Zum Inhalt der Seite

Zeiten des Schreckens

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eine folgenschwere Entdeckung

Er war wieder acht Jahre alt. Er erinnerte sich an die tiefe Angst, die in ihm saß, und nie ganz aus seinen Gliedern gewichen war. Der Sturm war losgebrochen. Unaufhaltsam und zerstörerisch fiel er über ihn her. Barty wusste, dass es zwecklos war, die Augen zu schließen oder die Hände auf die Ohren zu legen, denn das würde alles nur noch schlimmer machen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Furcht zu ertragen und dem Ungeheuer entgegen zu blicken. Er musste zuhören, er musste lernen, damit er diesem Sturm beim nächsten Mal gewachsen sein würde.
 

Mit einem Schrei riss sich Barty los. Bellatrix stand vor ihm und obwohl in ihren Augen der Hohn glitzerte, sagte sie nichts. Sie beließ es bei einem amüsierten Lächeln, von dem Barty nicht sagen konnte, ob es besser oder gar schlimmer war, als der spöttische Kommentar, den er erwartet hatte. Es nutzte jedoch nicht, darüber zu grübeln. Es gab Wichtigeres, mit dem er sich auseinandersetzen musste.

Barty schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Irgendwo entfernt in seinen Gedanken konnte er noch immer das Donnern des Sturms hören. Aber davon durfte er sich nicht ablenken lassen! Eilig schob er die aufkommenden Erinnerungsfetzen beiseite, bis er glaubte, seinen Kopf frei von irgendwelchen unnützen Gedanken gemacht zu haben.

Entschlossen sah er auf.

„Legilimens“, flüsterte Bellatrix.

Nichts.

Barty spürte, dass er Erfolg hatte. Ein Blick in Bellatrix’ unzufriedene Miene bestätigte es ihm und verzog seine Lippen zu einem triumphierenden Lächeln. Er wurde immer besser.

„Gut“, sagte Bellatrix knapp. „Ich glaube, das reicht für heute.“ Damit wandte sie sich von ihrem Schüler ab und ließ sich hoch erhobenen Hauptes auf dem ledernen Sofa nieder, das in dem großen Wohnzimmer der Familie Lestrange stand. Unter schweren Lidern beobachtete sie, wie Barty ihr gegenüber Platz nahm. Crouchs kleiner Sohnemann. Ruhig, blass, unscheinbar und dennoch wusste sie, dass in ihm der Wille loderte, alles für den Dunklen Lord zu tun — koste es, was es wollte.

„Nächste Woche holen wir Severus dazu, der müsste dir noch ein paar Tricks zeigen können“, bestimmte Bellatrix knapp.

Barty unterdrückte das freudige Grinsen, das in seinen Mundwinkeln kitzelte und konzentrierte sich stattdessen auf den Gedanken an Snape. Severus Snape. Unwillkürlich verzog er das Gesicht, als er an den ungepflegten Schüler dachte, der ihm schon während seiner Schulzeit suspekt erschienen war.

„Muss ich dann zu Snape?“, rutschte es aus ihm heraus, ehe er sich zurückhalten konnte.

„Ich denke nicht“, sagte Bellatrix. „Wir sollten abwarten, wo die nächsten Treffen sind und welche Aufgaben wir zu erfüllen haben.“

Schweigend nickte Barty. Aufgaben… Obwohl er seit mehreren Wochen im Besitz des Dunklen Mals war, hatte er sich noch nicht sehr nützlich machen können. Die meisten Informationen aus dem Ministerium erlangte der Dunkle Lord über Rookwood, er selbst konnte allenfalls Details beisteuern; nichts jedoch von großem Wert. Die anderen Todesser hingegen befanden sich auf Missionen, erhielten Befehle von ihrem Herr und Meister persönlich und bereinigten die Welt von dreckigen Blutsverrätern.

Wann würde er endlich an der Reihe sein?
 

„Du treibst dich ja immer noch hier rum.“

Rodolphus war eingetreten und riss Barty wieder aus seinen Gedanken.

„Jeder Grund, nicht nach Hause zu müssen, ist ein guter Grund“, entgegnete Barty.

