir befreundet waren“, sagte Barty kühl. Er spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Warum musste Potter plötzlich damit ankommen? Warum konnte er ihn nicht einfach in Ruhe lassen oder besser: Irgendetwas Nützliches verraten? Bevor Barty aber seinerseits mit den Fragen ausholen konnte, hatte Potter ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter gelegt.

„Das mit Regulus war ein ein schwerer Schlag. Sirius wird es, glaub ich, nie zugeben, aber es hat ihn hart getroffen. Er mochte seinen Bruder, auch wenn er es nicht gezeigt hat. Trotzdem war Regulus ein anständiger Kerl und als solchen sollten wir ihn in Erinnerung bewahren.“

Barty schwieg und nippte nachdenklich an seinem Butterbier. Potter neben ihm strich sich durch das schwarze strubbelige Haar und rückte seine Brille zurecht. Er war erwachsen geworden und erinnerte kaum mehr an den unausstehlichen Mobber, der er einst gewesen war.

„Du solltest öfter vorbeikommen, Barty. Ich glaube, so ein bisschen Gesellschaft wird dir gut tun“, sagte Potter schließlich mit einem freundlichen Lächeln. Es war der Moment, in dem Barty ihm am liebsten seinen Kelch Butterbier in das widerliche, offenherzige Gesicht geworfen hätte. Was bildeten sich die Leute hier ein, so über ihn zu urteilen?

„Bist du öfter hier?“, fragte Barty stattdessen beiläufig und ließ seinen Blick über die Gäste schweifen.

„Nicht wirklich. Lily und ich passen die meiste Zeit auf Harry auf und versuchen Du-weißt-schon-wem und seinem Gefolge aus dem Weg zu gehen.“

„Ich hätte irgendwie gedacht, dass du offensiver bist“, meinte Barty.

Doch James grinste nur verschmitzt. „Ich hab einen Sohn, an den es zu denken gilt, da kann ich mich nicht mehr kopflos in das Getümmel stürzen, auch wenn ich natürlich eine wertvolle Unterstützung bin.“

Barty versuchte keine Grimasse zu schneiden, sondern nahm stattdessen einen riesigen Schluck Butterbier. Sein Blick fiel auf Frank und Alice, die gerade über Neville gebeugt waren und er überlegte, welches Gespräch er aufsuchen konnte, sowie er Potter wieder losgeworden war, als die Antwort wie von selbst kam.

„Barty“, sagte seine Mutter, „ich hatte ü-“

Ein Knall riss ihr die letzten Worte von den Lippen. Schlagartig verstummten alle Gespräche in dem Raum. Nur ein leises Weinen aus Nevilles Korb drang an die Ohren der Anwesenden, deren Blicke alle auf die Gestalt im Türrahmen gerichtet waren.

Völlig außer Atem versuchte der Mann Luft zu holen. Das rotblonde Haar war zerzaust, Äste und Zweige hatten sich in seinem dicken Winterumhang verfangen und seine Stiefel waren vollkommen verdreckt.

„Sie…“, keuchte er. „Wir…“

„Gideon was ist los?“, zerschnitt Moodys knurrige Stimme das angespannte Schweigen. Er hatte sich erhoben und eine wachsame Haltung angenommen.

„Das Dorf… Dorcas ist schon da. Wir müssen“, brachte Gideon heraus und schien sich gar nicht entscheiden zu können, was er zuerst sagen wollte, so schnell stolperten die Worte aus seinem Mund. „Todesser“, stieß er schließlich hervor. „Sie greifen das Dorf an.“



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