„Rabastan hatte erzählt, dass das mit der Wohnung nicht geklappt hat.“

„Jaah, sei viel zu gefährlich“, wiederholte Barty die Worte seines Vaters und zog sie verächtlich in die Länge. „Mir könnten ja böse Todesser auflauern.“

Bellatrix lachte und Rodolphus’ Mundwinkel verzogen sich spöttisch. „Das wär wirklich bedauerlich.“

Barty zuckte mit den Achseln. „Tja, wenn der Mistkerl wüsste…“

„Lucius hat mir vorhin eine Nachricht zukommen lassen, dass für nächste Woche ein Treffen angesetzt ist“, sagte Rodolphus auf einmal. Sein Tonfall war hart und ernst geworden. „Du könntest bis dahin herausfinden, wie weit die Schwachköpfe im Ministerium mit den Ermittlungen sind.“

„Bisher gab es zwei Tobsuchtsanfälle und einen Verdächtigen. Nichts von Bedeutung. Die Muggel glauben an einen höchstgefährlichen Brandstifter und das Ministerium hat einen Peter Underwood inhaftiert.“

„Gut, Rookwood hat ähnliches berichtet.“ Rodolphus hatte neben Bellatrix Platz genommen, die Arme lässig auf die Lehne des Sofas gelegt. „Sowie es etwas Neues gibt, erzählst du es mir, verstanden?“

„Ja, Sir.“ Zu spät fiel Barty auf, dass er versehentlich in Konventionen des Ministeriums gefallen war. Rodolphus zog jedoch bloß belustigt eine Augenbraue in die Höhe. „Sieh zu, dass du keine Scheiße baust und dich verrätst“, war alles, was er dazu sagte.

„Werde ich nicht“, erklärte Barty entschlossen.

„Zumindest nicht durch Okklumentik, wenn du so weiter machst“, warf Bellatrix ein. „Aber pass auf, dass du dich nicht verplapperst. Was für eine Schande das wäre…“

„Das wird nicht passieren!“, erwiderte Barty heftig. „Ich würde nie den Dunklen Lord enttäuschen!“ Er hatte gar nicht gemerkt, wie er aufgesprungen war. Doch da stand er plötzlich vor Rodolphus und Bellatrix Lestrange, ein inbrünstiger Ausdruck von Treue.

„Das wollen wir doch alle hoffen“, entgegnete Bellatrix und erhob sich ebenfalls. Anmutig umrundete sie den kleinen Sofatisch, der zwischen ihr und dem jungen Zauberer stand und flüsterte ihm ins Ohr: „Nicht dass Papis missverstandener Sohn auf einmal anfängt zu singen.“

Bartys Augen weiteten sich. Bellatrix bloße Andeutung an ein doppeltes Spiel, das er gegen sie führen könnte, entfachte Zorn in ihm.

„Du hast gesehen, dass das nie passieren wird“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Hab ich das?“, fragte sie. „Ich hab nur gesehen, dass du die Hosen voll hast.“

„Genug!“, fuhr Rodolphus die beiden an. „Lasst diesen Unfug bleiben. Der ist unserem Dunklen Lord nicht würdig.“ Barty und Bellatrix traten automatisch einen Schritt auseinander. Der eine sah betroffen drein, die andere funkelte ihren Mann herausfordern an.

„Barty, bevor du gehst, muss ich noch etwas mit dir besprechen — unter vier Augen“, fügte Rodolphus mit Blick auf seine Frau hinzu.

Bellatrix hatte die Augen zu Schlitzen verengt, während sie beobachtete, wie Barty ihrem Mann gehorsam aus dem geräumigen Wohnzimmer folgte.
 

Schwere Schritte erfüllten das große Foyer und hallten von den hohen Wänden wider, als Rodolphus zielstrebig die gewundene Treppe ansteuerte, die auf die nächsten beiden Stockwerke des Anwesens führte. Eilig lief Barty dem kräftig gebauten Todesser hinterher.

„Du musst aufpassen, Crouch“, sagte Rodolphus, kaum dass er die dunkle Tür zu seinem Arbeitszimmer geschlossen hatte. „Es sind nicht viele bei uns, die dir trauen. Dein Vater ist einer unserer größten Widersacher und du arbeitest für ihn.“

Barty hatte den Mund aufgemacht, um etwas zu erwidern, doch Rodolphus gebot ihm mit einer herrischen Geste zu schweigen. „Du weißt, dass das stimmt. Der Dunkle Lord vertraut dir jedoch. Außerdem gibt’s ein paar andere bei uns, die genau wissen, auf wessen Seite du stehst. Das reicht.“ Die letzten beiden Worte sprach Rodolphus mit Nachdruck. „Je weniger das tun, desto besser. Du musst dich niemandem mehr beweisen. Damit bringst du wenn überhaupt nur deine Mission in Gefahr, verstanden?“

Barty nickte. Er hatte mit vielem gerechnet, nicht aber mit einem solchen Gespräch. „Ich möchte nur…“, sagte er leise, „ich möchte richtig von Nutzen sein. Ich will zeigen, was ich kann.“

„Dann benutz mal deinen Kopf; dich beweisen kannst du noch früh genug“, erwiderte Rodolphus kalt. „Dein ganzer Ehrgeiz ist zwar lobenswert, aber fehl am Platz. Im Moment unterstützt du uns mit Informationen, an die wir nicht rankommen, alles andere kann warten, klar?“

Barty nickte erneut und starrte nachdenklich zu einer Vitrine, in der sich viele seltsame Gegenstände befanden. Es gefiel ihm nicht, von Rodolphus so gescholten zu werden. Er war kein kleines Kind mehr. Er war nicht einmal mehr minderjährig!

„Gibt’s im Moment irgendetwas Bestimmtes, wo ich nach Ausschau halten soll?“, fragte er schließlich um einen unbekümmerten Tonfall bemüht.

„Allerdings“, sagte Rodolphus knapp. Er war zu einem großen Schreibtisch gegangen, aus dessen Schublade er nun ein eingerolltes Pergament hervorholte. Das Siegel war bereits gebrochen. „Zwei unserer Leute sind verschwunden. Es sind zwar nur kleine Fische, aber es wär trotzdem gut zu wissen, ob sie derzeit frei herumlaufen oder verhört werden.“

„Ich kümmere mich drum“, erklärte Barty und begann die in dem Pergament verzeichneten Daten zu studieren. Dann fuhr er mit der Spitze seines Zauberstabs über die Buchstabenreihen und beobachtete, wie sie sich zu einer komplexen Verschlüsselung verschoben, ehe er den verräterischen Hinweis einsteckte. „Noch etwas?“

„Das war’s fürs erste. Ich schätze Rabastan wird dir in den nächsten Tagen wegen dem Treffen noch Genaueres sagen.“

„In Ordnung.“

Sie verabschiedeten sich knapp voneinander, dann brach Barty auf, um wieder den langweiligen Teil seines Lebens anzutreten.
 

~*~
 

Bartys Kopf dröhnte. Verbissen beugte er sich über das Pergament auf seinem Schreibtisch in dem Versuch, sich auf die Daten des Angeklagten zu konzentrieren. Doch ohne Erfolg. Über ihm schwirrten unablässig Botschaften ins Büro, stampfende Schritte drangen von den Gängen hinein und aus dem Raum seines Vaters konnte er lauter werdendes Stimmengewirr hören. Barty seufzte. Es schien schier unmöglich zu sein, diesen Berg an Arbeit zu bewältigen und wenn er Pech hatte, war seine Pause für heute ein weiteres Mal gestrichen.

Angestrengt las er das Protokoll und bemühte sich darum, den Worten einen Sinn abzugewinnen. Er musste sich auf den Inhalt konzentrieren, selbst wenn dieser in höchstem Maße absurd war. Geoffrey McKee werde verdächtigt, ein Todesser zu sein, hieß es in dem Bericht. Barty unterdrückte ein verächtliches Lachen. Dieser Wurm war ein Niemand! Ein kleiner Fisch, den sie für ihre Zwecke genutzt hatten, aber nicht mehr. Die Bezeichnung Todesser schien geradezu beleidigend. Ansonsten befanden sich unter den Pergamenten meistens Schadensberichte - in einigen Fällen ungeklärte Morde - doch zu Bartys Zufriedenheit war in keinem die Rede von den zwei Leuten, die spurlos verschwunden waren.

Hinter ihm wurden die Stimmen noch lauter. Barty konnte nun ganz deutlich den lauten Bass seines Vaters heraushören. Irgendetwas stimmte nicht.

Neugierig geworden, griff er nach den vorbereiteten Akten für seinen Vater und näherte sich dem Büro.
 

„…nicht machen, wir wären nicht besser als sie!“
 

„Was bleibt uns denn für eine Wahl? Verdammt noch mal, wenn wir nicht bald irgendwelche Erfolge verzeichnen können, dann war’s das!“
 

„Warte mal eben, Barty … da ist jemand.“
 

Barty erstarrte. Sein Herz begann schneller zu schlagen und sein Griff um die Akten wurde fester. Vor ihm öffnete sich langsam die Bürotür seines Vaters, hinter der ihm das finstere Gesicht von Alastor Moody entgegenblickte.

Barty räusperte sich hastig. „Verzeihung, Sir“, murmelte er kleinlaut. „Ich wollte nicht stören, aber ich habe hier noch dringende Papiere für m … für Mr Crouch.“ Aus dem Augenwinkel konnte er seinen Vater am Schreibtisch stehen sehen, die Augenbrauen noch immer wütend zusammengezogen.

„Hätte das nicht warten können?“, fuhr Mr Crouch ihn unwirsch an.

Barty schüttelte hastig den Kopf. „Nein, Sir, es tut mir leid“, mit zittrigen Fingern zog er ein Pergament hervor, „dieser Bericht wird noch heute Nachmittag zurückerwartet und …“

„Schon gut, leg alles auf meinen Schreibtisch.“

Vorsichtig schlängelte sich Barty an Moody vorbei, der noch immer den Durchgang zum Büro versperrte, und bemerkte erst dann, dass eine dritte Gestalt anwesend war. Frank Longbottom. Eilig legte er den Aktenstapel zu mehreren anderen auf den wuchtigen Schreibtisch seines Vaters und versuchte sich dabei so klein und unauffällig wie möglich zu machen. Gerade, als er wieder kehrtmachen wollte, meldete sich sein Vater jedoch zu Wort: „Wenn du im Moment nichts zu tun hast, dann bring die hier runter zu Mr Featherstone.“

Ein Stapel Pergamentrollen kam auf Barty zugeflogen, den er gehorsam entgegennahm.

„Natürlich, Sir“, murmelte er und wich dem Blick seines Vaters aus. Er verabscheute es, im Beisein von Außenstehenden den demütigen Sohn zu spielen.

„Dann geh jetzt und pass ja auf, dass du nichts verlierst!“

Barty sagte dazu nichts. Mit einem stummen Nicken wandte er sich von seinem Vater ab und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er die durchdringenden Blicke von Moody und Longbottom auf sich brennen spüren konnte.

Plötzlich packte ihn eine Hand an der Schulter. Erschrocken zuckte Barty zusammen und hätte beinahe seine Last fallengelassen, doch Frank Longbottom konnte mit einem geistesgegenwärtigen Wingardium Leviosa ein paar der Rollen von ihrer Flucht abhalten.

„D-danke“, murmelte Barty. Danach brachte er die Kraft auf, den durchdringenden Blick von Moody zu erwidern.

„Beim nächsten Mal wartest du gefällig, bis das Gespräch zu Ende ist“, knurrte dieser, „verstanden?“

„Ja, Sir, natürlich, ich hatte nur … es war dringend und … tut mir leid.“

Mit gesenktem Kopf hielt er in seinem zusammenhangslosen Gestammel inne. Moody schnaubte bloß und ließ ihn wieder los. Es war Zeit zu verschwinden. Mit vorsichtigen Schritten suchte Barty sich einen Weg aus dem Büro, während hinter ihm Moody wieder zu reden begonnen hatte: „Also, Barty, denk darüber nach. Frank und ich sollten…“
 

Die Tür fiel ins Schloss und verschluckte die restlichen Worte des Aurors. Bedauernd lief Barty zu seinem Schreibtisch zurück. Er hätte gerne, mehr von dem Gespräch mitbekommen, doch jede Sekunde, die er länger als nötig unter den achtsamen Augen Moodys verbracht hätte, hätte verdächtig wirken können. Nicht dass man ihn der Spionage verdächtigen würde, aber er musste es schließlich nicht darauf ankommen lassen — nicht wenn es nicht nötig war.

Seufzend legte Barty den Stapel Pergamentrollen ab und begann seine Sachen zu sortieren. Im Grunde genommen warteten keine wichtigen Papiere darauf von ihm bearbeitet zu werden — zumindest war nichts von dringendster Wichtigkeit, da konnte er eigentlich sofort losgehen.

Sein Blick wanderte zur geschlossenen Bürotür. Er konnte natürlich auch noch etwas Zeit schinden und hoffen, mehr über den Inhalt der Diskussion herauszubekommen. Nur wie lange würden sich Moody und Longbottom noch dadrin aufhalten?

Barty entschied kurzerhand, dass es keinen Sinn hatte zu warten, sammelte die Pergamentrollen wieder auf und machte sich auf den Weg, die Abteilung für Magische Strafverfolgung zu verlassen. Genau in dem Augenblick wurde die Bürotür des Abteilungsleiters geräuschvoll geöffnet und Moody polterte heraus, gefolgt von Longbottom. Mit einem grimmigen Ausdruck in dem vernarbten Gesicht durchschritt der Auror in großen Schritten die Abteilung genau an Barty vorbei und war verschwunden.
 

Neugierig sah Barty ihm hinterher und bemerkte gar nicht, wie Frank Longbottom auf einmal neben ihn getreten war.

„Das lief nicht ganz wie geplant“, kommentierte er Moodys Abgang.

Überrascht sah Barty auf.

„Hi“, sagte Frank mit einem schiefen Lächeln.

„Hallo“, entgegnete Barty, unsicher, was er von der Situation halten sollte und setzte sich langsam wieder in Bewegung.

„Du musst runter zum Gericht, oder?“

Natürlich musste er das, Longbottom hatte das doch soeben mitbekommen. Barty verkniff sich den bissigen Kommentar, sondern nickte nur stumm.

„Ich muss auch runter, da würde ich dich begleiten.“

„In Ordnung.“

Sie hatten mittlerweile die Abteilung für Magische Strafverfolgung verlassen und befanden sich nun auf einem langen Flur, der sie an der Aurorenzentrale vorbei führte.

Nachdenklich sah Barty zu Longbottom. Bisher hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Es hatte auch nie eine Gelegenheit gegeben. Sie hatten vielleicht ein oder zwei Jahre gemeinsam auf Hogwarts verbracht, doch war der Altersunterschied zu groß gewesen, als dass sie miteinander gesprochen hätten. Dass sie beide in zwei unterschiedlichen Häusern gewesen waren, hatte ihr übriges dazu beigetragen. Und eigentlich gab es auch im Ministerium keine Gelegenheit, sich zu begegnen, waren sie beide schließlich in zwei völlig unterschiedlichen Aufgabenbereichen tätig. Eigentlich …

„Du, sag mal“, brach Frank schließlich das unangenehme Schweigen, das zwischen ihnen hing, „gibt es irgendeinen guten Trick, mit dem man deinen Vater, ich meine, Mr Crouch, für seine Sache gewinnen kann?“

Barty hätte beinahe spöttisch aufgelacht, schluckte das böse Lachen jedoch gerade noch rechtzeitig hinunter und beließ es bei einem bedauernden Kopfschütteln. „Ich glaube nicht. Es kommt aber auch darauf an, was man von ihm will.“

„Wir wollten ihn von was abbringen…“, Frank hielt inne und sah zu Crouchs Sohn, der ihn mit einem Anflug von Interesse bedachte. „Na ja, wahrscheinlich sollte ich das gar nicht sagen, was?“

Er lachte. Barty schenkte ihm ein kleines Lächeln und gab sich alle Mühe, den zurückhaltenden und unscheinbaren Sohn zu spielen, während er den Stapel Pergamentrollen unwillkürlich fester umklammerte.

„Ist auch nicht wirklich wichtig. An sich müsstest du eh schon wissen, worum es geht. Ich wünschte einfach nur, dass Mr Crouch nicht so … verbissen wäre. Wenn das so weitergeht, werden wir nicht besser als der Feind sein.“

Barty zuckte etwas hilflos die Achseln. „Klingt ganz so, als würdet ihr keine Chance haben, ihm etwas auszureden“, sagte er und fragte sich neugierig, um was es ging.

„Dachte ich’s mir.“ Frank legte seufzend den Kopf in den Nacken und starrte zu dem hektischen Gewimmel von violetten Memos an der Decke. „Aber einen Versuch ist es wert. So kann man immerhin sagen, man hat was getan.“

„Stimmt“, pflichtete ihm Barty bei. „Etwas versucht zu haben, ist besser als gar nichts getan zu haben.“

Das brachte Frank zum Grinsen. „Meine Rede.“ Doch plötzlich wurde er ernst. „Ich möchte alles tun, damit mein Sohn eines Tages in einer Welt aufwachsen kann, die nicht mehr vom Krieg zerrüttet ist. Ich will nicht, dass er jeden Tag bangen muss, dass seine Eltern vielleicht nicht mehr von der Arbeit zurückkehren.“

Nachdenklich sah Barty in das entschlossene Gesicht von Frank und spürte einen Stich von Neid. Verwirrt über diesen lächerlichen Anflug von Gefühlen sah er weg. Es war nicht nur Neid, da war auch bittere Enttäuschung.

„Ich kann mir vorstellen, dass dein Vater das ähnlich sieht, so verbissen wie er gegen Voldemort und sein Gefolge vorgeht.“

„Wirklich?“, entfuhr es Barty verächtlich, ehe er sich zurückhalten konnte.

Einen Moment lang sahen Frank und er sich an. Barty glaubte Mitleid in Longbottoms Gesicht sehen zu können, statt jedoch wegzuschauen starrte er dem Auror trotzig entgegen, bis dieser wegschaute.

„Ich glaube schon“, sagte Frank Longbottom. „Ich glaube auch, dass du ihm eine ziemlich große Hilfe bist, auch wenn er es nicht zugeben will.“
 

Den restlichen Weg zu den Fahrstühlen verfielen sie beide in tiefes Schweigen. Frank aus Ratlosigkeit und Barty aus Reflex. Er wollte nicht hören, was ihm da der Auror erzählte. Dieser Blutsverräter hatte schließlich überhaupt keine Ahnung.

Gerade im rechten Moment erreichten sie eins der goldenen Gitter, hinter dem einer der vielen Fahrstühle des Ministeriums ratternd zum Halt kam. Eine kleine Schar von Hexen und Zauberern kam ihnen aus der engen Kabine entgegen und quetschte sich an ihnen vorbei. Dann betraten Barty und Frank wortlos den Lift und stellten sich zwischen die übrigen Mitarbeiter des Zaubereriministeriums. Niemand sah auf. Jeder vermied den Blickkontakt und zog es vor, den eigenen Gedanken hinterher zu hängen, während der Aufzug in gewohnt halsbrecherischer Fahrt die verschiedenen Stockwerke des Ministeriums ansteuerte und immer mehr der Passagiere ablieferte, bis er schließlich die unterste Etage erreichte.

Grübelnd verließ Barty das Gefährt und folgte den wenigen verbliebenen Zauberern in die dunkel gefliesten Gänge hinein. Eine Hand auf seiner Schulter veranlasste ihn jedoch anzuhalten.

„Hey“, sagte Longbottom.

Skeptisch sah Barty ihn an, während er unwillkürlich die Schultern hochzog.

„Es tut mir leid, wenn ich was Falsches gesagt habe.“ Etwas unbeholfen vergrub Longbottom die Hände in den Taschen seiner Robe. „Meine Mutter ist selber was streng. Ich dachte, es wäre ganz nett, was Gutes zu hören.“

Barty sagte noch immer nichts.

„Ich kann mir vorstellen, wie anstrengend das manchmal mit jemandem wie Crouch sein kann. Ich wollte einfach nur sagen, mach dir nichts draus, ja? Es tut mir wirklich leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin.“ Frank seufzte. „Ich sollte es eigentlich besser wissen. Sowas geht mich auch eigentlich gar nichts an, was?“

Grinsend sah er Barty an, der den Blick nachdenklich erwiderte. Dann regte sich ein leichtes Lächeln in dem Gesicht des Jungen. Es wirkte unsicher und verloren.

„Na ja, mach dir nichts draus“, redete Frank schnell weiter. „Es sind einfach miese Zeiten. Wir sollten das Beste draus machen und bald — bald ist alles bestimmt vorbei.“

Irgendwo bewunderte Barty diesen hoffnungslosen Optimismus seines Gegenübers. Sein Lächeln wurde jedoch breiter bei dem Gedanken, dass bald wirklich alles vorbei sein würde. Bald hätte der Dunkle Lord gesiegt und ein Goldenes Zeitalter würde für die Zauberer einbrechen.

„Du hast recht“, sagte Barty schließlich. „Tut mir leid wegen gerade. Der ganze Stress. Manchmal bin ich solchen Situationen noch nicht gewachsen.“

„Kein Ding, du hättest Alice und mich mal in unseren ersten Wochen als richtige Auroren erleben sollen. Moody und Scrimgeour haben uns täglich eingeheizt, obwohl wir uns total angestrengt haben.“

Barty hielt sein Lächeln aufrecht, während er schweigend weiterging.

„Oh, da ist mein Ziel“, meinte Frank auf einmal und hielt in seinem Redefluss inne. „Hör mal, Barty - Barty ist doch in Ordnung, oder? - es war schön mit dir zu reden. Ich bin mir sicher, man sieht sich.“

„Man sieht sich“, murmelte Barty und starrte dem davon hastenden Auror nachdenklich hinterher. Zu seiner Überraschung musste er feststellen, dass er diesen Blutsverräter irgendwie mochte.

Verärgert über sich selbst marschierte Barty weiter und versuchte gar nicht länger über die gerade erlebte Begegnung nachzudenken. Sie war seltsam gewesen. Eigentlich konnte er sich nicht daran erinnern, einer so aufmerksamen Person wie Frank begegnet zu sein. Die einzige Person, die ähnlich war, war seine Mutter. Barty schnaubte verächtlich. Seine Mutter! Was kümmerte ihn das alles eigentlich? Er war doch kein kleines Kind mehr! Er konnte gut für sich selbst sorgen.
 

Barty hatte den dunklen steinernen Treppengang erreicht, der ihn noch tiefer unter die Erde führte, an einen Ort, den selbst die Fahrstühle des Ministeriums nicht mehr erreichten. Gerichtsraum Nummer zehn.

Vorsichtig öffnete Barty die hölzerne Tür mit den Eisenbeschlägen und schlüpfte unauffällig in den düsteren Raum hinein. Sogleich suchte er sich einen Weg zwischen den Bänken hinauf, um sich einen guten Blick aufs Geschehen zu sichern und um - natürlich - seiner Pflicht nachzugehen und ein paar der eiligen Dokumente abzugeben. Die sechs Pergamentrollen hatte er dafür neben sich her schweben lassen.

„Ich weiß von nichts“, hörte er da ein klägliches Jammern aus den Tiefen des Raumes zu sich empor steigen. Verächtlich starrte Barty hinunter auf sechs erbärmliche Gestalten, die allesamt mit goldenen Ketten auf einem unbequem aussehenden Holzstuhl gefesselt waren.

„Wirklich nich’, ich hab nur auf Frau und Kind aufgepasst. Da war Lärm, aber …“

„Das genügt“, unterbrach eine kalte Männerstimme den völlig aufgelösten Mann.

Neugierig ließ Barty seinen Blick zu den versammelten Zauberern und Hexen in ihren pflaumenblauen Umhängen wandern. Das kleine silberne Z auf ihrer Kleidung, wies sie als Mitglieder des Zaubergamots aus.

Leises Getuschel brach los, als sich der beleibte Zauberer in der Mitte der vorderen ersten Reihe mit einer Hexen zu seiner Linken beriet.

Barty nutzte die Gelegenheit, um sich einen Weg vorzukämpfen und seinen Botengang zu vollenden. Es wunderte ihn, dass sein Vater mehr oder weniger verlangte, eine solche Anhörung zu stören — selbst wenn die Verdächtigen von noch so belangloser Natur waren. Ob in den Dokumenten doch etwas von entscheidender Wichtigkeit stand?
 

„Verzeihung, Sir“, flüsterte Barty. „Ich … ich soll Ihnen das von Mr Crouch bringen, es ist von größter Dringlichkeit.“ Mit einem Schwenk seines Zauberstabs übergab er dem gewichtig aussehenden Zauberer die Pergamentrollen. Es handelte sich dabei um Mr Featherstone, einen Untergeordneten Mr Crouchs.

„Danke“, brummte Featherstone und entließ Crouch Junior mit einer nachlässigen Handbewegung. Doch Barty dachte nicht daran sofort zu gehen. Neugierig drückte er sich in die Schatten der hinteren Bänke, wo er einen guten Blick auf die sechs Hexen und Zauberer hatte. Zu seinem Unbehagen erkannte er Peter Underwood unter ihnen. Er sah deutlich mitgenommener aus als auf dem Foto, das den Dokumenten beigelegt worden war. Das hellbraune Haar hing ihm ungepflegt in das ovale Gesicht und die schmalen Lippen waren zu einem grimmigen Strich verzogen. Hatte dieser Schwachkopf doch mehr preisgeben können als vorerst angenommen?


Aufmerksam sah Barty zu Mr Featherstone, der dabei war, die überbrachten Dokumente zu überfliegen.

„Mr Underwood“, erscholl plötzlich die kalte Stimme Mr Featherstones durch den Gerichtsraum Nummer zehn. „Wie ich soeben erfahren habe, wurden eindeutige Beweise gefunden, dass sie mit Todessern in Kontakt stehen.“

Barty erstarrte.

„Sie haben nun die Möglichkeit, uns aus freiem Stück mitzuteilen, um wen es sich dabei gehandelt hat.“

„Ich weiß nich“, stammelte der Angeklagte mir aschfahlem Gesicht. „Das is’n gewaltiger Irrtum.“

„Mr Underwood!“

„Nja, die tragen nicht umsonst Masken, würd ich sagen. Wie soll ich da wissen, wer das war?“

Bartys Augenbrauen zogen sich missbilligend zusammen. Seine Finger hatten bereits unbemerkt nach seinem Zauberstab gegriffen.

„Sie geben also zu, mit Todessern in Kontakt zu stehen“, fasste Mr Featherstone unbeeindruckt zusammen.

„Nein! Nein, ich hatte keine Wahl. Ich musste an meine Familie denken. Sie verstehen doch sicherlich …“

Aber sein Richter hörte ihm gar nicht mehr zu. Stattdessen hatte er sich der kleinen Hexe zu seiner Linken zugewandt. Nachdem sie zu einem Entschluss gekommen zu sein schienen, sah Featherstone wieder auf. „Uns bleibt keine Wahl. Veritaserum“, bestimmte er knapp.

Verdammt! Barty schluckte. Er musste etwas unternehmen, wollte etwas unternehmen und konnte nicht. Nicht in diesem Augenblick, sonst wäre seine Tarnung aufgeflogen. Er war ohnehin schon viel länger, als er eigentlich sollte, dort unten. Wenn er nicht langsam ging, würde er Aufsehen erregen.

Zähneknirschend machte sich Barty wieder auf den Weg hinaus, während im Hintergrund das elendige Gejammer der anderen Angeklagten zu hören war. Keiner von ihnen schien ihm wirklich gefährlich gewesen zu sein. Keiner … bis auf Underwood.
 

Hastig stürmte Barty den spärlich beleuchteten Treppengang hinauf und lief durch den kahlen Flur an einer schwarzen Tür vorbei, die just in diesem Moment aufging.

„Hoppla!“, rief ein überraschter Rookwood mit einem Anflug von Belustigung. „Na, wenn das nicht Crouch Junior ist.“

Barty hielt unwirsch inne. Er hatte keine Zeit für so etwas.

„Was soll das?“, blaffte er, nur um im nächsten Moment in heillose Demütigung zu fallen, als ihm aufging, in was für einer Situation er sich befand . „Oh nein, verzeihen Sie mir, Sir. Ich hab’s eilig. Ich wollte nicht … ich wusste nicht, dass Sie aus der Tür. Bitte entschuldigen Sie mich.“

„Na na, ist doch halb so wild. Ich hoffe doch, es ist nichts Schlimmes vorgefallen?“

Rookwoods Blick sprach Bände und Barty verstand sofort.

„Es kommt drauf an, was Sie als schlimm verstehen, Sir. Es ist auf jeden Fall sehr dringend. Ich muss sofort zurück.“

Rookwood nickte leicht, wobei er unmerklich Richtung Gerichtsraum Nummer zehn sah. Mit einem flüchtigen Nicken bedeutete ihm Barty, dass er richtig verstanden hatte, dann wandte sich der Junge ab.

„Entschuldigen Sie mich bitte, Sir, ich muss weiter.“

Und ohne sich irgendwie anmerken zu lassen, dass Barty und Rookwood sich viel besser kannten, als sie vorgaben, eilte Barty davon.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück