Über Freunde und Helden von GrauW0lf ================================================================================ Kapitel 1: Akt I - Fischzug --------------------------- Ein Klicken und der Metallhacken war im Beton verankert. „Sehr gut.“ sprach eine verzerrte Stimme ins Mikro. Ein schnappendes Geräusch, die Stahlseile waren gespannt. Ein Raunen durchfuhr den ganzen, in Dunkelheit getauchten Raum, durchmischt mit dem leisen und konzentrierten Atmen der beiden Gestalten. „Du kannst ihn einschalten. Ich halte Wache.“ sprach der andere und trat einen Schritt zurück. „Halt deine Klinge bereit, wir werden gleich Besuch bekommen.“ antwortete der erste. „Und jetzt schön die Hosen festhalten!“ brüllte er ins Mikro und mit einem lauten Dröhnen begann sich der Koloss in Bewegung zu setzen. Ein Koloss aus Stahl und Ketten, der sich tief in den Keramikboden des Gebäudes grub, als die Räder Richtung Ausgang drängten. Noch immer hatte der Alarm des Labors nicht reagiert und das machte ihn nervös. Er durchschritt das riesige Loch, das sie in die Außenwand geschlagen hatten und trat in die Nacht heraus. „Wie sieht es draußen aus?“ drang die Stimme seines Kollegen durch den Lautsprecher seines Helms. „Ruhig.“ war die das einzige Wort, das er antwortete. Die Stadt lag still und abgesehen von gelegentlichem Hupen von Autos in der Ferne oder dem Kreischen einer Katze war nichts zu hören. Er hoffte, dass die Beute, die sie heute Nacht machen würden, den Aufwand lohnte. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen barst die Betonwand und der Alarm begann schrillend seinen Dienst. „Wohaa!“ lachte sein Kollege laut. „Wenn du das sehen könntest!“ „Eintüten und abhauen.“ antwortete er und sah sich um. Durch die Nachtsicht seines Helms hindurch erschien alles um ihn herum in helles Grün getaucht. Die laute Explosion und die inzwischen verstummte Alarmanlage hatten eine unangenehme Stille hinterlassen und er hörte angestrengt nach jedem verräterischem Geräusch. Die Minuten vergingen, ehe die ersten Sirenen in der Ferne die Nacht erfüllten. „Wie weit bist du?“ fragte er ins Mikro hinein. „Die Hälfte vielleicht. Mach mal nicht so einen Stress, das ist viel zum Schleppen.“ witzelte sein Kollege. Er stöhnte resigniert und griff an das Heft seines Schwertes, welches in der Scheide zu seiner Linken hing. Die Sirenen wurden lauter und lauter, bis der erste Einsatzwagen in die Straße zum Labor einbog und seine Scheinwerfer direkt auf ihn richtete. Der nächste folgte, dann noch einer. Mit quietschenden Reifen blieben sie gut zehn Meter vor dem Labor stehen, bildeten eine Front aus blankem Autostahl. Vermummte Polizeibeamte, mit schweren Gerät bewaffnet, nahmen Stellung und richteten ihre Gewehrläufe auf ihn. „Was ist da oben für ein Lärm?“ sprach die Stimme aus den Lautsprechern des Helms. „Nur ein paar verwirrte Partygäste, die mich nach den Weg fragen. Mach weiter.“ „Jaja ich weiß, bin dabei.“ Er sah sich um. Der Weg nach vorne war völlig versperrt und die nervösen, brüllenden Stimmen der Einsatzkräfte schienen die Entschlossenheit, diese Blockade auch aufrecht zu halten, nur zu untermauern. Man richtete die Scheinwerfer und Taschenlampen auf ihn und das Loch in Wand hinter ihm. „Nehmen Sie die Hände hinter den Kopf!“ brüllte jemand durch ein Megaphon. Er tat nichts dergleichen. Stattdessen zog er das Schwert, welches mit einem metallenen Singen die Scheide verließ. Der Stahl schimmerte rötlich im Scheinwerferlicht. „Nehmen Sie die Waffe runter! Ihre Lage ist aussichtslos.“ brüllte sie wieder durchs Megaphon. Naja dachte er. Sie hatten Scharfschützen auf den Dächern vor ihm postiert. Die gepanzerten Einsatzwagen hatten seine Flanken eingemauert. Durch die Gewehrläufe, die auf seine Position gerichtet wurden, waren seine Einsatzmöglichkeiten eingeschränkt. Schwierig, aber nicht aussichtslos. „Ich bin fertig hier unten.“ Das war der Satz, auf den er gewartet hatte. „Wir nehmen Ausgang A in dreißig Sekunden.“ sprach er ins Mikro. Geschickt ließ er das Schwert in seiner Hand kreisen und ließ die Klinge wieder in die Scheide gleiten. Schade, aber vielleicht würde er ein andermal die Gelegenheit zum Kämpfen bekommen. „Und jetzt die Hände hinter den Kopf!“ brüllte der Polizist und er tat, wie ihm geheißen. "Gehen Sie langsam auf die Knie und verhalten Sie sich ruhig!" Langsam ließ er sich wie gefordert auf seine Knie fallen. Die Anzeigen in seinem Helm begannen zu flimmern, als sich drei Polizisten langsam näherten, und auf dem Display erschienen ihre Waffen und Dienstgrade. „Einundzwanzig, zweiundzwanzig…“ flüsterte er. Nur noch wenige Meter und sie würden nah genug sein. "Bleib unten!" Brüllte ihm einer der Männer entgegen. "Achtundzwanzig..." flüsterte er und riss die Hände vom Kopf. Der erste Polizist war einfach. Er griff nach dem Lauf des Gewehres und schob diesen beiseite. Ein Schuss löste sich und traf den zweiten in die Brust. Ein Trommelfeuer aus Faustschlägen auf Brust, Hals und Gesicht ließ er auf den ersten nieder, packte ihn am Hals und riss ihn zu Boden. "Dreißig..." Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ die Mauer hinter ihm bersten. Den dritten Beamten hob es von den Füßen. Nur Sekunden und die ganze Szenerie war in dichten Staub und Schutt gehüllt. Entfernt hörte er das hektische Gemurmel der Polizisten, die sich Kreuz und quer Befehle und Anweisungen zubrüllten. Neben ihm stand der Koloss aus Stahl, dessen Motor laut rumorte. "Lass uns abhauen." sprach er ins Mikro, sprang auf das Fahrzeug und eine Klappe auf dem Dach eröffnete ihm den Weg ins Innere. Kaum war diese wieder geschlossen, heulte der Motor auf und sie setzten sich in Bewegung. "Hat sich der Aufwand gelohnt?" fragte er seinen Partner. Dieser nickte resigniert. "Nicht so sehr, wie wir erhofft hatten, aber ein paar nette Exponate waren dabei." Sein Partner lachte dabei und fragte schließlich "Was steht als nächstes auf der Liste?" "Fransokyo." Kapitel 2: Technikmesse ----------------------- Seit Tadashis Tod und der letzten Technikmesse der Universität von Fransokyo war bereits ein ganzes Jahr vergangen. Gogo verstand noch immer nicht ganz, warum sie jetzt hier waren, statt an ihren eigenen Arbeiten zu sitzen, doch waren Fred und Honey der Meinung gewesen, dass es doch ganz interessant sein würde, die möglichen neuen Kommilitonen und ihre Arbeiten kennen zu lernen. Honey hatte ihr daraufhin noch erzählt, Fred habe eine, wie er sagte, „übergeniale“ Ankündigung gelesen, die sie sich unbedingt einmal angucken sollten. Genervt ließ sie ihre Kaugummiblase platzen. Die Messe war gut besucht und das Gedränge an manchen Ständen war einfach unnormal. Scheinbar hatte das Feuer vom letzten Jahr die Begeisterung für Technik nicht abebben lassen und das Erscheinen von „Superhelden“ schien ebenfalls seinen Beitrag dazu geleistet zu haben. „Das ist ja der Überwahnsinn!“ schallte mit einem Mal die aufgeregte Stimme Freds in ihrem Ohr. „Das muss ich mir ansehen!“ und, ehe man sich versah, war er auch schon in der Menge verschwunden und stoppte voller Begeisterung wenige Sekunden später an einem reich geschmückten Stand, über dem mit großen Lettern „Comicrestaurator!“ prangte. „Ist das sein Ernst?“ beschwerte sich Gogo bei Honey. „Dafür sind wir hergekommen?“ „Sach ma, hat wer von euch Hiro und Baymax gesehen?“ wandte Wasabi ein. Von den beiden war weit und breit nichts zu sehen. Gogo zuckte mit den Schultern, blies erneut ihre Blase auf und ging unbeirrt weiter. „Wahrscheinlich haben sie auch etwas Interessantes gesehen.“ vermutete Honey und zuckte ebenfalls mit den Schultern. Es war nicht zum Aushalten. Der Umstand, dass Gogo bereits auf dem Bike sitzen könnte, um die neuen, leichteren Bremsen zu testen, statt hier herum zu latschen, machte alles nur noch schlimmer. „Ich bin mal kurz wohin.“ sagte sie knapp zu ihren Freunden und, ohne eine Antwort abzuwarten, schritt sie bereits durch die Menschenmassen hindurch. Es war laut und überall hörte man Stimmen von Präsentatoren und diskutierenden Fans, die lauthals durch die Halle fegten. Irgendwo hier waren sie doch. dachte sich Gogo, doch konnte sie kein WC-Zeichen erkennen. Stattdessen fiel ihr Blick auf eine Bühne etwas abseits der Menge. Vorne war ein kleines Schild mit der Aufschrift „Multifunktionstechnik“ zu sehen und einer der Professoren ihrer Abteilung unterhielt sich aufgeregt mit einem jungen Mann. Dieser sprang gerade mit einem Satz wieder auf die Bühne und ergriff ein Mikro. „Mein Name ist Naoko Yamoro. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Menschen mit verlorenen Gliedmaßen zu helfen und entwickle dafür spezielle Prothesen." Ein leichtes Gemurmel ging durch die wenigen Menschen, die ihm zuhörten. „Hier steckst du also.“ Es war Honey, die mit den Anderen im Schlepptau zu ihr aufgeschlossen hatte. „Wir haben Hiro und Baymax gefunden." fuhr sie lächelnd fort. „Irgendwie sind wir vom Weg abgekommen." grinste Hiro sie an und Baymax meinte „Du hast nicht aufgepasst." „Danke Großer. Das musst du mir nicht auch noch rein drücken." beschwerete Hiro sich. „Und was ziehst du dir da rein?“ fragte Fred in Gogos Richtung, doch antwortete sie nicht darauf und, als die Stimme Naokos aus den Lautsprechern drang, musste sie das auch nicht mehr. „Doch vergessen Sie diese unhandlichen, steifen Dinger, die Sie bisher vielleicht gekannt haben. Meine Prothesen bieten denselben Funktionsumfang wie ein echtes Körperteil und noch sehr viel mehr. Keine Verzögerung, keine steifen und langsamen Finger oder Zehen." Die Menge wurde größer und selbst Fred schien ein gewisses Interesse zu zeigen, obwohl Gogo nicht sagen konnte, ob er nur wieder eine seiner Ideen hatte oder aufmerksam zuhörte. Der junge Mann auf der Bühne steckte seine freie Hand in die Hosentasche und sah sich um. „Vor einigen Jahren…" begann er etwas ruhiger „…habe ich bei einem Busunglück ein Körperteil verloren. Die folgenden Prothesen, die ich bekam, waren nur hinderlich und sperrig und ließen mich mein liebstes Hobby nicht mehr ausführen. Dies waren für mich der Wendepunkt und der Anfang meiner Arbeit. Ich möchte Sie nun Folgendes fragen." Er legte das Mikrofon wieder auf den kleinen Hocker und begann damit, sich Shirt und Schuhe auszuziehen, bis er nur noch mit der kurzen Hose bekleidet dort stand. „Welcher Körperteil an mir ist nicht aus Fleisch und Blut?" fragte er in die Menge. Niemand rührte sich oder sagte ein Wort. Alle standen sie nur da und beobachteten ihn. Versuchten eine verräterische Stelle auszumachen und auch Gogo ertappte sich dabei, wie sie ihn ausgiebig studierte. „Könnt ihr wat erkennen?" fragte Wasabi in die Runde. „Hey Baymax." wandte sich Hiro an den Roboter. „Scan ihn mal." nur wenige Sekunden und Baymax antwortete „Scan abgeschlossen. Sein rechter Arm besteht aus verschiedenen Metallen, sowie Kabeln und Chips." Hiro grinste schelmisch und war gerade dabei, seinen Arm zu heben, als Wasabi ihn davon abhielt. „Also sonderlich fair is‘ dat aber nich‘, wa?" „Du hast wahrscheinlich Recht." gab Hiro zu, hob den Arm jedoch trotzdem. Der junge Mann reagierte und zeigte auf ihn. „Ja, du, vor dem Riesen-Marshmallow." Hiro trat etwas nach vorne, als Naoko ihn zu sich winkte, am Rand der Bühne zu ihm runter kniete und ihm das Mikrofon entgegen hielt. „Dein rechter Arm ist nicht echt." sagte er und ein leises Murmeln ging durch die Menge. Naoko hob eine Augenbraue und sah sich den „Marshmallow“ hinter ihm jetzt etwas näher an, ehe er lächelte und sich wieder Hiro zuwandte. „Woran hast du das denn gemerkt?" Hiro zuckte mit den Schultern und sah ihn unschuldig an. „Ich habe geraten." „Soso." antwortete Naoko lächelnd und erhob sich wieder. „Nun, der Kleine hat völlig Recht." Er griff in die Kiste am Rande der Bühne und zog einen Basketball hervor. Geschickt ließ er diesen auf seinem Finger kreisen, ehe er ihn fallen ließ und mit dem Fuß festhielt. Dann legte er das Mikro beiseite und begann, die Haut an seinem rechten Arm abzureißen. Zum Vorschein kam eine völlig aus Metall bestehende Prothese. Ein Raunen ging erneut durch die Menge. "Diese Prothese bietet standardmäßig denselben Funktionsumfang wie ein echter Arm." Er griff nach dem Ball zu seinen Füßen und begann, ein wenig damit herumzuspielen. Erst langsam nur auf einer Seite, dann wurde er immer schneller, spielte ihn hinter dem Rücken oder durch die Beine. Der Metallarm machte jede Bewegung mit und das, ohne dass er dabei an Präzision oder Geschwindigkeit nachließ. "Dabei ist sie nicht auf einen Einsatz als reinen Armersatz beschränkt." Er warf den Ball hoch und das Stück Metall begann zu surren. Die Finger verschwanden und an ihre Stelle trat ein langes Rohr, wie der Lauf einer Kanone. Ein Donnern dröhnte durch den Saal und ein Netz schoss heraus, umfing den fallenden Ball. Ein weiteres Surren und das Netz mitsamt Beute wurde an einem Stahlseil wieder zum Arm zurückgezogen. "Die leichte Carbon-Faser ermöglicht die verschiedensten Einsatzmöglichkeiten. Wie einen Enterhaken für Bergsteiger oder Polizeikräfte. Es wäre auch möglich, einen Teleskop-Arm zu konstruieren, was in bestimmten Situationen Leitern überflüssig machen würde." Er wartete einen Moment und sah in die Menge, bevor er fortfuhr. "Und das, meine Damen und Herren, nenne ich einen äquivalenten Tausch für einen Arm." Die Menge klatschte verhalten. "Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit." Er verbeugte sich und, während er sich wieder anzog, sagte er noch "Wenn Sie Fragen haben, so stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“ Sofort schoss Fred an ihnen allen vorbei nach vorne und ließ dem jungen Mann erst gar keine Zeit sich anzuziehen. Direkt schien er ihn mit Fragen zu bombardieren. Gogo meinte durch das Gemurmel der Menschen etwas von Flammenwerfer und Eisenzange verstanden zu haben und sie hoffte inständig, dass sie sich verhört hatte. "Oder wie wäre es mit einer riesigen Lanze? Die kann man dann in Brand stecken und seine Gegner niederreißen." fragte Fred voller Enthusiasmus und untermalte das Ganze theatralisch mit dem ganzen Körper. "Lass den Jungen, doch erst mal Luft holen." Sprach Honey schließlich, als sie an die beiden herangetreten waren. Naoko hob abwehrend die Hände. "Ich wollte ihm sowieso gerade sagen, dass ich meine Erfindung für rein friedliche Zwecke entwickeln möchte." "Aber Gladiatorenkämpfe damit wären schon eine ziemliche Nummer." Warf Hiro ein. Baymax hob mahnend den Finger. "Mit dem Einsatz solchen Gerätes könnte das Verletzungsrisiko erhöht werden." "Das macht es doch so spannend." Sagte Hiro. "Verzeihung, aber für so was gebe ich meine Erfindung besser nicht her." Lachte Naoko, strich sich mit der Hand durch das pechschwarze Haar und richtete seinen Blick auf Baymax. "Ist das der Roboter, der mich gescannt hat?" Die Gruppe war überrascht, obwohl auch nur die anderen das zeigten und Gogo eher teilnahmslos ihren Kaugummi kaute. "Woher weißt du, dass er dich gescannt hat?" Fragte Honey ihn schließlich. Naoko zeigte auf seinen Arm. "Die leichte Bauweise ermöglicht mir ebenfalls, das eine oder andere Messgerät einzubauen. Ich wusste eben nur noch nicht woher das Signal kam." Hiro war verwirrt. “Warum sollte man einen Scanner in eine Armprothese einbauen?" "Nun, die Möglichkeiten sind vielfältig." Meinte Naoko nur. "Verzeihung." kam es hinter ihnen und der neue, junge Professor der technischen Abteilung stand vor ihnen. "Herr Yamoro, richtig?" Der Angesprochene nickte. Gogo bemerkte, wie angespannt er war, und seine Augen funkelten regelrecht. Eisblau, wie ihr auffiel. Beinahe erschrocken blickte sie weg, als sie bemerkte, wie sie ihn anstarrte. Ihr Professor fuhr indes fort "Ich denke, ich kann ihren Gesuch nach einem Platz an unseren technischen Universität nachkommen. Ihre Erfindung zeigt Potenzial, was wir sehr gerne fördern würden. Ich muss mich zwar noch mit meinen Kollegen beraten, aber ich denke, das wird eine reine Formalität sein. Sie werden in Bälde Post von uns erhalten." Er reichte ihm die Hand und Naoko erwiderte den Gruß nervös. "Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen vielmals!" Er verbeugte sich eilig und mehrmals. Als der Professor schließlich davonschritt, war Fred der erste, der ihm gratulierte. "Der Hammer, Mann. Faust drauf." Etwas überrumpelt erwiderte Naoko diese. "Ich bin übrigens Fred. Sieht so aus, als müsste ich mir einen Namen für dich ausdenken." grinste Fred schelmisch und Naoko sah ihn schief von der Seite an. "Wie meinen?" Gogo verdrehte die Augen. Jetzt durfte sie sich wieder wochenlang seine Ideen anhören. "Wir sehen uns dann wohl noch, wa?" antwortete Wasabi schließlich. "Ja." erwiderte Naoko ruhig. "Bald kann es richtig losgehen." Kapitel 3: Basketball und Kugellager ------------------------------------ Ein scharfer Griff an die Bremse und das Hinterrad erhob sich in die Luft. Eine kurze Drehung auf dem Vorderen und das Hintere nach unten gedrückt. Schon stand sie wieder. Die neuen Bremsen waren großartig befand Gogo und trat wieder in die Pedale. Es war früh am Morgen und das Gras war noch vom nächtlichen Tau durchzogen, doch hatte es die Schwarzhaarige schon auf ihr Bike gezogen. Es waren die letzten Tage der Semesterferien und bald würden die Vorlesungen wieder beginnen. Sie war fest entschlossen diese Zeit zu nutzen um noch ein paar Tests durchzuführen und vielleicht die eine oder andere Idee zu finden. Sie liebte es, wenn die Luft kalt durch ihr Gesicht und Haar zog, scharfe Kurven zu ziehen und das Quietschen ihrer Reifen dabei. Wenn sie so durch die hügeligen Straßen der Stadt fuhr, konnte sie alles um sich herum vergessen und es gab nichts, was sie hätte aufhalten können. Außer einem… Rote Ampeln. Gogo trat hart in die Eisen, kam zum Stehen und stöhnte genervt in ihren Helm hinein. Sie mochte sie schon so nicht, doch seit der Verfolgungsjagd mit Wasabi am Steuer hatte sie einen regelrechten Hass gegen diese Dinger entwickelt und das nervöse und genervte Hupen der Autofahrer machten die Sache nicht besser. Während sie sich umsah, blieb ihr Blick bei einem umzäunten Basketballplatz am Ende der Straße hängen. Er war schäbig und etwas heruntergekommen, doch war es mehr die Person, die an diesem spielte, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Diese leichtfüßige Spielweise hatte sie schon einmal gesehen. Beinahe wie ferngelenkt schwang sie sich wieder auf das Fahrrad und fuhr die Straße herunter. Es war, wie sie es sich gedacht hatte. Auf dem sonnenbeschienenen Platz spielte Naoko mit seinem alten Basketball. Aus dem Schatten der Bäume am anderen Ende der Straße heraus beobachtete Gogo interessiert, wie er schnelle Finten und Richtungswechsel gegen imaginäre Gegner schlug, den Ball mal aus weiter Entfernung, mal direkt unter dem Korb warf. Der Morgen war schon ungewöhnlich heiß gewesen, doch schien der Asphalt unter ihm gleichsam wie seine Haut zu dampfen. Irgendetwas in ihr wollte sich wieder aufs Fahrrad schwingen und weiterfahren, doch aus irgendeinen Grund tat sie es nicht. Stattdessen überquerte sie die Straße mit ihrem Bike an der Seite. Naoko lag inzwischen heftig atmend auf dem Boden, die Hände vor die Augen haltend, um nicht von der Sonne geblendet zu werde. Gogo wusste nicht ganz, was sie hier tat, doch, ehe sie sich bewusst wurde, sprach sie ihn auch schon an. "Hey." Überrascht sah Naoko zu ihr auf. "Hi." Begrüßte er sie überrascht und setzte sich aufrecht hin. "Testest du deine Erfindung?" Fragte sie und richtete ihren Blick auf seinen rechten Arm. Er lachte nervös und strich sich durchs Haar, während er die mechanischen Gelenke knacken ließ. "Ja, ich probiere ein neues, leichteres Kugellager aus." Er blickte an ihr vorbei auf das Fahrrad. "Und das ist dein Projekt?" Gogo lächelte leicht, blies ihre Kaugummiblase auf und ließ sie zwischen ihren Zähnen wieder platzen. "Darf ich es mir mal ansehen?" Fragte er. Gogo nickte und sagte "Wenn ich mir deinen Arm mal ansehen darf." Was zur Hölle redete sie hier? Sie musste völlig verrückt sein schoss es ihr durch den Kopf und sie spürte die Hitze in ihrem Gesicht aufsteigen. Naoko schien davon nichts mitbekommen zu haben und war bereits an ihr vorbeigegangen um stattdessen ihr Werk mit bewundernden Blicken zu studieren. "Elektromagnetische Aufhängung. Die Berechnungen für das exakte Gewichts- und Stromverhältnis muss echt schwer gewesen sein." Das war es nicht wirklich, wie sich Gogo erinnerte, sagte jedoch nichts dazu. "Wie schnell wirst du damit?" Fragte er sie schließlich. "Schnell." War ihre Antwort. "Aber wohl nicht schnell genug." Zwinkerte er ihr zu. Er hatte es erkannt, befand sie. Sie schritt ohne eine Antwort langsam in Richtung des Balls und hob ihn auf. "Lust auf ne Runde?" Naoko schien überrascht. "Spielst du etwa?" "Nein." Antwortete Gogo und warf ihm den Ball zu. "Aber ich lerne schnell." Dir Grundzüge waren schnell erklärt für ein Spiel bis zwölf Punkte. Das Spiel war kurz, doch intensiv und Gogo hielt, was sie versprach. Gleich begann sie ihm mit aller Härte Paroli zu bieten, schlug Finten, wie er es nur wenige Minuten zuvor noch selbst getan hatte. Selbst das Werfen schien ihr leichtzufallen. Aus einem Spiel wurden schnell zwei, dann drei. Das siebte schließlich, welches mit einem knappen Sieg für Naoko endete, nötigte die beiden zu einer Pause. „Du spielst also nicht? Soso.“ lachte er sie an. Sie lächelte ein wenig und ließ ihre Kaugummiblase platzen. Sie hatten sich im Schatten der Bäume etwas abseits des Platzes niedergelassen, da inzwischen die Sonne ihren Versuch begonnen hatte, mit ihren mörderischen Strahlen die Stadt zu grillen. „Ich kenne deinen Namen noch gar nicht.“ Fing Naoko auf einmal an und blickte zu ihr. „Ethel, aber die meisten nennen mich nur Gogo.“ antwortete sie und spielte ein wenig mit dem Ball herum, während sie sich an eine der zahlreichen Eichen lehnte. „Verstehe, also eher Gogo?“ Sie nickte. „Nun gut. Warte mal einen kurzen Moment.“ Er erhob sich und griff nach seiner Tasche, die wenige Meter neben ihm lag und nahm einen kleinen Schraubenschlüssel heraus. Dann begann er, die künstliche Haut auf seinem rechten Arm abzuziehen. Mit flinken Fingern löste er ein paar Halterungen an seiner Schulter und das ganze Gebilde aus Metall löste sich. Er breitete den losen Arm vor sich aus, griff nach einem Schraubenzieher aus der Tasche und begann, einzelne Schrauben zu lösen. Gogo beobachtete ihn dabei eingehend. Ihr lag bereits die Frage auf der Zunge, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass er keinen rechten Arm mehr hatte, doch sie schwieg lieber. Sie kannte ihn nicht genug, um derlei Fragen stellen zu können. Es war ruhig um sie herum geworden und der Wind blies sanft über ihre verschwitzte Haut. Ihre Augen wanderten immer wieder zu dem jungen Mann neben ihr, der die ganze Welt um sich herum vergessen zu haben schien. Konzentriert nahm er seine Arbeit auseinander, begutachtete präzise jede Schraube und jedes Gelenk. Gogo kannte dieses Gefühl, sich in seiner Arbeit zu verlieren. Als hätte er ihre Gedanken gelesen oder ihre Blicke bemerkt, sagte er freundlich „Ich hab dich nicht vergessen, keine Angst. Ich bin gleich fertig.“ Gogo antwortete nicht, musterte stattdessen seine eisblauen Augen und, gerade als sie das Gefühl hatte, dass sie ihn anstarren würde, erhob er den Kopf und lächelte sie an. „Erledigt. Dieses Kugellager ist wohl nicht für intensive Einsätze geeignet. Alles in Ordnung?“ Als Naoko aufgesehen hatte, hatte sie schnell den Kopf gedreht und angestrengt zu ihrem Fahrrad gesehen. „Klar, was soll sein?“ fuhr sie ihn an. Er schien überrascht, lächelte aber schnell wieder. „Nichts, nichts.“ Antwortete er. „Sag mal…“ fing er nach kurzer Zeit an, als eine helle Stimme quer über den Platz Gogos Namen rief. Beide sahen auf und auf der anderen Seite des Platzes stand Honey und winkte ihnen zu. Freudig lächelnd trat sie an die beiden heran. „Guten Morgen Gogo!“ Als Gogo aufstand, umarmte Honey sie überschwänglich und küsste sie auf die Wange. Naoko saß noch immer auf dem Grasboden und brachte ein eher vorsichtiges „Hallo.“ heraus. „Guten Morgen. Naoko war dein Name, richtig?“ Er nickte zustimmend. „Was macht ihr zwei denn hier?“ Fragte sie Gogo neugierig. „Gogo ist nur zufällig hier vorbei gefahren und dachte sich spontan, mir eine Lektion in Basketball geben zu müssen.“ Naoko lächelte die Schwarzhaarige schelmisch an und diese blickte finster zurück. „Nun gut.“ Er erhob sich und mit ebenso präzisen Griffen wie zuvor befestigte er seine Prothese wieder an der Schulter. Mit einem kurzen Surren begann diese sich zu bewegen. „Ich werde mich dann mal aufmachen. Ich muss das Teil austauschen und warten.“ Sein Arm knackte seltsam bei jeder Bewegung. Schwungvoll warf er die Tasche über die Schulter, griff nach dem Ball und verbeugte sich leicht vor den beiden Damen. „Wir sehen uns bestimmt nochmal.“ Gogo nickte zum Abschied und Honey winkte. Als er schließlich den Platz verlassen hatte und außer Hörweite schien, wandte sich Honey an Gogo. „Und wie war es?“ „Wie war was?“ erwiderte die Angesprochene irritiert. „Ach komm schon, jetzt erzähl auch.“ Honey lächelte honigsüß zu ihrer kleinen Freundin. Diese jedoch schien sie mit ihrem Blicken erdolchen zu wollen, blies genervt ihren Kaugummi auf und hob ihr Fahrrad auf. „Wir haben nur Basketball gespielt, Honey.“ Sagte sie noch, als sie an Honey vorbeischritt. „Jetzt komm schon. Ich bin doch nur neugierig.“ Gogo stöhnte genervt, als sie beide den Platz verließen. „Ich weiß.“ Kapitel 4: Kollision -------------------- Fast hätte es ihn beim Start vom Rücken gerissen, hätte er nicht daran gedacht, auch die Magnethandschuhe vorher zu verbessern. "Und was sagst du, Großer?" fragte der Junge begeistert. "Ich registriere einen deutlichen Anstieg deiner Neurotransmitterwerte." antwortete die mechanische Stimme des Roboters. "Nicht ich, deine neuen Schubdüsen!" Hiro war guter Laune. Auf Baymax Rücken zu fliegen war eines der schönsten Dinge, die er abseits der Uni tat. Hier oben waren sie frei, zu fliegen, wo es sie, oder vielmehr Hiro, hinzog. "Na dann. Lass uns mal deine neue Maximalhöhe testen." Hiros Helm surrte und verschiedene Werte erschienen auf dem Helmdisplay vor seinen Augen. Gleichsam veränderte sich sein Anzug. Kleine Platten aus glänzendem Metall breiteten sich auf seinem Körper aus wie ein Schuppengeflecht. "Und los geht's. Lebenserhaltungssysteme sind online und startklar!" rief er ins Mikro und Baymax ließ die Düsen zünden. Wie von einem Hammer geschlagen drückte es Hiro nach unten. Er liebte dieses Beschleunigungsgefühl. Er konnte Gogo in diesem Punkt sehr gut verstehen. "6000, 7000, 8000..." Sie stiegen höher und höher. Die Werte auf seinem Display schlugen immer wieder aus, doch blieben sie alle im annehmbaren Rahmen. "Höher, Baymax!" Es war wie ein Rausch und mit der Welt unter sich kam er sich groß vor. Größer als alles andere. Dies war seine Welt. "11.000, 12.000, 13.000..." Die Düsen rumorten, taten jedoch weiter ihren Dienst. "Der Sauerstoffgehalt und die Temperaturen sind weit unter dem für Menschen sicheren Bereich." mahnte der Roboter. "Mach dir keine Gedanken darüber. Ich habe vorgesorgt." lachte Hiro. Das hatte er tatsächlich und das sogar mehrmals. Er hatte alles getan, um einen solchen Flug zu ermöglichen. Verbesserte Sauerstoffzufuhr, verstärkte Panzerung mit Wärmeisolierung und eine mit Nanofasern verbesserte Oberflächenstruktur für Baymax‘ und seine Rüstung, um Vereisung zu verhindern. Er wollte nichts dem Zufall überlassen. Es gab nur ein einziges Problem. "Der Treibstoff scheint zu neige zu gehen." stellte Baymax fest und wie aufs Stichwort begannen die Düsen zu stottern. "Wir sind bei fast 19.000 Metern! Ein Stück nur noch!" Er wollte zumindest die 20.000 knacken. Nur dies noch, dann würden sie zurück fliegen. Ein heftiger Ruck und die Düsen fielen stotternd aus. "Oh nein." sagte Baymax teilnahmslos und, ehe sie sich versahen, stoppten sie in der Luft. "19.564 Meter. Verdammt!" Hiro schlug voller Wut auf die Panzerung von Baymax und langsam begann der Fall. "Nun gut, mal sehen, was der Hitzeschild aushält." Sie wurden wieder schneller und schneller. Er hatte den Schild eigentlich mehr für den Kampf konzipiert, doch warum sollte dieser nicht auch die Reibungshitze der Atmosphäre aushalten können. Der Temperaturwert seines Displays schlug aus und schoss in den roten Bereich. "13.000, 12.000, 11.000..." Der Fall war nicht so schnell wie ihr Aufstieg, doch beunruhigte ihn der Anblick des immer näher kommenden Bodens doch ein wenig. "Ich schalte den Nottank jetzt frei, mach dich bereit." In Erwartung, dass ihnen der Sprit ausgehen würde, hatte Hiro einen zweiten, kleineren Nottank installiert, um noch Treibstoff für eine Landung zu haben. "6.000, 5.500, 5.000. Du kannst mit dem Abbremsen beginnen, Baymax." Der Roboter tat, wie ihm geheißen, und er brachte sich in eine aufrechte Position, die Düsen nach unten gerichtet. Seine Flügel drehten sich mit der flachen Seite nach unten und sofort durchfuhr ein heftiger Ruck die beiden und der Fall bremste etwas ab. "Ich zünde jetzt die Düsen." warnte Baymax Hiro. "Ich bin bereit. Langsam zünden!" Ein weiterer, wenngleich schwächerer Ruck als bei den Flügeln schoss durch Hiros Knochen. Hätte Baymax die Düsen sofort mit aller Kraft gezündet, wären wohl sämtliche Knochen in Hiros Körper pulverisiert. "Wir sind auf 1.000 Meter. Volle Kraft voraus!" Wieder im waagerechten Flug beruhigte sich Hiro. "Du weist keine körperlichen Schäden auf." erklärte der Roboter. "Nein mein Großer, es ist alles in Ordnung." Auch wenn er die Marke, die er sich gesetzt hatte, nicht knacken konnte, so waren sie doch weit über die letzte hinausgeschossen. Das Problem jedoch blieb weiterhin der Treibstoff. Die Menge, die sie transportieren konnten und gleichzeitig noch so fliegen zu können, wie es ihr Heldenalltag verlangte, war ein schwieriger Balanceakt. Die Stadt lag ruhig unter ihnen und bildete ein Meer aus Licht, Glas und Beton. "Wir sollten langsam mal zurückfliegen und deine Düsen überprüfen." wandte sich Hiro an den Roboter. Seit dem Fall stotterten diese unaufhörlich, wenn auch nur schwach. Der Roboter zog eine sanfte Kurve und sie flogen in Richtung des Cafés von Tante Cass. "Hiro. Ich registriere einen Alarm in der südlichen Forschungsstation." "Wie meinst du das?" fragte Hiro den Roboter. "Offenbar hat sich jemand gewaltsam Zugriff verschafft und dabei den Alarm ausgelöst." Hiro überlegte kurz. "Du hast sie bereits gescannt, oder? Wenn sie aus der Stadt sind, sollten wir sie ja wieder finden können." "Das habe ich versucht, doch irgendetwas stört das Signal um sie herum. Wir sollten deine Freunde kontaktieren." Hiro schüttelte den Kopf. "Das dauert zu lange. Wir werden uns das mal ansehen." Gesagt getan und so warf Baymax seinen Nachbrenner an und flog in Richtung des Forschungslabor im Süden der Stadt. In der Ferne hörte Hiro bereits den lauten, schrillen Ton der Polizeisirenen. "Beeil dich, Baymax." mahnte Hiro den Roboter, als das Gebäude in Sichtweite kam. In die Außenwand war ein riesiges Loch geschlagen worden, vor dem eine einzelne Person stand. "Da ist es, Baymax!" "Ich rate dazu, auf die Ankunft deiner Freunde zu warten, wir wissen nicht, auf was wir uns einlassen." versuchte Baymax Hiro ins Gedächtnis zu rufen, doch stand diesem nicht der Sinn nach Vorsicht. "Den schaffen wir auch alleine. Wir müssen ihn ja nur so lange beschäftigen, bis die anderen kommen. Auf geht's! Noch haben wir den Überraschungsmoment auf unserer Seite!" "Nein." erwiderte der Roboter "Er hat uns bereits bemerkt." Baymax hatte Recht. Der Blick, sofern Hiro das unter dem Helm vermuten konnte, war starr auf die beiden gerichtet. Auf dem schwarzen Visier des Helms war ein weißer Totenkopf aufgezeichnet. Der ebenso schwarze Umhang flatterte leicht im Wind und offenbarte die in dunklen, rot gehaltenen Panzerplatten, die er über Schultern, Beinen und Unterarm trug. Seine Hand ruhte auf dem Heft eines Schwertes zu seiner linken, wie Hiro zu erkennen glaubte. "Dann frontal. Er soll keine Möglichkeit zum Hinhalten erhalten." befahl Hiro. "Ich mahne noch mal, wir sollten auf Hilfe warten." Doch die Warnung stieß auf taube Ohren. Als sie nur noch wenige Meter von der unbekannten Person entfernt waren, rief Hiro "Faust abfeuern!" Mit einem Zischen verließ die Faust den Arm des Roboters und raste Richtung Ziel. Im Bruchteil von Sekunden zog das Ziel jedoch sein Schwert und lenkte die Rakete mit der flachen Seite seiner Klinge ab und sie krachte in die Betonmauer des Gebäudes. Die Straße barst unter dem Gewicht Baymax‘, als dieser landete und die Faust wieder an seinen Arm zurück schoss. Ihr Gegenüber sagte kein Wort, sondern hielt den Beiden seine Klinge nur, mit beiden Händen fest umklammert, ruhig entgegen. Doch, ehe sie sich versahen, machte er einen Schritt zur Seite und sprintete los. "Hinterher!" brüllte Hiro ins Mikro und Baymax schmiss die Düsen an. "Was ist mit dem Labor?" fragte er. Hiro sah sich um. "Soll sich die Polizei darum kümmern. Der darf uns nicht entkommen. Los!" erwiderte Hiro. Geschickt sprang ihr Gegner an Wänden hoch, schlug Haken, sprang über Abgründe. "Schneller!" forderte Hiro Baymax auf. In den Wirren der Stadt war es schwierig, mitzuhalten, da sie keine freie Bahn hatten, um ihre ganze Schubkraft einzusetzen. "Der Treibstoff geht zur Neige." hörte Hiro den Roboter sagen. "Das schaffen wir!" schrie Hiro und tatsächlich, als hätte ihr Gegner das Weglaufen aufgegeben, blieb er stehen. Doch nur für kurz. Sofort sprintete er ihnen mit gezogenem Schwert entgegen. "Baymax! Ausweichen!" brüllte Hiro, doch es war zu spät. Wieder ein metallenes Scheppern und die Düsen zersplitterten in ihre Einzelteile. Ihr Gegner hatte den Stahl sauber durchtrennt und das, ohne Baymax‘ Vinylhülle zu beschädigen. Ob das nur Glück oder von ihm gewollt war, konnte Hiro nicht sagen. Auch deswegen nicht, weil das Wasser des Flusses, zu dem er sie offenbar gelockt hatte, immer näher kam. "Baymax!" Hiro löste seine Magnete. Im Flug drehte Baymax sich zu ihm und umgriff ihn mit einem Arm, während er den anderen in den Boden grub und sie so zum Stehen brachte. Sofort schoss ihnen die Klinge des Gegners entgegen. "Baymax! Pass auf!" Flink warf Baymax Hiro zur Seite und mit einem lauten Kreischen zog die Klinge eine tiefe Kerbe in die Panzerung des Roboters. Hiro verstand nicht ganz, wieso er die Panzerung nicht durchschlagen konnte, wie zuvor bei den Beinen. Doch als er zu seinen Füßen sah, erkannte er, warum. Eine dichte Masse aus orangefarbenem Glibber hatte sich um die Beine des Gegners gebildet, die ihn festhielt. Aus dem Schatten heraus, erkannte Hiro Wasabi, der mit lauten Kampfschrei und aktivierten Klingen auf ihn zu rannte. Sofort schnitt sein Gegner die Glibbermasse unter seinen Füßen auf, machte einen kurzen Satz nach hinten und erhob das Schwert, um Wasabis Angriff zu entgegnen. Wir haben ihn! schoss es Hiro durch den Kopf und es sollte sich als richtig herausstellen. Ein lautes Kreischen und das Schwert zerbrach in tausend kleine Stücke, die sich über den ganzen Platz verteilten. Nichts kann Wasabis Plasmaklingen standhalten, auch gefalteter Stahl nicht. Kurz nach Wasabi folgten auch Honey und Fred ihm aus der Deckung und halfen Hiro auf. Der Augenblick des Triumphes währte allerdings nur kurz, denn ihr Gegner war flinker, als sie glaubten. Geschickt wich dieser den Angriffen Wasabis aus, bis er nahe genug herankam, um Wasabis Angriff zuvorzukommen. Er schlug dessen Arme auseinander, was eine Lücke in Wasabis Verteidigung zeigte, die er auch gnadenlos ausnutzte. Zwei, drei Schläge auf Hals und Niere ließen den Riesen keuchen, ehe ein durchgezogener Tritt ihn auf den Asphalt beförderte. "Wasabi!" brüllte die Stimme Honeys durch seine Lautsprecher und Fred stürzte sich gleich mit seinem Feuer ins Gefecht. Ein Klicken und die Panzerplatte des linken Unterarms fuhr einzelne, flache, lange Scheiben aus, welche sich wie ein Schild zusammen setzten und das Feuer abwehrten. Sofort schoss Gogo auf ihren Rädern an Hiro vorbei, fuhr hinter ihm und feuerte ihre Scheiben in die Richtung des Feindes. Doch der Schild schien federleicht, denn mit unglaublicher Geschwindigkeit riss er ihn herum und die Scheiben schepperten laut dagegen, ohne eine Wirkung zu erzielen. "Der gehört mir." hörte Hiro Honey sagen. Ihre Tasche rumorte kurz und spie zwei blaue Bälle aus. "Überlass das uns, Hiro, hilf Wasabi." sagte sie noch, ehe sie zum Angriff überging. Wasabi lag keuchend am Boden und beobachtete die Szenerie. "Alles in Ordnung bei dir?" rief Hiro ihm zu. Er hob nur die Hand und hustete laut, Luft bekam er zumindest noch. Die Schreie Gogos und Honeys lenkten seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kampf. Ihr Gegner hatte sich Platz geschaffen und die beiden Frauen lagen am Boden. Fred indes versuchte es weiterhin mit Feuer von allen Seiten. "Einundzwanzig, zweiundzwanzig..." Hiro glaubte, die Gestalt zählen zu hören, doch verwarf er diesen Gedanken gleich wieder. "Baymax! Feuer deine Faust ab." Der Roboter hatte das Geschehen von weitem verfolgt, war er doch durch die fehlende Panzerung seiner Beine nicht imstande, den Rest der Rüstung zu tragen, und fliegen konnte er auch nicht mehr. Doch schießen konnte er noch. "Ja." antwortete er und richtete seine Faust auf die Gestalt an der Kaiwand, an der er sich seinen Rücken freihielt. Gerade als dieser sein Schild Freds Feuerangriff entgegen hielt, öffnete sich eine Lücke und Baymax hatte freies Schussfeld. Auch der Roboter schien das gemerkt zu haben, denn ehe Hiro sich zu ihm umdrehen konnte, schoss bereits die Rakete in seine Richtung. "Dreißig..." Die Wand zerriss es förmlich und hüllte alles in Schutt und Staub. "Leute?" sprach Hiro durch das Mikro. "Alles in Ordnung. Uns hat es nur von den Beinen gehoben." schallte die Stimme Honeys durch die Lautsprecher und auch Gogos genervtes Stöhnen konnte er hören. "Lebe noch. Sehe aber nichts, könnt ihr was erkennen?" hörte er Fred fragen. "Nein, allet wech." antwortete Wasabi darauf. "Baymax, erkennst du etwas?" fragte Hiro. "Das Ziel ist entkommen." war dessen knappe Antwort. "Wie kann das sein, hattest du ihn nicht getroffen?" erwiderte Gogo genervt. Langsam lichtete sich der Nebel und bewies Baymax‘ Worte. "Was zur Hölle war das?" fragte Fred. "Ich habe keine Ahnung." antwortete Hiro knapp. Kapitel 5: Krisenstab --------------------- „Ah… Dat tut ma jut… Danke Baymax.“ Wasabi entfuhr ein Stoßseufzer, während er kühles Eis auf seine blauen Flecken hielt. „Was macht dein Hals?“ fragte Honey besorgt. „Sein Hals hat lediglich eine leichte Blessur davongetragen.“ antwortete der Roboter für ihn. „Ick atme noch.“ ergänzte Wasabi. Sie hatten sich humpelnd und geschlagen zu Freds Elternhaus geschleppt, wo Baymax sie mit allen nötigen medizinischen Verfahren versorgte. Fred hatte den Fernseher angeworfen und wartete auf die Nachrichten, um zu erfahren, warum diese Nacht überhaupt im Labor eingebrochen worden war. Wasabi, Honey und Gogo saßen geknickt auf dem Sofa und rieben sich ihre blauen Flecken und Schürfwunden. Hiro indes saß am kleinen Tisch und klopfte mit dem Bleistift immer wieder ratlos aufs leere Blatt Papier, das vor ihm lag. Die Stimmung war niedergeschlagen und betrübt. Die Wunden schmerzten, gleichsam wie der Scham durch diese Niederlage. So war es Baymax, der als erster wieder das Wort ergriff und sich an Hiro wandte „Deine Neurotransmitterwerte sind erschreckend niedrig. Du bist traurig und verwirrt.“ „Baymax, ich weiß, wie ich mich fühle. Ich habe nicht um eine Diagnose gebeten.“ Der Roboter trat an den Jungen heran, legte seine großen Arme um ihn und drückte ihn leicht. Hiro seufzte. „Baymax, nicht jetzt.“ Als der Roboter losließ, fragte er „Würde die Festnahme der Person, die uns geschlagen hat, deinen emotionalen Zustand verbessern?“ „Ja, aber erstmal müssen wir herausfinden, wer er überhaupt ist und was er beim Labor wollte.“ „Aber wir müssen uns genauso überlegen, wie wir diesen schwarzen Ritter aufhalten.“ warf Honey in die Runde „Schwarzer Ritter?“ Hiro sah sie ungläubig an. „Naja, er schwingt ein Schwert und trägt eine Rüstung. Fred macht das ja sonst mit den Spitznamen. Da dachte ich, ich versuche es auch mal.“ entgegnete sie schüchtern. „Nein.“ sagte Fred. „Du musst ein Gespür für die richtige Wortwahl haben, um dir Spitznamen von meinem Format ausdenken zu können.“ „Du nennst mich Wasabi, weil ick een Mal Wasabi auf mein Shirt gekleckert hatte. Een Mal!“ Fred überging den Seitenhieb und fuhr fort „Und außerdem sah er eher nach einem klassischen Samurai aus. Das gebogene Schwert, die Panzerplatten. Ganz klar, ein Samurai.“ Gogo glaubte nicht, was sie da hörte. „Es ist doch völlig egal, wie der Kerl ausgesehen hat! Er hat uns im Alleingang beinahe fertiggemacht! Wir haben Glück gehabt, dass er abgehauen ist!“ fuhr sie die Gruppe an. „Das ist uns seit Callaghan nicht mehr passiert.“ ergänzte Honey leise. „Jetzte komm ma wieder runter.“ richtete sich Wasabi an Gogo. „Et war ja keene richtige Niederlage. Immerhin isser abjehauen.“ Das war für Gogo zu viel. „Sag mal spinnst du jetzt völlig? Das war eine absolute Niederlage! Er hatte uns schon!“ „Aber wieso hat er es dann nicht beendet und ist stattdessen abgehauen?“ fragte Fred. „Das ist egal. Wir werden ihn wahrscheinlich so oder so wiedertreffen und darauf sollten wir uns vorbereiten und eine Strategie erarbeiten.“ antwortete Hiro. „Wir haben ja net ma ne Ahnung, wat der Kerl überhaupt will.“ „Vielleicht sollten wir da mal anfangen.“ murmelte Hiro mehr zu sich, als zu den anderen. „Fred, ich muss mal an deinen Computer.“ „Hau in die Tasten, Hiro.“ antwortete dieser nur, während er weiter gebannt auf den Bildschirm starrte. „Sag mal, Baymax, hast du den Samurai eigentlich gescannt? So wie Callaghan damals?“ wandte sich Honey an den Roboter. „Der Scan war fehlerhaft und lieferte keine verwertbaren Ergebnisse.“ „Aber wieso?“ fragte Honey und Fred antwortete „Das ist klassisch für einen Superschurken. Bestimmt hatte er eine Art Tarnkappe, so wie damals das Gebäude auf dieser gruseligen Insel.“ „Es muss an seiner Kleidung liegen.“ Überlegte Hiro. „Oder er benutzt ein Störsignal. Was meinst du Baymax?“ Der Roboter starrte kurz in die Luft, ehe er weiter fortfuhr die Gruppe zu verarzten und erwiderte „Es liegen keinerlei Daten vor. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es ein Störsignal gab oder ob es die Kleidung des Mannes war.“ „Das ergibt keinen Sinn. Warum sollte jemand sich die Mühe machen eine Abwehrmaßnahme gegen einen solchen Scan einzurichten, wenn so einer im normalen Gebrauch der Polizei und Militär nicht vorkommt?“ Murmelte Hiro angestrengt. „Überleg doch mal. Wer außer uns weiß denn noch von Baymax‘ Scanner?“ fragte Fred ihn schließlich nach einer kurzen Pause. „Wie meinst du das?“ fragte Hiro und schaute nachdenklich zu Fred herüber. „Wir wissen zumindest von einer Person außer uns, die davon Kenntnisse hat.“ „Wen meenste? Etwa den Kerl, den wir letzte Woche auf der Messe jesehen ham?“ warf Wasabi ein. „Genau!“ Siegessicher strahlte Fred über beide Ohren. „Hatte er nicht Baymax‘ Scan bemerkt? Was sollte den Typen daran hindern, das Signal nun zu stören um seine Identität zu verschleiern?“ „Er heißt Naoko.“ Gogo stöhnte genervt. „Stimmt, das war sein Name. Was für ein perfider Plan. Erst unser Vertrauen erschleichen und uns dann fertig machen.“ Antwortete Fred und zog den Finger über die Kehle. Honey wedelte abwehrend mit den Armen. „Ich finde wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir kennen ihn doch gar nicht richtig. Also…“ sie lugte unauffällig Richtung Gogo „Zumindest wir kennen ihn nicht richtig.“ Als Gogo ihren Blick bemerkte und auch die Blicke der anderen, die daraufhin folgten, blies sie genervt ihre Kaugummiblase auf und ließ sie platzen, ehe sie antwortete „Wir haben nur Basketball gespielt, Honey!“ „Wat habt ihr? Wieso?“ Wasabi war irritiert und auch die beiden anderen Jungs tauschten überrascht die Blicke. „Ihr Hormonspiegel…“ „Baymax, wage es dich!“ War ihre einzige Antwort darauf und es wurde Still. „Wir haben trotzdem keine Beweise gegen ihn.“ lenkte Honey schließlich ein um die unangenehme Stille zu beenden. Hiro überlegte kurz, bevor er sagte „Aber zumindest einen nicht unbegründeten Verdacht. Wir haben zwar kein Motiv, aber theoretisch hat er die Möglichkeit. Und mit Gogo haben wir auch jemanden, der das herausfinden könnte.“ „Ist bei dir ne Sicherung durchgebrannt?“ Gogos Blick stand Mord ins Gesicht geschrieben und ihre Handgelenke knackten unangenehm. „Du sollst ja lediglich herausfinden, ob an unseren Vermutungen etwas dran ist.“ versuchte Hiro zu beschwichtigen. „Ja dann kannst du einwandfrei beweisen, dass er unschuldig ist.“ strahlte Honey. „Oder seine Schuld.“ erwiderte Fred. Honey warf ihm einen giftigen Blick zu. „Klar, lassen wa Gogo den Kerl angraben oder wat? Erinnert ihr euch an den Letzten der dat Glück hatte?“ Honey und Fred begannen leise zu Kichern und versuchten es mit der Hand vor dem Mund zu verbergen. Hiro verstand nicht „Hab ich irgendwas verpasst?“ „Nichts.“ Gogos Stirn schien zu pochen und so langsam merkten die älteren Freunde, dass sie eine gefährliche Grenze übertreten könnten. Hiro blieb das nicht verborgen und schnell wandte er sich an Baymax „Hast du eigentlich noch die Aufnahmen von dem Kampf?“ „Ja, soll ich sie abspielen?“ Hiro nickte zustimmend „Da wo wir ihn vor dem Gebäude gesehen hatten. Wirf es auf den Fernseher.“ Gesagt, getan. Das Video erschien auf dem großen Monitor und offenbarte ein riesiges Loch in der Außenwand, vor der der Samurai stand. „Stopp da!“ Rief Hiro plötzlich nach wenigen Sekunden. „Seht ihr den großen Schriftzug, links an der Mauerecke? Gebäude A2.“ „Und was soll uns das sagen?“ fragte Honey neugierig. „Da wir wissen welches Labor das ist, können wir damit vielleicht auch feststellen was genau dort gelagert wurde.“ Antwortet Gogo für Hiro. „Exakt. Hier.“ Er wies auf den Computermonitor. „Das ist das Labor von Krei Tech für Antriebstechnik. Ich hab auch mal ein wenig nachgeforscht. In den letzten vier Wochen gab es sieben Überfälle auf Labore ähnlicher Art. Laut der Polizei ist der oder sind die Täter meistens schon weg, bevor die Einsatzwagen anrücken können. Außer letzte Woche. Hier steht, dass sie einen der Verdächtigen einkreisen konnten, er aber entkommen konnte nachdem er drei Beamten niedergeschlagen hatte und eine Explosion mit großer Staubwirkung dessen Flucht verdeckt hatte. Die Beschreibung passt auch.“ „Also sucht er Labore mit neuer Technologie?“ fragte Honey. „Er will irgendetwas bauen.“ Freds Augen funkelten bei diesem Gedanken. „Ja, der Gedanke liegt nahe.“ „In dem Nebel befanden sich der Feind und ein großes, aus Metall bestehendes Fahrzeug.“ unterbrach ihn die mechanische Stimme des Roboters, der gerade dabei war, Honey ein Spray auf ihre Schürfwunden zu sprühen. „Was?“ kam es von allen wie im Chor. „Wieso hast du das nicht sofort gesagt?“ fragte Hiro ihn leicht gereizt. „Es erschien bis zu dem Punkt des Bauens eines Geräts als nicht wichtig.“ „Natürlich ist das wichtig!“ fuhr Hiro ihn an. „Was hast du noch gesehen? Wie hat das Fahrzeug ausgesehen?“ „Ich bedaure, aber ich konnte keine Einzelheiten erkennen.“ Hiro ließ einen Stoßseufzer los. „Wir wissen also, dass sie es auf Labore abgesehen haben, die sich auf neuerer Technik spezialisiert haben. Wie viele Labore dieser Art haben wir noch?“ „Drei.“ Antwortete Gogo. „Zwei von Krei Tech und natürlich die Fransokyo Universität.“ „Das grenzt den Suchradius ein. Also gut.“ Hiro sprang vom Stuhl. „Gogo wird für uns Naoko unter die Lupe nehmen und wir kümmern uns um die drei Labore.“ „Moment mal. Wann habe ich zugestimmt?“ fragte Gogo gereizt. „Du bist die einzige, die ihn zumindest schon mal privat etwas kennengelernt hat.“ sagte Honey vorsichtig und spielte nervös mit ihren Fingern. Gogo schüttelte resigniert den Kopf. „Gut dann wäre das beschlossen.“ Hiro knackte mit den Fingern. „Dann brauchen wir nur noch ein paar Upgrades um ihm beim nächsten Kampf fertigzumachen.“ „Haste schon ne Idee?“ fragte Wasabi und Hiro lächelte ihn wissend an. „Ja und du hast die Hauptrolle.“ „Wie jetzt?“ „Du bist unser bester Nahkämpfer.“ antwortete Hiro und zückte den Bleistift „Und ich weiß auch schon wie ich für dich Chancengleichheit herstellen werde.“ Kapitel 6: Von Träumen und Ideen -------------------------------- "Guten Morgen, Vater." Naoko verbeugte sich tief, bevor er sich auf den Tatami setzte und sich die kleine Schüssel dampfenden Reis nahm, die vor ihm auf dem Tisch stand. Ihm gegenüber saß sein Vater. Groß gebaut mit ernstem Gesicht und müden Augen, über die morgendliche Zeitung gebeugt. "Schlecht geschlafen?" fragte der Junge vorsichtig. "Nein." murrte er nur und damit war das Gespräch beendet. Wahrscheinlich hatte sein Vater wieder die halbe Nacht im Dojo verbracht. Naoko ging nicht weiter darauf ein und aß still sein Frühstück. Als er leise Schritte vernahm, hob er den Kopf und sah in das freundliche Gesicht seiner Mutter. Auch sie sah recht müde aus, doch wollte Naoko lieber nicht fragen. "Guten Morgen Mutter." sprach er stattdessen. "Guten Morgen. Bist du bereit für die Uni?" erwiderte sie und strahlte über das ganze Gesicht. Ihr Sohn nickte nur. "Ich wollte vorher noch Sora besuchen gehen. Es liegt direkt auf dem Weg." Sein Vater knurrte "Du solltest besser etwas Nützliches machen. Wir haben auch so schon Probleme genug." Naoko seufzte genervt. Seit er an dieser Präsentation teilgenommen hatte, hackte sein Vater darauf rum. Naoko hatte seine Entscheidung, die Präsentation als Sprungbrett für die Universität zu nutzen, im Stillen getroffen und vorbereitet. Doch in den Augen seines Vaters war dies reine Zeitverschwendung. Er könne stattdessen etwas für die Familie tun, einer angesehenen Arbeit nachgehen oder die Traditionen des Dojos ehren. "Ich sollte mich auf den Weg machen. Sonst wird es noch knapp." Mit diesen Worten erhob er sich. Seine Schüssel Reis, die er nur zur Hälfte gegessen hatte, stellte er wieder auf den Tisch und verbeugte sich noch einmal vor seiner Mutter, ehe er nach seiner Tasche griff und die Klinke der Haustür ergriff. "Mach unserem Haus keine Schande." hörte er die mahnende Stimme, antwortete jedoch nicht darauf. Mit einem leichten Klingeln fiel die Tür ins Schloss. Noch schnell die Kopfhörer ins Ohr gesteckt und auf ging es in die Stadt. Es war nicht ganz so warm an diesen Morgen, wie an den Tagen zuvor, doch reichte es für ihn aus, um in seiner kurzen Hosen gehen zu können. Die Sonne war noch hinter den Wolken verborgen und das ließ die sonst so bunte Stadt beinahe grau erscheinen. Resigniert ließ er die metallenen Gelenke klicken und atmete aus. Er hoffte, vor dem drohenden Regen in der Uni zu sein. Sein Weg führte ihn zur Bahn, die ihn in die Außenbezirke der Stadt führen sollte. Es dauerte etwas über eine halbe Stunde, in der er eng gequetscht zwischen all den Menschen stehen musste. Es gab nichts Schlimmeres für ihn als Menschenmassen und er konzentrierte sich ganz auf seine Musik. Alles war besser als das ständige Gehupe der Autos und das Gemurmel der Menschen. Ein Knopf und die Welt um ihn wurde stumm. Manchmal versank er so tief in seiner Musik, dass er ohne nachzudenken begann, einzelne Strophen mitzusingen und dabei leicht zu tanzen. Doch diesmal schien es anders zu sein, auch wenn dies weniger an den Menschen um in herum lag, sondern an dem, was er gerade sah. Über ihm drehte ein aus rotem Metall bestehendes Ding seine Runden. Dröhnend wie bei einem Jet zog sein Antrieb dabei weiße Wolken hinter sich, als es in engen Kurven um die Straßen und Hochhäuser flog. Beinahe so schnell, wie es gekommen war, verschwand es auch wieder und hinterließ leises Gemurmel um ihn herum, welches aber schnell wieder von seiner Musik erstickt wurde, als diese mit aller Macht in seinen Verstand drang. Was musste das für ein Gefühl sein, so frei und ohne Schranken über die Dächer der Häuser und Köpfe der Menschen zu fliegen. Ihn durchfuhr eine unglaubliche Sehnsucht, es dem Ding gleich zu tun, doch war sein technisches Wissen nicht annähernd weit genug, um so etwas für sich konstruieren zu können. Doch wer weiß? Die Uni könnte ihm die eine oder andere Sehnsucht ermöglichen, denn genau dafür hatte er trotz fehlenden Schulabschlusses die Möglichkeit wahrgenommen. Der Rest des Weges blieb indes ereignislos und ruhig. Naoko hob immer mal wieder den Kopf gen Himmel, um vielleicht nochmal einen Blick auf dieses Ding zu erhaschen, doch geschah nichts dergleichen. Ehe er sich versah, stand er bereits im reich verzierten Garten des Fransokyo Krankenhauses, an dessen Ende sich die Pforte befand. Als er die Tür durchschritt, einen kurzen Gruß an der Rezeption zurückließ, lenkte er seine Schritte zielstrebig in Richtung des Aufzugs, der ihn auf die gewünschte Ebene bringen würde. Knatternd schlossen sich die Türen und mit einem Ruck ging es nach oben, Etage 9. Schnellen Schrittes bis ans Ende des grauen Ganges gehuscht und er stand vor der Tür zum Zimmer 99. Vorsichtig klopfte er daran und schob sie leise auf. Dort auf dem Bett saß seine junge Schwester, die Gedanken wieder in ihr Buch vertieft. "Hey." flüsterte er leise ins Zimmer. Sofort drehte das junge Mädchen seinen Kopf zur Tür. Dabei klingelten kleine Glöckchen in dem langen, schwarzen Haar. "Hi!" kreischte sie los, winkte ihm ausgelassen zu und legte das Buch zur Seite. Sie wirkte ausgemergelt und kraftlos, doch strahlten ihre Augen und ihr zartes Gesicht zierte ein freudiges Lächeln. Vorsichtig trat er an ihr Bett und setzte sich neben sie. "Sieh mal." lächelte sie ihn an und hob ihre Arme in die Luft. "Ich kann es immer noch." Unbändiger Stolz schwang in ihrer Stimme mit. Sie zeigte ihm das jedes Mal, wenn er da war und jedes Mal beruhigte ihn das. Ihre Krankheit hatte bereits den Großteil ihres jungen Körpers gelähmt, doch schienen ihre Arme dem zu trotzen. Naoko fürchtete den Tag, an dem auch diese nachgeben würden, doch verdrängte er diesen Gedanken und lächelte sie schwach an. Stolz strich er ihr über den Kopf, bevor er in seine Tasche griff und eine kleine Plastiktüte hervor hob. "Das hab ich von Zuhause stibitzt. Sieh zu, dass es Mutter nicht sieht, wenn sie dich heute besuchen kommt." Ihre Augen funkelten regelrecht, als sie den Inhalt der Tüte erblickte. Ein Reisbällchen, warm dampfend, wie frisch aus dem Reiskocher. Herzhaft biss sie hinein und abermals erklangen die winzigen Glöckchen in ihrem Haar und überdeckten für kurze Zeit ihr lautes Schmatzen. "Wie viele hast du jetzt eigentlich?" fragte er sie, als er die winzigen bronzenen Glocken betrachtete. "Dreizehn." präsentierte sie ihm stolz. Er lächelte. Es war ein schönes Geräusch, wenn sie den Kopf bewegte. "Wie sieht's aus? Mag die junge Dame heute wieder nach oben?" Wissentlich grinste sie ihn an. "Als ob ich dazu Nein sagen würde." Hastig erhob er sich, griff nach dem kleinen Rollstuhl in der Ecke des Zimmers, nahm ihre Jacke vom Haken, hob seine Schwester aus dem Bett und setzte sie vorsichtig auf dem Stuhl ab. Mit eiligen Schritten schob er sie aus dem Zimmer, in Richtung des Aufzugs am Ende des Ganges. Rasch die Taste gedrückt und ratternd schloss die Tür und den Kasten aus Stahl und Drähten zog es nach oben. "Heute ist es nicht ganz so warm wie gestern." sagte er zu ihr, doch antwortete sie nicht darauf. Als der Aufzug langsam zum Stehen kam und die Türen sich öffneten, lag ein kurzer, grauer Gang vor ihnen, an dessen Ende eine Stahltür ruhte. Laut quietschend öffnete Naoko sie und die Sonne ergoss sich mit ihrer Wärme in das Gebäude, gleichsam wie der kühle Wind. "Wie fliegen." flüsterte Sora in den Wind hinein und nahm einen tiefen Zug. Vorsichtig hob Naoko sie aus dem Stuhl, denn über den Kies auf dem Dach konnte er ihn nicht rollen. Vorsichtig trat er mit ihr im Arm an den Rand und legte sie auf diesen, ihre Beine herunter baumelnd. Naoko setzte sich hinter sie und hielt sie in seinen Armen fest. Vor ihnen erstreckten sich die hügeligen Straßen und Häuser Fransokyos und fern am Horizont leuchteten die Wolkenkratzer der Innenstadt im Sonnenlicht. "Eines Tages werde ich über diese Dächer fliegen." flüsterte sie leise. Manchmal erstaunte es ihn, wie erwachsen seine junge Schwester sein konnte, und ihm kam die fliegende Gestalt von vorhin wieder in den Sinn. "Ich verspreche dir, das wirst du." flüsterte er in ihr Ohr. Er wusste noch nicht wie, aber er würde einen Weg finden, so wie er es stets tat. Laut piepend meldete sich seine Uhr zu Wort. "Ich muss langsam los." erklärte er ihr, als sie ihn fragend ansah. "Sonst verpasse ich gleich am ersten Tag die Einführung fürs Labor." "Kommst du mich heute Abend wieder besuchen?" Er strich ihr durch die Haare, ehe er antwortete "Nein, das wird nicht gehen. Vater will, dass ich danach mein Training wieder aufnehme. Tut mir leid." Sie seufzte laut und haltlos. "Pa mit seinem Samuraigetue..." Sie schüttelte den Kopf, was ihre Glöckchen wieder klingeln ließ. Naoko antwortete "Aber Mutter kommt dich ja heute Abend besuchen." Das schien ihre Laune zumindest ein wenig aufzubessern. Er strich ihr noch einmal durch das Haar. "Ich bin schließlich beinahe jeden Tag hier und ab jetzt werde ich dich, so oft es geht, vor der Uni besuchen kommen." Sie grinste ihn schelmisch an. "Bringst du dann immer Reisbällchen mit?" fragte sie und Naoko zuckte mit den Schultern. "Ich werde sehen, was sich machen lässt. Na komm, ich muss langsam los." Wie auf dem Weg hierher brachte er sie in ihrem Rollstuhl wieder in ihr Zimmer und legte sie behutsam auf ihr Bett. "Ich denke, ich bringe dir das nächste mal ein anderes Buch mit." sagte er, als er den alten Einband neben ihr erblickte. "Auhja." erwiderte sie. "Bitte noch so eins." "Ich werde mich umsehen." versprach er ihr, verabschiedete sich und verließ das Zimmer. Seine kleine Schwester war erst dreizehn und doch las sie Bücher über höhere Physik, die er selbst nur mit Mühe verstehen konnte, wenn überhaupt. Manchmal fragte er sich, ob der Preis für ihren genialen Verstand ein sterbender Körper war. Doch schnell verwarf er diese Gedanken wieder und widmete sich dem vor ihm liegenden Weg. Eilig laufend erwischte er die nächste Bahn, welche ihn direkt vor die Pforten der Universität führen sollte, und während der ganzen Fahrt behielt er den Himmel so weit es ging im Auge, um dieses fliegende Ding vielleicht noch einmal erhaschen zu können. Doch ließ es sich nicht mehr blicken und, ehe Naoko sich versah, war er bereits an der Haltestelle. Vor ihm erstreckte sich der grüne und reich verzierte Park, an dessen Rändern die einzelnen modern gehaltenen Gebäude der Universität standen. Erstaunen wie Stolz machten sich in seiner Brust breit, was jedoch jäh unterbrochen wurde, als er einen Fuß durch das Tor setzte. "Achtung!" hörte er eine Stimme zu seiner rechten rufen und quasi im letzten Augenblick konnte er noch einen Schritt zurücktreten. Pfeilschnell schoss eine Mischung aus schwarz und gelb an ihm vorbei, eine zierliche Gestalt auf einem Fahrrad, den Blick unterm Helm starr nach vorne gerichtet. Diese Bild kam ihm irgendwie bekannt vor. Das gelbe Bike, die schwarze Lederweste, dieser Hintern. Moment schoss es ihm beim letzten Teil des Satzes durch den Kopf Halte deine Gedanken im Zaum ermahnte er sich und blickte der jungen Frau hinterher. Sie fuhr in atemberaubendem Tempo in Richtung der technischen Abteilung der Universität, in deren Richtung er sich dann ebenfalls in Bewegung setzte. Das gesuchte Büro des Professors war schnell gefunden. Im Raum wartete mit dem Professor dann noch eine hoch gewachsene, dürre Frau mit großer Hornbrille und, als er eintrat, erhoben sich beide von ihren Stühlen. "Guten Morgen. Darf ich Ihnen eine Ihrer Kommilitoninnen vorstellen? Frau..." Ohne ihn lange ausreden zu lassen wurde Naoko bereits überschwänglich begrüßt und sie schüttelte ihm wild die Hand. "Hi, vielleicht erinnerst du dich an mich. Nenn mich einfach Honey Lemon." Naoko war nie sonderlich groß gewesen, aber neben ihr fühlte er sich tatsächlich irgendwie winzig. "Ja, ich erinnere mich. Freut mich." erwiderte er nervös. Hinter ihnen räusperte sich indes der Professor. "Sie können sämtliche der Universität zugänglichen Ressourcen nutzen, so lange wir Resultate in Ihrer Arbeit sehen und Sie selbstverständlich mit dem Verbrauch nicht über die Strenge schlagen." Lächelnd trat er an ihn heran und drückte Naoko ein Schreiben in die Hand. "Dies sind Ihre Voraussetzungen, um das erste Semester erfolgreich abzuschließen. Ich rate Ihnen, sich sofort daran zu machen, denn die meisten unserer Studenten machen die Erfahrung, dass die Anforderungen zuweilen doch höher sind, als es zunächst den Anschein hat. Die Vorlesungen für Ihr jeweiliges Themengebiet können Sie sich online raussuchen, Zeit dafür haben Sie bis Ende der Woche. Die junge Dame hier wird Ihnen alles zeigen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit." "Ich danke Ihnen nochmal vielmals für diese Chance." Höflich verneigte Naoko sich mehrmals, ehe er mit Honey aus dem Büro trat. "Nun, was für einen Studiengang hast du dir ausgesucht?" fragte Honey, als die Tür geschlossen war. "Biotechnologie." Honey grinste freudig. "Na, dann lass mich dir deinen neuen Arbeitsplatz zeigen." Eilig und mit großen Schritten ging sie voraus und Naoko hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten, ohne rennen zu müssen. "Das Labor wird dir gefallen." fuhr sie fort. "Du kannst in Ruhe an deinem Projekt arbeiten und bekommst dafür alles, was du brauchst." strahlte sie ihn an. Naoko wusste nicht ganz, was er sagen sollte, also antwortete er "Das klingt super." Honey lächelte ihn an. "Ich bin so gespannt, was du als nächstes vorhast." "Wie meinen?" Er verstand nicht ganz. "Na, was für Ideen du für dein Projekt so verwirklichen willst." "Um ehrlich zu sein habe ich darüber noch nicht wirklich nachgedacht." Verlegen kratzte er sich mit der Hand den Nacken und besah sich den Brief in seiner Hand. "Das geht den meisten so, wenn sie erst einmal hier sind." grinste Honey ihn breit an. "Gogo zum Beispiel hatte auch keine wirkliche Ahnung, als sie hier anfing." "Tatsächlich?" Das amüsierte ihn ein wenig. Sie schien immer so fokussiert auf das, was sie tat, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass sie einmal nicht wusste, was sie tun sollte. "Da sind wir." antwortete sie. Sie standen vor der großen, blauen Doppeltür und Honey öffnete sie theatralisch verbeugend und wies ihn einzutreten. Vor ihm erstreckte sich der große Raum, in dem viele verschiedene junge Menschen an den unterschiedlichsten Projekten saßen. Ehrfürchtig trat er ein und glaubte beinahe zu träumen. Er hatte es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft hierherzukommen. "Und, was sagst du?" fragte ihn Honey. Ihm entfuhr nur ein atemloses "Wow." Staunend beobachtete er einen spielenden Tischtennisroboter, der mühelos mit fünf oder sechs Bällen gleichzeitig spielte. Eine Katze, ausgestattet mit Flügeln und Düsen, flog durch das Labor und maunzte anklagend, während ihr Herrchen sich gemütlich mit der Fernbedienung in der Hand im Stuhl sitzend in der anderen Ecke des Raumes aufhielt. Weiter hinten im Raum erblickte er den Riesen, den er schon bei der Messe gesehen hatte, der an einer seltsamen Apparatur herumschraubte. "Komm, ich stell dich den Anderen vor." hörte er Honey sagen und, ehe er etwas dagegen sagen konnte, hatte sie ihn schon am Arm gepackt und zog ihn durchs Labor. "Hey Wasabi!" begrüßte sie den Riesen, der sie ohne hinzusehen mit einem kurzen Wink begrüßte. "Erinnert du dich noch an Naoko? Den Jungen mit dem Multifunktionsarm?" Der Angesprochene hob den Kopf. "Tach uch." begrüßte er die beiden und erhob sich. "Honey, sollteste Gogo sehn, sach ma bitte Bescheid. Ich vermisse een paar Werkzeuge." sagte er zu Honey, ehe er sich Naoko zuwandte und ihm die Hand hinhielt. "Nen Glückwunsch, dass de et hierher jeschafft hast." Sein Griff war kräftig. "Danke." Irritiert besah er sich die Apparatur hinter Wasabi. "Darf ich fragen, woran du da arbeitest." "Kla." Er drehte an einem Schalter und feine grüne Linien erschienen zwischen zwei metallenen Stäben. Staunend besah sich Naoko die Strahlen. "Was ist das? Eine Art Laser?" fragte er. "Fast." antwortete Wasabi stolz. "Das ist laserinduziertes Plasma." "Laserinduziertes Plasma?" wiederholte Naoko und die Begeisterung schwang deutlich in seiner Stimme mit. "Aber wie?" Neugierig besah er sich Wasabis Erfindung nun von allen Seiten. "Wenn man een klenen magnetischen Einschub einbringt, kriegste ne unglaubliche Präzision." Wasabis Brust war vor Stolz geschwollen, während er Naoko dabei beobachtete, wie dieser gleich einem kleinen Kind an Weihnachten die Laserstrahlen beobachtete. "Und was macht man damit?" fragte er neugierig. Wasabi zog eine kleine, silbern schimmernde Münze aus der Tasche. "Dat macht man damit." Er warf sie durch die Strahlen. Es zischte laut und das Stück Blech kam an der anderen Seite in kleinen Streifen wieder heraus, die klappernd zu Boden fielen. "Du schneidest sogar Metall damit?" "Es kann allet schneiden, außer sich selbst." prahlte er. "Wow." War alles, was Naoko noch sagen konnte. Mit jeder Sekunde wurde diese Uni großartiger und großartiger. "Woran arbeitest du?" fragte er Honey gespannt. "Ach, ich arbeite an verschiedenen chemischen Verfahren wie dem Zerspröden von Metall und anderen Dingen." Sie grinste über beide Ohren. "Kannst du es mir zeigen?" fragte er sie und ihr Lächeln schien einen Tick breiter zu werden. Allerdings sagte sie "Leider fehlen mir momentan noch nötigen Materialien, aber sobald ich diese habe, werde ich es dir zeigen." "Was denn für Materialien?" fragte er sie, doch ehe sie antworten konnte, wurde sie von einer anderen Stimme unterbrochen. "Du könntest dich ja in der Zeit an das Serum setzen, damit ich mich endlich verwandeln kann." Es war der seltsame Typ, der ihm bereits auf der Messe komische Ideen vorgeschlagen hatte. "Hi! Fred mein Name. Uni Maskottchen und universal Wissenschaftsenthusiast." Auch er schüttelte Naoko die Hand. "Und woran wirst du dich setzen? An einen Powerarm, mit dem man schwere Lasten heben kann?" "Ich fürchte, das würde nicht funktionieren. Die Kraft eines Menschen resultiert schließlich aus allen Muskeln und nicht nur aus dem Arm. Auch wenn der Arm das Gewicht heben könnte, würde der Rest des Körpers schlichtweg zerbrechen." "Was ist dann mit einer mächtigen Kanone? So was, um ganze Städte zu vernichten wie in Baron von Destruct?" "Ich kenne zwar diesen Baron nicht, aber ich denke mal, der Rückstoß würde dir den Arm, die Schulter und höchstwahrscheinlich große Teile des Rückens herausreißen. Außerdem setze ich meine Erfindung nicht für kriegerische Zwecke ein." lachte er, doch schien sich Fred nicht beirren zu lassen. "Wie wäre es dann..." "Fred, halt mal die Luft an." Kam es von Gogo, die gerade ihr Rad ins Labor hineinschob. "Na jut, dass du dich uch mal blicken lässt. Ich vermisse das eene oder andere Werkzeug." wandte sich Wasabi an sie. Wortlos hielt sie ihm die zwei vermissten Schraubenzieher entgegen. Schüchtern hob Naoko die Hand. "Hi." begrüßte er sie. Sie erwiderte den Handgruß und stellte sich neben ihn zu den anderen. Hinter ihr hatte auch der kleine Junge mit dem riesigen Marshmallow das Labor betreten, der bei jedem Schritt leise quietschte. "Guten Morgen, Leute." warf er in die Runde, als sein Blick auf Naoko sprang. "Offenbar sind wir nun Kommilitonen. Ich bin Hiro und der Roboter hier ist Baymax." Baymax ließ die Hand charakteristisch in der Luft kreisen. "Hallo. Ich bin Baymax..." "Ich habe dich schon vorgestellt, Großer." Neugierig betrachtete Naoko den Roboter. Bei der Messe hatte er weder die Zeit noch die Ruhe dazu besessen, ihn sich einmal genau anzusehen. "Wofür wurde er konzipiert?" Hiro lächelte. "Willst du es sehen?" Naoko nickte zustimmend. Hiro glitt kurz an Wasabis Schreibtisch und zog eine Rolle Klebeband heraus. "Die Klebeband Nummer?" fragte Fred schelmisch. "Die Klebeband Nummer." antworte Wasabi, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete, wie die Anderen neugierig die Szenerie. "Klebeband?" Noch während er fragte, hatte Hiro es bereits auf seinem Arm glatt gestrichen und mit einem lauten Reißen zog er es wieder ab. "Au! Was zur Hölle?!" entfuhr es Naoko und irritiert sah er zu den Anderen, als er bemerkte, wie der Roboter ihn ansah. "Offensichtlich wird hier medizinische Hilfe benötigt." sagte er und schritt auf ihn zu. "Auf einer Skala von eins bis zehn, wie bewertest du deinen Schmerz?" "Ähm, drei?" antwortete er kurz ohne nachzudenken. "Ich scanne dich jetzt." fuhr Baymax fort. "Scan abgeschlossen. Du hast eine leichte Abschürfung am linken Unterarm. Ich empfehle ein antibakterielles Spray." "Wow." Naoko kam aus dem Staunen nicht mehr raus. "Ein Roboterarzt." Anerkennend pfiff er, als Baymax ihm das Spray über die wunde Stelle sprühte. "Mehr eine Krankenschwester, aber ja, das ist sein primäres Aufgabengebiet." verkündete Hiro mit stolz geschwellter Brust. "Das erklärt den Scan." erwiderte Naoko. "Und was wäre seine sekundäre Aufgabe?" fragte er neugierig. "Ich teste ihn momentan auf verschiedenen Einsatzgebieten und schreibe die Algorithmen dazu. Spezielle Aufgaben hat er außer dieser aber noch keine so richtig." "Ich denke, wir sollten dir jetzt mal deinen Arbeitsplatz zeigen. Gogo, magst du das übernehmen?" fragte Honey und die Angesprochene blies nur ihren Kaugummi auf und wies ihn mit einer Handbewegung auf, ihr zu folgen. "Dann komm mal mit." Kapitel 7: Hausbesuch --------------------- Der Tag war lang und anstrengend gewesen und Robert war einfach froh, endlich in seinem Sessel sitzen zu können. Einen heißen Tee, der dampfend auf dem kleinen Tisch neben ihm stand und ein gutes Buch. So würde es ein schöner Abend werden. Er musste zugeben, dass ein solcher Ruhestand auch etwas für sich hatte, auch wenn er lieber wieder arbeiten würde. Draußen war bereits die Nacht hereingebrochen und hüllte das Zimmer um ihn und die kleine Stehlampe herum in tiefe Dunkelheit. Als er gerade die Seite aufgeschlagen hatte, an der er zuletzt geendet hatte, fiel ihm auf, dass er seine Lesebrille vergessen hatte. Sofort griff er in die Brusttasche seines Hemdes, wo er sie immer verstaute, wenn er sie gerade nicht benötigte. Als er nach dem kalten Metall griff, fühlten seine Finger jedoch noch etwas anderes, kleineres. Vorsichtig zog er ein kleines Gebilde heraus, geformt wie zwei aufeinander gestellte Kegel. Es war der letzte Microbot, den er noch besaß, als er vor fast einem Jahr von seinen Schülern besiegt worden war. Lange war es her, als er diesen das letzte Mal in der Hand hielt. Das Metall war inzwischen glatt geschliffen und der ein oder andere Kratzer war darauf zu sehen. Robert konnte sich noch genau an das Geräusch erinnern, das jedes einzelne dieser Dinger immer gemacht hatte, wenn sie sich in Bewegung gesetzt hatten. Er seufzte und legte den kleinen Bot auf den Tisch, setzte seine Brille auf und widmete sich wieder dem Buch. Die Minuten vergingen, in denen er sich in den Worten verlor und alles um sich herum vergaß, bis ein dumpfes Klopfen ihn aus diesem Traum jagte. Irritiert sah er zur Uhr, es war bereits elf. Wer sollte zu so später Stunde noch etwas von ihm wollen? Abigail war nicht in der Stadt, das wusste er. Nach den Ereignissen bei Krei Tech hatte sie sich eine lange Auszeit genommen und war fortgegangen. Sie hatte einiges nachzuholen und regelmäßig schrieb sie ihm auch. Robert entschied sich, das Klopfen zu ignorieren. Sie würden schon wieder gehen, wenn ihnen keiner öffnen würde. Er kam nicht einmal bis zum Ende des ersten Satzes, als es wieder klopfte, diesmal jedoch bedeutend stärker. Beim dritten Mal noch mehr. Was in aller Welt? dachte er sich, als er sich vom Sessel erhob und zur Tür schritt. "Professor Robert Callaghan, nehme ich an?" begrüßte ihn ein Mantelträger mit strubbeligem Bart und tiefschwarzer Brille. Hinter diesem stand mit etwas Abstand eine weitere Person mit gleicher Kleidung, allerdings ohne Bart. Das Wetter hatte bereits umgeschlagen und leichter Nieselregen hatte eingesetzt, was den Asphalt und die Kleidung der Männer im schwachen Licht der Straßenlaternen gelb schimmern ließ. "Ich bin kein Professor mehr und wer sind sie überhaupt?" erwiderte Robert mit leicht zitterndem Unterton. "Sie müssen nicht nervös sein, Professor. Wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Dürfen wir eintreten?" Seine Stimme war geschmeidig, als wolle er ihn in Sicherheit wiegen. Robert beschloss, besser kein Risiko einzugehen. "Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Sie sollten jetzt besser gehen." Als er gerade die Tür schließen wollte, blickte er in den kalten Lauf eines Revolvers. "Doch, ich denke schon, dass Sie uns einiges zu erzählen haben. Wenn ich bitten dürfte." Robert rutschte das Herz in die Hose und widerwillig öffnete er die Tür wieder und trat beiseite. Während die Person, die bisher geschwiegen hatte, als erstes eintrat, bemerkte Robert das Schwert, das in der Scheide an ihrem Rücken hängend baumelte. "Entspannen Sie sich. Der Kerl ist harmlos." sagte der andere, als er seinen Blick bemerkte. Als dieser an ihn herantrat, flüsterte er ihm ins Ohr "Naja, meistens zumindest." und kicherte leise. Mit einem Wink des Revolvers gebot er Robert vorzugehen. Dieser wusste nicht, was er tun sollte. Für die Polizei war es nun zu spät und alleine hatte er wahrscheinlich keine Chance. Er musste geduldig sein und eine Gelegenheit zur Flucht abwarten. "Haben Sie nicht eine bequeme Sitzgelegenheit für uns, damit wir uns in Ruhe unterhalten können?" fragte ihn der Mann mit dem Revolver, den er wie ein Stück Kreide durch die Finger gleiten ließ, während er sprach. Mit einer Armbewegung wies Robert in die kleine Küche, in der ein Tisch mit Stühlen unter dem Fenster zur Straße hin stand. Als sie sich hingesetzt hatten, legte der Mann seinen Revolver in Reichweite auf den Tisch, während sein Kollege am Fenster stand und den Blick nach draußen gerichtet zu haben schien. "Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?" knurrte Robert beinahe und wechselte den Blick abwechselnd zu seinem Gegenüber und der Person hinter ihm. "Wer wir sind? Nun, darüber haben wir uns ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht." Sein Gesicht zierte ein fratzenhaftes Grinsen und seine perlweißen Zähne funkelten regelrecht im Licht der Küchenlampe. "Nun gut. Ich habe eine Kanone. Wie wäre es mit dem englischen Gunner? Was meinen Sie?" Robert erwiderte nichts. Angestrengt versuchte er, sich seine Nervosität nicht ansehen zu lassen, doch da er die Augen seines Gegenübers durch die Sonnenbrille nicht erkennen konnte, wusste er nicht, wie gut ihm das gelang. "Was meinst du?" richtete sich Gunner an seinen Kollegen. Dieser erwiderte nichts, würdigte die beiden keines Blickes. "Sie müssen meinen Freund entschuldigen, er spricht nicht viel manchmal. Nennen wir ihn einfach mal Knight, wegen des scharfen Stück Stahls auf seinem Rücken. Ich finde, das klingt gut." "Was wollen Sie von mir?" fragte Robert erneut, nachdem die Frage nach den Namen nichts Nennenswertes gebracht hatte. "Ach ja, stimmt. Der Grund für unseren Besuch. Warum waren wir nochmal hier?" Er begann zu grübeln und strich sich durch seinen strubbeligen, schwarzen Bart. Robert traute seinen Ohren nicht. War das ein Scherz? "Ich weiß nicht, was..." "Psst!" fiel ihm Gunner ins Wort. "Ich hab‘s gleich wieder." Es folgte eine kurze Pause, als er auf einmal nach seiner Waffe griff und Robert an die Stirn hielt. "Stimmt. Wir sind wegen dem, was sich in Ihrem Kopf verbirgt hier." Robert entglitten sämtliche Gesichtszüge. "Was soll das? Ich weiß nicht, wovon Sie reden!" fuhr er sie an. Kichernd nahm Gunner die Waffe runter. "Naja, nicht direkt in Ihrem Kopf, vielmehr, was Sie damit gemacht haben. Erinnern Sie sich?" Nein. Er wusste nicht, wovon dieser Typ sprach. Vorsichtig schüttelte Robert den Kopf. "Dann sind Sie nutzlos." erwiderte Gunner, richtete seinen Revolver wieder auf ihn und zog den Hahn. Noch bevor Robert auch nur verstehen konnte, was gerade geschah, sah er ein Blitzen von Metall an seiner rechten Seite vorbeigleiten und eine rot glänzende Klinge war auf den Lauf des Revolvers gedrückt und hielt diesen unten. “Beruhig dich. Ich mach nur Spaß." Gunner entspannte den Hahn wieder, legte den Revolver wieder auf den Tisch und legte die Hände zusammen. Knight hatte inzwischen das Schwert mit einem metallischen Singen wieder in die Scheide gleiten lassen und seine Position am Fenster wieder eingenommen. "Ach ja, ich liebe den Gesichtsausdruck, den Menschen machen, wenn ich die Kanone auf sie richte. Verzeihen Sie, Professor, ein kleiner Zeitvertreib." Er lachte leise, während er das sagte. "Sagt Ihnen der Name Yokai noch etwas?" fragte er schließlich. Das tat es tatsächlich. Diesen Spitznamen hatte er erhalten, als er mit den Microbots die Teile des Teleporters zusammengesucht hatte. "Das ist lange her und ich bin damit fertig." antwortete er und seine Stimme zittere kaum merklich dabei. Sein Gegenüber grinste ihn an. "Ja, üble Sache, das mit Krei Tech. Wissen Sie, mir hat gefallen, was sie da getan haben. So viel Zerstörung. Zu schade, dass ihnen diese Superhelden in die Quere kamen, was?" Er lächelte. Robert hingegen blieb still. Offensichtlich kannte er die Identität seiner ehemaligen Studenten nicht und das war ihm nur recht. "Knight hier hat auch schon einmal mit ihnen zu tun gehabt. Sie haben ihn sein Lieblingsschwert kaputt gemacht, er musste sich extra ein neues schmieden. Man hatte der eine Laune." Er hob die Waffe auf und zeigte damit auf seinen Partner. Roberts Blick blieb auf sein Gegenüber gerichtet. "Also stecken Sie hinter diesen Überfällen?" fragte er vorsichtig. Gunner lachte. "Vielleicht." "Was wollen Sie dann von mir?" Gunner beugte sich vor. "Wir wollen ihre Erfindung, mit der Sie das alles bewerkstelligt haben." flüsterte er und schien geheimnisvoll wirken zu wollen. Robert war überrascht. Diese Männer glaubten offenbar, dass dies seine Erfindung gewesen war. "Und was wollen Sie damit?" herrschte er sie an. "Sie könnte sich bei unseren Experimenten als sehr nützlich erweisen." zwinkerte Gunner ihm zu. "Was sagen Sie dazu, Professor? So von Wissenschaftler zu Wissenschaftler?" Wieder grinste er ihn an. "Wissenschaftler? Nein. Selbst, wenn ich Ihnen helfen könnte, würde ich Ihnen nichts sagen." Robert versuchte tapferer zu klingen, als er sich fühlte, und er spürte, wie ihm der Schweiß die Stirn hinab lief. Doch die kurze Hitze des Aufruhrs, die durch seinen Körper strömte, wich aus ihm, als er blanken, kalten Stahl in seinem Nacken spürte. Ein leises Rascheln und die Klinge schabte an seiner Haut entlang und ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Gunner lachte. "Ich glaube, meinem Partner gefällt Ihre Antwort nicht." Robert versuchte ruhig zu bleiben und sich zu beherrschen. "Trotzdem wird er sich mit der Antwort zufrieden geben müssen. Ich kann Ihnen nicht helfen." stotterte er mehr, als dass er sprach. Gunner musterte ihn eingehend, ehe er sich auf einmal erhob und die Küche in Richtung des Wohnzimmers verließ. Robert war ratlos. Was will er jetzt dort? Dort wird er auch keine Antworten finden. Es sei denn, er... Noch ehe er den Gedanken zu Ende führen konnte, stand Gunner bereits wieder in der Küche und hielt den kleinen Microbot zwischen seinen Fingern. Lächelnd sah er begutachtete er ihn. "Glauben Sie, wir wären direkt an Ihre Tür spaziert, ohne vorher mal durchs Fenster zu schauen, ob die Luft auch rein ist? Und wie es der Zufall wollte, hatten Sie den, glaube ich, sogar noch in der Hand gehabt. Ist es nicht so, Robert?" Den letzten Satz sprach er aus, als würde er mit einem Kind reden. "Hat der kleine Robert etwa gelogen?" Er grinste ihn schelmisch an und streckte ihm die Zunge raus. "Ich denke, den werden wir mitnehmen." "Er wird Ihnen nichts nützen, ohne den entsprechenden Transmitter dafür." entgegnete Robert gespielt ruhig. "Leider." murmelte Gunner und besah sich den winzigen Bot. "Schon ein erstaunliches Ding. Ich habe es im Fernsehen gesehen, wie Sie damit herum gespielt und Krei Techs neuen Campus damit in Schutt und Asche gelegt haben." Scham und Wut stiegen in Robert wieder auf, als ihn die Erinnerung daran wieder einholte. Gunner schien ihn aus den schwarzen Gläsern der Brille heraus genau zu beobachten. "All dieses Chaos. Nun gut." Er schnippte den Bot mit den Fingern in die Luft, fing ihn wieder auf und verstaute ihn in seiner Brusttasche. "Ich hoffe sehr, dass Ihre Tochter Abigail etwas gesprächiger ist als Sie." "Abigail?!" Sein Herz rutschte erneut in die Hose und Panik machte sich in seiner Brust breit. Aber woher sollten sie wissen, wo sie sich momentan... "An der Ostküste scheint sie sich ja momentan recht wohl zu fühlen, in ihrem kleinen Haus in der Greenwich Street." Fuhr Gunner unberührt fort. Erbost stand Robert auf und schrie "Sie weiß überhaupt nichts darüber! Sie war nicht mal bei Bewusstsein, als das alles geschah!" Gunner lachte "Ja, ich weiß. Aber vielleicht hilft sie uns, Sie zu überzeugen. Wir müssen jetzt los, sonst kommen wir vor ihrem Strandausflug dieses Wochenende gar nicht mehr rechtzeitig an, um ein wenig mitzufeiern." Er wollte sich gerade umdrehen, als sich der alte Mann vor ihm auf die Knie warf. "Bitte! Sie ist alles, was mir geblieben ist! Sie hat damit nichts zu tun!" Langsam beugte sich Gunner zu ihm runter. "Dann machen Sie uns ein Gegenangebot, Mr. Callaghan." Alles schrie in ihm und wollte sich weigern, doch der Gedanke daran, dass sie seiner geliebten Tochter etwas antun könnten, ließ alle Stimmen verstummen. Unter Tränen antwortete er "Hiro Hamada hat diese Dinger konstruiert. Er alleine weiß, wie sie zu steuern sind." Bitte dachte er Dieser Riesenroboter und seine Freunde müssen ihn beschützen, diese Wahnsinnigen aufhalten. "Hiro Hamada? Interessant. Ich denke, das werden wir dann mal bei Gelegenheit überprüfen. Wenn wir weitere Fragen haben sollten, kommen wir einfach wieder zu Ihnen." Er wollte sich gerade umdrehen, als er sagte "Ach ja, da fällt mir noch was ein." Er beugte sich noch einmal über den am Boden knienden Robert. "Dieses Gespräch bleibt natürlich unter uns. Wir wollen doch nicht, dass Ihrer Tochter etwas zustößt, oder?" zwinkerte er und klopfte ihm auf die Schulter. Als er sich wieder erhob, blickte er zu der Uhr an der Wand über dem Tisch. "Ach herrje. Jetzt haben wir Ihnen doch tatsächlich Ihre wertvolle Zeit gestohlen. Das tut uns leid." Er wandte sich an Knight, der noch immer am Fenster stand und die Szenerie zu beobachten schien. "Komm, wir wollen den Professor nun den Rest seines Abends noch genießen lassen. Schließlich ist er im Ruhestand." Er winkte ihm noch einmal "Byebye." lächelte er und gefolgt von seinem Kollegen verließ er das Haus. Leise klickend fiel die Tür ins Schloss und es war wieder still im Haus. Lediglich das Ticken der kleinen Uhr und der rasselnde Atem Roberts durchbrachen die Stille. Bald mischte sich unbändiges Schluchzen dazu. Kapitel 8: Laborarbeiten und erste Hilfe ---------------------------------------- Die Sonne war längst hinter dem Horizont verschwunden und nur noch vereinzelte Lampen erhellten die Räume des Labors. Die meisten Studenten waren längst nach Hause gegangen und es war still um sie herum geworden. Gogo saß alleine in ihrer Ecke auf dem Boden und begutachtete still grübelnd ihr Fahrrad, das an dem Haken an der Decke hing. Nicht schnell genug schoss es ihr immer wieder durch den Kopf und ließ sie keinen klaren Gedanken fassen. Sie fühlte sich ausgelaugt und ihre Augen brannten unangenehm. Hiro hatte ihr noch gesagt, sie solle einen anderen Blickwinkel suchen, bevor auch er nach Hause gegangen war. Neuer Blickwinkel genervt blies sie ihre Kaugummiblase auf und ließ sie platzen. Der hat gut reden Ihr Blick wanderte zu der großen Uhr an der Wand, beinahe elf. Resigniert beschloss sie, es morgen wieder zu versuchen, vielleicht brauchte sie einfach mal eine Pause. Leider hatte Hiro Baymax wieder mitgenommen, sonst hätte er ihr vielleicht wieder eine von seinen medizinischen Massagen verpassen können. Möglicherweise hätte ihr das geholfen. Langsam erhob sie sich, legte den Schraubenzieher auf die Werkbank und griff nach ihrer Jacke, die sie über den Stuhl gehängt hatte. Sie versuchte sich von den Gedanken über das Fahrrad freizumachen und atmete tief ein. Als sie die Luft wieder aus ihren Lungen drückte, bemerkte sie, dass es nicht ganz so still war, wie sie zuerst vermutet hatte. Sie hörte das leise Klicken von Metall, ab und zu unterbrochen von Quietschen, wie von zu wenig geölten Gelenken. Mit der Jacke über der Schulter ging sie der Quelle des Geräusches nach und fand Naoko an einem Schreibtisch sitzen, konzentriert über den mechanischen Arm gebeugt, den er von seiner Schulter abmontiert hatte. Er bemerkte Gogo gar nicht, sondern versuchte krampfhaft, eine festsitzende Mutter am Gelenk zu lösen. Ohne einen Ton von sich zu geben, ging Gogo an Wasabis Werkbank und griff nach dem passenden Schraubenschlüssel. Als sie wieder bei ihm war, stellte sie sich hinter ihn und klopfte ihm damit leicht auf den Hinterkopf. "Vielleicht probierst du es mal damit?" Überrascht sah er zu ihr auf und lächelte. "Danke dir. Ich muss meinen bei mir vergessen haben." Sofort ging er wieder ans Werk. "Das ist Wasabis Werkzeug. Du solltest es danach besser zurücklegen." Naoko lachte leise. "Ja, das wäre wahrscheinlich besser." "Was machst du da eigentlich?" fragte sie und setzte sich auf den Tisch neben ihm. "Ich versuche, diese bescheuerte Klappe zu öffnen." Gogo griff nach einem kleinen, schwarzen Zylinder, der neben dem Arm lag. "Und was ist das?" "Das ist ein Superkondensator. Hiro hatte sie mir vorgeschlagen, da sie wohl schneller geladen werden könnten als herkömmliche Lithiumbatterien." "Dein Arm läuft mit Batterie?" "Normalerweise nutzen Muskeln die Energie aus einer chemischen Reaktion von Sauerstoff und anderen Nährstoffen um zu funktionieren. Dieses Prinzip lässt sich leider noch nicht für Metallgelenke umsetzen." "Verstehe." Gogo hatte nicht viel Ahnung über Prothesen und ihren Möglichkeiten und Voraussetzungen. Umso mehr schien es sie aber zu faszinieren, was Naoko da eigentlich tat. Doch vor allem war es manchmal lustig mit anzusehen, wenn er versuchte, den Arm wieder auseinanderzunehmen, da er wohl die Eigenart besaß, sämtliche Schrauben und Muttern immer besonders festzuziehen. "Du bist Rechtshänder, nicht wahr?" fragte sie nach einer kurzen Pause. In der Woche, in der er jetzt schon mit ihnen im Labor arbeitete, war ihr schon ein paar Mal aufgefallen, dass er sich recht ungeschickt anstellte, wenn er die linke statt der mechanischen rechten Hand benutzte. "Jop." antwortete er knapp und kämpfte weiter. Es dauerte noch eine halbe Stunde, ehe er den Kondensator in die Schaltkreise integrieren konnte. Die ganze Zeit sagten die beiden kein Wort mehr und Gogo beobachtete ihn neugierig. Laut schlug er die metallene Klappe zu und rief freudig "Fertig!" Gespannt sah Gogo zu, wie er aufstand und den rechten Arm in Richtung der Wand hielt. Erst jetzt fiel ihr auf, wie zerkratzt diese war, und vereinzelt waren sogar Löcher zu sehen, an denen der Putz quasi weggesprengt war. "Sag mal, was willst du eigentlich bau..." Weiter kam sie nicht, denn ein ohrenbetäubender Knall warf sie beinahe vom Tisch. Den Arm hatte es in Stücke gerissen und Naoko lag rücklings am anderen Ende des Raumes an der Wand. Seine Haare waren völlig zerzaust und sein Gesicht zierte die eine oder andere Rußspur. Seine Prothese hing in Fetzen von seiner Schulter herunter und einzelne Kabel und Metallteile lagen quer im Raum verteilt. Erschrocken sprang Gogo vom Tisch und lief zu ihm rüber. "Alles klar bei dir?" Sie griff ihm unter den linken Arm und zog ihn auf die Beine. "Wow." sagte er nur und besah sich den kümmerlichen Rest, den der Knall zurückgelassen hatte. "Mit so viel Energie habe ich nicht gerechnet." witzelte er. Ein blutiges Rinnsal lief ihm von der Stirn herab. "Idiot." grummelte Gogo und half ihm zum Tisch hinüber. "Setz dich. Ich sehe mir das mal an." befahl sie ihm und schob seine Haare auseinander. Sie wusste nicht, wieso, doch als sie sah, dass es sich nur um einen Kratzer handelte, machte sich eine solche Erleichterung in ihrer Brust breit, dass es schien, als ginge es gerade um Honey oder Hiro. "Und, wie sieht es da oben aus?" hörte sie Naoko von unten fragen. Sie ließ wieder von ihm ab, schritt durch das Labor zum Erste-Hilfe-Kasten, nahm eins der Tücher und den Verband heraus und kam zurück. "Hier." Sie warf ihm das Tuch zu. "Halt das drauf, bis es aufhört zu bluten." Erstaunt griff er sich an den Kopf und betrachtete das Blut an seinen Fingern. "Ich blute?" Irgendwie kam es Gogo so vor, als hätte er mehr als nur einen Kratzer am Kopf abbekommen. Sie rollte mit den Augen und legte ihm den Verband hin. "Ich denke, das wird nicht nötig sein." sagte er zu ihr und lächelte sie an. "Es ist ja nur ein wenig." Er wurde kreidebleich im Gesicht, als er die rote Flüssigkeit betrachtete. "Alles in Ordnung?" fragte Gogo ihn besorgt. Er winkte ab, während er würgte. "Alles okay. Hab mich nur an etwas Widerliches erinnert." Er kann kein Blut sehen ging es ihr durch den Kopf. "Stell dich nicht so an, Blut haben wir alle." mahnte sie ihn und er lachte daraufhin laut auf. Gogo war irritiert und sah ihn fragend an. "Jetzt erklärst du mir bitte mal, was da gerade passiert ist und was du vorhattest." fuhr sie ihn harsch an. "Du bist süß, wenn du dich aufregst." antwortete er nur. Damit hatte Gogo nicht gerechnet und sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Ganz offensichtlich hatte er sich mehr am Kopf gestoßen, als der Kratzer vermuten ließ. Gerade, als sie ihm eine passende Antwort geben wollte, sah er nachdenklich zu seiner Schulter und sagte "Wahrscheinlich war es zu viel Energie. Ich wollte den Prototypen eines Enterhakens ausprobieren, aber so, wie es aussieht, hat es das Exoskelett beim Abschuss zerrissen. Ich werde wohl anderes Material nehmen müssen.“ Von diesem plötzlichen Wandel überrumpelt wusste Gogo nicht, was sie darauf erwidern sollte. Stattdessen griff sie nach dem Stuhl, den es in die Ecke gepfeffert hatte, und setzte sich damit wieder an den Schreibtisch. "Welche Materialien hast du denn verwendet?" fragte sie ihn schließlich. "Normales Eisen und Stahl, wenn ich welchen in die Finger bekam." "Was meinst du damit?" Er lächelte sie gezwungen an. "Ich habe mir aus Müll und Resten von Computern, Autos und anderem diese Prothese zusammengebaut." "Wieso?" "Ich hatte keinen Zugriff auf bessere Ressourcen." sagte er leise und wandte sich ab. "Einer der Gründe, warum ich an diese Uni wollte." "Ach so." antwortete Gogo nur und blies ihren Kaugummi auf. "Naja, dann muss ich wohl erstmal ohne Arm arbeiten." lachte er. Gogo amüsierte die Vorstellung ein wenig, doch als ihr Blick an seinem Hals hinunter glitt, änderte sich das Schlagartig. Kleine Streifen und Flecken aus Blut zierten seinen dunkelgrauen Pullover. "Zieh dein Oberteil aus." befahl sie ihm. Irritiert sah er sie an, tat jedoch, wie ihm geheißen. "Dein Shirt auch." Als er auch dieses ausgezogen hatte, sah sie die Ursache. Kleine Metallsplitter hatten sich in seine Haut gebohrt, wenngleich nicht sonderlich tief. Als Naoko an sich herab sah, würgte er kurz und erhob sofort den Blick wieder. Gogo hatte bereits den Erste-Hilfe-Kasten heran geschafft und begann sofort damit, die kleinen Splitter aus der Haut zu ziehen. "Du hast Glück, sie sind alle nicht tief eingedrungen." Naokos Oberkörper bebte und sie merkte, wie er leise lachte. "Der Explosionsradius war auch mehr nach vorne gerichtet." sagte er und wies auf die Wand. Diese war völlig durchlöchert und größere Splitter waren darin eingedrungen. Den Putz hatte es fast vollständig von der Wand gerissen. Gogo sackte das Herz in die Hose. Als Naoko ihren Blick sah, sagte er "Das ist nicht das erste Mal, dass mir das passiert. Ich habe die Konstruktion so angepasst, dass sich das Metall verbiegt und eine Art Barriere für Splitter in meine Richtung bildet." Er schien sie beruhigen zu wollen. "Aha." antwortete Gogo nur und begann, die Wunden abzutupfen. "Du scheinst eine Menge Ahnung von medizinischer Erstversorgung zu haben." sagte er und beobachtete sie dabei, wie sie geschickt mit einer Pinzette die einzelnen Splitter herauszog. "Ja, das habe ich." Da sie ihren Rausch nach Geschwindigkeit immer wieder mal mit Schürfwunden und auch gebrochenen Fingern bezahlen musste, hatte sie schon früh damit begonnen, sich diese Maßnahmen einzuprägen und anzuwenden, wenn es notwendig war. Als sie die Wunden schließlich mit den Tüchern abdeckte, griff sie nach der Mulde und sagte zu ihm "Steh auf und nimm die Arme hoch." Schnelle legte sie den Verband um ihn, als er ihre Befehle ausführte und machte ihn fest. "Das sollte reichen." meinte sie nur und packte, die Sachen wieder in den Kasten. Verlegen sah Naoko sie an "Danke." flüsterte er beinahe und erhob sich vom Schreibtisch. Erst jetzt wurde Gogo das ganze Ausmaß seiner Prothese bewusst, als sie ihn etwas genauer betrachtete. Beinahe die ganze rechte Schulter bestand aus Metall und Drähten und sie fragte sich, warum ihr das bei der Messe nicht schon aufgefallen war. Ihr lag bereits die Frage auf der Zunge, was der genaue Auslöser dafür gewesen war, doch verwarf sie diese schnell wieder. Verlegen griff sie nach seinem Shirt und warf es ihm zu. "Zieh dich wieder an." Wortlos tat er wie ihm geheißen und zog er das blutbesudelte Kleidungsstück wieder an. "Was nun?" fragte Gogo ihn. Er besah sich das Chaos und seufzte. "Ich werde eine neue bauen müssen. Nur diesmal besser aus widerstandsfähigerem Material." Gogo blies ihren Kaugummi auf und ließ ihn wieder zwischen ihren Zähnen platzen. "Nun, ich denke, ich räume hier noch die Überreste weg und dann sollte ich mich wohl auf den Weg machen." Gogo nickte zustimmend "Ich helfe dir." Als die letzten Reste weggeräumt und sauber auf dem Schreibtisch aufgereiht worden waren, Wasabis Werkzeug wieder an Ort und Stelle war und Gogo ihr Fahrrad herunter genommen hatte, zogen sich die beiden ihre Jacken an und löschten das Licht, ehe sie das Labor verließen. Die kühle Nachtluft umfing die beiden und jagte ihr einen kurzen Schauer über den Rücken. Gerade, als sie die Stufen der Treppe hinuntergehen wollte, hielt Naoko sie an der Schulter fest. „Ich wollte mich nochmal für deine Hilfe bedanken.“ grinste er sie verlegen an. „Ich schulde dir was.“ fuhr er fort und sah sie reumütig an. „Keine Ursache.“ antwortete sie und sie setzten ihren Weg fort. Der Weg nach Hause war für die beiden bis zum großen Park am Rande der Stadt derselbe und so gingen sie schweigend nebeneinander. Als sie am Park angekommen waren und es Zeit wurde sich zu trennen, wandte sich Naoko noch einmal an Gogo. „Wenn ich meinen Arm repariert habe, würde ich gerne noch einmal gegen dich spielen.“ Gogo überlegte kurz und nickte dann. „Warum nicht?“ antwortete sie. „Und was deine Schuld angeht…“ fuhr sie vorsichtig fort. „Wie wäre es, wenn du mir morgen früh bei meinem Geländetest hilfst?“ Erst, als der letzte Satz ihre Lippen verlassen hatte, wurde ihr klar, was sie da eigentlich gerade gefragt hatte. Wieder schoss ihr die Hitze ins Gesicht und sie war froh, dass es so dunkel war und hoffte, dass Naoko davon nichts mitbekommen würde. „Klar.“ antwortete dieser und lächelte. „Wo und wann?“ Skeptisch sah sie ihn an. „Langschläfer?“ „Nein.“ erwiderte er knapp. Gogo lächelte verschlagen. „Gut, dann morgen um sechs hier im Park.“ Naoko sah sie schief an, dann nickte er. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“ „Gut, dann morgen.“ sagte Gogo. „Morgen dann.“ wiederholte er und hob die Hand. „Ich bin dann jetzt weg. Du kommst klar?“ Ihr Blick schien ihn geradewegs erstechen zu wollen und verlegen winkte er „Alles klar, bis morgen dann.“ Mit flinken Schritten verschwand er in der Dunkelheit und ließ Gogo alleine zurück. Sie atmete laut aus und seufzte. Er kann nicht der Samurai sein. dachte sie und zückte ihr Handy. „Naoko ist nicht der, den wir suchen. Erkläre ich euch morgen.“ tippte sie in das Chatfenster und ließ das Handy wieder in der Tasche verschwinden. Nein dachte sie sich Die Indizien passen nicht zusammen Seine Prothese schien nicht zum Kampfmuster des Samurais zu passen. Sie war schlichtweg zu instabil für eine solche Art von Kampf, den ihr Gegner ihnen in der Nacht am Kai geliefert hatte. Also alles wieder auf Anfang. Nachdenklich, aber doch irgendwie froh über diese Erkenntnis, setzte sie ihren Weg nach Hause fort. Kapitel 9: Alte Wunden ---------------------- Der Morgen graute bereits und er hatte keine Sekunde geschlafen. Nachdenklich betrachtete er die schwarze Baseballmütze, die über der Lampe hing. Auf ihr prangte das Symbol der San Fransokyo Ninja mit seinen gelben und roten Buchstaben, eng ineinander geschwungen. Ein Jahr ist nun rum, dachte er sich und wandte seinen Blick auf die kleine Nische, in der noch immer das Bett seines Bruders stand, unberührt. Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster und erhellten langsam das Zimmer. Er verspürte keine Müdigkeit, nur ein Gefühl von Leere, das er nicht verdrängen konnte. Ein Blick auf seine Uhr, es war Viertel vor sechs. Noch etwas mehr als sechs Stunden Um die Mittagszeit würden ihn seine Freunde besuchen. Honey hatte die Idee geäußert, an dem Jahrestag seinem Bruder zu gedenken und das gemeinsam. Hiro hatte daraufhin spontan Tante Cass` Café vorgeschlagen und dafür machte seine Tante sogar extra den Laden zu. Sein Blick wanderte durchs Zimmer und blieb bei dem kleinen, roten Kasten hängen, in dem Baymax sich befand und darauf wartete, dass Hiro "Au" sagen würde. Das Erbe seines Bruders war nun seine Aufgabe. Hin und wieder fragte er sich, was Tadashi wohl dazu sagen würde, dass er aus Baymax einen Kampfroboter gemacht hatte, und ob er ihnen sogar als Mitglied beigestanden hätte. Ob es ohne seinen Tod überhaupt dazu gekommen wäre. Es war ein seltsames Gemisch aus Scham, Trauer und Dankbarkeit, das sich in seiner Brust breit machte. Er war dankbar, die Freunde seines Bruders um sich zu haben und sie als seine eigenen bezeichnen zu können, doch erfüllte es ihn auch mit Trauer, dass für diese enge Bindung sein Bruder sein Leben hatte geben müssen.Ein leises Piepen von seinem Computer lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Die Glieder streckend erhob er sich aus dem Bett und schlurfte langsam zu seinem Schreibtisch. Ein Knopfdruck und der Bildschirm flackerte auf. In Briefform prangte die E-Mail auf dem Desktop auf und, ehe er darauf drücken konnte, erschien bereits eine neue. Der Absender war Gogo und zwei kurze Sätze erschienen, in denen sie beschrieb, dass sie Naoko für unschuldig hielt. Die ganze Geschichte mit dem Samurai und Naoko hatte Hiro schon beinahe im Lichte der letzten Woche vergessen. Zu sehr waren seine Gedanken auf die letzten Jahre mit Tadashi konzentriert, gefüllt mit Bildern und Worten, mit Gesten und Gesprächen. Er drückte auf den Knopf und der Bildschirm versank wieder in tiefes Schwarz. Seine Uhr zeigte inzwischen halb sieben an und Hiro beschloss, dass es nun Zeit war, sich langsam anzuziehen. Kurz Baymax geweckt, sich angezogen und gewaschen. Alles erledigt und in der Küche angekommen, war auch schon seine Tante mit den Vorbereitungen für den heutigen Tag beschäftigt, an denen sich er und Baymax auch sofort beteiligten. Baymax stellte sich dabei wie so oft eher hinderlich als hilfreich an, was aber daran lag, dass sein knuffiges Design in manchen Situationen leider nicht ganz alltagstauglich war. Und so verfrachtete Hiro ihn kurzerhand in die Ecke des Cafés mit Moji auf dem Arm. Aufopfernd widmete sich der Roboter auch sofort dem persönlichen Wohlbefinden der Katze und streichelte sie. Die Uhr schritt indes munter weiter und schneller, als Hiro es gedacht hatte, klingelte es auch schon an der Tür. "Hallo Hiro!" schallte ihm die grelle Stimme Honeys entgegen, die ihn sofort in der Türschwelle in den Arm nahm und feste drückte. Gleich hinter ihr standen auch Wasabi und Fred, die es ihr gleich taten, und spätestens bei Wasabi hatte Hiro das Gefühl, man hätte ihm den Brustkorb eingedrückt. "Ist Gogo nicht bei euch?" fragte er schließlich, als er wieder Luft in seinen Lungen hatte und ihre Abwesenheit bemerkte. Honey zuckte ratlos mit den Schultern "Ich hab außer gestern Abend nichts mehr von ihr gehört." "Sie kommt garantiert noch." fügte Wasabi hinzu und gemeinsam setzten sie sich an den großen Tisch, den Hiro und Tante Cass extra bereitgestellt hatten. "Dann kümmere ich mich mal um die Verpflegung." hörte er seine Tante sagen und sofort war sie nach oben in die Küche verschwunden. Ein leises Surren war zu hören. Flink griff Honey in ihre Tasche und zog ihr Handy hervor. "Gogo ist unterwegs." sagte sie schließlich und blickte wieder in die Runde. "Sieht ihr ja gar nicht ähnlich zu spät zu kommen." meinte Hiro nur und zuckte mit den Achseln. "Sie hat ihr Fahrrad getestet, schreibt sie. Wahrscheinlich hat sie einfach nur wieder alles um sich herum vergessen." verteidigte Honey sie lächelnd. "Bin mal gespannt, was sie wegen Naoko rausgefunden hat und warum sie glaubt, dass er nicht der Samurai ist." fügte Fred hinzu, bevor er sich einen weiteren Donut in den Mund schob. Die Nachricht von Gogo heute Morgen hatte Hiro schon vergessen. Tatsächlich war er aber sehr gespannt auf ihre Einschätzung, obwohl er von Anfang an nicht mit Freds Theorie wegen dessen Rolle übereingestimmt hatte. Mehr freute er sich auf das Wochenende, wenn er ihnen endlich ihre neuen Upgrades präsentieren konnte und auf ihre Gesichter, wenn sie sie ausprobieren würden. "Was grinste so, Kleener?" sprach Wasabi ihn an und holte ihn aus seinen Gedanken. "Grinse ich?" Hiro hatte das gar nicht mitbekommen. Auf einmal durchbrach die Stimme seiner Tante die Runde. "Okay, ihr Nerds! Zeit für die Chicken Wings!" Mit zwei Tellern dampfenden Hühnerfleischs stand sie am Tisch und stellte diese vor der Gruppe ab . "Achtung, der linke Teller besteht aus scharfen Wings. Und wenn ich scharf sage, meine ich das auch." "Danke, Tante Cass." erwiderte Hiro und die anderen fielen mit ein. "Scharf?" Wasabi grinste in die Runde. "Man nennt mich ja net umsonst Wasabi." Hiro stoppte, als er in den ersten Flügel hinein beißen wollte. "Ich dachte, weil du mal Wasabi auf deinem Shirt hattest?" "Uch, aber ich esse es uch gern." Grinsend tunkte der Riese den Flügel in die Soße und biss herzhaft hinein. Das Grinsen verging ihm schlagartig nach wenigen Kaubewegungen. Hiro sah ihm aus dem Augenwinkel zu und freute sich auf das, was jetzt geschehen würde schon beinahe diabolisch. Wasabi begann zu schwitzen und seine Augen wurden rot. "Köstlich..." brachte er hustend hervor. Fred und Honey taten so, als wäre gar nichts, und aßen in Ruhe ihr Essen. Dann war es mit der Ruhe vorbei. "Ahhh..!" schrie Wasabi auf und griff nach seinem Wasser, was er in einem Schluck in seinem Mund versenkte. Krächzend und hustend griff er nach der Kanne, um mehr zu trinken, gab aber nach einem kurzen Moment auf, das Glas mit zitternden Händen füllen zu wollen, und trank stattdessen direkt aus der Kanne. "Ich vernahm einen Schmerzlaut." meldete sich der Roboter von der Ecke aus und erhob sich, offenbar vergessen , dass er noch immer die schlafende Katze auf dem Bauch liegen hatte, die nun aus ihrem Schlaf gerissen, laut fauchend gen Boden glitt um mit einem geräuschvollen Klatschen auf dem Bauch zu landen. "Arme Moji ." meinte Hiro achselzuckend. Immer noch der Sprache beraubt versuchte Wasabi mit wimmernden Schmerzlauten seine Freunde auf sein Problem aufmerksam zu machen, doch reagierten diese gar nicht, sondern aßen einfach weiter. Indes war Baymax an den Tisch getreten und fragte "Auf einer Skala von eins bis zehn, wie bewertest du deinen Schmerz?" Wasabi öffnete den Mund, doch entwich ihm nur ein Röcheln. "Ich scanne dich jetzt." Seelenruhig fuhr der Roboter fort, während Wasabi inzwischen auf japsendes Atmen übergegangen war. „Scan abgeschlossen. Du zeigst leichte Verbrennungsmeldungen in Mund und Rachenbereich. Ich empfehle Milch und Brot.“ Mit Tränen in den Augen suchte Wasabi nach der Küche und Hiro wies zur Treppe hin. Schneller, als es die Freunde für möglich halten konnten, als ein Mensch sein könnte, war er auch schon weg und Baymax watschelte ihm quietschend hinterher. Hiro sah irritiert zu den Wings und blickte dann zu seiner Tante hinter der Theke. Abwehrend hob diese die Hände. „Ich war das nicht.“ „So scharf sind die doch gar nicht.“ befand Hiro, nachdem er einen probiert hatte. „Nope.“ hörte er Fred sagen, der teilnahmslos weiter aß, während er in einem seiner zahlreichen Comics schmökerte. Hiro hob die Augenbraue und Fred begann leise zu lachen. Dann legte er auf einmal den Comic beiseite und sah Honey und Hiro schelmisch an. „Honey, erinnerst du dich an das Extrakt, um das ich dich gebeten hatte?“ Sie sah ihn ratlos an und wollte gerade den Mund öffnen, als es ihr wie Schuppen von den Augen zu fallen schien. „Fred!“ fuhr sie ihn an und blinzelte böse. „Darf ich erfahren, was hier los ist?“ fragte Hiro und Honey seufzte. „Fred hat vor ein paar Tagen nach einem chemischen Extrakt mit einem hohen Scoville-Wert gefragt. Für den Eigengebrauch hieß es.“ Beim letzten Satz blickte sie ihn wieder finster an. Fred kicherte indes nur diabolisch. „Wasabi hat immer gesagt, dass er nichts richtig Scharfes mehr findet, also wollte ich ihm nur helfen.“ Hiro war verwirrt. „Scoville-Was?“ „Scoville-Wert.“ erwiderte Fred und Honey ergänzte „Das ist eine Skala zur Einschätzung des Schärfegrades von Lebensmitteln. Je höher, desto schärfer.“ Hiro schüttelte lächelnd den Kopf. Das sah Fred ähnlich und ein wenig amüsant war es ja schon, auch wenn er Mitleid mit Wasabi hatte. Es vergingen einige Minuten, ehe dieser mit Baymax im Schlepptau auch wieder im Cafe erschien und sich ohne ein weiteres Wort an den Tisch setzte. Er sah Fred finster an, doch ignorierte dieser das einfach. Nach einiger Stille schien es Honey unangenehm zu werden, wahrscheinlich auch wegen ihrer nicht ganz unwichtigen Rolle dabei. Eilig hob sie ihr Glas und erhob sich. "Ich finde, wir sollten einen Trinkspruch ausbringen." Das Wetter draußen hatte indes umgeschlagen und dunkle Wolken überzogen die Stadt mit Regen, der laut gegen die Scheiben schlug. "Ja!" fuhr Fred auf und griff sich, wie die anderen beiden das Glas. "Auf Tadashi, den besten Freund und..." Honey sah dabei zu Hiro. "... Bruder, den wir je hatten!" "Auf Tadashi!" Fielen die anderen mit ein. Tante Cass hatte indes unbemerkt die Tür geöffnet und Gogo war mit in den Trinkspruch eingefallen, als sie eintrat. Honey winkte ihr freudestrahlend zu. „Gogo!“ Sie hob die Hand zum Gruß und setzte sich auf den leeren Platz am Tisch. „Na, du hast dir ja mal Zeit gelassen.“ meinte Hiro. „Sorry, der Test hat etwas länger gedauert.“ „Sicher, dass es nicht mit dem netten jungen Herrn zu tun hatte, der dich hierher gebracht hatte?“ warf Tante Cass beinahe beiläufig ein, als sie ein Glas für Gogo auf den Tisch stellte. „Naoko?“ fragte Honey neugierig. „Ja, er hat mich hergebracht.“ antwortete Gogo, griff sich einen Flügel und biss rein. „Was habt ihr denn gemacht? Du musst mir alles erzählen.“ Honey schien, als wäre gerade Weihnachten und ihre Augen funkelten wie der Lipgloss auf ihren Lippen. Gogo sah sie skeptisch an und kaute weiter. „Och, komm schon.“ „Er hat mir nur beim Test geholfen, Honey, und da er noch zur Uni muss, hat er mich auf dem Weg hierhin begleitet. Das ist alles.“ Fred war inzwischen wieder mit seinen Comics beschäftigt und Wasabi mit Essen, wenngleich er penibel darauf achtete, keine Soßen mehr darauf zu legen. Hiro indes beobachtete die beiden Frauen und meinte „Honey, ich denke schon, dass Gogo die Wahrheit sagt.“ Doch so leicht schien sie sich von ihrer Idee nicht abbringen zu lassen. „Aber wäre das nicht schön? Die beiden?“ Gogo und Hiro tauschten skeptische Blicke, als Honey zu schwärmen begann. „Sie würden romantisch Händchen halten.“ „Honey…“ erwiderte Gogo genervt. „Gemeinsam ausgehen, sich beim Fernsehen aneinander kuscheln.“ „Honey…“ „Sich küssen und kleine Neckereien machen.“ „Honey…!“ „Und…“ „Honey!“ „Ja?“ „Lass das bitte. Ich hab Wichtigeres zu tun, als mich um Kerle zu kümmern.“ meinte die Schwarzhaarige schließlich. „Allerdings.“ warf Wasabi ein. „Wat meenste damit, dat er es net is?“ „Ja, warum glaubst du das?“ fiel Fred mit ein und legte sein Comicheft beiseite. Auch Hiro war auf ihre Einschätzung gespannt, obwohl er sich eigentlich recht sicher war, dass der Zufall, dass ausgerechnet er all diese Labore überfällt, doch etwas groß wäre. Auch deswegen, weil er ja jetzt als Student sowieso Zugriff auf alle wichtigen Ressourcen für seine Arbeit hätte. Gogo seufzte kurz, sie schien nicht ganz zu wissen, wo sie anfangen sollte. Nach einer kurzen Pause und einem Seitenblick zur immer noch strahlenden Honey fing sie schließlich mit dem gestrigen Abend an, vermied es jedoch absichtlich, ihnen von der Verarztung Naokos durch sie zu erzählen. „Seine Prothese ist für einen solchen Einsatz einfach nicht stabil genug. Nicht bei dem aggressiven Kampfstil.“ endete sie schließlich. Hiro knabberte nachdenklich an seinem Hähnchen herum und meinte „Hinzu kommt die fehlende Motivation. Was hätte er auch davon?“ „Also sind wa wieder janz am Anfang?“ „Sieht ganz so aus.“ antwortete Gogo. Fred schien nicht zufrieden. "Vielleicht hat er dich auch einfach nur getäuscht. Superschurken machen das schließlich andauernd. Wie hier." Er hob seinen Comic hoch und auf dem Cover prangte zwei Gestalten, welche Rücken an Rücken standen, beide völlig unterschiedlich gekleidet. Erst bei näherer Betrachtung offenbarte sich das gleiche Gesicht, die gleiche Person. "Fred, es reicht langsam." warf Honey ein. "Wenn Gogo dieser Meinung ist, dann vertraue ich ihr dabei. Lassen wir die Sache mit ihm und den beiden Dieben erst einmal ruhen und genießen stattdessen unseren gemeinsamen Tag." Wasabi und Hiro nickten zustimmend. "Ich mein ja nur. Er nutzt die Liebe und das Vertrauen einer unserer Freundinnen aus, um die Superhelden zu täuschen und von sich abzulenken. Ich meine, wie cool wäre das denn?" Fred schien völlig enthusiastisch dabei zu sein. "Ein echter Superschurke, in der Haut eines harmlosen, gesetzestreuen Studenten." Gogo rollte genervt die Augen und auch Honey schien der Idee Freds nicht wirklich geneigt zu sein. "Sag mal, Hiro." wandte sich Honey ablenkend an ihn. "Wie weit bist du eigentlich mit den Upgrades?" Hiro überlegte kurz. "Es braucht noch etwas Feinjustierung, aber ich denke, ich werde damit bald fertig sein." "Na, da bin ick ja ma jespannt." Die anderen nickten zustimmend. "Bestimmt werde ich endlich ein Serum bekommen, um mich gänzlich verwandeln zu können." fügte Fred aufgeregt hinzu und erntete ein entschiedenes Kopfschütteln vom Rest der Truppe. Hiro war froh um die gute Laune seiner Freunde, vor allem nach der Niederlage. "Hiro? Du hast Besuch." drang auf einmal die Stimme seiner Tante durch das Café. An der Türschwelle stand in einen schwarzen Mantel gehüllt und vom Regen triefnass ein älterer Herr und blickte ihn mit einer Mischung aus Scham und Angst unter seiner Kapuze heraus an. Als er diese schließlich vom Kopf zog, erkannte Hiro ihn erst, gleichsam wie seine Freunde, die ebenfalls ihren Blick auf ihn richteten. "Callaghan." Hiro wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Bis auf die Kapucimaske sah er beinahe aus wie damals vor einem Jahr und löste damit in Hiro Wut und Mitleid aus. Das Gesicht ihres alten Professors konnte man nur als erbärmlich bezeichnen. Dunkle Ringe zeichneten schlaflose Nächte. Das Haar war wild und zerzaust und die Augen waren rot wie von Tränen. "Ich muss mit dir reden." begann er leise und mit zitternder Stimme. Hiro sah ihn wütend an, sagte jedoch kein Wort. "Ich weiß, wir hatten unsere Probleme..." fing Callaghan nach einer kurzen Pause an und Hiro unterbrach ihn. "Was wollen Sie hier?" "Hiro?" Baymax war hinter ihn getreten, genauso wie seine Freunde und Gogo legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie alle schienen auf Callaghans Antwort gespannt zu sein. Hiro spürte den Griff Gogos und sah ihren wütenden Blick, genauso wie bei Fred, Wasabi und sogar Honey. "Ich bin hier, um dich zu warnen." fuhr Callaghan schließlich fort. "Wovor?" antwortete Fred und trat an ihn heran. "Wollen Sie ihn jetzt bedrohen?" fügte Honey hinzu und trat ebenfalls vor, dicht gefolgt von Gogo, die Hiro hinter sich zog. "Nicht vor mir." erwiderte Callaghan und sah jedem Einzelnen dabei in die Augen. "Ich hatte vor zwei Tagen Besuch. Zwei Männer, maskiert, einer mit einem Katana, der andere mit einem Revolver." Das machte Hiro stutzig und er entwich dem Griff Gogos und trat nach vorne. "Und was hat das mit mir zu tun?" fragte er. "Sie waren hinter deinen Microbots her." Das überraschte ihn, wenngleich nicht so sehr, wie es sollte. Er wusste ja, dass die Diebe hinter Technologie her waren, und deshalb schien es nur allzu logisch, dass sie auch ein Auge auf seine geworfen hatten. „Tante Cass?“ Die Angesprochene hatte sich die ganze Zeit mit etwas Abstand zur Gruppe am Tisch aufgehalten und sah Hiro jetzt fragend an, als er an sie richtete. „Würdest du uns kurz alleine lassen?“ Sie sah ihn ratlos an, doch erwiderte sie nichts. Langsam erhob sie sich und ging die Treppe hoch, nicht ohne mit einem letzten, fragenden Gesichtsausdruck zu Hiro zu schauen. Als sie weg war, fragte Hiro den alten Mann „Warum sollten sie dafür zu Ihnen gehen?“ Callaghan seufzte „Sie glauben, ich hätte sie erfunden, weil ich sie gegen Krei Tech eingesetzt habe und sie wissen von Abigail.“ Beim Erwähnen seiner Tochter begann seine Stimme zu beben. „Als ich mich weigerte, ihnen zu helfen, drohten sie damit, ihr einen Besuch abzustatten. Ich musste ihnen sagen, wer sie entwickelt hat.“ „Sie haben sie zu Hiro geführt!?“ schrie Gogo ihn an und, ehe irgendwer reagieren konnte, krachte bereits ihre Faust in sein Gesicht. Wasabi, Honey und Hiro erschraken und sofort packte Honey ihre Freundin und hielt sie fest. Callaghan torkelte nach hinten und schlug gegen die Wand. „Ich.. Es tut mir leid!“ versuchte er sich zu verteidigen. „Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich wollte nur Abigail beschützen.“ Hiro wäre am liebsten wie Gogo auf ihn losgegangen, doch versuchte er angestrengt, sich zu beherrschen. „Was genau haben Sie ihnen erzählt?“ schaltete sich nun Fred ein. „Nur seinen Namen!“ „Und sie brauchen zwei Tage, um ihm das zu sagen?!“ Honey hatte alle Mühe Gogo zurückzuhalten, die versuchte, sich aus ihrem Griff zu entwinden. „Ich habe ihm Nachrichten geschrieben, doch er hat nie darauf geantwortet.“ verteidigte sich Callaghan und Hiro erinnerte sich. Er sagte die Wahrheit. „Die letzte heute Morgen?“ Callaghan nickte. Hiro hatte sie wie die anderen nicht gelesen. Gogos Nachricht war die einzige, die er in der letzten Zeit überhaupt gelesen hatte. „Warum erzählen Sie es mir überhaupt, wenn sie Angst um Abigail haben?“ Der Blick des Professors wanderte zu Baymax. „Weil ihr wahrscheinlich die einzigen seid, die die beiden aufhalten können.“ „Sie wollen, dat wir die Kerle fertigmachen?“ Wieder nickte der alte Mann. „Haben sie noch etwas gesagt? Wann sie zuschlagen wollen? Irgendetwas?“ fragte Honey besorgt. „Nein. Das ist alles. Bitte! Ihr müsst mir glauben!“ „Wir müssen gar nichts!“ fuhr Gogo ihn lauthals an. „Doch.“ erwiderte Hiro darauf. „Wir müssen die Beiden unbedingt aufhalten, ehe es noch schlimmer wird.“ Kapitel 10: Hoch hinaus ----------------------- Der Tag war sonnig und angenehm warm und das Gebäude war gut besucht. Auf dem angrenzenden Platz tummelten sich bei diesem Wetter eine Menge Menschen vor dem Eingang und erschwerten es Gogo, Naoko aus dieser Masse heraus zu erkennen. Er hatte ihr gestern, nachdem er sie vor Hiros Haus abgeliefert hatte, noch gesagt, dass er ihr unbedingt etwas zeigen und sie deshalb heute hier treffen wolle. Sie fragte sich, was er ihr wohl unbedingt zeigen wollte, und hoffte dabei inständig, dass sie nicht Honey über den Weg laufen würden. Noch mehr dieser Vermutungen von ihr und sie würde ihr den Hals umdrehen. Andererseits wusste sie auch nicht, warum es sie überhaupt so störte. Soll Honey doch ihre Vermutungen haben, was sollte es sie interessieren. Sie wusste ganz genau, dass da nichts lief und auch nie laufen wird und eigentlich sollte ihr das ja egal sein. Doch trotzdem schien es ihr unendlich peinlich, wenn Honey sie mit derartigen Fragen löcherte. Als ob sie es nötig hätte, sich einen Kerl für solch romantischen Unsinn zu suchen, hatte sie doch absolut kein Interesse an so etwas. Je mehr sie darüber nachdachte, desto aufgeregter wurde sie. Wo bleibt er nur? Sie spielte mit dem Gedanken, einfach wieder zu gehen, und vielleicht war das auch besser, doch als sie sich umdrehte und den ersten Schritt in Richtung des Parks tat, prallte sie bereits gegen jemanden. Wütend sah sie nach oben und blickte in eisblaue Augen, die sie freudig ansahen. "Tut mir leid, die Bahn hatte etwas Verspätung." erklärte er ihr. Gogo bemerkte erschrocken, dass sie noch immer an seiner Brust lehnte, und wich mit einem schnellen Schritt zurück, blies ihren Kaugummi auf und ließ ihn wieder platzen. Zu seiner normalen Kluft hatte er einen kleinen, zerschlissenen Rucksack dabei. "Tut mir leid." wiederholte der junge Mann und verbeugte sich vor ihr. "Was willst du mir zeigen?" antwortete Gogo, verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. "Hast du Höhenangst?" fragte er sie mit schelmischem Unterton. Als Antwort gab Gogo ihm einen Schlag in die Rippen. Naoko winkte hustend ab. "Alles klar." Mit einem Wink zum Gebäude machten beide sich auf den Weg ins Innere. In der Lobby schien die ganze Bevölkerung der Stadt unterwegs zu sein, so voll war es. Die beiden kamen nur langsam voran und Gogo hoffte inständig, dass er ihr nicht nur den Blick auf San Fransokyo zeigen wollte. Als sie sich durch die Menschen gedrängt hatten, kamen sie zu den Aufzügen. Ein Knopfdruck und wenige Minuten später standen sie auch bereits darin auf dem Weg zur Aussichtsplattform. Das Bild in der Lobby schien sich im Aufzug fortzuführen. Es war unglaublich voll und Gogo wurde quasi gegen Naokos Brust gedrückt. Sie kochte schon. Wie sie so etwas hasste. Wenn Honey jetzt hier wäre, würde sie ihr die nächsten Monate noch damit in den Ohren liegen. Ihr Begleiter jedoch sagte kein Wort und sah sie auch nicht an, was Gogo nur recht war. Eine gefühlte Stunde in peinlicher Umarmung später waren sie an der höchsten Etage angekommen. Als sich die Türen öffneten, ergoss sich eine Menschenmasse auf den viel zu kleinen Platz. "Du hast mich hoffentlich nicht wegen der Aussicht hier hoch geschleppt." fuhr sie ihn genervt an und Naoko blickte sie mit seinem unschuldigen Hundeblick an. "Nicht für diesen hier." Gogo wollte fragen, was er meinte, doch war er mehr damit beschäftigt, sich umzusehen, als ihr Gehör zu schenken. Plötzlich packte er ihre Hand und lenkte sie durch die Menge. Ihr Blut schoss dabei ins Gesicht und ließ sie glühen, doch konnte sie sich auch nicht loswinden. Wenige Sekunden später, an nervigen Touristen und deren Kindern vorbei, standen die beiden am westlichen Rand, an dem ein Gitter eine kleine stählerne Treppe dahinter verbarg. "Was wollen wir hier?" fragte sie ihn, doch schenkte er ihr keine Beachtung, sondern sah sich stattdessen um. "Alles frei, bist du bereit?" "Bereit wofür?" Gogo wusste nicht, was er vorhatte, doch statt zu antworten, murmelte er nur ein kurzes "Verzeih." Noch ehe Gogo reagieren oder auch nur etwas sagen konnte, packte er sie an der Hüfte und hob sie an der Wand neben dem Gitter hoch, als wäre sie nur eine Puppe. "Was zum...?" wollte sie brüllen, doch er unterbrach sie. "Greif nach dem Absatz und zieh dich hoch." Trotz ihrer Wut, tat sie, was er sagte, und zog sich nach oben. Als sie sicher auf dem Absatz saß, sprang Naoko unter ihr mit einem Satz an den Vorsprung und zog sich ebenfalls hoch. "Wir werden gesehen." fuhr Gogo ihn an, doch er lachte nur. "Nein, werden wir nicht. Die Menschen hier sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich nach vorne zu der Mauer zu kämpfen, um die Aussicht zu genießen, als dass sie auf uns achten." Gogo sah ihn skeptisch an und, als würde er ihre Frage erahnen, antwortete er "Ich hab das schon ein paar Mal gemacht." Sie erwiderte nichts, doch musste sie zugeben, so etwas von ihm nicht erwartet zu haben. Als er oben war, stand er auf. "Folge mir." Zusammen gingen sie an der Mauer entlang um die Ecke und sprangen hinter dem Gitter auf die kleine Treppe. Wohin führt die? fragte Gogo sich, doch wollte sie lieber abwarten. Sie war nur froh, dass sie das Gedränge hinter sich gelassen hatten und sie nicht mehr gezwungen war, ihm so unheimlich nah zu sein. Allerdings hatte es ihr auch irgendwie gefallen, wenn er sie berührte, auf eine seltsame Art und Weise. Sie verdrängte den Gedanken schnell wieder, als sie das Ende der Treppe erreicht hatten. Vor ihr lag ein weiterer Aussichtspunkt, gleich wie der andere, nur kleiner und leer. "Das wolltest du mir zeigen?" Naoko lächelte sie an. "Nein." Er legte seinen Rucksack ab, kniete sich hin und begann, darin zu wühlen. Dabei sagte er "Das letzte Mal habe ich dir bei deinem Fahrrad geholfen. Jetzt hoffe ich, dass du mir hilfst." Gogo hob eine Augenbraue und Naoko zog mit einem stolzen Gesichtsausdruck eine neue Prothese aus seiner Tasche. Sie leuchtete förmlich im Sonnenlicht und sie sah ganz anders aus, als die, die er gerade trug. "Du hast noch eine?" Sie blickte ihn kritisch an und er lacht leise. "Die,die ich gerade trage ist auch nur fürs Arbeiten gedacht. Die hier..." Er hob sie hoch und zeigte sie ihr. "... Hat eine andere Aufgabe." Flink zog er sein Shirt aus und griff nach seinem Werkzeug. Ein, zwei Handgriffe und die Prothese, die er gerade noch am Arm trug, war abmontiert und entblößte das tiefe Loch in seiner Schulter. Neugierig beobachtete Gogo jeden Handgriff, den er tat, und jeden Muskel, der sich bewegte. Erschrocken schüttelte sie den Kopf über den letzten Gedanken. "Alles in Ordnung?" fragte er sie gut gelaunt und lächelte sie an. Gogo hingegen erwiderte genervt "Wird das heute noch was?" "Bin gleich fertig." antwortete er und fuhr fort. Die kleinen Schnitte auf seinem Bauch und seiner Brust waren beinahe nicht mehr zu sehen und irgendwie war sie auch froh darum. Es hätte ihn umbringen können, wenn ihn die ganze Wucht getroffen hätte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sich das anfühlen würde. Mochte Honey sie doch aufziehen, sie mochte den Kerl doch irgendwie. "Fertig." hörte sie ihn neben sich. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie er wieder alles eingepackt, das Shirt angezogen und neben sie getreten war. "Wir können weiter." fuhr er fort und glitt an ihr vorbei. "Wohin?" fragte sie, doch stand er bereits an einer kleinen Leiter, die sie auf das Plateau auf dem Dach führen würde. Statt zu antworten, stieg er diese nach oben und Gogo folgte ihm wortlos. Oben angekommen wehte ein leichter, angenehm kühler Wind. Hier auf dem Dach waren zahlreiche Eingänge für die Klimaanlage verbaut worden und auch die drei fliegenden Windballons des Gebäudes für die Stromerzeugung über der Stadt waren hier an dicken Stahlseilen befestigt. Was wollen wir hier? fragte Gogo sich und sah neugierig zu Naoko, der an einem der dicken Stahlseile stehen blieb und sie zu sich winkte. Seine Prothese sah eigenartig und futuristisch aus und bewegte sich langsam im gleichen Takt wie sein Atem. "Was wird das?" Naoko lächelte sie an und irgendwas an seinem Lächeln gefiel ihr gar nicht. "Hast du Höhenangst? Letzte Chance." Sie verstand nicht, worauf er eigentlich hinaus wollte, und sah ihn misstrauisch an. "Was hast du vor?" "Dir etwas zeigen." Sie war an ihn heran getreten und offenbar nah genug für das, was er vorhatte. Blitzschnell legte er den Arm um sie, spannte einen Gurt um sie herum und band sie an sich fest. Gogo konnte gerade noch ein "Wage es dich!" herausdrücken, als die Prothese sich öffnete und drei stählerne Räder zum Vorschein kamen, die seltsam surrten, wenn sie sich bewegten. Flink hakte Naoko diese an das Stahlseil, umgriff mit seinem Arm Gogo und mit einen heftigen Ruck verlor sie den Boden unter den Füßen. Mit unglaublicher Geschwindigkeit entfernten sie sich vom Dach und Gogo sackte das Herz in die Hose. Panik machte sich in ihrer Brust breit. Sie schloss die Augen und klammerte sich verzweifelt an Naoko. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten und sie spürte auf einmal, wie sie stoppten, doch wagte sie es nicht, ihre Augen zu öffnen. Sie spürte, wie er sie sanft und vorsichtig auf seinen Rücken bugsierte. Er kletterte offenbar eine Leiter nach oben und langsam nahm der steile Winkel ab. Der Aufstieg dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ihn die erlösenden Worte sagen hörte und stoppte "Wir sind da." Dort standen sie auf dem hellen Stahl eines Turbinenballons und vor ihnen floss ein Meer aus Wolken an ihnen vorbei. "Das wollte ich dir zeigen." Gogo entfuhr ein leiser Laut der Bewunderung. Die Aussicht war atemberaubend. Sie wusste, dass Hiro schon einmal auf einem von diesen gestanden hatte, doch waren seine Beschreibungen nichts gegen das, was sie nun mit eigenen Augen sah. Sie war noch immer auf Naokos Rücken und klammerte sich an dessen Schultern, doch war ihr das in diesem Moment völlig egal. Genau genommen genoss sie es gerade sogar sehr. "Gogo?" wandte er sich an sie und es schien, als hätte seine Stimme einen leichten, besorgten Unterton. Gogo erschrak, als ihr bewusst wurde, wie nah sie ihm doch inzwischen war. Hastig ließ sie ihn los und löste den Gurt, der sie gesichert hatte. "Eine ganz schöne Aussicht." gab sie peinlich berührt zu. Naoko lachte "Freut mich, dass sie dir gefällt." Sie spürte, wie sie sich ein wenig entspannte und das Zittern ihrer Beine langsam nachließ. Naoko trat an die Spitze des Ballons, setzte sich hin und ließ seine Beine baumeln. Gogo beobachtete ihn erst ein wenig, ehe sie an seine Seite trat und sich ebenfalls setzte. Unter ihnen erstreckte sich die Beton- und Glaslandschaft der Stadt mit ihren bunten Farben und Formen. Mit einem Mal holte Gogo weit aus und schmetterte ihre Faust gegen seine Brust. Keuchend hustete er und sah sie überrascht wie fragend an. „Mach so was noch einmal und ich breche dir irgendwas.“ „Was denn?“ lachte er hustend. Mich einfach so an dich festzubinden und in die Luft zu heben grübelte sie vor sich hin, sprach es jedoch nicht aus. Es folgte eine lange Pause, in der beide einfach nur da saßen und die Aussicht genossen, ehe Gogo schließlich fragte "Dein Hobby?" Naoko sah sie fragend an. "Auf diese Dinger zu klettern." ergänzte sie und Naoko nickte. "So was in der Art. Ich liebe das Gefühl, weit über allem stehen zu können. Alles wirkt so klein und bedeutungslos." schwärmte er und seine Augen wanderten den Himmel ab. Gogo wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. "Wie bist du vorher hier hoch gekommen?" fragte sie ihn stattdessen, als sie sich die Prothese ansah. Die Räder waren bereits wieder im Inneren verschwunden und das raue, stählerne Schuppengeflecht leuchtete matt im Sonnenlicht. "Mit der anderen." Gogo war schockiert. "Mit dem instabilen Ding?" Naoko nickte. "Du bist völlig bescheuert." "Manchmal." antwortete er beinahe träumerisch. "Wie kommt man auf solch eine wahnwitzige Idee?" Gogo wusste nicht ganz, warum es sie so ärgerte, dass er sein Leben so leichtsinnig aufs Spiel setzte, doch würde sie ihn grade am liebsten dafür ohrfeigen. "Wenn man den Wunsch zu fliegen hat." Das überraschte sie allerdings und der Zorn schien verflogen. "Schon mal was von Flugzeugen gehört?" fuhr sie ihn jedoch rüde an. Sie wollte nicht nachgeben. "Natürlich." antwortete er mit träumerischer Stimme. "Näher komme ich der Freiheit nun mal nicht." Gogo erwiderte nichts darauf und Naoko ließ sich auf den Rücken fallen und richtete seinen Blick auf den blauen Himmel und die Wolken über ihnen. "Warum zeigst du mir das hier?" Sie wusste nicht, warum diese Frage über ihre Lippen ging, doch irgendetwas in ihr wollte das wissen. Sie ließ sich ebenfalls nach hinten fallen und lag nun neben Naoko, der lächelnd in den Himmel sah. "Was bringen einem die schönsten Dinge, wenn man sie mit niemandem teilen kann?" Gogo erwiderte nichts. Das war keine wirkliche Antwort auf ihre Frage, doch wollte sie es erstmal darauf beruhen lassen. Die Zeit verging und Gogo war überrascht, wie sehr es sie doch entspannte, hier zu liegen und, als sie zu Naoko rüber sah, bemerkte sie, wie dieser bereits die Augen geschlossen hatte. Langsam hob sich sein Brustkorb auf und ab, im gleichmäßigen Takt. Sie war definitiv zu leicht angezogen für diesen kalten Wind hier oben und sie spürte ihre Muskeln zucken. Ohne darüber nachzudenken, robbte sie sich näher an ihn heran, etwas weg vom Abgrund. Sie fragte sich, wie oft er eigentlich hier oben war und wieso er es überhaupt tat. Natürlich, die Aussicht war atemberaubend, aber wenn es nur darum gehen würde, würde er ja hier nicht schlafen. Vorsichtig legte sie sich auf den Bauch und drehte den Kopf in seine Richtung. Sie wüsste zu gerne, was sich hinter diesen blauen Augen verbirgt und über was er nachdachte. "Hast du eigentlich Hunger?" fragte er sie auf einmal, öffnete die Augen und drehte seinen Kopf zu ihr. Gogo überlegte kurz. "Hast du was dabei?" fragte sie schließlich zurück und Naoko setzte sich auf. Er griff nach seinem Rucksack und zog ihn heran, öffnete den Reißverschluss mit einem lauten Surren und zog ein kleines Bündel heraus. "Meine Mutter macht unglaublich guten Reiskuchen." erzählte er ihr, während er das Bündel öffnete. Warm dampfend kamen mehrere mittelgroße Kugeln aus Reis zum Vorschein. Er nahm eine und reichte sie Gogo. Sie hatte so etwas noch nie zuvor gegessen und war doch überrascht, wie gut Reis schmecken konnte. Am Horizont zog die inzwischen rot glühende Sonne ihre Bahn über die Stadt und der Himmel schien langsam dunkel zu werden. Naoko sah auf seine Uhr. "Wir sollten uns langsam auf den Weg machen. Es ist schwierig, im Dunkeln hier wieder runterzukommen." Er lachte nervös. Offenbar hatte er das schon miterlebt, dachte Gogo sich und fragte "Was ist der Unterschied? Die Stadt ist auch bei Nacht hell genug." "Das stimmt." antwortet Naoko und stand auf. Prüfend sah er über den Rand des Ballons hinweg zur Stadt hinunter. "Aber das Hochhaus unter uns ist dann gesperrt und da wieder raus zu kommen ist etwas kniffliger." Er lächelte sie warm an und sie durchfuhr ein leichter Schauer dabei, doch sie ließ es sich nicht anmerken. "Wo wir gerade dabei sind. Wie kommen wir überhaupt hier runter?" fragte Gogo ihn neugierig. Er grinste sie schelmisch an und trat näher an sie heran, so nah, dass sie glaubte, seinen Atem auf ihrer Haut zu spüren und die Hitze, die von seinem Körper ausging. "Vertraust du mir?" fragte er sie auf einmal. Gogo war überrascht über diese plötzliche Frage und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Stattdessen sah sie ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Vertraust du mir?" wiederholte er die Frage und sah ihr in die Augen. Gogo nickte schwach. Was sollte schon passieren? Zufrieden lächelte er sie an und warf sich seinen Rucksack über die Schulter. Er packte sie an der Hüfte und zog sie zu sich, weder zu grob noch zu sanft, und legte ihr den Gurt wieder um wie zu Anfang. Nur diesmal störte Gogo das nicht. Sie sah ihm weiterhin in die eisblauen Augen. "Weißt du was?" sagte Naoko leise "Ich mag dich." Noch ehe Gogo auf dieses plötzliche Geständnis reagieren konnte, spürte sie, wie sie zu ihm gezogen wurde. Erst, als sich die Stadt mit all ihren Farben und Lichtern hinter ihm erstreckte, begriff sie. Sie fielen. Sie spürte den Wind, der an ihr zog, die Geschwindigkeit, die sie aufnahmen, und sah das warme Lächeln Naokos, der sie noch immer ansah. Alles geschah wie in Zeitlupe und ihr Kopf war wie leergefegt. Als sich die Lippen des Jungen zu Wörtern formten, bekam Gogo nur die Hälfte mit. "...festhalten!" Mit dem linken Arm umgriff er sie und drückte sie fest gegen sich. Den rechten erhob er und zielte. Im Bruchteil einer Sekunde schoss die Hand, die eben noch an der Prothese hing, heraus und flog an ein Stahlseil gekoppelt davon. Ein Ruck durchfuhr sie und die Fallrichtung änderte sich abrupt. Als sie hinter sich sah, erkannte sie, dass die Hand an einem anderen Trägerseil hing, an einem anderen Ballon. Gogo schloss die Augen. Nicht aus Angst, wie sie bemerkte, sondern um das Gefühl der Geschwindigkeit zu genießen. Sie hörte, wie das Herz in seiner Brust heftig gegen seinen Brustkorb schlug, und auf irgendeine seltsame Art und Weise beruhigte sie das. Erst als sie spürte, dass sie zum Stillstand gekommen waren, öffnete sie die Augen wieder. Sie hingen an einem der Seile und unter ihr erkannte sie die hohen, gewundenen Schnellstraßen. "Du hast die Wahl." hörte sie ihn sagen. "Willst du aussteigen?" Er wies mit den Augen auf das Dach, an dem der Ballon befestigt war. Gogo lächelte ihn an. In ihr machte sich ein unglaubliches Gefühl breit. Euphorisch sah sie ihm in die Augen und Naoko nickte nur. "Halt dich fest." sagte er nur. Sie tat, wie ihr geheißen, und hielt sich an ihm fest. Er wiederum hob den linken Arm und hielt sich am Seil fest. Mit dem rechten ließ er los und zielte auf das gegenüber liegende Gebäude. Kaum verankert, ließ er auch schon wieder los. Es war ein unglaubliches Gefühl für Gogo, vergleichbar mit einer schnellen Fahrt auf der Achterbahn und sie lachte. Immer wieder schwangen sie von Gebäude zu Gebäude, ließen die Menschen unter sich. Viel zu schnell war es dann auch schon wieder vorbei und sie standen gemeinsam auf dem Vorplatz des Wolkenkratzers, den sie vor Stunden noch bestiegen hatten. Gogo richtete ihre Haare, die vom Wind völlig zerzaust waren, wieder zurecht, und blies dabei ihren Kaugummi immer wieder auf. Naoko indes war damit beschäftigt, seine Prothesen zu tauschen. "Jetzt muss ich die Daten morgen nur noch auswerten." sagte er und grinste dabei von Ohr zu Ohr. Gogo befand, dass er dabei wie ein Zehnjähriger aussah, der gerade seinen Geburtstag hatte, doch auch sie musste lächeln. Der "Flug" lag ihr noch immer in den Knochen. Ihre Beine zitterten leicht und ihr Herz schien zu explodieren. Gleichsam wie dieses unglaubliche Kribbeln. "Das war nicht übel." versuchte sie mit Fassung zu sagen, was ihr wohl nur mäßig gut gelang, denn Naoko grinste sie wieder schelmisch an. "Ja." antwortete er nur, packte sein Werkzeug und seine Erfindung wieder in den Rucksack und warf diesen über die Schulter. "Ich sollte mich dann mal auf den Weg machen, sonst bringt mein Vater mich noch um." Er lachte leicht, während er das sagte. "Dann sehen wir uns morgen." erwiderte Gogo und erhob die Hand. "Morgen." bestätigte Naoko und schlug ein. Erst als er bereits in die nächste Straße eingebogen war, erinnerte Gogo sich wieder an das, was er kurz vor ihrem Fall zu ihr gesagt hatte, und es trieb ihr die Hitze wieder ins Gesicht. Als sie sich umdrehte, ihren Kaugummi aufblies und ihre Schritte in Richtung ihres Zuhauses lenkte, dachte sie Ja, ich denke, ich mag dich auch und für einen kurzen Moment flackerte das Kribbeln ihres Fluges wieder auf, auch wenn sie den Gedanken verdrängte, dass es wohl eher an ihm lag. Verdammt sollst du sein Honey. Kapitel 11: Druckmittel ----------------------- Die Bank war gut besucht an diesem Morgen und Cass verging bereits die Lust, als sie das Gebäude betrat. Warum ausgerechnet heute? Genervt spielte sie an ihrer Handtasche herum, während sie in der Schlange wartete. Sie würde wieder nur unnötige Verluste machen, wenn sie das Café heute wieder so spät erst würde öffnen können, und das nur, weil die Menschen der Meinung waren, ausgerechnet heute ihr Geld abzuheben. Um sie herum herrschte reges Treiben und Gemurmel. Die einen beschwerten sich über ihre schwere Arbeit, die anderen über die Kinder und wieder andere über ihre ach so lange Wartezeit hier. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu dem Nachmittag vor zwei Tagen, als der alte Mann ihr Café betreten hatte. Zwischen ihm und Hiro schien irgendetwas vorgefallen zu sein und dass Hiro sie aus dem Raum geschickt hatte, machte ihr noch mehr Sorgen. Das Gemurmel um sie herum wurde jäh unterbrochen, als zwei Männer die Bank betraten. Seltsame Kleidung und futuristische Motorradhelme stachen ihr ins Auge. Wahrscheinlich irgendwelche Möchtegernbiker dachte sie sich und spielte wieder an ihrer Handtasche rum. Das Gemurmel begann auch wieder langsam, bis einer von ihnen brüllte "Guten Morgen, San Fransokyo!" Ein Knacken war zu hören und Menschen heulten auf. Als Cass erschrocken herumfuhr, landete einer der Wachmänner bewusstlos vor ihren Füßen. Vor Panik gaben ihre Beine nach und sie stieß einen spitzen Schrei aus. Neben ihr schlug einer der beiden Männer zwei weitere Wachen mit einem Trommelfeuer aus Schlägen nieder, während der andere in seinen Mantel griff, einen Revolver hervorzog und in Richtung des Tresens schoss. Ein Schwall aus Blut schoss dem letzten Wachmann aus dem Knie und laut schreiend brach dieser zusammen. Zwei weitere Schüsse ließen die Marmor-Hallen erbeben und laut krachend splitterte der Stein von der Decke, wo sie von den Kugeln durchlöchert worden war. Cass und die Menschen um sie herum hatten sich panisch auf den Boden geworfen und schrien wild durcheinander. "Guten Morgen, meine Damen und Herren." fuhr der Mann etwas leiser fort, als die Menschen begannen ruhig zu werden und die Blicke auf ihn zu richten. Hinter ihm, mit etwas Abstand, stand stumm der andere und schien die Szenerie aus seinem Helm heraus zu beobachten. Der Schütze verstaute den Revolver wieder in seinem Mantel und zog eine reich verzierte Schrotflinte, die er über der Schulter hängen hatte, hervor und richtete sie auf den hölzernen Tresen der Bank, hinter dem sich die Angestellten panisch versteckten. Bumm Ein weiterer Schuss und die Schrotkugeln brachen laut brüllend in das Panzerglas über dem Tresen ein und ein erneuter Aufschrei erfüllte die Halle. "Oh, verzeihen Sie. Ich liebe einfach nur das Geräusch, das Sie machen, wenn ich abdrücke." Er lachte leise. "Oh mein Gott! Wir werden alle sterben!" kreischte er mit gespielt hoher Stimme und lachte laut auf. "Herrlich." Er schritt langsam auf den Tresen zu, legte sich die Flinte über die Schulter und lehnte sich mit dem anderen Arm locker auf das hervor stehende Holz. "Junge Dame?" Die Angesprochene kauerte unter dem Tisch und wimmerte leise. "Sie da, unter dem Tresen. Mein Name ist Gunner, freut mich, Sie kennen zu lernen. Könnten Sie eine Durchsage für mich machen?" fuhr er mit ruhiger Stimme fort und klopfte beinahe sanft an das gesplitterte Glas. Die Dame reagierte nicht. "Was muss ich denn tun, um hier bedient zu werden?" Er wandte sich zu seinem Partner um. "Kannst du das fassen?" Dieser erwiderte nichts und Gunner seufzte genervt. Cass saß völlig verängstigt an der Wand und die Menschen um sie herum hatten sich wimmernd und weinend in die Ecken des Saales verkrochen, hielten sich die Arme schützend über den Kopf oder, wenn anwesend, über die eigenen Kinder. Was soll das? Warum jetzt? Ihr Herz raste und sie überlegte fieberhaft, wie sie hier wieder rauskommen konnte. Der Ausgang war durch den anderen versperrt, der mit verschränkten Armen vor der Tür stand und sich dagegen lehnte. Das schwarze Visier seines Helms reflektierte das Licht der Lampen und ließ sein Gesicht verdeckt. "Guck nicht so böse." fuhr ihn Gunner gespielt rüde an und wies auf die Menschen. "Du machst ihnen Angst." Er drehte sich wieder zum Tresen rum und brüllte "Wen muss ich denn hier erschießen, um bedient zu werden?" Mit Schwung riss er die Flinte rum und schoss auf die Kamera in der rechten Ecke des Saals. Laut scheppernd splitterte das Glas und verteilte sich quer über die darunter sitzenden Menschen, die laut aufschrien. Ein Klacken und er hatte nachgeladen. Ein weiterer Schuss und die Kamera links teilte das Schicksal der anderen und kleine Glassplitter regneten auf Cass nieder. Sieben weitere Schüsse und alle Kameras, die vor dem schützenden Panzerglas im Saal verteilt waren, lagen in ihren Einzelteilen überall verteilt. Dann zog er seinen Revolver aus der Manteltasche und schoss erneut auf das Glas des Tresens. Der Lärm war ohrenbetäubend und kam einer Explosion gleich. Das schützende Glas war weggesprengt und er sprang auf den Tresen, ehe er die letzten Kameras mit der Flinte zerschoss. "So." sagte er schließlich und legte die Waffe wieder über seine Schulter. "Jetzt sind wir unter uns." Gunner sprang vom Tresen in die Reihen der Bankangestellten und flink griff er die Frau, die er eben noch angesprochen hatte, an den Haaren und zog sie auf die Beine. "Bedienen Sie mich jetzt?" Die Frau wimmerte jämmerlich und die Tränen, die ihr Gesicht hinunterflossen, formten das Make up zu einer geisterhaften Fratze. Gunner seufzte. "Na gut." Er warf die leere Flinte beiseite und hob den Revolver. "Nein." Die Stimme seines Partners klang ruhig, aber hart und bestimmend. Gunner wandte sich zu ihm um. "Ich will lediglich eine Beschwerde vorbringen, weil man mich nicht bedient." Der Mann an der Tür antwortete nicht, sondern nickte ihn lediglich zu sich. "Warten Sie hier. Ich bin gleich wieder da." richtete sich Gunner an die weinende Frau und sprang wieder über den Tisch und schritt mit der Waffe in der rechten auf die Tür zu. "Was ist denn? Ich werde ja nicht mal bedient. Was ein Saftladen." Sein Partner antwortete nicht darauf, sondern griff ihn an der Schulter und zog ihn zu sich. "Du kennst die Regeln." sprach er ihm ruhig zu. "Du bist eine echte Spaßbremse, weißt du das?" Im Bruchteil einer Sekunde war das Schwert gezogen und an Gunners rechte Hand gelegt. "Hehe." lachte dieser. "Deswegen habe ich dich dabei. Du zögerst nicht, mir die Hand abzuhacken." Er legte die Waffe wieder in seine Manteltasche. "Wie der Psychiater gesagt hat. Tief durchatmen und runterkommen." Gerade als Gunner wieder nach vorne gehen wollte, legte der andere ihm die Klinge an die Brust. "Du bleibst." Gunner blieb stehen und sah ihn durch den Helm hindurch an. "Du solltest deinen Platz kennen, Knight." Die fröhliche Art in seiner Stimme war verschwunden und blanker Wahnsinn schwang nun in seinen Worten mit. "Ich kenne meinen Platz." erwiderte Knight unbeeindruckt. "Und deiner ist jetzt hier." Ohne ein weiteres Wort ging Knight an ihm vorbei in Richtung des Tresens. Die Frau lag noch immer jammernd am Boden, doch interessierte ihn das nicht. Stattdessen wandte er sich an einen der anderen Angestellten. Er griff einen älteren Herrn unter dem Arm und zog ihn hoch. "Wo ist ihr Mikro?" Mit zitterndem Finger deutete der alte Mann darauf und Knight ließ ihn wieder los. Panisch krabbelte der Mann wieder unter den Tisch, während Knight zu dem Mikro griff und sich mit ruhiger Stimme an die Menschen in der Bank richtete "Frau Hamada wird am Tresen verlangt, Frau Cass Hamada." Ihr Herz schien auszusetzen, als er ihren Namen aussprach. Was wollen die von mir? wimmerte sie in Gedanken und wagte es nicht, sich zu erheben. Nach einer kurzen Pause sprach Knight erneut "Frau Hamada bitte an den Tresen." Noch immer rührte sie sich nicht. "Frau Hamada, wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, gehört mein Partner nicht zu der ruhigen Sorte. Es wird niemanden Leid zugefügt, wenn Sie sich zu erkennen geben, ebenso wenig Ihnen. Wir haben lediglich ein paar Fragen an Sie." Ein paar Fragen? schrie sie innerlich. Und dafür diesen Aufstand? Hätte ein Brief nicht gereicht? Mit einem Mal durchbrach ein dumpfer Schrei den Saal. Gunner hatte sich einen alten Mann in der Nähe des Ausgangs geschnappt und hielt ihm den Revolver an die Schläfe. "Komm endlich raus, du Miststück, oder ich fange mit dem hier an!" Der Mann weinte bitterlich und bat um Gnade, was jedoch auf taube Ohren stieß. "Nun gut." sagte Gunner ruhig und zog den Hahn. Cass hielt das nicht aus. "Nein, bitte!" Sie erhob sich und winkte mit dem Arm. "Bitte! Ich bin hier!" "Gunner, du kannst den Herrn loslassen." sprach Knight durch den Lautsprecher und legte das Mikro beiseite. Gunner indes schien wenig begeistert. "Warum entdecken Menschen immer ihre Zivilcourage, bevor ich abdrücken darf?" Wütend ließ er den alten Mann los. Knight war inzwischen über den Tresen gesprungen und stand nun vor Cass. "Folgen Sie mir bitte." sprach er ruhig zu ihr, dann hob er seinen Kopf und wandte sich an die anderen Menschen im Saal "Der Rest kann gehen. Alle raus hier!" Leise und vorsichtig gehend erhob sich einer nach dem anderen und schlurfte zur Tür hinaus. Gunner schien fassungslos und kam auf seinen Partner zu. "Was soll das? Das war nicht abgemacht!" "Dass du jemanden den Schädel wegpustest, auch nicht!" fuhr Knight ihn an. "Was wollen Sie von mir?" wimmerte Cass und sie zitterte am ganzen Körper. Sie dachte an Hiro, Tadashi, ihre Schwester und deren Mann. Hatte sie versagt? Hatte sie das hier verdient? "Nur, dass sie uns folgen." antwortete Knight ihr. Kapitel 12: Eine Botschaft -------------------------- Der Tag schritt seinem Ende entgegen, begleitet vom ständigen Takt der Uhr, und Hiro hatte sich mit Baymax und Moji zusammen vor den Fernseher gepflanzt. Doch zum Unmut des Jungen liefen nur langweilige Talkshows über belanglosen Beziehungsstress und die oberflächlichen "Wissens"-Sendungen mit der gefühlt hundertsten Wiederholung über die Herstellung irgendeines alltäglichen Produkts. Hiro seufzte laut auf und ließ sich mit Moji auf seinem Bauch tiefer ins Sofa sinken. "Hiro, deine Neurotransmitterwerte sind niedrig. Bist du unglücklich?" fragte ihn der Roboter mit seiner gewohnt monotonen Stimme. "Nein, mein Großer, ich bin einfach nur gelangweilt." antwortete er und blickte auf die Uhr. Tante Cass sollte schon längst wieder Zuhause sein überlegte er und nahm die Fernbedienung wieder in die Hand. Zwei Kanäle weiter liefen die Nachrichten mit einer Eilmeldung über einen Banküberfall in der Innenstadt. Hätte Hiro das vorher gewusst, hätten er und seine Freunde das als Superhelden erledigt, doch so, wie es klang, war der Überfall schon längst vorbei. Schade, ein wenig Action wäre vielleicht ganz gut gewesen Die Sendung switchte ins Studio und ein schmierig gegelter Mann nahm seine Notizen in die Hand. "Nach neuesten Meldungen wurde bei diesem brutalen Überfall nichts gestohlen und laut Zeugenaussagen seien die Verbrecher auch nicht an Geld oder Wertgegenständen interessiert gewesen." Wozu dann der ganze Aufwand? "Einige Zeugen berichteten uns, dass die Verbrecher es auf..." Mit einem lauten Zisch ging der Fernseher aus und ließ die drei im Dunkeln zurück. "Mensch, Moji!" fuhr Hiro die Katze an, die sich bei ihrem Versuch, ihn zum Streicheln zu bewegen, auf die Fernbedienung gesetzt hatte. Jene protestierte laut maunzend, hüpfte von seinem Bauch und verschwand ins Dunkel des Zimmers. "Verflixte Katze." murrte er und schaltete das Gerät wieder an. "...zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiß niemand, wo sich die Entführer und ihr Opfer aufhalten." Eine Entführung? Klang nach einer Aufgabe für die Gruppe, doch wo sollten sie ohne Anhaltspunkt anfangen? Wenn sie nicht einmal wussten, wer es ist, konnte Baymax die Person auch nicht mit dem Scanner finden. "Was soll‘s." Er streckte sich ausgiebig und erhob sich vom Sofa. "Ich gehe mal Moji füttern." sagte er noch zu dem Roboter und schritt in die Küche, nahm eine Dose Katzenfutter, füllte den Inhalt auf einen kleinen Teller und rief "Moji! Essen fassen!" Doch statt ihrer Schritte hörte er nur ein vorwurfsvolles Maunzen aus dem Café, die Treppe runter. Hiro seufzte. Moji war eine solche Dramaqueen. Wenn er nicht vor ihr in den Staub kroch, würde sie ihn noch wochenlang mit dieser Abneigung strafen. Genervt nahm Hiro die Futterschale in die Hand und ging die Treppe hinunter. Unten war es dunkel, lediglich der Mond schien schwach durch die Fenster. "Moji? Ich habe dein Essen." Ein genervtes Maunzen war alles, was er als Antwort bekam. Hiro seufzte und stellte die Schale auf einen der Tische. Sie frisst es ja sowieso dachte er sich und lenkte seine Schritte wieder in Richtung Treppe. Die erste Stufe genommen hielt er inne, als er das Geräusch vorsichtigen Klopfens an der Tür hörte. Das musste Tante Cass sein. Langsam schlurfte er zur Tür und öffnete sie. Doch der Schatten, der im Türrahmen stand, hatte überhaupt nichts von seiner Tante. Alles, was er danach mitbekam, war ein fröhliches "Guten Abend." und ein darauf folgender explosionsartiger Schlag gegen seine Brust. Laut krachend segelte er gegen die gegenüberliegende Wand. Benommen hob er den Blick, sah den Schatten eines Mannes, der in das Café eintrat und die Tür hinter sich schloss. "Au..." stöhnte Hiro leise. Alles drehte sich und der Schmerz in der Brust pulsierte durch seine Adern. "Hiro?" hörte er die mechanische Stimme von Baymax sagen. Hiro wollte die Hand heben, ihm sagen, er solle nicht runter kommen, doch fuhr er zusammen, als der Schmerz ihn dabei wie ein Blitz durchfuhr. "Ganz ruhig, Kleiner." Jemand hatte sich über ihn gebeugt und tätschelte ihm sanft den Kopf. Im schwachen Licht, der Straßenlaternen und des Mondes erkannte Hiro die Reflektionen von Glas und Stahl. Der Mann trug einen Helm, der Rest von ihm war unter dunklen Stoff gehüllt. "Bleib ruhig liegen." sagte er und seine Stimme klang metallisch unter dem Helm. "Wer...?" versuchte Hiro zu fragen, doch schmerzte sein Brustkorb bei jedem Wort. Der Eindringling sagte nichts, spazierte stattdessen zur Theke und legte den Lichtschalter um. Das plötzliche Licht brannte in seinen Augen und er hielt sich die Hand vor das Gesicht. Neben den schweren Schritten des Fremden auf dem Parkettboden des Cafés hörte Hiro noch das charakteristische Quietschen von Baymax‘ Schritten. "Hiro, ich vernahm einen Schmerzlaut." sprach dieser am Fuße der Treppe und hatte sein Augenmerk auf den am Boden liegenden Jungen gerichtet. "Baymax, verschwinde..." röchelte Hiro, doch es war zu spät. Er sah den schemenhaften Schatten des Fremden, umrandet vom noch immer grellen Licht der Lampen, der sich durch den Raum bewegte. "Faszinierend." murmelte dieser, als er an den Roboter herangetreten war. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit und mühsam richtete Hiro sich an der Wand auf, bis er aufrecht saß. "Kann der kämpfen?" fragte ihn der Eindringling neugierig und Baymax antwortete "Ich kann Karate." Anerkennend pfiff der Mann und wandte sich wieder Hiro zu. "Tut bestimmt weh mit diesen Armen." Er lachte, lenkte seine Schritte auf einen der Tische zu und setzte sich darauf. "Hiro, du bist verletzt." sagte Baymax zu Hiro und ging auf ihn zu. Der Mann beobachtete mit neugierigem Blick, wie Baymax Hiro untersuchte. "Du hast mehrere Rippen gebrochen, du musst sofort stabilisiert und in ein Krankenhaus gebracht werden." Hiro verneinte, versuchte zu flüstern "Nein, ruf die Anderen. Sag ihnen..." Noch ehe er den Satz zu Ende sprechen konnte, explodierte der rechte Arm des Roboters. Hiro erschrak und schrie auf. „Hier wird nicht getuschelt.“ sprach der Fremde. Mit einem lauten Zischen entwich die Luft aus Baymax‘ Vinylhülle und er sackte mit einem verzerrten „Oh nein…“ in sich zusammen. Das Vinyl legte sich auf sein Carbonskelett und hinterließ eine groteske Figur, die man nur noch schwer als Baymax identifizieren konnte. „Hiro…“ brachte er noch heraus, dann setzte er sich mit einem leisen Plumps auf den Parkettboden. Hinter ihm war der Fremde aufgestanden und schob Baymax‘ Kopf mit seiner Hand beiseite. "Hier. Ich möchte dir etwas zeigen." Er hielt ihm ein kleines Handy vor der Nase. Ein Video erschien und das vertränte Gesicht seiner Tante blickte ihn angsterfüllt aus dem Bildschirm heraus an. Hiro blieb das Herz stehen und ihm entglitten sämtliche Gesichtszüge. Der Fremde kicherte leise. "Ich sehe, wir verstehen uns." Er erhob sich wieder und zog seinen Helm aus. Sein Haar war lang und sorgfältig zu einem Pferdeschwanz gebunden worden. Er seufzte genervt und setzte sich wieder auf den Tisch. „Gott, unter diesen Helmen ist es so warm. Widerlich...“ Eine tiefschwarze Brille verdeckte seine Augen und sein Gesicht war umrandet von einem strubbeligen Bart. „Vielleicht sollte ich mich erstmal vorstellen.“ Er kicherte leise. „Immerhin bin ich ja sozusagen mit der Tür ins Haus gefallen.“ Er legte die Hände zusammen. „Mein Name ist Gunner.“ Eine kurze Pause folgte. Wahrscheinlich wartete der Typ darauf, dass er etwas erwidern würde. Doch Hiro blieb still, sah wütend wie hilflos in die hinter schwarzem Glas verborgenen Augen. Das war also der Mann, der Callaghan bedroht hatte. Nun verstand Hiro die Angst, die der alte Mann gespürt haben musste. „Sieh mal. Ich habe etwas, was du willst, und du hast etwas, das ich will.“ Hiro hustete. „Was haben Sie meiner Tante angetan?“ versuchte er zu brüllen, brachte jedoch nur ein schwaches Röcheln heraus. „Ach, mach dir um sie keine Sorgen. Ihr geht es gut.“ Er hob die Hand „Ich schwöre.“ und lachte. „Zumindest noch.“ In Hiro kochte die blanke Wut, gepaart mit einem Gefühl der Machtlosigkeit. „Was wollen Sie?“ fragte Hiro. „Deine Microbots. Ihre Konstruktionspläne und die des Gerätes, mit dem ich sie steuern kann.“ „Wieso?“ Gunner hob mahnend den Finger. „Das braucht dich nicht zu interessieren, Kleiner.“ Er griff in seine Tasche und zog das Handy wieder heraus. „Warte mal eben kurz.“ Flink hämmerte er auf die Tasten. Er aktivierte die Lautsprecherfunktion und das laute Tuten bei einem Anruf tönte monoton aus dem Handy. Als das charakteristische Klacken beim Annehmen des Anrufes erklang, sagte Gunner, ohne eine Begrüßung abzuwarten „Holst du mir die junge Dame mal ans Telefon?“ Von der anderen Seite kam erst nichts, dann hörte Hiro die dünne und ängstliche Stimme seiner Tante. „Hiro? Ist alles in Ordnung bei dir? Geht es dir gut?“ „Cass!“ röchelte Hiro heraus, froh ihre Stimme zu hören. Sie klang hysterisch, aber sonst völlig normal. „Oh mein Gott, es geht dir gut.“ „Ja.“ erwiderte Hiro. Seine Tante wartete gar nicht auf weitere Worte. „Bitte tun Sie ihm nichts, ich flehe Sie an. Bitte!“ „Cass! Es geht mir gut…“ Doch es war zu spät. Gunner hatte das Gespräch bereits abgebrochen und verstaute das Handy wieder in seiner Tasche. „Nun, denke ich, können wir zum Geschäft kommen, findest du nicht? Ich meine, du willst sie ja bestimmt in einem Stück wiedersehen.“ Hiro hatte keine andere Wahl. Baymax war außer Gefecht und seine Freunde würden nicht rechtzeitig hier sein. Außerdem, wer wusste schon, was sie Tante Cass antun würden, wenn er versuchte, sich zu wehren. Er biss die Zähne zusammen und brachte ein gequältes „In Ordnung.“ heraus. Gunner lächelte ihn zufrieden an. „Die Daten sind in meinem PC gespeichert.“ Hiros Brust schrie vor Schmerz, als er sich langsam erhob und in Richtung Innenhof schlurfte. „Geh nur voran.“ antwortete Gunner ihm gut gelaunt und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Zusammen gingen sie zu der Garage, deren Tor Hiro geräuschvoll öffnete. Immer wieder sah er sich um, suchte nach einer Möglichkeit, etwas zu tun. Ihn zu enttarnen, ohne dass er es merkt, oder ihn in die Irre zu führen. Doch es half alles nichts. Jede Idee war abwegiger und gefährlicher als die vorangegangene. Mit einem schmerzvollen Seufzer ließ sich Hiro auf den Stuhl sacken und fuhr den Computer hoch. Als er nach einem der Chips greifen wollte, hielt ihm Gunner einen kleinen, schwarzen Datenträger hin. „Ich würde es bevorzugen, mein eigenes Speichermedium zu benutzen.“ Hiro wusste nicht, was er damit bezwecken wollte, doch fügte er sich und lud die geforderten Dateien auf den Datenträger. Neugierig beobachtete Gunner dabei jede Mausbewegung, jeden aufpoppenden Schriftzug. Als Hiro den Stick rausziehen wollte, kam Gunner ihm zuvor. „Ich danke dir sehr. Das wird mir eine große Hilfe sein.“ Hiro drehte den Stuhl und sah ihm ins Gesicht. „Und meine Tante?“ Gunner verstaute das schwarze Ding in seiner Tasche. „Sie wird sofort freigelassen.“ Er nahm sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer. Als abgehoben wurde, sagte er nur „Sie darf gehen.“ und legte sofort wieder auf. „Mein Partner wird sie jetzt freilassen. Ich denke sie wird den Weg hierhin finden. Nun steh auf.“ Hiro war irritiert über den Befehl, doch der Gedanke, dass es seiner Tante gut ging, tröstete ihn ein wenig. Doch noch war keiner von ihnen sicher, so lange der Kerl noch hier war. „Komm mit.“ Zusammen gingen sie wieder ins Café. Moji saß inzwischen beim Futter und leckte genüsslich die Schale aus. Doch als sie die beiden erblickte, fauchte sie wild, sprang erschrocken vom Tisch und flüchtete durch die Katzenklappe nach draußen. „Scheues Ding.“ lachte Gunner nur. Als sie an dem leblosen Skelett von Baymax vorbeigingen, griff Hiro geschickt an das Laufwerk und holte den kleinen, grünen Speicherchip mit dem Namen seines Bruders heraus und verstaute ihn in der Tasche. Doch Gunner blieb nicht stehen, griff nach seinem Helm und ging weiter bis zur Tür. „Komm raus hier.“ sagte er lächelnd zu Hiro, doch dieser rührte sich nicht. „Wohin gehen wir?“ Gunner lachte und sah ihn beinahe mitleidig an, als er an ihn herantrat. Hiros Magen drehte sich um und Panik stieg in ihm auf. „Ich glaube, meinem Partner hat der Kampf gegen euch gut gefallen.“ Hiro verstand nicht, das ergab keinen Sinn. „Und deshalb…“ grob packte Gunner den Jungen am Pullover und schleifte ihn aus dem Haus. „…will er, dass du am Leben bleibst.“ „Was soll das?“ fuhr Hiro ihn wütend an, doch konnte er sich gegen ihn nicht zur Wehr setzen und völlig unbeeindruckt warf Gunner ihn mitten auf die Straße. „Ja, das dachte ich mir auch. Irgendwie tötet er nicht gerne. Naja was soll‘s.“ Wieder griff er in die Tasche, doch diesmal zog er einen länglichen Bolzen mit kleinen Knöpfen an der Seite heraus. „Meinen Spaß lasse ich mir jedenfalls nicht nehmen.“ Er grinste Hiro an und kam langsam auf ihn zu. Als er bei ihm war, beugte er sich zu ihm runter und flüsterte „Tut mir leid, Kleiner, aber du und deine Freunde sind eine Gefahr für meine Pläne. Und wenn es etwas gibt, was ich nicht leiden kann, dann sind es Störungen bei meiner Arbeit.“ Er hob den Bolzen und drückte auf einen der Knöpfe. Der Lärm war ohrenbetäubend und warf Hiro auf den Rücken. Um ihn herum wirbelten Glas und Holz in einem engen Tanz mit Flammen und Rauchwolken, umrahmt von Funken, die weit in die dunkle Nacht hinaus getragen wurden. Über ihn war noch immer Gunner gebeugt und sah ihn aus dem Dunkeln der Brille heraus an. „Komm mir nie wieder in die Quere.“ Hiro gefror das Blut in den Adern. Jedwede Fröhlichkeit war aus seiner Stimme gewichen und erfüllte Hiro mit Angst. Ohne ein weiteres Wort ging Gunner an ihm vorbei und verschwand in der Nacht. Die Schmerzen in Hiros Brust kamen mit aller Kraft zurück, als er versuchte, sich zu erheben. „Hiro?“ Jemand rief seinen Namen. „Hiro?!“ Die Stimme kam näher, doch sah sich Hiro nicht nach ihr um. Vor ihm versank das Café in einem Meer aus Flammen, die laut ächzten und stöhnten. „Oh mein Gott, Hiro!“ dünne Arme umschlangen ihn und er erkannte, dass es seine Tante war. „Zum Glück ist dir nichts passiert.“ brachte sie unter Tränen hervor, während sie ihn an sich drückte. Hiro dachte das Gleiche über sie, doch sprach er es nicht aus. Er erwiderte die Umarmung und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen. „Es tut mir leid…“ brachte er unter Schluchzen hervor. „Es tut mir leid…“ Kapitel 13: Akt II - Flucht --------------------------- Im Inneren des Hubschraubers hörte man das leise Knattern der Rotoren. Die Stimmung war betrübt und die Köpfe gesenkt. Draußen zogen die Wolken an ihnen vorbei und unter ihnen erstreckte sich das weite Meer. Selbst Wasabi, der unter Höhenangst litt, hatte seinen Blick nur starr nach draußen gerichtet. "Wie lange fliegen wir?" fragte Honey schließlich und durchbrach die Stille. Fred hob den Kopf aus seinem Comic und sah sie an. "Ungefähr ‘ne Stunde noch." antwortete er gespielt gut gelaunt, wie immer eigentlich. Gogo sah aus dem Fenster, alles um sich herum ausblendend. Als in der gestrigen Nacht das kurze und abgehackte Notsignal von Baymax bei den Freunden einging, hatten sie sich alle sofort in voller Kampfmontur auf den Weg zu Hiro gemacht. Was sie vorgefunden hatten, hatte sich in Gogos Gedanken eingebrannt. Tante Cass, die mit Hiro im Arm auf der Straße saß, das Gesicht gerötet von Tränen und die blanke Angst in ihren Augen. Hiro, der völlig gebrochen den Blick gesenkt hatte. Die Straße war übersät von Funken und brennendem Holz. Das Café in Flammen gehüllt, deren Licht die Nacht erhellte und die riesigen Rauchwolken über ihnen leuchten ließ. Zum ersten Mal seit langer Zeit durchfuhr Gogo ein Gefühl, das sie schon längst verdrängt hatte. Ein Gefühl von Angst und Machtlosigkeit. Noch nie waren sie mit einer solchen Art des Terrors konfrontiert worden. Erst wurde Callaghan gedroht, dass sie seiner Tochter etwas antun würden, und jetzt das. Jeder, der zu diesem Zeitpunkt gehofft hatte, dies seien nur leere Drohungen gewesen, wurde gestern eines Besseren belehrt. Sie hatten nicht lange gezögert und brachten die beiden zu Freds Heim, von wo aus Heathcliff sie mit dem bereits mit rotierendem Motor bereitstehenden Helikopter erwartete. Seit den frühen Morgenstunden flogen sie nun bereits und hatten San Fransokyo bereits lange hinter sich gelassen. Weit am Horizont ging indes gerade die Sonne auf und brachte etwas Licht in die ansonsten dunkle Kabine. Gogo gegenüber saßen Hiro und Tante Cass, still und teilnahmslos. Moji lag zusammengerollt auf Cass‘ Schoß, zusammengekauert, nicht verstehend, was los war. Die Stille war erdrückend und, als die Stimme Heathcliffs aus den Lautsprechern diese durchbrach, erschrak der eine oder andere tatsächlich. „Master Frédéric, in Kürze werden wir die private Insel Ihrer werten Eltern erreichen.“ Ein kurzes Knacken und die Stimme erstarb wieder. „Also gut!“ Fred legte seinen Comic beiseite und blickte in die Runde. Neugierig erhoben Gogo, Wasabi und Honey den Blick. „Wenn ihr nun euren Blick nach draußen richten würdet, so werdet ihr den stolzen Besitz meiner Eltern erblicken.“ Seine etwas geschwollene Ansprache irritierte Gogo zunächst ein wenig, doch schien es so, als könne er seine Herkunft nicht ganz so verbergen, wie sein Aussehen vermuten ließ. Als er in Richtung des Fensters wies, an dem sie saß, blickte sie wieder nach draußen. Aus dem Meer erhob sich ein kleines Eiland, grün strahlend von der Sonne, umgeben von weißem Sand und azurblauem Wasser. "Wow!" entfuhr es Honey, die aufgestanden war und nun neben ihr stand. Selbst Wasabi wagte einen Blick, nur Hiro und Cass nicht. Sie hatten nicht einmal ihre Blicke erhoben, als ihre Freunde aufgestanden waren. Mit dröhnendem Motor und viel Wind näherte sich der Hubschrauber dem mit blauen und roten Kreisen gekennzeichneten Landeplatz, nur wenige hundert Meter von einem riesigen, ganz in weiß gehaltenen, von sehr großen Fenstern geschmückten Haus entfernt. Am Rande des Landeplatzes stand ein älterer Herr und blickte interessiert zu ihnen hinauf, als der Hubschrauber langsam den Sinkflug antrat und von wiegendem Gras umgeben landete. Als das Fluggerät aufsetzte öffnete Fred auch schon enthusiastisch die Seitentür und sprang heraus, den alten Mann schwungvoll grüßend. Eilig winkte er den Rest der Truppe zu sich und, als dann endlich die Rotoren langsamer wurden, fielen auch die ersten Worte. "Ich heiße euch auf unserem bescheidenen Eiland willkommen." Gogo zog unbemerkt die Augenbraue hoch, erwiderte aber nichts. Bescheiden... Er wandte sich wieder an Fred. "Deine Mutter und ich sind es ja gewohnt, dass du manchmal etwas... sagen wir... spontan bist. Aber hättest du uns etwas früher Bescheid gegeben, hätten wir uns besser vorbereiten können." Fred griff sich verlegen an den Nacken und sah Hiro und Tante Cass traurig an. "Dad, wir müssen reden." Sein Vater erwiderte nichts, sah sich die Gruppe nur an und nickte. "Kommt erst mal rein, ihr werdet Hunger haben." "Soll ich etwas zubereiten, Sir?" Heathcliff war unbemerkt an sie herangetreten. Freds Vater winkte lachend ab. "Wenn du meine Frau von ihrem neuen Herd wegbekommst." Als er bemerkte, dass niemand seiner Gäste auch nur eine Miene verzog, räusperte er sich verlegen. "Nun gut, folgt mir." Er führte sie ins Haus in einen sonnenbeschienenen Raum mit einem großen Fenster als vierte Wand. Die anderen drei Wände waren aus grauem Stein gefertigt und vor einem riesigen Kamin standen lederne Sofas und Sessel. "Setzt euch." Mit einer Handbewegung wies er auf diese. Er selbst trat an Heathcliff heran und sagte "Ich denke, etwas Kleines zu essen und zu trinken fürs Erste wäre angebracht." Höflich verneigte sich der Butler und schritt aus dem Raum. Der alte Mann indes setzte sich auf einen der Sessel und sah in die Runde. "Ihr habt wohl Einiges mitgemacht, wie mir scheint." Fred nickte. "Dad, das sind meine Freunde, von denen ich dir erzählt habe." "Ja, die neuen Helden der Stadt." Bei diesem Satz neigte er seinen Kopf etwas runter und sah sie über den dunklen Gläsern seiner Brille heraus neugierig an. Neben Gogo blickte Honey Fred fragend an und auch Hiro und Wasabi schienen stutzig. "Du hast ihm davon erzählt?" fragte Honey ihn und wieder nickte er. "Ja, er weiß alles." "Helden?" schaltete sich auf einmal Cass ein und blickte irritiert zu Hiro. "Was meint er damit?" Hiro schien etwas verlegen. "Das erkläre ich dir am besten später." Seine Tante schien mit der Antwort sichtlich unzufrieden zu sein, ging jedoch nicht weiter darauf ein und streichelte stattdessen still Moji, die es sich auf ihrem Schoß wieder gemütlich gemacht hatte und nun zufrieden schnurrte. Freds Vater räusperte sich "Erwähntest du nicht auch einen Roboter?" "Ja, Baymax. Er gehört ebenfalls dazu, doch..." Fred wagte einen traurigen Blick zu Hiro, doch reagierte dieser nicht. "Vielleicht solltet ihr mir erst einmal erklären, warum ihr überhaupt hier seid." fuhr sein Vater fort und blickte dabei mit sorgenvoller Miene zu Hiro. Honey legte eine Hand auf seine Schulter und er atmete tief durch, ehe er zu erzählen begann. Die ganze Zeit sprach niemand ein Wort und Heathcliffs Schritte und das leise Klappern des Bestecks und der Gläser, die er ihnen brachte, waren die einzigen Geräusche neben Hiros leiser Stimme. Als er endete, sah er zu seiner Tante und sie erzählte von ihrem Erlebnis in der Bank. "Nachdem sie alle gehen ließen, haben sie mir einen Sack über den Kopf gesteckt und mich an einen seltsamen Ort gebracht." Sie schluckte kurz "Als ich wieder etwas sehen konnte, war ich in einem Raum gefangen, zusammen mit dem Mann, den der andere Knight nannte. Wir saßen gemeinsam an einem Tisch und er gab mir etwas zu trinken und zu essen, sprach aber kein Wort mit mir." Das war das erste Mal, dass die Freunde erfuhren, was sie durchgemacht haben musste. Selbst Hiro schien so, als hörte er diese Geschichte zum ersten Mal, auch wenn er kein Wort sagte. Cass atmete durch "Ich fragte ihn, wo ich bin, was das soll, doch er antwortete nicht. Stattdessen las er die ganze Zeit in einem Buch, sah mich nicht an. Nur einmal, als mein Becher leer war, fragte er mich, ob ich noch etwas Wasser möchte. Irgendwann kam dann der Anruf von Hiro. Ich war so froh, dass sie ihm nichts getan hatten." Sie wagte einen kurzen Blick zu ihrem Neffen. "Irgendwann kam dann der zweite Anruf. Als der Mann auflegte, steckte er mir wieder einen Sack über den Kopf und brachte mich raus. Als er mir ihn wieder auszog, war ich nur wenige Straßen von unserem Zuhause entfernt. Ich lief, so schnell ich konnte, als ich das Leuchten und die Rauchwolken sah." Ihre Stimme bebte und sie kämpfte um jedes weitere Wort. "Den Rest kennt ihr ja." Als ihre Stimme abgeklungen war, breitete sich eine unangenehme Stille im Raum aus. Niemand schien etwas sagen zu wollen, bis Freds Vater sich räusperte "Hiro? Könntest du mir den Mann, diesen Gunner, beschreiben?" Hiro nickte. "Er trug einen dunklen Mantel und eine Art Rüstung aus poliertem Stahl. Als er den Helm auszog, schwarze Haare und ein struppiger Bart. Er hatte einen Revolver bei sich und trug etwas auf dem Rücken, ich weiß aber nicht was." "Eine Flinte, er hat sie in der Bank benutzt." flüsterte Cass beinahe. Der alte Mann nickte "Miss Hamada, könnten Sie mir auch den Mann beschreiben, der bei Ihnen war?" Sie nickte und überlegte kurz, ehe sie antwortete "Er trug ebenfalls einen dunklen Mantel und er hatte seltsame Metallplatten an Armen, Beinen und Brust. Sie funkelten richtig. Noch dazu trug er einen Helm mit schwarzem Visier und ein Schwert auf seinem Rücken." "Noch etwas?" Sie überlegte kurz. "Ja, auf sein Visier war ein Totenkopf gezeichnet, in weißer Farbe." Er nickte kurz, als sie geendet hatte. "Das ist interessant." "Was meinst du, Dad?" Dieselbe Frage stellte sich auch Gogo und sah ihn fordernd an. "Den Mann, der bei Hiro war, kenne ich nicht. Den anderen hingegen schon." Hiro erhob sich. "Was?" Wasabi und Honey sahen ihn erschrocken an und Fred und Gogo fragten beinahe synchron "Woher? Wer ist es?" Der alte Mann hob abwehrend die Hand und nahm dann ein Glas, welches Heathcliff ihm mit Wein füllte. "Ich kenne seinen Namen nicht, nur sein Pseudonym. Er wurde einst Schatten genannt." Er nahm einen kurzen Schluck. "Ihr müsst wissen, ich war auch mal wie ihr, ein Wächter dieser Stadt, vor vielen Jahren." Er erhob sich mit dem Glas und trat ans Fenster. "Ja, die Beschreibung passt perfekt." sprach er leise, ehe er fort fuhr. "Ich hatte schon das eine oder andere Mal mit ihm zu tun gehabt. Ein harter Gegner und vor allem schnell und präzise mit seinem Schwert. Doch eines Tages..." Er seufzte "...war er verschwunden." Das machte Gogo stutzig und Fred sprach aus, was sie dachte "Einfach so?" Sein Vater nickte und nahm noch einen Schluck. "Habt ihr bereits gegen ihn gekämpft?" "Ja" antwortete Wasabi, senkte jedoch schnell wieder den Blick. Freds Vater grübelte. "Es ist eigenartig. Schatten hatte immer alleine gearbeitet. Wisst ihr, wonach sie suchen?" Hiro erzählte ihm von den Überfällen auf die Labore von Krei Tech und von dem, was Baymax in der Rauchwolke gesehen hatte. "Hmm, zu meiner Zeit hatte er es nur auf seltene Materialien abgesehen, aus denen er seine Waffen schmieden konnte. Das passt nicht zu ihm." "Was ist mit dem anderen?" fragte Honey. Er nahm einen Schluck, ehe er antwortete. "Der andere ist mir völlig unbekannt. Wer immer dieser Mann ist, er ist ein unbeschriebenes Blatt." Er stellte das Glas wieder auf den Tisch und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. "Ich denke, es wäre das Beste, wenn ihr euch erst einmal etwas ausruht. Heathcliff wird euch die Gästezimmer vorbereiten. Eine Mütze voll Schlaf würde euch allen bestimmt gut tun." "Wir haben dafür keine Zeit." erwiderte Gogo. "Wir können nicht tatenlos zusehen, während die beiden freie Hand haben." "Das werdet ihr auch nicht. Nichtsdestotrotz solltet ihr euch ausruhen." erwiderte der alte Mann. "Wir werden uns morgen eingehender unterhalten." Wasabi sah zu Hiro. "Er hat Recht. Außerdem is‘ dat hier doch de perfekte Platz, um de neuen Upgrades zu testen, meinste net?" Hiro schüttelte mit dem Kopf. "Die Upgrades befanden sich in der Garage und die lag direkt unter dem Café." Fred sagte "Vielleicht haben sie es überstanden?" Hiro überlegte kurz "Es würde schon reichen, wenn die Datenträger noch lesbar wären, aber die befanden sich ebenfalls da." "Sieht so aus, als kommen wir um einen Hausbesuch nicht herum." erwiderte Fred nachdenklich und Honey fragte "Hast du nichts retten können?" Hiro verneinte. "Nur Baymax‘ Chip. Wenn ich meine Werkstatt noch hätte, könnte ich ihn zumindest wieder aufbauen." "Hast du denn kein Backup im Universitätslabor?" fragte Gogo ihn, doch wieder schüttelte Hiro mit dem Kopf. "Aus Angst, dass die Universitätsadministratoren zufällig auf diese Daten stoßen könnten oder es vielleicht sogar gehackt wird, habe ich keine Daten über unsere Ausrüstung auf den Computern gelassen, sondern nur auf den Datenträgern bei mir." Freds Vater räusperte sich "Was die Werkstatt angeht, denke ich, kann ich dir helfen. Sag mir, was du benötigst, und ich werde es besorgen." Überrascht sah Hiro ihn an "Danke, aber das kann ich nicht annehmen." Er hob die Hand "Doch, das wirst du, keine Widerrede. Außerdem sollten wir uns mal deine Verletzungen ansehen. Heathcliff?" "Sie wünschen?" antwortete der Angesprochene. "Hatten Sie nicht die Konpetenzen, Knochenbrüche zu schienen und zu verarzten?" "Sir, wenn ich Sie an ihre Heldentat bei den Untergrundkämpfen von San Fransokyo erinnern darf. Sie waren in keiner guten Verfassung." "Großartig!" Er richtete seinen Blick auf Cass. "Und das Café werde ich auch wieder aufbauen lassen, Sie haben mein Wort." Cass schien sprachlos und brachte nur ein zittriges Danke heraus. "Was diese Daten angeht..." Er wandte sich wieder an die Freunde. "Am besten sollte jemand zurück fliegen, dessen Gesicht diesen beiden noch unbekannt ist und die Trümmer durchsuchen. Vielleicht findet ihr was." Gogo hob als Erste die Hand, noch bevor er geendet hatte "Ich mache das." Er nickte "Ich begleite dich." wandte Fred ein. "Gut, zwei werden reichen, denke ich." fuhr der alte Mann fort und lächelte. "Es ist ein gutes Gefühl, wieder im Dienst zu sein." Er legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. "Ich habe deine Aufgaben schon viel zu lange tatenlos beobachtet. Das hat jetzt ein Ende." Eine kurze Pause folgte, ehe er fortfuhr und die Gruppe ansah "Ihr zwei werdet morgen zurückfliegen und wir beide..." Er sah Hiro an "...werden uns um deine Ausrüstung kümmern." Hiro lächelte tatsächlich und ein Gefühl von Erleichterung machte sich in Gogos Bauch breit. Fred fügte hinzu "Da fällt mir ein, Hiro... was ist mit Callaghan?" Mit einem Mal wurde es still im Raum und alle sahen neugierig zu Hiro. Ehe dieser etwas sagen konnte, fragte Freds Vater "Meint ihr Professor Callaghan... diesen Yokai?" Hiro nickte. "Er schwebt ebenfalls noch in Gefahr." "Hiro..." fing Honey leise an, doch er ignorierte sie. Stattdessen wandte er sich wieder an den alten Mann. "Ich weiß, es steht mir nicht zu, so etwas zu fragen, vor allem nach alldem was Sie für uns getan haben, aber..." Er hielt kurz inne, schien sich genau zu überlegen, was er sagen sollte "...haben Sie noch Platz für zwei Personen?" Gogo war völlig sprachlos und auch sonst niemand wagte etwas zu sagen. Das hatten sie nicht erwartet. "Natürlich, wer ist denn die zweite Person?" fragte der alte Mann und Hiro antwortete "Seine Tochter, Abigail." Kapitel 14: Schattenseiten -------------------------- An diesem späten Nachmittag war es sehr ruhig im Labor, befand Naoko. Es waren zwar einige der Studenten da, die sich auch lautstark über ihre Fortschritte und Pläne unterhielten, doch war es deutlich ruhiger als gewohnt. Seit der Vorlesung über Mikrobiologie am frühen Vormittag saß er hier im Labor und versuchte, die Werte von ihrem "Ausflug" auszuwerten. Allerhand Diagnoseprogramme und Rechenprogramme waren mit den Werten aus den Messgeräten in seiner Prothese gefüttert worden und füllten den Bildschirm mit bunten Diagrammen. Seine Prothese, die er beim Flug verwendete hatte, hatte er neben den Bildschirm gelegt, nahe bei den Werkzeugen um etwaige Verbesserungen und Reparaturen schnell durchführen zu können. Ihn durchfuhr ein gewisser Stolz, als er aus all der Datenflut zumindest herauslesen konnte, dass seine vorangegangenen Berechnungen über die Kräfte, die bei ihrem Fall über der Stadt am Material zerren würden, stimmten. Eigentlich hatte er gehofft, Gogo würde ihm beim Auswerten über die Schulter schauen. Er hatte zwar bemerkt, dass ihr das Thema nicht sonderlich lag, doch zeigte sie ein gewisses Interesse daran. Allerdings fehlte auch der Rest der Gruppe, was ihm schon etwas seltsam vorkam. Er hatte Gogo bereits am frühen Morgen eine Nachricht zukommen lassen, hatte jedoch noch keine Antwort erhalten. Wahrscheinlich war es auch besser so. Es war ihm momentan einfach unmöglich, sich zu konzentrieren. Er spürte dieses Kribbeln und die Anspannung im ganzen Körper, was ihn nicht klar denken ließ. Er war nervös und unruhig, kam nicht zur Ruhe. Er kannte das, dieses Problem hatte er andauernd, immer schubweise. Er spürte die schlechte Laune, die seine Gedanken annahmen. Das alles führte zu nichts, befand er mit einem Mal und fuhr den Computer runter. Flink packte er seine Sachen und verließ das Labor. Auf seinem Weg zum Ausgang kam er an der Treppe zum Dach vorbei. Er blieb stehen, dachte kurz nach und beschloss, diese zu nehmen. Die kühle Abendluft streichelte seine Haut und er atmete tief durch. Vor ihm erstreckten sich die schwarzen Metallplatten des Daches, umzäunt von einem kleinen Geländer. Schon viel besser Ihn umströmte wieder diese Leichtigkeit, die er so liebte, doch das reichte ihm noch nicht. Zielstrebig ging er auf die Kante zu, warf seine Tasche auf den Boden und sprang mit Schwung auf das Geländer. Er hob die Arme und balancierte ein wenig, setzte einen Fuß vor den anderen. Links gähnte die Tiefe und mit jedem Blick hinunter spürte er den schwachen Rausch, der ihn durchzog. Zu schwach, wie er fand. Mit einer schnellen Drehung begann er auf dem Geländer zu hüpfen, brachte sich an den Rand seiner Balance. Keine Wirkung erkannte er. Mit Anlauf griff er den Stahl des Geländers und hob seine Beine in die Luft. Einen direkten Blick nach unten und er sah die ganzen Studenten, die mal zielstrebig, mal etwas unkoordiniert herum gingen und ihre Kurse zu suchen schienen oder sich auf dem Weg nach Hause oder in die Stadt befanden. Zwanzig, dreißig Meter schätzte er und begann seinen Körper in Richtung Boden abzusenken, um ihn anschließend wieder nach oben zu drücken. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Er spürte das leichte Brennen in seinen Armen und der Brust. Doch die Anspannung löste sich nicht. Nichts tat sich. Ich brauche mehr Es war bereits dunkel geworden und er erinnerte sich, was er diesbezüglich noch zu Gogo gesagt hatte. Doch er ignorierte diese Tatsache wissentlich. Dies war sein Rückzugsort, seine Hängematte zum Entspannen. Hier oben über den Dächern der Stadt wehte ein kühler Wind und spielte mit seinen Haaren. Doch war er nicht zum Schlafen hierhergekommen. Noch immer spürte er diese extreme Anspannung in seiner Brust, er musste etwas tun. Er verstaute seine Tasche sicher in der Mitte der Plattform und stieg die Leiter wieder hinab. Unten am Bauch der fliegenden Stahlkugel waren einige Stäbe angebracht worden. Naoko hob seine Prothese, ließ seinen Enterhaken an eine der Stangen klammern und zog sich zu ihr hoch. Er spürte, wie das Adrenalin durch sein Blut schoss, spürte das leicht betäubende Kitzeln, das seine Kletteraktion verursachte. Kaum hatte er das Metall auch mit der anderen Hand ergriffen, zog er sich auch schon hoch. Am obersten Punkt, kurz bevor sein Kopf gegen die Metallwand stoßen würde, ließ er sich wieder runter und wiederholte das Ganze. Unter ihm erstreckte sich die Stadt mit ihrem Meer aus Lichtern und Farben, untermalt mit den Geräuschen von Mensch und Maschine gleichermaßen. Er zählte seine Klimmzüge nicht, sondern tat es wie immer, bis seine Muskeln vor Schmerz zu schreien schienen. Der Schmerz tat ihm gut und machte seinen Kopf frei von Sorgen und dunklen Gedanken. Laut atmend legte er eine Pause ein und ließ sich an seiner Prothese hängen. Der Schweiß ran ihm über die Haut und seine Lungen füllten sich mit kalter Nachtluft. Nur eine kurze Pause, dann ging es weiter. Manchmal fragte er sich, wie es wäre, wenn er einfach loslassen würde, doch diese Art von Gedanken unterdrückte er meist sehr schnell wieder. Der dritte Durchgang und seine Muskeln fühlten sich an, als stünden sie in Flammen. Er holte Schwung und hakte sich mit seinen Füßen über der Stange ein. Ein kurzer Test ob er sicher hing, dann ließ er los. Mit angespanntem Oberkörper ließ er sich langsam nach unten fallen. Mit der Stadt über sich und den Ballon zu seinen Füßen hing er da, die Arme über dem Kopf hängend. Ein wenig wie fliegen Vor seinen Augen tanzten die Lichter der Stadt, seine Ohren nahmen den beschäftigten Klang hunderter Autos und Menschen wahr, während seine Gedanken sich mit Sorgen und Ängsten füllten. Und ganz tief verborgen in seinem Kopf ein Verlangen. Eine Stimme, die nach mehr giert. Flüsternd, doch hörbar. Naoko wusste, dass dies nur bedeutete, dass seine Medikamente nachließen, doch gab es auch eine temporäre Medizin dagegen. Er spannte die Bauchmuskeln an und zog sich nach oben, bis er mit den Fingern den blanken Stahl des Ballons berührte, dann ließ er sich wieder nach unten gleiten. Wieder und wieder machte er diese Bewegung und versuchte sich auf die Schmerzen und die vielen hundert Meter unter sich zu konzentrieren. Doch immer und immer wieder spürte er diese Anspannung, die ihm den Atem raubte, diese innere Leere. "Geh aus meinem Kopf!" brüllte er in die Nacht heraus, riss seinen Oberkörper hoch und schlug auf den Stahl, mit jedem Hochkommen wieder. Doch beim vierten Mal, kurz vor dem höchsten Punkt, spürte er die Vibration seines Handys. Das warf ihn völlig aus dem Konzept und mit einem Mal war jedwede Anspannung und Schmerz wie weggefegt. Ohne nachzudenken und in aller Eile griff er nach seiner Tasche, doch statt das Handy zu ergreifen, glitt es an seiner Hand vorbei. Flink griff er mit der rechten zu, als es an seinen Augen vorbeisegelte, doch war die Bewegung zu hastig gewesen. Er verlor den Halt mit seinen Füßen. Eilig zog er sich noch einmal hoch, ehe sie ganz abrutschten und griff mit der Linken das Rohr. Er atmete tief durch und spürte seinen Herzschlag, der wie ein Donner durch seine Adern jagte. Noch immer vibrierte das Handy und, als er den Namen las, klickte er aufgeregt auf den grünen Hörer "Hey!" "Hey." antwortete ihm die Frauenstimme ruhig am anderen Ende der Leitung. Naoko wusste nicht ganz, wie er anfangen sollte, als Gogo ihn unterbrach "Tut mir leid, dass ich nicht geantwortet hatte. War ´ne Menge los heute." Naoko lachte atemlos. "Kein Problem." Tatsächlich war es für ihn eine unglaubliche Erleichterung, von ihr zu hören. "Alles in Ordnung?" fragte sie ihn. "Ja klar, alles in Ordnung." Er konnte seine Anstrengung nicht verbergen und versuchte es auch gar nicht. "Du klingst so atemlos." fuhr sie fort. "Ja, ich habe ein paar Runden Basketball gespielt." "Verstehe. Ziemlich windig bei dir." Naoko bemerkte, dass sie etwas hilflos wirkte und sie offenbar nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte. Stattdessen antwortete er "Ja, hier weht einiges." Gogo seufzte am anderen Ende. "Gut, ich wollte mich nur kurz gemeldet haben. Nur damit du Bescheid weißt." "Ich verstehe. Nun… Danke." antwortete Naoko leise. "Keine Ursache, wir sehen uns." "Ja." Ein kurzes Klicken und sie hatte aufgelegt. Es hinterließ einen bitteren Beigeschmack und all die im Hintergrund versunkenen Eindrücke um ihn herum drangen mit aller Macht wieder in seinen Verstand. Vor allem der Schmerz in seinem linken Arm, an dem er sich noch immer in der Luft hielt. Doch die Anspannung war weg, nur der Schmerz seiner Übungen war geblieben. Dieser und die Frage, was geschehen war. „Du bist spät.“ Die sorgenvolle Stimme seiner Mutter hallte ihm leise entgegen, als er die Haustür hinter sich schloss und die Schuhe auszog. Sie lehnte an der Wand und sah ihn aus müden Augen heraus an. Das Haus war bereits dunkel. Lediglich eine kleine Kerze in der Hand der Frau erhellte den Flur. „Verzeih.“ antwortete Naoko und erhob sich. „Die Auswertung der Ergebnisse hat leider etwas länger gedauert, als ich gedacht hatte.“ Seine Mutter schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Warst du heute schon bei Sora?“ fragte er sie. Wieder schüttelte sie den Kopf, lächelte diesmal jedoch nicht. „Nein… Es… es kam mir was dazwischen.“ Er sah sie nur ungläubig an, sagte jedoch nichts dazu. Er war es inzwischen gewöhnt, dass sie nur selten ihre Tochter besuchte, obwohl sie nur wenige Stockwerke unter ihr arbeitete. Es machte ihn wütend und traurig zugleich, doch war er es inzwischen leid, mit ihr darüber zu diskutieren. Als Naoko mit einem leisen „Achso…“ an ihr vorbeiging, sagte sie „Dein Vater erwartet dich im Dojo.“ Das überraschte ihn und er sah sie fragend an. „Das Dojo ist doch geschlossen, oder sind die anderen Lehrlinge noch da?“ Sie verneinte und fügte hinzu „Er sagte nur, dass du anfangen sollst, das Training ernst zu nehmen.“ Naoko nickte und verließ den Flur Richtung Garten. Das Dojo lag etwas außerhalb des Hauses am Ende des großen Grundstücks. Eine einsame Lampe leuchtete an der Wand des hölzernen Gebäudes, doch konnte er durch den dünnen Stoff der Schiebetür erkennen, dass im Inneren mehrere Kerzen brannten. Als er die Tür leise aufschob, erstreckte sich vor ihm der mit Tatami gepflasterte Raum, erhellt vom rötlichen Kerzenlicht. Das Gebäude war gut fünf Meter hoch und eine kleine Tribüne war ringsum auf Höhe des nicht vorhandenen ersten Stocks aufgebaut. Sein Vater hatte ihm mal erzählt, dass hier früher zu Zeiten seines Großvaters auch Turniere hochrangiger Kendokämpfer stattgefunden hatten und dass dieser Dojo im ganzen Land bekannt war. Am anderen Ende des Raumes kniete sein Vater vor einem Schrein aus Kerzen, die ein altes Bild an der Wand in warmes Licht tauchten. Er erkannte das Bild seines Großvaters. Als er leise an ihn herangetreten war, kniete er nieder und neigte seinen Kopf auf den Boden, während er in leisem Japanisch „Verzeih.“ flüsterte. „Du bist spät.“ war die Antwort, die er bekam, ebenfalls in Japanisch, doch drehte sein Vater sich dabei nicht um. „Ja.“ antwortete Naoko. Er wusste, dass er erst gar nicht von der Uni anfangen brauchte, um sich zu rechtfertigen, da jede Diskussion hier überflüssig wäre. Sein Vater murmelte ein paar leise Worte, ehe er das Räucherstäbchen, das er in der linken Hand trug, in einen Tonkrug legte. „Warum stellst du deine persönlichen Interessen immer über die der Familie?“ Naoko spürte die Wut in sich aufkochen. Diese Anschuldigung war für ihn nichts Neues, doch kränkte es ihn wie beim ersten Mal. Er hatte noch immer sein Haupt geneigt und kämpfte gegen den Drang, einfach aufzustehen und zu gehen. „Deine Familie braucht dich.“ fuhr sein Vater fort und drehte sich zu ihm um. Naoko platzte beinahe der Kragen Und Sora braucht euch, ihre FAMILIE schrie er innerlich und versuchte diese Worte zu verschlucken. Stattdessen brachte er ein gequältes „Ja, Vater.“ heraus. „Du kannst dich erheben.“ Als Naoko seinen Kopf hob, sah ihn sein Vater mit seinen eisblauen Augen an. Doch zu Naokos Überraschung, fuhr sein Vater ihn nicht an, sondern seufzte nur, bevor er sprach „Eines Tages werde ich zu alt sein, um die Pflichten dieses Dojos weiter ausüben zu können. Es wird an der Zeit, dass du dich deiner Aufgabe bewusst wirst.“ Naoko antwortete nicht, sah ihn nur an, während es in seinem Inneren brodelte. „Hier, ich möchte dir etwas zeigen.“ Sein Vater erhob sich, ging an den kleinen Schrank am anderen Ende des Raumes. Die Türen öffneten sich laut quietschend und heraus zog er ein Katana, umhüllt von einer schwarzen, ledernen Scheide. Er setzte sich mit diesem in der Hand wieder gegenüber seinem Sohn und reichte ihm das Schwert. Naoko wusste nicht, was er sagen sollte, und sah ihn nur fragend an. Als sein Vater nickte, packte er das Heft des Schwertes und zog es heraus. Sein Stahl war blutrot und schimmerte im Licht der Kerzen. Kleine Zeichen waren in die Mitte der Klinge eingraviert worden. Naoko sah seinen Vater an „Was…?“ Dieser erhob jedoch die Hand und Naoko schwieg. „In unserer Sprache bedeutet es so viel wie: Der Schatten ist Mantel wie Rüstung in den Augen derjenigen, die ihn verstehen.“ „Und warum erzählst du mir das?“ fragte Naoko ihn, als er den Blick wieder auf das Schwert richtete. „Dieses Schwert besitze ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr.“ Er sah seinen Sohn ernst an. „Ich habe es damals selbst geschmiedet.“ Als der Stahl mit metallenen Kreischen in der Scheide versank und Naoko es auf seinen Beinen ablegte, machte sich in seinem Körper ein ungutes Gefühl breit. „Du zeigst es mir nicht einfach so.“ Sein Vater schüttelte den Kopf „Nein. Dazu gehört eine Geschichte, wie mein Vater mir einst beibrachte, meine eigene Klinge zu schmieden und…“ Er seufzte kurz und hielt inne, ehe er fortfuhr „… und was ich mit diesem Wissen gemacht habe.“ Kapitel 15: Bootcamp -------------------- Das Scheppern der Trillerpfeife riss sie alle aus dem Schlaf und ließ die Jungs von ihren Kissen aufspringen. Die Tür war aufgeschlagen worden und im Rahmen stand Freds Vater, gehüllt in die olivfarbene Uniform eines Soldaten, prunkvoll mit allerlei Orden und Wimpeln geschmückt. "Genug geschlafen, ihr faules Pack! Hoch mit euch!" donnerte seine Stimme durch den Raum und die Jungs saßen kerzengerade in ihren Betten. Wasabi öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch wurde er durch das erneute Pfeifen übertönt. "Wird’s bald?!" donnerte der alte Mann erneut durch das Zimmer und ohne ein weiteres Wort fügte man sich. Eilig versuchten sie, aus ihren Betten zu steigen, ihre Klamotten zu greifen und die Zähne zu putzen. Dabei flogen sie ein ums andere Mal über die eigenen oder fremde Füße. "Vergesst eure Lumpen, nehmt die hier!" Der alte Mann warf Wasabi und Fred einige in olivgrün gehaltene Klamotten hin. "Was ist mit mir? " fragte Hiro irritiert. "Du nicht, Junge. Du wirst deine Wunden auskurieren müssen. Bei gebrochenen Rippen sollte man vorsichtig sein." Zwei Minuten später und völlig außer Atem standen sie kerzengerade vor dem alten Mann. "Nehmt gefälligst Haltung an, Soldaten!" Gesagt, getan. Hiro wusste nicht, was das Ganze auf einmal sollte, doch wagte er nicht zu widersprechen. Fred hingegen, der neben ihm stand, schien es kaum abwarten zu können und grinste von einem Ohr zum anderen. Sofort erhob er auch die Hand und sagte "Dad, ich hab da..." "Ich bin nicht dein Dad! Du dreckiger, fauler Wurm. 20 Liegestütze! Auf der Stelle!" Hiro wagte einen kurzen Blick zu Wasabi. Der Riese traute sich kaum, dem alten Mann ins Gesicht zu blicken und starrte nur geradeaus. Fred hatte inzwischen lächelnd seine Übung begonnen. Als Freds Vater sich umdrehte, sagte er noch "Zeit, die Damen zu wecken." und stapfte in Richtung Mädchenzimmer am Ende des langen Ganges davon. Der Morgen bestand für Hiro darin, mit Heathcliff auf einem Hügel zu stehen und die Trainingseinheiten seiner Freunde zu beobachten. Freds Vater hielt sie dabei ganz schön auf Trab. "Schneller, ihr Würmer!" donnerte seine Stimme durch den Wald. Sie hatten gerade einen Lauf durch den Wald begonnen, barfuß. Er hatte ihnen erklärt, das würde ihre Muskeln stärken. Alles, was Hiro allerdings von seinem Posten aus sah, war, dass sich seine Freunde die Lunge aus dem Körper pumpten, doch schien ihre Angst vor dem alten Mann deutlich mehr zu wiegen als ihre eigenen Schmerzen. Sogar die sonst so ausdauernde Gogo schien langsam an ihre Grenzen zu gelangen, wenn Hiro ihren angespannten Gesichtsausdruck richtig deutete. Hiro hatte am Rande mitbekommen, wie sie dem alten Mann eine saftige Ohrfeige verpasst hatte, als dieser in ihr Zimmer marschiert war, während die beiden Damen sich gerade umzogen, da sie den Krach im Nebenzimmer wohl mitbekommen hatten. Wasabi und Honey, die knapp hinter ihr liefen und krampfhaft versuchten, nicht den Anschluss zu verlieren, schienen eher den Tränen nahe und man kam nicht umhin zu glauben, dass sie eher auf der Flucht als beim Training wären. Der Einzige, der sichtlich Spaß bei der Sache hatte, war Fred. Mit einem breiten Grinsen und hochrotem Kopf lief er die Strecke ab. Für Hiro schien es, als würde sein Kopf jeden Moment platzen. "Ein Kühlakku, Master Hiro." Heathcliff versorgte ihn immer wieder mit Getränken und kühlenden Akkus für seine Rippen. Tatsächlich fühlte Hiro sich ziemlich fit, wenn man die hin und wieder auftretenden stichartigen Schmerzen außer Acht ließ, doch wagte er es nicht, Heathcliff oder Freds Vater zu widersprechen. Er fühlte sich sogar ziemlich schuldig, so gemütlich, wie er es hier hatte, während seine Freunde durch den Wald gehetzt wurden. Doch je länger er das Schauspiel beobachtete, desto mehr war er auch froh darüber, nicht mitlaufen zu müssen. Müde gähnte er und versuchte sich zu strecken, als der zuckende Schmerz seiner Rippen ihn davon abhielt. Letzte Nacht hatte er kein Auge zugetan, da er seiner Tante alles erklären musste. Von Callaghan und den Microbots, von seinen Freunden und Teamkameraden, von Abigail und dem Portal. Und zu guter Letzt die Sache mit dem Duo aus Knight und Gunner. Sie hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und nur zugehört, während sie Moji streichelte. Hiro hatte mit vielen Reaktionen gerechnet. Dass sie ihm eine Standpauke darüber halten würde, wie gefährlich das alles doch sei oder weil er Tadashis Erfindung missbraucht. Dass sie anfangen würde zu weinen oder ihn sogar anflehen würde, das Heldendasein aufzugeben. Sogar, dass sie ihn für die Zerstörung ihres Cafés verantwortlich machen würde, was durchaus der Wahrheit entsprach, wie Hiro empfand. Doch nichts davon trat ein, stattdessen blieb sie auch still, als Hiro bereits geendet hatte. Sie stand einfach nur auf, umarmte ihn und flüsterte ihm ins Ohr „Bitte pass auf dich auf. Ich will dich nicht auch noch verlieren.“ Hiro hatte sich nie ernsthaft Sorgen um sein Wohlergehen gemacht und er wusste auch, warum er seiner Tante von seinen Aktivitäten nichts erzählt hatte. Doch zum ersten Mal schämte er sich dafür, nicht auch daran gedacht zu haben, was es für Tante Cass bedeutete, wenn ihm etwas zustoßen würde. "Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Master Hiro?" Heathcliff riss ihn aus seinen Gedanken und irritiert winkte er ab. "Ich glaube, ich habe alles. Ich danke Ihnen." höflich verbeugte sich der Butler und ging den Hügel in Richtung Haus wieder hinab. Als Hiro seinen Blick wieder auf seine Freunde richtete, waren diese gerade dabei Liegestütze und Klimmzüge auszuführen unter den wachsamen Augen des alten Mannes. "Er scheint sie ja ziemlich hart ranzunehmen." Tante Cass war an ihn heran getreten und stand neben ihm, während sie die Übungen musterte. "Ja, ziemlich sogar." erwiderte Hiro. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie auf dieser Insel bleiben würden, doch sah es so aus, dass zumindest Freds Vater diese Zeit zu nutzen wusste. "Und? Was machen die Schmerzen?" fuhr seine Tante fort und sah ihn mit sorgenvoller Miene an. Hiro lächelte, versuchte ihr die Sorgen irgendwie zu nehmen. "Alles in Ordnung. Heathcliff sorgt sehr gut für mich." Sie kicherte leise. "Ja, das habe ich gesehen." Mit einem Pfiff beendeten seine Freunde die Übungen und legten sich schwer atmend auf den Grasboden. Offenbar waren sie mit den Übungen fertig, dachte Hiro sich, als die Stimme von Freds Vater ertönte "So, Pause fürs Erste. Es wird Zeit, dass ihr was esst." Das ließ sich die Gruppe nicht zweimal sagen, auch, wenn es ihnen sichtlich schwer fiel, aufzustehen. "Macht euch keine Illusionen. Heute Nachmittag geht es weiter. Ihr jungen Hüpfer müsst das aushalten, wenn ihr Helden sein wollt." Das Mittagessen war kurz und energiereich, wie ihnen Heathcliff versicherte. Genau das, was sie brauchen würden, wenn sie die nächsten Tage überleben wollten, wobei die Freunde bei dem Wort „Überleben“ ein wenig gezuckt hatten. Nachdem sie alle fertig gegessen hatten, sprach Freds Vater zu ihnen. „Ich hoffe, dass ihr euch alle ein wenig ausgeruht habt, denn es wird Zeit, dass ich euch etwas zeige. Die Freunde tauschten fragende Blicke aus und der alte Mann wies sie an, ihm zu folgen. Er führte sie in einen staubigen und kleinen Keller unter dem Haus. Noch bevor irgendeiner die Frage nach dem Sinn dieser Räumlichkeit stellen konnte, betätigte er einen der zahlreichen Backsteine und die Wand vor ihnen öffnete sich und enthüllte einen kleinen, gläsernen Aufzug. „Alles einsteigen, bitte.“ Kaum waren alle drin, haute er auch schon auf einen der vielen Knöpfe und in einer rasanten Fahrt, die Wasabi zum Schreien und manch anderen wahrscheinlich beinahe das Mittagessen wieder Revue passieren ließ, schossen sie nach unten. Als sich die Tür wieder öffnete, erstreckte sich gähnende Leere vor ihnen. Alles war schwarz und nur das schwache Licht des Fahrstuhles erhellte den Betonboden vor ihnen. „Na los, raus mit euch.“ Wortlos und sich neugierig umsehend traten die Freunde aus dem Fahrstuhl heraus. Hiro versuchte etwas in der unendlichen Dunkelheit zu erkennen, doch alles was er wahrnahm, war ein Geländer, wenige Meter vor ihnen. „Moment, irgendwo hier war doch der Lichtschalter…“ murmelte der alte Mann vor sich hin, bis er auf einmal „Aha!“ rief und einen laut knirschenden Schalter umlegte. Ein Licht nach dem anderen, erst das direkt über ihnen, dann das nächste, erhellte den Raum vor ihnen. Doch schnell musste Hiro erkennen, dass es überhaupt kein Raum war. Der Dunkelheit beraubt enthüllte sich eine riesige Halle ganz aus grauem Granit. An den Wänden waren jeweils Räume mit Glaswänden eingebaut worden, zwei Etagen hoch, und enthüllten allerlei Gerätschaften, welche unter weißen Planen verborgen lagen. Sie selbst standen auf einem Vorsprung, einige Meter über dem Boden. „Ich denke, ich zeige euch erstmal das Herzstück der Anlage.“ durchbrach Freds Vater die Stille, die die Freunde hinterließen, und marschierte nach rechts, den Vorsprung entlang. Dieser Weg mündete in einen der Räume. Auch hier lagen viele Gerätschaften unter Planen verborgen und der Staub lag zentimeterdick auf den Tischen und Stühlen. Hiro erkannte es sofort „Ist das ein Labor?“ fragte er aufgeregt und der alte Mann nickte zustimmend. „Ich weiß, es ist etwas staubig geworden und so manch einesder Geräte wird wohl nicht mehr fehlerfrei arbeiten, aber wenn wir hier erstmal alles auf den neusten Stand gebracht haben, wirst du hier sehr gut arbeiten können, Hiro.“ Hiro konnte es kaum fassen. Der Raum war beinahe doppelt so groß wie das Labor der Uni und die ganze Arbeitsfläche war nur für ihn. „Allerdings wird es wohl ein paar Tage dauern, bis wir alles auf Vordermann gebracht haben, aber glaub mir, das Warten lohnt sich. Ich habe selbst jahrelang hier meine Erfindungen entwickelt und getestet.“ Mit einem stolzen Lächeln sah er Hiro an. „Aber gut, ich wollte dir nur mal kurz deinen zukünftigen Arbeitsplatz zeigen. Nun folgt mir.“ Er führte sie eine Treppe hinunter in die Halle. Direkt unter dem Vorsprung, an dem sie reingekommen waren, war eine große Fläche mit Übungsmatratzen ausgefüllt worden. „Stellt euch bitte alle in einer Reihe vor mir auf.“ Mit irritiertem Blick folgte man der Anweisung und der alte Mann nickte zufrieden, ehe er sich ohne weitere Erklärungen direkt an Wasabi wandte "Du, Großer!" Wasabi zuckte zusammen und sah starr geradeaus, während ihm der Schweiß von der Stirn lief. „Warum hast du versagt?“ fuhr der alte Mann fort und musterte ihn dabei genau. Wasabi öffnete den Mund, doch brachte er außer einem mausähnlichen Fiepen nicht viel heraus. „Was ist los, Junge? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ Er ließ von ihm ab und sah zu Hiro rüber. „Kleiner, selbe Frage. Warum hat er verloren?“ Hiro blickte ihn irritiert an, antwortete jedoch nicht. Freds Vater kam zu ihm und kniete sich vor ihn, um ihm in die Augen sehen zu können. „So wie ich das mitbekommen habe, bist du der eigentliche Kopf hinter der ganzen Veranstaltung hier, ist das nicht so?“ Darüber hatte Hiro nie wirklich nachgedacht. Klar hatte er im Kampf gegen Yokai meist den Ton angegeben, aber deswegen sah er sich noch lange nicht als Anführer. Hiro überlegte kurz „Sir, ich bin nicht ihr Anführer, ich bin ihr Kamerad. Es gibt keinen, denn wir sind ein Team“ Freds Vater nickte und erhob sich wieder, ehe er fortfuhr „Wenn ich mir deine Freunde so ansehe, glaube ich, dass du dich irrst.“ Hiro hob den Blick und sah zu seinen Freunden. Sie alle hatten ihre Blicke zu ihm gerichtet und ihre Augen sprachen sowohl Zustimmung als auch Respekt aus. Honey sagte „Doch, Hiro. Alles, was wir heute sind, verdanken wir deiner Ausdauer und deinem Einsatz.“ Sie lächelte ihn breit an „Außerdem gibst du meist tatsächlich den Ton an.“ Gogo nickte zustimmend und blies ihren Kaugummi auf. Wasabi klopfte ihm auf die Schulter und Fred fügte hinzu „Du bist unser Teamführer! Du bist unser Fury, unser Charles Xavier!“ „Und außerdem sind et deene Erfindungen, die wir nutzen, deene Pläne, denen wir folgen.“ Freds Vater sah ihn an „Du hast eine sehr loyale Truppe. Deshalb frage ich dich nochmal.“ Er sah zu Wasabi „Warum hat er verloren?“ Hiro trat vor. „Was hat das mit mir zu tun? Er hat sein Bestes gegeben und …“ Der alte Mann hob die Hand und unterbrach ihn. „Die primäre Aufgabe des Anführers einer Einsatzgruppe ist das Ausarbeiten von Plänen und die Besetzung der einzelnen Rollen darin an die richtige Person. Deshalb ist es von absoluter Wichtigkeit, dass du nicht nur die Stärken deiner Mitstreiter kennst.“ Hiro wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, doch musste er zugeben, dass der alte Mann recht damit hatte. Er versuchte sich die Nacht ihres ersten Aufeinandertreffens in allen Einzelheiten wieder in Erinnerung zu rufen. Sich zu erinnern, was passiert war, als Wasabi angriff. „Zuerst hatte er sein Schwert zerstört…“ murmelte Hiro. Freds Vater hob eine Augenbraue „Wirklich? Das hat Schatten garantiert nicht gefallen.“ „Nein, hat es wahrscheinlich nicht. Sein Partner nannte ihn übrigens Knight.“ erwiderte Hiro. „Ja, das hatte deine Tante erwähnt. Nun gut, dann sollten wir fürs Erste auch diesen Namen verwenden. Nun weiter.“ Der Junge überlegte. „Wasabi versuchte ihn mit Schlägen aufzuhalten, doch gelang ihm das nicht. Knight blockte seine Schläge einfach oder wich aus.“ „Ich verstehe. Nun denn, Wasabi, würdest du mir die Ehre erweisen und mich so angreifen, wie du es in dieser Nacht getan hast?“ Der Riese sah ihn erstaunt an und stotterte etwas von „Dat kann ick doch net machen…“ und „Ick könnte sie verletzen.“ Doch der alte Mann lachte daraufhin nur. „Mach dir um mich keine Sorgen, tu einfach was ich dir sage.“ Zögernd trat Wasabi vor. „Stell dir einfach vor, ich wäre dieser Knight. Ich will keine Rücksicht sehen. Kämpfe, wie du es immer tust.“ Ohne ein weiteres Wort oder weitere Anzeichen von Zurückhaltung stürmte er auf den alten Mann los und hob die Hände so, als hätte er seine Plasmahandschuhe an. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis Freds Vater von der Verteidigung in die Offensive ging und Wasabi mit ein paar gezielten Schlägen und Tritten auf die Matte schickte. „Ich verstehe, nun gut, das reicht.“ fuhr der alte Mann fort, reichte Wasabi die Hand und hob ihn wieder auf die Beine. „Lief das in etwa so ab?“ fragte er ihn und richtete seinen Blick abwechselnd auf Wasabi und Hiro. „Ja.“ antworteten beide. „Nun gut, ist dir diesmal etwas aufgefallen?“ Hiro musste passen und schüttelte mit dem Kopf. Es sah zwar beinahe exakt wie der Kampf in dieser Nacht aus, doch wusste Hiro nicht, worauf er hätte achten sollen. „Ich zeig es dir.“ sagte der alte Mann und trat wieder an Wasabi heran. „Würdest du bitte noch einmal deine Arme heben?“ Wasabi tat, wie ihm geheißen. Freds Vater stand ihm so nah, dass sein Körper auf Höhe des Ellenbogens von ihm stand. In diesem Moment ging Hiro ein Licht auf. „Er hat ihn unterlaufen.“ Der alte Mann nickte „Kräftige Menschen wie er haben eher das Problem, sowohl zu langsam zu sein, als auch einen gewissen Aktionsradius zu benötigen, damit sie effektiv kämpfen können. Euer Gegner hat dies erkannt und ihn einfach unterlaufen, was es für euren Freund beinahe unmöglich machte, entsprechend zu reagieren. Du kannst dich wieder in die Reihe stellen.“ Ohne ein weiteres Wort, doch mit nachdenklicher Miene stellte Wasabi sich wieder zwischen Gogo und Fred. „Euer Gegner beherrscht wahrscheinlich eine Kunst, die im alten Japan vornehmlich die Kriegerkaste oder der Adel gelehrt und gelernt hatte. Das Jiu-Jutsu. Diese Kampfkunst wurde angewandt, wenn der Samurai seine Waffe verloren hatte und mit bloßen Händen weiterkämpfen musste. Sie zielt darauf, den Gegner möglichst schnell unschädlich zu machen und zwar vornehmlich mit der Kraft des Angreifers selber.“ Er sah wieder zu Wasabi. „Ich werde dich lehren, dich gegen ihn zur Wehr zu setzen.“ Dann blickte er wieder in die Gruppe. „Hiro, warum hat Gogo verloren?“ Der Angesprochene dachte kurz nach und öffnete den Mund, doch kam ihm Gogo zuvor. „Ich war nicht schnell genug. Er konnte seinen Schild so schnell bewegen, dass meine Geschosse daran abprallten. Außerdem schien es fast so, als würde er ihre Flugbahn voraussehen. Ich war zu vorschnell.“ „Ich verstehe.“ erwiderte der alte Mann. „Und Sie, Miss Honey Lemon?“ Diesmal wandte er sich direkt an sie, statt Hiro zu fragen. Das verstand dieser zwar nicht, war im Grunde aber auch froh darüber, da er die Antwort sowieso nicht wusste. „Eigentlich… Ich glaube, es war dasselbe wie bei Gogo, ich habe unüberlegt gehandelt.“ antwortete sie schüchtern und mit gesenktem Blick. „Mein Feuer konnte seinem Schild nichts anhaben und ich war auch zu langsam, um hinter seine Deckung zu kommen.“ fügte Fred noch hinzu, die Frage seines Vaters gar nicht erst abwartend. Dieser überlegte einen Moment. „Was ist mit dir, Hiro?“ Hiro wusste, dass diese Frage kommen würde, und er wusste auch die eigentliche Antwort darauf. „Ich habe zu vorschnell reagiert und nicht auf meine Kameraden gewartet. Ich dachte, dass Baymax und ich das auch alleine schaffen würden.“ Verlegen kratzte der Junge sich am Nacken und wagte es nicht, seinen Freunden in die Augen zu sehen. Seine linke Hand versenkte er in seiner Hosentasche, fühlte das harte Plastik, dass den Chip mit Baymax‘ Programmierung beinhaltete. „Ja, das leuchtet ein. Und Baymax ist…?“ „Der Roboter meines Bruders, unser sechstes Mitglied.“ antwortete Hiro. „Ich verstehe. Nun, da ich weder die Kampfart noch die Bauweise deines Roboters kenne, kann ich dir dazu nicht viel sagen. Aber ich gehe mal davon aus, dass du ihn wieder aufbauen wirst.“ Hiro nickte und verstärkte den Griff um den Chip. Ich mache dich besser und stärker als je zuvor. Du wirst nie wieder vor meinen Augen in Stücke gerissen werden. Er biss sich in die Unterlippe, bis es beinahe schmerzte, als Freds Vater fortfuhr. „Ich glaube, euer Hauptproblem war die mangelnde Koordination bei diesem Angriff, wenn ich das richtig verstehe. Ihr seid offenbar Hals über Kopf in den Kampf gestürmt, ohne zu überlegen, in welche Gefahr ihr euch begebt.“ Seine Freunde ließen die Köpfe sinken und auch Hiro beschlich ein Gefühl von Scham. „Ihr habt Glück gehabt. Es gibt auch Feinde, die mit dem Willen zu töten auf euch losgehen.“ fuhr der alte Mann fort, doch Hiro erwiderte „Sein Partner sagte, er wolle niemanden töten…“ „Ja, aber wusstet ihr das zu diesem Zeitpunkt? Könnt ihr euch darauf verlassen, dass dieser Feind auch dann noch an seinen Prinzipien festhält, wenn für ihn alles auf dem Spiel steht?“ Er blickte jedem abwechselnd in die Augen. „Jeder Mensch hat etwas, was ihn antreibt und was der Grund für sein Handeln darstellt. Glaubt nicht, einen Gegner zu kennen, nur weil ihr ihm ein paarmal begegnet seid.“ Er seufzte kurz und lächelte sie dann an. „Ich werde mich in den nächsten Tagen und Wochen um eure Ausbildung kümmern. Ich werde euch alles über das Leben eines Superhelden beibringen, was ich weiß, und euch mit allem unterstützen, was ich habe. Darauf habt ihr mein Wort.“ Er zeigte auf Gogo und Fred. „Ihr beide werdet morgen zurückfliegen und aus Hiros Haus retten, was es zu retten gibt. Hiro…“ er sah ihn an. „…Heathcliff und du, ihr werdet euch darum kümmern, dass das Labor mit all dem ausgerüstet wird, was du benötigst. Wasabi…“ Der Angesprochene ließ ein leises Wimmern vernehmen. „… wir beide werden uns um deine Angriffstechniken kümmern. Honey? Magst du dem beiwohnen? Ich bin mir sicher, dass ich auch dir noch den ein oder anderen Kniff beibringen kann.“ Sie nickte aufgeregt und Freds Vater lachte leise. „Das wird eine anstrengende Zeit für euch, dafür werde ich sorgen.“ Kapitel 16: Trümmersuche ------------------------ Der Tag war noch jung. Im Osten schob die Sonne sich am Horizont über das Meer, umrandet von dunklen, grauen Wolken, während vor ihnen die bunten, mit schimmerndem Glas bestückten Hochhäuser der Stadt lagen, an deren Dächern ihre zahlreichen Ballons still an ihren Ketten hingen. Gogo ließ den Blick über die bunten Stahlkugeln schweifen und hoffte ein wenig darauf, eine schwarze Silhouette zu erblicken. Der Wind war heftig, ließ den Helikopter mit jeder Böe laut rumpeln und das leise Knistern in ihrem Ohr brachte sie langsam aber sicher an den Rand der Verzweiflung. Hiro hatte mit Hilfe von Freds Vater in der Nacht noch eine kleine, wie Fred sie nannte, Spionageausrüstung gebastelt, bestehend aus einem kleinen Mikro und Lautsprecher in Form eines unauffälligen Knopfes auf der Innenseite ihres linken Ohres. Doch seit etwa einer halben Stunde hörte sie nur noch Rauschen, mal lauter, mal leiser. Offenbar schien etwas das Signal zu stören und sie hoffte inständig, dass Hiro bereits an einer Lösung saß, sonst würde sie sich gezwungen sehen, dass Ding in den Fluten des Meeres zu versenken. Fred hingegen saß ihr ruhig gegenüber und las einmal mehr in seinen Comics, die Welt um sich herum völlig vergessend. Auch er hatte einen solchen Lautsprecher bekommen, doch schien es so, als würde ihn das Rauschen nicht im Mindesten stören. Vielleicht war sie auch einfach nur gereizt. Die letzten Tage wollten einfach nicht aus ihrem Kopf verschwinden. Sie versuchte es sich nicht ansehen zu lassen, was ihr scheinbar recht gut gelang, und ihre Gedanken und Energie auf das, was vor ihnen lag, zu fokussieren. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie Angst. Angst, dass sie dem Gegner womöglich nicht gewachsen waren. Angst, dass man ihrer Familie etwas antun würde. Angst, dass ihren Freunden etwas geschehen könnte. „Gog…? Fred? Könn… ihr mi… hör…?“ Der Hörer knisterte leise bei jedem Wort, doch konnte Gogo einigermaßen verstehen, was die Stimme gesagt hatte. „Ja, aber nur schwer.“ gab sie zurück und Fred hob den Kopf. „Mo… ent.“ kam seine Antwort. Kurz hörte sie nur Rauschen, bis mit einem Mal die Stimme von Mr. Zilla erklang. „So, das sollte jetzt klappen. Könnt ihr mich hören?“ „Klar und deutlich, Dad.“ Fred grinste über beide Ohren. „Diese Spionageausrüstung ist der Hammer. Wie bei 007.“ „Freut mich, dass es dir so gut gefällt, Fred.“ antwortete Hiro und der alte Mann fügte hinzu „Hätten wir die Zeit gehabt, hätten wir euch auch mit kleinen Kameras fürs Auge ausgestattet, aber nun muss es so gehen.“ „Ich denke, es ist Zeit, dass du uns erklärst, was genau wir überhaupt suchen sollen.“ erwiderte Gogo. Sie wusste zwar, wo Hiro seine Werkstatt hatte, doch hatte sie keine Ahnung, welchen der zahlreichen Computer sie eigentlich suchen mussten. Hiro schien kurz zu überlegen. „Okay, hört zu. Wenn ihr das Haus betretet, im zweiten Stock direkt auf der linken Seite. Dort steht mein Computer, auf dem ich die Backups gespeichert hatte.“ „Was, wenn der es nicht überstanden hat?“ fragte Fred. „Wenn dem so ist, bleibt nur noch der in der Garage. Ihr müsst beim ersten die dritte Platine, die unterste, herausnehmen. Dort habe ich die Dateien für eure Upgrades gespeichert. Wenn ihr in der Garage suchen müsst, es ist der Computer direkt rechts, wenn ihr rein kommt.“ Gogo fiel ein, dass ein solcher dort stand. „Der mit dem grünen Bildschirm?“ „Ja, genau der.“ Fred winkte ab und lachte kurz. „Das wird ein Kinderspiel. Mach dir keine Gedanken.“ „Was ist mit der Polizei? Sie werden das Haus doch bestimmt schon durchsucht haben.“ warf Gogo ein. „Mach dir um die keine Sorgen. Mein Name hat bei manchen der alten Hasen noch Gewicht. Ich habe alles geklärt.“ erklärte Freds Vater ihr. Das erstaunte sie, doch sagte sie nichts dazu. Indes fuhr er fort „Sie haben das Gebiet lediglich abgesperrt, aber ihr werdet durchgelassen. Sucht nach einem Beamten mit dem Namen Wilkins. Er ist ein alter Freund von mir und er wird euch weiterhelfen. Wir haben allerdings nur den heutigen Tag für die Suche, danach wird sich die Polizei darum kümmern. Mehr konnte ich leider nicht erreichen. Ich versuche, meine Beziehungen etwas spielen zu lassen und die Untersuchungen zu verfolgen.“ „Wie ist denn die offizielle Stellungnahme?“ wollte Gogo wissen. „Gasexplosion, damit die Einwohner und Nachbarn nicht in Unruhe verfallen.“ antwortete Freds Vater ihr. „Alles Roger, Otacon!“ schallte Freds Stimme durch die Lautsprecher, worauf ein Seufzer von Seiten Hiros folgte. „Das ist kein Videospiel, Fred. Passt einfach auf, wenn ihr das Haus durchsucht. Wer weiß, ob dieser Irre nicht noch etwas hinterlassen hat.“ „Das Durchsuchen eines zerstörten Hauses kann bei Unachtsamkeit zu Personenschäden führen.“ meldete sich mit einem Mal eine metallene Stimme zu Wort. „Ist das Baymax?“ fragte Fred aufgeregt. „Ja, das ist er.“ antwortete Hiro stolz. „Hast du ihn wieder zusammengeflickt?“ hakte Gogo nach. Sie hatte davon überhaupt nichts mitbekommen. „Nicht ganz. Ich habe lediglich seine Programmierung vom Chip übernommen und ihm einen Avatar auf dem Computer hier gegeben.“ „Meine Kapazitäten sind eingeschränkt. Ich kann nicht auf meine Datenbank zugreifen.“ berichtete Baymax und Hiro seufzte leise. Mr. Zilla sprach ins Mikro „Die Computer hier sind nicht auf dem neusten Stand, aber bis die neuen heute Nachmittag eintreffen, muss das erst einmal ausreichen.“ „Ich kann versuchen, seine Programmierung ein wenig zu vereinfachen.“ murmelte Hiro leise, wohl mehr zu sich selbst. „Ihr solltet in wenigen Minuten bei meinem Anwesen landen.“ Fred schien das nicht zu überraschen, doch Gogo runzelte die Stirn. „Der Flug kam mir sehr viel kürzer vor als gestern.“ Mr. Zilla lachte „Heathcliff hatte bei eurer Anreise eine andere Route gewählt, da wir nicht ausschließen konnten, dass ihr verfolgt werdet.“ „Warum sollte man uns verfolgen?“ wunderte Fred sich. „Sicher ist sicher.“ Dem musste Gogo zustimmen und für die nächsten Minuten herrschte Ruhe, bis der Heli mit einem leichten Rumpeln auf dem Landeplatz des Anwesens aufkam. Als sie sich abgeschnallt hatten, öffnete sich die Seitentür und das strenge Gesicht Heathcliffs blickte zu ihnen herein. „Ich werde den Helikopter betanken und mich unverzüglich wieder auf den Weg machen. Denken Sie daran, heute Abend um Punkt fünf wieder hier zu sein.“ „Machen wir, Faust drauf.“ erwiderte Fred, als er an ihm vorbei ausstieg und schlug auf die Faust des Heathcliffs. Auch als Gogo ausstieg, hielt der Butler seine Geste noch aufrecht, die sie jedoch nicht erwiderte. Zusammen mit Fred verließen sie den Garten in Richtung Straße und stiegen in die nächstbeste Bahn in Richtung Hiros ehemaligem Zuhause ein. Es war eigentlich eine etwas längere Fahrt, doch verging für Gogo die Zeit beinahe wie im Flug. Als sie an der richtigen Haltestelle austeigen, bogen sie direkt in die Straße zum Lucky Cat Café ein. Schon von Weitem konnten sie das Gebäude erkennen, denn es unterschied sich deutlich zu den anderen. Die Straße war gesäubert worden und der Verkehr nahm seinen gewohnten Gang. Vor dem geschwärzten, hölzernen Skelett des oberen Teils des Hauses hatte man gelbe Absperrbänder der Polizei gezogen und ein Streifenwagen stand in der Parklücke vor dem Ort, wo eigentlich die Tür gestanden hatte. „Das wird er sein.“ murmelte Fred zu Gogo, während ein großgewachsener Mann aus dem Auto stieg. Fred schien ganz aufgeregt und kicherte leise. „Das ist so cool.“ flüsterte er, als sie an den Beamten herangetreten waren. „Guten Morgen.“ grüßte er sie mit seiner tiefen Stimme und sah die beiden dabei abwechselnd an. Fred erwiderte in gespielter Agentenstimme „Guten Morgen, Officer.“ Mit leicht irritiertem Gesichtsausdruck über diese seltsame Stimme fragte er zu Gogo gerichtet „Seid ihr das angekündigte Untersuchungsteam der Versicherung?“ Gogo wusste nicht, was das sollte, als ihr plötzlich eine böse Vermutung kam. Dahinter steckte garantiert der alte Mann. Sie versuchte zuversichtlich zu klingen. „Ja, das sind wir.“ Der Polizist nickte und wies sie mit einem Zwinkern zu dem Gebäude. „Nun dann, folgen Sie mir, Mr. Zilla und Miss Tomago von der Versicherung.“ Man tat wie geheißen und folgte. Wütend flüsterte Gogo „Hätte uns vielleicht einer über diese Versicherung aufklären können?“ doch kam von der anderen Seite keine Antwort. Der Beamte führte sie durch die Absperrung hinein in den Raum, welcher einmal das Café gewesen war. Nichts erinnerte mehr an die gemütlichen Stühle an den runden Tischen, die hier überall gestanden hatten. Der Tresen, an dem sonst Tante Cass stand und die Wünsche der Kunden entgegen nahm, sowie die gesamte Küche lagen unter einem Berg aus Schutt und Asche begraben. Die Treppe ins Obergeschoss konnte man nur noch mit viel Fantasie als solche bezeichnen, glich sie doch eher den Überresten eines Lagerfeuers. In Gogos Magen machte sich ein Gefühl des Unbehagens breit. An diesem Ort hingen so viele Erinnerungen, es war in all den Jahren beinahe wie ein zweites Zuhause geworden. Sie erinnerte sich noch an die Tage, an denen sie gemeinsam mit Tadashi an einem der zahlreichen Tische gesessen hatte und über alles Mögliche geredet hatten. An das erste Mal, als sie die scharfen Chicken Wings von Tante Cass ausprobiert hatten, bevor diese zu Tadashis Lieblingsspeise wurden. An den Tag, als Fred seinen Lieblingscomic völlig mit der Milch seiner Cornflakes eingesaut hatte und gefühlte Stunden am Boden zerstört war, ehe er auf einmal auf das Cover blickte und lachend meinte, dass er ja eigentlich noch zwei Exemplare davon besaß. Ihr Blick fiel auf den Platz, an dem eine besondere Erinnerung hing. Von draußen drang das Sonnenlicht durch die Löcher in der Wand und tauchte mit dem reflektierenden Staub diesen Platz in ein seltsames Licht. Es war beinahe surreal, wie aus einem schlechten Romantikfilm. Sie erinnerte sich an den Abend vor der Messe, an dem sie gemeinsam mit den beiden Brüdern hier gesessen und versucht hatten, Hiro Mut zuzusprechen. Wehmütig stand Gogo vor der Stelle, an der an jenem Abend der Tisch gestanden hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Runde. Wasabi, der sich mit Fred darüber lautstark unterhielt, dass er nichts Scharfes mehr zu essen fand. Oder Honey, die mit leuchtenden Augen auf die Brüder eingeredet hatte, und ihnen vorbetete, wie süß es doch sei, dass sie so gut zusammenarbeiten würden. Gogo selbst hatte neben Hiro gesessen und ihm ein ums andere Mal mit der Faust gegen die Schulter geboxt, wenn er wieder überheblich oder frech geworden war. Ohne, dass sie es bemerkt hatte, war Fred neben sie getreten. Jedoch sprach er kein Wort, wofür Gogo dankbar war. Er selbst sah mit einer Mischung aus Freude und Trauer an die Stelle, an der ihr Tisch gestanden hatte. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bevor Gogo sich davon losreißen konnte. „Komm, Fred. Wir sollten anfangen zu suchen.“ murmelte sie ihm zu, als sie an ihm vorbeiging und ohne ein weiteres Wort folgte er ihr. „Das Beste wird sein, wir teilen uns auf. Du übernimmst hier und ich die Garage.“ Er lächelte sie in seiner unschuldigen Art an und es half tatsächlich ein wenig. Grinsend sagte er „Roger, Miss Tomago.“ Sie seufzte kurz und boxte ihn gegen die Schulter, ehe sie an ihm vorbei in den Innenhof ging. Auch dieser Bereich war gesäubert und abgesperrt worden, doch sah es beileibe nicht so schlimm aus, wie das Café. „Hiro?“ Aus dem Lautsprecher kam ein kurzes Rauschen, ehe sich der Junge meldete „Ja, ich kann dich hören. Habt ihr was?“ Gogo trat an das Garagentor heran und hob es vorsichtig hoch, während sie antwortete. „Noch nicht, aber es sieht so aus...“ Kurz unterbrach sie sich und wartete darauf, dass sich ihre Augen an die Dunkelheit der Garage gewöhnten. „...Als ob deine Werkstatt kaum Schaden davon getragen hat.“ Vor ihr breitete sich ein Chaos aus Werkzeugen, Backsteine, Stühlen, Tischen und Werkbanken aus, doch sah nichts davon wirklich verbrannt aus. In der linken Ecke des Raumes, da wo es an das Café angrenzte, klaffte ein riesiges, geschwärztes Loch, welches sich über die halbe Decke zog. Der Boden darunter war übersät mit gebrochenen Backsteinen und Holzsplittern. Die Werkbank und den 3D - Drucker an dieser Ecke hatte es völlig zerrissen. „Ist das dein Ernst?“ schallte die erstaunte Stimme Hiros durch den Lautsprecher. „Ich will nichts versprechen, aber es sieht nur nach oberflächlichen Schäden aus. Die Decke und Teile der Wand scheinen zwar weggesprengt worden zu sein, doch sieht es nicht danach aus, als hätte das Feuer die Garage erreicht.“ „Ja! Ja! Ja!“ Hiro flippte völlig aus und es klang so, als würde er tanzen. Für einen kurzen Moment, flüchtig wie Staub im Wind, fühlte es sich so an, als würde sie nicht mit Hiro, sondern mit Tadashi reden. Diese unbändige Freude von ihm, wenn etwas funktionierte, wenn eine Last von seinen Schultern fiel. Für nur einen kurzen Moment war alles wie früher. „Hast du den Computer gefunden?“ fragte Hiro mit einem Mal und holte Gogo aus ihren Gedanken. Jetzt fiel ihr wieder ein, warum sie überhaupt hier waren. Schnell blickte sie sich um und erspähte die Stelle, von der Hiro gesprochen hatte. Den Computer hatte es von den Füßen gehauen und er lag seitlich an der Wand. Das metallene Gehäuse war verbogen und auch einige Holzsplitter und Steine hatten sich in das Metall gebohrt. „Ich hab den Computer.“ sagte Gogo ihm, während sie versuchte das Gehäuse zu entfernen. Einen kurzen Wutausbruch und die Anwendung von Gewalt später, lag das Innere des Computers frei. „Welche Platine?“ „Die Zweite müsste es sein.“ Die genannte Festplatte war leicht verbogen und demoliert, schien aber sonst intakt zu sein. „Die ist etwas verbogen, aber die Daten müssten wir retten können.“ sagte Gogo und wieder schien Hiro zu tanzen. „Bitte lass Vorsicht walten. Du könntest dich verletzen.“ hörte sie die mahnende Stimme von Baymax und auch sie musste ein wenig schmunzeln. „Fred, wie sieht es bei dir aus?“ fragte Hiro schließlich nach einer kurzen Pause. „Tut mir leid, aber hier oben ist nichts mehr zu gebrauchen. Alles ist abgebrannt oder zerstört.“ „Das macht nichts.“ antwortete Hiro „Die Hauptsache ist, wir haben die Platine.“ „Wir treffen uns wieder im Café, Fred.“ fügte Gogo noch hinzu und machte sich auf dem Weg nach oben. Dort angekommen verstauten sie die Platine in Freds Tasche. „Mission erfüllt!“ Gogo nickte und war heilfroh darüber. Ein kleiner, aber wichtiger Sieg. „Hey!“ rief plötzlich Fred freudig und winkte in Richtung Straße. Als Gogo seinem Blick folgte, erkannte sie den Grund dafür. Unten, da wo einst der Eingang gewesen war, stand Naoko und schien sich mit dem Polizisten zu unterhalten, als er Freds Gruß mit überraschter Miene erwiderte. „Nein, du Idiot!“ schallte Gogo ihm entgegen und versuchte, dabei leise zu sein und Fred davon abzuhalten, zu ihm zu gehen, doch es war zu spät. Sie scheinbar überhörend, ging er mit sicherem Schritt die Trümmer hinab und, ehe man es sich versah, stand er neben ihm. „Hey!“ wiederholte er und hielt Naoko seine Faust hin. Zögerlich erwiderte Naoko diese und bevor der Beamte etwas sagen konnte, unterbrach Fred ihn schon. „Alles cool, der gehört zu uns.“ Dieser sah ihn ungläubig an, erwiderte aber „Tut mir leid, aber es war nur von Ihnen beiden die Rede gewesen. Ich habe strikte Anweisungen, niemanden sonst hinein zu lassen.“ „Das geht in Ordnung.“ antwortete Naoko und wandte sich wieder Fred zu. „Was zur Hölle ist hier passiert?“ Das war zu viel für Gogo und, als der Angesprochene gerade den Mund öffnen wollte, fiel sie ihm ins Wort. „Eine Gasexplosion.“ Naoko sah sie mit einer Mischung aus Überraschung und Verwirrung an. „Eine Explosion? Was ist mit…?“ „Ihnen geht es gut, Keule. Hiro hat nur ein paar Rippen gebrochen, aber sonst ist er völlig fit.“ antwortete Fred und lächelte dabei wissend, zumindest so lange, bis Gogo ihm ihre Faust in die Rippen schlug. „Liegt er im Krankenhaus?“ Gogo schüttelte den Kopf und Fred nickte zustimmend. „Was ist da los?“ hörte Gogo die Stimme Hiros in ihrem Ohr. Naoko indes schien nun völlig verwirrt. „Wie denn jetzt?“ Gogo wandte sich zu Fred, die Frage ignorierend. „Fred, wie wäre es, wenn du mal weitersuchst? Ich kläre das.“ „Aber wir haben doch schon...“ „Geh bitte einfach.“ Fred blicke sie ratlos an und sah noch einmal zu Naoko, ehe er den Trümmerberg wieder raufstieg und im Haus verschwand. Gogo seufzte genervt. „Alles in Ordnung bei dir?“ fragte Naoko sie mit sorgenvoller Stimme. Sie nickte. „Ja, alles okay, aber was machst du eigentlich hier?“ Naoko griff in seinen Rucksack und zog einen kleinen schwarzen Zylinder heraus. „Ich habe Hiro Ersatz für seinen zerstörten Superkondensator besorgt, den er mir geliehen hatte, und wollte ihm den vorbeibringen. Geht es Hiro und seiner Tante gut?“ „Ja, ihnen geht es gut. Sie waren… nicht Zuhause, als sich die Explosion ereignete.“ „Wie hat Hiro sich denn die Rippen gebrochen? Nach Fred klang es eher so, als ob er hier gewesen wäre.“ Gogo hätte Fred am liebsten erwürgt, für sein Plappermaul, aber das würde sie wohl verschieben müssen. Zuerst musste sie sich darum kümmern, dass Naoko nichts von all dem hier erfuhr. „Ja, er hat ein, zwei Rippen gebrochen, aber das ist kaum der Rede wert. Er befand sich außerhalb des Hauses,… wurde aber von der Explosion erfasst. Ihm geht es gut.“ Sie konnte nicht sagen, ob er ihr glaubte, so schnell wie sie die Antworten runter ratterte. Eigentlich konnte sie ihn überhaupt nicht lesen oder nur schwer. „Wo ist er denn?“ fragte er sie. „Er ist bei Verwandten untergekommen, bis sie eine neue Bleibe gefunden haben.“ „Das ist gut. Nett, dass sie ihnen helfen“ Gogo nickte eifrig, doch musste sie sich schnell etwas einfallen lassen. „Ja… ein entfernter Onkel seiner Tante… Hab auch erst dann von ihm erfahren.“ „Verstehe, du weißt also auch nicht mehr.“ Sie verneinte. „Nun gut.“ Er atmete laut aus und lächelte sie dann wieder auf seine unschuldige Art an. „Dann muss ich es ihm wohl geben, wenn er bald wieder in der Uni ist.“ „Ja, mach das.“ stimmte Gogo ihm zu und es folgte eine unangenehme Pause, in der sie versuchte, seinem Blick auszuweichen. Sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, ihn zu belügen, jedoch wollte sie ihn nicht auch noch mit da hineinziehen. Je weniger wussten, wo Hiro sich momentan aufhielt, desto besser. Fieberhaft versuchte sie, das Thema zu wechseln, bis ihr der Ausflug mit ihm wieder einfiel. „Hast du unseren Flug eigentlich schon ausgewertet?“ Er sah sie überrascht an, strahlte dann aber förmlich. „Allerdings und ich bin ein wenig stolz auf mich, dass es so gut geklappt hat.“ „Also nie wieder Müllprothesen dafür?“ Sie konnte es nicht verwerfen, aber der Gedanke, dass er mit diesem instabilen Ding solche Manöver ausgeführt hatte, machte ihr Angst, doch er verneinte lächelnd. „Nein, ich nehme jetzt nur noch diese dafür. Ich muss zwar noch ein paar Verbesserungen austüfteln, aber ich denke, den Test hat sie bestanden.“ Er senkte kurz den Blick, ehe er fortfuhr. „Ich hatte mich gefragt, ob du mir auch bei weiteren Tests helfen magst? Im Gegenzug würde ich dir selbstverständlich auch bei deinen helfen.“ Ihr Herz machte einen kurzen Hüpfer, bei dem Gedanken, wieder mit ihm über den Dächern der Stadt zu fliegen. „Oder, wenn es dir lieber ist…“ Er machte eine kurze Pause „… könnten ich dich ja als Dank für deine Hilfe mal zum Essen einladen.“ Sie wusste nicht, wie sie am besten darauf reagieren sollte, also antwortete sie nur mit einem knappen „Klar.“, auch aus der Angst heraus, er würde ihre Nervosität bemerken. Die Antwort schien ihn zu erleichtern. „Super.“ Er strahlte wie ein kleines Kind an Weihnachten. „Nun gut. Ich sollte mich dann wieder auf den Weg machen. Ich schreib dir dann, wenn ich was zum Testen habe.“ Sie nickte und er fügte noch hinzu „Dann grüß Hiro von mir und wünsch ihm gute Besserung.“ „Ja, mache ich.“ Er hob die Hand zum Abschied und sagte noch „Bye“, ehe er in der nächsten Seitenstraße verschwunden war. Gogo wusste nicht, wie sie sich fühlen sollte. Sie war aufgeregt und traurig zugleich. Es störte sie, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagen konnte. Die kurze Stille seines Abgangs währte jedoch nicht lange, als die Stimme Hiros durch den Lautsprecher knatterte. „Was war das bitte, Gogo?“ Sie wurde kreidebleich und das Herz sackte ihr in die Hose. Das Mikro hatte sie völlig vergessen. Am anderen Ende der Leitung ertönte die quietschende Stimme Honeys. „Oh Gott, war das süß! Er hat dich um ein Date gebeten!“ „Unser taffes Mädel hat Muffensausen, ach it dat knuffig.“ fügte Wasabi hinzu und Gogo wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. „Sieht ganz so aus, als würden wir dich wohl jetzt mit ihm teilen müssen.“ gluckste Fred ins Mikro. „Und von welchem Ausflug war die Rede? Du musst mir alles erzählen?!“ brachte Honey noch hysterisch ein. „Ach, haltet doch die Klappe!“ Sie hätte ihnen allen am liebsten eine gescheuert. Wütend stapfte sie wieder ins Haus. „Fred, beweg dich, wir haben einen Termin mit Heathcliff.“ Der Angesprochene erhob sich aus seinem Versteck, von dem aus er alles sehen konnte, wie Gogo erschreckend feststellen musste. „Keine Panik, Wonderwoman. Wir haben noch Zeit, wenn du deinem Superman noch hinterherlaufen magst.“ Das war zu viel. Mit voller Wucht schlug sie ihm in den Magen und keuchend wie lachend brach Fred zusammen. Sie ergriff seine Tasche und machte sich wütend stampfend auf den Weg aus dem Café. „Gogo? Fred? Wartet bitte!“ unterbrach sie auf einmal die Stimme Hiros. Er klang seltsam aufgeregt. Als Fred zu ihr aufgeschlossen hatte, fragte er „Wieso? Was ist denn?“ „Wir haben gerade die neuen Computer angeschlossen und Baymax‘ Avatar darauf geladen.“ „Ja, und?“ fragte Gogo leicht gereizt. „Nun, offensichtlich ist es ihm gelungen, diesen Gunner zu scannen, als er seinen Helm ausgezogen hatte!“ Fred und Gogo sahen sich erstaunt an. „Ist das dein Ernst? Ich dachte, er hätte Baymax abgeknallt?“ hakte Fred ungläubig nach. „Er hatte ihm nur den Arm weggeschossen und wohl einige seiner Hydraulikschläuche zerissen. Baymax konnte sich nicht mehr bewegen, aber den Scanner funktionierte noch.“ Gogo konnte es nicht fassen, sie hatten ihn. „Das heißt, wir können ihn finden.“ fügte sie hinzu. Endlich würden sie es ihnen heimzahlen können. „Ja…“ Hiro zögerte. „Was ist denn?“ wollte sie wissen. „Es gibt da ein kleines Problem. Da Baymax momentan nicht scannen kann, hat er die noch abgespeicherten Werte der letzten Monate durchforstet.“ „Und? Was hat er gefunden?“ fragte Fred völlig aufgeregt. „Bei der Überprüfung ist ihm eine Anomalie aufgefallen. Offenbar besitzt sein Genom eine gewisse Ähnlichkeit mit der von Naoko.“ Gogo fiel aus allen Wolken. Was hatte das zu bedeuten? „Gunner scheint ein Verwandter von ihm zu sein. Wir konnten den Grad der Verwandtschaft noch nicht ausmachen, aber das, was wir haben, ist unumstößlich.“ Für Gogo brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Das konnte einfach nicht sein. Er hatte ihr nie etwas von seiner Familie erzählt und sie hatte so gehofft, dass jedwede Verbindung zu den Dieben nur Freds kindlicher und comicverseuchter Fantasie entsprungen war. „Jeder Zweifel ausgeschlossen?“ fragte Fred vorsichtig und blickte mitleidig zu ihr hinüber. „Ja.“ war Hiros kurze Antwort. Für einen Augenblick sagte er nichts mehr, bis er hinzufügte „Wir werden um einen Besuch nicht herumkommen, denke ich.“ „Nein, werden wir nicht.“ antwortete Gogo ihm und versuchte zuversichtlich wie immer zu klingen. „Macht euch auf den Weg zum Helikopter, damit wir die Daten auswerten können.“ befahl Hiro und Fred erwiderte „Sollten wir nicht erst einmal der Spur nachgehen?“ „Nein, noch nicht. Du weißt doch, was dein Vater gesagt hat. Wir müssen uns erst vorbereiten.“ Gogo nickte zustimmend und Fred sagte „Gut, wir machen uns auf den Weg.“ Kapitel 17: Familie ------------------- Nur noch ein paar Meter und er wäre vor dem strömenden Regen in Sicherheit. Gerade, als er die Straße des Krankenhauses eingeschlagen hatte, hatten sich die Wolken geöffnet und ihre kalte Flut durchströmte nun jeden Winkel dieser Stadt. Er beschleunigte seine Schritte, als er den Parkplatz erreichte. Das Shirt klebte auf seiner Haut und er machte sich Sorgen um seine Prothese. Er hatte sie zwar so stabil gemacht, wie es möglich war, doch wurde sie nie dahingehend getestet, ob sie auch wasserdicht war. Ein beherzter Sprung über die Stufen der Treppe, schnell durch die Drehtür und der gewohnte Geruch von Latex-Handschuhen und Desinfektionsmittel stieg ihm in Nase. „Guten Tag, Herr Yamoro.“ begrüßte ihn die Rezeptionsdame mit ihrem gewohnten, gut gelaunten Lächeln. „Hallo.“ gab Naoko mit einer kurzen Handbewegung zurück, bevor er in den Aufzug eintrat, der sich nach einem Schlag auf die leuchtenden Knöpfe rumpelnd in Bewegung setzte. Eine kurze Fahrt später, von dem Klingeln der öffnenden Fahrstuhltür begleitet, ging er im schnellen Schritt auf dem Gang entlang, auf das Zimmer seiner Schwester zu. Ich hoffe, ihr gefällt das Geschenk dachte er noch, ehe er die Tür öffnete. „... und im Jahre 1945 hatte er dann den Nobelpreis für seine Arbeit.“ schallte ihm eine tiefe Stimme entgegen und er erkannte einen Mann, der seiner Schwester gegenüber auf dem Stuhl saß und sich mit ihr unterhielt. Als Naoko eintrat, wandten die beiden den Blick zur Tür. Sora winkte ihm freudig und rief „Hey!“ zu ihm, während der Mann breit grinste und sein strubbeliger Bart sich dabei grotesk in die Breite zog. „Onkel Oda.“ bemerkte Naoko vorsichtig. „Guten Tag, Neffe. Schön, dich zu sehen.“ sprach er mit sanfter Stimme. „Was machst du hier?“ fragte Naoko ihn und schloss die Tür hinter sich. „Ach, ich war gerade in der Nähe, da dachte ich, ich könnte mal eben auf einen Sprung hereinkommen und meine kleine Nichte besuchen.“ Er sah wieder zu Sora und erhob sich. „Allerdings wird es wohl langsam Zeit, dass ich mich auf den Weg mache.“ Als sein Onkel an Naoko vorbeischritt, sagte er noch „Auf ein Wort.“ zu ihm und wies ihn mit einer Handbewegung, ihm auf den Gang zu folgen. Ohne zu zögern folgte er ihm, denn er hatte auch etwas zu sagen. „Was willst du hier?“ fuhr er ihn direkt zischend an, ohne seine ersten Worte abzuwarten. Er sah ihn erstaunt an „Kein Grund, gleich an die Decke zu gehen. Ich habe meiner süßen Nichte nur einen kleinen Besuch abgestattet, wie ich gesagt habe.“ Wütend griff Naoko den Mann an der Jacke. Hob ihn kurz hoch und drückte ihn gegen die gegenüberliegende Wand. „Tu nicht so, du schmieriger Bastard! Du tust nichts, ohne dass es dir einen Vorteil bringt!“ zischte Naoko nun eindringlicher. „Diese Wut. Hast du schon wieder deine Medikamente vergessen? Mit einer Erkrankung wie deiner sollte man nicht spaßen.“ bemerkte sein Onkel mit gespielt sorgenvoller Stimme. „Um mich mach dir mal keine Sorgen. Ich will eine Antwort!“ Naokos Geduld neigte sich dem Ende und er musste sich beherrschen, ihn nicht einfach an Ort und Stelle zu verprügeln. „Meine Herren, gibt es ein Problem?“ fragte mit einem Mal eine Frauenstimme und riss Naoko heraus. Neben ihnen stand Soras Ärztin und sah die beiden mit ärgerlicher Miene an. Naoko ließ knurrend von seinem Onkel ab. „Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.“ „Dann sollten sie das draußen klären.“ erwiderte sie streng und lenkte ihre Schritte in Richtung Soras Zimmer. „Das wird nicht nötig sein.“ antwortete sein Onkel mit höflichem Ton. „Wir werden uns zusammenreißen.“ Als die Frau im Zimmer verschwunden war, nicht ohne einen letzten, strengen Blick auf die Beiden zu werfen, widmete sich Naoko wieder Oda. „Beantworte meine Frage.“ Sein Gegenüber lachte leise. „Junge, du solltest wirklich deine Medikamente nehmen, sonst wirst du mal jemanden umbringen.“ Er machte eine kurze Pause und atmete hörbar aus, bevor er fortfuhr. „Dein Vater hat mir erzählt, dass du in die Familientradition einsteigen wirst. Er scheint sich wirklich darauf zu freuen, dir das Schmieden deiner eigenen Waffe beizubringen. Weiß er denn nicht, dass du das schon längst kannst?“ Naoko drückte seine Finger so sehr zu einer Faust zusammen, dass diese begannen, taub zu werden, und die Prothese anfing zu knacken. „Ein Wort und du wirst dir auch eine Prothese anschaffen müssen.“ Wieder lachte er. „Und wer, mein Lieber, bezahlt dann die Rechnungen deiner Schwester? Du etwa?“ Diese Worte waren wie ein Stich in sein Herz. Er konnte es nicht ertragen, dass der Einzige in der Familie sein Onkel war, der die Kosten ihrer Behandlung bezahlen konnte. Dass er völlig machtlos war und nichts dagegen tun konnte. „Das dachte ich mir.“ antwortete sein Onkel nur. „Du willst wissen, was ich hier mache? Ich überwache meine Investition. Du solltest also mit der Wahl deiner Worte etwas vorsichtiger sein.“ Naoko biss die Zähne zusammen, dass sie knirschten. Er wusste nicht, was er erwidern sollte, und blieb daher still. „Wie ich hörte, hat dir dein Vater von seinen Taten erzählt. Erstaunlich, oder?“ Naoko ging nicht darauf ein. Es stimmte, dass sein Vater ihm von all den Raubzügen und Diebstählen erzählt hatte, doch hatte nur mit einem halben Ohr zugehört. Die Aktivitäten seines Vaters waren ihm bereits bekannt gewesen, doch hatte er dazu nie etwas gesagt. Solange es ihn oder seine Schwester nicht betraf, war es ihm egal, was er über sich erzählte. „Aber das ist für dich ja kein Geheimnis gewesen, nicht wahr?“ fragte sein Onkel und schritt ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Mit hängendem Kopf und dem Wunsch, an irgendetwas seine unglaubliche Wut auszulassen, blieb Naoko im Gang stehen. Er atmete laut aus, versuchte sich zu beruhigen, seinen Puls wieder zu senken. Es dauerte nicht lange, da wurde die Tür zu Soras Zimmer wieder geöffnet und die Ärztin verließ den Raum. Ohne ein weiteres Wort ging er an ihr vorbei ins Zimmer. „Was war los?“ fragte ihn seine Schwester neugierig, als er eintrat und die Tür hinter sich schloss. „Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, nichts weiter.“ winkte Naoko ab, griff nach dem Stuhl, auf dem vor kurzem noch sein Onkel gesessen hatte, und setzte sich neben Sora ans Bett. „Was wollte er?“ hakte er vorsichtig nach. „Ach, er hat nur gefragt, wie es mir geht. Was die Ärzte so sagen, wie es der Familie geht und wie es dir geht. Dann hat er mir von einem Alexander Fleming erzählt.“ Naoko konnte sich keinen Reim darauf machen, was er damit bezwecken wollte, denn sein Onkel tat nie etwas, ohne genau zu wissen, was er davon hatte. „Und was ist mit dir?“ fragte seine Schwester plötzlich und sah ihn schelmisch lächelnd an. Naoko war irritiert. „Was meinst du?“ Sie legte den Kopf schief und sah ihn durchdringend an. „Onkel Oda hat mir erzählt, dass du eine Freundin hast.“ Damit hatte er nicht gerechnet. Er spürte, wie sein Herz zu rasen begann und ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Er fühlte sich ertappt und betrogen zugleich. Woher zur Hölle weiß dieser Bastard von ihr? „Wann wolltest du mir denn von ihr erzählen?“ hakte Sora unerbittlich nach und Naoko antwortete leicht stotternd. „Sie ist nur eine gute Freundin, wirklich!“ Im Grunde genommen wusste er es selbst noch nicht wirklich, was genau sie für ihn war. „Natürlich.“ erwiderte sie mit ironischem Unterton. „Also hast du sie nicht zum Essen eingeladen?“ Naoko riss den Mund auf, jedoch fiel ihm absolut keine Erwiderung ein, mit der er ihr glaubhaft klar machen konnte, dass da nichts dran war, auch wenn es gelogen war. Resigniert machte er den Mund wieder zu, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich mit schmollendem Gesichtsausdruck in den Stuhl sinken. „Hast du?“ Das Grinsen im Gesicht seiner Schwester wurde immer breiter und Naoko gab schließlich auf. Es war sinnlos, sie anzulügen, dafür kannte sie ihn einfach zu gut. Er hatte früh erkannt, dass er seiner Schwester, obwohl die einige Jahre jünger als er war, geistig unterlegen war und zwar in allen Bereichen. Das hatte ihn nie gestört, sogar im Gegenteil. Er war unheimlich stolz auf sie, wenn sie von ihrem Lieblingsthema, der höheren Physik schwärmte, bei der er selbst in aller Regelmäßigkeit nur Bahnhof verstand, wenn überhaupt. Allerdings machte diese Intelligenz es für Naoko sehr schwierig, sie in irgendeiner Weise zu täuschen, da ihre emotionale Intelligenz ebenfalls hoch war und er sich des Öfteren vorkam, als wäre er ein offenes Buch für sie. Naoko seufzte und nickte. Sora ließ ein hochfrequentes Quietschen von sich und machte ein Gesicht, als ob man ihr gerade Katzenbabys ins Gesicht geworfen hätte. „Ist das süß!“ Naoko ließ den Kopf hängen und seufzte erneut. Jetzt geht's los „Wie sieht sie aus? Wie alt ist sie? Wie habt ihr euch kennengelernt? Geht sie auch auf die Uni? Hast du schon...?“ „Sora, das Atmen nicht vergessen.“ unterbrach er sie. Er sah sie genervt an, doch musste er im Inneren auch schmunzeln und versuchte, sich dies nicht ansehen zu lassen. Egal, wie unglaublich clever seine Schwester war, sie war noch immer eine junge Frau, die romantische Geschichten und Filme über alles liebte. Dementsprechend wusste Naoko, dass er um diese Fragerei nicht herum kommen würde, weshalb es wohl am besten war, sich dem einfach zu fügen. „Ihr Name ist Ethel, aber alle nennen sie nur Gogo. Ja, sie geht auch zur Uni und arbeitet mit mir im Labor mit einigen ihrer Freunde.“ Sora hatte ihren Kopf auf ihre Arme gestützt und sah ihn mit ihren gierigen Welpenaugen an. „Allerdings ist sie wirklich nur eine gute Freundin, nicht mehr.“ Seine Schwester legte den Kopf schief. „Aber dir wäre lieber, es wäre mehr, oder?“ Er seufzte. Wie sollte er ihr das erklären, ohne dass sie gleich wieder zu Quietschen anfing? „Also hattest du an all den Tagen, an denen du hier warst und gesagt hattest, es wäre nichts passiert, gelogen?“ fuhr sie ihn anklagend an, doch antwortete er nicht darauf. Ja, er hatte sie verschwiegen, aber auch nur, weil er wusste, dass seine Schwester ihn damit nur nerven würde und bei jedem Treffen nach dem Stand der Dinge fragen würde. „Hattet ihr schon ein Date?“ fragte sie ihn plötzlich. Verlegen griff er sich in den Nacken und wich ihrem Blick aus. „Nicht direkt eigentlich...“ Er wusste ganz genau, dass ihr diese Antwort nicht reichen würde, und so begann er, ihr von ihrem gemeinsamen Tag über den Dächern der Stadt zu erzählen, vermied es aber wissentlich, ihr von der Flugaktion zu erzählen. Sie wusste von seiner Krankheit, auch wenn er es ungern zugab. Aber sie würde es ihm wahrscheinlich nie verzeihen, dass er dabei andere in Gefahr gebracht hatte. Im Nachhinein hatte er sich selbst gefragt, was ihn da überhaupt geritten hatte, und er hatte sich die ganze Nacht Vorwürfe darüber gemacht, dass er die Prothese nicht wenigstens vorher darauf getestet hatte. All seine gefährlichen Aktionen, die er brauchte, um runter zu kommen, diese Anspannung in seinem Körper und Geist zu lösen, hatte er stets alleine gemacht, damit niemals jemand zu Schaden kommen würde. Wenn ihm etwas passierte, war das eine Sache, doch sie zu verletzen, das würde er sich nie verzeihen. Irgendetwas in seinem Verstand hatte in diesem kurzen Moment, an dem er sie gefragt hatte, ob sie ihm vertrauen würde, gehofft, sie würde Nein sagen. Doch war das Gefühl, das ihn durchströmte, als sie nickte und er sie an sich zog, etwas, was alles Vorangegangene in den Schatten gestellt hatte, und ihm für einen Moment, und sei es nur ein kurzer gewesen, das Gefühl gegeben hatte zu fliegen. Seine Schwester hörte ihm aufmerksam zu, schien jedes Wort zu verschlingen. „Und was geschah dann?“ fragte sie schließlich, als er mit ihrem Abschied vor dem Gebäude geendet hatte. „Nichts weiter. Wir verabschiedeten uns und gingen unserer Wege.“ Sie machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter, dann hob sie ihre Arme und zeigte ihre Daumen nach unten. „Schwach, Bro. Sehr schwach!“ Naoko musste lachen. „Bro? Hast du wieder zu viel von diesem Battlerap gehört?“ Sie liebte diese Musik, in der es vornehmlich darum ging, seinen Gegner lyrisch umzubringen, wie sie es gerne formulierte. Naoko war sich sicher, dass sie dadurch auch bedeutend mehr Schimpfwörter und Beleidigungen kannte als er, obwohl sie den Anstand besaß, diese nie auszusprechen. Allerdings glaubte Naoko, war es das Beste, seine Schwester auch niemals auf die Palme zu bringen. „Hey, zieh das nicht runter!“ hielt sie ihm entgegen. „Das hat nichts damit zu tun!“ Sie steckte ihm die Zunge raus, bevor sie fortfuhr „Erst bringst du sie an einen Ort, an dem sie wahrscheinlich noch nie war, und dann so ein schwacher Abgang. Nicht mal ein Wangenkuss?“ Er schüttelte den Kopf und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Da herrscht Aufholbedarf.“ meinte sie nur und seufzte. Sie schien sich etwas zu beruhigen und sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Stolz an. „Wann seht ihr euch?“ „Das weiß ich nicht.“ Das wusste er tatsächlich nicht, hoffte aber irgendwie, dass es nicht allzu lange hin war. „Na gut. Ich hab vergessen, dass du, was Frauen angeht, eine Vollpfeife bist.“ gab seine Schwester seufzend zurück. Das hatte gesessen. Offenbar hatte seine Schwester den Vorfall mit seiner letzten Eroberung immer noch nicht verdaut. Dass sie da immer drauf rum reiten muss. grummelte er innerlich, sagte jedoch nichts dazu. „Sag mal...“ Mit einem Mal wurde ihre Stimme wieder ernst. „Was meinte Onkel Oda eigentlich damit, dass du nun im Familiengeschäft bist.“ Naoko hatte eigentlich gehofft, dass sie das bereits wieder vergessen hatte. „Vater will mir das Schmieden beibringen.“ Seine Schwester ließ den Kopf ein wenig hängen. Es war kein Geheimnis zwischen den beiden, dass sie alles dafür geben würde, mit ihm den Platz zu tauschen und an seiner Stelle trainieren zu dürfen. Sie hatte ihn immer darum beneidet, dass er diese Kunst lernen durfte und sie als Frau nicht, noch lange vor ihrer Erkrankung. Sie wurde auch oft sauer, wenn er mal wieder nicht darüber nachgedacht hatte, was er sagte, und sich dann über das Training beschwerte. Mit nachdenklicher Miene besah sich Naoko seinen rechten Arm. „Ich kann das schon längst, aber ich traue mich nicht, ihm das ins Gesicht zu sagen.“ Er hatte ihr schon mal erzählt, dass er die Metallplatten seiner Prothese selbst geschmiedet hatte und ein ums andere Mal beinahe erwischt worden wäre. Er hatte seiner Schwester sogar schon ein Messer aus mehrfach gefaltetem Stahl zu ihrem Geburtstag geschmiedet, welches sie immer sorgsam versteckt in ihrer Schublade aufbewahrte. „Also wirst du den Dojo übernehmen?“ fragte sie vorsichtig. Naoko wollte am liebsten Nein sagen, denn er wusste, dass es ein lang gehegter Traum von ihr war, das eines Tages tun zu dürfen, wenn sie ihren Vater von ihrem Talent zu überzeugt hatte. Doch leider kam alles anders. Naoko hatte sie manchmal heimlich trainiert, wenn sie alleine waren und sie hatte tatsächlich ein unglaubliches Talent für diese Kunst gehabt, sowohl mit der Waffe als auch mit bloßen Händen. Wäre ihr nicht diese Krankheit dazwischen gekommen... „Ich weiß es noch nicht.“ erwiderte er vorsichtig. Naoko wusste nicht, was er sagen sollte. So blieb er still und seine Schwester tat es ihm gleich, bis Naoko einfiel, dass er ja noch etwas für sie dabei hatte. Geräuschvoll griff er in seine Tasche und zog einen dicken, schweren Schmöker heraus, auf dessen Einband der Titel Quantenphysik und Relativitätstheorie – zwei ungleiche Brüder prangte. „Hier, das hab ich dir aus der Unibibliothek besorgt.“ sagte er lächelnd und legte ihr das Buch vorsichtig auf die Beine. Mit riesigen Augen schien sie das Buch bereits zu verschlingen, noch bevor sie es geöffnet hatte, was sie daraufhin natürlich auch sofort tat. Naoko wusste, dass es jetzt nicht mehr möglich war, sie aus dieser Trance wieder herauszuholen und so beobachtete er lächelnd, wie sie sich in den Sätzen und Zeichnungen verlor. Könnte er doch auch eine solche Konzentration aufbringen. Seine Gedanken trieben ihn jedoch wieder zu seinem Onkel und ihm war klar, dass er ihm wohl einen Besuch würde abstatten müssen. Ihm war jetzt klar, dass er ihn beobachtete, er wusste nur noch nicht wie, doch das würde er bald ändern. Sehr bald. Kapitel 18: Upgrade ------------------- Sieben Mal hatte er das Ergebnis von Baymax überprüfen lassen. Sieben Mal dasselbe Ergebnis. Hiro seufzte laut und rieb sich die Stirn. Er wünschte, es wäre anders, doch ließ es sich nicht ändern. Vor wenigen Minuten waren Gogo und Fred mit Professor Callaghan im Schlepptau, den Heathcliff noch abgeholt hatte, während die beiden mit der Suche beschäftigt gewesen waren, auf der Insel angekommen und hatten ihm die Festplatte gebracht. Hiro war heilfroh darüber gewesen, dass die Schäden eher oberflächlich gewesen und die Daten weitestgehend intakt waren. Es gab einige Unterbrechungen in der Konsistenz der Daten, doch waren diese schnell behoben. Die neuen Maschinen und 3D-Drucker, die Mr. Zilla hatte anschaffen lassen, rumorten bereits laut, während sie die Rohfassungen der einzelnen Rüstungen herstellten. Hiro hatte es sich auf einem der Drehstühle bequem gemacht und wartete nun. Tatsächlich machte Hiro sich in diesem Moment mehr Gedanken um Gogo als um die Upgrades und bekam das laute Werkeln gar nicht mehr mit. Er konnte nicht in ihren Kopf sehen und dass sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, machte die Sache nicht unbedingt einfacher. Hiro hoffte, dass sie in Bezug auf Naoko keine Dummheit machen würde und Gunner sogar noch von ihren Plänen erfuhr, doch war dieser Gedanke nur von kurzer Dauer. Energisch schüttelte er den Kopf und beendete seinen Unmut mit der Erkenntnis, dass es unsinnig war, dass ausgerechnet sie sich nicht auf ihre Aufgabe konzentrieren würde. Er würde ihr gerne helfen, doch wusste er nicht, wie, und hoffte inständig, dass zumindest Honey eine Lösung finden würde. Sein innerer Monolog über dieses Problem wurde jäh unterbrochen, als er hörte, wie sich die Tür hinter ihm mit einem leisen Zischen öffnete. Herein trat Mr. Zilla, ernst blickend wie der General, den er mimte. „Hiro, ich denke, du wirst Hilfe bei deiner Arbeit brauchen.“ war alles, was er sagte, und aus seinem Sichtschatten heraus trat. „Callaghan …“ Hiro wusste nicht, was das sollte. Er wusste zwar, dass der alte Mann sich auf der Insel befand und das sogar seiner eigenen Bitte nach, doch hatte Hiro gehofft, dass er ihm nicht allzu oft begegnen musste. Zumindest nicht öfter als notwendig. „Was macht er hier?“ fragte Hiro wütend. „Ich weiß, ihr habt eure Differenzen, doch dies ist eine Situation, in der ihr beide, jeder für sich, nichts ausrichten könnt.“ erklärte Freds Vater mit eingehender Stimme und sah Hiro und Callaghan dabei ernst an, bevor er fortfuhr. „Ihr beide seid eine Referenz auf eurem Gebiet und könnt nur voneinander profitieren.“ Freds Vater trat an Callaghan heran. „Dies ist das Labor. Was immer Sie für Ihre Arbeit brauchen, wird bereitgestellt oder herangeschafft. Lassen Sie es mich wissen, wenn etwas fehlt.“ sagte er noch zu ihm und wandte sich dann wieder Hiro zu. „Gib mir Bescheid, wenn die Upgrades fertig und bereit zum Testen sind. Ich kümmere mich dann mal um deine Freunde. Es wird Zeit fürs Training.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, durchschritt er die Tür, die mit einem weiteren leisen Zischen hinter ihm zufiel. Nun waren die beiden alleine und das Schließen der Tür hinterließ eine unangenehme Stille. Hiro wich Callaghans Blick aus und drehte seinen Stuhl wieder in Richtung des Schreibtisches. „Nun, das ist doch mal ein Labor.“ hörte er den alten Mann hinter sich sagen, der offenbar bemüht war, irgendwie ein Gespräch aufzubauen. Doch war Hiro daran absolut nicht interessiert und schwieg stattdessen. Er hörte, wie Callaghan sich in Bewegung setzte, sich einen der Stühle nahm und sich neben Hiro setzte. „Und hier entwickelst entstehen deine neuen Ideen? Du hast es wirklich weit gebracht, Hiro.“ sagte er und versuchte es erneut. Als Hiro darauf ebenfalls nicht einging, seufzte er laut und legte den Kopf in den Nacken. „Mr. Zilla hat mir von eurem Café erzählt ...“ Er sah Hiro mitleidig von der Seite an. „Es tut mir wirklich leid. Es ist meine Schuld. Ich hätte sie nicht zu dir führen sollen. Ich dachte nur ..., ich dachte, dass ihr ...“ „Dass wir die beiden aufhalten könnten.“ beendete Hiro den Satz. Callaghan erwiderte nichts dazu und nickte nur verhalten. Tatsächlich machte Hiro ihm keine Vorwürfe und er wusste selbst nicht, wieso. Er wollte, es wäre anders. Lieber hätte er ihn angeschrien, ihm Leid zugefügt, doch war ihm klar, dass seinen ehemaligen Professor keine wirkliche Schuld traf. Er hatte sich immer wieder gefragt, was er an seiner Stelle getan hätte. Wenn es um Tante Cass oder sogar Tadashi gegangen wäre. Diese Gedanken endeten immer mit der Hoffnung, niemals in eine solche Situation zu geraten. „Aber was du geschaffen hast, ist beispiellos.“ fuhr der alte Mann fort. „Ich bin mir sicher, Tadashi wäre stolz auf dich.“ Hiro sprang von seinem Stuhl auf und sah ihm in die Augen „Seien Sie ruhig! Sie wissen gar nichts!“ fuhr er ihn wütend an. Callaghan erwiderte seinen Blick mit mitleidiger Miene und Hiro ging an die Decke. „Es ist Ihre Schuld, dass er tot ist, also wagen Sie es nicht, seinen Namen in den Mund zu nehmen!“ Callaghan blieb unbeeindruckt und wartete den Moment ab, dass sich Hiro wieder hinsetzte. „Hiro … Ich wollte nicht, dass ihm etwas passiert. Ich … ich habe nicht geplant, dass er mir ins Gebäude folgen würde.“ Hiro wusste, dass er Recht hatte und doch wollte er ihm nicht zustimmen. Nicht so, nicht hier und nicht jetzt. Er biss sich auf die Lippe und schrie dann kurz auf. „Das ist jetzt egal.“ sagte er schließlich, als er langsam wieder runter kam und Callaghan sah ihn fragend an. „Wir sollen zusammenarbeiten? Gut!“ Er zeigte mit dem Finger auf ihn. „Aber dann machen wir es auf meine Art, haben wir uns verstanden? Ich will keine Ratschläge, Tipps oder sonstigen Mist von Ihnen hören und Sie werden Tadashi in meiner Gegenwart nicht mehr erwähnen!“ Hiro setzte sich wieder auf den Stuhl und atmete langsam aus. Er hoffte, dass das Ganze gut gehen würde, denn es stand mehr auf dem Spiel, als ihm lieb war. „Einverstanden.“ stimmte Callaghan seinen Forderungen zu. Hiro beruhigte das ein wenig, wenn auch nicht viel. Wenn es notwendig war, mit ihm zu arbeiten, dann musste er eben in diesen sauren Apfel beißen, so lange es ihm helfen würde, Cass außer Gefahr zu bringen. „Gut!“ erwiderte Hiro ein wenig angespannter, als er eigentlich klingen wollte. Er stand auf und wies Callaghan, ihm zu folgen. „Dann zeige ich Ihnen mal das Labor.“ Einige Stunden später, der Abend hatte bereits begonnen, ließen Hiro und Callaghan die Anderen in die Halle rufen. Hiro stellte sie alle in einer Reihe vor sich auf und präsentierte ihnen einen großen Tisch, auf dem fünf verschiedene Kisten standen, alle mit dem jeweiligen Namen versehen. Callaghan hatte sich etwas abseits des Tisches gestellt und beobachtete wie Mr. Zilla die Szenerie mit Neugier. Hiro beschloss, wie bei seiner ersten Präsentation ihres Equipments, mit Honey anzufangen. „Fangen wir mit deinem Helm an.“ Er hob diesen aus ihrem Karton und aktivierte ihn. „Ich habe den Scanner für Baymax etwas umfunktioniert und ihn auf chemische Zusammenhänge eingestellt. Wenn du damit jemanden anvisierst, siehst du oben rechts auf dem Display die verschiedenen Materialien, die das Ziel bei sich trägt. Damit kannst du mit deinen Chemiebällen besser auf den Gegner reagieren und den Inhalt anpassen.“ Honey biss sich aufgeregt auf die Lippe, ein deutliches Zeichen für Hiro, dass er auf dem richtigen Weg war. Er legte den Helm wieder beiseite und nahm ihre Tasche in die Hand. „Und wenn du die hier so auf die Schulter nimmst und diesen Knopf betätigst ..." Ein kurzes Surren folgte, als Hiro die Tasche auf die Schulter nahm und ein Rohr kam zu beiden Seiten der Tasche heraus. Mit einem kurzen Klicken änderte sich das Display und das Periodensystem wurde etwas kleiner und machte einer weiteren Anzeige Platz. „... hast du eine Kanone mit verschiedenen Modi.“ Kurz drückte er einige der Knöpfe und mit einem lauten Donnern schoss eine riesige blaue Kugel heraus, die mit einem Krachen in der gegenüberliegenden Wand einschlug und alles mit einer glänzenden Eisschicht überzog. Honeys Augen leuchteten wie kleine Diamanten und sie tanzte aufgeregt auf der Stelle. Hiro grinste vor Stolz. „Außer der großen kannst du auch viele kleine Kugeln oder sogar welche mit verschiedenem Inhalt verschießen. Auch eine Art Strahlenfunktion ist eingebaut. Das funktioniert dann in etwa wie ein Flammenwerfer.“ erklärte er mit stolz geschwellter Brust weiter und Honey konnte kaum an sich halten. Ihre Augen schienen die neue Waffe gierig aufzusaugen. Als Hiro sie ihr überreichte, fackelte sie auch nicht lange und schoss ihre erste Ladung in einem Bruchteil der Zeit ab, die Hiro benötigt hatte, sodass man meinen konnte, sie hätte die Kanone entwickelt und nicht Hiro. Als aus der Wand, die als Ziel herhalten musste, unter großem Getöse Risse und ganze Felsbrocken herausbrachen, tanzte die Blondine wie wild auf ihren hohen Schuhen und umarmte stürmisch ihren kleinen Freund. Voller Überschwang bedeckte sie seine Wangen mit dankbaren Küssen. „Das Ding ist genial!“ kreischte sie und reihte sich wieder bei den anderen ein, nicht ohne das glänzende Rohr beinahe fürsorglich zu streicheln. Hiro konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen und nahm sich die nächste Kiste vor. „Wasabi, das sind deine Upgrades.“ Der Riese blickte Hiro und den Karton nervös an. „Als erstes …“ Hiro griff vorsichtig hinein und zog zwei grüne Handschuhe heraus. Schnell erkannte Wasabi, dass es dieselben wie vorher auch waren, und sah Hiro fragend an. Dieser ließ sich indes Zeit beim Anziehen, allerdings auch eher, um zu verschleiern, dass er bei der Größe von Wasabis Händen schlichtweg Schwierigkeiten hatte. „Die normalen Plasmaklingen kennst du ja bereits.“ fing Hiro an und aktivierte die Handschuhe. Sofort wurde die Szenerie in das charakteristische blaue Licht der Klingen getaucht. Mit ratloser Miene nickte Wasabi. „Aber nun ...“ Hiro ließ seine Finger fächerförmig nach außen spreizen und das Plasma begann, seine Form zu ändern. Die Klingen wurden breiter, gleichsam wie die Spitze. An der linken spreizte er ebenfalls die Finger, ließ diese jedoch langsam wieder zusammenführen und die Klinge folgte der Form seiner Finger. Sie wurde schmaler und spitzer, bis sie zuletzt die Form einer Schwertklinge angenommen hatte. Wasabi faltete die Hände vor dem Gesicht vor Aufregung und Hiro fuhr fort. „Außerdem, kannst du sie nun auch ... “ Hiro klatschte seine Hände zusammen und sofort verbanden sich die Klingen mit einem lauten Zischen und breiteten sich zur Seite und nach oben aus, bis sie eine nach vorne gerichtete Kuppel gebildet hatten. „... zu einem Schild formen, der dich vor allem möglichen Projektilen schützen wird. Professor?“ Keiner hatte mitbekommen, wie Callaghan eine kleine Apparatur aus dem Labor geholt und diese mit weitem Abstand zu Hiro aufgestellt hatte. Er zog die dreckige Plane herunter und enthüllte eine seltsame Maschine mit vier Rohren und vielen Rädern und Schaltern. Ohne ein weiteres Wort richtete Hiro den Schild in Richtung der Maschine, die mit einem lauten Rumoren zum Leben erwachte. Ein peitschender Donner erfüllte die Halle und in gleißenden Blitzen rasten die Projektile auf Hiro zu und zerschmetterten an seinem Schild. Völlig überrumpelt und mit panischem Gesichtsausdruck sahen seine Freunde ihn an und hielten sich die Ohren zu. Zu allen Seiten flogen die Kugeln und nicht ein Kratzer schien am Schild zurückzubleiben. Stattdessen verbrannten die Patronen regelrecht in der Luft und ließen einen beißenden Geruch glühenden Bleis und Eisens zurück. Schließlich endete der Kugelhagel und die Kanone kam langsam wieder zur Ruhe. Die Rohre glühten gleißend rot und überall lagen Patronenhülsen herum. Hiro nahm die Hände wieder auseinander und der Schild bildete sich wieder zu den beiden Klingen zurück. „Der Schild hält sogar Raketenbeschuss aus.“ Der Junge grinste über beide Ohren und überreichte dem mit offenem Mund dastehenden Wasabi die Handschuhe. Natürlich probierte er sie sofort aus und war drauf und dran, Hiro einen leichten Schlag gegen die Schulter zu verpassen, nicht ohne erschrocken zu bemerken, dass er das Plasma noch an hatte. Nach dem er dies mit einer simplen Handbewegung behoben hatte, tat er das dann auch. Doch waren die Handschuhe noch lange nicht alles. „Ich habe außerdem deinen Körperschutz optimiert nach den Daten, die Mr. Zilla all die Jahre im Kampf gegen Knight gesammelt hatte.“ Mit einem kurzen Ruck zog er den Brustpanzer von Wasabis Rüstung aus der Kiste. „Ich habe seine Faserstruktur und Dichte etwas erhöht, was ihn nun praktische jeden Beschuss, kleinkalibriger Waffen aushalten lässt. Sie funktioniert wie eine normale schusssichere Weste und sollte auch die meisten Hieb und Stiche aufhalten können. Egal, ob von einem Holzknüppel oder einem Samurai Schwert.“ Hiro reichte ihm die Panzerung und holte zuletzt die Kiste, in der sich noch passender Bein- und Armschutz befand. „Und als nächstes hätten wir da ...“ doch weiter kam er nicht, weil Fred bereits mit wedelndem Arm und kurzen „Hier! Nimm mich!“ Rufen auf sich aufmerksam machte. „Bitte! Ich halt das nicht mehr aus!“ winselte er und tanzte nervös auf der Stelle. Es kam eher der Bitte nach einer Toilette gleich als nach dem Upgrade, fand Hiro, doch ging er seiner Bitte nach. „Nun gut.“ antwortete er und schritt an die Kiste, auf der sein Name prangte. Darin befand sich, wie zu erwarten, ein Anzug. Doch unterschied er sich deutlich von seinem alten. Das Kostüm war ein wenig schmaler und die Extremitäten wirkten menschlicher als zuvor, wenngleich die Krallen geblieben waren. Als Hiro zu erklären anfangen wollte, stand Fred schon mit Schnappatmung und sich auf die Lippe beißend vor ihm und meinte „Lass es mich ausprobieren! Sag nichts!“ „Fred ...“ begann Hiro, doch ließ sich der Comicfanatiker nicht umstimmen, und so gab er schließlich nach. Begeistert warf Fred sich in den Anzug und begann sofort die altbekannte Funktion, den Sprung, zu testen. Als er keine signifikante Veränderung feststellen konnte, wollte er offenbar zum Feuer übergehen. Sofort erkannte Hiro den Fehler, den Fred dabei begehen würde, und erhob mahnend die Hand. Doch war es zu spät und der Feuerstrahl, gleich dem einer Rakete, schoss aus seinem Maul und dessen Rückstoß pfefferte Fred ohne Umschweifen gegen die Wand und hinterließ eine Rauchwolke. Hiro zuckte bei dem krachenden Geräusch nervös zusammen und senkte den Blick. „Fred? Geht es dir gut?“ erkundigte sich schließlich Honey mit sorgenvollem Ton in der Stimme. „Alles klar!“ hielt Fred enthusiastisch dagegen und hob den Arm aus der Wolke. Hiro seufzte lautstark und schüttelte mit dem Kopf. „Deshalb wollte ich es dir erklären.“ Sich den Kopf reibend erhob sich Fred aus den Trümmern. „Gut, hast mich überzeugt. Ich bin ganz Ohr.“ Hiro nickte und trat an ihn heran. „Als erstes: Du hast nun zwei Feuerfunktionen. Den alten Feuerstoß und den Strahl. Das Zweite hast du gerade eingesetzt. Du brauchst für den unbedingt einen sicheren Halt.“ Mit einem kurzen Seitenhieb blickte Hiro zu der Stelle, an der Fred den Strahl ausprobiert hatte. Der Rückstoß ist wohl größer als geplant oder er wiegt einfach weniger, als ich gedacht hatte. „Wenn du dir dein Display ansiehst, wirst du sehen, dass du ihn umstellen kannst. Du brauchst es dafür dem Computer nur zu befehlen.“ Unter der Maske war es unmöglich für Hiro, zu erkennen, was Fred von all dem hielt oder ob er ihn überhaupt verstanden hatte. Fred stand nur bewegungslos da, als er auf einmal rief „Feuer!“ Sofort schoss der bekannte Feueratem aus dem Maul und Fred hob sichtlich zufrieden den Daumen. Hiro nickte und fuhr fort „Zusätzlich hast du nun einen Enterhaken. Du kannst deine Arme bis zu zehn Meter ausfahren.“ „Zum Klettern oder Fangen?“ fragte Fred mit zittriger Stimme. „Sowohl als auch.“ erwiderte Hiro. „Und zu guter Letzt, könntest du mal die beiden Knöpfe in deinen Handschuhen drücken?“ Fred tat wie befohlen und sofort hob sich die hintere Haut der Arme und des Rückens und bildeten, begleitet von einem Surren, zwei Schilder in seinen Händen. Im Innern hörte Hiro, wie sein Freund den Atem anhielt. „Als du mir erzählt hattest, wie du gegen Callaghan mithilfe von zwei ausgerissenen Bodenplatten gekämpft hattest, dachte ich mir, dass dir dieser Kampfstil vielleicht näher liegt.“ Fred Stimme überschlug sich, als er nach kurzer Pause bemerkte, dass man diese Schilde sogar in Brand setzen konnte. „Brennende Schilde! Machen Fred so glücklich!“ Fred gesellte sich wieder zu seinen Freunden und konnte den Blick nicht von seinem neuen Anzug lassen. „Dann fehlst jetzt nur noch du, Gogo.“ Die Angesprochene hob kritisch den Blick und blies ihren Kaugummi auf. Hiro hob ihren lila Anzug aus der Kiste und warf ihn ihr zu. „Zuallererst hab ich den Anzug modifiziert. Er ist nun noch reiß- und feuerfester als zuvor und schützt dich ebenso vor Schwert und Kugel. Allerdings nicht ganz so effektiv wie Wasabis. Werde also bitte nicht übermütig.“ grinste Hiro sie an und erntete dafür ein leicht säuerliches Schnauben von ihr. Ohne darauf einzugehen nahm er schließlich ihre Körperpanzerung heraus, deren Oberfläche regelrecht schimmerte. Er drehte den Brustpanzer um und enthüllte „Ein Jetpack, um deine Geschwindigkeit noch etwas zu erhöhen.“ Sofort sah Hiro das Funkeln in ihren Augen, auch wenn sie ihre Begeisterung gut zu verstecken wusste. Er hatte gewusst, dass ihr das gefallen würde. „Er ist leicht, aber robust und ermöglicht dir sogar kurzweilig zu fliegen. Ich habe ihn mit Absicht etwas schwächer gebaut, da ich finde, dass dich zusätzliches Gewicht am Boden nur stören würde.“ Gogo sagte dazu nichts, sondern blies nur ihren Kaugummi auf und ließ ihn wieder zwischen ihren Zähnen platzen. „Zusätzlich ...“ Er nahm einen der Armschützer. „... kannst du deine magnetischen Scheiben auch abschießen.“ Er wies auf die kleine Schiene an der Oberseite. „Hier habe ich Magneten eingebaut, die dafür sorgen, dass deine Scheiben eine höhere Geschwindigkeit beim Abschuss erreichen. Es ist eigentlich dasselbe Prinzip wie bei einer Magnetschwebebahn, nur eben als kleine Abschussrampe.“ Er nahm sich eine der Scheiben, bugsierte sie auf die Schiene und zielte. Gleich einer Rakete schoss das Projektil in Richtung der Wand und hinterließ mit einem Krachen eine tiefe Kratzspur, bevor die Scheibe mit einem lauten Zischen wieder von den Magneten der Handschuhe angezogen wurde und Hiro sie wieder einfing. „Zusätzlich wurde der Anzug mit einigen kleineren Flügeln und anderen aerodynamische Formen versehen, die mit einem kleinen Computer auf deiner Brust verbunden sind. Dieser misst den Luftwiderstand, der während deiner Fahrt auftritt, und passt die einzelnen Komponenten in Echtzeit an, um dir eine noch höhere Geschwindigkeit zu ermöglichen.“ Gogo hob interessiert die Augenbraue, ihr Blick aber blieb verhalten. Doch Hiro kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie bereits darauf brannte, die Grenzen ihres Anzugs auszutesten. Als er ihr den Panzer gab, betrachtete sie diesen mit einer Mischung aus Skepsis und Freude. Sofort, als Hiro sich umdrehte und zurück zu den Kisten ging, zog sie sich auch schon ihr Shirt aus. Irritiert, aber auch interessiert, sahen die Jungs sie an. „Hey!“ fauchte Honey die Drei an und sofort sahen sie wieder weg. „Kein Problem, Honey.“ erwiderte Gogo, die gerade ihre Hose auszog und nur noch in Unterwäsche dort stand. „Die sind alt genug.“ fügte sie noch hinzu und zog sich direkt den hautengen Anzug an. Ein, zwei Griffe und die Panzerung saß ebenfalls. Ohne weitere Erklärungen von Hiro abzuwarten, hatte sie auch schon rausgefunden, wie man die Düsen anwarf, und schoss mit einem Affenzahn an Hiro vorbei. Beinahe mühelos meisterte sie die höhere Geschwindigkeit, als wären die Upgrades schon immer da gewesen. Der Computer schien ebenfalls reibungslos zu funktionieren. Hiro sah die immer wieder wechselnde Struktur der Oberfläche ihrer Rüstung, was aus der Ferne den Eindruck vermittelte, sie bestünde sie aus Wasser. Ein kurzer Schub mit einem beherzter Sprung und Gogo fuhr sogar für ein paar Sekunden an der Wand entlang. Sie machte eine elegante Drehung in der Luft und fuhr in Richtung Hiro. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, hob er abwehrend die Arme, als sie kurz vor ihm war. Doch der befürchtete Zusammenstoß blieb aus. Stattdessen hörte er, wie ihre Räder quietschten, und einen Augenblick später stand sie vor ihm. „Und?“ Hiro wagte beinahe nicht zu fragen, doch zu seiner Erleichterung schlug sie ihm nur sanft gegen die Schulter, blies ihren Kaugummi kurz auf, biss drauf und erwiderte „Nicht übel.“ Das reichte Hiro als Bestätigung. Gogo reihte sich indes wieder in die Gruppe ein. Als Hiro zu seiner eigenen Kiste schritt, konnte er im Augenwinkel sogar erkennen, wie sie ihre momentane Größe beinahe unauffällig mit ihren Freunden verglich. Offenbar gefiel ihr an ihrer Ausrüstung noch ein weiterer Punkt, als allein die Funktionalität. Gespannt sahen seine Freunde nun zu ihm, als er seine Rüstung aus der Kiste hob und direkt anzog. Hiro war gespannt, was sie dazu sagen würden, und stellte sich mit erwartungsvoller Haltung vor sie. „Hiro? Haste für dich nix jebaut?“ fragte Wasabi ihn auch direkt. Mit einer solchen Reaktion hatte Hiro allerdings auch gerechnet, denn seine Rüstung sah eins zu eins wie das Vorgängermodell aus. „Da bei unserer letzten Auseinandersetzung Baymax so in Mitleidenschaft gezogen wurde und ich nichts tun konnte, habe ich mir Folgendes überlegt.“ Er hob die Arme und enthüllte die einzelnen, kleinen Behälter an Unter- und Oberarm. An Hiros Helm leuchteten zwei grüne Lampen an der Stirn auf und die Behälter begannen, sich zu bewegen. Wie ein Schwarm Insekten krochen einzelne, kleine Zylinder aus diesen heraus. Seine Freunde kniffen die Augen zusammen und anhand ihrer Gesichtsausdrücke konnte Hiro erkennen, dass sie diese kleinen Roboter kannten. „Sind das … Microbots?“ fragte Honey schließlich vorsichtig. Hiro nickte. „Microbots 2.0.“ verkündete er stolz, während die Bots an ihm herumkletterten wie Bienen in ihrem Stock. „Un wat können die?“ Hiro ließ einige in seine rechte Hand krabbeln. „Diese Bots sind Reparaturbots. Ich habe sie so weit modifiziert, dass sie unsere Anzüge und Baymax‘ Körper im Kampf notdürftig reparieren können, so dass wir selbst nach einem heftigen Schlag noch einsatzbereit sind.“ Hiro grinste über beide Ohren, als er die anerkennenden Blicke seiner Freunde sah. „Um genau zu sein …“ fuhr er etwas leiser fort und die folgenden Worte fielen ihm schwerer, als er es sich selbst eingestehen wollte „… war das Professor Callaghans Idee.“ Hiro richtete seinen Blick auf seinen ehemaligen Lehrer, der noch immer an der alten Kanone stand und die Vorführung mit wachsamen Augen beobachtet hatte. Der alte Mann kratzte sich verlegen am Nacken, als ihn seine alten Schüler ansahen, und fügte vorsichtig und bescheiden hinzu „Ich finde, dass die Microbots ein unglaubliches Potenzial haben, vor allem, wenn man sie für bestimmte Aufgaben spezialisiert.“ Tatsächlich hatte er vor wenigen Stunden diese Idee Hiro gegenüber vorsichtig geäußert. Er wollte ihn schon anbrüllen, dass er der Letzte wäre, der irgendetwas zu seiner Erfindung zu sagen hätte, doch erkannte er schnell, dass sein ehemaliger Professor Recht hatte. Zuerst reagierte niemand auf Callaghans Worte, bis Honey ihn schließlich aufmunternd anlächelte und auch Wasabi und Fred diesem Beispiel folgten. Nur Gogo blieb bei ihrer Haltung und wandte den Blick schnell wieder ab. Hiro sah, wie ihm dieser kleine Erfolg Mut zusprach und es erfüllte ihn mit einem Gefühl der Erleichterung, auch wenn er sich nicht genau erklären konnte, wieso ihn das überhaupt interessierte. Schnell verjagte er den Gedanken und fuhr mit der Präsentation fort. „Dann fehlt jetzt nur noch Baymax.“ Sofort richteten seine Freunde ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Hiro nahm die Fernbedienung vom Tisch, die schon die ganze Zeit dort gelegen hatte und drückte auf einen der zahlreichen Knöpfe. Mit einem Rumpeln und Quietschen öffnete sich das Schiebetor zum Labor und enthüllte einen riesigen Schatten. Das Licht aus dem Labor, das nun den halbdunklen Raum flutete, blendete die Freunde, doch als sie sich daran gewöhnt hatten, konnten sie die schemenhaften Umrisse des roten Riesen erkennen. „Baymax 2.5.“ flüsterte Hiro leise, mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Komm rein, Großer.“ fuhr er lauter fort und mit donnernden Schritten betrat der Roboter die Halle. Doch erkannten seine Freunde schnell, dass er sich äußerlich ebenfalls nicht verändert hatte. „Hiro …?“ fing Fred an, doch unterbrach dieser ihn. „Er sieht nicht nach viel aus, doch sieht man sich sein Innenleben an …“ Hiro trat an das Vermächtnis seines Bruders heran und stellte sich an dessen Seite. „… wird es gleich sehr viel interessanter. Zeig es ihnen, Baymax, wie wir es geübt haben.“ Als erstes kam die bekannte Raketenfaust, mit dem Unterschied, dass Baymax sie nun mit beiden Armen verschießen konnte. Ein kurzes Klicken später und der Roboter stand mit einem riesigen Schild in der Linken vor der Gruppe, welches sofort wieder in seinem Arm verschwand. Eine Drehung der rechten Hand und sie verschwand im Arm und machte einem großen Lauf Platz, gleich einer Kanone, und feuerte ein Netz in Richtung Fred ab, welches ihn auch sofort von den Füßen hob. Fred kommentierte diese Aktion lediglich mit einem „… macht mich so glücklich.“ als sie ihn wieder befreiten. „Auf diese Idee hat mich übrigens Naoko gebracht, falls ihr euch an seine Präsentation erinnert.“ fügte Hiro mit schelmischen Unterton hinzu. Als Baymax wieder alle Gadgets eingefahren hatte, trat Hiro an ihn heran und öffnete dessen Bauchpanzer. Doch statt der Vinylhülle kam eine Art Lagerschrank hervor, in dessen Raum sich allerlei Päckchen befanden. „Erste Hilfe-Utensilien, falls wir verletzt werden. Werkzeuge, um die Reparaturen zu machen, die die Microbots nicht können, und schlussendlich Ersatzteile. Ein auf Beinen und mit Karate kämpfender Lazarett- und Reparaturpanzer.“ Seine Freunde sahen ihn erstaunt an und Wasabi bekam sogar den Mund nicht mehr zu. „Wo ist Baymax?“ warf schließlich Gogo mit einem scharfen Unterton ein. „Wie meinst du…? Achso!“ erwiderte Honey neugierig und sah mit fragendem Blick zu Hiro. „Das hier …“ Er klopfte auf den Panzer. „… ist Baymax, Einsatzrüstung.“ Er machte eine kurze Pause. Dann griff er zu dem Speichermodul an Baymax Brust und offenbarte die beiden Chips, die der Roboter seit seiner Modifizierung trug, den roten und den grünen. „Ich habe diese Rüstung völlig ohne Baymax in seinem Inneren gebaut. Das macht ihn flexibler und leichter umrüstbar.“ Er drückte die Chips wieder zurück und die Klappe schloss sich wieder. „Ich muss nicht mehr darauf achten, dass Baymax in die Rüstung passt, sondern kann theoretisch jedes Design umsetzen und sein Inneres nutzen um ihm mehr Ausrüstung zu verpassen, wie die, die ihr gerade gesehen habt. Auch stärkere Schubdüsen und ein besseres Batteriemodul sind damit möglich.“ Er sah mit Stolz zu Baymax hinauf. „Und noch viel mehr.“ Auch seine Freunde schienen stolz auf ihn zu sein, ihren Blicken nach zu urteilen, und ein verhaltenes Klatschen durchbrach die kurze Stille. Als Hiro sich umsah, sah er Mr. Zilla und Callaghan als Urheber dieser Respektsbezeugung und das, so musste Hiro zugeben, hatte er nicht erwartet. Mr. Zilla war der Erste, der das Wort ergriff. „So etwas will ich von einem Anführer hören. Du motivierst dein Team und sorgst dafür, dass es ihnen an nichts mangelt an deiner Seite. Beeindruckend.“ Freds Vater stellte sich neben ihn und richtete sein Wort an die Gruppe. „Dann wird es jetzt wohl Zeit für Individualtraining. Zeigt mir, was ihr könnt, und ich helfe euch, euer Potenzial voll auszuschöpfen!“ Dies war ein Befehl, dem die Freunde nur zu gern nachkamen. Kapitel 19: Ehre und Familie ---------------------------- „Hoch das Schwert!“ Die Stimme seines Vaters war wie eine Peitsche. Jeden Fehler und jede falsche Haltung ließ er ihn deutlich spüren. Krachend schlugen die Hölzer aufeinander. „Denk an deine Beinarbeit!“ mahnte sein Vater ihn und begutachtete jeden Schritt seines Sohnes, während dieser auf einen der hölzernen Dummys einschlug und dabei ein ums andere Mal den Angriffswinkel und die Richtung im Sekundentakt veränderte. Naokos Lunge brannte und seine Muskeln schrien vor Erschöpfung, doch wollte er sich seine Grenze nicht eingestehen, nicht vor den wachsamen Augen seines Vaters. Schließlich nickte dieser und beendete damit die Übung. Naoko ließ das Holzschwert in seinen Gürtel gleiten und verneigte sich vor der Puppe und seinem Vater. „Du bist unkonzentriert.“ sagte dieser und sah ihn mit strengen Augen an. „Ja.“ erwiderte Naoko ruhig. Es brachte nichts, ihm in dieser Tatsache zu widersprechen, denn es stimmte, auch wenn Naoko versuchte, jeden ablenkenden Gedanken zu verdrängen. „Wenn du im Kampf unkonzentriert bist ...“ fing sein Vater an. „... kostet mich das meinen Kopf.“ beendete Naoko leicht genervt den Satz. Er schüttelte seinen rechten Arm ein wenig. Die neue Prothese machte seine Bewegungen noch sehr viel besser und geschmeidiger mit als ihr Vorgänger, doch waren die Bewegungen noch lange nicht so präzise, wie er es sich vorgestellt hatte. Doch Naoko war sich sicher, dass sein Vater eine solche Ausrede nicht gelten ließe, also schwieg er lieber dazu und sagte stattdessen „Die Zeiten, in denen man den Kopf verlieren konnte, sind vorbei.“ Sein Vater schüttelte den Kopf und sah ihn streng an. „Das ist kein Grund, deine Konzentration fallen zu lassen. Auch ein nicht-tödlicher Kampf sollte mit derselben Energie und Hingabe geführt werden wie ein tödlicher.“ Mit einer Handbewegung wies der bullige Mann ihn an, sich hinzuknien. Als Naoko dem nachkam, tat sein Vater dasselbe und kniete sich ihm gegenüber. „Was ist es, das dich so beschäftigt?“ fragte sein Vater ihn und Naoko fiel aus allen Wolken. Für einen kurzen Moment war er drauf und dran ihn mit entsetztem Gesichtsausdruck anzusehen und lauthals loszulachen. Doch er besann sich rechtzeitig eines Besseren und so blieb es bei einem ungläubigen Blick. „Seit wann interessiert es dich, was mich beschäftigt?“ gab Naoko spitz zurück und beobachtete genau die Miene seines Vaters. Dieser seufzte laut. „Du bist mein Sohn.“ „Ja ...“ brachte Naoko nur heraus. Ihm kam das alles seltsam vor und er wusste nicht, wie er darauf reagieren konnte. Er kannte die Meinung seines Vaters zu Schwäche und egal, was Naoko sagte, es würde nichts bringen. Vielleicht, so dachte er, sollte er den alten Mann testen und sich vorsichtig voran tasten. „Was du mir erzählt hast.“ erwiderte Naoko vorsichtig. „Was davon genau?“ fragte sein Vater. Naoko überlegte kurz. Wie konnte er das Thema in die Richtung lenken, die er wollte? „Dein Schwert.“ fuhr er schließlich fort. „Du sagtest mir, dass du mir das Schmieden beibringen wolltest.“ „Und ich stehe zu meinem Wort.“ sagte sein Vater. „Warum ist es dir so wichtig? Warum reicht die Kampfausbildung nicht aus?“ Naoko wusste nicht, ob er auf dem richtigen Weg war, doch gab es jetzt kein Zurück mehr. Sein Vater sah ihn ruhig an, sagte jedoch zuerst nichts. „Um ein Samurai zu werden ... Es gehört wesentlich mehr dazu, als nur den Körper und den Geist zu beherrschen.“ Er streckte die Hand aus und Naoko gab ihm das Holzschwert. „So wie du das Blei in seinem Inneren und das Holz an seinem Äußeren fühlen kannst, wenn du es schwingst, so musst du auch das Gefühl für den Stahl gewinnen. Du musst ihn formen, ihn scharf halten. Niemand außer dir wird diese Waffe schwingen und sie wird ein Teil deiner selbst.“ Sein Vater machte eine kurze Pause und hob das Holzschwert auf Augenhöhe. „Eine Waffe ist eine Waffe, nicht mehr.“ Er legte das Stück Holz zur Seite, erhob sich langsam und schritt durch den Raum auf den Schrank zu. Als er sein Schwert herausgeholt hatte, setzte er sich wieder zu seinem Sohn. Das Metall kreischte leise, als er es aus der Scheide zog und die Klinge schimmerte rötlich. „Das Schmieden einer Waffe macht sie zu deiner eigenen. Du wirst sie erst wirklich respektieren, wenn du den Stahl mit deinen eigenen Händen geformt hast.“ Er schnitt durch die Luft. „Es wird einen ganz eigenen Klang haben, eine eigene Musik.“ Er ließ den Stahl wieder in die Scheide gleiten und legte das Schwert auf seinen Schoß. „Deine Art zu kämpfen wird sich völlig nach dieser Waffe ausrichten. Erst, wenn du sie selbst geschaffen hast, wird dir ihre ganze Stärke bewusst.“ Als sein Vater mit diesem Satz endete, trat eine Pause ein und hüllte die beiden in Schweigen. Alles, was Naoko hörte, war sein eigener Atem im gleichmäßigen Takt mit dem Flackern der Kerzen. Beinahe automatisch hob Naoko leicht seinen rechten Arm und blickte auf die zahlreichen kleinen und großen Metallplatten, verbunden mit Drähten und Scharnieren, gehalten von Schrauben und Muttern. „Du kennst dieses Gefühl bereits, nicht wahr?“ fragte sein Vater. In seiner Stimme erkannte Naoko, dass er die Antwort bereits kannte und so nickte er. „Ja ...“ Sein Vater verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an. „Glaubst du wirklich, dein eigener Vater bekommt nicht mit, wenn sein Sohn das Schmieden versucht?“ Naoko hob den Kopf, sah ihm in die Augen. „Warum hast du nie etwas gesagt?“ wollte er wissen. Es stimmte, was sein Vater sagte. Schon öfters hatte er die Schmiede benutzt, wenn er versucht hatte, die billigen Materialien, die er auf den Schrotplätzen der Stadt und der Uni gefunden hatte, zu kombinieren. Er hatte keine wirkliche Ahnung davon gehabt und konnte Stahl nicht wirklich von reinem Eisen unterscheiden oder wusste um die richtige Temperatur des Ofens. Doch irgendwie hatte er es immer geschafft, diese Platten zu gießen und in Form zu schlagen. Letzten Endes waren sie sogar so rund an der Schulter und ohne Beulen gewesen, dass Naoko nicht umhin kam, stolz auf seine Arbeit zu sein. Der Vorfall im Labor hatte ihn dann schnell eines Besseren belehrt. „Ich weiß, du hörst das nicht gerne …“ fing sein Vater an. „Aber ich war dir mal sehr ähnlich.“ Tatsächlich löste diese Aussage ein leichtes Unbehagen in Naokos Magen aus, doch ließ er es sich nicht anmerken. „Auch ich habe in deinem Alter versucht, auf eigene Faust mein Schwert zu schmieden. Doch ich musste sehr schnell feststellen, dass mehr dazu gehörte, als Metall zu erhitzen und mit einem Hammer darauf rumzuschlagen.“ Sein Vater senkte den Blick ein wenig, sah seinem Sohn jedoch weiterhin in die Augen. „Aber als ich erkannte, dass du Platten und Finger hergestellt hast, begonnen hast den Stahl zu fräsen und zu löten, wurde mir klar, dass wir beide sehr viel verschiedener sind, als ich dachte.“ Naoko konnte es nicht verleugnen, aber irgendwie tat ihm sein Vater leid. Er wollte es sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn das eigene Fleisch und Blut so grundlegend anders war als man selbst. Sein Vater seufzte hörbar und rieb sich mit der rechten Hand die Augenbrauen. „Vielleicht bin ich auch einfach nur zu alt.“ Naoko bestritt ein kühner Gedanke. „Sora wollte das immer.“ Sein Vater hob den Kopf und sah ihn fragend an. „Sie wollte immer das, was du von mir erwartest. Sie wollte kämpfen, schmieden und dir gefallen. Sie wollte nichts weiter, als dass du stolz auf sie bist.“ „Fang bitte nicht wieder mit deiner Schwester an. Die alte Tradition dieses Dojos war immer ein Privileg der Männer dieser Familie, seit beinahe elf Generationen.“ erwiderte sein Vater streng. Naoko hatte es geahnt. Was dieses Thema anging, war sein Vater stur wie ein Panzer. „Wir leben nicht mehr im Mittelalter, Vater.“ hielt Naoko dagegen. Er wollte nicht klein beigeben, diesmal nicht. Sein Vater runzelte die Stirn. „Das mag sein, doch Tradition bleibt Tradition.“ „Und jede Tradition braucht hin und wieder einmal frischen Wind, sonst rostet sie ein.“ erwiderte Naoko und verschränkte nun seinerseits die Arme vor der Brust. „Schluss damit, ich will über dieses Thema kein Wort mehr hören.“ Das Machtwort war eindeutig und Naoko hütete sich davor, noch dagegen zu halten, so sehr es ihn auch zur Weißglut trieb. „Es ist sinnlos, darüber zu reden.“ schlug sein Vater mit einem Mal ruhiger an. „Deine Schwester wird so oder so niemals diesem Dojo beitreten können.“ Die Augen seines Vaters funkelten schwach im Kerzenlicht. Tränen? Naoko konnte es nicht glauben, was er sah, doch wagte er es nicht, seinen Vater darauf anzusprechen. Noch nie hatte er seinen Vater so verletzlich gesehen und für einen kurzen Moment, flüchtig wie Staub, wollte er ihn trösten. Sich zu ihm setzen und mit ihm gemeinsam trauern. Dieser Wunsch brannte wie ein Feuer in seiner Brust, verzehrte ihn regelrecht. Doch er blieb sitzen und der Moment war vorbei. Sein Vater sah ihn wieder mit demselben Blick an, wie er es immer tat, und das Gefühl erlosch so schnell, dass Naoko sich seltsam leer fühlte. Wieder erfüllte Stille den Raum und hüllte die beiden ein wie der Schatten um sie herum. Naoko vergrub seine Finger in dem Saum seiner Hose und er spürte, wie ihn das Gefühl der Trauer beinahe übermannte. Er hatte diese Erkenntnis über seine Schwester lange unterdrücken können. Verdrängen, aber nie vergessen. Schnell sortierte Naoko seine Gedanken und atmete tief durch. Schließlich fiel ihm wieder ein, worauf er eigentlich hinaus wollte. „Onkel Oda ist heute bei Sora gewesen.“ fing er vorsichtig an und beobachtete neugierig die Reaktion seines Vaters. Dieser erwiderte trocken „Ja, ich weiß. Er kam hierher, während du bei deiner Schwester warst.“ „Wieso?“ fragte Naoko, ohne darüber nachzudenken, wie diese Frage wirken könnte. „Um deine Mutter zu besuchen natürlich. Ihr Bruder war schließlich schon immer um sie besorgt.“ antwortete sein Vater. „Verstehe …“ erwiderte Naoko nur. Sein Onkel war schon lange nicht mehr hier gewesen, zumindest nicht, dass er es mitbekommen hatte, doch Naoko erkannte, dass er auf dem richtigen Weg war. „Ich habe ihn schon seit langem nicht mehr gesehen …“ sagte er wieder vorsichtig. „Ich auch nicht.“ fügte sein Vater ruhig hinzu. „Nicht?“ fragte Naoko neugierig. „Ich dachte, er wäre schon ein paar Mal hier gewesen, während ich in der Uni war.“ Sein Vater schüttelte den Kopf.   Das passt nicht dachte Naoko sich. Sein Onkel war schon öfter hier gewesen, das war leicht an der Reaktion seiner Mutter zu erkennen. Ihre Sprache, ihre Haltung, alles war anders, wenn er da gewesen war. Was weißt du über ihn? fragte Naoko sich. Irgendetwas stimmte nicht. „Deine Mutter macht sich Sorgen um dich.“ dieser plötzliche Themenwechsel seines Vaters überraschte ihn. „Wie meinst du das?“ hakte er nach und sein Vater sagte „Du sollst deinen Onkel meiden. Du weißt um seine psychischen Probleme.“ Das stimmte, wusste Naoko. Sein Onkel war immer etwas instabil gewesen und er konnte seine Laune von einem zum anderen Augenblick völlig verändern. „Ich habe nicht vor, den Kontakt mit ihm zu vertiefen.“ log er. Tatsächlich hatte er eher das dringende Bedürfnis, mit ihm zu sprechen und dem würde er auch in Bälde nachkommen. „Das ist gut.“ antwortete sein Vater. „Dabei fällt mir ein ...“ Er griff in seine Hosentasche und zog einen kleinen, schwarzen Speicherstick hervor. „Das hat mir dein Onkel mitgegeben. Er meinte, du hättest ihn im Krankenhaus verloren.“ Naoko hatte diesen Datenträger noch nie zuvor gesehen. Er wusste nicht, was sein Onkel ihm damit sagen wollte oder was er damit bezweckte, doch Naoko konnte nicht anders, er musste sich ansehen, was sich auf dem Stick befand und er fragte sich, ob seine Eltern sich den Inhalt bereits angesehen hatten. Wenn, dann ließ es sich sein Vater nicht anmerken. Vielleicht war er auch leer oder die Dateien harmlos gewesen. Sein Vater reichte ihm den Datenträger und Naoko bedankte sich knapp. „Wir sollten morgen mit dem Training fortfahren. Dieselbe Zeit, hast du mich verstanden?“ Naoko nickte. Er hörte nur mit einem Ohr zu, zu sehr war er damit beschäftigt dahinterzukommen, was das Ganze mit seinem Onkel zu bedeuten hatte. Als er im Augenwinkel erkannte, wie sein Vater sich verbeugte, tat er es ihm schnell gleich. Dann erhoben sie sich beide und Naoko verließ den Dojo, während sein Vater damit beschäftigt war, die Kerzen zu löschen. Oben in seinem Zimmer warf Naoko seinen Laptop an, welcher mit surrendem Kühler hochfuhr und das helle Parkett eines Basketballfeldes als Desktopbild ihn begrüßte. Schnell den Stick angeschlossen und sofort öffnete dieser sich. Eine Reihe von Ordnern erschienen vor ihm, einzeln beschriftet Honey? Wasabi? las er sie in Gedanken vor und erkannte, dass das ein Stick von Gogos Freunden sein musste. Doch wie war er in die Hände seines Onkels geraten? Neugierig öffnete er den Ordner, der den Namen Gogo trug. Eine Reihe von Bilddateien und Programmen, deren Endungen Naoko völlig unbekannt waren, öffneten sich und, als er eines der Bilder anklickte, prangte mit einem Mal das Bild eines Anzugs auf dem Monitor. Ein lila farbener, hautenger Anzug auf der linken Seite sprang ihm dabei als erstes ins Auge und er erwischte sich einen flüchtigen Moment selbst dabei, wie er sich die kleine Frau in eben jenem Anzug vorstellte. Seine Wangen begannen zu glühen und schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Doch er musste zugeben, ihm gefiel sein Gedanke. Als er seinen Blick auf die andere Seite richtete, bemerkte er verschiedene Teile einer in gelb und rot gehaltener Rüstung mit einer Art Jetpack auf dem Rücken. Was hat Gogo mit einer Rüstung zu tun, sie baut doch an einem Fahrrad … Und in diesem Moment traf ihn die Erkenntnis wie ein Faustschlag. Kapitel 20: Die Leiden einer Mutter ----------------------------------- Der Wind strich sanft durch ihr Haar und ließ die Bäume und deren Blätter leise rascheln und ätzen. Dieser Balkon bot einen herrlichen Ausblick auf das azurblaue Meer und Cass kam nicht umhin, sich einzugestehen, dass sie einen solchen Ort gesucht hatte. Schon lange hatte sie davon geträumt, einmal aus der Stadt auszubrechen und mit ihrem Neffen ans Meer zu flüchten. Nun war das Wort Flucht genau das richtige Wort, um ihren Aufenthalt auf dieser Insel zu erklären. Immer wieder flackerten vor ihrem inneren Auge die Bilder jener Nacht auf, in der ihr geliebtes Café Lucky Cat den Nachthimmel mit meterhohen Flammen beleuchtet hatte. Sie erinnerte sich an das Gefühl, als die Hitze ihre Haut erwärmte, und unweigerlich brachte dieses Bild die Erinnerung an Tadashi zurück. Sie erinnerte sich an ihren Neffen, der fassungslos auf der Straße gesessen und sich schluchzend und entschuldigend in ihre Umarmung gekrallt hatte. Sie war in diesem Moment so unendlich glücklich gewesen, dass Hiro nichts passiert war. Ihn auch noch zu verlieren, hätte sie nicht ausgehalten. „Mrs. Hamada?“ erschrocken brach sie den Gedanken ab und wandte sich der Tür hinter ihr zu. In deren Rahmen stand Heathcliff, steif und höflich wie eh und je. „Braucht die Dame etwas?“ fuhr er fort und trat auf den Balkon. Cass atmete beruhigt aus und erwiderte „Vielen Dank, Heathcliff, aber momentan brauche ich nichts.“ Der Butler verbeugte sich höflich und drehte sich wieder um. Gerade, als er die erste Stufe genommen hatte, fiel Cass etwas ein. „Doch, vielleicht können sie mir helfen.“ sagte sie vorsichtig und hoffte, er würde ihr ihren plötzlichen Sinneswandel nicht übel nehmen. „Zu Ihren Diensten.“ erwiderte er nur und sah sie erwartungsvoll an. In Cass‘ Brust brannten so viele Fragen, die nach einer Antwort verlangten, dass sie sich nicht wirklich entscheiden konnte, welche sie zuerst stellen sollte. „Hat Mr. Zilla ...“ sie stoppte kurz, ehe sie fortfuhr. „Hat Mr. Zilla von den Heldenaktivitäten seines Sohnes gewusst?“ Heathcliff nickte. „Selbstverständlich. Ich unterrichte meinen Herrn stets über die Aktivitäten seines Sohnes.“ „Sie wussten es also auch? Hat er nicht versucht, es geheim zu halten?“ Der Butler schüttelte den Kopf. „Master Frédéric bat mich sogar, bei der Testphase der Erfindungen Ihres Neffen als Zielobjekt zu dienen.“ Tante Cass konnte nicht glauben, was sie da hörte. Diese Heldenwerkzeuge kamen ihr so gefährlich vor und sie hätte nie gedacht, dass Hiro sie an einem Menschen testen würde. Heathcliff schien ihren besorgten Blick zu bemerken, denn er erwiderte "Die Erfindungen Ihres Neffen sind vielfältig wie nützlich und mit der Wahl seiner Verbündeten auch in verantwortungsvollen Händen." Ja dachte sie. Das sind sie wirklich Warum nur hatte Hiro ihr nichts davon erzählt? Wieso hatte er so lange gebraucht, ihr Baymax vorzustellen, das Werk seines Bruders? „Haben Sie noch weitere Fragen?“ wollte Heathcliff schließlich wissen. Cass winkte ab. „Nein, danke, ich denke, das reicht fürs Erste.“ erwiderte sie und der Butler nahm nach einer kurzen Verbeugung die Treppe wieder in Angriff. Nun stand Cass wieder alleine auf dem Balkon und wandte ihren Blick wieder aufs Meer hinaus. Eigentlich hatte sie noch mehr Fragen, doch wusste sie nicht, ob Heathcliff dafür die richtige Person sei. Ein kurzer Windstoß kam vom Meer und brachte den Geruch von Salz mit, der sie umströmte. Was ist nur los? Sie fühlte sich elend und nutzlos. Immer hatte sie versucht, stark für die Jungs zu sein, was auch immer geschehen würde. Nach dem Tod ihrer Schwester und ihres Mannes hatte sie die beiden aufgenommen und alles in ihrer Macht Stehende getan, um das Leid und die Schmerzen über den Verlust zu mindern, noch ehe sie selbst bereit dafür gewesen war. Sie hatte nie wirklich Ahnung von Kindern gehabt, geschweige denn, wie man sie erzieht. Umso erleichterter war sie gewesen, als sich herausstellte, dass Tadashi die Rolle des großen Bruders mit solcher Hingabe erfüllte, dass er Cass damit ein wenig entlastete. Nun war Tadashi nicht mehr da und sie musste erkennen, dass Hiro seinen Platz eingenommen hatte. Er war schon lange nicht mehr der verletzliche, kleine Junge, der nichts als Unfug im Kopf hatte. Sie erinnerte sich noch daran, wie er einmal versucht hatte, Raketen zu bauen, und damit beinahe das Nachbarshaus in Brand gesteckt hatte. Oder als er seinen ersten Bot gebaut hatte, mit der Ausrede auf den Lippen, er würde ihr beim Haushalt helfen. Und immer mittendrin Tadashi, der ihn mahnte, ihn in die richtige Spur zu bringen versuchte. All das war vorbei. Energisch schüttelte sie den Kopf und vertrieb diese Gedanken. Dies war nicht der rechte Augenblick für Schwäche. Sie musste jetzt für Hiro da sein. Sie wandte sich vom Meer ab und stieg die Treppe zum Haus hinunter. Heathcliff war gerade dabei, den Tisch für das Frühstück zu bereiten, als er sie sah. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ fragte er sie höflich und man konnte den Anflug eines Lächelns unter seinem Schnauzer erkennen. Cass überlegte kurz, als ihr etwas einfiel. „Ja, wissen sie, wo Hiro und die anderen sind?“ Der Butler nickte und wies ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Er brachte sie in den Keller, vorbei an der Mauer, hinter der sich der Aufzug verbarg, hinein in diesen und hinunter in das riesige Areal. Sie hatte diese Halle schon das ein oder andere Mal betreten, doch überraschte sie die schiere Dimension der Anlage immer wieder. Als Heathcliff sich von ihr verabschiedete und mit dem Aufzug wieder nach oben fuhr, erblickte sie das Labor, in dem ihr Neffe in letzter Zeit immer arbeitete. Doch als sie dieses betrat, fand sie es leer vor. Von Hiro war weit und breit nichts zu sehen, genauso wenig wie von seinen Freunden. Die Geräte waren in Betrieb und brummten leise vor sich hin. Auf den Monitoren flackerten allerhand Diagramme und Textdateien, die sich in schnellem Tempo veränderten. Fasziniert trat sie an einen dieser Computer heran, auf dessen Bildschirm die Konzeptzeichnung eines Roboters prangte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie dieser in Realität aussehen mochte, doch kam er ihr riesig vor, auch wenn es nur eine simple Zeichnung war. Cass erstaunte es immer wieder, wozu ihr Neffe in der Lage war, wenn man ihm nur die richtigen Materialien gab. Es war immer schwer gewesen, ihm diese zu beschaffen. Allerdings fiel ihr eine große Last von den Schultern, als sie eines Tages erkannte, dass er sich diese Gerätschaften meist selbst zusammenbaute. „Mrs. Hamada?“ erschrocken fuhr sie hoch, als sie ihren Namen hörte und drehte sich hastig zu der Quelle um. Dort stand Callaghan mit einer Tasse in der Hand, deren Inhalt warm dampfte. „Verzeihung …“ stammelte Cass. „Ich wollte nichts anfassen, ich …“ Der alte Mann hob nur abwehrend die freie Hand und lachte leise. „Machen Sie sich keine Gedanken darüber, es ist alles in Ordnung.“ Er schritt an ihr vorbei, ergriff einen der zahlreichen Stühle und setzte sich. „Kann ich Íhnen helfen?“ fragte der alte Mann, nachdem er noch einen kurzen Zug genommen hatte und die Tasse dann mit schnalzenden Lippen auf einem der Schreibtische abgestellt hatte. Seine Mimik verriet, dass der Inhalt wohl noch etwas zu heiß gewesen war. Ein allzu bekanntes Bild für Cass. Wieder drifteten ihre Gedanken in Richtung ihres Cafés ab und sie hätte sich beinahe selbst für diese Schwäche geohrfeigt. „Alles in Ordnung?“ fragte Callaghan schließlich, als er keine Antwort erhielt. „Ja, alles in Ordnung.“ antwortete Cass hastig und ließ sich ebenfalls auf einem der Stühle nieder. Sie kannte den Professor von Tadashis Erzählungen her und hatte ihn kurz auf der Messe im letzten Jahr live erlebt. Das war das erste Mal, dass sie die Gelegenheit hatte, mit ihm zu reden. Vor allem jetzt, nachdem Hiro ihr die ganze Geschichte erzählt hatte. Vergessen war, dass sie eigentlich nach ihrem Neffen sehen wollte, und verlegen sah sie den alten Mann an. Callaghan nahm noch einen kurzen Zug und erwiderte ihren Blick mit einer Spur Mitleid, wie ihr schien. „Nur heraus damit.“ begann er vorsichtig. Cass biss sich auf die Zähne und überlegte kurz, wie sie vorgehen sollte. Nach kurzer Zeit entschloss sie sich, einfach den direkten Weg zu wählen. „Warum haben Sie meinen Neffen sterben lassen?“ Eine bedrückende Stille folgte auf diese Frage und sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Sie konnte hören, wie er einen weiteren Schluck nahm, die Tasse leise klackend auf den Tisch abstellte und leise seufzte. „An diesem Tag … Es war alles etwas anders geplant.“ fing er vorsichtig an und Cass kam es so vor, als versuchte er, die richtigen Worte zu finden. Sie zwang sich, ihren Blick wieder zu heben und ihn anzusehen. Er hatte seinerseits seinen Blick abgewandt und starrte in die Luft. „Alles etwas zu spontan …“ fügte er hinzu. Er sah ihr in die Augen, seufzte noch einmal und begann zu erzählen. „An diesem Abend …, als ich diese unglaubliche Erfindung von Hiro sah, beschlich mich ein kühner Gedanke. Ich habe viel Zeit damit verbracht, meiner geliebten Tochter nachzutrauern, einen Weg zu finden, die unglaubliche Wut, die ich in mir trug, loszuwerden. Nicht mehr still dazusitzen und es hinzunehmen, sondern die Welt wissen zu lassen, was passiert war. An diesem Abend erkannte ich meine Chance. Ich sah das Potenzial dieser Erfindung und wie sie mir dabei helfen konnte, dieses vermaledeite Tor wieder zusammenzubauen und es Krei persönlich auf seinen blonden Haarschopf zu pflanzen.“ So hart die Worte auch erschienen, die er aussprach, so sehr fehlte die Kraft dahinter. Es schien für Cass beinahe so, als stünde dieser Mann nicht wirklich hinter dem, was er aussprach. Oder zumindest nicht mehr. Klackernd stellte er die Tasse wieder auf den Tisch und fuhr fort. „Ich musste schnell sein, musste diese Gelegenheit nutzen. Eilig und wie in Rage legte ich das Feuer. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne, doch wusste ich, dass es nun kein Zurück mehr gab, als die Flammen immer höher stiegen. Eigentlich hatte ich gedacht, den Zeitpunkt gut gewählt zu haben. Alle Besucher waren dabei, das Gebäude zu verlassen, niemand würde zu Schaden kommen. Mein Hass auf Krei hatte mich blind für die Konsequenzen gemacht, ich hatte nur noch mein Ziel vor Augen. Ich ergriff den Neuraltransmitter und formte einen Schild aus Microbots um mich herum. Dann gab es diese riesige Explosion. Ich hatte nicht mit etwas Derartigem gerechnet, wollte ich doch nur, dass die ganze Halle abbrannte und man glaubte, ich wäre unter ihr begraben. Erst nachdem ich entkommen war und aus dem Schatten heraus Hiro dort am Boden liegen sah … wie er Tadashis Namen in die Flammen rief … erkannte ich …“ Er sah auf seine Hände, sie zitterten beinahe unmerklich. „… Erkannte ich, was geschehen war.“ Er sah ihr in die Augen. „Doch in diesem Moment war es mir egal. Ich war so blind vor Zorn, ich habe mir sogar versucht einzureden, dass auch dies die Schuld von Krei war, weil er mich dazu getrieben hatte. Oder dass es Tadashis Schuld gewesen sei, dass er mir nicht hätte folgen dürfen. All das, nur um mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.“ Cass spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, wie sich der Kloß in ihrem Hals bildete und ihr den Atem raubte. Energisch schüttelte sie den Kopf, versuchte sich die Tränen aus den Augen zu wischen, ehe sie ihr Gesicht hinab fließen konnten. Nicht jetzt, nicht hier. Es tat so unglaublich weh, diese Worte zu hören, die Bilder wieder vor Augen zu haben. Hiro, der Tadashis Namen schrie, und der Augenblick, als auch ihr klar wurde, was in diesem Moment geschehen war. Die Kälte, die sie in dieser Nacht umfing, egal, wie hoch die Flammen auch schlugen. „Ich verabscheue mich bis heute für diese Gleichgültigkeit. Dass ich nichts unternommen hatte. Nein …, dass ich etwas unternommen habe. Ich kann das nicht wieder gut machen. Weder für sie noch für Hiro, so sehr ich es mir auch wünsche.“ Cass bebte und die Tränen bahnten sich erbarmungslos ihren Weg. „War es das wert?“ schluchzte sie, um klare Worte bemüht. „War das alles das Leben meines Neffen wert?!“ Sie biss die Zähne so hart zusammen, dass sie das Gefühl bekam, jeden Moment würde ihr Kiefer brechen. „Kein Leben ist das Opfer eines anderen wert …“ flüsterte Callaghan beinahe. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte ihm jedes nur erdenkliche Leid angetan, das ihr in ihrer schieren Wut eingefallen wäre. Sie konnte nicht antworten, konnte nicht atmen und alles war von Tränen verschwommen. Gerade, als sie es nicht mehr aushielt, laut schreien wollte, ihrer Trauer nachgeben wollte, in diesem Moment schlangen sich zwei zierliche Arme um ihren Körper und drückten sie fest an sich. Cass sah nicht nach oben, sah sich nicht um. Ihr war es egal, wer sie in die Arme nahm. In diesem Augenblick war ihr alles egal und sie gab sich der Umarmung hin. In diesem Augenblick wollte sie schwach sein. Sie wusste nicht, wie lange sie in dieser Umarmung gewesen war, doch als die liebliche Stimme Honeys sie wieder aus ihrer Trauer zog, war ihr das auch egal gewesen. Ihre Wangen brannten wie Feuer und ihr Mund war trocken. Vorsichtig löste die Blondine die Umarmung und sah ihr in die Augen, warm lächelnd, wie sie es immer tat. „Wir sind bei Ihnen, Tante Cass.“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und Cass war dankbar dafür, dass sie hier war. Langsam griff Honey sich einen der freien Stühle und setzte sich direkt neben Cass, die langsam begann, ihre Gedanken wieder zu ordnen, die Trauer zu überwinden und sich wieder zu beruhigen. „Wie kann ich Hiro eine Hilfe sein, wenn ich so schwach bin?“ stammelte sie, noch immer leicht schluchzend. „Das stimmt nicht.“ fing Honey ruhig an und lächelte. „Sie haben ihm so viel Kraft gegeben, ihn nie aufgegeben und angetrieben. Ohne Sie wäre er nicht zu dem geworden, was er heute ist.“ Cass musste lachen. Ihr war absolut nicht danach zumute, doch konnte sie nicht anders. „Das war alles Baymax, nicht ich.“ erwiderte sie. Sie war keine Hilfe gewesen und an dem Tag, an dem sie dachte, Hiro hätte sich endlich aufgerafft, war er auch nur hinter Baymax her gewesen, wie Hiro ihr erzählt hatte. „Nein, Sie waren da, bevor Baymax es tat, und auch lange danach.“ Wieder rieb sie sich die Augen und zwang sich, Honey in die Augen zu sehen. „Vieles, was er erreicht hat, hat er dank Ihnen geschafft.“ Cass hörte, wie Callaghan sich seine Tasse nahm und sich erhob. Sie hatte schon völlig vergessen, dass er noch hier war. Wortlos trat er an die beiden heran, seine freie Hand in seiner Hosentasche versenkt. „Ich kann nicht rückgängig machen, was geschehen ist. Noch weniger erwarte ich von Ihnen, dass Sie mir verzeihen. Ich will nur, dass Sie es verstehen …“ „Robert?“ Eine weitere Stimme unterbrach seinen Satz und, als die drei in Richtung Tür blickten, stand dort Mr. Zilla im Türrahmen. Er räusperte sich. „Es tut mir leid, Sie unterbrechen zu müssen, doch es wird Zeit, dass wir aufbrechen.“ Cass sah ihn fragend an. „Aufbrechen? Wohin?“ Mr. Zilla tat einen Schritt ins Labor und antwortete „Ihr Neffe und ich haben womöglich einen Plan, um unsere gemeinsamen Feinde festzusetzen.“ Honey fragte neugierig „Welchen Plan?“ „Hiro wird euch das beizeiten erklären, doch ist es nun von äußerster Wichtigkeit, dass Professor Callaghan und ich uns unverzüglich auf den Weg machen, um diesen in die Wege zu leiten. Kann ich auf Ihre Hilfe zählen, Robert?“ fordernd sah er ihn an. Callaghan stellte ohne ein weiteres Wort seine Tasse auf den nächsten Schreibtisch, ergriff seine Weste vom Kleiderhaken an der Tür und trat an Mr. Zilla heran. „Natürlich.“ Freds Vater nickte zufrieden. „Gut, dann folgen Sie mir. Die Einzelheiten werde ich Ihnen im Heli erklären.“ und ehe man sich versah, waren die beiden verschwunden, jedoch nicht ohne dass Callaghan einen letzten Blick zu Tante Cass warf. Als die beiden Frauen dann alleine im Labor saßen, beruhigte sich Cass allmählich wieder. „Danke, Liebes.“ wandte sie sich an Honey. „Du hast mir wirklich geholfen.“ Die Blondine lächelte sie warm durch ihre Hornbrille an. „Das habe ich gerne gemacht.“ So langsam fiel Cass auch wieder ein, weshalb sie ursprünglich überhaupt hierhergekommen war. „Wo steckt eigentlich Hiro?“ „Der befindet sich unten und trainiert mit den anderen.“ „Was ist mit dir?“ fragte Cass und Honey lächelte verlegen. „Ich konnte dem ein wenig entfliehen.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl. „Wollen Sie ihn sehen?“ Cass nickte eifrig und erhob sich ebenfalls. Sie folgte Honey hinaus auf einen der Vorsprünge, von wo aus sie einen perfekten Überblick über die Halle hatte. Sofort sah sie ihren Neffen, wie er gemeinsam mit Gogo, Fred und Wasabi dort unten stand und allerhand Übungen und sowohl kurze wie auch hitzige Diskussionen führte. „Er ist ein richtiger Anführer.“ schwärmte Honey leise und Cass konnte dem nur zustimmen. Ihr kleiner Neffe, der nur Unsinn im Kopf gehabt hatte, war erwachsen geworden und hatte eine Rolle eingenommen, die sie nie für möglich gehalten hatte. Als sie die Gruppe dort unten beobachtete, fiel ihr der riesige Roboter auf, der in seiner roten Rüstung etwas abseits stand und die Freunde zu beobachten schien. „Ist das Baymax? Was tut er da?“ Wollte Cass wissen. „Er analysiert, hat Hiro gesagt. Er soll mit seinem Scanner und seiner unglaublichen Datenbank unsere Bewegungsabläufe beobachten und analysieren, damit Hiro unsere Rüstungen weiter anpassen kann.“ Cass war mehr als beeindruckt, doch jagte ihr dieser Riese aus Metall auch Angst ein. „In seiner Vinylhülle hat er mir besser gefallen.“ Honey lachte leise bei diesen Worten. „Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist immer noch derselbe Baymax wie ohne Rüstung.“ Sie lehnte sich auf das Geländer und schob ihre Haare zurecht. „Hiro würde niemals etwas an Baymax verändern. Immerhin ist es das Erbe seines Bruders, auf das er nun achten muss.“ „Ja …“ flüsterte Cass leise. Es erfüllte sie mit Stolz zu wissen, dass Hiro das Andenken seines Bruders so ehrte. Er verpasste dem Roboter seine ganz eigene Note und das, ohne Tadashis Arbeit zu verändern. „Er hat Angst.“ fing Honey auf einmal an. „Wie meinst du das?“ fragte Cass überrascht, denn ängstlich kam er ihr nie vor. „Er hat gesehen, was geschieht, wenn Baymax in die falschen Hände fällt, die falschen Befehle befolgt. Er hat den Schaden gesehen, den Baymax anrichten kann und die Gewalt, die er ausüben kann. Auch, wenn er es wahrscheinlich nie zugeben würde …“ Honey wandte ihren Blick wieder Cass zu. „… Doch hat er an dem Tag, als er Baymax völlig entfesselt auf Callaghan losgelassen hat, erkannt, welche große Bürde ihm diese neue Aufgabe als Superheld gebracht hat. Kurzum, er hat Angst, dass Baymax für schändliche Zwecke missbraucht werden könnte und würde es daher auch nie zulassen, dass jemand durch ihn ernsthaft zu Schaden kommt.“ Hiro erstaunte sie immer wieder, musste sie sich eingestehen und, wenn sie so darüber nachdachte, war sie froh, dass die Lücke, die Tadashi hinterlassen hatte, ihm die Chance gegeben hat, eine solche Größe zu erreichen. „Das ist mein Neffe …“ flüsterte sie. „Ich liebe meine Familie …“ Kapitel 21: Planungsphase ------------------------- Rumpelnd landete die stählerne Libelle auf dem Landeplatz des Firmengeländes. Direkt neben diesen stand bereits ein blonder Mann im feinen Anzug mit seiner Sekretärin an seiner Seite. Nervös atmete Robert aus, als er die Gestalten erkannte. Der Mann war eine der letzten Personen, die er sehen wollte. Einst war er der letzte von allen gewesen, doch diesen Rang hatten ihm inzwischen zwei andere Personen streitig gemacht. „Beruhig dich.“ hörte er die mahnende, aber gefühlvolle Stimme von Stan Zilla zu sich sagen und Robert lenkte seinen Blick vom Fenster weg. „Natürlich, Sir, ich werde ...“ „Um Gottes Willen, Robert. Jetzt lassen Sie das endlich mit der Förmlichkeit. Nennen Sie mich bitte Stan. Ich komme mir sonst so alt vor.“ lachte ihn Freds Vater an und auch Robert lächelte verlegen. Dann erhob jener sich aus seinem Sitz und sah Robert in die Augen. „Überlassen Sie mir für den Anfang das Wort. Vertrauen Sie mir.“ Das versuche ich dachte Robert sich. Es war nicht so, dass er befürchtete, Mr. Zilla würde ihn auflaufen lassen, sondern vielmehr die Angst, er würde sich hinsichtlich dieses Plans irren. Stan hämmerte gegen die Tür zur Pilotenkanzel. „Lassen Sie die Rotoren laufen, Heathcliff.“ „Wie Sie wünschen, Sir.“ Er grummelte ein wenig bei der Antwort seines Butlers, doch erwiderte nichts dazu. Mit einem lauten Zischen und Knacken öffnete sich die seitliche Tür des Hubschraubers und kühler Frühherbstwind umfing sie. Elegant stieg er aus dem Gefährt aus, das auch Robert nach kurzem Zögern verließ. Alistair Krei sah abwechselnd zwischen Mr. Zilla und ihm hin und her, nicht ohne den ein oder anderen Gesichtsmuskel zu verziehen, wenn er zu Robert sah. Wenn auch nur leicht. Als sie nah genug waren, dass sie die lauten Rotoren übertönen konnten, breitete Krei seine Arme begrüßend in Richtung Stan aus. „Willkommen, Mr. Zilla, auf meinem bescheidenen Eigentum.“ Der Angesprochene nickte unauffällig zur Begrüßung und reichte Krei die Hand. Sofort und eifrig erwiderte Krei den Gruß. Als er zu Callaghan rüber sah, sagte er höflich aber distanziert „Robert.“ „Mr. Krei.“ erwiderte Robert ruhig. Es fiel ihm schwer, seinem ehemaligen Arbeitgeber in die Augen zu sehen. Noch immer drückte die Scham der Schuld unbarmherzig auf ihn ein. Krei legte die Hände zusammen. „Mr. Zilla… Als ich hörte, dass eine so berühmte Persönlichkeit meine Fabrik besuchen wollte, konnte ich es zuerst nicht glauben. Es ist mir eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sie ...“ Er machte eine kurze Pause und wagte einen Seitenblick zu Robert. „... Sie hatten nicht angegeben, aus welchem Grund Sie nach einem persönlichen Gespräch verlangt hatten.“ Stan hob mahnend die Hand. „Das werde ich Ihnen hier draußen auch nicht sagen.“ Krei sah ihn fragend an, setzte jedoch schnell sein Lächeln wieder auf und sagte „Wir können uns gerne in meinem Büro unterhalten, folgen Sie ...“ Wieder hob Stan die Hand und unterbrach ihn. „Nein, ich fürchte, das ist noch zu unsicher.“ Er wies auf den Hubschrauber. „Ich denke, wir sollten uns bei einer kleinen Runde über der Stadt unterhalten.“ „Mr. Krei ...“ schaltete sich seine Sekretärin ein. „Darf ich Sie daran erinnern, dass sie in einer Stunde einen Termin mit dem Stadtrat haben?“ Der Angesprochene schlug wieder seine Hände zusammen und sah Stan entschuldigend an. „Wie Sie sehen, ist mein Terminkalender recht gut gefüllt. Ich versichere Ihnen, mein Büro ist mit Abstand der sicherste Ort auf diesem Gelände.“ „Und ich versichere Ihnen, für das, was ich Ihnen zu sagen habe, reicht diese Sicherheit nicht aus.“ erwiderte Mr. Zilla scharf. Ratlos sah Krei zu seiner Sekretärin. Robert kannte ihn gut genug, um zu wissen, was in diesem Moment in ihm vorging. Er wägte das Risiko ab und den möglichen Gewinn und da fiel Robert ein, womit er ihn vielleicht ködern konnte. „Es wird sich für Sie auszahlen, Mr. Krei.“ Überrascht sah Krei ihn an, änderte jedoch schnell wieder seine Mimik und sah Callaghan finster an. „Die letzte Aktion, an der Sie beteiligt waren, hat mich einen ganzen Campus gekostet!“ Sein Tonfall war scharf und anklagend. Wie konnte Robert dem widersprechen? Immerhin stimmte es. Als er damals festgenommen wurde und seine Tochter im Krankenhaus langsam wieder zur Besinnung kam, drang die Geschichte rund um ihr Verschwinden sehr schnell an die Öffentlichkeit und die Schlagzeilen der Zeitungen schlugen Wellen. Als es schließlich zur Gerichtsverhandlung kam, hatte Krei ihn in aller Öffentlichkeit begnadigt und auf alle Anklagen verzichtet. Auch, wenn Robert in diesem Moment nicht ganz klar war, weshalb er das getan hatte, so erkannte er dessen Absichten später in Gänze. Durch die bereitwillige Opferung ihrer Mitarbeiter, wie es die Zeitungen wochenlang dank Abigail in großen Lettern auf ihr Papier geschrieben hatten, hatte die Firma einen gewaltigen Imageschaden davongetragen und durch die Begnadigung eines, wie Krei es in seiner Ansprache meinte, "gebrochenen alten Mannes, der schon alles verloren hatte", konnte seine PR-Abteilung ihn schnell als reumütigen und gnadenvollen Menschen darstellen, der seine Fehler bereute und alles dafür tat, um sie wieder gerade zu biegen. Robert war dies alles egal. Ihm wäre es auch recht gewesen, wenn er ihn als Wahnsinnigen hingestellt hätte. Das Einzige, was für ihn zählte, war, dass Abigail wieder bei ihm war und, im Grunde genommen, war er Krei im Nachhinein dankbar für diesen Schritt gewesen. Krei lenkte seinen Blick wieder auf Stan. Dieser nickte zustimmend und fügte hinzu „Es gibt viel wieder gut zu machen, das ist wahr.“ Er sah kurz zu Robert rüber. „Und genau deswegen sind wir heute hier. Hätte Mr. Callaghan nicht die Courage besessen, mit diesem Wissen, das wir Ihnen mitteilen wollen, zu mir zu kommen, ständen wir heute nicht hier.“ Krei schien mit sich selbst zu kämpfen, doch gab er letzten Endes schließlich nach. „Nun gut, meine Herren. Dann besprechen wir alles weitere in Ihrem Heli.“ Als Krei und seine Sekretärin ihre Schritte in Richtung des Gefährts lenkten, hob Stan abermals den Arm und versperrte der Frau den Weg. „Sie werden hierbleiben.“ Geschockt sah sie den alten Mann an, doch das zustimmende Nicken ihres Chefs hielt sie von einer Antwort ab. Eilig und ohne ein weiteres Wort stiegen die Drei in den Helikopter. „Nun, meine Herren, ich bin ganz Ohr.“ fing Krei an, als sie schließlich einige Meter in die Höhe gestiegen waren. Robert wagte einen kurzen Blick zu Stan, der sich zurücklehnte. „Ich glaube nicht, dass ich Ihnen erzählen muss, dass es in letzter Zeit vermehrte Einbrüche in Ihren Laboren und Lagerhallen gegeben hat, nicht wahr?“ fing er vorsichtig an und rückte seine Brille etwas zurecht. „Nein, das ist tatsächlich schon zu mir vorgedrungen.“ erwiderte Krei mit sarkastischem Unterton. „Ich hoffe nicht, dass Sie hier sind, um mir von den Ereignissen zu erzählen, die man in allen Nachrichten sehen konnte.“ Stan lächelte. „Nein, keine Sorge. Wir sind hier, um Ihnen dabei zu helfen, diese zu beenden.“ Krei hob eine Augenbraue und sah die beiden abwechselnd mit ungläubigem Blick an. Er faltete die Hände zusammen und lehnte sich nach vorne. „Sie haben also Informationen, die ich nicht habe?“ Stan nickte knapp. „Und Sie haben ebenfalls Informationen, die wir nicht haben.“ „Sie wollen also einen Austausch?“ Callaghan konnte sehen, wie sich die Augen von Freds Vater zu Schlitzen formten. „So ist es.“ Krei überlegte kurz, ehe er fortfuhr „Nun, wir werden sehen. Ich werde entscheiden, ob ich mit den von Ihnen gegebenen Informationen etwas anfangen kann. Sie können das, denke ich, gut verstehen, Mr. Zilla, dass ich nicht über alle Aspekte dieser Ereignisse sprechen kann. Allein schon aus Gründen der Geheimhaltung.“ „Dann haben wir ein Problem, Alistair.“ schaltete sich nun Robert ein und erntete einen scharfen Blick seines Gegenübers. „Sofern Sie nichts vorzuweisen haben, würde ich es vorziehen, wenn sie sich aus dem Gespräch raushalten würden.“ „Mr. Krei.“ schaltete sich Stan ruhig ein. „Ihre Differenzen sind nicht von der Hand zu weisen, doch sollten wir professionell bleiben. Mr. Callaghan ist aus gutem Grund hier.“ Krei seufzte hörbar, nachdem Stan geendet hatte. „Nun gut. Dann fangen Sie mal an.“ sagte er und blickte erwartungsvoll zu Callaghan. Als Stan und Robert wenige Stunden zuvor in den Heli gestiegen waren, hatte Freds Vater ihm von Hiros Plan erzählt und ebenso die Vorgehensweise, wie sie mit Krei umgehen sollten. Es lag an Robert, in dieser Diskussion als Informant zu fungieren, um Krei nicht an seiner Schlüsselposition zweifeln zu lassen. Robert verstand nicht ganz, was Stan mit dieser Methode bezwecken wollte, doch hatte er schnell begriffen, dass es einfacher war, seine Vorgehensweisen nicht in Frage zu stellen, so schwer es ihm auch fiel. „Wir wissen um die Identität einer der beiden Einbrecher.“ Das schien Krei zu überraschen und für einen kurzen Moment sah er ihn ratlos an. Schnell jedoch legte er wieder seine harte Mimik auf, als würde er am Wahrheitsgehalt dieser Aussage zweifeln. „Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass die Polizei noch nichts von Ihrem Wissen erfahren hat und diese Person nicht bereits hinter Gittern sitzt?“ fragte Krei. Weil wir nicht völlig sicher sind dachte Robert sich. Doch stattdessen sagte er das, was Stan ihm zuvor geraten hatte. „Weil die Identität des Anderen noch immer ungeklärt ist und bei einer zu frühen Intervention die Gefahr besteht, dass dieser entkommen könnte.“ „Warum kommen Sie damit zu mir?“ „Weil Sie uns dabei helfen können, die beiden festzusetzen.“ antwortete Stan für Robert. Krei stützte seinen rechten Arm auf sein rechtes Bein und schien nachzudenken. Nach einer kurzen Pause sah er zu ihnen auf und fragte „Wie?“ Stan lächelte verhalten. „Zunächst bräuchten wir noch ein paar Informationen von Ihnen.“ Krei atmete hörbar aus. Ihm schien das Ganze nicht zu gefallen. Ob es nun daran lag, dass er ihnen nicht glauben wollte, oder weil sein ehemaliger Gegner an der Sache beteiligt war, konnte Robert nicht erkennen. „Gut, fragen Sie. Ich werde sehen, was ich Ihnen davon beantworten kann.“ sagte er schließlich. „Wie Sie es schon zu Beginn sagten, wurde Vieles über diese Einbrüche bereits in den Nachrichten erwähnt. Doch noch lange nicht alles.“ fing Stan an und Robert fügte hinzu „Es wurde von einer Reihe von Einbrüchen gesprochen, doch nicht von wie vielen genau.“ Eigentlich wussten sie diese Antwort bereits von Stans Kontakten bei der Polizei, doch mussten sie vorsichtig an die Sache heran gehen. „Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt vier meiner Labore unter diese Einbruchserie gefallen sind. Das letzte erst diese Nacht.“ das überraschte Robert und er wagte einen Seitenblick zu Stan. Dieser jedoch wirkte völlig unbeeindruckt. „Diese Nacht?“ fragte Robert nach und Krei nickte. „Ja.“ Stan legte die Stirn in Falten. „Sind sie genauso vorgegangen, wie bei all den anderen Einbrüchen?“ wollte Robert wissen. „Ja. Sie haben ein Loch in die Außenwand gerissen und dabei den Alarm ausgelöst. Dieselbe brutale Vorgehensweise wie bei den anderen. In kürzester Zeit waren sie dann auch wieder verschwunden.“ Freds Vater schien nachzudenken, ehe er fortfuhr. „Verstehe. Dann wäre das nächste, was wir wissen müssen: Worauf genau sie es eigentlich abgesehen haben." Krei wirkte auf diese Frage ein wenig verärgert, wenn auch nicht überrascht. „Mr. Zilla, Sie müssen verstehen, dass manche der Projekte meiner Firma einer strengen Geheimhaltung unterliegen.“ Sein Tonfall war merklich kühler und distanzierter geworden. „Das ist mir bewusst. Ich hörte davon, dass das Militär an einigen Ihrer Exponate mehr als interessiert ist.“ fügte Stan mit freundlicher Stimme hinzu. Krei hingegen schien kurz die Sprache verloren zu haben, fing sich aber schnell wieder. „Nun, es ist kein Geheimnis, dass meine Firma Innovationen in alle Richtungen der Technik vorantreibt, so natürlich auch fürs Militär. Aber es sei Ihnen versichert, Mr. Zilla, nur zur Unterstützung von Logistik und medizintechnischen Verfahren. Niemals für Waffen.“ „Sie müssen sich dafür nicht rechtfertigen, dafür sind wir nicht hier. Alles, was uns interessiert, ist, auf was es die beiden abgesehen haben.“ erwiderte Stan. Robert fügte hinzu: „Die Geheimhaltung Ihrer Maschinen ist mir durchaus ein Begriff und das wissen Sie, Krei. Aber wenn wir die beiden aufhalten wollen, müssen wir wissen, auf was sie es abgesehen haben.“ Krei rieb sich genervt die Stirn und schwieg einen Augenblick. „Gehen wir einmal davon aus, ich sage Ihnen, was sie gestohlen haben. Was werden Sie mit diesem Wissen anfangen?“ fragte er sie schließlich und sah neugierig abwechselnd zu Stan und zu Robert. Auf diese Frage hatten die beiden gehofft. „Erinnern Sie sich noch an die Gruppe, die mich vor mehr als einem Jahr davon abgehalten hat, Ihren ganzen Besitz zu vernichten?“ fragte Robert und ihm blieben die Worte beinahe im Hals stecken, als er darüber nachdachte, wie das aus seinem Mund klingen mochte. „In der Tat ...“ fing Krei vorsichtig an und Stan fügte hinzu: „Nun, diese Gruppierung hat ebenfalls ein Interesse daran, die beiden festzusetzen, doch dafür brauchen wir Ihre Hilfe und diese Informationen. Sie sind der Einzige, der bisher unter dieser Einbruchserie zu leiden hatte, also sollten doch gerade Sie daran interessiert sein, dass man diese beendet.“ Robert wusste, dass sein ehemaliger Arbeitgeber diesem Argument eigentlich nichts entgegen zu setzen hatte. „Was haben ausgerechnet Sie mit diesen Leuten zu tun?“ Mit dieser Frage hatte Robert gerechnet, doch Stan erwiderte wie aus der Pistole geschossen mit einem Ton, der keine weiteren Fragen zuließ: „Das ist nicht wichtig für unsere Unterredung, glauben Sie mir. Kommen wir zurück zum Kern der Sache. Auf was haben es die Diebe abgesehen?“ Krei rieb sich erneut die Stirn und seufzte. Offenbar gefiel ihm die Antwort nicht, doch ging er nicht weiter darauf ein. Robert wusste, dass er seine eigenen Schlüsse zog. Stattdessen antwortete er „Sie haben es offenbar auf verschiedene Komponenten abgesehen. Meistens Innovationen, die sich noch im Teststadium befanden.“ antwortete er schließlich. „Zum Beispiel?“ hakte Stan nach. „Im ersten Labor, das sie überfallen haben, befanden sich neue Antriebselemente. Wir hatten sie gerade erst dorthin verlegt. Im zweiten wurden die Pläne für eine bisher nicht erprobte Energiequelle aufbewahrt. Alles hoch experimentell.“ Krei rieb sich die Stirn. Er schien mit sich selbst zu kämpfen, die richtige Mischung aus Einzelheiten und grober Übersicht zu finden, um nicht zu viel zu verraten. „Reden wir hier über einen ARC-Reaktor?“ hakte Robert vorsichtig nach und Krei funkelte ihn wütend an. Robert hatte im Zuge der Arbeit seiner Tochter für Krei an dem Projekt Silent Sparrow von diesem Prinzip der Energiegewinnung gehört und wurde zu Rate gezogen, ob sich dieses für die Tore realisieren ließe. Sie hatten es geschafft, kleinere Versionen davon für die Tore nutzbar zu machen, sobald die einzelnen Elemente verbunden waren und einen geschlossenen Kreis bildeten. Dies machte es den Wissenschaftlern möglich, sie von jeder angeschlossenen Energiequelle unabhängig zu machen und sie hätte damit sogar, soweit die Theorie, in einem Flugzeug oder einer Raumkapsel eingesetzt werden können. Dass ihre Feinde nun wahrscheinlich einen solchen Antrieb besaßen, beunruhigte Robert. „Ich denke, Sie werden mir die Funktionsweise nicht erläutern wollen, Mr. Krei, und das verstehe ich. Eine einfache Antwort, ob Mr. Callaghan Recht hat, würde mir genügen.“ fügte Stan hinzu und Krei nickte vorsichtig. Das reichte ihm als Antwort. „Nun fahren Sie fort.“ bat Stan. „Das dritte Labor, das sie letzte Woche ausgeraubt haben, beinhaltete ein experimentelles Schneidewerkzeug, das auf dem Prinzip eines Lasers basiert.“ Krei machte eine kurze Pause und, als er merkte, dass niemand etwas einwenden wollte, fuhr er schließlich fort. „Das letzte ... Das von heute Nacht ... Wir hatten einige Gerätschaften dorthin verlegt, die, sagen wir, etwas heikel sind.“ Stan und Robert zogen die Augenbrauen hoch und ehe Robert etwas sagen konnte, fragte Stan bereits „Sie brauchen uns keine Einzelheiten erklären, aber wir müssen wissen, um was es sich handelt.“ Krei schüttelte energisch den Kopf und sah fordernd zu Stan. „Ich finde, es ist jetzt eher an der Zeit, dass Sie beide mir erklären, was Sie eigentlich vorhaben.“ Robert kannte diesen Blick. Es war derselbe, der seine Tochter in das Tor geschickt hatte. Robert hatte ihm erklärt, dass die Schwankungen noch zu unkalkulierbar seien und das Feld zu instabil, doch Krei hatte darauf bestanden, die Maschine zu testen und nichts, was Robert sagte, konnte ihn davon abhalten. Sogar Abigail wollte endlich zum finalen Test übergehen und ignorierte die Einwände ihres Vaters. Er hatte damals so sehr gehofft, dass er sich geirrt hätte. Robert sah zu Stan hinüber und dieser nickte zustimmend. „Wie Sie wünschen, Mr. Krei.“ erwiderte Freds Vater, stützte seine Ellbogen auf seinen Knien ab und beugte sich vor. „Ich denke, Ihnen ist genauso wie uns aufgefallen, dass die beiden es auf wertvolle und neue Technologie abgesehen haben. Nun, vor kurzem hatten diese beiden auch Robert einen Besuch abgestattet.“ Das verblüffte Krei und er sah Robert ungläubig an. „Was ... Was wollten sie von Ihnen?“ wandte er sich direkt an den alten Professor. Robert seufzte, als er sich erinnerte. „Sie waren hinter den Microbots her.“ „Aber die haben Sie doch gar nicht ...“ „Nein.“ unterbrach Robert ihn. „Aber die beiden haben das geglaubt. Einer von ihnen, der sich selbst Gunner nennt, sagte, dass er im Fernsehen gesehen hätte, wie ich Ihren Campus zerlegt habe. Deshalb sind sie auf mich gekommen.“ Krei sah ihn nachdenklich an. Es war unmöglich, zu erahnen, was er in diesem Moment dachte. Freute er sich darüber, dass Robert für seine Fehler büßen musste? Hatte er gar Mitleid mit ihm? Oder überlegte er in seinem gierigen Verstand gar, wie er diese Chance nutzen konnte, um an die Microbots heran zu kommen? „Sie haben also mit ihnen gesprochen.“ erwiderte Krei schließlich, nach einer kurzen Pause. Robert nickte. „Ich verstehe. Es tut mir leid, was Ihnen passiert ist, doch ich sehe noch immer nicht, was das mit mir zu tun hat. Die Microbots sind immerhin nicht meine Erfindung.“ Stan nickte zustimmend, fügte jedoch hinzu „Da haben Sie Recht, doch Sie haben beide denselben Feind.“ Robert war erstaunt, wie weit dieser alte Mann das Gespräch geplant hatte. Beinahe alles lief so ab, wie er es vorausgesagt hatte. Sogar, dass Krei nicht weiter auf die Microbots eingehen würde, wofür Robert dankbar war, denn er wusste nicht, wie er Hiro dann aus der ganzen Geschichte hätte raushalten können. Stan hatte Robert erklärt, dass es wichtig wäre, Krei zu verstehen zu geben, dass sie beide auf derselben Seite stünden. „Und wie sieht der Plan nun aus?“ fragte Krei schließlich. Stan zupfte kurz an seinem Schnurrbart, bevor er anfing. „Unser Plan sieht vor, ihnen eine Falle zu stellen. Wir wollen sie in eine ihrer zahlreichen Labore locken. Weitere Einzelheiten kann ich Ihnen nicht nennen, aber seien Sie sicher, dass Big Hero 6 sich um die beiden kümmern wird.“ Krei sah ihn ungläubig an und fragte: „Big Hero 6?“ „So nennen sie sich inzwischen.“ beantwortete Robert die Frage. „Ich verstehe. Nun, und was ist mein Part bei dem Ganzen? Ich kann den beiden schließlich schlecht eine Email schreiben und sie darum bitten, ein Labor meiner Wahl zu überfallen.“ Stan lächelte, ob über diesen sarkastischen Witz oder über etwas anderes konnte Robert nicht sagen. Schließlich sagte er „Das ist wahr. Allerdings werden Sie auch bereits erkannt haben, dass die beiden offenbar an etwas Bestimmtem bauen, da wir aus polizeilicher Quelle wissen, dass Ihre Erfindungen noch nicht auf dem Schwarzmarkt gelandet sind.“ „Woher wollen Sie das wissen?“ hakte Krei nach und Robert antwortete „Seit Big Hero 6 den einen oder anderen Verbrecher gefangen hatte, konnten manche von ihnen von den Beamten davon überzeugt werden, fortan für die Polizei als Spitzel zu arbeiten.“ Krei funkelte die beiden wütend an. „Das heißt also, Sie beide wissen längst, was mir gestohlen wurde?“ „In der Tat.“ antwortete Robert und Stan fügte hinzu „Sie müssen verstehen, dass wir auch eine gewisse Sicherheit über die uns gegebenen Informationen haben müssen. Nicht zu vergessen, um Ihre Kooperationsbereitschaft zu testen.“ „So ist das also.“ Krei verschränkte die Arme vor seine Brust und ließ sich etwas in den Stuhl sinken. „Und wie habe ich bei Ihrem kleinen Test abgeschnitten?“ Stan lächelte ihn an. „Ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden, Ihre Misere zu beenden.“ Krei seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Als er sich schließlich wieder erhob, sagte er in strengem Ton „Nun gut. Ich werde Ihnen helfen, doch habe ich auch meine Bedingungen.“ Stan nickte „Wir sind ganz Ohr.“ „Nichts von diesen Erfindungen darf an die Öffentlichkeit gelangen und ich werde über jeden Schritt ihrer Gruppierung informiert!“ Robert sah zu Stan hinüber. Dieser antwortete „Einverstanden.“ „Gut, wie geht es also weiter?“ Das war Roberts Part. „Da sie bisher immer nur ausgesuchte Labore überfallen haben, müssen wir davon ausgehen, dass sie entweder einen Spitzel in ihren Reihen haben, oder dass sie ihre Systeme gehackt haben.“ Krei wollte schon etwas erwidern, doch fuhr Robert unbeirrt fort. „Was auch immer davon der Fall sein sollte, spielt fürs erste keine Rolle. Wir möchten, dass Sie in ihrer Firma das Gerücht verbreiten, sowohl mündlich als auch schriftlich, dass sich eine streng geheime Erfindung zu weiteren Testzwecken in eins Ihrer Labore gebracht wurde. Am besten eins am Rande der Stadt.“ Robert machte eine kurze Pause. „Ich weiß, dass Sie eine große Fantasie besitzen, was die Beschreibung Ihrer Werke angeht. Ihnen wird schon etwas einfallen.“ Krei überlegte kurz und lenkte seinen Blick aus dem Fenster. „Also eine klassische Falle.“ murmelte er, ehe er sich wieder den beiden zuwandte. „Also gut, ich denke, ich kenne für diese Zwecke das beste Labor. Sagen Sie ihren Superhelden, sie sollen sich am Freitag im Gebäude 7A nördlich des Fernsehturms auf die Lauer legen. Ich werde dafür sorgen, dass die beiden kommen.“ Er machte eine kurze Pause und knirschte mit den Zähnen. „Und wenn ich diese Ratte finde …“ Rumpelnd kam der Helikopter zum Stehen und unterbrach Krei. „Wo sind wir?“ fragte er und sah aus dem Fenster. „Wir sind wieder auf Ihrem Firmengelände.“ antwortete Stan und blickte auf seine Uhr. „Und, wenn ich das richtig sehe, sogar noch rechtzeitig für Ihr Meeting.“ Verdutzt sah Krei ihn an, als sich die Tür mit einem lauten Quietschen öffnete. Heathcliff stand vor dieser und wies Krei mit einer höflichen Geste hinaus. Als Krei dieser Folge leistete und mit sicherem Stand auf den Landeplatz getreten war, beugte sich Stan noch hinaus und sagte „Wir werden uns mit Ihnen in Verbindung setzen, wenn die Falle zugeschnappt ist. Und denken Sie daran ...“ Er blickte an Krei vorbei auf das Gebäude, dessen Tür sich gerade öffnete. Seine Sekretärin trat heraus und eilte zum Hubschrauber. „... Zu niemanden ein Wort über diesen Plan, so lange wir nicht wissen, wer noch alles involviert ist.“ Mit der flachen Hand an der Schläfe salutierte Stan und fügte hinzu „Ihr Vater wäre gewiss stolz auf Sie, wenn er sie jetzt sehen könnte.“ Mit diesen Worten schloss er die Kabine wieder und der Hubschrauber erhob sich in die Lüfte. „Wie meinen Sie das?“ fragte Robert schließlich neugierig. „Kannten Sie seinen Vater?“ Stan lachte leise und lächelte ihn wissend an. „Sagen wir, unsere Wege haben sich ein ums andere Mal gekreuzt.“ Eine Pause folgte und Robert blickte auf die Stadt hinaus. Er war aufgeregt, mehr als er es zugeben würde. Aufregung gemischt mit Angst. Er hoffte inständig, dass Hiro und seine Freunde diesen Vorteil für sich nutzen können. Mit einem Mal, noch versunken in Gedanken, fiel Robert auf, dass sie in die Stadt hinein flogen und nicht, wie er angenommen hatte, zur Insel zurück. „Wohin fliegen wir?“ fragte er Stan schließlich. „Wir müssen noch jemanden abholen.“ „Und wen?“ Statt zu antworten, zeigte Stan mit dem Finger nach draußen. Robert sah, wie sie auf eins der zahlreichen Hochhäuser zuhielten. Dort oben stand eine zierliche Gestalt mit braunem Haar, das im Wind tanzte. „Hiro hatte mich darum gebeten, sie beide außer Gefahr zu bringen.“ fügte Stan hinzu und ließ Robert nicht aus den Augen. Die Frau auf dem Dach winkte ihnen freudig zu und ein breites Grinsen zierte ihr Gesicht. “Abigail ...” Kapitel 22: Abschied -------------------- Mit einem lauten Zischen sauste das Projektil an ihrem Helm vorbei und schlug mit einem Krachen in der Wand neben ihr ein. Weitere folgten und gleich einem Maschinengewehrfeuer trommelten die Geschosse in die Mauer, immer knapp hinter ihr. Sie verlagerte ihr Gewicht und zog eine scharfe Kurve. Vor ihr baute sich das Ziel auf und sie ließ den Nachbrenner brüllen. Mit einem Affenzahn schoss sie auf den Riesen zu, der seine Plasmaklingen erhoben hatte und ihr entgegentrat. Seine Schläge waren schnell und präzise, das wusste Gogo. So würde sie ihm nicht beikommen können. Wenige Meter vor ihm erhöhte sie den Schub und sprang. Kopfüber, sich um die eigene Achse drehend, schien es ihr so, als würde die Zeit still stehen. Unter ihr sah Wasabi zu ihr auf, konzentriert und nervös zugleich. Mit schnellen Handgriffen lud sie ihre Schienen auf den Armen mit den Scheiben und feuerte. Doch Wasabi hatte seine Hausaufgaben gemacht. Noch ehe Gogo den Abzug betätigt hatte, zog er bereits zur Seite. Er hatte wie sie unglaubliche Reflexe und nutzte diese auch.  Seine Schwachstelle fieberhaft dachte sie nach, während sie in einer eleganten Rolle aufkam und im Augenwinkel sah, wie er auf sie zustürmte. Wieder brüllte der Nachbrenner und Gogo schoss zur Seite und wich dem Angriff aus, nicht ohne im kurzen Flug noch eine Scheibe zu greifen und sie Wasabi entgegen zu schleudern. Geschickt hob dieser den Arm und wehrte sie ab. Im Hintergrund hörte sie das Klackern der Kanone und sofort schoss sie wieder an Wasabi vorbei, brachte ihn damit zwischen die Kanone und sie selbst. Ein schnelles Donnern und die harten Gummigeschosse schmetterten in Wasabis Seite, der noch seine Hände zusammengeschlagen hatte und sein Plasmaschild formte, sich aber nicht mehr rechtzeitig umdrehen konnte.  „Au! Au! Ej!“ fluchte der Riese und sofort wurde das Feuer eingestellt. Heathcliff, mit einem zufriedenen Ausdruck auf den Lippen, ließ von der Kanone ab und stellte sich erwartungsvoll daneben.  „Ah, tut dat weh ...“ jammerte Wasabi wütend in Heathcliffs Richtung.  „Er kann nichts dafür. Er hat nur getan, was man ihm gesagt hat.“ schaltete sich Hiro ein, der mit den anderen an der Seite gestanden hatte, um den Kampf zu verfolgen.  „Beeindruckend, Gogo, wie du ihn dahin gelockt hast und die Kanone die ganze Arbeit machen lassen hast.“ schwärmte Honey und grinste sie breit an. Eigentlich hatte Gogo rein instinktiv gehandelt und sich keinen Plan zurecht gelegt. Doch sie ließ das unausgesprochen und blies stattdessen zufrieden ihren Kaugummi auf.  „Nun gut. Wasabi? Ist dir etwas aufgefallen im Kampf gegen Gogo?“ fragte Hiro und der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Abjesehn davon, dat sie keene Hemmungen hat, mick anzugreifen?“ erwiderte er und gluckste dabei leise. Hiro und Fred stimmten mit ein und grinsten breit. Seit dem Morgen waren sie nun schon mit dem Training beschäftigt und die Spuren der Erschöpfung zeichneten sich deutlich in ihren Gesichtern ab. Sie waren völlig verschwitzt und die eine oder andere Schramme zierte ihre Rüstungen. Sie hatten alle erdenklichen Methoden des Kampfes ausprobiert. Einen gelegten Hinterhalt. Einen vom Feind gelegten Hinterhalt. Sperrfeuer aller Kaliber, die sie hier zur Verfügung hatten. Angriffe mit Nahkampfwaffen wie Schwertern, Messern oder Speeren, so unwahrscheinlich das auch für sie sein mochte. Sie hatten sogar versucht, zu fünft gegen Baymax zu kämpfen, für den Fall, dass er gehackt würde oder anderweitig aufgehalten werden musste. Zuletzt hatten sie sich gegenseitig bekämpft. Das war der Teil gewesen, bei dem die meisten von ihnen Probleme gehabt hatten. Gegen einen Roboter wie Baymax, das war eine Sache. So sehr sie ihn auch mochten, es fiel ihnen deutlich leichter, gegen einen Gegner aus Metall anzutreten als gegen ihre Freunde. Sie wussten, Hiro konnte Baymax ersetzen und neu bauen, sollte etwas passieren. Es musste lediglich der Chip überleben, doch auch für den Fall, dass dieser ebenfalls zu Bruch gehen sollte, hatte Hiro ein Backup auf den Computern im Labor hinterlegt. Nur für alle Fälle. Auch wenn die Kämpfe gegen die eigenen Freunde lediglich dem Training dienten und in keinerlei Weise ernst waren, so hatten sie doch einen sehr bitteren Beigeschmack. Gogo hoffte inständig, dass sie niemals in die Situation kommen würde, ihre eigenen Freunde bekämpfen zu müssen, und sie war sich sicher, dass ihre Freunde genauso dachten. Dieses beklemmende Gefühl in der Brust war etwas völlig Neues. Sie hatte sich nie mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dass so etwas geschehen könnte. Diese Trainingskämpfe sollten auch eigentlich dem Zweck dienen, zu erkennen, was die Schwächen ihrer Kameraden waren und wann sie in Schwierigkeiten geraten könnten, wie es beispielsweise mit Wasabi im Kampf gegen Knight der Fall gewesen war. Dass sie rechtzeitig würden eingreifen und sich somit im Kampf besser würden ergänzen können. Für Hiro war es wahrscheinlich die perfekte Gelegenheit, sie mal alle in Aktion zu sehen, ohne dass jemandes Leben auf dem Spiel stand. Jedes Mal, wenn sie Hiro ansah, wie er dort stand, die Arme vor der Brust verschränkt, mit strengen und aufmerksamen Augen jede Bewegung beobachtend, erfüllte es Gogo mit Stolz.  Du wärst so stolz auf ihn. Sie nahm den Helm vom Kopf und ihre schweißnassen Haare klebten an ihrer Haut. Wasabi war ein harter Gegner, das musste sie zugeben. Wieder blies sie ihren Kaugummi auf und ließ ihn wieder platzen. Wasabi war gerade dabei, sich von Hiro anzuhören, worauf er achten sollte, doch Gogo bekam nicht mal die Hälfte davon mit. Sie war in Gedanken versunken und beobachtete einfach nur Hiro. Jede Bewegung, die er tat. Jede Mimik, jede Geste. So stolz. „Gogo?“ die helle Stimme ihrer Freundin holte sie wieder aus ihrer Trance und mit fragendem Blick sah sie zu Honey, die sich bereits neben sie gestellt hatte. „Alles in Ordnung?“ Gogo winkte kühn lächelnd ab.  „Alles gut, Honey.“ Honey lächelte und sah zu Hiro hinüber. „Es ist schon seltsam, aber, wenn man ihn so ansieht, erinnert er mich mit jedem Tag mehr an Tadashi.“ Gogo nickte zustimmend. Mit einem Mal ließ Hiro von Wasabi ab und wandte sich an den Rest der Truppe. „Ich denke, das reicht für heute. Ihr habt euch super geschlagen.“ Hiro zog sich den Helm vom Kopf und hob die Hand, welche Wasabi sofort mit einem Klatschen auf dieselbe erwiderte. Sofort fiel auch Fred mit ein und mit Baymax, der noch immer in seiner Rüstung in der Ecke stand, zog er seinen typischen Handschlag ab, der für den Roboter immer mit seinem charakteristischen „Balalala.“ endete.  „Eine Pause haben wir uns wohl verdient.“ fügte Honey freudig hinzu und zog ebenfalls ihren Helm aus. Hiro öffnete den Mund, als sich gerade die Tür zum Fahrstuhl öffnete und Mr. Zilla in die Halle trat. Er lehnte sich an das Geländer und sprach zu seinen Schützlingen hinunter. „Wie ich sehe, seid ihr mit dem Training fertig.“ Hiro nickte zustimmend und fragte: „Wie lief es mit Mr. Krei?“ Neugierig sahen die Freunde zu Freds Vater hoch und dieser antwortete: „Es wird genauso geschehen, wie du es geplant hast, Hiro. Wir haben noch zwei Tage Zeit, dann liegt es an euch.“ „Und Callaghan?“  Hiros Stimme nahm etwas an Schärfe zu, doch kam es Gogo so vor, als versuche er sich seinen Unmut nicht anmerken zu lassen. „Mr. Callaghan hat seine Aufgabe zu unserer Zufriedenheit erfüllt. Momentan befindet er sich mit seiner Tochter auf seinem Zimmer.“ „Abigail ist hier?“ fragte Honey neugierig und Stan nickte zustimmend.  „Ich denke, die Einzelheiten besprechen wir nachher beim Abendessen." Beinahe wie aufs Stichwort meldete sich Freds Magen zu Wort und erwiderte den letzten Satz seines Vaters mit einem zustimmenden Knurren. Doch bevor jemand etwas sagen konnte, hob Honey die Hand. Überrascht darüber sah Gogo ihre Freundin an und die anderen taten es ihr gleich. “Eigentlich, so hatte ich gehofft, da dies vorerst unser letzter Tag auf der Insel ist, könnten wir zur Abwechslung vielleicht einmal den Abend so verbringen, als wären wir zum Urlaub hier. Im Meer schwimmen, Barbecue am Strand und so was.“ Sie sah sich ihre Freunde mit einem Lächeln an. “Ich glaube, das haben wir alle mal nötig. Einmal abschalten.“ Es folgte eine kurze Pause auf ihre Ansprache, bis Stan sie anlächelte. „Ich denke, das ist eine gute Idee und vielleicht genau das Richtige für euch.“ Gogo war überrascht. Mit der Energie und stellenweise verteilten Brutalität in den Übungen, mit denen dieser alte Mann die Gruppe gedrillt hatte, welche ihm bei den Freunden den Spitznamen "Major Pain" eingebracht hatte, dachte sie, dass er sie nach der Ansprache von Honey zur Bestrafung wieder quer durch den Wald jagen würde. Als sie in die Gesichter der anderen sah, erkannte sie, dass diese offenbar genauso dachten. Bis auf Honey. Die grinste über beide Ohren.  „Dann lasse ich Heathcliff alles vorbereiten.“ rief der alte Mann lächelnd hinunter und machte auf der Stelle kehrt. Nachdem das Klingen des Aufzugs verklungen war, sprach Hiro aus, was wahrscheinlich alle dachten. „Hatte unser Major heute was im Kaffee?“ Dafür erntete er einen nervösen Seitenblick von Wasabi, der erwiderte: „Sei ruhig. Bevor er wieder zu sick kommt.“ Hiro und Fred schüttelten lächelnd die Köpfe und der Comicfanatiker fragte: „Habt ihr überhaupt Badesachen mit?“ Die Jungs verneinten und Fred lächelte verschlagen.  „Kein Problem. Ich hab genug.“ Gogo hob die Augenbraue. Niemals würde sie etwas von Fred anziehen. Bei all seinen Recyclingvorträgen bekam sie bei dem Gedanken eine Gänsehaut, als Honey ihr die Hand auf die Schulter legte. „Keine Sorge. Ich hab was für uns dabei.“ Die Jungs machten sich bereits mit Baymax im Schlepptau auf den Weg und die beiden Frauen folgten ihnen mit etwas Abstand. „Woher?“ frage Gogo knapp und Honey lächelte. „Ich habe Heathcliff gebeten, mich in die Stadt zu bringen, als ich es mal geschafft habe, dem Training zu entkommen. Und da habe ich dir eine Kleinigkeit besorgt.“ Sie grinste über beide Ohren und sah Gogo mit süßem Blick an. Diese schüttelte indes nur den Kopf. Das sah Honey ähnlich. Sie hatte diesen Abend unter Garantie von Anfang an geplant gehabt. Doch kam Gogo nicht umhin zuzugeben, dass die Aussicht, sich einmal am Strand ausruhen zu können, als ob sie alle im Urlaub wären, auch etwas für sich hatte. Außerdem war sie gespannt darauf, was Honey ihr da andrehen wollte. Als sie schließlich wenige Zeit später in ihrem Zimmer angekommen waren, wurde ihr das auch klar.  „Honey?!“ Misstrauisch betrachtete sie den schwarz glänzenden Stoff, den Honey aus dem Koffer gekramt hatte. „Vertrau mir. Zieh es an!“ Seufzend fügte Gogo sich der Aufforderung der Chemikerin und kurze Zeit später stand sie fertig angekleidet im Raum. „Ernsthaft, Honey?“ bemerkte Gogo genervt. Honey hatte ihr einen knappen Bikini geholt, dessen Hose aus einer Hotpants mit seitlich wehendem Stoff gleich einem seidenen Tuch bestand, welcher sich sanft an ihren linken Oberschenkel schmiegte. „Ach, du siehst einfach zum Anbeißen aus!“ Ein Klick und Honey hatte ein Foto geschossen. Sie quiekte beinahe und Gogo seufzte genervt, bis ihre Freundin auf einmal in die Tasten haute. „Das schick ich Naoko!“ Gogo sackte das Herz in die Hose. „Wage es dich!“ Sie stürmte auf Honey zu und versuchte ihr das Handy zu entreißen. Es entbrannte ein kurzer Kampf, in dem Gogo einmal mehr klar wurde, dass sie deutlich zu klein für diese Art von Auseinandersetzung war. „Honey! Das ist nicht lustig!“ murrte sie stattdessen zähneknirschend. Honey kicherte mit der Hand vor dem Mund. „Du bist süß, wenn du dich so aufregst. Na gut, ich werde es ihm nicht schicken.“ Sie zwinkerte ihrer Freundin zu. „Aber ich bin mir sicher, dass es ihm gefallen hätte.“ Gogo ließ das kommentarlos so stehen und nahm sich genervt einen neuen Kaugummi aus ihrer Tasche. Irgendwann bringe ich sie um Obwohl die Sonne an diesem späten Nachmittag bereits ihren Niedergang angetreten hatte, brannte sie noch immer erbarmungslos auf die kleine Insel nieder und ließ die Luft über dem weißen Sand flimmern. Als Gogo und Honey, bewaffnet mit Handtüchern und Sonnencreme, aus der Villa heraustraten, zauberte die idyllische Szenerie den beiden Frauen ein Lächeln ins Gesicht. An dem kleinen Strandabschnitt direkt vor dem Gebäude waren Tische, Schirme und ein großer Grill aufgebaut worden, an dessen heißen Eisen Heathcliff bereits eifrig das Fleisch verarbeitete. Die Jungs hatten sich schon längst in die kühlen Fluten gestürzt. Hiro lag bäuchlings auf Baymax, der wie eine Luftmatratze in den Wellen auf und ab trieb. Wasabi und Fred indes waren damit beschäftigt, sich vorsichtig an die Beiden heranzuschleichen, wobei ihre Absichten nur allzu offensichtlich waren. Von Abigail und ihrem Vater war noch nichts zu sehen, wie sie feststellte. Honey, die noch immer mit strahlenden Augen neben ihr stand, nahm einen tiefen Zug und schwellte die Brust an.  „Komm, Gogo! Lass uns braun werden!“ Und, ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie auch schon los und eroberte den erstbesten Platz auf dem heißen Sand, der ihr zu gefallen schien. Dabei achtete sie offenbar peinlich genau darauf, nicht in Spritzreichweite des Wassers zu sein, wohl aus Angst, dass die Jungs auf dumme Ideen kommen würden. Gogo indes hob die Augenbraue und wagte einen schiefen Blick auf ihre Haut am Arm.  Braun werden?  Ein spitzer, erstickter Schrei unterbrach ihren Gedankengang und sie bemerkte, wie unter blubberndem Protest Hiro wieder an die Wasseroberfläche trat, während Baymax noch immer mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser trieb. Gogo setzte ein verschlagendes Lächeln auf. Bei dem Kampf wollte sie mitmischen. Keine drei Sekunden später war sie im Wasser und befand sich mittendrin im Kampf um die Vorherrschaft zur See und den begehrten Platz auf dem neuernannten Schlachtschiff "Baymax". Der Tag nahm seinen Lauf und auch Callaghan trat irgendwann mit seiner Tochter aus dem Haus heraus. Auch wenn Hiro offenbar peinlich genau darauf achtete, einen gewissen Abstand zu ihrem ehemaligen Professor einzuhalten, war es rundum ein mehr als gelungener freier Tag. Das Essen war köstlich gewesen, auch weil Tante Cass sich dazu entschlossen hatte, Heathcliff bei diesem zu unterstützen. Abigail war indes damit beschäftigt gewesen, sich bei der Gruppe für ihre Tat an jenem Tag ihrer Rettung zu bedanken, denn, wie sich herausstellte, hatte ihr Vater ihr die ganze Geschichte erzählt und dabei tatsächlich kein Detail ausgelassen. Den Kampf um Baymax hatte letzten Endes Wasabi für sich entscheiden können, da es für die Freunde schier unmöglich war, den Riesen in Kombination mit dem Roboter umzuwerfen, weshalb man sich vorläufig auf eine Waffenruhe einigte und nun die Zeit dazu nutzte, mit den Wellen zu treiben. Gogo hatte das Wasser schon wieder verlassen und hatte sich neben ihrer Freundin auf ihrem Handtuch niedergelassen.  „Du scheinst deinen Spaß zu haben.“ grinste die Chemikerin sie keck durch ihre Sonnenbrille von der Seite an. Gogo antwortete mit einem Lächeln.  „Wenn die ganze Sache vorbei ist, sollten wir nochmal hierhin kommen. Diesmal wirklich zur Erholung.“ fuhr Honey fort und blickte aufs Meer hinaus. „Und vielleicht ...“ Sie sah wieder zu Gogo. „... Kannst du ihn dann mal mitbringen.“ Gogo stöhnte innerlich. So langsam ging ihr Honey mit dem Kerl auf die Nerven. Allerdings konnte sie nicht abstreiten, dass ihr diese Idee gefiel´, und bei dem Gedanken, mit ihm an ihrer Seite um die Vorherrschaft auf dem Meer zu kämpfen oder vielleicht sogar gegen ihn, trieb es ihr die Hitze ins Gesicht. Scheinbar war dies auch Honey aufgefallen. „Dir scheint der Gedanke zu gefallen.“ Gogo grummelte ein leises „Vielleicht.“ In ihre vor dem Gesicht verschränkten Armen.  „Hat er dir schon geschrieben?“ Gogo war von der Neugier ihrer Freundin genervt, doch kannte sie sie gut genug um zu wissen, dass es einfacher war, auf ihre Fragen einzugehen, statt sie zu ignorieren oder zu blockieren. Honey konnte sehr nervig sein ... „Nein, bisher nicht.“ Sie schrieben eigentlich nie und wenn, dann nur in kleinen, kurzen Sätzen. Honey sah sie neugierig an und in ihrer Sonnenbrille spiegelte sich die rote Sonne, die das Meer am Horizont berührte. „Vielleicht solltest du es tun. Ich meine vielleicht war ...“ Gogo seufzte mit einem vorsichtigen Lächeln auf ihren Lippen. „Honey, ich weiß, wie man mit Kerlen umgeht.“ Honey kicherte und sah sie herausfordernd an. Gogo zog eine Schnute und erwiderte: „Das zählt nicht.“ Ihre Freundin legte sich auf ihr Handtuch und richtete ihren Blick in den Himmel, der sich mehr und mehr mit Sternen zu füllen begann. „Ich weiß, es nervt dich, aber ich will dir nur helfen.“ sagte sie, als Gogo es ihr gleich tat und sich neben sie legte. Gogo antwortete nicht darauf und richtete stattdessen ihren Blick in den Himmel. Es folgte ein kurzer Moment der Stille, in der nur die ruhigen und aufgeregten Stimmen der anderen, sich mit dem Rauschen der Wellen vermischten und zu einer seltsamen Musik zu verschmelzen schienen. Gogo wusste, dass ihre Freundin es nur gut mit ihr meinte, doch war sie sich selbst nicht sicher über ihre eigenen Empfindungen Naoko gegenüber. Den Blick weiter in den Himmel gerichtet fragte sie vorsichtig: „Was würdest du an meiner Stelle tun?“ Die Chemikerin war überrascht über diese Frage, wie ihr Blick, den sie nun Gogo zuwarf, verriet. Doch sie fing sich schnell wieder und fragte: „Wie sehr magst du ihn denn?“ Gogo hatte mit dieser Frage gerechnet, doch war sie dankbar darüber, wie vorsichtig sie auf einmal an dieses Thema heranging. Ihr war anscheinend aufgefallen, wie sichtlich schwer es Gogo fiel, sich darüber zu öffnen.  „Er ist ... So ganz anders, als ich es mir immer vorgestellt hatte.“ Honey lächelte und kicherte in ihre Hand hinein. „Er ist auf jeden Fall völlig anders, als der letzte.“ Gogo musste sich eingestehen, dass sie Recht hatte und schmunzelte bei dem Gedanken.  „Aber nun ...“ fuhr sie vorsichtig fort. „... Ich weiß es nicht.“ Honey lächelte vorsichtig. „Wir haben wohl einfach kein Glück mit den Männern, nicht wahr?“ „Wie meinst du das?“ Honey sah sie schüchtern an „Nun, deiner ist verwandt mit einem gesuchten Schwerverbrecher und meiner ist tot.“ Tadashi Schoss es ihr wie ein Blitz durch den Kopf. „Honey...“ fing sie an, doch wusste sie nicht, was sie dazu sagen sollte.  „Er hat mich mal zu einem Date ausgeführt, weißt du?“ fuhr Honey fort.  „Das wusste ich nicht.“ Gogo erinnerte sich, wie sie und Wasabi einst die These aufgestellt hatten, sie wäre verliebt, doch hätte sie nie gedachte, dass es sich dabei um Tadashi handelte. „Ja, es ging zuerst total in die Hose. Wir wollten eigentlich nur einen Kaffee trinken und es ist etwas aus dem Ruder gelaufen.“ Sie setzte einen seligen Gesichtsausdruck auf und blickte beinahe sehnsüchtig aufs Meer hinaus. „Aber letzten Endes war es der wahrscheinlich schönste Abend, den ich je hatte.“ Sie lachte, doch erkannte Gogo die Traurigkeit darin.  „Tut mir leid, Honey.“ flüsterte sie vorsichtig. „Alles gut, ich komme so langsam darüber hinweg.“ Sie erhob sich und sah Gogo in die Augen. „Ich bin so unglaublich neidisch, weißt du?“ Ihr Grinsen war so breit wie ihr Gesicht. Gogo sah sie indes nur fragend an und wusste nicht, wie sie das meinte. „Versuche es, bevor es zu spät ist.“ flüsterte sie beinahe. Gogo erhob sich und nahm ihre Freundin in den Arm. Sie fühlte sich elendig und befreit zugleich. „Ich weiß nur nicht wie.“ erwiderte sie schließlich vorsichtig. „Dann lass mich dir helfen.“ Gogo zog eine Augenbraue hoch und wollte ihren Kaugummi aufblasen, bis ihr auffiel, dass sie ja gar keinen mehr im Mund hatte.  „Und wie?“ Honey lächelte sie mit erhobenem Daumen an. „Lass mich nur machen. Komm, wir sollten zu den andren, so langsam wird es kalt.“ Gogo nickte zustimmend und zusammen traten sie den Rückweg zu dem inzwischen laut knisternden Lagerfeuer vor der Villa. Auf halben Weg bemerkte Gogo schließlich zwei Gestalten, die am Wasser standen und sich zu unterhalten schienen. Sie waren in der Dunkelheit nur schwer zu erkennen, doch war die eine eindeutig Hiro. Das machte sie neugierig. „Ich komme gleich nach Honey, hab nur was vergessen.“ Und ohne die Antwort abzuwarten lief sie auch schon in die Dunkelheit hinaus. Vorsichtig und leisen Schrittes, um die beiden nicht aufzuschrecken. Als sie nur noch wenige Meter entfernt war und hinter einem der zahlreichen Bäume am Strand Schutz gefunden hatte, erkannte sie die andere Person als Callghan. Die beiden sprachen kein Wort miteinander, bis mit einem Mal der alte Mann anfing: „Nun, was möchtest du mir sagen?“ Obwohl sie Hiros Gesicht nicht erkennen konnte, bemerkte sie, wie schwer es ihm fiel, zu antworten. Sein Blick war auf das Meer gerichtet und er atmete lange aus, bevor er sagte: „Hier, ich habe etwas für Sie.“ Hiro griff in seine Tasche und zog einen ovalen Gegenstand heraus. Callaghan stockte der Atem.  „Aber das ist doch...“ Callaghan nahm die Maske, die Hiro ihm gab, vorsichtig in die Hand, als handle es sich um eine zerbrechliche Blume. In seinem Gesicht konnte man deutlich sein Unbehagen und seine Überraschung ablesen. „Sehen Sie mal rein.“ fügte Hiro hinzu und Callaghan drehte die Maske um. „Ein Neuraltransmitter?“ „Ja.“ „Wieso?“ Wieder machte Hiro eine Pause. Er hatte sich seinen Text offenbar gut überlegt. „Ich werde Ihnen den Tod meines Bruders niemals verzeihen.“ Hiro atmete ruhig aus, als er diesen Satz zu Ende gebracht hatte, und sah dann seinem alten Professor in die Augen. „Aber Sie haben auch jemanden, den sie schützen wollen.“ „Hiro, das ...“ „Ich will Sie in unserem Team.“ Callaghan entglitten nun sämtliche Gesichtszüge und er sah Hiro mit einer Mischung aus Erstaunen und schierem Entsetzen an. Auch Gogo musste schlucken und wollte ihren Ohren nicht trauen. „Du meinst ... Mit den Microbots?“ Hiro nickte und blickte wieder zum Meer. „Hiro ...“ fing der alte Mann an, doch der Junge unterbrach ihn. „Als dieser Gunner das Telefon aufdrehte und ich die Stimme meiner Tante hörte, kam in mir ein Gefühl von Hilflosigkeit auf, Angst und Trauer.“ Er überlegte kurz, ehe er fortfuhr. „Als ich dann erkannte, dass sie weinte, hilflos darum flehte, dass sie mir nichts tun sollen, da habe ich zum ersten Mal verstanden, wie Sie sich gefühlt haben müssen, als man Ihnen Ihre Tochter genommen hatte.“ Callaghan erwiderte nichts, lauschte nur seinen Worten. „Den Drang, jemanden beschützen zu wollen, und die Angst davor, zu versagen.“ Hiro hob den Blick und sah ihm wieder in die Augen. „Sie müssen sich uns nicht anschließen, das war nur ein Vorschlag.“ fuhr er fort. „Aber Sie sollen die Kraft dazu haben, Ihre Tochter beschützen zu können.“ Robert lächelte ihn dankbar an und kämpfte sichtlich mit den Tränen. Gogo durchfuhr ein unheimliches Gefühl von Stolz und Respekt. Hiro war so unglaublich erwachsen geworden.  Callaghan seufzte. „Was auch immer du für mich vorgesehen hast, ich bin dabei." Callghan lächelte und weinte zugleich und streichelte vorsichtig über die Maske.  Tadashi ging es ihr durch den Kopf und sie lächelte dabei.  Sieh ihn dir an, deinen kleinen Bruder. Kapitel 23: Springende Neuralwerte ---------------------------------- Sofort als Honey das Labor nach ihrer langen Abwesenheit betrat, umfing sie der altbekannte und von ihr zutiefst vermisste Geruch von Öl, Chemikalien und Gummi. Dicht hinter ihr betraten ihre Freunde die Räumlichkeit und sie konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass es ihnen genauso ging. „Zeit, an die Arbeit zu gehen. Wir haben einiges aufzuholen bis zum Ende der Semesterferien!“ quietschte Honey ihnen fröhlich zu, während sie die schwere Kiste abstellte, die sie bei sich trug. Sobald die Ferien vorbei waren, würde man ihre Fortschritte begutachten wollen, um zu überprüfen, ob sie auch was getan hatten. Hiro und Baymax waren ohne ein weiteres Wort in Tadashis ehemaligen Laborbereich verschwunden und auch Wasabi lenkte seine Schritte schnurstracks zu seiner Erfindung in der Ecke. Fred war indes damit beschäftigt, sein Maskottchen-Kostüm auszugraben, sich das Fransokyo Uni Schild zu schnappen und seinen Weg zum unieigenen Sportplatz anzutreten. „Ich habe auch einiges nachzuholen. Meine Choreographie ist bestimmt schon eingerostet.“ sagte er noch zu den beiden Frauen, ehe er den Raum verließ und sich die Tür mit einem leisen Klacken schloss. Nun standen die beiden alleine im Raum und Gogo blies mit genervtem Blick ihren Kaugummi auf. „Na dann, lass uns loslegen!“ sagte Honey zu ihrer kleinen Freundin, doch schien diese ihr gar nicht zuzuhören. „Gogo?“ Mit fragendem Blick sah sie zu Honey hoch. „Alles in Ordnung bei dir?“ wollte Honey wissen und lächelte sie aufmunternd an. Die Angesprochene nickte knapp und Honey sah sich ebenfalls um. „Ja, alles gut.“ sagte sie mit monotoner Stimme und wandte sich Honey und ihrer Kiste zu. „Was hast du da eigentlich drin?“ wollte sie wissen und Honey lächelte sie wissend an. „Das wirst du noch erfahren. Aber vorher wüsste ich gerne, wo Naoko eigentlich steckt.“ Das Labor war beinahe leer, nur zwei ihrer Kommilitonen waren zu sehen und auch die schienen mehr aus Langeweile hier zu sein als zum Arbeiten. Sie hatten ein Brettspiel vor sich ausgebreitet und waren so vertieft darin, dass sie die Neuankömmlinge gar nicht bemerkten. Sie schaute wieder zu Gogo, doch diese erwiderte nichts dazu und ging ohne ein weiteres Wort zu ihrem Rad, das noch immer an der Aufhängung in der Decke hing. „Honey, du weißt, was Hiro gesagt hat.“ Doch Honey ignorierte wissentlich ihre Bedenken und machte sich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz am anderen Ende des Labors, nicht ohne vorher die Kiste noch neben ihrem Chemietisch abzustellen. Sowohl Hiro als auch Freds Vater hatten sich deutlich gegen eine Kontaktaufnahme zu Naoko ausgesprochen, bis die Falle in dieser Nacht zuschnappen würde. So lange sie noch nicht wussten, in welcher Weise Naoko zu seinem Verwandten stand, wäre es ein Risiko, sich mit ihm zu unterhalten, aus der Gefahr heraus, dass sie sich verplappern könnten. Fred hatte daraufhin sofort gespielt entrüstet erwidert, dass er sich nie verplappern würde, woraufhin er ein allgemeines Gelächter und Gekicher geerntet hatte. An seinem Arbeitsplatz angekommen musste sie erkennen, dass Naoko tatsächlich nicht da war. „Kann ich dir helfen?“ Erschrocken drehte Honey sich um und da stand der Prothesenträger im Türrahmen mit der Tasche über der Schulter und beobachtete ihre Schritte. Seine Augen waren gereizt und gerötet, seine Bewegungen langsam und etwas unkoordiniert. Er schien nicht geschlafen zu haben. „Hey, da steckst du also.“ erwiderte Honey fröhlich und lachte ihn an. Auf seinem Gesicht zeichnete sich sogar ein müdes Lächeln ab, als er an seinen Schreibtisch herantrat und die Tasche darauf ablegte. „Du hast mich gesucht?“ fragte er beim Vorbeigehen. „Du siehst müde aus.“ erwiderte Honey, seine Frage ignorierend. Naoko nickte als Antwort nur und packte eine große Thermoskanne aus seiner Tasche, aus der er auch sofort einen kräftigen Zug nahm. Honey erkannte am Geruch, dass es Kaffee war, und sofort fragte sie sich, ob er sich nicht gerade den Mund verbrannte. „Ihr wart lange weg. Wie geht es Hiro?“ hakte Naoko mit freundlicher Stimme nach. Honey öffnete den Mund, doch bevor sie antworten konnte, stand bereits Gogo im Türrahmen und sagte: „Ihm geht es gut. Wir haben zusammen mit ihm eine Auszeit genommen.“ „Verstehe.“ antwortete der Junge, jedoch ohne sich zu ihr umzudrehen. Eine seltsame Stille machte sich über die drei breit und Honey schüttelte es für den Bruchteil einer Sekunde. Ohne ein weiteres Wort setzte Naoko sich, fixierte seine Prothese am Tisch und begann, sie abzuschrauben. Die Prothese war arg ramponiert und an einigen Stellen guckten Drähte und einzelne Metallplatten heraus. Honey sah zu Gogo und erkannte, dass sie dasselbe dachte wie sie. „Was ist passiert?“ fragte Gogo vorsichtig. Ein kurzes Klacken und die Prothese löste sich von seiner Schulter. Hörbar atmete Naoko aus und sah zu Gogo hinüber. „Sagen wir, das Material ist nicht so stabil, wie ich gehofft habe.“ Er lächelte bei diesem Satz und wandte sich wieder dem Metallkonstrukt zu. Honey spürte, dass sie jetzt besser gehen sollte, doch war sie einfach zu neugierig. „Du bist wieder geklettert.“ stellte Gogo schließlich fest und Naoko nickte schwach. Mit einem metallenen Singen öffnete er das Innenleben seiner Konstruktion und begann nach einem kurzen, prüfenden Blick darauf, wieder in seiner Tasche herumzukramen. „Nicht mein Tag heute. Hab mal wieder mein Werkzeug vergessen.“ sagte er schließlich zu Gogo, die an ihn herangetreten war und nun direkt neben ihm stand. Honey beobachtete die Szenerie weiter und es schien ihr so, als hätten die beiden sie vergessen. In Gogos Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Wut und Mitleid und sie konnte deutlich ihre Anspannung erkennen. „Wat brauchste denn, Kleener?“ Die drei wandten ihren Blick zur Tür, deren Rahmen von Wasabi beinahe vollständig ausgefüllt wurde, der mit einem leichten, erwartenden Lächeln zu Naoko blickte. „Kleener?“ fragte Naoko lachend und schüttelte den Kopf. „Erst Keule von Fred, jetzt Kleener von dir. Was kommt als nächstes?“ wollte er wissen und sah dabei Gogo aus dem Augenwinkel heraus an, während er seinen Stuhl drehte und sich erhob. „Hast du einen Lötkolben dabei?“ wollte er schließlich von Wasabi wissen. „Klaro, welche Temperatur brauchste?“ „Mindestens 480, mehr geht immer.“ Der Riese nickte und wies Naoko an, ihm zu folgen. Als die beiden aus dem Raum getreten waren, wandte Honey sich an Gogo, die ihnen noch hinterher sah. „Alles in Ordnung?“ wollte sie wissen und sah ihr in die Augen. „Ja, alles gut, denke ich.“ erwiderte sie knapp und verließ ebenfalls den Raum, genauso wie Honey direkt danach. Die beiden Jungs standen an Wasabis Arbeitstisch und unterhielten sich, während Naoko seine Erfindung eingehend studierte. „Du hast mir nie erklärt, wie das Ding überhaupt funktioniert.“ sagte er schließlich, ohne die Augen davon abzuwenden. Damit hatte er Wasabi. Sofort begann der Riese, ihm ausführlich jedes noch so unwichtige Detail zu erläutern. Er erzählte ihm von Prismen und elektronischen Feldern und untermalte das Ganze mit Gesten und Beispielen. Honey indes war mehr damit beschäftigt, Gogo zu beobachten. Sie tat ihr leid, auch wenn Gogo sich offenbar alle Mühe gab, ihren Unmut zu verbergen. „Gogo?“ Die Angesprochene antwortete zunächst nicht. Erst nach ein paar Sekunden wandte sie sich von den beiden ab und Honey zu, jedoch ohne ihr in die Augen zu sehen. „Was macht er nur damit, dass er seine Prothese so schrottet? Immerhin hat sie uns beide gehalten.“ Honey spürte den unbedingten Drang nachzufragen, was sie genau damit meinte, doch kannte sie Gogo gut genug, um zu wissen, dass sie gerade andere Dinge im Kopf hatte. „Nun, vielleicht …“ „Au verdammt!“ Der kurze, erstickte Schrei von Naoko, der sich offenbar in einem Moment der Unachtsamkeit an den Plasmastrahlen verbrannt hatte, lenkte die beiden Frauen wieder von ihrem Gespräch ab. Sofort hörten sie die quietschenden Schritte von Baymax, der mit Hiro im Schlepptau das Büro von Tadashi verließ. „Wasabi, hast du dich wieder verbrannt?“ fragte Hiro in den Raum, ohne von seinem Buch auf zu blicken. Erst, als er das tat, erkannte er, dass es nicht Wasabi gewesen ist. Mit einem kurzen, aber missmutigen Blick und darauf bedacht, dass Naoko diesen nicht sah, sah er zu den Frauen, während Baymax bereits an ihn herangetreten war und mit seiner Behandlung begann. Während dieser nach seiner kurzen Routinefrage seinen Scan ankündigte, wandte Naoko sich an Hiro. „Scannt er eigentlich nur, wenn jemand „Au!“ ruft?“ Hiro schüttelte den Kopf und meinte: „Nein, er macht das eigentlich immer, damit er auf große Schwankungen reagieren ka ...“ „Scan abgeschlossen!“ unterbrach der Roboter ihn. „Du hast eine leichte Verbrennung am Unterarm. Dazu sind deine Hormon- und Neurotransmitterwerte völlig durcheinander und deuten auf eine mittelschwere bis …“ „Alles klar, Baymax. Ich hab‘s verstanden.“ unterbrach Naoko den Roboter seinerseits und wedelte mit den Händen. „Wenn du mir nur den Unterarm verarzten könntest, wäre ich dir sehr dankbar dafür.“ Der Roboter tat wie ihm geheißen und behandelte die Stelle mit einem kühlenden Spray. Währenddessen wandte sich Naoko wieder Hiro zu. „Wie geht es dir eigentlich? Ist wieder alles verheilt?“ Hiro nickte schwach und unterdrückte wohl seine Wut über das Plappermaul Fred, während er antwortete: „Ja, inzwischen ist wieder alles in Ordnung.“ Honey hob eine Augenbraue, als Naoko das Thema wechselte, sagte jedoch nichts dazu. Stattdessen fiel ihr Blick zufällig auf die Kiste neben ihrem Tisch und ihr fiel wieder ein, was sie eigentlich vorhatte. Mit einer für andere wahrscheinlich irrsinnigen Geschwindigkeit packte die Chemikerin ihr Handy aus, tippte eine kurze Nachricht an Fred und packte es sofort wieder ein. Als sie sich kurz umsah, bemerkte sie, wie die anderen beiden Studenten bereits das Labor verließen. Perfekt Sie grinste über beide Ohren und erntete dafür einen irritierten Blick von Gogo. Zum Glück hatten die anderen es nicht gesehen. Flink und ohne jedes Wort ging sie an einen der zahlreichen Schreibtische, packte einen der Monitore und verschleppte ihn kurzerhand an ihren Arbeitsplatz und schloss ihn an den Strom an. Noch schnell ihre Chemieutensilien vom Tisch entfernt und den Bildschirm darauf gestellt. Sie bemerkte gar nicht, wie die anderen sie inzwischen interessiert beobachteten. Als sie mit dem Bildschirm fertig war, griff sie in die Kiste und zog einen kleinen, schwarzen Kasten heraus, den sie schonungslos auf den Chemietisch donnerte, direkt daneben. Einige Kabel später war sie dann auch schon fertig. „Ähm … Honey? Was wird das?“ fragte Hiro schließlich mit skeptischem Gesichtsausdruck. „Nun …“ fing sie etwas atemlos an. „… Als wir heute Morgen heimgekehrt waren, habe ich das hier auf dem Dachboden meiner Eltern gefunden und mir gedacht, das wäre doch mal was für uns.“ Gogo hob eine Augenbraue hoch und fragte: „Und was genau?“ Mit einem lauten Krachen betrat Fred in seinem Kostüm das Labor und schrie lauthals aus: „Karaoke!“ Honey erwiderte diesen Ausruf mit erhobenen Daumen in Freds Richtung. „Perfektes Timing, Fred. Perfektes Timing.“ Lächelnd wandte sie sich wieder den anderen zu, während Fred sich dazu gesellte und Naoko die Faust entgegenhielt, welche dieser eher zögerlich erwiderte. Wasabi grinste wie ein kleines Kind und sogar Gogo sah aus, als würde ihr die Idee zusagen. Nur Hiro sah Honey irritiert an. „Komm schon, Hiro. Das haben wir früher öfter gemacht. Das macht Spaß!“ schwor sie ihm und sah Hiro mit ihrem honigsüßen Lächeln an. Mit leicht genervtem Gesichtsausdruck ließ dieser das Buch in seiner Rechten demonstrativ zusammenklatschen und seufzte. „Na gut, so schlimm kann es ja nicht werden.“ „Das wird spitze!“ freute Fred sich und griff sich bereits eins der Mikros, die noch in der Kiste lagen. „Ich fang an!“ jaulte er lauthals und drückte auf den Knopf. Mit einem leisen Surren fuhr die Kiste hoch und offenbarte ein Logo in Form eines Lautsprechers auf dem Monitor. „Moment!“ stoppte Honey ihn und sah in die Runde. "Ich finde, um die ganze Sache etwas interessanter zu machen, sollten wir auslosen, wer für wen den Song aussucht." „Wie jetz?“ fragte Wasabi nach und Gogo machte einen Gesichtsausdruck, als würde sie Honey irgendetwas unterstellen. Honey hingegen grinste nur in sich hinein. „Wir losen, wer wen bekommt, und dieser sucht dann einen Song für denjenigen aus.“ erklärte sie mit einer Stimme, die unmissverständlich klar machte, dass sie jetzt genau das tun würden. „Sucht ein Lied raus, das zu der Person passt.“ fügte sie noch hinzu und nahm sich eines der leeren, großen Bechergläser. Sofort schrieb sie die Namen ihrer Freunde auf ein Papier, zerriss es in Stücke und warf diese in das Glas. Dieses hielt sie dann Hiro unter die Nase. Sofort griff der Junge hinein und zog einen der Zettel heraus. Ohne seine Worte abzuwarten, schritt sie auch schon zum nächsten, Wasabi. Dieser tat dasselbe und bald hatten alle einen Namen aus dem Glas gezogen. Honey indes zog, verborgen vor den Augen der anderen einen Zettel aus ihrer Hosentasche. Bisher klappt ja alles, jetzt muss nur noch Fred mit machen Sie kam sich schon beinahe diabolisch vor bei dem Gedanken, wie raffiniert sie doch alles eingefädelt hatte. Und niemand schien Verdacht zu schöpfen. Zumindest hoffte sie das. „Also gut. Wer hat denn Fred?“ Wasabi hob die Hand und ging an die Maschine, tippte in der Playliste herum und startete das Lied. Er wagte einen kurzen Blick zu Fred, nicht ohne ein gehässiges Grinsen auf den Lippen. Als er sich wieder zu den anderen gesellte, die inzwischen ein paar Stühle organisiert hatten, sagte er noch zu Honey: „Du hast echt ne große Liste.“ Fred stand bereits mit tippelnden Füßen vor dem Monitor, als der Titel erschien: Aqua – Barbie Girl   Doch anstatt dass ihm, wie wahrscheinlich von Wasabi erwartet, sämtliche Gesichtszüge entglitten, sang er einfach lauthals los: „Hi Barbie! Hi Ken!“ und immer darauf bedacht, auch ja die Stimmlage der beiden Sänger zu treffen. Die Gruppe lachte über diese unglaubliche Performance und auch Fred untermalte das Ganze noch mit genauso dämlichen Tanzeinlagen. Als er schließlich nach drei anstrengenden Minuten mit den Worten: „Oh i love you, Ken!“ endete, erntete er den verdienten Applaus. „Zieht ihm ein Kleid an!“ grölte Hiro noch nach vorne, der offenbar inzwischen seinen Unmut über das hinzuziehen Naokos abgelegt hatte und mit in die gute Laune einstieg. Sofort war klar, dass Wasabi der nächste war, da er den Song bestimmt hatte. Ihn hatte Hiro gezogen und auch er konnte sich ein Lächeln bei der Auswahl des Liedes nicht verkneifen. Doch Wasabi lächelte kämpferisch, als der Titel Michael Jackson – Thriller erschien. „Is det alles?“ fragte er in Hiros Richtung, während die ersten Töne den Raum ausfüllten. „It´s close to midnight and something evil´s lurking in the dark.“ fing er an, nicht ohne versuchten Moonwalk und andere Tanzeinlagen. Durch seinen eigenwilligen Akzent und seine eher stümperhaften Bewegungen, was wohl an seiner Größe liegen mochte, wurde es ein ebenfalls großer Spaß für die Gruppe und sofort begannen alle, im Takt mitzuklatschen. Er endete schließlich völlig aus der Puste mit dem diabolischen Lachen. „Ahahahahahahahahaha …“ Irritiert, aber auch lächelnd sahen seine Freunde ihn an und Naoko meinte: „Offensichtlich weilt der King wieder unter den Lebenden.“ Wasabi schenkte ihm ein Zwinkern und fügte hinzu: „Un er is wider schwarz.“ Als Wasabi dann von der Maschine abließ, verschwand Hiro kurz in seinem Labor, mit Baymax im Schlepptau, nur um sofort wieder aufzutauchen. „Wo warste, kleener Mann?“ Hiro lächelte wissend und meinte nur achselzuckend: „Hab nur kurz was aus meinem Büro geholt.“ Hiro bekam seinen Song von Gogo gestellt und sie schien sich auch ziemlich sicher zu sein, welches Lied zu ihm passen würde. Sofort, als der Titel erschien, setzte das Lied auch schon mit harten Gitarrenschlägen ein. Bon Jovi – It´s my life   Irritiert sah Hiro auf den Bildschirm, fing sich jedoch schnell wieder. „This ain´t a song for the broken-hearted.” Mit jedem Gitarrenschlag wippte der Junge mit dem Kopf mit und auch Baymax, der inzwischen neben ihm stand, tat es ihm gleich. Wie ein richtiger Rocker tanzte er taktgenau mit und spielte mit schnellen und filigranen Fingern, die man dem Ballonriesen gar nicht zugetraut hatte, eine Luftgitarre. Zusätzlich übernahm er die Hintergrundstimmen mit seiner metallenen „Gesangsstimme“. Hiro indes tanzte dort vorne mehr schlecht als recht herum und seine manchmal viel zu höhenreiche Stimme tat ihr Übriges dazu. “It´s my life!” Den letzten Satz ausgesungen ließ der Junge das Mikro völlig außer Atem auf den Tisch fallen und erntete ein mit Lachen und Pfiffen untermaltes Klatschen von seinen Freunden. „Was hast du Baymax gegeben?“ hakte Honey schließlich nach und wieder zuckte er nur mit den Schultern. „Vielleicht ihm einen neuen Chip geschrieben mit Tanzeinlagen.“ zwinkerte er ihr zu und setzte sich mit Baymax wieder zu den anderen. „Jeder kleine Rocker braucht einen Sidekick auf der Bühne.“ kommentierte Fred noch. Damit war Gogo an der Reihe und ohne, dass jemand fragen konnte, stand Honey auch schon auf und suchte sich das Lied für ihre Freundin heraus. Das war der Moment, auf den sie hingearbeitet hatte, und sie war mehr als gespannt darauf, wie sie reagieren würden. Nicht ohne ein aufmunterndes Lächeln schritt sie an Gogo vorbei und setzte sich hin. Avril Lavigne – Smile Ruhig und leise setzte die Musik an und die ersten Lettern erschienen auf dem Bildschirm vor Gogo. Der Gedanke, dass Honey ausgerechnet dieses Lied ausgewählt hatte, drückte ihr wohl etwas auf den Magen. Doch Honey kannte ihre Freundin gut genug, um zu wissen, dass sie nicht kneifen würde. Das hatte sie noch nie getan und sie würde auch heute Abend nicht damit anfangen. “You know that I'm a crazy bitch I do what I want when I feel like it All I wanna do is lose control But you don't really give a shit You don't let it go let it go with it 'Cause you're fucking crazy rock'n'roll” Mit jeder Zeile entspannte sie sich mehr und mehr und fand die richtige Stimmlage nach einer kurzen Eingewöhnung. Offenbar dachte sie sich wie üblich: Scheiß drauf und los! Lächelnd beobachtete Honey ihre Freundin, bis diese mit einem Mal ihr einen mehr als tödlichen Blick von der „Bühne“ aus zuwarf. Sie bringt mich um grinste die Chemikerin in sich hinein. “You said hey What's your name It took one look And now I'm not the same”   Sie wagte einen vorsichtigen Blick zu Naoko. So unangenehm es ihr auch zu sein schien, so wollte sie offenbar doch irgendwie seine Reaktion wissen. “Yeah you said hey And since that day You stole my heart And you're the one to blame”   Und da war es wieder. Dieses unschuldige Lächeln von ihm. Honey sah, wie er sie beobachtete, und am liebsten hätte sie ein Foto davon gemacht. Doch Honey hing an ihrem Leben und so begnügte sie sich mit der Vorstellung, dass Gogo in diesem Moment wohl am liebsten im Boden versunken wäre. Honey schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und einen erhobenen Daumen. „Yeah And that's why I smile It's been a while Since every day and everything has felt this right And now you're turning all around And suddenly you're all I need The reason why I smile” Gogo mied den Augenkontakt zu ihm, starrte stattdessen entweder Honey wütend an oder auf den Bildschirm vor sich. Als das Lied sich schließlich dem Ende neigte, entspannte sich ihre Freundin sichtlich wieder. “The reason why I smile The reason why I smile”   Leise klang das Lied aus und der Applaus füllte die Stille. Gogo atmete hörbar aus und wagte einen vorsichtigen Blick zu Naoko, nur um sich dann ganz schnell mit hochrotem Kopf wieder abzuwenden. Die Szenerie war für Honey einfach zu süß. So kannte sie die sonst so toughte Gogo überhaupt nicht. Doch als sie in sein Gesicht sah, wurde ihr klar, dass ihr Plan funktioniert hatte. Hätte Gogo sie in diesem Moment nicht auf die Schulter geboxt, hätte sie wohl gar nicht bemerkt, dass die Schwarzhaarige bereits neben ihr saß. Mit schmerzerfüllter Miene rieb sich Honey die Stelle, an der Gogo sie getroffen hatte. Die kleine Frau hatte einen Schlag drauf, der selbst Wasabi umhauen würde, da war Honey sich sicher. Mit Schwung erhob sie sich aus dem Stuhl und trat an die Karaokemaschine heran, mit Naoko direkt hinter ihr. „Leider hat mir Fred den „Barbie Song“ schon weggenommen, aber ich glaube, ich muss mich in Gogos Namen rächen.“ vertraute er ihr lächelnd an, doch schien er bereits etwas anderes gefunden zu haben. Als er an ihr vorbeiging, sagt er noch „Aber alle Stimmen.“ zu ihr und setzte sich zu den anderen, nicht ohne Gogo ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. Auf dem Monitor las Honey inzwischen den Titel Katy Perry – This is how we do   In diesem Moment wurde ihr klar, welche Stimme er meinte. Sie seufzte innerlich, doch musste sie sich eingestehen, dass es sein gutes Recht war, sich bei Gogo gutzustellen. So tief, wie sie mit ihrer Stimme kam, begann sie beinahe krächzend: „This is how we do This is how we do“   Es war ein großer Spaß für ihre Freunde, sie in dieser Stimmlage zu hören. Zum Glück für Honey bestand das Lied nicht nur aus solchen Tönen und sie konnte ihrer Stimme hin und wieder eine Pause gönnen. Als die quälenden drei Minuten zu Ende waren, atmete sie erleichtert aus, und erntete den für sie wohlverdienten Applaus und streckte gespielt böse die zunge in Naokos Richtung hinaus. Nun bist du dran, Fred dachte sie noch und sah zu dem Maskottchen rüber, das sich bereits zur Maschine aufmachte. Zeitgleich mit Naoko war er vorne und suchte eifrig nach einem bestimmten Lied. Natürlich hatte Honey für diesen Ablauf gesorgt und Fred vorher genaue Instruktionen gegeben, welches Lied für Naoko bestimmt war. „Das hast du auch? Wie genial!“ rief er mit einem Mal aus und Honey wurde stutzig. Doch tat sie es mit dem Gedanken ab, dass Fred sich mal wieder etwas zu sehr in seine Rolle hineinversetzt hatte und improvisierte. Mit großen Lettern erschien der Titel auf dem Monitor: Skillet – Monster Honey blieb die Luft weg. Was soll das?! Das ist das falsche!   dachte sie nur panisch und griff sich an den Kopf. Allerdings nur kurz, denn als Gogo sie fragend ansah, nahm sie die Hände wieder herunter und lächelte ihre Freundin unschuldig an. Unterdessen meinte Naoko mit gespielt verletzter Stimme zu Fred, während im Hintergrund die laute Gitarre zu spielen begann: „Das passt also zu mir? Das ist hart.“ Nein, Fred du Idiot! Ich hab dir doch geschrieben, was du ihm auswählen sollst!   Doch er schien sich nicht beirren zu lassen und sang einfach los: „The secret side of me I never let you see I keep it caged but i can´t control it So stay away from me The beast is ugly I feel the rage and I just can´t hold it“   Bei seinem Auftritt stand eines jedoch fest: Er konnte nicht singen und das wusste er auch. Er versuchte es auch gar nicht und sorgte somit für allgemeines Gelächter in der Runde, was den etwas unpassenden Text aufwertete. Nichtdestotrotz war Honey unglaublich wütend auf Fred und sie würde ihm noch einige Takte dazu sagen müssen. Wenigstens hatte sie Gogos Lied bestimmen können und das könnte unter Umständen gereicht haben. Ihre Freundin saß indes neben ihr und konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden oder wollte es auch nicht. Sie schien Honeys Blick gar nicht zu bemerken und das sorgte für ein seltsames, triumphales Lächeln auf Honeys Lippen. Als Naoko schließlich endete, hielt er das Mikro noch demonstrativ in die Höhe, während er dramatisch mit dem letzten Gitarrenklang gen Boden blickte. Sofort erntete er den Applaus dafür und verbeugte sich theatralisch vor der Gruppe. „Danke, danke. Zu gütig. Ich bin bis Freitag hier. Autogramme gibt es zu jeder vollen Stunde.“ witzelte er noch, während er sich auf die andere Seite von Honey setzte, dessen Platz gerade von Fred, der wieder mit vollem Elan nach vorne stürmte, gefüllt wurde. Das passte der Chemikerin überhaupt nicht und, ehe man sich versah, war sie auch schon aufgesprungen, nahm ihren Stuhl etwas nach vorne und ließ den beiden eine Lücke übrig. So leicht kommt ihr mir nicht davon Als sich der Tag dem Ende neigte und die Kehlen ausgetrocknet waren, war es an der Zeit, dass man sich verabschiedete. Honey sah, wie Hiro immer wieder nervös auf die Uhr schaute, wenn Fred eine neue Runde anfangen wollte. Es wurde langsam Zeit für ihre nächtliche Aktion. Mit einem Vorwand, dass man ja morgen noch früh aufstehen müsse, da man noch einiges aufzuholen hätte und etwas Überzeugungsarbeit in Richtung Fred, dem man hoch und heilig versprechen musste, dass man einen solchen Tag wiederholen würde, gelang es Honey und Hiro schließlich, das Ganze dann doch langsam zu Ende zu führen und, ehe man sich versah, standen sie auch schon alle vor der Uni und verabschiedeten sich. Überschwänglich umarmte Honey noch ihre Freundin und hauchte ihr ein leises: „Jetzt bist du dran.“ ins Ohr, worauf diese sie nur mit einem Blick ansah, der ihr unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie ihre Quittung noch bekommen würde. Als ein jeder von ihnen seiner Wege ging, versteckte Honey sich noch im Gebüsch und wartete darauf, dass die beiden einen guten Abstand von ihr hatten, da sie wusste, dass sie beide denselben Heimweg hatten. Ohne ein weiteres Wort traten sie diesen auch an und Honey folgte ihnen vorsichtig. Sie sprachen die ganze Zeit über kein Wort miteinander und Honey hatte schon Angst, dass Gogo es vermasseln würde. Bis sie schließlich nach einem kurzen Weg an ihrem Haus angekommen waren. Im Inneren brannte noch Licht und hinter der Tür konnte man deutlich im Milchglas den Schatten eines kleinen Hundes erkennen, der eifrig an der Türspalte schnupperte. Honey hatte sich unterdessen hinter einem der Büsche in ihrem Vorgarten versteckt und versuchte zu lauschen. „Nun …“ fing Gogo vorsichtig an, doch sagte sie nichts weiter. Stattdessen sagte Naoko: „Das war ein lustiger Nachmittag, das müssen wir mal wiederholen.“ „Ja.“ antwortete Gogo knapp. „Nun, ich sollte mich dann mal verabschieden.“ fuhr Naoko fort und hob bereits die Hand. „Wir sehen uns dann morgen?“ fragte er noch. Honey konnte sehen, dass er sichtlich mit sich kämpfte. Kommt schon. Dieses Rumgedruckse ist ja nicht zum Aushalten dachte Honey leicht genervt und versuchte, ihren Kopf noch etwas weiter aus dem Busch zu heben, um besser sehen zu können. „Ja, bis morgen.“ erwiderter Gogo knapp und nahm die Stufen zu ihrer Haustür hoch. Sie bemerkte nicht, wie Naoko sich wieder zu ihr umdrehte und an die Treppe trat. Ja, jetzt aber!   Verlegen griff er sich an den Nacken und flüsterte beinahe: „Hättest du noch Lust auf einen Kaffee? Ich kenne da einen ziemlich guten gleich um die Ecke.“ Gogo hatte gerade ihren Schlüssel herausgeholt, als sie sich zu ihm wandte und ihn ansah. Naoko nahm die erste Stufe und sah ihr in die Augen. „Ich mein nur, falls du Lust dazu hast.“ Auch wenn sie heute einen ganz anderen Termin hatten, so hoffte sie doch inständig, Gogo würde ja sagen. „Das klingt sehr gut, aber das geht heute nicht mehr.“ antwortete sie und Honey war sich nicht sicher, doch glaubte sie, Gogo tatsächlich stottern gehört zu haben. „Bist du sicher …?“ fragte er leise und Gogo senkte ihren Blick ein wenig. Nein, geh mit!   Sie antwortete nicht und sah ihn auch nicht an. Sie schien mit sich zu kämpfen. Honey konnte es fast nicht ertragen, sie so zu sehen. Doch was sollte sie tun? Naoko war ihrer Freundin beinahe unmerklich näher gekommen und Honey war sich sicher, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Sie sah ihn fragend an, sagte jedoch nichts und Honey biss sich nervös auf die Lippen, während sie die Daumen drückte. „Ich verzeichne einen großen Sprung in ihren Neurotransmitterwerte.“ Die metallene Stimme von Baymax, wenngleich sanft wie immer gesprochen, peitschte durch die Stille der Nacht und erschrocken wich Gogo von ihm zurück. Offenbar dachte er dasselbe, denn auch er trat einen erschrockenen Schritt nach hinten. Und trat ins Leere. Mit einem letzten, fragenden Gesichtsausdruck segelte der junge Mann die Stufen hinunter und landete unsanft auf dem Kiesweg. Honey hatte beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als sie die Stimme hörte, und erschrocken blickte sie hinter sich. Dort hatten sich, ohne dass sie es bemerkt hatte, Hiro, Fred, Wasabi und Baymax angeschlichen und sofort fragte sie sich, wie sie Baymax nicht hatte kommen hören. Doch sie hatte keine Zeit, sich diese Frage zu stellen, denn, als sie wieder zu Gogo sah, die gerade dabei war Naoko auf die Beine zu helfen, drang nur noch ein Impuls in ihrem Kopf. „Weg hier!“ flüsterte sie bestimmend zu den anderen und sofort rannten die Freunde los, ohne einen weiteren Blick zurück zu wagen. Sie bringt uns um heute jammerte sie innerlich, als sie die Planung dieser Nacht vor Augen hatte. Kapitel 24: Nemesis ------------------- Der Wind außerhalb der Halle tobte einem Orkan gleich durch die Gassen und Straßen und ließ die metallenen Wände der Lagerhalle ächzen. Die Halle war so groß, dass die unterirdische Basis von Freds Vater hier zweimal reingepasst hätte. Genug Platz zum Kämpfen Gogo kaute angespannt auf ihrem Kaugummi herum. Der Ort war weise gewählt worden. Hierhin, an den Rand der Stadt, verirrten sich nur selten Menschen und sie würden sich gefahrlos austoben können. Die Nacht war schon längst hereingebrochen und das weiße Mondlicht schien durch die beiden großen Fenster auf dem Dach in den leeren Raum. Dieser war von mehreren Geländern gesäumt, die wie Ameisenstraßen in der Höhe hingen, dort, wo sich normalerweise der zweite oder dritte Stock eines Gebäudes befand. Gogo ließ den Blick schweifen. Sie selbst saß auf einem der Stahlgerüste und hatte das große Tor im Blick. Honey saß mit geschulterter Bazooka in der anderen Ecke und schien nervös ein Lied zu summen. Gogo wusste zwar nicht, welches, dafür saß sie einfach zu weit weg, doch konnte sie es sich denken. Genervt zog sich ihr Magen zusammen, als sie sich an die letzten Stunden erinnerte, in der Naoko, peinlich berührt und stotternd die Szenerie verlassen hatte und Gogo damit mehr oder weniger stehen ließ. Allerdings machte sie ihm keinen Vorwurf und Honey würde noch ihre „Dankbarkeit“ zu spüren bekommen, genauso wie der Rest der Bande. Angespannt ging sie noch einmal die Positionen ihrer Freunde durch. Wasabi, so wusste sie, befand sich auf dem Dach und Fred irgendwo im Treppenhaus. Callaghan hatte sich ganz am Ende der Halle postiert, seine Microbots im Anschlag. Als sie nach unten sah, konnte sie erkennen, wie Baymax und Hiro im Licht des Mondes mitten im Raum standen, den Blick starr auf das Tor gerichtet. Sie konnte deutlich sehen, wie sich Hiros Schultern hoben und senkten. Er tat ihr leid und nur zu gern hätte sie ihn irgendwie beruhigt. „Hiro, entspann dich. Wir kriegen das hin.“ hörte sie die beruhigende Stimme Honeys durch die Lautsprecher, die offenbar dasselbe gedacht hatte wie Gogo. Hiro legte seine Hand an sein Mikro. „Es ist alles in Ordnung, Honey.“ Er klang latent genervt. „Und jetzt kein Funkkontakt mehr, es sei denn, ihr bemerkt etwas.“ Mit einem Mal knisterte die Stimme Wasabis durch die Lautsprecher. „Jutes Stichwort, Kleener, ick gloob, hier tut sich wat." „Was siehst du?“ wollte Hiro wissen. „Hier kommt een ziemlich großes Jefährt auf de Halle zu.“ „Alles klar. Versteck dich und halt dich vom Geländer fern.“ „Glub mir Hiro, dat tue ick auch.“ erwiderte Wasabi und dann hörte Gogo selbst, wovon er gesprochen hatte. Das donnernde Geräusch eines Motors. Quietschend schien er knapp vor der Halle zum Stehen zu kommen. Kein Licht war zu sehen und es legte sich wieder Stille über die Nacht. Gogo wagte einen Blick zu Hiro, der ihr mit einer Handbewegung anwies, sich zu verstecken. Vorsichtig kroch Gogo tiefer in den Schatten hinein. Sie öffnete ihr Visier, nahm den Kaugummi heraus, steckte ihn sich an den Helm, schloss das Visier wieder und beobachtete angespannt das Tor. Von draußen kam das Geräusch sich öffnender Autotüren, die mit einem Knall wieder geschlossen wurden. Gogo spürte, wie ihre Muskeln sich anspannten und ihr das Adrenalin zunehmend in die Venen rauschte. Ihr Gehör verschärfte sich und sie war sich beinahe sicher, langsame Schritte im Kies vor dem Tor zu hören. Leise und vorsichtig legte sie sich eine ihrer Scheiben auf die Schiene an ihrem Arm. Diesmal würden sie schnell zuschlagen, gezielt und geplant. Sie waren jede erdenkliche Situation durchgegangen und hatten peinlich genau auf jede Kleinigkeit geachtet. Hiro hatte Baymax sogar angewiesen, den Scanner laufen zu lassen, um bei einer etwaigen gebrochenen Stelle in ihrer Panzerung, sie sofort scannen zu können. „Was sagt der Scanner?“ flüsterte Gogo leise. Hiro sah zu ihr hoch und schüttelte langsam den Kopf. Das reichte ihr als Antwort. Es gab nur zwei Personen, die Baymax nicht scannen konnte. Sie ballte die rechte Hand zur Faust, entspannte sie wieder und wiederholte den ersten Schritt. Sie konnte es nicht verleugnen. Sie war nervös. So viel hing davon ab, ob sie nun alles richtig machen würden und Hiro und seine Tante in Zukunft sicher leben konnten. Sie ließ das Tor nicht aus den Augen, doch es geschah nichts. Gerade, als sie Hiro fragen wollte, was los sei, hörte sie etwas. „Is dat ...?“ Gogo hörte rhythmische Schläge einer Gitarre. „Was ist das?“ fragte Honey irritiert. Mit einem Mal gesellten sich die dumpfen Schläge eines Schlagzeugs dazu und schließlich auch Gesang. Allerdings klang dieser durch das massive Tor hindurch eher undeutlich. „Hey! Was ist da unten los?“ schallte die Stimme Freds durchs Mikro. Gerade, als der Refrain einzusetzen schien, riss ein ohrenbetäubender Knall Hiro von den Füßen. Selbst Gogo konnte sich nur schwer auf den Beinen halten und Honey war mit ihrer Bazooka nach hinten umgekippt. I`m on a Highway to hell! setzte das Lied ein und die Musik füllte mit einem Schlag die Stille, die die Explosion des Tores hinterlassen hatte. I`m on the Highway to hell! Durch die Rauchwolke hindurch trat der Schatten eines Mannes, auf seinen Schultern ruhte ein Ghettoblaster, dessen Boxen mit jedem Bass gegen das Netz hämmerten. Lautstark fiel die Person in den rockigen Gesang mit ein und sang aus voller Kehle. „Highway to hell! I`m on a Highway to hell!” Als er ins Licht des Mondes trat, erkannte Gogo sofort Gunner. Seine Flinte schimmerte im Licht auf seinem Rücken und der Revolver hing deutlich sichtbar an seinem Gürtel. Doch irgendetwas stimmte nicht. Er sah anders aus, als Hiro ihn beschrieben hatte. Sie sah zu ihrem Freund hinunter und sah diesen auf dem Boden sitzend, zu Baymax‘ Füßen, und Gunner erschrocken beobachtend. Endlich drehte dieser an einem Regler seiner Anlage und die Musik wurde hörbar leiser. „Guten Abend, Kleiner. Lange nicht mehr gesehen.“ Gogo verstand das nicht. Er hatte ihnen ja erzählt, dass Gunner ihn in zivil gesehen hatte, doch hatte er nichts davon erwähnt, dass er auch seine andere Identität kannte. Gunner lachte, als er den perplexen Gesichtsausdruck von Hiro sah. „Sag nicht, das ist der Riesenmarshmallow vom letzten Mal.“ Er richtete seinen Blick auf Baymax, der noch immer regungslos im Raum stand. „Jetzt sieht er auf jeden Fall deutlich gefährlicher aus als vorher. Da bekomme ich ja schon fast Angst.“ kicherte er laut. Der ist vollkommen irre schoss es Gogo durch den Kopf und sie hob vorsichtig den Blick. Hiro hatte sie angehalten, nicht eher einzugreifen, bevor er nicht das Zeichen gab, egal, was passieren würde. „Hier stimmt etwas nicht.“ hörte sie eine nervöse Stimme aus dem Lautsprecher. „Du hast Recht, Honey. Irgendwas ist anders.“ Es war nicht nur der untypische Auftritt, den kein Dieb, der unerkannt bleiben wollte, auf diese Art und Weise abziehen würde. Auch seine Kleidung war völlig anders als sie in Baymax‘ Aufzeichnungen und Hiros Beschreibung nach aussah. Der Mantel war weg und stattdessen prangte eine schwarze, offene Weste auf seinem Oberkörper, deren langer Stoff bis zu den Stiefeln reichte. Darunter und an den Armen war er völlig in Metall gehüllt. Gogo sah die vereinzelten, glatt polierten Platten. Die Schläuche und Drähte. Die Scharniere und Stahlseile. Er glich mehr einem Roboter, als einem Menschen. „Weißt du ...“ fing er wieder an. „... als ich dich damals besucht hatte, hätte ich nie damit gerechnet, dass gerade du kleiner Wurm zu den Leuten gehörst, die uns schon mal bei unserer Tour gestört hatten.“ Er kicherte und Gogo konnte Hiros ungläubigen Gesichtsausdruck sehen. „Aber die Welt ist manchmal recht klein. Naja, was soll‘s?“ Mit einer kurzen Bewegung ließ er die Anlage von seiner Schulter gleiten, die dann mit einem lauten Krachen auf dem Boden aufschlug und ihre Bruchstücke über den steinernen Boden verteilte. Noch während sie fiel, hatte Gunner seine Flinte gegriffen und richtete den Lauf auf Hiro. „Aber ich habe dich gewarnt, mir noch einmal in die Quere zu kommen.“ Hiros Gesichtsausdruck war angespannt und doch erwiderte er in einem ruhigen Tonfall, der einen beinahe glauben ließ, er würde sich mit einem alten Freund unterhalten „Ja, das haben Sie, Herr Yamoro.“ Gunner ließ die Flinte ein wenig herunter und sah den Jungen an. Es war unmöglich, zu erkennen, wie er darauf reagierte, lag sein Gesicht doch unter den Helm verborgen. Er kicherte verhalten, als er fragte: „Was hast du gerade gesagt?“ Hiro sah ihn mit strengem und entschlossenem Blick an. „An dem Abend, als Sie bei mir gewesen sind, hat mein Roboter Sie gescannt.“ Baymax surrte leise und Gunner legte einem Hund gleich den Kopf schief. „Äh ...?“ „Sie können sich nicht mehr verstecken. Wir werden Sie finden.“ Gogo bemerkte das leichte Zittern in Hiros Stimme. Ob er nervös oder einfach nur wütend war, konnte sie allerdings nicht sagen, doch sie musste sich eingestehen, dass er seine Sache großartig machte. „Es ist völlig egal, was Sie tun. Diesen Ort haben wir gewählt!“ Gunner senkte die Flinte und legte den Kopf in den Nacken. „Hahaha!“ Ein leichter Schauer lief Gogo über den Rücken und sie war sich sicher, dass es Hiro nicht anders erging. „Ohje, das ist schlecht.“ lachte er und griff sich kopfschüttelnd an den Helm. „Mies ist das. Sind wir euch etwa auf den Leim gegangen?" fügte er mit sarkastischem Ton hinzu und richtete seine Flinte wieder auf. „Das ist richtig mies. Nun wird sogar Knight einsehen müssen, dass wir euch besser mundtot machen sollten.“ gluckste er. Gogo ging in Position, bereit zu springen. Gib schon das Signal schrie sie innerlich, als auf einmal Hiro wieder sprach. „Wo wir gerade davon reden. Wo steckt dein Partner?“ Hiros Stimme war angespannt, doch hörte sie keine Furcht darin. Gunner legte den Kopf schief und seine Schultern zitterten leicht, als er lachte. Was soll das? Er zeigte mit dem Finger nach oben. „Auf dem Dach.“ Als wäre es ein Stichwort gewesen, barst die Decke über Hiro. Ohne zu zögern, griff Baymax nach dem Jungen und zog ihn von den Trümmern weg. Mit einem lauten Krachen schlugen die Dachstücke auf dem steinernen Boden ein und hüllten die Szenerie in dichten Staub. Mit einer geschickten Rolle sprang Wasabi aus dieser heraus, die Plasmaklingen aktiviert. „Wasabi!? Was ist mit Fred?“ konnte Hiro noch herausbringen, als der Genannte in einem Affenzahn aus dem Nebel flog, Wasabi direkt in die Arme. Zu Freds Glück fiel Wasabis Reaktion gewohnt schnell aus und gleich einem Wimpernschlag erloschen seine Klingen und er breitete die Arme aus, um seinen Freund zu fangen. „Ich mag deine Auftritte.“ fügte Gunner der Szenerie hinzu. Als der Nebel sich lichtete, erkannte Gogo die Gestalt Knights darin. "Tut mir ... leid, Hiro ..." stammelte der Riese. Gogo war fassungslos. Mit einem metallenen Singen versenkte er sein Schwert wieder in der Scheide auf seinem Rücken und zog das andere daneben. Erst jetzt fiel Gogo auf, dass er nicht nur ein Schwert bei sich trug. Hiro pfiff laut aber kurz und sofort stürmten die Freunde los. Aus dem Schatten heraus schossen Callaghans Microbots in der Gestalt von zwei riesigen Hammern auf die beiden zu. Sekundenbruchteile zuvor hatte Honey ihre Ladung mit einem lauten Knall abgefeuert. Hochkonzentrierter Kleber mit dem Ziel, die Feinde auf der Stelle zu fixieren. Im gleichen Moment schossen auch Hiros Microbots aus seinen Taschen hervor und zogen Wasabi und Fred aus dem Schussfeld. Hinter ihm warf Baymax bereits seine Düsen an und Gogo setzte zum Sprung an. Wenn die beiden der Attacke auswichen, würden sie sie in der Luft abfangen. Doch noch während Gogo und Baymax die Positionen über ihnen einnahmen, erkannten sie, dass die beiden sich keinen Zentimeter wegbewegten, sondern völlig ruhig dort verharrten. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit riss Gunner seine Flinte hoch und zerschoss Honeys Projektil, noch ehe es die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte. Knight hingegen schwebte wie auf Schwingen durch den Raum und hielt auf die Microbots zu, denen er mit einer grünlich schimmernden Klinge begegnete, welche die Gebilde noch in der Luft in zwei Hälfte schnitt. Mit Schwung flog er über Hiro und Baymax hinweg, drehte sich in der Luft und landete wieder mit den Füßen auf den Boden, als sein Stahlmantel sich mit einem langgezogenen Krachen in den Beton bohrte, während er darauf abbremste. Die Überraschung war den Freunden deutlich ins Gesicht geschrieben, doch blieb ihnen keine Zeit, darüber nachzudenken, wie er das gemacht hat. Initiative! Sofort änderte Gogo in der Luft die Richtung und hielt auf Knight zu. Honey lud ihre Kanone nach und Hiro sprang auf Baymax‘ Rücken, während er inzwischen mit voller Geschwindigkeit auf Gunner zu hielt. Nachdem der erste Angriff gescheitert war, trat sofort Plan B in Kraft, den Hiro ihnen noch am Abend zuvor eingetrichtert hatte. "Die beiden sind Grund auf verschieden. Das müssen wir ausnutzen." Er hatte sich dabei an Wasabi und Fred gewandt. "Ihr zwei, Baymax und ich werden uns Gunner vorknöpfen. Er ist definitiv ein Fernkämpfer, wenn wir uns seine Bewaffnung ansehen. Also werden wir ihm die für ihn vorteilhafte Distanz gar nicht erst ermöglichen." Fred richtete seinen Feuerstrahl mit einem lauten "Feuer!" auf Gunner. Gogo ließ von dem Geschehen ab und richtete ihr Augenmerk nun auf ihren Gegner. Knight hatte sich inzwischen erhoben und begegnete dem Beschuss von Honey mit seinem Schild. Diesmal wird dich das nicht retten (kursiv) knurrte sie innerlich, warf ihre Düsen an und glitt an der Wand zu seiner Linken entlang. Gogo wusste, dass Callaghan von seiner Rechten her angreifen würde. "Findet den toten Winkel in seiner Verteidigung, aber bleibt außerhalb seiner Reichweite." hatte Hiro ihnen befohlen und Gogo sah keinen Grund, sich dem zu widersetzen. In ihr brodelte der Wille nach einer Revanche, doch musste sie sich zurückhalten und ihre Impulse unterdrücken. Während ihr Gegner ihre Bewegungen verfolgte, schossen bereits die Microbots von Callaghan aus dem Schatten heraus auf ihn zu. Wie die Tentakel eines Kraken fächerte er diese aus und ließ sie in Form von Speerspitzen auf ihn zu halten. Gogo machte sich zum Richtungswechsel bereit. Wenn er sich umdrehen und den Bots begegnen würde, würde sie das ausnutzen. Doch so weit kam es gar nicht erst. Agil wie eine Gazelle sprang Knight nach hinten und die Bots folgten ihm. Er fuhr sein Schild wieder ein und ließ seine Düsen brüllen. Eine schnelle neunzig Grad Kurve und er war an ihnen vorbei. Sofort hob er noch im Flug sein Schwert und schlug zu. Zwei der Arme brachen zusammen und die Bots verteilten sich auf dem Boden. Doch er hielt nicht, sondern sprang mit einem Satz auf den dicken Stamm der Bots und rannte auf diesem entlang zu Callaghan. Honey hatte inzwischen den Beschuss aufgenommen und Gogo feuerte ihre beiden Scheiben von der Schiene. Auf halbem Weg jedoch zog der alte Mann seine Maske kurz ab und die vorher stabilen Bots verloren ihren Halt und fielen zu Boden. Seines Halts beraubt, trat Knight ins Leere und die schwarz schimmernden Projektile von Honey trafen ihn in die Seite und die Scheiben an den rechten Arm, was ihn zu Boden warf. Gogo verlor keine Zeit und lief zu ihm. Sie wusste, dass Honey ihre Klebemixtur verwendet hatte und Knight nun in seiner Bewegung eingeschränkt war. Callaghan zog rasch seine Maske wieder auf und die Bots begannen, sich wieder zu bewegen. Gogo war nur wenige Meter von Knight entfernt, als dieser mit einem Mal in Flammen aufging. Erschrocken bremste Gogo ab und sah, wie ihr Gegner sich langsam, von tanzenden Flammen umhüllt, wieder erhob. Doch so schnell, wie das Feuer kam, so schnell war es auch schon wieder verschwunden und nur die brennende Weste glitt noch an seiner Rüstung hinunter und landete mit einem Funkenschlag auf dem Boden. Ohne zu zögern hob er sein Schwert wieder und hielt auf Gogo zu. Sofort erkannte Gogo den Sinn hinter dieser Aktion. Die klebrige Masse, die ihn vor kurzem noch aufgehalten hatte, war abgebrannt.  Als er nur wenige Meter von ihr entfernt war, zog sie ebenfalls nach vorne, bereit ihm zu begegnen. Es war Zeit, das Gelernte anzuwenden. Der Schlagabtausch war nur von kurzer Dauer. In atemberaubender Geschwindigkeit drehte Knight die Klinge seines Schwertes und schlug Gogo damit die erhobenen Hände weg, noch ehe sie den ersten Griff anwenden konnte. Eine kurze Drehung von ihm und er hob sie von den Füßen, griff an ihre Kehle und drückte sie auf den Boden. Sie hörte, wie der Stein unter ihr brach, doch seltsamerweise spürte sie dabei keinen Schmerz und das, obwohl sich das Jetpack in ihren Rücken drückte, während es unter lautem Scheppern zerbrach. Noch während sie aufkam, ließ er von ihr ab, klappte seinen Schild aus seinem Arm heraus und drehte sich. Gogo sah im Augenwinkel, wie sich die Microbots in Form einer großen Faust rasant auf ihn zu bewegten und mit lautem Krachen gegen den Schild schlugen. Der Wucht nicht gewachsen riss es ihn von den Füßen und warf ihn gegen die Wand. "Alles in Ordnung?" knackte die besorgte Stimme Honeys durch die Lautsprecher. Gogo stöhnte vor Schmerz und, als sie sich aufrichtete, sah sie Callaghan auf seinen Bots reitend auf Knight zu halten. "Steh auf, Gogo! Wir dürfen nicht nachlassen!" rief er ihr zu und griff an. Dämlicher alter Sack fluchte sie innerlich und stand auf. Ein kurzer, prüfender Griff und es war klar, dass ihre Düsen völlig zerstört waren. Das wirst du mir büßen Sie wagte einen kurzen Blick zu den anderen. Wasabi hielt sein grün leuchtendes Plasmaschild Gunner entgegen, der munter auf ihn feuerte. "Ein kugelsicheres Schild?" Er kicherte leise und drehte an der kleineren Trommel seines Revolvers. "Wie vorhersehbar." Erneut schoss er und diesmal hörte sich jede Kugel an wie ein Kanonenschlag. Zwei, drei Schüsse auf das Schild, die mit einer Explosion auf die Oberfläche schlugen und deren Wucht Wasabi zum Taumeln brachte. Bis schließlich der vierte ihn von den Füßen hob. Gunners Lachen wurde lauter: "Haltet ihr mich für einen verdammten Amateur?!" Von der Seite schoss Baymax‘ Faust auf ihn zu, welcher er nicht mehr ausweichen konnte und bei dem Versuch ihn zu greifen, warf sie ihn schlichtweg über den Haufen, als wäre er nur eine Stoffpuppe. Offenbar waren die anderen auch nicht viel weiter als sie. Immer wieder wiegte der Kampf hin und her, doch gelang es den Freunden weitestgehend die Initiative zu behalten. Gogo wandte sich ab und warf sich nach vorne. Dann musste sie wohl auf die konventionelle Version zurückgreifen. Callaghan verfolgte Knight inzwischen, der seinen Angriffen immer wieder mit Haken und Sprüngen auswich, während Honey ihn von oben ins Visier nahm. Das wusste wohl auch er, denn immer wieder versuchte er, den Kampf in Richtung Honey zu verlagern, was Callaghan jedoch vereitelte. Er hat nicht viele Optionen schoss es ihr durch den Kopf. Sie nahm eine scharfe Rechtskurve und hielt auf Knight zu. Ein Klacken und ihre Scheiben waren in der Schiene verankert. Kurz blickte er sie an, als er die Richtung abrupt änderte und auf Gogo zu lief. Diesmal nicht Mitten in der Fahrt hielt sie, kniete sich hin und zielte. Ein weiteres Klacken und die Scheiben sausten in Richtung ihres Gegners. Ohne ihren Aufschlag abzuwarten, aktivierte sie ihre Magneten, nahm sich unter Surren zwei weitere Scheiben von ihren Rädern und warf diese jeweils nach links und rechts von sich. Danach hechtete sie nach vorne und fuhr auf Knight zu, der inzwischen sein Schwert gehoben hatte und die beiden ersten Projektile von Gogo abwehrte, während hinter ihm die Bots in einer riesigen Welle immer näher kamen. In voller Fahrt aktivierte Gogo ihre Magnete in den Handschuhen und am Pfeifen in der Luft konnte sie erkennen, dass ihre Scheiben nun die Richtung gewechselt hatten. Es waren nur noch wenige Meter, die sie von Knight trennten. Er wird mich nicht töten redete sie sich ein und hoffte, dass Fred recht behalten sollte. Er wird mich nicht töten Wenige Zentimeter lagen jetzt noch zwischen ihnen und sie konnte schwören, dass sie ihn atmen hören konnte. Er hatte die Spitze seiner Klinge auf sie gerichtet. Alles um sie herum geschah wie in Zeitlupe. Gogo hob die Arme, um dem Schlag zu begegnen. Doch kam dieser nie. Im Augenwinkel sah sie, wie zwei kleine Bälle mit einem leuchtenden roten Punkt genau auf Knight zuflogen. Auch er hatte diese bemerkt, denn er senkte in Sekundenbruchteilen sein Schwert, ließ es fallen, packte Gogo am Arm und zog sie beiseite. Eine ohrenbetäubende Explosion folgte und warf die beiden zusammen mit einem Schwarm Microbots durch die Halle. Noch in der Luft nahm Knight sie, hielt sie in den Armen. Mit einem heftigen Ruck kamen die Beiden auf dem Boden auf und seine gepanzerten Stiefel zogen eine tiefe Schneise nach sich, als er auf dem Boden bremste. Gogo war in diesem Moment unfähig zu denken, hoffte sie doch nur, das hier alles heil zu überstehen. Als sie schließlich zum Stillstand kamen, hob er sie ohne weiteres Zögern wieder auf die Beine und rannte zu seinem inzwischen mit erhobenem Revolver mitten im Raum stehenden Kollegen. Sofort zog er sein anderes Schwert aus der Scheide und stellte sich mit dem Rücken zu Gunner. "Also eigentlich habe ich dich nur wegen deinem Schwert Knight genannt, nicht weil du Jungfrauen in Nöten zu Hilfe eilst, weißt du?" witzelte dieser. Knight erwiderte kein Wort und Gunner fuhr wissend fort: "Schon klar, niemanden töten. Ich hab‘s verstanden." Gogo stand noch immer am selben Ort, an dem er sie abgesetzt hatte, und konnte es noch immer nicht fassen. "Gogo! Ist alles gut bei dir?" Die besorgte Stimme Honeys holte sie aus ihrer Trance zurück und sofort schloss sie zu ihren Freunden auf, die dabei waren, die beiden zu umzingeln. Inzwischen redete Gunner weiter mit seinem Kollegen, nicht ohne jede Bewegung mit seinen Revolvern zu verfolgen: "Das ist jetzt schon ´ne blöde Situation." Knight richtete einen kurzen Seitenblick zu Gunner und der lachte. "Ja, ich weiß, es ist meine Schuld." Seine Schultern bebten und er kicherte laut. "Aber weißt du? Der Bengel da kennt meine Identität, der Roboter hat mich offenbar neulich gescannt, als ich mal kurz bei ihm reingeschneit bin." Knight sagte kein Wort, richtete sein Schwert nur auf den näher kommenden Callaghan. "Außerdem glauben sie, dass ich mit Nachname Yamoro heißen soll. Verrückt, nicht wahr?" Er hob seine Revolver und richtete sie auf Hiro und Baymax. Sofort baute der Roboter sein Schild auf und duckte sich mit Hiro schützend dahinter. "Sie waren nah dran." Im Bruchteil von Sekunden, drehte Gunner sich an Knight vorbei. So schnell, dass niemand damit gerechnet hatte. Er hob seinen rechten Revolver erneut und feuerte. Ein Knall und ein erstickter Schrei durchbrachen die Stille, die seine letzten Worte hinterlassen hatten. Im Augenwinkel sah Gogo noch den Schwall Blut, der weit durch den Raum getragen wurde und sofort erkannte sie, wen er getroffen hatte. "Ich habe dich gewarnt, alter Mann." Ungläubig und beinahe wie in Trance führte Callaghan seine rechte Hand an seinen Hals, während das Blut zwischen seine Finger glitt. Ein Husten und ein weiter Schwall ergoss sich über den Boden. Es war wie in einem Traum, so fern und surreal erschien Gogo diese Szene. So sehr wollte sie es nicht wahr haben. "Nein!" Der erstickte Schrei von Hiro schallte durch den Raum, noch während der alte Mann rücklings fiel. Ohne zu zögern warf der Roboter die Düsen an und schoss mit Hiro auf dem Rücken nach vorne. Von dem lauten Donnern gewarnt, drehte Gunner sich um zielte mit lautem Lachen und bebenden Schultern auf Hiro. „Stirb du Knirps!“ brüllte er ihm entgegen und drückte ab. „Hiro! Verschwinde da!“ gleich mit dem Krachen des Revolvers peitschte die Stimme durch den Raum und noch ehe Gogo diese zuordnen konnte stieß Knight seinen Verbündeten mit all seiner Kraft beiseite. Als die Kugel den Lauf verließ, zischte sie nur Millimeter an Hiros Helm vorbei. Den Roboter stoppte das nicht. Ein lautes Bersten und das Glas von Knights Helm zersprang an der linken Seite, wo ihn die Faust gestreift hatte. Für einen kurzen Moment machte Gogos Herz einen Hüpfer. Eine Lücke, Baymax würde ihn scannen können. Hiro dachte offenbar dasselbe, denn noch im Vorbeiflug kreischte er beinahe zu dem Roboter: "Scan ihn!" Eine scharfe Kurve und Hiro sprang von Baymax‘ Rücken herunter. Noch während sich Hiro zu Callaghan kniete, antwortete der Roboter: "Ja." Sofort begann er zu surren und Sekunden später sagte er: "Scan abge ..." Doch weiter kam er nicht. Gogo sah an seinem Hinterkopf eine feine, glühende Linie, die sich quer über den Kopf bis zur linken Schulter zog und im nächsten Moment splitterte der Stahl an dieser Naht. Gogo hörte, wie Hiro erschrocken den Blick zu ihm richtete, mit bebender Lippe und der Stimme beraubt, als dieser erkannte, was geschehen war. Jetzt erst erkannte sie, dass Knight seinen Nachbrenner, der an seinen Waden angebracht worden war, angeworfen hatte und mit seinem grünen Schwert Baymax‘ Rüstung wie ein heißes Messer Butter zerschnitten hatte. Noch im selben Zug zog er sein Schwert wieder hoch und spaltete den Roboter in der Mitte, ehe ein gezielter Schuss von Gunner hinter ihm diesen nun vollständig zerstörte und dessen Bruchstücke über den Boden verteilte. "Schluss mit der Scannerei." kommentierte er trocken. Gogo sah nicht zu Hiro, sondern rannte sofort nach vorne und Wasabi und Fred taten es ihr gleich. Honey indes sprang sofort von ihrem Posten, drückte auf ihren inzwischen wieder zur Handtasche gewordenen Chemiebaukasten und holte eine gelbe Kugel heraus, die sie sofort aufriss. Gunner hatte inzwischen wieder seinen Revolver erhoben und richtete diesen auf die drei am Boden Sitzenden. Doch bevor er seinen Schuss abgeben konnte, schnitt die Klinge seines Partners durch den Stahl der Waffe. Ohne Gunner darauf reagieren zu lassen, packte Knight ihn an der Kehle und warf ihn zu Boden. Mit bedrohlicher und verzerrter Stimme brüllte er seinem Partner zu: "Verschwinde von hier!" Es war ein Tonfall, der keinen Widerstand duldete, und doch widersprach Gunner ihm: "Wie kannst du es ...?" Doch weiter kam er nicht. Sofort zog Knight seinen Stiefel mit ganzer Kraft durch sein Gesicht. "Verschwinde endlich oder du bist der nächste!" Diesmal erwiderte er nichts, sondern erhob sich nur und rannte Richtung Ausgang. Gogo zog an ihren Freunden vorbei ihm hinterher. Oh nein, daraus wird nichts Doch bemerkte sie in ihrer Rage nicht, wie Knight zu ihr aufgeschlossen hatte, sie an ihrem Arm packte und sie mit kraftvollem Griff wieder zurückwarf. Sie landete in den Armen von Fred, der sie auffing. Hinter Knight flüchtete sein Partner in den immer heller werdenden Morgen. Als Fred sie absetzte, bemerkte sie, dass Knight heftig atmete und sich seine Schultern auf und ab hoben. Er kann nicht mehr, das ist unsere Chance In der noch dunklen Halle konnte sie die inzwischen freie Stelle in seinem Visier nicht erkennen, doch hoffte sie inständig, dass Baymax‘ Chip den Angriff überlebt hatte und er ihnen damit nicht mehr entkommen konnte. Wasabi schien dasselbe zu denken. "Ihr habt versagt. Auch wenn de et jeschafft hast, Baymax zu erledigen, de Scan Werte ham wa so oder so. Wir werden bald wissen, wer ihr seid." Knight erwiderte nichts, doch hoffte sie, dass Wasabis Bluff funktionieren würde. Knight wandte einen letzten Blick zu dem am Boden liegenden Professor, auf dessen Wunde Honey inzwischen ein weißes Pulver gestreut hatte und fieberhaft versuchte, mit zitternden Händen einen Verband um seine Wunde zu legen. Knight zog das Schwert und rannte auf die drei zu, die aufgehende Sonne in seinem Rücken. Wasabi warf seine Klingen an, Fred machte sich zum Sprung bereit und Gogo nahm eine ihrer Scheiben in die Hand, bereit dem Angriff zu begegnen. Du kommst hier nicht vorbei Doch mitten im Lauf stoppte er und sah an sich herunter. Anfangs verstand Gogo nicht, doch dann sah sie es. Kleine, rote Punkte auf seinem Körper verteilt, die zitterten und tanzten, doch nie von ihm abließen. Erst jetzt bemerkte die Gruppe die Männer hinter ihnen. Schwarze Kevlarwesten und Panzerung. Vermummte Gesichter, verdeckt von Sonnenbrille und schwarzen Masken. Sie hielten ihre Waffen ruhig, aber aufmerksam. "Wir haben ihn festgesetzt. Es gibt einen Verletzten, wir brauchen sofort einen Arzt!" rief einer von ihnen in sein Mikro. Gogo hatte gar nicht bemerkt, wie sie sich in der ganzen Halle verteilt hatten und sogar durch das zerstörte Tor traten. „Schießt endlich.“ rief Knight ihnen mit einem Mal zu, doch diesmal war seine Stimme überhaupt nicht verzerrt. Sie klang beinahe sanft und bebte merklich bei jedem Wort. "Nehmen Sie die Waffe runter!" brüllte einer der Beamten, doch tat er nichts dergleichen. Stattdessen hob er sein Schwert noch und richtete es auf die Männer. "Nehmen Sie sie runter oder wir eröffnen das Feuer!" wiederholten sie. Mit einem Mal griff Knight an seinen Helm und zog ihn mit einer Bewegung von seinem Kopf. Strahlend blaue Augen und pechschwarzes Haar schimmerten im Sonnenlicht. "Schießt endlich ..." Die Stimme war mehr ein Flehen und Gogo stoppte das Herz. Bitte lass das nicht wahr sein flehte sie innerlich, doch selbst im Dunkeln seines Schattens konnte sie seine allzu bekannten Gesichtszüge deutlich erkennen. Bitte tu mir das nicht an Naoko sah sie aus müden Augen heraus an. „Wir müssen ihm helfen!“ flüsterte sie beinahe wie in Trance, mehr zu sich selbst, als zu den anderen. Sie wusste nicht, wie sie auf diesen Gedanken kam und warum überhaupt, doch erschien ihr dies nun, nachdem sie es ausgesprochen hatte, auch nicht mehr allzu wichtig. „Ihm helfen? Spinnste jetzt völlich?“ fuhr Wasabi sie laut an. „Er hat Baymax den Kopf abjeschlagen und Callaghan verletzt!" fügte er hinzu. „Er ist ein Roboter! Wenn der Chip nicht beschädigt wird, geschieht ihm nichts!“ entgegnete Gogo. „Außerdem hat Gunner ihn erschossen, nicht er!“ „Und wenn er sich ergibt wird ihm auch nichts geschehen. Sie werden ihn festnehmen.“ sprach Honey ruhig, die sich zu den anderen gesellt hatte, und legte ihre Hand auf Gogos Schulter. "Er wird nicht aufgeben." Gogos Stimme bebte. Sie wusste, dass ihre Freunde nichts unternehmen würden. "Haltet euch da raus." sprach sie schließlich. Dann würde sie das eben selbst in die Hand nehmen. "Er gehört mir!" Sie warf sich nach vorne und sprintete los. "Gogo?!" brüllten die anderem im Chor und sahen ihr fassungslos hinterher. Honey ließ drei blaue Bälle aus ihrer Tasche ploppen und sah Fred auffordernd an. "Wir müssen ihnen Deckung geben!" Ob Fred verdutzt über diese Aussage war, konnte man nicht sagen, aber er antwortete "Wie du meinst." "Wofür?" wollte Wasabi hysterisch schreiend wissen. "Vielleicht kann sie ihn zum Aufgeben bewegen." meinte sie und stürmte mit Fred nach vorne. Ein schneller Wurf von Honey, ein Feuerstoß von Fred und die ganze Halle wurde in eine blaue, dichte Rauchwolke gehüllt. Gogo indes bekam davon überhaupt nichts mit. Sie spürte die Tränen, die sich in ihren Augen bildeten, doch fachte das ihre Wut nur noch mehr an. Warum ausgerechnet du? Als die Wolken zu ihr aufgeschlossen hatten und sie umfingen, wusste sie, dass ihr nun ein paar wenige Minuten Zeit erkauft worden waren, ehe die Einsatzkräfte ihnen folgen würden. Sie hoffte, dass die anderen sich aus dem Staub machen würden, bevor man ihnen unangenehme Fragen stellen konnte. Wieso tut es mir so weh? Naoko hatte noch immer sein Schwert erhoben und blickte entschlossen in den Nebel hinein. Gogo wusste nicht, ob er sie sehen konnte, doch war ihr das im Moment völlig egal. Sie zog eine scharfe Kurve, versuchte ihn an der Seite zu erwischen. Doch sofort zog er nach und richtete sein Schwert in ihre Richtung. Sie fuhr weiter um ihn herum, weiter und schneller, versuchte eine Lücke zu finden. Und plötzlich war sie da. Kurz richtete er seinen Blick wieder in Richtung ihrer Freunde. Was auch immer ihn gerade abgelenkt hatte, sie würde es nutzen. Ich habe dir vertraut! Gogo warf sich mit aller Kraft nach vorne. Ihre Bewegungen ließen den Nebel um sie herum aufwirbeln, gleichsam wie den Staub der Straße. Erschrocken fuhr Naoko herum, doch war es zu spät. Mit erhobenen Scheiben rammte sie in seine Seite und riss ihn zu Boden. Eine geschickte Rolle und beide standen sich gegenüber. Naoko öffnete den Mund, doch Gogo wollte ihn gar nicht erst reden lassen. Sofort warf sie wieder nach vorne an und ging in den Nahkampf. Ich habe dir verdammt noch mal vertraut! Naoko reagierte schnell und wehrte ihre gezielten Hiebe mit den Scheiben ab. Gogo raste vor Wut, versuchte ihn mit aller Macht zu überwältigen. Doch trotz ihrer Bemühungen schien es beinahe so, als würde er ihre Schläge ohne jede Mühe abwehren können. "Gogo." Dumpf drang seine Stimme in ihren Verstand, doch sie ignorierte ihn. "Gogo!" Für sie wirkte es, als spräche er aus weiter Ferne zu ihr. Seine Worte waren völlig bedeutungslos. Ein Hieb auf sein Gesicht gezielt, Stahl trifft auf Stahl und das Kreischen bescherte ihr eine Gänsehaut. Er machte keinerlei Anstalten anzugreifen, sondern wehrte ihre Schläge nur ab. "Wehr dich gefälligst!" schrie sie ihn verzweifelt an, während ihre Tränen sich mit ihrem Schweiß glitzernd in der Luft verteilten. Warum erlaube ich dir, mir so wehzutun?! Ein geschicktes Kreisen seines Schwertes und Gogo verlor die Scheiben an ihrer linken Hand. Er ließ das Schwert fallen, griff nach ihrem rechten Arm und riss sie mit ganzer Wucht zu Boden. Über sie gebeugt hielt er sie fest und versuchte ihren Tritten auszuweichen. "Gogo!" schrie er sie an, doch hörte sie nur einen dumpfen Laut. Der Kloß in ihrer Kehle schnürte ihr die Luft ab und sie versuchte mit aller Macht der anbahnenden Tränenflut Herr zu werden. Mit einem Mal war der Griff um ihr rechtes Handgelenk locker und Gogo nutzte diese Unachtsamkeit sofort aus. Ohne nachzudenken schlug sie mit ihrer Rechten quer durch sein Gesicht. Erschrocken von dem Schlag und dessen Wucht ließ er von ihr ab. Gogo wartete nicht lange, sprang auf, nahm sich sein Schwert und warf sich auf ihn. Ohne jedweden Widerstand krachte sie mit ihm auf den Boden, er rücklings, sie mit dem Schwert an seiner Kehle auf ihm sitzend. Eine gefühlte Ewigkeit sahen sie sich nur in die Augen und langsam begannen seine eisblauen Augen zu verschwimmen. Ihre Schultern bebten und sie gab den Tränen nun völlig nach. In Rage brüllte sie ihm ins Gesicht: "Wieso?!" Sie warf das Schwert zur Seite, packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. Wütend gab sie ihm einen Schlag nach dem anderen und brüllte immer wieder: "Wieso?! Wieso?! Warum ausgerechnet du?!" Als sie die letzten Worte ausgesprochen hatte, gab sie schließlich nach und starrte ihn nur noch an. "Weil ich muss." erwiderte Naoko flüsternd. Schluchzend ließ Gogo ihn los und erhob sich, nur um direkt danach sich wieder unsanft auf den Boden zu setzen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, was sie sagen sollte. "Gogo ..." fing er an, doch sie ließ ihn gar nicht erst, sondern erwiderte sofort: "Du weißt, dass wir dich jagen werden. Dass wir dich kriegen werden." Ihre Stimme zitterte leicht, doch war ihr das völlig egal. Betreten blickte sie gen Boden. Sie wusste nicht, was sie gerade tat, und es fühlte sich gleichermaßen richtig wie falsch an. Als sie seine Hände an ihren Schultern spürte, blickte sie auf. Er hatte sich vor sie gekniet und sah sie aus seinen schimmernden Augen heraus an. "Irgendwer muss mich ja aufhalten.“ lächelte er sie schüchtern unter schwerem atmen an. „Aber noch nicht.“ Er ließ vorsichtig von ihr ab. Für eine Sekunde hatte Gogo den Eindruck, dass er das gar nicht wollte. "Du solltest jetzt besser gehen." Sie lächelte resigniert, als sie das hörte, und erhob sich mit ihm vorsichtig. Es war ein seltsames Gefühl, das sie umfing, doch wusste sie, dass es jetzt keinen Weg zurück mehr gab. "Du hast fünf Sekunden." antwortete sie ihm und wollte sich gerade umdrehen, als er ihr erneut an die Schulter griff, sie zu sich zog und umarmte. Gogo war wie erstarrt, hatte sie doch damit gar nicht gerechnet, und so dauerte es einen Augenblick, ehe sie die Umarmung erwiderte. Es kam ihr vor wie eine kleine Ewigkeit, bis sie ihn wieder losließ. Er sah ihr in die Augen. "Versprich mir, dass meine Schwester nichts hiervon erfährt. Sie würde nur anfangen, sich selbst die Schuld dafür zu geben." Gogo wusste weder, wie sie das bei all dem Tumult, den sie verursacht hatten, noch bewerkstelligen sollte, noch, wer sie überhaupt war, doch nickte sie. Blitzschnell kam er ihr näher, doch statt einer erneuten, fahrigen Umarmung hauchte er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, ehe er sich vollends von ihr abwandte, seine Kapuze tief ins Gesicht zog und los rannte. Gogo war wie erstarrt und blickte ihm mit einer Mischung aus Wut und Erleichterung hinterher. Wie ein Knoten zog sich ihre Kehle zu und sie vergaß alles um sich herum. Im schnellen Sprint verschwand er in den zahlreichen Gassen der Wolkenkratzer um sie herum. Langsam begann sich auch der Nebel um sie herum zu lichten und erste Schatten und Konturen waren zu erkennen, welche die Zahl der Einsatzkräfte nur erahnen ließ. Noch immer stand sie wie erstarrt, bis sie rüde am Arm gepackt wurde. "Los jetzt!" schallte Wasabis Stimme in ihrem Kopf und nach einem Augenblick begann sie sich in Bewegung zu setzen. Noch ehe der Nebel völlig verschwunden war und das Chaos des Kampfes offenbarte, waren die Freunde verschwunden. Kapitel 25: Akt III - Bruchstücke --------------------------------- „Uns erreicht in diesem Moment die Information, dass es im Industriebezirk im nördlichen Stadtteil heute Nacht zu einer Auseinandersetzung zwischen einer noch unbekannten Gruppe und den beiden mutmaßlichen Einbrechern der letzten Wochen gekommen ist. Wie uns mitgeteilt wurde, war auch der mit früheren Angriffen auf Krei Tech in Verbindung gebrachte Robert Callaghan in diesen Konflikt involviert und wurde schwer verletzt ins örtliche Krankenhaus eingeliefert. Ob und auf welcher Seite er in dieser Auseinandersetzung beteiligt war, ist im Moment noch unklar. Wir schalten live zu unserem Reporter vor Ort, Takeru Ina.“ Das Bild switchte zu einem mehr als angespannt dreinblickenden Reporter, der nervös sein Mikrofon in der einen Hand hielt und mit der anderen wild gestikulierend versuchte, das Geschehen zu beschreiben. „... Angeblich soll dieselbe Gruppe von Leuten an diesem Konflikt beteiligt gewesen sein, die vor mehr als einem Jahr den Anschlag auf das neue Campusgelände von Krei Tech durch den ehemaligen Professor und Sachverständiger Robert Callaghan verhindert hat. Wie mir der Sprecher der Sondereinheit der Polizei hier vor Ort mitteilte, soll es sich bei ihren Kontrahenten wohl tatsächlich um die beiden Täter gehandelt haben, die schon seit Monaten die Stadt unsicher machten. Laut der Aussage von Kreis Sprecherin wurde der ganze Kampf dabei von den Überwachungskameras aufgezeichnet und liegt momentan den Beamten für Innere Sicherheit zur Analyse vor. Weiter Einzelheiten, so teilte man mir mit, werden heute Nachmittag auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben.“ Ein Zappen und der Bildschirm schaltete sich aus. Mit traurigem Gesichtsausdruck warf Fred die Fernbedienung beiseite. „Sie werden eine Fahndung starten, wenn sie sein Bild haben.“ kommentierte er leise. Die Gruppe hatte sich in seinem Zimmer verteilt und ein jeder hatte schweigend die Nachrichten verfolgt. Die Stimmung war am Boden. Wasabi saß mit Honey, die lustlos auf ihrem Handy herumtippte, am Tisch, während er den Kopf in seinen, auf den Tisch abgelegten Armen, versenkt hatte. Hiro indes saß am Schreibtisch, Baymax neben sich, dessen Chip Hiro bereits wieder in die noch intakte Standardhülle eingesetzt hatte. Fred konnte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, wie Hiro sich fühlen musste. Zweimal hatte er jetzt mit ansehen müssen, wie das Erbe seines Bruders ohne jede Mühe zerstört worden war und nun wurde sogar ihr ehemaliger Professor niedergeschossen. Nichts hatten sie dagegen tun können. Diese Niederlage war noch vernichtender gewesen als ihre erste. Fred wagte einen Blick zu den Regalen. Zwischen diesen, an die Wand gelehnt, saß ihre kleine Freundin, den Kopf gleich wie Wasabi in den Armen versenkt, welche sie auf ihre angewinkelten Knie abgelegt hatte. Halb verborgen im Schatten saß sie da und gab nun schon, seit sie hier angekommen waren, kein Lebenszeichen mehr von sich. Sogar ihre Kaugummis hatte sie nicht angerührt. Zu gerne hätte er sie jetzt in die Arme genommen und irgendwie Mut zu gesprochen. Doch die Wahrheit war, dass er nicht wusste, wie er sie hätte aufmuntern können. Er selbst hatte bisher nicht in Gänze begreifen können, was eigentlich geschehen war. "Eure Neurotransmitterwerte deuten darauf hin, dass ihr Leid empfindet. Ich möchte euch helfen." Hiro seufzte verhalten: "Schon gut, Kumpel." Mit einem Mal unterbrach ein vorsichtiges Klopfen die Szenerie. Als alle bis auf Gogo ihren Blick in Richtung Tür wandten, stand dort Freds Vater und blickte mit sorgenvoller Miene in die Runde. „Hallo Dad.“ begrüßte Fred seinen Vater tonlos. "Ich komme gerade vom Krankenhaus.“ warf dieser ruhig in den Raum. „Wie geht es Professor Callaghan?“ fragte Honey vorsichtig. Der alte Mann legte ein vorsichtiges Lächeln auf. „Er wird wohl durchkommen.“ Langsam betrat er das Zimmer, während er sich Honey zuwandte. „Du hast wunderbar reagiert, junge Dame. Der Trick mit dem Sulfanilamid-Pulver ist seit dem Vietnamkrieg beinahe in Vergessenheit geraten. Du hast ihm damit wohl das Leben gerettet.“  In Honeys Augen loderte für einen kurzen Moment ein Schein von Stolz auf, doch wurde diese Flamme sehr schnell wieder von dem Gefühl von Scham und Versagen erstickt, was man ihr nur allzu deutlich ansehen konnte. Offenbar machte sie sich genauso Vorwürfe, dass sie es nicht hatte verhindern können, dass es überhaupt dazu kam. "Ich habe Abigail noch nicht davon in Kenntnis gesetzt und vorsichtshalber dafür gesorgt, dass sie auf der Insel von jedweder Kommunikation ausgeschlossen ist. Sie soll keine unüberlegten Entscheidungen treffen und sich womöglich noch in Gefahr bringen." fuhr er fort und Fred erwiderte: "Irgendwann wird sie es erfahren. Wir können es ihr nicht ewig verheimlichen." Der alte Mann schüttelte bedächtig den Kopf. "Nein, das können und werden wir auch nicht. Doch so lange diese beiden noch auf freiem Fuß sind, ist es zu gefährlich für sie, alleine zu ihrem Vater zu gehen. Ich habe bereits ein paar alte Freunde gebeten, Robert im Auge zu behalten." Der Gedanke, dass Callaghan bewacht wurde, beruhigte den Comicnerd ungemein. "Und was euren Freund angeht ..." begann sein Vater vorsichtig. "... wann hattet ihr denn geplant, mir zu erzählen, dass er mit diesem Gunner verwandt ist?" Sein Ton wurde schärfer, auch wenn er sich sichtlich bemühte, dass man ihm seine Wut darüber nicht anmerkte, doch Fred kannte seinen Vater zu gut, um das nicht zu bemerken. Tatsächlich hatten sie ihm gegenüber mit keiner Silbe erwähnt, dass Gunners Scan einen Verwandtschaftsgrad zu Naoko aufgewiesen hatte. Auf Honeys Bitte hin hatte die Gruppe diesen Fakt verschwiegen. Vor allem, weil Honey der festen Überzeugung gewesen war, dass er mit dem Ganzen nichts zu tun hatte und es einfach nur reiner Zufall war, dass ein Mitglied seiner Familie zu solchen Taten fähig war. "Ich dachte eigentlich, dass wir auf derselben Seite stehen." fuhr der alte Mann bissig fort, doch verlor sein Gesichtsausdruck seine Schärfe, als er einen Blick zu Gogo wagte. Hörbar atmete er aus und sah die anderen an. "Was ist schief gelaufen?" Diese Frage, so banal sie auch war, so hart traf sie Fred. Hiro wandte seinen Blick abwechselnd zu Wasabi und ihm und die Frage, die ihm auf der Zunge lag, war mehr als offensichtlich. Doch es war Honey, die sie aussprach. Vorsichtig und schüchtern, als spräche sie mit einem verängstigtem Kind. "Was ist auf dem Dach geschehen?" Fred seufzte innerlich und auch Wasabi konnte man ansehen, dass ihm diese Frage nicht gefiel. Leise begann Fred: "Als diese komische Musik anfing, wurde ich im Treppenhaus angegriffen." Er wagte einen kurzen Blick zu seinem Vater. "Ich hab ihn nicht kommen hören, geschweige denn gesehen. Er war auf einmal über mir, trat mich ein paar Mal, packte mich dann und warf mich durch die Tür aufs Dach." Wasabi nickte. Fred hatte es noch immer vor Augen, wie er durch diese Tür geworfen wurde und neben ihm landete. Wasabi wusste, dass er nun an der Reihe war: "Mit eenem mal sah ick, wie eene grünlich leuchtende Klinge auf mick zu jagte. Ick versuchte zu reagieren, ihn anzugreifen, doch war er zu schnell." Wasabi machte eine kurze Pause und seufzte. "Es war datselbe wie bim eesten mal. Ick konnte nix dajegen tun." Er hatte das Gelernte anwenden wollen, erkannte Fred, doch kam es ihm so vor, als hätte sein Gegner jede von Wasabis Bewegungen im Voraus geahnt. "Das wundert mich nicht." erwiderte mit einem Mal Freds Vater und sah ihn aus dem Dunkel seiner Sonnenbrille heraus an. "Du musst dabei verstehen, dass euer Freund wahrscheinlich sehr viel länger diese Kampfkunst beherrscht. Natürlich kann ich dir in ein, zwei Wochen nicht alles beibringen." Wasabi ließ den Kopf hängen. Offenbar war ihm das durchaus bewusst gewesen und trotzdem hatte er angegriffen. So im Nachhinein wirkte das Ganze, als wäre Wasabi in dem Moment ein trotziges Kind gewesen, dass unbedingt beweisen wollte, dass es allem gewachsen war. Welch ein Irrtum. "Meene Klingen konnten auch jegen seen neues Schwert nix ausrichten." fuhr Wasabi vorsichtig fort und hatte damit einen Punkt angesprochen, der Fred Magenschmerzen bereitete. "Weißt du, warum die Klinge geleuchtet hat?" fragte mit einem Mal Hiro mit ironischem Unterton. Fred wusste genau, worauf er hinaus wollte, auch wenn er die Antwort nicht hören wollte. Hiro schien sein und Wasabis Unbehagen zu bemerken, denn er antwortete selber: "Das war laserinduziertes Plasma an der Schneideseite seines Schwertes." Es legte sich Schweigen über die Gruppe, bevor Hiro dieses wieder brach: "Und die Düsen, die die beiden eingesetzt haben, sind kleinere Versionen von dem Jetpack, das ich für Gogo gebaut habe." Das ergab Sinn, befand Fred, doch gab ihm der Gedanke, dass ihr Basketball spielender Freund sie die ganze Zeit bestohlen hatte, einen Stich ins Herz. "Hast du das während des Kampfes bemerkt?" fragte Freds Vater vorsichtig und Hiro schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe lediglich Baymax‘ Aufnahmen und Honeys Scanner ausgewertet. Die Rüstung der beiden besteht offenbar aus einer PVC- und Carbonfaser-Legierung." Stan hob die Augenbraue. "Irgendwo habe ich das doch schon mal gehört." Hiro nickte. "Die Schweden setzen diese Legierung für ihre neusten Schiffe ein, um sie für Radarstrahlen beinahe unsichtbar zu machen. Das erklärt auch, warum Baymax sie nicht scannen konnte." Hiro seufzte und Stan erwiderte: "Der Junge muss ziemlich kräftig sein, wenn er mit einer derartigen Rüstung noch zu solchen Sprüngen und Angriffen in der Lage ist." Die Freunde sahen ihn irritiert an und er kommentierte beiläufig: "Glaubt ihr, ich hätte mir die Überwachungsvideos nicht schon längst angesehen?" Die Freunde sagten zunächst nichts dazu und fragten auch gar nicht erst, wo er dieses Material wieder her hatte. Vermutlich wieder aufgrund seiner alten Kontakte bei den Beamten. Fred beschlich der Gedanke, dass da noch jede Menge fehlte, um das Puzzle zu vervollständigen. Naoko mochte kräftig sein, fit war er in jedem Fall, doch die Rüstung konnte gut und gerne mehrere hundert Kilo wiegen, was man nur allzu deutlich an seiner Landung auf dem Betonboden der Halle sehen konnte, als sich seine Stiefel beim Bremsen in den Boden gebohrt hatten. "Superkondensatoren?" fragte Honey schließlich vorsichtig. Als die Freunde sie fragend ansahen, erklärte sie: "Er hatte uns doch mal erzählt, dass sein Arm mit Energie versorgt werden muss, um zu funktionieren. Was ist, wenn sein Anzug ebenfalls mit Energie betrieben wird?" Fred nickte zustimmend und meinte dazu: "Das würde zumindest diese Drähte und Schläuche erklären, die hin und wieder an der Rüstung der beiden zu sehen waren." "Er hat uns von Anfang an bestohlen." knurrte Hiro. "Erst die Sache mit dem Scanner, dann unsere Upgrades." Fred wagte einen kurzen Blick zu Gogo, die noch immer in der Ecke saß und keinen Ton von sich gab. Er erinnerte sich daran, wie er vor wenigen Wochen im Café noch im Scherz gesagt hatte, Naoko würde die Liebe ihrer Freundin ausnutzen, um sie alle zu täuschen. Hätte er doch wenigstens einmal die Klappe gehalten. "Sie wussten, dass ihr dort ward." fügte Mr. Zilla hinzu. Ja dachte Fred sich. Er hatte es geahnt und als er sich seine Freunde ansah, konnte er erkennen, dass es sie nicht überraschte. "Nur wie?" fragte Wasabi in die Runde. "Das ist eine Frage, um deren Lösung ich mich schon kümmern werde." erwiderte Stan. "Die viel dringendere Frage ist jetzt eher: Was werden wir jetzt tun?" Er ließ eine kurze Pause folgen, ehe er fortfuhr: "Nun, ich habe ein wenig über euren ehemaligen Kommilitonen recherchiert. So wie es aussieht, hat er wohl eine Schwester, die im Krankenhaus liegt. Wusstet ihr das?" Überrascht sahen die Freunde sich an und Fred drängte sich ein düsterer Gedanke auf. "Seine Familie besitzt ein kleines Haus am Rande der Stadt. Sein Vater leitet ein Dojo und seine Mutter ist Krankenschwester in demselben Krankenhaus, in dem ihre Tochter liegt." Er machte eine weitere Pause, wahrscheinlich um Einwände oder Fragen zuzulassen. Doch kam nichts dergleichen. Lediglich irritiertes Schweigen. "Ich konnte nicht rausfinden, was genau sie hat, doch konnte ich in Erfahrung bringen, dass sie schon eine ganze Weile dort liegt." stellte sein Vater fest und sah in die Runde. Hiro hatte sich von seinem Platz erhoben, Baymax an seiner Seite. Honeys Blick war müde und traurig, doch sagte die sonst so redselige Frau nichts. Auch Wasabi schien nicht zu wissen, was er darauf erwidern sollte. Tatsächlich hatte Naoko bisher nichts über sich erzählt. Selbst in den ganzen Tagen, in denen sie schon zusammengearbeitet haben, hatte er ihn noch nie von sich erzählen hören. Nur Fred durchbrach die Stille, jedoch mit einem scharfen Unterton: "Und was genau hast du mit diesen Informationen vor?" Seine Freunde sahen ihn verblüfft an und er konnte ihnen deutlich ansehen, dass er sie damit offenbar völlig überrascht hatte. Sogar sein sonst so ruhiger Vater schien ein wenig irritiert, ließ sich dies jedoch kaum anmerken. Kein Wunder ... grübelte Fred. Ich bin ja auch dein Sohn Sein Vater nahm die Brille an und sah die Gruppe aus müden Augen heraus an. "Da wir nun wissen, dass Naoko hinter Knight steckt, müssen wir davon ausgehen, dass sein Verbündeter eure Identitäten kennt. Und damit ..." Er machte eine kurze Pause und sah ihnen abwechselnd in die Augen. "... die euer Familien." Fred wagte einen Seitenblick zu Hiro. Man konnte ihm nur allzu deutlich die Wut ansehen, die in diesem Moment in ihm wütete. "Wir haben wahrscheinlich nicht die Zeit, uns noch großartig vorzubereiten." Sein Vater wandte sich an den jungen Hamada, als dieser erwiderte: "Ich werde Baymax‘ Rüstung wieder zusammenbauen. Wir werden den Scanner brauchen, um sie zu finden." "Ja, je eher, desto besser." antwortete Stan darauf. "Wat soll dat bringen? Baymax kann die doch nich finden." Der alte Mann sah ihn mit seinen müden Augen an. "Das stimmt. Doch durch die Aufzeichnungen und die Demaskierung von Naoko haben die beiden keine Rückzugsmöglichkeiten mehr. Sein Verbündeter weiß durch Hiro, dass auch seine Demaskierung nur eine Frage der Zeit ist. Wenn sie aus dieser Misere noch herauskommen wollen, müssen sie schnell handeln. Doch ich beabsichtige, schneller zu sein." "Was haben Sie vor?" fragte Honey vorsichtig. Sein Vater seufzte und Fred erkannte nur allzu deutlich in seinem Gesicht, dass das, was er sagen wollte, ihm nicht wirklich behagte. "Unser Problem ist im Moment, dass wir gegen die beiden nichts in der Hand haben, sollten eure Familien oder ihr selbst in Gefahr sein.“ Fred runzelte die Stirn. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. "Wir müssen uns jeden Vorteil zu Nutze machen, den wir bekommen können, denn wir sind aufgrund unserer Menge an beteiligten Personen angreifbarer als sie. Wir haben jedoch deutlich gemerkt, dass Naoko diesen Gunner des Öfteren zurück gepfiffen hat. Er scheint also in einem gewissen Maß Einfluss auf ihn zu besitzen." Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Und das müssen wir nutzen. Wir haben nichts gegen Gunner in der Hand, gegen Naoko allerdings schon." Er ließ es unausgesprochen, doch war das auch gar nicht nötig. Es war Fred, und damit auch garantiert seinen Freunden, nur allzu bewusst, was sein Vater vorhatte. Empört öffnete Fred den Mund und wollte darauf antworten, doch: "Lassen sie die Finger von ihr." erschrocken richtete die Gruppe ihren Blick zu den Regalen. Gogo hatte ihren Kopf erhoben und funkelte Mr. Zilla aus kalten und zornigen Augen heraus an. "Wie meinst du das?" wollte dieser wissen, ruhig wie eh und je. "Halt seine Schwester da raus." schaltete sich nun Fred ein mit einem nicht minder ernsten Tonfall. Noch ehe sein Vater fortfahren konnte, trat Fred vor ihn und sprach weiter: "Selbst wenn wir dadurch einen Vorteil bekommen sollten, ist das Schlimmste, was wir tun können, sie ihm wegzunehmen." "Wieso?" hielt Hiro ihm mit einem Mal entgegen. Fred gefiel die Richtung nicht, die dieser Dialog einschlug, doch gab es jetzt kein Zurück mehr. "Es hat ihn auch nicht geschert, als er meine Tante entführt hat." Der Comicnerd glaubte nicht, was er da hörte und er erwiderte: "Du hast ihn im Kampf gesehen! Er hat uns geschont, wo er nur konnte." Er wies auf Gogo. "Er hat sie sogar vor der Explosion durch diesen Gunner gerettet." Hiros Gesichtsausdruck nahm eine ungesunde Farbe an und Fred fürchtete für einen kurzen Moment, dass er jeden Moment zu schreien beginnen würde. "Klar, weil der Idiot verschossen ist!" Fred sah nur einen Schatten, der an ihm vorbeischoss, Hiro in die Luft hob und ihn gegen die nächste Wand drückte. "Lass die verdammten Finger von seiner Schwester!" zischte Gogo ihn an und in Hiros Gesicht blitzte für einen kurzen Moment so etwas wie Panik auf. Allerdings verschwand dieser Ausdruck so schnell wieder, wie er gekommen war. Fred legte ihr die Hand auf die Schulter und tatsächlich ließ sie ihn runter. Um Ruhe bemüht richtete er sich an seinen Vater: "Dad. Noch hat Naoko keinen Grund, uns zu hassen. Du hast Recht, wenn du sagst, dass seine Schwester vermutlich der Schlüssel für den Schutz unserer Familien sein könnte, doch ist das der völlig falsche Weg. Jeder Superheld erschafft sich seine Dämonen selbst, aber deshalb müssen wir es nicht auch noch provozieren." Sein Vater sah ihn ernst an, ehe er seufzte: "Glaub mir, mein Sohn. Niemand weiß das besser als ich." Fred lief ein Schauer über den Rücken. Noch nie hatte er seinen Vater so etwas sagen hören. Manchmal vergaß Fred in der ganzen Aufregung um sein eigenes Heldenleben, dass sein Vater selbst einer gewesen war. Wasabi hatte sich in der Zwischenzeit neben Hiro gestellt und beobachtete wie Honey mit angespannter Miene das Gespräch. Gogo indes hatte ohne ein weiteres Wort das Zimmer verlassen. Hiro ließ sich jedoch offenbar nicht von den Worten der Zillas beirren. "Das hier ist aber keins deiner dämlichen Comics! Dieser Kerl hat meine Tante entführt!" Nun platzte auch Fred langsam der Kragen: "Wäre es dir lieber gewesen, dass dieser Gunner sich um sie gekümmert hätte?!" hielt er ihm entgegen. "Sie hätten sie einfach in Ruhe lassen sollen!" "Wir wissen ja nicht mal, ob er überhaupt eine Wahl gehabt hat und ob er nicht einfach versucht hat, so wenig Schaden wie möglich anzurichten ..." schaltete sich mit einem Mal mit beschwichtigendem Ton Honey ein. Freds Vater fügte hinzu: "Was ich vorhabe, ist ein himmelweiter Unterschied zu dem, was er getan hat. Ich will sie lediglich unter unseren Einfluss bringen, damit er keine andere Wahl hat, als zu uns zu kommen. Sie soll lediglich in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Früher oder später werden die Einsatzkräfte sowieso auf sie aufmerksam." Er sprach ruhig, offenbar um Deeskalation bemüht. Fred hob den Finger und zeigte abwechselnd auf Hiro und seinen Vater. "Ich will ihn auch aufhalten, aber ich weigere mich, diesen Weg einzuschlagen." Mit reumütiger Miene sah sein Vater ihn an. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er die folgenden Worte sorgfältig abwog: "Fred, glaub mir, ich verstehe deine Bedenken besser, als jeder andere hier, doch das ist der effektivste Weg ,die beiden aufzuhalten." Fred blieb der Mund offen. "Dad, wieso? Wir haben die Scanwerte von seinem Partner. Sie können ihre Rüstung nicht ewig anbehalten und Naokos Helm haben wir. Hiro muss nur Baymax wieder aufbauen und ..." Sein Vater hob die Hand und er verstummte. "So lange die beiden zusammenarbeiten, wird es für uns sehr schwer, sie zu fassen, dass solltet ihr diese Nacht bemerkt haben. Wenn wir es aber schaffen, Naoko mithilfe seiner Schwester unter unsere Kontrolle zu bekommen, steht Gunner alleine da." "Oder wir treiben ihn Naoko damit ganz in die Arme!" hielt Fred ihm entgegen und sein Vater seufzte. "Uns läuft die Zeit davon und wir brauchen jeden Vorteil, den wir bekommen können. Wir haben gesehen, wie gefährlich dieser Gunner sein kann und zu was er fähig ist. Willst du die Familien deiner Freunde noch weiter in Gefahr schweben lassen?" "Nein ..." Fred wusste nicht, was er noch dagegen sagen sollte, erkannte er doch, dass sein Vater recht hatte. Er sah zu Hiro, als dieser sagte: "Ich werde Baymax‘ Rüstung noch heute wieder zusammenbauen und dann werden wir die beiden jagen. In der Zwischenzeit wird Mr. Zilla dafür sorgen, dass seine Schwester außerhalb ihrer Reichweite gebracht wird." Seine Stimme war scharf und duldete keinen Widerspruch. Das ist der falsche Weg protestierte Fred innerlich, doch sprach er es nicht aus. Honey und Wasabi fügten dem nichts mehr hinzu und es war klar, dass sie es aufgegeben hatten. Wahrscheinlich hoffte sie wie Fred, die beiden schnell genug zu schnappen, ehe sein Vater seinen Plan umsetzen konnte. "Wir sollten Gogo noch unser Vorhaben erklären. Sie ist noch nicht zurück." fügte Hiro schließlich hinzu und klang dabei müde. "Ich werde mal nach ihr sehen." erwiderte Honey und, noch ehe jemand etwas sagen konnte, war sie auch bereits aus dem Raum verschwunden. Es legte sich eine unangenehme Stille über die Gruppe, doch schien auch niemand diese durchbrechen zu wollen. Es dauerte auch nicht lange, ehe Honey wieder in der Tür stand. "Gogo ist verschwunden. Ich kann sie nirgendwo finden." "Lasst die nur, sie wird ihre Zeit brauchen." erwiderte Freds Vater ruhig und Hiro sagte dazu nur: "Wir kriegen ihn auch ohne sie." Kapitel 26: Unerwarteter Besuch ------------------------------- Der Aufzug klickte mit jedem Stockwerk, das er passierte. Gogo war nervös, betrachtete ihr Spiegelbild im blanken Stahl der gegenüberliegenden Wand. Sie sah so müde und elend aus, wie sie sich fühlte. Sie wusste nicht wirklich, was sie sich von diesem Treffen erhoffte, aber sie musste einfach mehr erfahren. Seit dem Kampf am Labor hatten sie nichts mehr von Naoko gehört. Keine Nachricht und kein Lebenszeichen. Es war, als wäre er aus dieser Dimension verschwunden, wie damals Hiro und Baymax. Ungeklärt war auch noch die Identität und Rolle seines Partners und wie dieser zu Naoko stand. Auch, ob er in seinen Diensten stand oder sie beide gleichberechtigt handelten, konnten sie sich nicht erklären. Hinzu kam, dass sie sich auch keinen Reim darauf machen konnten, warum Naoko das überhaupt tat. Er hatte sein Ziel doch erreicht. Er war trotz fehlenden Schulabschlusses an der Uni aufgenommen worden. Ihm waren Ressourcen für die Arbeit an seinen Prothesen gestellt worden und Anerkennung, nicht zuletzt durch Gogo und ihre Freunde hatte er auch. Das alles ergab keinerlei Sinn. Der Aufzug stoppte und die metallene Stimme, die nüchtern das Stockwerk verkündete, riss sie wieder aus ihren Gedanken. Quietschend öffnete sich die Tür und vor ihr erstreckte sich der lange, sterile Krankenhausflur. Zwei Schwestern wuselten von Zimmer zu Zimmer und schenkten der Gestalt am Aufzug keinerlei Beachtung. Sie ging die Türen ab und suchte nach der Nummer neunundneunzig. Die letzte Tür trug schließlich die gesuchte Zahl und Gogo klopfte vorsichtig an das helle Holz. „Herein.“ bat eine schrille Stimme sie ins Zimmer. Als Gogo das Zimmer betrat, begrüßte sie ein junges Mädchen wild winkend im weißen Nachthemd vom Fenster aus. Sie hatte sich auf einen der zwei Holzsessel gesetzt, mit Blick auf die Bäume des Innenhofes. Das Mädchen war jung, doch erkannte Gogo sofort die hellblauen Augen wie die ihres Bruders. Leise schloss Gogo die Türe hinter sich und durchschritt den Raum. Er war groß und leer und bis auf ein paar Fotos, welche fein säuberlich auf der Kommode vor dem weißen Bett aufgestellt waren, wies dieser keine nennenswerte Dekoration auf. Am Fenster angekommen setzte Gogo sich ihr gegenüber. „Hallo. Ich bin ...“ „Gogo, ich weiß!“ Begeistert schüttelte sie ihre Hand und lächelte sie breit an, während die kleinen Glöckchen in ihrem Haar leise klingelten. „Woher ...?“ begann Gogo langsam, doch unterbrach sie das junge Mädchen abermals. „Mein Bruder hat mir schon von dir erzählt! Ich bin Sora.“ Das Mädchen strahlte sie förmlich an, als wäre sie die Sonne persönlich, und bei jeder Kopfbewegung klingelten leise kleine Glöckchen in ihrem Haar. Gogo war irritiert, doch fragte sie besser nicht nach dem Sinn dieses Schmucks. „Und jetzt bist du bei mir, weil du die schonungslose Wahrheit über meinen Bruder erfahren willst.“ kombinierte die junge Frau und grinste dabei diabolisch über beide Ohren, während sie wie ein Dämon zu kichern begann. Gogo seufzte leise. Ich glaube, da weiß ich mehr als du „Nein, er hatte dich ein paar Mal erwähnt, also wollte ich dich einmal kennen lernen.“ Da wurde sie offenbar hellhörig. „Ach wirklich?“ Sie legte ihr Grinsen ab, doch nur, um nach einem kurzen, gespielt enttäuschten Gesichtsausdruck Gogo sofort wieder honigsüß anzulächeln. „Naja, hier bin ich.“ fuhr sie schließlich fort. „Ja ...“ erwiderte Gogo darauf. Die Wahrheit war, dass sie sich nicht wirklich auf dieses Gespräch vorbereitet hatte und nun nicht wusste, was sie sagen sollte. Dafür schien Sora umso gesprächiger. „Ich muss mich für meinen Bruder entschuldigen. Er hat den Bogen mit Frauen nicht so wirklich raus.“ Obgleich von Trübsal und Wut gebeutelt, entlockte diese etwas abfällige Bemerkung Gogo doch ein Lächeln. Das schien der jungen Frau zu gefallen und sie grinste über beide Ohren. „Was hat dein Bruder denn so über mich erzählt?“ Erst im Nachhinein, als das letzte Wort bereits ausgesprochen war, bemerkte sie, dass sie diese Frage mehr unbewusst als bewusst gestellt hatte, und sie wollte sie bereits zurückziehen, als Sora tief einatmete: „Dass du ihn in seinem Lieblingssport beinahe fertig gemacht hast, zum Beispiel.“ Gogo amüsierte diese Vorstellung ein wenig. „Dass du mit ihm auf dem Dach eines Hochhauses gestanden hast.“ Gogo war ein wenig erleichtert, dass er ihre kleine Flugeinlage nicht erwähnt zu haben schien. Allerdings konnte sie nicht sagen, ob Sora diesen Teil einfach bewusst ausließ, welchen Grund auch immer das haben mochte. Doch Sora fuhr munter fort: „Oder dass du ihn nach einem seiner missglückten Versuche verarzten musste.“ Gerade als sie den Satz beendet hatte, musste sie kichern. „Du glaubst gar nicht, wie oft sein Arm bereits versagt hat. Einmal hat er damit aus Versehen seinen Basketball aufgespießt, als sich die Hand löste und er die einzelnen frei stehenden Rohre in den Ball jagte. Die nächsten drei Tage hatte er sich in der Garage eingeschlossen.“ Auch wenn das Gespräch ganz anders lief, als Gogo das erwartet hatte, und sie mit den bisher gewonnenen Informationen noch nicht viel anfangen konnte, so musste sie doch eingestehen, dass es ihrem Gemütszustand unglaublich gut tat, einmal nicht an die letzte Nacht denken zu müssen. Doch sie wusste auch nicht, wie viel Zeit ihr noch bleiben würde, und so begann sie: „Warum ...?“ Doch Sora unterbrach sie mit erhobenem Zeigefinger. „Einen Moment. Jetzt bin ich dran mit Fragen stellen.“ Sie lächelte wieder. „Du schuldest mir drei Antworten.“ folgerte sie und Gogo hob die Augenbraue. In offensichtlicher Erwartung über dieses Rechnung, fügte die junge Frau hinzu: „Ich habe dir auch drei Antworten gegeben.“ Gogo schüttelte seufzend den Kopf und beschloss, ihrer Forderung einfach nachzugeben. „Also gut, leg los.“ Ihr Lächeln wuchs sich zu einem schelmischen Grinsen aus. „Wie findest du meinen Bruder?“ Innerlich schlug sich Gogo bereits gegen die Stirn. Mit solch einer Frage hatte sie eigentlich gerechnet, wenngleich sie gehofft hatte, dass sie nicht kommen würde. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, auch weil sie sich im Moment selbst nicht im Klaren darüber war. „Ich ... mag ihn.“ Sora hob eine Augenbraue, sagte jedoch nichts. Nach einer kurzen und peinlichen Pause, erwiderte sie: „Er hat euer Date verbockt.“ Sora seufzte und schüttelte den Kopf. So könnte man es auch ausdrücken Mit einem Mal kamen ihr die Erinnerungen an ihren Kampf wieder hoch und an jenen Moment, als er seinen Helm abnahm. Dieses Bild schnürte ihren Hals zu und sie versuchte, es wieder zu verdrängen. Nicht jetzt. Nicht hier Sie sah Sora an und murmelte: „Ein wenig.“ Zu ihrem Glück schien Sora darauf nicht weiter eingehen zu wollen, sondern strahlte sie stattdessen wieder an. „Dann kann ich mir die nächste Frage wohl sparen.“ Wissend und mit diabolischem Ausdruck in den Augen sah sie Gogo an und ehe diese fragen konnte, was sie damit meinte, fuhr Sora bereits mit einer anderen Frage fort: „Wo ist er eigentlich?“ Über den plötzlichen Ernst in ihrem Ton überrascht wusste Gogo nicht, was sie darauf antworten sollte. „Normalerweise kommt er mich jeden Tag besuchen, doch heute war er noch nicht hier.“ Sie hob ihren Blick und sah Gogo in die Augen. „Stattdessen bist du hier.“ Gogo schluckte unmerklich. Wie sollte sie ihr das jetzt erklären, ohne dass sie Verdacht schöpfen würde? „Was hat er schon wieder angestellt?“ Wieder lächelte sie Gogo unschuldig an. Es war nur allzu deutlich, dass die beiden sich nicht nur äußerlich ähnlich waren. Als Gogo den Mund aufmachte, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, fügte Sora noch hinzu: „Ich habe heute Morgen im Radio gehört, dass es in einem Labor zu einem Kampf gekommen ist ...“ Sie sprach das nur zögerlich aus, doch reichte es, um Gogo nervös zu machen. „Bitte sag mir, dass er nicht versucht hat, den Helden zu spielen.“ Gogo war in Gedanken schon dabei gewesen, ihn irgendwie aus dieser Richtung herauszunehmen, als sie erkannte, was Sora gerade gesagt hatte. Sie hat Angst, dass er sich in Gefahr begibt „ ... Nein. Nein hat er nicht. Er hat damit nichts zu tun, denke ich.“ antwortete Gogo und bemühte sich, dabei überzeugt und ruhig zu klingen. „Er hat lediglich eine ... Prüfung in der Uni verpennt, die er noch machen musste. Deshalb hat er mich geschickt. Ich sollte dich sowieso einmal kennen lernen.“ Gogo bemerkte, dass sie in letzter Zeit häufiger gelogen hatte und sie offensichtlich langsam Übung darin bekam, auch wenn ihr diese Erkenntnis ganz und gar nicht zusagte. Sora hingegen sah sie nur an, sagte nichts dazu. Gogo konnte nicht erkennen, ob sie ihr glaubte oder nicht, und das machte sie nervös. Mit einem Mal seufzte Sora laut. „Das sieht ihm ähnlich.“ Sie schlug sich an die Stirn. „Er konnte sich nie auf seine Aufgaben konzentrieren. Er war immer zum Zerreißen angespannt. Egal, worum es ging.“ erzählte sie geistesabwesend. „Doch als ich krank wurde, hat er sich völlig verändert. Er ist ruhiger, nachdenklicher geworden. Er sagte einmal, dass er ein Ventil gefunden hat und dass ich ihn wachgerüttelt hätte.“ Gogo wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, doch spürte sie, dass sich der Wind gedreht hatte. Vorsichtig begann sie: „Dein Bruder hat erzählt, dass du schon etwas länger hier liegst, doch nie erwähnt, wieso.“ Sora lächelte schwach. „Sagen wir so.“ Kurz grübelte sie über eine Antwort. „Ich ... bin bewegungstechnisch etwas eingeschränkt.“ Als sie den Satz beendet hatte, zeigte sie auf den Rollstuhl, der etwas abseits im Schatten neben ihr stand. Tatsächlich hatte Gogo diesen gar nicht registriert. „Ich verstehe ...“ erwiderte Gogo zögerlich, als Sora sie unterbrach. „Mein Bruder redet nicht gerne über dieses Thema. Nicht mal mit mir.“ Gogo nickte. „Klingt nach ihm.“ Er hatte bisher nicht viel von sich preisgegeben. Andererseits hatten sie und ihre Freunde auch nie wirklich gefragt. Ich habe bis heute Morgen noch nicht einmal gewusst, dass du eine Schwester hast „Kommt er heute noch vorbei?“ fragte Sora. Gogo schluckte und schwieg zunächst, ehe sie antwortete: "Ich glaube nicht, aber ich bin mir sicher, dass er, sobald er kann, zu dir kommen wird." Sora ließ den Kopf ein wenig hängen und knabberte auf ihrer Unterlippe herum. „Kommst du mich dann besuchen?“ Diese Frage hatte Gogo nicht erwartet, doch musste sie zugeben, dass dies vielleicht gar keine so schlechte Idee war. Zumindest könnte sie so dafür sorgen, dass ihr nichts geschehen würde. Mit einem Mal klopfte es kurz an der Tür und, als die beiden ihren Blick in Richtung der Tür lenkten, stand dort ein alter Mann im Kittel, das Klemmbrett zur rechten, einen Stift in der linken. „Mrs. Yamoro?“ Lächelnd winkte die Angesprochene den Arzt hinein. Als dieser die Tür hinter sich schloss, blickte er zuerst zu Gogo, dann wieder zu Sora. „Familie?“ fragte er freundlich. Kichernd schüttelte Sora den Kopf. „Nein, die Freundin meines Bruders.“ Gogo ignorierte diese nicht ganz korrekte Bemerkung, erhob sich stattdessen und erwiderte den Händegruß des alten Mannes. „Ich fürchte, ich muss mit Mrs. Yamoro unter vier Augen sprechen. Da Sie nicht zur Familie gehören, kann ich Ihnen nicht erlauben, hier zu bleiben.“ Sora wollte gerade den Mund aufmachen, als Gogo sie unterbrach. „Das ist kein Problem. Ich muss sowieso langsam los.“ Gogo gefiel diese plötzliche Wendung überhaupt nicht, doch er war ihr Arzt und sie würde nichts dagegen tun können, auch wenn sie zu gern gewusst hätte, was er ihr zu sagen hatte. „Kommst du mich wieder besuchen?“ wandte sich die junge Frau an sie und Gogo beschlich ein kühner Gedanke. Ohne zu fragen griff sie nach dem Kugelschreiber, der ihrem Arzt aus der Brusttasche ragte, griff sich einen Zettel und kritzelte eine Nummer auf das Papier. „Hier.“ Sie übergab diese an Sora und fügte hinzu: „Unter der Nummer kannst du mich immer erreichen.“ Als sie dem wortlosen Arzt den Kugelschreiber in die Hand drückte, nicht ohne sich knapp zu bedanken, und an der Tür stand, wandte sie sich noch Sora zu und sagte: „Ja, ich komme dich auf jeden Fall noch einmal besuchen.“ Sora setzte daraufhin wieder ihr Lächeln auf und Gogo verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Als sich die Tür mit einem leisen Klacken hinter ihr schloss, atmete sie tief durch. Viel hatte sie nicht herausfinden können und das ärgerte sie. Allerdings hatte sie auch noch einen anderen Termin und den wollte sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Kapitel 27: Unsere Sünden ------------------------- Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Naoko durch das Fenster des Krankenhauses schlich. Die Gänge  waren nur spärlich beleuchtet und die Schwestern liefen nur alle Stunde mal das Stockwerk ab. Bis dahin würde er wahrscheinlich wieder weg sein. Die große Uhr über dem Gang zeigte halb zwölf und ihre Zeiger wanderten langsam über das Nummernfeld. Seine Rüstung klapperte leise bei jedem Schritt den er tat. Er hatte noch immer sein Gesicht unter dem Schatten seiner Kapuze verborgen und näherte sich dem Zimmer seiner Schwester. Ein letzter Blick, ob ihn auch niemand sah und er schob leise die Tür auf. Alles war in Dunkelheit getaucht, nur leicht vom Mond der durch das Fenster schien beleuchtet. Als er die Tür hinter sich schloss, bemerkte er die leise Musik, die beinahe unauffällig im Hintergrund lief. Offensichtlich hatte seine Schwester sich das Radio angemacht. Sie liebte es kurz vor dem Schlafen gehen noch Musik zu hören. Es beruhige sie, wie sie ihm mal erzählt hatte. Während er langsam das Zimmer durchschritt, zog er die Kapuze herunter. Er war noch immer Schweißgebadet und seine Haare klebten an seinem Kopf. Vorsichtig legte er seine Schwerter auf den kleinen Tisch, gleich neben dem alten Sessel, in der er sich immer gerne setzte wenn er sie besuchen kam. Tatsächlich wirkte es beinahe wie ein ganz normaler Besuch, wie er es bereits unzählige Male getan hatte. Und doch war alles anders. Sein Herz schlug gegen seinen Brustkorb und er ließ sich in den Sessel fallen. Seine Rüstung klapperte dabei laut und für einen kurzen Moment erschrak er und betete inständig, seine Schwester möge weiterschlafen. Doch alles was sie tat, war sich leise murmelnd auf die andere Seite zu legen und weiter zu schlafen. Ihm fiel ein Stein vom Herzen und er atmete leise aus. Seine kleine Schwester lag in ihrem Bett und schlief, mit einem seligen Ausdruck in ihrem Gesicht. Warum kann ich nicht auch ein wenig wie du sein? dachte er sich. Tatsächlich liegt sein letzter Schlaf fast drei Wochen zurück. Er hatte in seiner Prothese eine Art Drüse eingebaut, welche mit seiner Schlagader in der Schulter verbunden war. Ein spezielles Enzym, wohldosiert, sorgte dafür, dass er nicht schlafen musste. Und dieser Roboter hatte es nicht bemerkt. Bei dem Gedanken musste er leise lachen. Er hatte es nicht gemerkt. Seine Schultern zuckten und das Lachen ging nahtlos in leises Schluchzen über. Nach und nach kamen die Erinnerungen der Ereignisse wieder hoch, welche sich gerade einmal vor wenige Stunden abgespielt hatten. Die Bilder seiner Freunde, die ihn fassungslos ansahen, wütend und verständnislos zugleich. Das wütende Gesicht Hiros, die mitleidigen Augen Honeys, das fassungslose Gesicht von Wasabi und der irritierte Blick von Fred. Und Gogo... Bei dem Gedanken an ihre Augen, trieb es ihm die Tränen ins Gesicht. Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die grauweiße Decke über ihn, während ihr Antlitz über diesen zu wandern schien. Enttäuschung und Wut brannten in seiner Seele, schienen zu verzerren und am liebsten hätte Naoko laut auf geschrien. Er hatte in diesem kleinen Moment alles verloren. Dieser eine Moment, an dem er so dumm gewesen war, seinen Partner zur Seite zu stoßen und es diesem Roboter gelang, ihm den Helm vom Kopf zu reißen. Andererseits würde sonst Hiro vielleicht nicht mehr leben. Er wusste nicht, was schlimmer gewesen wäre.   "The secret side of me I never let you see I keep it caged But i can't control it."   Das Lied, dessen Melodie leise und doch bestimmend aus den Boxen des Radios drang, erreichte nur langsam seinen Verstand. Es war ein seltsames Gefühl, dass sich in seiner Brust ausbreitete. Eine Mischung aus Glück, Angst und Scham. Wie Recht du hattest, Fred   "So stay away from me The beast is ugly I feel the rage I just can't hold it."   Beinahe sah er sie vor sich. Wie sie ihn angesehen hatte, als er zu singen begonnen hatte. Nervös und beschämt zugleich, während sie sich immer wieder auf die Lippe biss. Ein leises Klopfen holte ihn aus seinem Traum heraus. Als er die Augen öffnete, sah er jedoch nichts und erkannte, dass er sich noch im Krankenzimmer seiner Schwester befand, die noch immer selig schlummerte. Ein weiteres Klopfen, wie auf Glas und Naoko wandte den Kopf zum Fenster. Auf dem Geländer balancierte sein Partner Gunner und winkte ihm zu. Augenblicklich war jedwedes Gefühl von Trauer und Liebe, Hass und Verachtung gewichen. Mit einem letzten Blick zu seiner Schwester erhob er sich, legte sich mit flinken Fingern dem Gürtel wieder um, zog die Kapuze über den Kopf und trat an ihr Bett. Vorsichtig strich er ihr über die Stirn. Ich finde einen Weg. Das habe ich dir versprochen. Nur widerwillig ließ er von ihr ab und trat durch die Glastür auf den Balkon. Die Hitze des Tages war einem angenehm, kühlen Wind gewichen und die Nacht war ruhig und friedlich. Als Naoko die Tür wieder geschlossen hatte fing sein Partner an: "Dumm gelaufen heute, was?" Naoko antwortete gar nicht erst. Instinktiv zog er sein Schwert und richtete es an dessen Kehle. Gunner reagierte gar nicht und sah ihn nur aus dem Dunkel seines Helms heraus an, dessen Glas den Mond spiegelte. Naoko spürte seinen Herzschlag bis zum Hals. Hämmernd wie seine Kopfschmerzen und der schiere Hass, der mit ihnen einherging. Sein Gegenüber hob den Arm und schob die Klinge beiseite. Er hatte etwas von einem Affen, wie er so auf dem Balken hockte, mit angewinkelten Knien und ihn von oben heraus ansah. Nach einem kurzen Augenblick der Stille fuhr Gunner fort "Nun du hast deinen Teil der Abmachung erfüllt." Naoko hatte diesen Augenblick immer herbei gesehnt, doch nun schmeckte der Sieg fahl und faulig. Er hatte alles gewonnen und alles verloren. "Wir haben nichts." sagte er ruhig, mehr zu sich selbst, als zu ihm. "Hehe, das stimmt. Aber ich habe alle Teile zusammen und daher brauche ich dich nicht mehr." Naoko hob den Kopf und sah ihn an. Er wusste nicht was er darauf antworten sollte. Er hatte ihm nie gesagt, was und wie viel er noch brauchte, sondern ihm immer nur gesagt wann es los ging und wohin. Allerdings sah es ihm nur allzu ähnlich, dass er dieser Versuchung nicht hatte widerstehen können. "Also werde ich nun meinen Teil erfüllen, wie abgemacht. Deine Schwester wird weiter medizinische Hilfe bekommen." Das war das einzig Gute an diesem Packt und letzten Endes auch alles was für Naoko zählte. Allerdings war es keine Erleichterung, die sich in seiner Brust ausbreitete. "Doch was nun? Sie haben unsere Daten und werden uns irgendwann finden." Sein Gegenüber lachte leise. "Das stimmt." Naoko spürte den Zorn, der seinen  Verstand zu vernebeln versuchte. Wie konnte man nur so sorgenlos sein? "Und wenn ich den Roboter einfach vernichte?" Er wusste, dass diese Frage im Grunde sinnlos war, doch versuchte er nach jedem nur erdenklichen Strohhalm zu suchen. "Nein." erwiderte sein Onkel seufzend. "Er hat ein Backup auf seinem Rechner und wahrscheinlich nicht nur auf diesen." In Naoko brodelte blanke Wut. "Du hast auf alle seine Ressourcen Zugriff und trotzdem hast du diese Falle nicht erkannt?" fuhr er ihn wütend an. Sein Onkel legte den Kopf in dem Nacken und begann leise zu lachen. "Es ist ja nicht so ..." Er musste sich sichtlich beherrschen leise zu bleiben. "... Das der Junge ne Textdatei auf seinem Rechner gespeichert hatte. Mit dem Inhalt: Achtung! Bösen Buben Falle in dem Lager stellen!" Naoko wäre am liebsten aufgestanden und hätte ihn totgeprügelt, doch schluckte er lieber seinen Ärger herunter. Er brauchte ihn. "Ich habe dir gesagt, dass das eine Falle ist ..." fuhr er zähneknirschend fort. Sein Onkel griff sich an den Helm. "Natürlich war das eine Falle!" erwiderte er lachend. "Aber glaubst du ich würde mir die Gelegenheit entgehen lassen diesen Rotzgören, die du deine Freunde schimpfst, eins auszuweichen?" "Hat ja wunderbar funktioniert!" Oda schüttelte den Kopf. "Allerdings muss ich dich loben. Du hast die Anpassungen wirklich schnell hinbekommen um ihren Upgrades zu begegnen. Hast du überhaupt geschlafen?" Nein knurrte er innerlich. Er hatte jede freie Minute mit dem Bau der neuen Anzüge verbracht, um der Gruppe um Hiro irgendwie entgegentreten zu können. Doch gebracht hatte es nichts. Naoko atmete hörbar aus und schluckte seinen Zorn hinunter, ehe er sich wieder zu seinem Onkel wandte: "Was nun?" Dieser sagte zuerst nichts, sondern zog stattdessen seinen Helm aus. Seine müden, aber aufmerksamen Augen tanzten regelrecht hin und her und sein strubbiger Bart war von Schweiß durchtränkt. "Nun Neffe." Er machte eine dramaturgische Pause und lächelte ihn verschlagen an. "Wir machen gar nichts." Das war Naoko zu hoch. Was sollte dieser Schwachsinn auf einmal? All diese Mühen umsonst? "Hast du nicht verstanden? Sie haben unsere Daten!" Sein Onkel lachte nur. "Ja und dein Gesicht dazu. Es wird nicht lange dauern, bis die ganze Stadt hinter uns her sein wird. Bei dem Schaden, den wir diesem Krei angetan haben, wird er nicht eher ruhen, bis wir im der dunkelsten Zelle hocken." Seine Schultern bebten und er musste sich sichtlich zurückhalte, nicht laut los zu prusten. Naokos Griff um sein Schwert wurde so fest, dass seine Knöchel schmerzten. Es kostete ihm alle Überwindung, seinen Onkel nicht am Ort und Stelle zu Köpfen. "Außerdem hatte ich nicht wirklich vor, für den Rest meines Lebens in diesem Anzug zu stecken. Ein Bad zum Beispiel würde meinem gequälten Gemüt bestimmt gut tun." "Ich brauche sowieso noch einmal deine Hilfe." "Und was?" "Ich möchte, dass du mir etwas baust." Stutzig "Und was genau?" "Zwei Arme und zwei Beine" "Aber du hast doch... was hast du vor?" "Ich habe die Steuerung etwas optimiert und sag brauche ich ein paar Upgrades." "Aber wer wird...?" "Meine Schwester natürlich, genauso wie bei dir." Kapitel 28: Auge um Auge ... ---------------------------- „Ich wusste, dass du herkommen würdest.“ Gogo hatte gerade die letzte Sprosse der Leiter am Ballon erklommen und stand nun oben auf dessen Gipfel und konnte die ganze Stadt in ihrem regen Treiben unter sich erkennen, als bestünde sie aus Ameisen. Naoko hatte sich, noch immer in voller Kampfmontur, auf den kalten Stahl gesetzt und seinen Blick auf das blaue Meer gerichtet. „Und trotzdem bist du hier.“ erwiderte Gogo ruhig und folgte seinem Blick. „Ja ...“ antwortete er knapp. Sie wandte ihren Blick wieder zu ihm. „Wieso bist du noch hier?“ Er sah sie nicht an, drehte sich nicht einmal um. Obwohl Gogo diese Geste als unhöflich empfinden sollte, so war sie doch irgendwie froh darum, ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Sie hatte die Befürchtung, dass sie sich wieder auf ihn stürzen würde. Naoko schwieg zunächst und der Wind spielte mit seinen pechschwarzen Haaren. Er hatte etwas ruhiges, friedvolles an sich, sodass Gogo es immer noch nicht glauben wollte, dass er sie und ihre Freunde vor wenigen Stunden noch selbst mit unglaublicher Härte bekämpft hatte. Mit einem Mal erhob er sich und erst jetzt erkannte sie, dass er sein Schwert neben sich in den Stahl getrieben hatte. Jetzt erst, im Sonnenlicht, erkannte Gogo das ganze Ausmaß ihres Kampfes. Seine Panzerung hatte jeden Glanz verloren, an mancher Stelle war sie von Ruß geschwärzt. Seine Prothese war von Metallsplittern durchbohrt worden, gleichsam wie seine Brust, auch wenn diese nicht annähernd so tief saßen. Er bemerkte ihren Blick und meinte trocken dazu: „Die Explosion.“ Gogo verstand und wieder kamen die Erinnerungen an jene Nacht hoch, in der sie für einen kurzen Moment in seinen Armen gelegen hatte. Auch wenn sie in diesem Augenblick noch nicht wusste, dass er es gewesen war, so hatte sie für einen kurzen Moment ein Gefühl von Sicherheit und Wärme umfangen. Flüchtig wie ein Windhauch, doch klar wie ein Sturm. „Ihr wusstet, dass es eine Falle war?“ fragte Gogo plötzlich und sie wusste selbst nicht, wieso sie diese Frage stellte. Naoko sah sie aus seinen müden Augen heraus an. „Ich wusste es nicht. Vielmehr ich habe es geahnt.“ „Warum seid ihr dann gekommen?“ Naoko ließ ein vorsichtiges Lachen von sich, auch wenn es einem Husten näher kam als einem Ausdruck der Belustigung. „Mein Onkel wäre euch niemals aus dem Weg gegangen. Egal, was ich gesagt hätte.“ erwiderte er mit trotziger Stimme. Gogo war irritiert und sah ihn fragend an. "Dein Onkel?“ Naoko nickte. „Ich brauche seine Identität nicht geheim zu halten, nicht wahr?“ Sie erwiderte darauf nichts. Er hatte Recht. Baymax‘ Scanner hätte ihn so oder so gefunden, egal, wo er sich versteckt hätte. Und es war auch nur eine Frage der Zeit, bis ihre Freunde Jagd auf die beiden gemacht hätten. „Du gibst auf?“ Die Frage klang seltsam in Gogos Gedanken. Auch wenn sie nicht viel von ihm wusste, so hatte sie immer geglaubt, dass jemand, der eine solche Energie an den Tag legte, um sein eigenes Schicksal zu verändern, nicht so einfach aufgeben würde. Und jetzt, da sie vielleicht den Grund erfahren hatte, glaubte sie das umso mehr. Naoko antwortete nicht, wich ihrem Blick aus. Woran denkst du gerade? Es war ein mehr als seltsames Gefühl hier oben, hoch über den Dächern der Stadt mit ihm alleine zu sein. Alles war offen um sie herum und doch schien es ihr, als wären sie beide in einen Raum eingesperrt. Die Kälte, die der pfeifende Wind auf ihrer Haut hinterließ, fühlte sich gleichsam wie Nadelstiche an und sorgte für noch mehr Unbehagen, als diese Begegnung für sich alleine. „Ja ...“ erwiderte er schließlich leise und sah ihr in die Augen. Für einen kurzen Moment spürte sie die Wut in ihrem Körper, brodelnd und bebend, doch war es die Leere in seinen Augen, die sie sogleich wieder hinwegfegte. Er hat wirklich aufgegeben „Warum das Ganze? Du hattest doch alles.“ Sie wollte es einfach wissen, egal, wie sehr sie die Antwort schmerzen würde. Doch er antwortete nicht. Stattdessen schüttelte er nur vorsichtig den Kopf und gab einen leisen Laut von sich, was Gogo als schmerzhaftes  Lachen verstand. „Kennst du das Gefühl, völlig machtlos zu sein?“ Er machte eine kurze Pause. „Und doch siehst du es nicht ein? Willst es nicht wahr haben?“ Gogo senkte den Blick. „Was hat sie?“ Als Gogo den Blick dabei hob, glaubte sie für einen kurzen Moment so etwas wie Überraschung in seiner Mimik zu erkennen. Doch war der Eindruck nur flüchtig und von kurzer Dauer. „Ihr Nervensystem versagt.“ Gogo hörte ein Knacken und erkannte, dass Naoko seine metallene Faust ballte, auch wenn seine Mimik nichts als Trauer zeigte. „Sie leiten keine Signale mehr. Mit jedem Tag wird die effektive Reichweite kürzer und sie verliert die Kontrolle über ihre Körperfunktionen.“ Er wandte den Blick von ihr ab und sah zu den Wolken, die über dem Meer ihre Schatten warfen. „Als erstes haben ihre Beine versagt, ihre Arme folgen langsam. Irgendwann wird die Krankheit bei ihren Organen angekommen sein. Die Ärzte wissen nicht, wann, aber es wird passieren.“ Die letzten Worte schien er aus seiner Kehle herauszupressen. „Und dafür stiehlst du?“ fragte sie vorsichtig und er nickte. „Um die Rechnungen zu bezahlen.“ Gogo spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, doch zwang sie sich, weiter zu fragen: „Und dafür entführst du Hiros Tante, zerstörst sein Haus und verrätst uns alle?“ Sie machte eine kurze Pause und holte tief Luft. „Deine Freunde?“ Gogo wusste ganz genau, dass er nie wirklich in Gänze ein Teil der Gruppe geworden war, doch stand diesem auch nichts im Weg. Vielleicht, so hatte sie in manchen Momenten gedacht, hätte er mit seinen Fähigkeiten sogar ein Mitglied bei Big Hero 6 werden können. Ihn nun auf der anderen Seite zu wissen, war eine Situation, die sie nie auch nur in Erwägung gezogen hatte. „Ich habe nicht gewusst, dass Hiro die Microbots gebaut hat.“ „Und als du es erfahren hattest, habt ihr trotzdem seine Tante entführt? Den letzten Menschen seiner Familie?“ Naoko seufzte wehleidig. „Ich konnte ihn nicht von diesem Vorhaben abbringen.“ Er rieb sich die Stirn und schien seine Worte abzuwägen. „Ich habe dafür gesorgt, dass ihr kein Leid zugefügt wird. Ihr habt gesehen, wie brutal er sein kann. Das konnte ich nicht zulassen.“ Gogo lief ein Schauer über den Rücken, als sie daran dachte, wie sie wohl reagiert hätte, wenn man ihr keine Wahl gelassen hätte. „Ich tue alles für sie.“ endete er mit einem Mal. Außer töten Und sie war froh darum, doch wollte sie nicht wissen, was er tun würde, wenn ihm keine andere Möglichkeit mehr blieb. Als Gogo ihren Blick über die Stadt schweifen ließ, fiel ihr ein, dass sie vielleicht nicht mehr viel hätten, ehe Hiro Baymax‘ Scanner anwerfen würde. Sie wusste, wie gut er unter Druck arbeiten konnte. Blieb also nur noch eine Frage zu klären und der bloße Gedanke daran trieb ihr bereits die Hitze ins Gesicht. „Warum hast du mich geküsst?“ Sofort schien Naokos Gesicht ebenfalls eine warme Farbe anzunehmen und sichtlich überrascht über diese  plötzlichen Themenwechsel öffnete er den Mund, sagte jedoch kein Wort und schloss ihn wieder. Verlegen griff er sich in den Nacken und sah zur Seite. „Naja ... Das wollte ich eigentlich schon früher getan haben.“ flüsterte er beinahe. Offenbar wagte er es nicht, in ihre Augen zu sehen. Gogo hob die Augenbraue. In ihrem Bauch machte sich ein seltsames Kribbeln breit. Es war beinahe wie das Gefühl, wenn sie mit hoher Geschwindigkeit einen Berg hinunter raste, wenngleich ungleich schöner. Doch sie überspielte das, als sie ein seltsamer Gedanke übermannte. „War ziemlich trocken und kurz.“ antwortete sie ihm mit genervtem Unterton. „Verstehe ... Tut mir Leid. Ich weiß wirklich nicht ...“ versuchte er sich zu rechtfertigen, als Gogo ihn am Kragen packte, ihn zu sich hinunter zog und ihm tief in die Augen sah. „So macht man das.“ Noch ehe Naoko reagieren konnte, lagen bereits ihre Lippen auf seinen. Doch diesmal hatten sie Zeit, diesmal würde sie es genießen. Als sie sich von ihm löste, flüsterte sie beinahe „Ich glaube, das wird nicht funktionieren.“ „Nein.“ stimmte er ihr zu. Sie sah ihm in die Augen, eisblau und doch voller Wärme. „Nicht, solange das alles zwischen uns steht.“ fügte sie hinzu. Wie sie es auch drehte und wendete, es fühlte sich gleichermaßen falsch wie richtig an und sie spürte den tobenden Kampf in sich. "Nein ..." gab Naoko ihr Recht. Noch immer stand sie ihm so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte und das verschaffte ihr eine Gänsehaut. Warum? Warum kannst du nicht auf unserer Seite sein? „Wir sind nicht mehr alleine.“ erklärte er mit einem Mal, trat von ihr zurück und blickte nach oben. Gogo folgte seinem Blick. „Was meinst du damit?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, landete Baymax mit einem lauten Krachen neben den Beiden auf dem blanken Stahl des Ballons. Gogo erschrak, während Naoko ruhig zu Hiro aufsah, der auf dem Rücken des riesigen Roboters saß. „Irgendetwas sagt mir, dass ihr nicht zum Reden hier seid.“ sagte Naoko ruhig. „Nicht wirklich.“ antwortete Hiro mit einer unterschwelligen Anspannung in der Stimme und stieg von Baymax herunter. „Aber auch nicht zum Kämpfen.“ fuhr er fort. Gogo war überrascht und sah zu Naoko. Ob dieser es auch war, konnte sie nicht erkennen, da seine Miene ausdruckslos war. „Und doch warten deine Freunde in voller Kampfmontur auf den Gebäuden unter uns." erwiderte er. „Ich sehe, du hast auch einen Sensor. Ich nehme an, dass es derselbe wie bei Baymax ist“ Naoko nickte nur stumm. Hiro öffnete den Behälter auf seinen Rücken, ohne sein Gegenüber dabei aus den Augen zu lassen. „Du kannst nirgendwo mehr hin.“ sagte Hiro leise. „Also solltest du einfach aufgeben und mit uns mitkommen.“ „Hiro …" schaltete sich Gogo ein, doch der Junge beachtete sie nicht. Naoko seufzte. „Keine Angst. Ich habe nicht vor wegzulaufen.“ Die Überraschung war Hiro nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Allerdings wusste sie nicht, ob Hiro das glauben würde. Sie selbst zweifelte schließlich noch immer ein wenig daran. „Einfach so?“ Hiros Stimme war misstrauisch und seine Nerven schienen zum Zerreißen gespannt. Naoko wagte einen Blick zu dem stummen Roboter, der aufmerksam jeden seiner Schritte verfolgte. „Ich werde seinem Sensor nicht entkommen können.“ sagte er schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust, während er seinen Blick wieder Hiro zuwandte. „Es war leicht, die Rüstungen so zu konzipieren, dass sie für die Strahlung des Sensors unsichtbar sind, doch kann ich sie ja nicht ewig anbehalten und ohne Helm ist sie momentan eh nutzlos.“ Er blickte auf seinen rechten Arm. „Ich habe nicht die Energie für eine ewige Hetzjagd und die Stadt kann ich ebenso wenig verlassen.“ Als er den Blick wieder erhob, kreuzte er sich mit ihren und ein angenehmer Schauer durchfuhr sie, begleitet vom Glühen ihrer Wangen. „Also gebe ich auf, ebenso wie mein Onkel. Wir wissen bereits, dass wir zu angreifbar geworden sind.“ Die bereitwillige Preisgabe der Identität Gunners überraschte Hiro genauso wie zuvor noch Gogo, auch wenn er nichts dazu sagte und einfach nur still lauschte. Eine kurze Pause folgte, in der niemand auch nur einen Laut von sich gab, ehe Hiro schließlich zähneknirschend das Wort ergriff: „Ich muss zugeben, dass ich von dir etwas mehr Widerstand erwartet hatte, vor allem nach dem, was ihr meiner Tante angetan habt.“ Naoko sah ihn nicht an, senkte den Blick. „Ich bereue die Rolle, die ich dabei gespielt habe. Ich konnte ihn nicht von dem Gedanken abbringen. Ich konnte lediglich dafür sorgen, dass sie danach in meine Obhut kam und ihr kein Leid zugefügt wurde.“ Hiro hielt sich sichtlich zurück und für einen kurzen Moment bewunderte Gogo ihn dafür. Sie mochte sich nicht ausmalen, was in ihm vorging und was sie an seiner Stelle getan hätte. Hiro sah an Naoko vorbei, direkt zu dem Schwert, welches der Schwarzhaarige in den Stahl getrieben hatte. „Dann wirst du jetzt mit uns kommen?“ fragte er skeptisch und Naoko nickte stumm. „Nun gut ...“ Hiro machte eine  kurze Pause. Offenbar war er auf dieses Szenario nicht vorbereitet gewesen. „Baymax, Düsen an.“ Der Roboter tat, wie ihm geheißen, und Hiro stieg auf dessen Rücken. Er reichte Gogo den Arm und zog sie hoch, ehe er sich an Naoko wandte. „Baymax wird dich tragen, damit ..." „Ich keine Dummheiten mache.“ beendete er den Satz und ging auf die Drei zu. „Habe schon verstanden.“ Baymax senkte die Hand und Naoko stieg darauf, als Hiro sagte: „Sobald wir deinen Onkel haben, werden wir deine Schwester wieder frei lassen.“ Sofort, noch ehe Hiro das letzte Wort ganz ausgesprochen hatte, stoppte er. Sein Blick war leer, doch konnte Gogo deutlich sehen, wie sich seine Muskeln unter der hautengen Rüstung anspannten. „Was hast du gesagt?“ fragte er atemlos und erst jetzt erkannte Gogo, was gerade geschehen war. Hiro hingegen schien verwirrt und sah fragend zu Gogo. „Hast du es ihm nicht gesagt?“ Gogo öffnete den Mund, doch fiel ihr keine Antwort darauf ein. „Du ... wusstest davon?“ Naoko sah sie nicht an und in ihrer Brust machte sich Panik breit. „Nein! Ich ...“ begann sie, doch Naoko unterbrach sie. „Wo ... ist ... sie?“ Er presste diese Frage durch seine Zähne und es war Hiro, der antwortete: „Außerhalb eurer Reichweite, zum Schutz unserer eigenen Familien.“ Hiro? Was soll das?! schrie Gogo ihn innerlich an und packte ihn an der Schulter. Doch noch ehe sie den Mund aufmachen konnte, hörte sie das bedrohliche Klicken von Metall. Als sie ihren Blick dem Geräusch zuwandte, sah sie, wie Naoko wieder die Faust ballte, doch klang es so, als würde das Metall gleich bersten. Gogo öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus. Sofort erfüllte das Brüllen von Naokos Düsen die Szenerie. Der Druck war so gewaltig, dass es Baymax‘ Hände, auf denen Naoko noch stand, in den Stahl des Ballons trieb. Er warf sich im Bruchteil einer Sekunde zurück zu seinem Schwert. Als er das Heft ergriff, drang Gogo sofort der Gestank von glühendem Metall in die Nase und der Stahl um das Schwert begann zu schmelzen. „Hiro!“ schrie sie ihn an und in der nächsten Sekunde klopfte er Baymax zweimal auf den Rücken, der sofort Abstand zu dem Jungen schuf. Im Sonnenlicht erkannte Gogo die Tränen, die an seinen Wangen herunterliefen, doch war es der Blick, den er ihnen zuwarf, der ihr die blanke Panik in die Knochen trieb. „Wasabi, Fred, Honey! Macht euch bereit!“ bellte Hiro ins Mikro. Ein weiteres Brüllen und seine Düsen kamen auf Hochtouren, gleichsam wie die von Baymax. Nur knapp entkamen die Drei dem ersten Schwertstreich und vergrößerten den Abstand zum Ballon. „Wir sind in der Luft. Kapp das Seil, Wasabi.“ Sofort schoss der Riese aus seinem Versteck auf dem Dach heraus an das Stahlseil heran, aktivierte seine Plasmaklingen an und durchschnitt den Stahl mit einem Schlag. Laut ächzend peitschte das Seil, gezogen von dem nun frei fliegenden Ballon, über den Beton des Daches. Als Gogo ihren Blick wieder Naoko zuwandte, war die metallene Hand seiner Prothese verschwunden. Stattdessen prangte ein langer Lauf aus seiner Schulter heraus, welchen er auf die Drei richtete. Hiro erkannte es zu spät und, ehe er reagieren konnte, durchbrach ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Ein lautes Krachen folgte und der Enterhaken hatte sich um Baymax‘ Bein verfangen. „Hiro ...“ fing dieser an, doch kam er nicht weit. Im vollen Schwung, den seine Prothese hergab, schoss Naoko den Dreien entgegen und streifte Hiro mit dem Knie am Kopf. Nur knapp hielt dieser sich an Baymax fest. „Mehr Schub!“ brüllte der Junge und Baymax gab wieder Gas. Hiro riss den Behälter auf und unzählige Nanobots krochen aus diesem heraus, umklammerten den Enterhaken und hinderten Naoko daran, diesen zu lösen. Nun hing er fest und wurde mitgerissen. „Wir kommen runter, haltet euch bereit!“ brüllte Hiro ins Mikro und Baymax setzte zum Sinkflug an. Gogo blickte nach hinten, sah, wie Naoko das Schwert erhob und das Seil mit einem Hieb durchtrennte. „Er ist frei.“ rief sie ins Mikro und ein kurzes Gefühl der Erleichterung machte sich in ihr breit. Durch die Geschwindigkeit, die er durch den Zug des Roboters erhalten hatte, flog er geradewegs auf die Fassade des Wolkenkratzers zu. Flink versenkte er sein Schwert wieder in der Scheide, und ließ die Prothese klacken. Sofort verschwand das Rohr und seine metallene Hand kam wieder zum Vorschein. Wenige Meter vor der Betonwand veränderte er seine Haltung und rammte den in Panzer gehüllten rechten Fuß und seine Prothesenhand mit voller Wucht in das Gebäude. Der Beton und der Stahl schrien, während er an der Wand hinunter rutschte und dabei immer langsamer wurde. In der Zwischenzeit hatte Baymax die Richtung gewechselt und hielt wieder auf ihn zu. Weiter unten auf der Straße erblickte Gogo ihre Freundin, wie sie zwischen all den panisch wegrennenden Menschen ihre Tasche auf die Schulter nahm und die Kanone aktivierte. Zielsicher richtete sie das Fadenkreuz auf den inzwischen gestoppten Naoko, weit über ihr. "Honey! Du hast freies Schussfeld!" brüllte Hiro und Honey schoss. Mehrere kleine Kugeln, die in der Abendsonne schimmerten, verließen den Lauf und rasten auf Naoko zu. „Honey!“ brüllte Gogo ins Mikro, doch war es längst zu spät. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen barst die Betonwand und hüllte alles in eine meterdicke Staubwolke. Baymax stoppte. „Kannst du ihn sehen?“ fragte Hiro ihn und der Roboter warf seinen Scanner an. „Ja.“ antwortete dieser und erhob seinen Arm. „Dort.“ Langsam lichtete sich der Rauch und Gogo sah ihn. Er hing an seinem rechten Arm an die Wand gefesselt, die von schwarzem Glibber überzogen war. Rund um ihn herum waren die Einschusskrater der anderen Kugeln verteilt. Vorsichtig flog Baymax an ihn heran. „Gut getroffen, Honey.“ lobte Hiro sie, wenngleich mit einer gewissen Trauer in der Stimme. „Danke.“ antwortete Honey leise. „Haltet euch bereit, falls er fliehen will.“ Als sie näher kamen, erkannte Gogo das Ausmaß des Treffers und … Seine Kapuze war weggesprengt worden und der Kopf an der linken Seite blutig. Seine Kleidung und Rüstung hatte an zahlreichen Stellen ähnlichen Schaden erlitten und offenbarte blutige Wunden und blaue Flecken. Wie leblos hing er an seiner zerfetzten Prothese fest, wiegte mit dem Wind. „Baymax?“ Gogo wagte nicht zu fragen, doch der Roboter antwortete. „Sämtliche seiner Körperfunktionen arbeiten normal.“ Beinahe zeitgleich mit Baymax‘ letztem Wort hustete Naoko einen kleinen Schwall Blut hervor, der seinen Hals herunterlief. Unter ihm sah Gogo, wie Honey nachlud und ihr Visier wieder auf Naoko richtete, während Fred aus dem Gebäude kam und sich neben sie stellte. Sie war wie erstarrt und unfähig noch etwas zu sagen. „Es ist vorbei ...“ sprach Hiro schließlich zu ihm, als er seine Augen öffnete. Er erwiderte nichts, sondern sah die Drei nur aus seinen eisblauen Augen heraus an und Gogo bemerkte zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, dass sie Angst vor ihm hatte. Nichts als pure Angst. Kapitel 29: Sieg und Niederlage ------------------------------- Vorsichtig stellte er die Tasse aus feinem Porzellan auf den kleinen Tisch zu seiner Linken ab, während er mit der anderen Hand versuchte, sich über den gestutzten Bart zu streicheln. Als er die Tasse abstellte, sprang der Griff auseinander und verteilte sich in viele kleine Stücke auf Tisch und Boden. Grummelnd sah er sich seine Hand an. Welch ein seltsames Gefühl „Dein Neffe hat Monate gebraucht, um das nötige Feingefühl zu entwickeln.“ Oda schnaubte verächtlich, als seine Schwester, die auf dem Stuhl ihm gegenüber saß, den Satz beendete und einen weiteren Schluck dampfenden Tee trank. „Die Zeit werde ich mir auch schon noch nehmen, keine Sorge.“ Die kleine Frau erwiderte nichts, sondern starrte nur mit leeren Augen in ihre Tasse hinein. Die Küche war klein, doch gemütlich und sauber. Weiter hinten im Raum klangen die lieblichen, leisen Töne aus einem Radio und das Licht der untergehenden Sonne tauchte die weißen Wände in orangefarbenes Licht. Vorsichtig stellte seine Schwester ihre Tasse auf dem kleinen Tisch ab und ließ ihren Blick schweifen, bis sie an seinen Augen hängen blieb. „Was wirst du jetzt tun?“ Oda überlegte kurz. Diese Unachtsamkeit gegenüber diesem Wurm hatte seine Pläne etwas durcheinander geworfen, doch war er zu dem Schluss gekommen, dass dies nur als ein kleiner Rückschlag anzusehen sei. Und wer weiß? Vielleicht bot sich ihm dadurch auch die eine oder andere Gelegenheit. „Als erstes werde ich diesen wunderbaren Tee austrinken und dann, naja, werde ich mich wohl den Einsatzkräften stellen müssen.“ Seine Schwester hob eine Augenbraue und sah ihn skeptisch an. Allerdings sagte sie dazu nichts und genehmigte sich stattdessen einen weiteren Schluck. Die Stimmung war angespannt und ungemütlich. Oda hatte seit der letzten Nacht nicht geschlafen, gleichsam wie sein Neffe und dessen Mutter, die ihm seitdem nicht mehr von der Seite gewichen war. Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, wie es seinem Neffen wohl gerade erging, doch kam er zu dem Schluss, dass jeder Gedanke daran verschwendet wäre, so lange sein eigenes Schicksal noch nicht geklärt war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Einsatzkräfte vor seiner Tür stehen würden. Als sie ihren müden Blick nach einer kurzen Pause erhob und ihn ansah, sagte sie: „Ich will wissen, was du vorhast.“ Dafür sorgen, dass alles so verläuft, wie ich es will Oda erkannte den schwachen, aber merkbaren Nachdruck in ihrer Stimme. „Das weißt du ganz genau.“ lächelte er sie an und genehmigte sich noch einen Zug aus der nun henkellosen Tasse. „Du denkst immer noch daran? Das ist nun beinahe ...“ „Es spielt keine Rolle, wie lange es nun her ist. Meinen Durst hat die Zeit nicht gestillt. Mein Hass ist noch genauso stark wie an jenem Tag.“ Sie schnaubte und wandte den Blick ab. „Warum musstest du meinen Sohn da mit hineinziehen?“ Oda gluckste bei dieser Frage. „Der Junge ist zu mir gekommen und hat mich um Hilfe gebeten, nicht umgekehrt.“ „Hättest du ihn nicht einfach abweisen können?“ Theatralisch griff er an seine Brust. „Liebste Schwester, hältst du mich für so herzlos?“ Er lächelte verschlagen, als die Bilder vor seinen Augen auf und ab liefen. „Du hast nicht gesehen, wie verzweifelt der Junge war. Wie er im Regen vor meiner Tür kniete und mich anflehte, ihm zu helfen.“ Vorsichtig stellte er die Tasse wieder auf den Tisch, diesmal ohne sie zu beschädigen, und beugte sich vor. „Hast du je mitbekommen, dass er sich an illegalen Kämpfen und Spielen versucht hat? In den Gassen der Stadt?“ Noch immer sah sie ihn nicht an und starrte nur auf ihren Tee, dessen Dampf sich um ihr Gesicht schmiegte. „Ich habe gemerkt, dass er immer wieder spät abends das Haus verlassen hat und erst früh morgens wieder heim kam. Doch immer, wenn ich ihn darauf ansprechen wollte, wich er mir aus und dachte sich Geschichten aus.“ Ja, das glaube ich dir. Doch hast du nicht gesehen, was ich gesehen habe Oda seufzte und ließ seine Gelenke knacken. „Das er soweit gehen würde ...“ murmelte seine Schwester leise, wohl mehr zu sich selbst. Neugierig beobachte Oda sie. „Ihr hättet von Anfang an meine Hilfe haben können. Mehrfach habe ich sie euch angeboten, doch wart ihr beide zu stolz.“ Mit einem Mal blickte sie wieder zu ihm auf und funkelte ihn wütend an. „Wir kannten deinen Preis.", zischte sie ihm entgegen. „Ist es denn so verwerflich auch eine kleine Gegenleistung zu erwarten? Immerhin ist deinem Mann diese Art der Tätigkeit durchaus bekannt." erklärte Oda und nahm einen weiteren Schluck, während er seinen Blick aus dem Fenster gleiten ließ. Jetzt schon? dachte er sich und verengte seine Augen. Was er sah gefiel ihm nicht sonderlich. Er hatte gehofft, dass er mehr Zeit hätte. Seine Tasse war gerade mal zur Hälfte geleert. „Mir wäre mein Schwager auch lieber gewesen, glaub mir. Dein Sohn war immer etwas schwierig zu handhaben und er hat sich bis zuletzt geweigert, jemanden zu töten." fügte er feixend hinzu. „Du hast ihn ins Gefängnis gebracht.“ flüsterte sie mit einem Mal in den Raum. Oda musste sich zurückhalten, nicht laut loszulachen. „Nein, das habe ich nicht.“ erwiderte er mit amüsiertem Tonfall in der Stimme. „Hätte er mich den Bengel töten lassen, statt den Helden zu spielen, wäre es nur ich, der nun hinter Gitter käme und nicht er.“ Allerdings hätte ich den Jungen so oder so mitgezogen. Ich werde ihn im Gefägnis brauchen Er leckte sich genüsslich über die Lippen, als seine Schwester mit gesenktem Blick fragte: „Und was wirst du tun, wenn du dein Ziel erreicht hast? Glaubst du, dass du einfach wieder so leben kannst wie zuvor?“ Oda lachte leise und seine Schultern zitterten dabei. „Nein, wahrscheinlich nicht.“ Er rieb sich die Stirn. Das war der Teil seines Planes, der ihm am meisten Sorgen bereitete, doch wollte er sich dessen annehmen, wenn es soweit wäre. Allerdings wusste er schon, in welche Richtung das gehen würde. „Das ist jetzt auch nicht mehr von Bedeutung.“ Oda hob die Augenbraue und sah sie irritiert an. Als sie seinen Blick bemerkte, schien sie vorsichtig zu lächeln, nur um ihren Mund sofort wieder hinter dem Porzellan zu verstecken. „Heute Morgen war ein Arzt bei uns.“ Sie nahm noch einen vorsichtigen Zug aus ihrer Tasse und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. „Er arbeitet in der Universitätsklinik in der Stadt und sagte uns, dass ihr Fall so bizarr sei, dass er sie gerne in seine experimentelle Studie aufnehmen würde.“ Oda lächelte. „Und im Gegenzug zahlt ihr keinen Cent für ihre Behandlung.“ Sie sah ihn nicht an, doch nickte sie schwach. Diese Kinder scheinen zu wissen, was sie tun dachte er. Oder eher der alte Sack, der hinter ihnen steht. So langsam wird der Kerl mir lästig „Wir brauchen dein Geld also nicht mehr.“ fuhr seine Schwester leise fort und bemühte sich dabei offensichtlich, so zuversichtlich wie möglich zu klingen. Oda hätte am liebsten gelacht, doch hielt er sich davon ab. Aber vielleicht kann ich das für mich nutzen Er seufzte laut und genehmigte sich einen letzten Schluck, ehe er sich erhob und auf die Uhr an der Wand blickte. "Nun, ich denke, dass du dich langsam auf den Weg machen solltest. Ich erwarte noch Besuch." Seine Schwester sah ihn an, erwiderte jedoch nichts dazu. Er wusste nicht, ob sie diese Anmerkung verstanden hatte oder nicht, doch würde das so oder so am weiteren Ablauf dieses Tages nichts mehr ändern. Langsam erhob auch sie sich und gemeinsam durschritten sie die Wohnung in Richtung der Haustür. "Die Schmerzen werden noch eine Weile so bleiben, bis sich deine Muskeln und Nerven daran gewöhnt haben.", erklärte sie ihm, als sie ihre Schuhe anzog. "Du solltest dich nicht zu viel bewegen die nächsten Wochen, sonst könnten die Wunden reißen." Oda knirschte mit den Zähnen. Wie mühselig Er griff an den Türknauf und wandte sich wieder zu seinem Gast. "Wenn du erlaubst, gehe ich vor" Sie sah ihn an und nickte. Sie hatte verstanden. Vorsichtig öffnete er die Tür und grelles Licht erhellte den dunklen Flur und die weißen Wände funkelten regelrecht. "Oda Nobusaka!" bellte ihm eine durch Megafon verstärkte Stimme entgegen und das mehrfache Klicken von Metall füllte die Szenerie. "Sie sind hiermit des bewaffneten Raubzugs sowie Geiselnahme und dem Einsatz von Sprengstoff angeklagt und festgenommen!" fuhr die Stimme fort. Na, da ist aber jemand angespannt grinste Oda in sich hinein. So langsam gewöhnten sich seine Augen an das Licht und er erkannte mehrere mit Gewehren bewaffnete Einsatzkräfte, deren Läufe auf ihn gerichtet waren. Sie alle standen gesichert hinter einer Wagenburg aus Polizeiautos und Trucks. Die Gesichter der Beamten waren angespannt und nervös. Das amüsierte ihn. Offenbar hatte er einen gewissen Ruf bei der Justiz erworben. "Nehmen Sie die Hände hinter den Rücken und gehen Sie auf die Knie. Bei dem geringsten Versuch ... werden wir Gewalt anwenden!" Der macht sich ja gleich in die Hose Oda tat, wie ihm geheißen, und, ehe er sich versah, kamen zwei weitere Beamte, die sich wohl an den Seiten versteckt hatten, auf ihn zu, griffen seine Hände und legten sie in schwere Handschellen. Schlaff ließ er diese nun vor seinem Bauch baumeln, während die beiden Polizisten ihn in Richtung der Wagenburg bugsierten. Gerade an einem der Autos angekommen, fiel sein Blick auf eines der Nachbargebäude und Oda lächelte amüsiert, als er erkannte, wer dort oben stand. Er erhob seine Arme und formte mit seinen Fingern der rechten Hand eine Pistole und drückte in ihre Richtung ab. "Wir sehen uns noch, Hiro Hamada." Kapitel 30: Was wir tun ----------------------- „Nachdem am gestrigen Nachmittag mithilfe der noch immer unbekannten Gruppe von Superhelden einer der beiden Diebe, Naoko Yamoro, auch bekannt als Knight, festgenommen werden konnte, wurde uns vor wenigen Stunden bestätigt, dass nun auch sein Komplize, der sich selbst als Gunner titulierte, von den Behörden in seinem Apartment festgenommen worden ist . Laut den Polizeiangaben soll es sich dabei um den Onkel des jungen Yamoro handeln, Oda Nobusaka. Vor wenigen Jahren noch ein gefeierter Stararchitekt, der vor allem durch seinen Mut zu spektakulären Risikobauten bekannt wurde. Die Beamten gehen von einem Rachemotiv aus, da er vor etwa vier Jahren mutmaßlich von einigen seiner Kollegen und Rivalen bei einem bedeutenden Projekt übergangen wurde. Nähere Einzelheiten von Mitsu Sarato.“ „Bisher haben wir noch nicht herausgefunden, warum der ehemalige Professor Robert Callaghan an diesem Konflikt beteiligt gewesen war. Noch immer herrscht großes Schweigen über den genauen …“ Dumpf klang die Stimme des Nachrichtenmoderators in ihren Ohren. Dumpf und wie aus weiter Ferne. Wieso? War der einzige Gedanke, der in diesem Moment durch ihren Kopf geisterte. Sie konnte es nicht begreifen, geschweige denn überhaupt glauben, welche Bilder sich gerade vor ihren Augen abspielten. Er, ein Verbrecher? Sie wusste, dass er sehr impulsiv sein konnte. Manchmal sogar übermütig und verrückt. Doch hätte sie sich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen können, dass er zu solchen Dingen imstande war. Wieso tust du so etwas? Es war ein seltsames Gefühl von Erschöpfung, dass von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte. Ein Gefühl, welches sie schon lange verdrängt hatte und gehofft hatte, nie wieder erfahren zu müssen. Für einen kurzen Moment hatte sie aufgegeben. Doch schnell übermannte ein unglaubliches Maß an Wut und Enttäuschung diesen kurzen Ausbruch und mit der ganzen Kraft, welche ihren Armen noch zur Verfügung stand, schmetterte sie die Fernbedienung gegen die Wand. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlug sie die Decke weg, hievte sie sich in den Rollstuhl, der neben ihrem Bett stand, und schob sich in Richtung des Aufzugs am Ende des Ganges. Ob sie jemand aufhalten wollte oder nicht, es war ihr egal und sie hätte es vermutlich sowieso nicht mitbekommen. Mit der Faust schlug sie auf den Knopf für das Erdgeschoss. Sie spürte, wie die brennenden Tränen über ihre Wange liefen, wie ihr Kopf und ihre Haut zu glühen begannen. Ein leises 'Kling' und der Aufzug öffnete wieder seine stählernen Türen. Ohne Verzögerung trieb sie den Rollstuhl hinaus. Vorbei an leeren Stühlen und Bänken. An leuchtenden Automaten und einer verwaisten Rezeption. Als die gläserne Pforte des Gebäudes durchführen und kühle Abendluft sie umfing, atmete sie tief durch, begleitet von schlucken und schluchzen. Sie würde nicht weinen, so sehr ihr Körper es auch verlangen mochte. Sie würde ihm nicht nachgeben und stark bleiben. Ihr Herz schien sich in ihrer Brust schmerzhaft zusammen zu ziehen und ihre Lunge verlangte unaufhörlich nach Luft, während die sich ihr Blick zu trüben begann. Wieso? Sie schlug auf die Lehne des Stuhls. Wieso tust du so etwas? Sie musste etwas tun, wenn sie nicht an der Schwelle zum Krankenhaus in Tränen ausbrechen wollte. Schroff lenkte sie den Rollstuhl in die Mitte des Hofes, wo eine alte Eiche thronte und mit ihrem Blätterdach in alle Richtungen zu greifen schien. Unter den Ästen, an den mächtigen Stamm gelehnt, stand eine Bank. Wie in Trance schob sie sich dorthin, hievte sich wieder aus dem Rollstuhl und setzte sich auf diese. Just in dem Moment, als ihre Muskeln entspannten und ihr Rücken die Lehne berührte, brach ihr Widerstand und sie gab den Tränen nach. Sie umschlung ihren Körper, als würde sie frieren und ihre Schultern begannen zu beben. Alles um sie herum verschwand in einem Nebel aus tanzenden Lichtern und Schatten. Sie wollte nie wieder weinen. Nie wieder. „Wenn du weiter dort sitzt, wirst du dich erkälten.“ Die Stimme war ihr fremd und klang, als wäre sie weit entfernt. Als sie den wohligen Stoff spürten, den jemand um ihre Schultern legte, erkannte sie, dass der Urheber genau vor ihr war. Sie hob den Kopf und vor ihr stand ein alter, grauer Mann, gehüllt in einen dicken Mantel mit einem Buch unter dem rechten Arm geklemmt. Sein Haar war kurz und schüttern und seinen Hals zierte ein breiter, weißer Verband. Er sah sie aus blauen Augen an, aber dennoch war sein Blick warmherzig. „So ist es besser, aber du solltest nicht zu lange hier draußen sein. Die warmen Tage sind vorbei.“ Seine Stimme war etwas rau und kratzig, und gelegentlich schien er einen Ton zu hoch oder zu tief zu sprechen, als er es wohl beabsichtigte, doch klang er dabei bestimmend und irgendwie schien gerade dies sie zu beruhigen. Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte er sich neben sie und legte sich das Buch auf den Schoß. „Wer sind Sie?“ fragte Sora, trotziger als sie es beabsichtigt hatte, doch er ließ sich davon offensichtlich nicht beirren. „Ich bin Robert.“ Er machte eine kurze Pause und reichte ihr die Hand, welche sie zögernd ergriff. „Und wie ist dein Name, junge Dame?“ „Sora ...“ schniefte sie leise und begann zögerlich, sich die Tränen von den Wangen zu streichen. „Sora also. Ein schöner Name.“ fuhr er fort und lächelte sie an. „Du bist wohl neu hier. Hier am Institut trifft man nicht viele Menschen, vor allem so spät nicht.“ lächelte er sie an. Sie nickte zustimmend, denn es stimmte wohl. Seit man sie an diesem Morgen hier eingeliefert hatte, hatte sie kaum andere Patienten gesehen. Lediglich die Ärzte und Schwestern, die sie heute Morgen untersucht und sie dabei mit Fragen gelöchert hatten. „Ja.“ antwortete sie knapp. Sie war eigentlich nicht in der Stimmung für lange Gespräche, doch war sie höflich genug, zu antworten.   „Was betrübt dich so?“ fragte der alte Mann sie freundlich und lächelte sie weiterhin von der Seite an. Sora antwortete nicht, sondern starrte nur ins Leere und wusste nicht, was sie tun sollte. „Du scheinst keine sehr gesprächige junge Frau zu sein.“ fuhr er vorsichtig fort. Sora wagte einen kurzen Seitenblick, nur um sofort wieder ins Leere zu starren. „Ich verstehe.“ sagte er lächelnd und zog aus seiner Brusttasche eine kleine Brille heraus und pflanzte diese auf seine Nase. Eine Handbewegung später hatte er bereits das Buch geöffnet und begann zu lesen. Minuten vergingen, ohne dass ein weiteres Wort gesagt wurde, doch konnte Sora ihre Neugier nicht völlig zügeln. Sie wagte einen vorsichtigen Blick auf die aufgeschlagene Seite. Ohne zu wissen, was sie tat murmelte sie dabei: „… Multiversen …“ Robert sah sie interessiert aus dem Augenwinkel heraus an und als Sora dies bemerkte, ließ sie sofort wieder davon ab. „Interessierst du dich für Physik?“ Sie nickte vorsichtig. „Ein wenig …“ Robert lachte und nahm die Brille ab. „Kennst du diese Theorie?“ Sora überlegte kurz. Sie meinte sich zu erinnern, dass es einen solchen Abschnitt in dem Buch gab, dass ihr Bruder ihr geschenkt hatte. Noch ehe sie es selbst realisiert hatte, machte die Erinnerung an dieses Geschenk von nicht mehr als einer Woche jede Ablenkung, die sie in den letzten Minuten von ihren Gedanken abgehalten hatte, zunichte. Sofort senkte sie wieder ihren Blick und schloss die Augen, darauf konzentriert, nicht wieder zu weinen. „Es tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe …“ Der alte Mann hatte sein Buch wieder zugeschlagen und legte Sora die Hand auf die Schulter. „Du darfst es nicht runterschlucken.“ flüsterte er leise. „Lass es raus und du wirst dich besser fühlen.“ fuhr er flüsternd fort. „Nein!“ zischte Sora ihn an. Sie war nicht schwach, sie war kein kleines Mädchen. Nie wieder würde sie so schwach sein. Nie wieder würde sie mit ansehen müssen, wie andere sich für sie aufgeben. Nie wieder wollte sie mit ansehen müssen, wie ihr Bruder blutüberströmt neben ihr liegt. Nie wieder wollte sie, dass er alles für Sie aufgab. „Nie … wieder …“ schluchzte sie und ihre Schultern zitterten bei jedem Atemzug wie Espenlaub. „Du kannst das …“ Als er das letzte Wort ausgesprochen hatte, gab sie schließlich auf. Sie spürte wie ihre Wange brannte unter dem Salz ihrer Tränen, wie ihre Nase verstopfte und wie ihr Hals zugeschnürt wurde. Kein Widerstand mehr. Sie ließ alles raus und als der Knoten im Hals sich zu lösen begann, schrie sie aus ganzer Kehle, dass es sich anfühlte, als stünde ihre Lunge in Flammen. „Wieso tust du mir das an!“ brüllte sie in die Nacht hinaus. „Warum bist du so ein Idiot?!“ Sie fühlte die warme Hand auf ihrem Rücken. Robert war noch immer da und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, so tat es ihr doch unendlich gut, nicht alleine zu sein. Auch wenn sie die Person bei sich nur wenige Minuten kannte. In diesem Augenblick war es ihr völlig egal. Langsam beruhigte sie sich wieder. Sie atmete tief aus und wieder ein, ließ die kalte Luft durch ihren Körper ziehen. „Siehst du?“ erkannte Robert. Sie erwiderte nichts, doch musste sie ihm Recht geben. Sie fühlte sich besser. „Warum tun Brüder so etwas?“ flüsterte Sora und rieb sich die Augen trocken. „Wieso sind Brüder so dumm?“ Robert lächelte sie an und seufzte. „Manchmal tun Menschen das Falsche aus der richtigen Absicht heraus, weißt du?“ Sie sah ihn fragend an und erkannte in seinen Augen, dass er wusste, wovon er sprach, doch traute sie sich nicht zu fragen. „Was auch immer er getan hat, ich bin mir sicher, er hatte seine Gründe.“ Sein Lächeln war warm und sie schenkte seinen Worten Glauben. Es erfüllte sie mit einem Gefühl der Leichtigkeit mit jemanden sprechen zu können und ein schwaches Lächeln stahl sich über ihre Lippen. Es legte sich Stille über die beiden, nur erfüllt vom leisen Rascheln der Blätter über ihnen. Doch war diese Stille keineswegs unangenehm. Sie genoss es sogar ein wenig, auch wenn die Kälte langsam begann, durch ihre Glieder zu kriechen. Als sie den Kopf senkte, hörte sie das lange vergessene Klingen ihrer Glöckchen wieder und sie erinnerte sich wieder daran, wie Naoko sie einst gefragt hatte, wieso sie diese trug. Auch Robert schien dies bemerkt zu haben und öffnete den Mund. Jedoch kam er nicht weit, als eine Stimme ihn unterbrach: „Dad?“ Als die beiden ihre Blicke zum Ursprung dieser Frage richteten, stand dort im Schatten des Tores eine junge Frau. „Abigail? Was machst du hier?“ Die Angesprochene kam schnellen Schrittes näher, während Sora ihren Blick wieder in Richtung des Tores richtete. Doch die Person war verschwunden. „Mr. Zilla hat mich hergebracht.“ war die Antwort der jungen Frau, die nun auch Sora bemerkt zu haben schien. „Oh, wer bist du denn?“ Sie schien überrascht zu sein, ihren Vater nicht alleine anzutreffen, doch wirkte sie nicht, als hätte sie ein Problem mit Soras Anwesenheit. Trotzdem fühlte sie irgendwie sich fehl am Platz. „Sora …“ antwortete das Mädchen schließlich auch ihr. „Abigail.“ erwiderte die junge Frau und reichte auch ihr die Hand. Sofort danach richtete sie das Wort wieder an ihren Vater: „Du sollst doch nicht hier draußen sein. Du bist immer noch angeschlagen.“ Robert hob abwehrend die Hand und lachte vorsichtig. „Es ist alles in Ordnung, Abigail. Es ist nur eine Wunde, keine Infektion.“ Seine Tochter biss sich auf die Unterlippe und sah ihn streng an, doch war es offensichtlich, dass er sich davon nicht erweichen ließ. „Das wird nicht funktionieren.“ erwiderte er nur lächelnd. Resigniert seufzte Abigail und ließ einen deutlich sanfteren Ton vernehmen: „Wir müssen uns unterhalten, unter vier Augen. Können wir rein?“ „Ich denke was auch immer es ist, sie wird es auch ruhig hören können.“ erklärte Robert und sah zu Sora. Abigail seufzte resigniert und nickte grummelnd. „Mr. Zilla hat mir alles erzählt. Von eurem Plan, dem Kampf, deiner Wunde. Wieso zur Hölle hast du mich nicht eingeweiht?!“ In ihrer Stimme wiegte allzu deutlich Wut mit und mit vorwurfsvoller Miene sah sie Robert an. Robert hingegen lächelte nur. „Weil du sonst darauf bestanden hättest, mitzukommen. Oder du hättest mich direkt davon abhalten wollen.“ „Und in beiden Fällen lägst du jetzt nicht hier.“ hielt sie ihm entgegen. „Du hast deine Sicherheit einem Haufen Kinder anvertraut. Dieser Gunner hätte dich töten können!“ Mit einem Mal wurde Sora hellhörig. Es fühlte sich an, als wäre sie gerade geohrfeigt worden. Dieser alte Mann war dabei? Sofort fielen ihr die Worte der Reporterin wieder ein. Bisher haben wir noch nicht herausgefunden, warum der ehemalige Professor Robert Callaghan an diesem Konflikt beteiligt gewesen war … „Sie waren dabei …“ erkannte Sora und bemerkte wie sich erneut ein Kloß in ihrem Hals bildete. Fragend sahen die beiden sie an. „Sie haben gegen meinen Bruder gekämpft.“ Das kurze Erstaunen in seinem Gesicht war so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war und in seiner Miene lag nur Mitleid und Trauer. „Ja, ich war dabei …“ antwortete er ihr. Sora brachte kein Wort mehr heraus. Sie wusste nicht, was sie fühlen oder denken sollte, so viele Eindrücke brachen mit einem Mal über sie hinein, als hätte sie gerade eine Lawine überrollt. „Wieso …?“ flüsterte Sora, doch wartete sie gar nicht erst, bis er antworten konnte. „Erzählen sie es mir!“ verlangte sie. „Was ist passiert?“ Robert sah zu seiner Tochter. Auch sie schien begierig darauf zu sein, zu erfahren, was sich in jener Nacht im Lager abgespielt hatte. Robert seufzte laut. Er hatte wohl aufgegeben. Doch ehe er antworten konnte, wurde er abermals unterbrochen: „Wenn sie erlauben, Professor, würde ich ihr das gerne erklären.“ Diesmal kannte Sora die Stimme und es erfüllte sich gleichsam mit Trauer, wie mit Mitleid, als sie die junge Frau von ihrem Fahrrad absteigen sah. Sora fühlte wie die Tränen erneut nach außen drangen, als sie von zwei zierlichen Armen umschlungen wurde. „Komm mit rein. Ich werde dir alles erzählen.“ sagte sie noch zu ihr, ehe sie sie hochhob und wieder in den Rollstuhl bugsierte. Niemand widersprach ihr, niemand sagte mehr ein Wort und als die Schwarzhaarige sie nach drinnen schob, konnte Sora nicht anders als sich einzugestehen, dass es noch jemanden gab, den ihr Bruder mehr als nur verletzt hatte. Vielleicht sogar genauso wie sie selbst. „Danke dass du hier bist …“ hauchte sie leise in sich hinein. „Danke, dass du bei mir bist …“ Kapitel 31: Perspektive ----------------------- Sein Schädel dröhnte und es fühlte sich so an, als würde dieser jeden Moment bersten. Nach beinahe vier Wochen hatte er wieder geschlafen. Kerzengerade saß er auf seiner Pritsche, heftig atmend und schweißgebadet. Er rieb sich die tränenden Augen mit der linken Hand, während das Gewicht seiner toten rechten ihn wieder ins Bewusstsein drang, als er aus Gewohnheit auch diese zu heben versuchte. Seit Honey seinen Arm mit ihrer Kanone getroffen hatte, war das Ding nutzlos gewesen. In der ganzen Konstruktion hatte sich der orange Glibber festgesetzt und ohne das passende Werkzeug würde er diesen nicht entfernen können. Er versuchte, seine Atmung zu kontrollieren und sich zu beruhigen. Nach den langen Wochen ohne Schlaf waren seine Träume ungewohnt intensiv und heftig. Bilder und Gefühle regneten wie Artilleriegeschosse auf ihn nieder und nahmen ihn jede Möglichkeit sich zu beruhigen, ja sich gar von den letzten Tagen zu erholen. Er fuhr sich durch die schweißnassen Haare, die wie feine Fäden an seiner Stirn klebten. Seit nunmehr zwei Wochen war er in diesem Gefängnis und er wusste nicht, wie viele noch folgen mochten. In seinem Inneren tobte ein heftiger Kampf aus Wut, Trauer, Hass und Einsicht. Was sollte er nur tun? „Hey, Kleiner!“ Die raue Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran, dass er nicht alleine in dieser Zelle war. Er hörte, wie sein Zellengenosse sich über ihm in der Pritsche wälzte. „Wenn du nicht schlafen kannst, dann halt wenigstens dein Maul, sonst schlitze ich dich auf!“ fuhr er ihn von oben herab an. Als Naoko in diese Zelle gekommen war, hatte ihn dieser Mann bereits mit Argwohn betrachtet. Seine mausgrauen Augen und die geschundene Stirn ließen seine Fratze noch grotesker aussehen, als seine ohnehin seltsame Erscheinung schon. Kaum waren die Wachen weg gewesen, hatte er ihm auch schon gedroht, er würde ihm die Kehle aufschlitzen, wenn er etwas dummes machen würde und hatte dabei mit einem großen Splitter des Spiegels vor seiner Nase rumgefuchtelt. Später hatte er herausgefunden, dass die anderen ihn den „irren Tony“ nannten. Naoko scherte sich nicht darum. Für ihn war das nur ein aufgeblasener Arsch, der ihm auf die Nerven ging. Genervt rieb er sich die Stirn und ließ sich wieder auf seine Pritsche fallen. In ein oder zwei Stunden würden die Wachen sie zum Frühstück aus den Zellen treiben und diese dann nach illegalen Sachen durchforsten. Naoko hatte sich schon gefragt, wie Tony das Messer eigentlich immer verstecken konnte, doch hatte er sich damit abgefunden, dass es ihm im Grunde egal sein konnte. Ihm war ruhiges Nachdenken so oder so nicht vergönnt und manchmal war er auch froh darüber. Langsam verging die vermutete Stunde, bis das Licht im breiten Flur eingeschaltet wurde und man die ersten Schreie der Wärter vernehmen konnte. Inzwischen hatte er sich daran gewohnt und wie ferngesteuert stand er auf, warf sich seine frisch gewaschenen Klamotten über, die die Häftlinge an jedem Abend zuvor erhielten, wusch sich in den kleinen, verrosteten Metallbecken, putze sich die Zähne und versuchte seine inzwischen wilden Haare zu bändigen, ehe er sich mit seinen Zellengenossen an die Gittertür stellte. Wie immer begleiteten mürrisch dreinblickende Wachen die Meute aus Dieben, Mördern, Vergewaltigern und anderen Gesocks in die große Kantine. Der Ton war rau, das Essen pampig, doch das stört Naoko nicht. Er hatte sich mit seinem Tablett in eine der zahlreichen Ecken verkrochen und saß nun auf dem Boden, die versalzenen Kartoffeln kauend und ließ seinen Blick über die Kantine schweifen. Das Gefängnis war gefüllt mit den verschiedensten Gestalten. Große, kleine, dicke und dünne. So manch einer hatte sich derbe Tattoos stechen lassen, ein andere lief immer ohne Oberteil rum und präsentierte seine zahlreichen Narben, welche quer über den Körper verteilt waren. Es kam ihn beinahe vor, als säße er auf einer der zahlreichen Bänke in den immer vollen Einkaufsstraßen der Stadt und würde die Menschen beobachten. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese hier alle dasselbe trugen. Was ihn mehr als seine Anwesenheit hier beschäftigte, war die eigentliche Ruhe um ihn herum. Sowohl von außen, als auch von innen. Er rechnete nicht damit, dass Hiro und seine Freunde hier auftauchen würden oder seine Eltern. Auch Gogo, so weh es ihm tat, hatte er versucht zu verdrängen. Allen voran den Kuss auf dem Ballon und das Chaos in seinen Gedanken, dass er verursachte. Niemals hätte er damit gerechnet, geschweige denn es sich vorgestellt. Doch war es nicht nur Gogo, die seine Gedanken beherrschte. Er hatte auch nichts mehr von seiner Schwester gehört und das machte ihm … Angst. So sehr er auch nicht wahr haben wollte, er konnte es nicht leugnen. Er war völlig von der Außenwelt abgeschnitten und zu wissen, dass Sora in den Händen seiner ehemaligen Freunde war, wollte ihn nicht beruhigen. Wer würde ihre Rechnungen bezahlen? Und wussten die überhaupt, was sie braucht? „Eine interessante Gesellschaft, findest du nicht?“ Aus seinen Gedanken gerissen erkannte er, dass sein Onkel vor ihm stand, mit seinem Tablett in der Hand und grinste ihn höhnisch von oben herab an. Naoko schnaubte genervt, denn sein Geschwafel war das Letzte, was er jetzt hören wollte. Er war kurz nach ihm festgenommen worden und zu Naokos bedauern wurde er in denselben Flügel wie er gesteckt, nur zwei Zellen weiter. „Was willst du?“ knurrte er ihn an, ohne seinen Blick zu erwidern und ohne zu antworten oder gar zu fragen, setzte sich sein Onkel neben ihn auf dem Boden. „Du sahst so alleine aus, da dachte ich, ich setze mich mal zu dir.“ Naoko erwidert nichts. „Habe schon den einen oder anderen kennengelernt. Allesamt unschuldig, versteht sich.“ Oda lachte und genehmigte sich einen großen Löffel von dem Püree, das dampfend auf seinem kleinen Tablett stand. Neugierig beobachte Naoko seinen Onkel dabei und studierte seine Bewegungen. Als dieser seinen Blick bemerkte, lächelte er und meinte: „So langsam gewöhne ich mich daran. Die Dinger sind echt klasse.“ Sein Onkel hatte es offenbar geschafft in so kurzer Zeit, das nötige Feingefühl zu entwickeln, so dass es schwierig wurde, die künstlichen Gliedmaßen von echten zu unterscheiden, wozu die künstliche Haut allerdings einen großen Teil beitrug. Naoko war drauf und dran ihn auch wegen der Beine zu fragen, doch schluckte er diese Frage lieber wieder hinunter. Es folgte eine Pause, in der beide nur stillschweigend da saßen und sich umsahen. „Weist du, warum wir hier sind?“ fing mit einem Mal Oda an. Naoko knurrte, waren ihm die Bilder doch so unglaublich präsent. Vor allem, wenn er sie Nacht für Nacht vor Augen hatte. „Weil du nicht gehört hast.“ fuhr sein Onkel fort und überrascht sah Naoko ihn an. Er spürte, wie Wut in ihn zu köcheln begann. Sein Onkel schien das zu bemerken. „Ich habe den alten Mann auch nicht getötet, oder?“ fuhr dieser unbeeindruckt fort und Naoko zischte als Antwort: „Du hast ihm den halben Hals weggesprengt!“ Sein Onkel lacht kurz und sah ihm dann in die Augen. „Nun übertreib mal nicht. Ich halte mich an unsere Abmachung.“ Er hob abwehrend die Hand. „Niemanden töten.“ Sofort genehmigte er sich einen weiteren Löffel, bevor er fortfuhr: „Hättest du dich mir nicht in den Weg gestellt, wärst du jetzt nicht hier. Nur ich.“ Er hasste es, sich das einzugestehen, doch musste er seinem Onkel Recht geben. So im Nachhinein hätte er ihn wohl besser schießen lassen sollen, dann wäre seine Schwester vielleicht nie in ihre Hände geraten. „Aber das ist alles nicht weiter schlimm. Weil wir jetzt hier sind, werden deine Freunde nicht nach der Waffe suchen und wir haben Zeit.“ fügte er noch hinzu. Naoko erinnerte sich, wie sein Onkel hin und wieder mal das Wort „Waffe“ fallen gelassen hatte, doch hatte er keine Ahnung, woran sein Onkel eigentlich genau gebastelt hatte. So lange er die Rechnungen bezahlte, war ihm das auch völlig egal gewesen. Vielleicht war es langsam mal an der Zeit, dies zu hinterfragen. „Wie hat es sich eigentlich angefühlt, als dir deine Freunde diesen Helm vom Kopf geschlagen haben? Wie hat es sich angefühlt, den Menschen in die Augen zu sehen, die du verraten hast?“ fragte sein Onkel mit einem Mal. Noch ehe er die Frage ganz begreifen konnte, übermahnte ihn ein Gefühl von Trauer, brennend und lodernd. Doch schlug dieses Gefühl sofort wieder in Wut um. „Das ist alles deine Schuld!“ zischte er ihn an und bedauerte in diesem Moment, dass sein rechter Arm unbrauchbar war. So gerne hätte er ihm das hässliche Gesicht zertrümmert. „Hättest du auf mich gehört und die Finger von seiner Tante gelassen, dann wäre Sora jetzt nicht bei ihnen!“ fügte er nicht minder wütend hinzu. Sein Onkel kicherte nur: „Und hättest du mich auf den Jungen erschießen lassen, statt mich davon abzuhalten, hätten sie deine Identität nie herausgefunden.“ Am liebsten hätte Naoko laut losgebrüllt und ihn zu Tode geprügelt. Doch stattdessen versuchte er, seinen Zorn zu zügeln und seinen Atem zu kontrollieren. „Sora kennt mich.“ erwiderte er gespielt ruhig. „Sie wird wissen, warum ich das getan habe.“ „Und die Entführung von Hiros Tante?“ hakte sein Onkel nach. „Ich habe sie gut behandelt und ihr kein Leid zugefügt.“ flüsterte Naoko, wie viele Male zuvor, bei dem Versuch, sich selbst davon zu überzeugen. „Warum sollten sie erwähnen, dass du seiner Tante kein Leid zugefügt hast? Ich bin mir sicher, dass sie ihre eigene Version erzählen werden.“ „Das würden sie …“ Er stoppte mitten im Satz und sah auf seine stählerne Hand. „Ich meine, Sie würde das niemals tun …“ „Meinst du die kleine Schwarzhaarige? Bist du dir da sicher?“ Er sah ihn mit prüfendem Blick an. „Nachdem du sie so hintergangen hast? Sie belogen und betrogen hast, genauso wie ihre Freunde?“ Naoko spürte wie es sich in seiner Brust schmerzhaft zusammenzog. „Die Medien werden ihr Übriges dazu beitragen. Ich glaube nicht, dass Sora aus ihrem Munde die Wahrheit erfahren wird. Wahrscheinlich kommt sie dich deshalb nicht besuchen.“ Instinktiv versuchte er, seine Rechte zur Faust zu ballen und seine Prothese knirschte leise dabei. „Du solltest sie mal sauber machen.“ war alles, was sein Onkel dem hinzufügte. Naoko wusste, dass er unbedingt hier rausmusste. Er musste es ihr ins Gesicht sagen, ihr schildern, wie es wirklich war. „Wie lange werden wir hier bleiben müssen?“ fragte er vorsichtig und sein Onkel begann nachzudenken. „Die Gerichtsverhandlungen haben noch nicht angefangen, aber bei dem Wert den wir gestohlen haben, schätze ich, dass wir noch etwa 12 bis 17 Jahre absitzen müssen.“ Naoko sah ihn an. „Du wirkst nicht, als ob du so viel Zeit hier verbringen willst.“ Sein Onkel lachte, während er sich einen großen Happen Brei in den Mund schob. „Bingo. Natürlich nicht. Allerdings glaube ich nicht, dass man mich wegen guter Führung entlassen wird.“ Er seufzte wehleidig. „Aber ich habe Vorkehrungen getroffen. Ich werde die Zeit nicht absitzen.“ beendete er schließlich den Satz und lachte seinen Neffen an. „Und mich wirst du mitnehmen.“ stellte Naoko fest, ohne ihn anzusehen. Das schien seinen Onkel stutzig zu machen und sichtlich amüsiert fragte er: „Wieso sollte ich das denn tun?“ Naoko wandte den Blick zu ihm. „Weil es von mir abhängt, ob du hier rauskommst oder nicht.“ Zuerst sah sein Onkel ihn erstaunt an, doch nur einen Augenblick später lachte er aus voller Kehle, dass sich der ein oder andere Insasse neugierig zu ihm umdrehte. Als dieses Interesse wieder abebbte und Oda wieder ruhig geworden war, sagte dieser zu seinem Neffen: „Du fängst an zu verhandeln wie ein Krimineller. Das gefällt mir.“ Naoko hatte ihn. Das wusste er. „Bilde dir nichts darauf ein. Mein Ziel bleibt dasselbe.“ Sein Onkel lächelte ihn wissend an. „Keine Sorge. Das weiß ich. Du wärst nicht du, wenn du auf einmal mir aus reiner Liebe zu deinem Onkel helfen würdest.“ Ein weitere Happen und die Schüssel war schließlich leer. „Aber als erstes wirst du dein altes Leben wohl hinter dir lassen müssen, sonst werden wir wieder hier landen. Vergiss was war und konzentriere dich auf das hier und jetzt. Deine Schwester braucht dich und nur du kannst ihr jetzt helfen." Naoko nickte. Er durfte nicht noch einmal dieselben Fehler machen. Er wusste, dass er sich von allen Einflüssen würde befreien müssen, wenn er Sora helfen wollte. Selbst wenn er hier rauskommen sollte, so würde sein Leben nicht wie vorher sein. „Du wirst sehr schnell erkennen, dass dies eine völlig neue Gelegenheit ist. Dein vorheriges Leben existiert nicht mehr und du kannst dich völlig auf dein neues Leben als Knight konzentrieren.“ sprach sein Onkel weiter. Naoko überlegte kurz, ehe er fragte: „Wie lange?“ „Du hast vier Monate, um dich vorzubereiten.“ grinste er seinen Neffen von der Seite ab. Noch ehe Naoko fragen konnte, fuhr er fort: „Du musst anfangen alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Siehst du diese ganzen hirnlosen Idioten um uns herum? Perfekte Opfer, um zu trainieren und sich zu verbessern.“ Naoko sah sich um. Sein Onkel hatte Recht. Dies war der perfekte Ort, um seine Kampffertigkeiten zu verbessern. „Und vergiss nie, weshalb du das tust.“ knurrte Oda leise. „Um deine Schwester davon zu überzeugen, dass du das alles getan hast, damit es ihr besser geht. Es wird schwer, sie davon zu überzeugen, wenn deine Freunde ihr die ganze Zeit etwas anderes ins Ohr flüstern.“ Naoko knirschte mit den Zähnen. „Sora ist nicht so! Sie würde zu mir kommen. Mich fragen, warum ich das getan habe, meine Version hören wollen.“ Sein Onkel nickte. „Das würde sie, doch wie, wenn sie keiner lässt? Junge Mädchen sind sehr leicht zu beeinflussen.“ Diese Distanz machte ihn fertig. Keine Möglichkeit zu haben, mit ihr zu kommunizieren, ihr in die Augen sehen zu können. Wenn er ihr einen Brief schreiben würde? Doch wohin? Würden seine Eltern ihn weiterleiten, wenn er diesen nach Hause senden würde? Und würden Hiro und seine Bande dies überhaupt zulassen? „Du hast mir nie erzählt, was es mit den Glöckchen in ihrem Haar auf sich hat.“ unterbrach ihn mit einem Mal Oda in seinen Gedanken. „Soras Nervenleiden hatte man ihr vor über drei Jahren diagnostiziert. Der Arzt, der sie damals untersucht hatte, gab ihr nur zwei Jahre zu leben. Seit sie diese Grenze überschritten hatte, steckte sie sich für jeden weiteren Monat ein Glöckchen in ihr Haar. Sie liebt das Geräusch, das sie machen, wenn sie sich bewegt.“ erklärte er beinahe wie in Trance. Selbst dieses süße Geräusch vermisste er. Sein Onkel lachte vorsichtig. „Eine schöne Tradition.“ „Ja …“ erwiderte Naoko leise. „Ihr hattet damals wahnsinniges Glück.“ fuhr Oda fort und besah sich den toten Arm. „Ja. Ich erinnere mich nicht mehr an viel. Nur, dass Sora mir später erzählte, dass sie keinerlei Schmerz empfunden hatte. Obwohl ihr Körper von Splitter übersät war.“ Auch er richtete seinen Blick auf die metallene Konstruktion. Wäre die Explosion nicht gewesen, hätten sie Soras Krankheit vielleicht erst viel später bemerkt. Ein lauter Pfiff und allgemeines Gemurmel erfüllte die Kantine. „Essenszeit vorbei! Alle wieder in die Zellen!“ brüllte einer der Wachmänner und ließ dabei seinen Knüppel in der Hand kreisen. „Na komm.“ seufzte sein Onkel, erhob sich und Naoko tat es ihm gleich. Die nächsten vier Stunden würden sie in ihren Zellen verbringen, ehe man sie für ein wenig Bewegung in den Hof entlassen würde. Die letzten Wochen hatte er damit verbracht, den anderen Insassen beim Basketball spielen zuzusehen, doch diesmal würde es anders laufen. Als sie sich in die Schlange mit den anderen eingegliedert hatte, spürte Naoko, wie ihm jemand einen kleinen, metallenen Gegenstand in die Hand drückte. Noch bevor er sich umdrehen konnte, überholte sein Onkel ihn und flüsterte zu ihm: „Mach sie sauber, du wirst sie brauchen.“ Dann verschwand er in der Menge. Später in der Zelle stellte sich der Gegenstand als kleiner Schraubenzieher heraus und das ließ ihn wieder ein wenig hoffen. Es war Zeit, etwas zu ändern. Als die Wachen verschwunden waren, wollte der irre Tony seine normale Show abziehen, doch kam Naoko ihm zuvor. Für diesen Idioten brauchte er nur seinen linken Arm. Geschickt wandte er das Messer aus dessen Hand und mit einem lauten Krachen landete Tony auf den harten Boden der Zelle. „Nein bitte! Ich mach doch nur Spaß!“ winselte er, doch schenkte Naoko ihm keine Beachtung mehr. Stattdessen setzte er sich an den kleinen Spiegel über dem Waschbecken und setzte die Klinge an seinem Kopf an. „Machst du dich etwa fein für eine ganz besondere Person in deinem Herzen?“ wimmerte der Mann, sichtlich um Witz und Deeskalation bemüht. Naoko besah sich den mit einem Holzgriff versehenen Splitter. „So in etwa." erwiderte er nüchtern und setzte die Klinge wieder an. Kapitel 32: Die Schwester meines Feindes ---------------------------------------- „Alles klar, Baymax. Bist du bereit?“ Erwartungsvoll blickte er zu dem Roboter, der ihm nüchtern wie eh und je sagte: „Meine Sensorik läuft immer.“ Sofort schob Hiro den Chip in die Halterung und drückte diese hinein. Baymax erhob den Kopf, surrte kurz und sagte dann: „Auswertung der Daten abgeschlossen. Update wird in meine Datenbank aufgenommen.“ „Klasse!“ rief Hiro und wies auf den Tisch, auf dem er allerlei Einzelteile eines von Gogos ehemaligen Fahrrädern ausgebreitet hatte. Aufmerksam besah sich der Roboter die Teile und man konnte es regelrecht sehen, wie das Programm in seinem Kopf zu surren und arbeiten begann. „Scan abgeschlossen. Beginne mit Phase zwei.“ Beherzt griff er zu und begann die Teile wie wild hin und her zu stecken. Drehte mal hier, mal da. Nahm sich den Hammer, dann den Schraubendreher und die Radpumpe. „Ja!“ Hiro biss sich vor Freude auf die Unterlippe, bis Baymax mit einem Mal zum Bunsenbrenner griff. „Moment! Wofür …?“ Noch ehe er den Satz vollständig aussprechen konnte, schoss bereits eine Stichflamme an Baymax‘ Gesicht vorbei und mit einem lauten ‚Peng‘ platzte die Vinylhülle an seinem Kopf. Hiro klatschte sich mit der Hand ins Gesicht und schrieb eine Notiz auf den bereitgelegten Zettel: Baymax feuerfest machen Genervt wandte er sich wieder an den Roboter: „Zeig mal, was du hast.“ Baymax‘ Fratze sah ohne das Vinyl ziemlich unheimlich aus und das geschmolzene Material, das sich auf all die Drähte und Schläuche niedergelegt hatte, machte das Ganze nicht besser. Zumindest war es nur die Hülle gewesen, der Rest schien intakt. Der Roboter drehte sich zu Hiro um und präsentierte ihm einen … „Rollstuhl?“ Hiro war irritiert. Bei genauerer Betrachtung war das nicht mal ein Rollstuhl, sondern kam eher einem Blumentopf mit Rädern gleich. Und die ganzen Rohre und Stangen hatte er mit dem zerlegten Gerüst in eine Art Busch verschweißt. Hiro konnte nicht anders, als sich noch einmal an die Stirn zu fassen und laut auszuatmen. „Test 37: Fehlschlag.“ murmelte er. Vielleicht könnte er, wenn nichts funktionieren würde, Baymax‘ Werke wenigstens als moderne Kunst verkaufen. Das wäre dann zumindest ein kleiner Gewinn. Hiro nahm das Gebilde, welches ihm der Roboter entgegenhielt und pfefferte es in die Ecke, in der die vorangegangenen Misserfolge bereits einen ordentlichen Berg an Schutt verursachten. Ich brauch ne Pause dachte er sich genervt. Er wusste, dass der Fehler im Algorithmus lag, doch immer, wenn Hiro glaubte, den Fehler gefunden zu haben, traten drei oder vier neue auf. Kein Wunder, dass Tadashi an manchen Abenden so fertig und genervt von der Uni kam Vielleicht würde ihm eine Cola oder ein anderes Getränk ganz gut tun. „Warte du hier. Ich bin gleich wieder da.“ sagte er noch zu dem Roboter und verließ dann sein Labor. Wie mechanisch lenkte er seine Schritte in Richtung des Getränkeautomaten, von dem er wusste, dass er am Ende des Ganges stand. Im Labor war es weitestgehend ruhig. So kurz vor Beginn des Wintersemesters waren nur wenige Studenten in der Universität und Hiro genoss diese Stille, in der er in aller Ruhe an seinen Ideen tüfteln konnte, auch wenn dieses Labor nichts im Vergleich zu dem auf der Insel von Freds Vater war. Im Vorbeigehen ließ er noch einen kurzen Gruß bei Wasabi und Honey, die völlig in ihre Arbeit vertieft waren. Fred hingegen lag mit einem seiner zahlreichen Comics auf dem Gesicht liegend in seinem Sessel und schlief. Hiro musste grinsen. Auch er war etwas müde, hatten sie doch die gestrige Nacht noch damit zugebracht, eine Verfolgungsjagd mit drei Geiselnehmern und der Polizei zu beenden. Das Heldenleben war ohne Zweifel mit das Beste an seinem Leben, doch hin und wieder konnte es auch ziemlich anstrengend sein. Er hatte den halben Weg bereits hinter sich gebracht, als zwei Gestalten um die Ecke kamen. Erst beim zweiten Blick sah er, dass eine davon im Rollstuhl saß und die andere diesen schob. Erst als sie näher kamen, erkannte er Gogo. „Hey Hiro.“ fing die kleine Frau an und blies dabei ihre Kaugummiblase auf. Hiro hob irritiert die Hand, als die Person im Rollstuhl, ein junges Mädchen, ein vorsichtiges „Hallo.“ vernehmen ließ. Es war eine seltsame Situation und aus irgendeinem unerfindlichen Grund sträubten sich Hiro beim Anblick der jungen Frau im Rollstuhl die Nackenhaare. „Darf ich vorstellen?“ fing Gogo in ihrer gewohnt teilnahmslosen Weise an. „Das ist Sora.“ Erst jetzt bekam das unbehagliche Gefühl einen Ursprung. Erst jetzt erkannte er diese hellen, blauen Augen, gleich wie bei ihrem Bruder. Er spürte, wie sich ein dicker Kloß in seinem Hals bildete. Was soll das? schoss es ihm durch den Kopf. Was soll sie hier? „Ähm …“ Er wusste nicht, was er sagen, geschweige denn jetzt tun sollte. Warum brachte Gogo sie hierher? „… freut mich.“ brachte er vorsichtig hervor, bemüht, nicht allzu forsch zu klingen. Immerhin war dieses Mädchen nicht ihr Bruder. „Sora hat sich im Krankenhaus gelangweilt, daher habe ich sie mitgebracht.“ fügte Gogo hinzu, als wäre es das normalste auf der Welt. Hiro wusste, dass Gogo die letzten Wochen damit verbracht hatte, sie in der Uniklinik zu besuchen und das hatte ihn beileibe auch nicht gestört, aber auch nur, weil sie ihn da nicht mit reingezogen hatte. „Komm, ich zeige dir das Labor.“ Ohne Hiro eines weiteren Blickes zu würdigen, schob Gogo Sora an ihm vorbei ins Labor und ließ den verdutzten Hiro alleine im Gang stehen. Irgendwie war ihm der Durst vergangen und wütend stapfte er den beiden hinterher. Als er den Blick in Richtung Honeys Chemieaufbau warf, sah er auch schon, wie die beiden überschwänglich von der großen Frau begrüßt wurden. Genervt seufzte Hiro. Er hatte gar nicht bemerkt, dass Wasabi nun neben ihm stand und neugierig die Szenerie beobachtete. „Hab ick wat verpasst?“ warf er sich den Kopf kratzend in den Raum und Hiro versenkte seine Hände in den Hosentaschen. „Das ist seine Schwester.“ zischte er als Antwort und ging an dem Riesen vorbei. Es war vermutlich das Beste, dieser Sora aus dem Weg zu gehen, auch wenn er sich seine Abneigung ihr gegenüber nicht ganz erklären konnte. Er wusste doch gar nicht, ob sie wie ihr Bruder war. „Ich registriere eine neue Person im Labor.“ warf ihm der Roboter entgegen, als er sein Labor betrat. „Ja.“ erwiderte der Junge nur knapp und beließ es dabei. Er hatte jetzt andere Sorgen. „Komm mal her, Großer.“ forderte er den Roboter auf, während er sich Werkzeug und Stuhl schnappte. Als er aus seinem Vorratsschrank den Rest seiner Vinylvorräte hervorhob, musste er erkennen, dass es wohl langsam Zeit wurde, neues zu besorgen. Bei dem Gedanken klopfte er sich mit dem Daumen gegen die Stirn und murmelte: „Feuerfest.“ In letzter Zeit tat er das immer und es schien fast so, als würde ihm das zuweilen helfen. Er stieg auf den Stuhl und begann, mit dem Schraubenzieher die geschmolzenen Reste des Roboterkopfes von der Hydraulik und den Kameras zu kratzen. Ganz vorsichtig und darauf bedacht, keine empfindliche Sensorik zu zerstören. Als er gerade dabei war, das neue Vinyl um die Hyperspektralkameras zu befestigen, hörte er, wie die Tür zu seinem Labor geöffnet wurde. Hiro sah nicht hin, doch hörte er das beinahe lustlose Aufblasen einer Kaugummiblase und Hiro wusste genau, wer da stand. „Kann ich dir helfen?“ fragte er höflich, doch konnte er die Schärfe in seiner Stimme nicht völlig verbergen. Auch Gogo schien das bemerkt zu haben: „Warum versteckst du dich?“ fragte sie ihn unverblümt und schloss die Tür hinter sich. Hiro seufzte genervt auf. „Ich verstecke mich nicht. Ich habe zu tun.“ „Läuft der Reparaturscan immer noch nicht?“ wollte Gogo wissen und war an den Schreibtisch mit ihren ehemaligen Fahrradteilen herangetreten. Nein grummelte Hiro in sich hinein. Als er die letzten Verbindungen verklebt hatte, konnte Baymax mit dem Aufpumpen beginnen, was er prompt tat. Leichtfüßig sprang der Junge vom Stuhl und legte seine Werkzeuge zurück. Erst dann wandte er sich an Gogo: „Was macht sie hier?“ Gogo hob eine Augenbraue. Hiro kannte diesen Blick und wusste, was er zu bedeuten hatte. „Was hast du vor?“ Sie blies wieder ihre Blase auf und ließ sie wieder platzen. „Du hast dem Plan von Freds Vater zugestimmt. Du bist damit ebenfalls für sie verantwortlich.“ Hiro schüttelte verächtlich den Kopf. „Ich kann nichts für die Verbrechen ihres gestörten Bruders, warum sollte es mich also interessieren?“ Hiro nahm bewusst keine Rücksicht auf Gogos Gefühle gegenüber diesem Kerl. Er hatte die beiden auf diesem Ballon gesehen, kurz bevor er selbst dort gelandet war. Doch Gogo verzog keine Miene, sah ihn stattdessen nur stur an. „Seine Festnahme liegt nun schon vier Wochen zurück und alles, was dieses Mädchen noch hat, sind die weißen, kalten Wände der Uniklinik.“ Hiro erinnerte sich, dass das Gericht vor knapp zwei Tagen das erste Verfahren beendet hatte. Er hatte es noch am selben Abend von Tante Cass erfahren, die dieses in den Nachrichten gesehen hatte. Soweit es Hiro mitbekommen hatte, war niemand aus seiner Familie dabei gewesen, als der Staatsanwalt Naoko das Strafmaß von sechzehn Jahren Haft androhte. Laut Cass hatte er sich unter einem dicken Pullover und Kapuze versteckt und keinerlei Regung gezeigt. Er war allein mit seinem Onkel gewesen, der für etwa zwanzig Jahre hinter Gittern sitzen würde, sollten sie verurteilt werden. Hiro war zu sehr von ihm enttäuscht gewesen, als dass er Mitleid mit ihm gehabt hätte. Verraten hatte er sie alle und seine Tante entführt. Bestohlen hatte er sie und ihnen allen wehgetan. Warum sollte es ihn kümmern, was nun aus ihm werden würde? „Meine Sensoren ermitteln einen Anstieg von Adrenalin und Noradrenalin. Hiro, hast du Angst?“ unterbrach ihn mit einem Mal der Roboter und blickte den Jungen mit seinen schwarzen Knopfaugen von oben herab an. Hiro ließ als Antwort nur ein Schnauben vernehmen. Sollten sie doch alle denken, was sie wollten. Er würde sich da raus halten. Er wuselte an Baymax wieder vorbei an seinen Schreibtisch. „Hier steckst du.“ Die Stimme Soras schallte durch das Labor, doch versuchte Hiro sie zu ignorieren. Während er begann, teilnahmslos seinen Schreibtisch zu ordnen und die darauf wild verstreuten Papiere und Notizen in die Schublade zu bugsieren, sah er aus dem Augenwinkel, wie sie die Tür hineingerollt kam, direkt auf Gogo zu. „Wow! Was ist das?“ rief sie mit einem Mal aus und neugierig wandte Hiro seinen Blick zu ihr. Inzwischen stand Baymax vor ihr und hob in seiner minimalistischen Art die rechte Hand und sagte: „Hallo, ich bin Baymax, dein persönlicher Gesundheitsbegleiter.“ Mit leuchtenden Augen besah sich das Mädchen den Roboter von oben bis unten und drückte gegen seine Hülle. „Vinyl?“ fragte sie neugierig und wie mechanisch erwiderte Hiro: „Ja. Er soll einen harmlosen und knuffigen Eindruck machen.“ Gogo hatte sich unterdessen auf einen der Stühle zurückgezogen und besah die Szenerie. Hiro war an die Beiden herangetreten und beobachtete, wie Sora den Roboter studierte. „Hyperspektralkameras?“ „Yep.“ Sofort nach der Antwort drückte sie ihr Gesicht gegen Baymax Bauch. Hiro wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte, doch gefiel es ihm, welches Interesse sie an Baymax zeigte. „Da ist ja weniger drin, als ich dachte.“ fuhr sie fort und Hiro konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie erhob ihren Blick und sah ihn erwartungsvoll an. „Wie groß ist der Algorithmus für seine KI?“ fragte sie mit einem Mal. Der Hamada war überrascht und trat etwas näher heran. Er wusste nicht, wie er es ihr möglichst einfach erklären sollte, als sie weiter fragte: „Verfolgst du im Zusammenspiel mit den Hyperspektralkameras die Simulationsmethode oder eher die phänomenologische Methode?“ Hiro hob eine Augenbraue. „Phänomenologische…“ erwiderte er zögernd. „Er soll schnellstmöglich auf das Ergebnis kommen.“ „Ich wurde zur Diagnose von Gebrechen und Krankheiten, sowie zur ersten Hilfe und Krankenpflege konzipiert.“ schaltete sich nun Baymax ein. „Du bist also ne Krankenschwester?“ folgerte das Mädchen und Hiro öffnete den Mund, um zu antworten, doch kam ihm Gogo zuvor: „Er kann viel mehr als das.“ Nervös zuckte Hiro mit den Händen in ihre Richtung. Verplappre dich nicht „Ich kann auch Karate.“ fügte Baymax hinzu. Irritiert sah Sora zu Hiro. „Eine kämpfende Krankenschwester?“ Hiros Kopf raste, als ihm mit einem Mal die rettende Antwort einfiel: „Ich füttere seinen Algorithmus nur mit verschiedenen Szenarien, um die Grenzen seiner Möglichkeiten zu testen und sie, wenn möglich, zu überwinden.“ Hiro grinste siegessicher, doch nervös. „Das steigert die Einsatzmöglichkeiten für ihn.“ Baymax hob mahnend den Finger: „Meine Programmierung verhindert, dass ich Menschen verletze.“ Nun sah Sora ihn und Hiro abwechselnd skeptisch an. „Ziemlich unpraktisch zur Verbrechensbekämpfung.“ „Er ist ja auch primär nur ein Diagnoseroboter für …“ wollte Hiro ablenken, doch unterbrach Sora ihn sofort wieder: „Kann er rausfinden, was ich habe?“ Eine seltsame Stille breitete sich im Zimmer aus, als sie diese Worte aussprach. Hiro wusste nicht, was er antworten sollte, und Gogo schwieg dazu. Nur Baymax durchbrach das Schweigen: „Auf einer Skala von eins bis zehn, wie bewertest du deinen Schmerz?“ Offensichtlich spulte er bereits sein übliches Programm ab. „Das ist es ja gerade, ich spüre keinen Schmerz.“ gab Sora schüchtern zu. „Ich scanne dich jetzt.“ Ein kurzes Surren folgte. „Scan abgeschlossen.“ Sora schien dem Ergebnis entgegenzufiebern und biss sich auf die Unterlippe. „Dein Körper ist bei guter Gesundheit, doch die mangelnde Muskulatur an deinen Beinen ist ein Zeichen von zu wenig Bewegung. Du solltest mehr Sport treiben.“ Hiro konnte nicht sagen, was sie in diesem Moment dachte, doch war es ein flaues Gefühl, welches sich in seinem Bauch ausbreitete. Als sie den Blick senkte und ein leises: „Danke.“ flüsterte, konnte er nicht anders, als Mitleid zu empfinden. Er konnte es sich in seinen schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen, wie es wäre, wenn das Schicksal ihn an diesen Stuhl gefesselt hätte. „Es … tut mir leid.“ stammelte er wie in Trance und Sora hob den Kopf. „Er ist noch nicht ausgereift.“ beendete er den Satz und sah zu dem Roboter auf. Tadashi hatte nicht genug Zeit Zu Hiros Überraschung setzte sie ein Lächeln auf und kicherte leise. „Dieser Roboter ist unglaublich!“ grinste sie ihn schelmisch an. „Wie heißt er?“ „Bay … Baymax.“ stammelte Hiro und spürte, wie seine Wangen zu glühen begannen. „Baymax heißt du also.“ richtete sie sich wieder an den Roboter. „Du warst ein braves Mädchen. Hier hast du einen Lolli.“ trällerte der Roboter und hielt ihr die kleine Süßigkeit hin. „Woher hast du …?“ begann Sora, doch brach sie mitten im Satz ab und nahm sich das kleine Geschenk, packte es achselzuckend aus und steckte es in den Mund. Geräuschvoll erhob sich nun Gogo von ihrem Platz. „Ich setze mich wieder an mein Rad.“ gähnte sie gelangweilt in die Runde und fügte hinzu: „Wenn du in dein Zimmer willst, sag Bescheid. Ich bringe dich dann zurück.“ Mit diesen Worten verließ sie das Büro. Nur Sekunden später wandte sich Sora wieder Hiro zu und fragte voller Elan: „Was baust du noch?“ „Äh …“ fing Hiro an und kratzte sich verlegen am Kopf, ehe er begann ihr von seinen früheren Werken zu erzählen. Die zahlreichen Bots, mit denen er an vielen illegalen Wetten teilgenommen hatte. Die Microbots, mit denen er es geschafft hatte, in die Uni zu kommen und wie er letzten Endes das Projekt seines Bruders übernommen hatte. Als er geendet hatte, philosophierten die beiden eine Zeit lang über das Für und Wider künstlicher Intelligenz, bei dem Hiro sich langsam eingestehen musste, dass das Mädchen wusste, wovon es sprach. Nachdem sie mit einem Kompromiss geendete hatten, dass es sowohl Nachteile wie Vorteile brachte, legte sich Stille über das Labor und Sora beobachtete mit gebanntem Blick, wie Hiro sich wieder an Baymax´ Quellcode für den Reparaturscan zu schaffen machte. Die Minuten schienen zu verrinnen wie Sand in offenen Händen und Hiro vergaß beinahe seine Abneigung ihr gegenüber, bis sie ihn mit einem Mal fragte: „Was machst du nach der Uni?“ Hiro atmete hörbar aus und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Um ehrlich zu sein …“ begann er zögerlich und sah zu Baymax hinüber. „… Habe ich mir das noch nicht wirklich überlegt.“ Vielleicht bleibe ich ja an der Uni und forsche weiter Er unterbrach seinen Gedankengang und fragte stattdessen: „Was ist mit dir?“ Sora hob den Kopf und überlegte angestrengt, was man nur allzu deutlich an ihrem starren Blick erkennen konnte. Dann mit einem Mal sah sie ihm in die Augen und erwiderte: „Mein Ziel ist es, das neue Jahr zu erleben!“ Sie grinste über beide Ohren und Hiro konnte nicht anders, als ihr Lächeln schüchtern zu erwidern. „Wenn mein Herz und meine Lunge versagen, soll ich an eine Maschine angeschlossen werden." Hiro war über diesen plötzlichen Themenwechsel überrascht, doch erkannte er, was sie sagen wollte. „Aber das wirst du nicht tun.“ Sie sah ihn nicht an, sondern ließ ihren Blick durch das Labor schweifen und lächelte dabei so unschuldig und traurig zugleich, dass ihm für einen Moment das Herz versagte. „Ja.“ sagte sie nur. „Er weiß es noch nicht, doch ich will, dass, wenn mein Körper letztlich versagt, dass dies auch endgültig sein soll.“ Sie lachte schüchtern und sah ihn aus tiefen, blauen Augen heraus an. „Verstehst du das?“ Hiro versuchte es, doch konnte er sich nicht vorstellen, wie er an ihrer Stelle reagieren würde. „Du gibst also auf?“ war das erste, was ihm durch den Kopf schoss und ohne darüber nachzudenken, sprach er es aus. Als er begriff, was er gerade gesagt hatte, erschrak er und begann stotternd sich zu entschuldigen. Sie lächelte ihn nur warm von der Seite an. „Das hat mit Aufgeben nichts mehr zu tun.“ begann sie nachdenklich und legte einen Finger an ihr Kinn. „Eigentlich bin ich viel zu stur um aufzugeben.“ Sie machte eine kurze Pause und sah zu dem stillen Roboter hinüber. „Allerdings weiß ich, wann ich verloren habe und alles, was ich noch will, ist, in Würde zu gehen. Dass ich das noch entscheiden kann.“ Hiro spürte, wie ihm der Mund trocken wurde und er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Die Stille, die ihre Stimme hinterließ, wurde von dem gleichmäßigen Klacken der Uhr untermalt. „Das ist doch Schwachsinn.“ erwiderte Hiro, wieder ohne nachzudenken. Doch diesmal entschuldigte er sich nicht dafür. „Was ist mit den Menschen, die dich lieben? Die dich brauchen?“ Er konnte es sich nicht erklären, doch machten ihn diese Worte von Sora unglaublich wütend. „Was ist mit ...“ Er schluckte. „... mit deinem Bruder?“ Einen kurzen Moment sahen braune in blaue Augen, bis sie den Blick abwandte und nachdenklich auf den Boden sah. „Er wird es verstehen müssen.“ Hiro war sich sicher in ihrer Stimme einen Hauch von Wut zu hören. „Ich kann nicht immer für ihn da sein.“ Sie hob den Blick wieder und sah Hiro an. „Er braucht mich mehr, als ich ihn.“ Hiro mochte ihr das gerne glauben, doch konnte er sich nicht vorstellen, dass das alles so spurlos an ihr vorbeiging. Als sie wieder auf den Bildschirm sah, ließ Hiro seinen Blick über ihre Beine schweifen, welche leblos an den Stuhl gebunden waren. Genervt rieb er sich über die Stirn und er seufzte laut. „Alles in Ordnung?“ „Neuraltransmitter …“ murmelte Hiro nur als Antwort und erhob sich vom Stuhl. „Was hast du vor?“ Doch Hiro antwortete nicht, sondern machte sich an die Arbeit, um seiner Idee eine Gestalt zu geben. Kapitel 33: Kalte Novembertage ------------------------------ „Meine Güte! Stan, bist du das?“ Der ältere Herr hinter dem Schreibtisch hob überschwänglich die Arme in die Luft und seine Krawatte dabei fast mit. „Bob, alter Freund.“ erwiderte Mr. Zilla mit etwas ruhigerem, wenn auch nicht weniger fröhlichem Tonfall. Der Direktor trat an ihn heran und reichte ihm die Hand, welche der alte Mann sofort ergriff und eifrig schüttelte. „Es ist so schön, dich zu sehen. Komm rein.“ Der Direktor nahm ihn in die Arme, führte ihn in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Der Raum roch nach Tabak und Eisen. Die Wände waren mit Gewehren verschiedenster Marken und Jahrhunderte geschmückt und der Schreibtisch war beladen mit Papier. Genauso, wie Stan es in Erinnerung hatte. Der kleine Mann wies ihn an, auf einem der zwei ledernen Sitze vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, und setzte sich selbst in seinen Bürostuhl. „Wie lange ist das jetzt her, Stan? Zehn Jahre? Zwanzig?“ fragte er ihn und Stan schmunzelte. „Zehn ist richtig, Bob.“ Für ihn selbst fühlte es sich eher nach einem Jahrhundert an, seit er das letzte Mal in diesem Raum gesessen hatte. „Damals waren die Hälfte meiner Insassen nur deinetwegen hier.“ lachte Bob und zog an einer der Schubladen seines Schreibtisches. Heraus nahm er eine alte Whiskyflasche und zwei Gläser. „Noch immer dieser Rauchige?“ fragte Stan. Seit er ihn kennengelernt hatte, trank dieser Mann immer denselben Whisky. So im Nachhinein, fiel Stan auf, hatte er ihn noch nie Wasser trinken sehen. „Nur das Beste, alter Freund.“ Sofort stellte er die Gläser ab und füllte sie mit der orangefarbenen Flüssigkeit. Stan hob abwehrend die Hände. „Tut mir leid, aber ich bin eigentlich nicht zum Trinken gekommen.“ Sein Gegenüber ignorierte diesen Einwurf und reichte ihm das Glas. „Ich weiß, ich weiß. Aber der Junge rennt dir ja nicht weg.“ gluckste Bob über seinen eigenen Witz, nahm einen kräftigen Zug und leerte das Glas. „Allerdings hast du mir auch noch nicht verraten, warum du ihn sprechen willst. Ich meine, du verschwindest in deinen Ruhestand, wohlverdient, möchte ich anmerken, und dann auf einmal tauchst du wieder auf und willst diesen kleinen Gauner sprechen. Du hast dich doch noch nie wirklich für deine Gefangenen interessiert, wenn sie einmal hinter Gittern waren.“ Der Direktor überlegte kurz, ehe er fortfuhr: „Nein, das stimmt nicht. Da war einer ... wie hieß er doch gleich?“ „Er hatte sich Banshee genannt.“ fügte Stan hinzu und nahm einen kleinen Schluck. Der Whisky brannte angenehm in seiner Kehle. „Genau! Den hast du auch verhört. Hast ihn beinahe tot geprügelt.“ grinste Bob fröhlich. „Irgendetwas wolltest du von ihm wissen.“ Stan grummelte ein wenig. Zu präsent war die Erinnerung an diesen Tag. „Er hatte meinen treuen Butler entführt.“ murmelte Stan ruhig. Das war gelogen. Eigentlich war es seine Frau gewesen, doch erinnerte er sich nicht allzu gerne daran, wie verletzlich er doch gewesen war. „War es das?“ Der Direktor sah ihn ratlos an, bis er dann meinte: „Dein Gedächtnis ist wahrscheinlich besser als meins.“ Er gluckste noch einmal leise und wurde dann wieder ernst. „Also, was willst du von dem Jungen?“ Stan schaute nachdenklich auf das Glas in seiner Hand. Er wusste nicht, ob er seinen alten Freund ins Vertrauen ziehen sollte oder ob es nicht ratsamer wäre, sich eine Geschichte auszudenken. Mit einem Mal fiel ihm dann etwas ein. „Erinnerst du dich an Schatten?“ Bob sah ihn ungläubig an. „Der Junge?“ Mit einem vorsichtigen Lächeln auf den Lippen schüttelte Stan den Kopf. „Nein, nein. Dafür sollte er etwas zu jung sein. Allerdings hat er die Ausrüstung von Schatten benutzt und ich will wissen, woher er sie hat und was ihn dazu bewogen hat, dessen Weg einzuschlagen.“ Er nahm noch einen Zug und leerte das Glas. Geräuschvoll stellte er es auf dem hölzernen Schreibtisch ab. Er sah den Direktor abschätzend an und war sich sicher, dass dieser seine nicht vollständig gelogene Geschichte abkaufen würde. „Ich verstehe. Nun, das ist tatsächlich ein guter Grund.“ erwiderte Bob nachdenklich. „Was ist mit seinem Partner? Ich hörte, er ist auch hier.“ fuhr Stan fort und sah sein Gegenüber ernst an. „Natürlich.“ nickte Bob eifrig und genehmigte sich noch einen Zug. Als er Stan die Flasche anbot, lehnte dieser mit einer höflichen Handgeste ab. „Gut verwahrt, wie der Junge. Hier kommt keiner so schnell raus, das weißt du.“ Stan seufzte innerlich. Es stimmte. In all den Jahren hatten es nur zwei Insassen bis hinter die Mauern dieses Gebäudes geschafft und diese waren nicht weit gekommen. Doch beruhigte ihn das nicht. Er wusste um die Gefahr für die Gruppe, die von dem Onkel ausging und er fürchtete, dass ihm sein Neffe beim Ausbruch helfen würde. „Daran zweifle ich auch nicht.“ Stan erhob sich vorsichtig aus dem Sessel. „Wenn du keine weiteren Einwände haben solltest, würde ich jetzt gerne den Jungen sehen.“ Eifrig erhob sich auch der Direktor und schritt an Stan vorbei zur Tür. „Natürlich, folge mir.“ Als sie aus der Tür hinaus traten, griff Bob an seinen Gürtel und zog ein kleines Telefon aus der Tasche, die daran hing und bei jeder Bewegung seiner breiten Hüften mitschwang. „Hier spricht Direktor Franklin. Bringt mir den Gefangenen mit der Nummer 7886 in das dritte Verhörzimmer.“ gab er durch und ein knappes „Ja, Sir.“ rauschte aus dem Hörer. Wenn es um Nummern und Zahlen ging, so wusste Stan, war dieser kleine Mann ein Genie. Doch hatte er nie wirklich verstanden, warum sein alter Freund seine Gefangenen nie namentlich erwähnte. Er führte Stan durch die Gemäuer der Anstalt, vorbei an zahlreichen Zellen mit Insassen, so unterschiedlich wie Steine an einem Strand. Im Vorbeigehen erkannte der alte Mann so manch einen von ihnen wieder. All diese Gesichter lösten in ihm eine seltsame Mischung aus Genugtuung und Wut aus, wenn er sich bei manchen von ihnen daran erinnerte, wie er sie aufgehalten hatte. Auch wenn sie ihn kritisch beäugten, kennen konnte niemand seine Identität. Nach einem schier endlosen Marsch, standen sie schließlich vor einer eisernen Tür. Eine schwerbewaffnete Wache stand davor, die Schrotflinte in der Hand. Eifrig salutierte der Mann, als die beiden sich näherten. „Guten Morgen, James.“ begrüßte ihn Bob und erwiderte seinen Salut. „Guten Morgen, Sir. Der Gefangene wartet drinnen.“ „Ist er gesichert?“ wollte der Direktor wissen, als er die Hand auf die Klinke legte. Der Wachmann nickte. „Natürlich, Sir.“ Der Raum, der sich ihnen öffnete, war klein und spärlich beleuchtet. Ein einzelner Tisch mit zwei gegenüberstehenden Stühlen war in der Mitte des Raumes am Boden fest verschweißt worden und eine Kamera war in der linken, oberen Ecke installiert worden, deren Linse nun surrend auf die Tür gerichtet wurde. Der Junge indes saß ruhig auf einem der Stühle, gehüllt ein eine weite, orangefarbene Hose und ein schäbiges Unterhemd. Sofort sprang Stan die stählerne Prothese ins Auge, die an Handschellen an seiner anderen Hand befestigt war. Er wandte sich wieder Bob zu. „Wenn du erlaubst.“ Zuerst sah dieser ihn fragend an, verstand dann jedoch und schritt wieder Richtung Tür. „Du hast zehn Minuten.“ mahnte er ihn. „Ruf, wenn du etwas brauchst. James steht zu deiner Verfügung.“ Mit einem eisernen Knall schloss sich die Tür hinter ihm. Stan steckte seine Hände in die Hosentaschen und musterte den jungen Mann eingehend. Er war ganz anders, als die Freunde ihn beschrieben hatten. Seine Haare waren an den Seiten geschoren worden und er hatte die oberen zu einem Zopf zusammengebunden. Die Stellen der Haut, die das Hemd offen ließ, zeigten eine ausgeprägte Muskulatur, gezeichnet von einigen Narben und Schrammen. Sein Blick war starr auf den Tisch gerichtet, ernst, ohne jede Fröhlichkeit. Er schien Stan gar nicht zu beachten. „Du bist anders, als man mir dich beschrieben hatte.“ fing der alte Mann schließlich an, setzte sich ihm gegenüber und das Quietschen des kleinen Stuhles erfüllte den kleinen Raum. Der Junge erwiderte nichts und sah ihn nur von unten herauf mit seinen eisblauen Augen an. Ein kurzer Schauer durchfuhr ihn, doch fing er sich rasch wieder. „Naoko Yamoro, richtig?“ Der Angesprochene nickte verhalten und wandte sich dann wieder dem Tisch zu. „Was wollen Sie von mir?“ sprach er schließlich in einem ernsten Ton, ohne den Blick zu heben. „Antworten, mein Junge.“ Naoko hob den Blick und sah ihn an. „Ich bin nicht Ihr Junge.“ sagte er ruhig, beinahe anteilnahmslos. Seine Handschellen klickten leise, als er sich zurücklehnte und die Hände in den Schoß fallen ließ. „Und ich habe keinen Grund, mit Ihnen zu reden.“ fuhr er kalt fort. Stan war irritiert. Nichts von dem, was man ihm über den jungen Mann erzählt hatte, stimmte. Wie konnten sich die Kinder so irren? „Wieso glaubst du das?“ fragte er Naoko, seine Einwände ignorierend. Dieser antwortete nicht, sah ihn nur still an. Stan versuchte, seinen Blick zu erwidern, doch musste er sich eingestehen, dass es in ihm Unbehagen auslöste. Er spürte das Alter. Die Zeiten, in denen Schurken schon allein wegen seines Namens anfingen zu schlottern, waren wohl längst vorbei, auch wenn es daran liegen konnte, dass dieser Junge ihn gar nicht kannte. „Deine Freunde haben mir von dir erzählt ...“ fuhr er vorsichtig fort und legte seine Hände ineinander. Bei dem Wort "Freunde" glaubte Stan, dass seine Augen geflackert hätten, doch verdrängte er diesen Gedanken schnell wieder. „Du seist ein friedvoller, freundlicher junger Mann. Fokussiert auf seine Arbeit und seinen Sport. Hilfsbereit und offen.“ Naoko schnaubte kurz, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. „Wenn Sie hier sind, um ein Profil für mich anzulegen, gehen Sie zum Gefängnispsychologen.“ Er hob den Kopf wieder und sah Stan an. „Der hat es auch schon versucht.“ „Verstehe.“ erwiderte Stan ruhig. Es folgte ein Augenblick der Stille und Stan konnte schwören, dass der Junge ihn genau inspizierte. Er wägt seine Chancen ab Er kannte diesen Blick und, damals wie heute, ließ dieser ihn erschaudern. Der Blick eines Raubtieres Stan verstand das alles nicht. Das passte alles nicht zusammen. „Du bist nun seit beinahe zwei Monaten hier drin.“ fing er vorsichtig an, doch zeigte sein Gegenüber keine Reaktion. Eigentlich hatte er vorgehabt, etwas subtiler und geruhsamer vorzugehen, doch musste er den Jungen irgendwie aus der Reserve locken. „Hast du dich noch nicht gefragt, warum dich deine Schwester nicht besuchen kommt?“ Äußerlich verzog Naoko keine Miene, doch hatte er in all den Jahren als Held gelernt, auch die kleinsten Bewegungen im Gesicht zu erkennen, auch wenn seine Sehkraft allmählich nachließ. Doch diesmal sah er das Flackern in seinen Augen. „Momentan befindet sie sich noch in unserer Obhut …“ plapperte Stan unberührt weiter, doch ließ er den Jungen nicht aus den Augen. Tatsächlich konnte er unter seinen Wangen sehen, wie dieser langsam aber sicher anfing, die Zähne aufeinanderzupressen.   „Hast du all das für deine Schwester getan?“ Diesmal fiel die Reaktion etwas heftiger aus. Seine Finger zuckten und der Blick wurde für einen kurzen Moment finsterer. Stan wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. „So wie es aussieht, hat sie wohl nicht mehr lange.“ Der Junge hob vorsichtig den Blick und Stan konnte deutlich das Knirschen seiner Finger hören, als er diese zur Faust ballte. „Hast du es wegen des Geldes getan?“ hakte Stan weiter nach und beobachtete ihn dabei genau. „Wolltest du ihre Krankenhauskosten damit bezahlen?“ Seine Augenlider zuckten nervös und er wandte den Blick wieder dem Tisch zu. Durch die Lampe an der Decke fiel der Schatten genau auf seine Stirn und verbarg seinen Blick in Dunkelheit. Stan überlegte kurz und beschloss, es erstmal dabei zu belassen. Nachdenklich tippte er mit den Fingern auf dem Tisch herum. Er war noch keinen Schritt näher gekommen, außer dass er nun wusste, wie er den Jungen vielleicht aus der Reserve locken könnte. „Ich weiß, dass die Krankenhauskosten ziemlich hoch sind, vor allem bei einem derartigen Fall wie deiner Schwester.“ Er machte eine kurze Pause, um dem Jungen die Möglichkeit zu geben, nachzudenken. Seine Schwachstelle war einfach zu nutzen, doch wusste er aus Erfahrung, dass man manche erst davon überzeugen musste, diese selbst zu erkennen. „Ich weiß nicht, ob du mich kennst …“ fuhr Stan vorsichtig fort. „Mein Name ist Stan Lee Zilla. Ich bin Freds Vater.“ „Zilla also …“ knurrte Naoko leise, die Augen noch immer im Schatten verborgen. „Ich kann dir helfen. Dir und deiner Schwester.“ Das Angebot war ehrlich gemeint, allein schon aus dem Grund, dass er seine Versprechen immer hielt. Doch wollte er auch irgendetwas tun. Für Stan stand es außer Frage, dass Naokos Onkel die treibende Kraft bei den beiden darstellte und dass der Junge lediglich von ihm abhängig war. Er hatte keine stichhaltigen Beweise für seine These, doch vertraute er dabei auf die Truppe, die in Naoko etwas völlig anderes gesehen hatte. Jemanden, der zu allem bereit war, um seiner Schwester zu helfen. „Doch dafür brauche ich deine Hilfe.“ erklärte Stan und hoffte inständig, dass er ihm wenigstens antworten würde. Doch jedwede Reaktion blieb aus, abgesehen davon, dass er hörbar ausatmete. Stan seufzte resigniert und rieb sich die Stirn. „Nun gut. Solltest du deine Meinung ändern, bitte den Direktor, mich zu verständigen. Dann reden wir weiter.“ mit diesen Worten ließ er von dem Jungen ab. In der Hoffnung, dass er vielleicht doch noch einlenken würde, klopfte Stan an die Tür, um James mitzuteilen, dass er raus wollte. Doch auch, als er hinaustrat und die Tür sich hinter ihm geräuschvoll schloss, regte sich nichts. „Der Junge hält dicht. Wir versuchen es schon seit Wochen und haben bisher nichts erreicht. Keine Silbe.“ erklärte Bob ihm, der wohl die ganze Zeit im Nebenzimmer gesessen hatte und das Gespräch beobachtet hatte. Gleich neben ihm stand ein weiterer Mann, gehüllt in einen weißen Kittel und mit einem Klemmbrett in der rechten Hand. Stan nickte. „Sein Onkel jedoch redet wie ein Wasserfall und erzählt uns ständig über seinen Neffen. Aber nichts von dem, was wir wissen wollen. Unser Seelenklempner hier verzweifelt bereits an dem Mann.“  erklärte Bob weiter und der dürre Mann neben ihnen nickte eifrig. „Immer, wenn ich glaube, seine Motive zu erkennen, wechselt er scheinbar völlig willkürlich die Persönlichkeit und wirft alle Diagnosen über den Haufen.“ „Ich bin mir sicher, dass er nur Spielchen mit uns treibt.“ schnaubte Bob wütend. „Und die Beute ist bis heute nicht aufgetaucht …“ murmelte Stan mehr zu sich selbst als zu den anderen. Dies hielt Bob jedoch nicht davon ab, trotzdem zu antworten: „Nein. Die Behörden lassen sämtliche Schwarzmärkte überwachen, doch bisher ist nichts aufgetaucht. Sie gehen davon aus, dass er seine Zeit absitzen will, um dann das ganze Zeug in aller Ruhe verscherbeln zu können.“ Nein Das passt nicht zusammen, das wusste Stan. Selbst, wenn der Junge aufgrund seines Alters und des Umstandes, dass es seine erste kriminelle Handlung gewesen war, nur wenige Jahre hier würde absitzen müssen, wäre das immer noch zu lange und das Risiko wäre zu hoch, dass seine Schwester in dieser Zeit starb. Stan faltete die Hände zusammen und sah sein Gegenüber interessiert an. „Erzähl mir von dem Jungen. Wie macht er sich hier?“ Bob rieb sich seufzend die Stirn. „Er ist ständig in Prügeleien verwickelt und, wenn er mal nicht damit beschäftigt ist, …“ „Was sagst du …?“ unterbrach Stan ihn überrascht. Das passte überhaupt nicht. „Ja, allerdings scheint er nie anzufangen. Der erste Schlag kam bisher immer nur von seinem Gegner. Natürlich haben wir ihn trotzdem bestraft, doch er nutzt die Zeit in der Isolationszelle für weiteres Training.“ fügte der Psychologe hinzu. „Sein Zellengenosse hat uns gezwitschert, dass der Junge, seit er sich die Haare abgeschnitten hat, kaum noch ein Wort zu jemandem gesprochen hat, außer zu seinem Onkel. Angeblich meditiert er stundenlang und widmet sich sonst einem intensiven Krafttraining.“ „Er bereitet sich auf einen Kampf vor.“ erkannte Stan und der Gedanke bereitete ihm Bauchschmerzen. „Oder er will sich hier nur einfach behaupten, vor allem, weil er ja nur einen funktionstüchtigen Arm hat.“ erwiderte der Direktor. „Willst du mir damit sagen, dass der Junge all seine Kämpfe nur mit seinem linken Arm bestritten hat?“ Bob nickte. „Hier sitzen ein Haufen solcher Leute drin. Wir haben seit einem Jahr einen dämlichen Chinesen hier, der erst einmal alle verprügelt hat, die ihm zu nahe kamen. Seitdem ist aber Ruhe. Diese Leute wollen nur klarstellen, dass man sie besser in Ruhe lässt. Das ist alles.“ „Wir müssen ihn von seinem Onkel trennen.“ fuhr er mit einem Mal weiter und ignorierte die Worte seines Freundes. „Bitte was?“ Bob sah ihn irritiert an, gleichsam wie der dürre Mann neben ihm. Stan hielt kurz inne, um die richtigen Worte zu finden. „Irgendetwas stimmt bei dem Jungen nicht. Er hat sich sehr verändert und seine Art, das passt einfach alles nicht zusammen.“ Bob räusperte sich: „Stan, du kennst das doch. Eingesperrt zu sein verändert Menschen. Manchmal von Grund auf.“ Das war wahr, musste Stan zugeben, doch wollte er nicht glauben, dass es so einfach war. „Nun gut.“ Es brachte nichts, mit Bob darüber zu diskutieren, dafür war er einfach zu stur. „Wenn der Junge mit mir reden will, gibst du mir sofort Bescheid.“ „Sofort?“ wiederholte Bob, wahrscheinlich von der ungewöhnlichen Schärfe in Stans Stimme irritiert. „Sofort.“ Kapitel 34: Ein Hauch von Freiheit ---------------------------------- Seine metallenen Gelenke knackten leise bei jeder Bewegung. Der Hof war nicht sonderlich groß und so hatte er von dieser Position aus den perfekten Überblick. Er hatte sich auf eine der zahlreichen Bänke gesetzt und lies seinen Blick schweifen. Sein nächster Gegner war längst ausgemacht und diesmal, so wusste er, würde es eine Herausforderung werden. Er war angespannt, hatte er die letzten vier Tage doch wieder in Isolationshaft verbracht, nachdem er sich abermals mit einem Häftling eine Schlägerei geliefert hatte. Wobei, Schlägerei war an dieser Stelle wohl das falsche Wort. Es kam mehr einer Hinrichtung gleich. Er hatte sich sagen lassen, sein letzter Gegner wäre gefährlich, und war entsprechend hart in den Kampf eingestiegen. Doch letztlich stellte sich sein Gegenüber nur als Muskelprotz ohne jedwede Intelligenz heraus. Der Kampf hatte damit geendet, dass Naoko ihm die rechte Schulter ausgekugelt und den linken Arm gebrochen hatte. Seine Anspannung hatte er mit dieser Zirkusnummer nicht lösen können. Er hatte es sich angewöhnt, stets nur zu provozieren, um nicht derjenige zu sein, der den Streit begann, denn dieser bekam immer von Haus aus die härtere Strafe. Die Tage in der Zelle nutzte er dann fürs Training, um keine Sekunde zu verschwenden. Bald Seine linke Hand kribbelte bei dem Gedanken, endlich diesen Mauern entkommen zu können. Dem dreckigen Essen, der schmutzigen Zelle, den Menschen hier. Wertloser Abfall Sein Blick wanderte von der großen Uhr über dem Tor in das Hauptgebäude. In einer Stunde würden die Wachen alle Gefangenen wieder in die Zelle stecken und die nächsten raus lassen. Wer wann raus durfte, wurde immer wieder gemischt und man konnte nie sagen, wem man auf dem Hof begegnen würde. Er ließ wieder von der Uhr ab und konzentrierte sich auf sein Ziel. Der Kerl war vielleicht etwas größer als er selbst, jedenfalls älter, doch noch sehr gut in Form. Naoko hatte so Manches über diesen Mann gehört und er musste sich eingestehen, dass er eine direkte Konfrontation bisher nicht gewagt hatte. Cheng, wie er wohl hieß, hatte sich innerhalb dieser Mauern einen gewissen Ruf erarbeitet, der die meisten Insassen dazu animierte, einen großen Bogen um ihn und seinen Herrn zu machen. Stets folgte er wie ein dämlicher Köter einem gewissen Wang, wo auch immer es diesen hinzog. Tatsächlich waren diese beiden eine der wenigen Konstanten auf diesem Hof, denn sie waren immer zusammen draußen. Naoko ließ seine metallenen Gelenke knacken. Diesmal würde er seinen rechten Arm brauchen. Während er sich von seinem Platz erhob, sah er noch einmal prüfend zu den jeweiligen Wachposten hinüber, die über den ganzen Platz verteilt waren. So manch einer von ihnen richtete seinen Blick bereits auf ihn und sie wussten wahrscheinlich auch, was er vorhatte. Doch hatte er schnell herausgefunden, dass sie ihn nicht davon abhalten würden. Zumindest nicht sofort. Er hatte schon des Öfteren beobachtet, wie sich die Wachen gegenseitig Geld zuschoben, wenn ihre Kollegen dabei waren, die Kontrahenten auseinander zu treiben. Wahrscheinlich knobelten sie in diesem Moment auch nur die Quote aus. Es waren nur noch wenige Meter, als der kleine Chinese ihn bemerkte. Ohne jedes Zögern und schneller, als Naoko gedacht hatte, drehte sich Cheng zu ihm um und sah ihn aus tiefliegenden Augen heraus an. „Ich hatte mich schon gefragt, wann du eigentlich auftauchst.“ Naoko erwiderte nichts darauf und Cheng sah ihn misstrauisch an. „Glaubst du, bei mir wird es so einfach wie bei den anderen Versagern?“ „Ich wusste nicht, dass dein Herr dich auch mal von der Leine lässt.“ erwiderte Naoko darauf. Naoko war nie wirklich gut darin gewesen, den Kriminellen raushängen zu lassen oder mit rauchiger Stimme sein Gegenüber zu verunsichern. Auch war er sich dessen bewusst, dass das bei diesem hier so oder so nichts gebracht hätte. „Ich weiß, warum du hier bist, und ich warne dich nur einmal.“ erwiderte Cheng gespielt ruhig, doch es war nur zu offensichtlich, dass er ihm am liebsten direkt eine reingehauen hätte. Genau wie ihm selbst, so hörte er, machte ihm die Zeit in der Isolationszelle nicht viel aus und Naoko war sich sicher, dass er auch wusste, wie er diese nutzen konnte. „Warum sollte mich das interessieren?“ erwiderte er. Cheng schien sich sichtlich Mühe zu geben, doch er war sich sicher, dass der Chinese einer Herausforderung nicht ausweichen würde. „Weil ich dir sämtliche Knochen brechen werde, noch ehe die Wachen hier sind.“ Naoko spürte, wie sein Herz zu rasen und das Blut in seinen Adern zu kochen begann. Jeder seiner Muskeln fühlte sich an, als würden die Fasern jeden Augenblick reißen. Er war das Warten so unglaublich Leid und, so sehr er auch meditierte, sein Kopf schrie nach Adrenalin. Ohne ein weiteres Wort erhob er seine linke Hand, doch Cheng war schneller. Mit katzenhaften Reflexen schlug er diese bei Seite und ließ seine krachend durch Naokos Gesicht fahren. Die Wucht riss ihn zu Boden und schmerzhaft kam er auf dem gefrorenen Sandboden auf. In seinem Kopf tanzten Farben und Lichter und ächzend griff er sich an das Kinn. Der Schlag hatte gesessen. Doch statt des beißenden Schmerzes fühlte Naoko nur freudige Erregung. Es war wie ein Rausch, der seine Sinne zu benebeln begann. In Bruchteilen von Sekunden sprang Naoko auf und sah bereits, dass Cheng dies erwartet hatte. Sein linker Fuß raste wie in Zeitlupe auf sein Gesicht zu. Ich wusste, ich würde ihn diesmal brauchen Die Hydraulik heulte, als er seinen rechten Arm erhob und dem Angriff zuvorkam. Laut scheppernd krachte Chengs Bein gegen das Metall und mit einem wütenden Aufschrei zog er es wieder zurück. Er glotzte überrascht, doch hielt ihn das nicht davon ab, sich sofort wieder in den Kampf zu stürzen. Naoko erkannte schnell die aggressive und unbarmherzige Kunst des Kung Fus hinter seinen Angriffen. Schlag um Schlag leitete er um oder wehrte er ab, doch dauerte es eine kleine Ewigkeit, ehe er selbst wieder zum Schlag ausholen konnte. Das Adrenalin rauschte durch seine Venen und machte ihn taub für die Schläge und Tritte, die seinen Körper malträtierten. Cheng hatte schnell begriffen, dass es besser war, seinem rechten Arm auszuweichen und verlagerte die meisten seiner Angriffe auf Naokos linke Seite. Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, doch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Er vergaß alles um sich herum und kümmerte sich nur um seinen Gegner und dessen Angriffe. Er selbst kam kaum zu Zug, doch wenn, dann meistens richtig. Jeder von Chengs Tritten presste ihm die Luft aus den Lungen und jeder seiner Schläge schien seinen Magen und die darüber liegenden Muskeln zu zertrümmern. Und endlich zeigte sich eine Lücke. Nur für einen kurzen Moment, doch würde er sie nutzen. Wie einst bei Wasabi trieb er ihm die Arme auseinander und tatsächlich warf ihn das zurück. Doch Cheng war sehr viel schneller als der Riese mit Rasterlocken und sofort schoss sein Fuß auf ihn zu. „Nana, was wird das denn hier?“ Der Griff war kräftig und bremste seinen Schlag so abrupt, dass ihm der Rückstoß durch die Knochen ging. Naoko erkannte das Antlitz seines Onkels zwischen ihm und Cheng. Er hatte seinen Arm und Chengs Fuß gepackt. „Was soll denn dieser sinnlose Zank?“ fragte er in seiner fröhlich arroganten Art. „Halt dich da raus, Grinsebacke!“ zischte Cheng ihn an und am liebsten hätte Naoko dem zugestimmt, doch hielt er sich damit zurück. Es war sinnlos, sich gegen ihn zu stellen. „Das sind aber ungewohnt scharfe Töne von einem kleinen Wachköter wie dir.“ hielt Oda Cheng entgegen und ließ die beiden los, nicht ohne den Chinesen dabei zurückzustoßen. „Ich hatte mich schon gefragt, warum sie mir ausgewichen sind, Mr. Nobusaka.“ Naoko hatte nicht bemerkt, wie eine weitere Person hinzugetreten war. Der rundliche, ältere Mann lächelte beide ölig an und Naoko konnte nicht anders, als ihn von vorneherein als widerlich zu empfinden. „Wang, welch eine Ehre …“ erwiderte sein Onkel kalt und deutete eine wohl nicht ganz ernst gemeinte Verbeugung an. „Ich hörte, dass Sie auch hier gelandet sind, doch bekam ich Sie ja nie zu Gesicht.“ Oda kratzte sich am Kinn. „Ich habe Sie ohne Ihren protzigen Anzug wohl einfach nicht erkannt.“ giftete er ihn an und Wang brach in schallendes Gelächter aus. „Ja, daran musste ich mich auch erstmal gewöhnen.“ Naoko hatte das Gespräch schweigend beobachtet und es war nur allzu offensichtlich, dass die beiden sich kannten. Überraschend reichte er auf einmal Naoko die Hand, welche dieser jedoch nicht erwiderte, was Wang wohl amüsant fand. „Er ist tatsächlich wie sein Vater. Einfach nur unhöflich.“ Naoko hob die Augenbraue und sah seinen Onkel fragend an. „Sagen wir so, dein Vater hat als Söldner der Yakuza das eine oder andere Mal mit Wang zu tun gehabt.“ erklärte sein Onkel ihm. Zu Naokos Überraschung lächelte nun auch sein Onkel und fragte säuselnd: „Dann werdet Ihr ja heute nicht an den Feierlichkeiten teilnehmen können, was?“ Wang seufzte. „Bedauerlicherweise nicht, aber die werden in fünf Jahren bestimmt auch noch stattfinden, nicht wahr?“ Oda erwiderte nichts dazu und das war das erste Mal, dass Naoko mitbekam, wie sein Onkel schwieg. „Ich hoffe doch sehr, dass Sie uns nicht mehr böse sind, weil wir Ihnen dieses unbedeutende Projekt verwehrt haben.“ fuhr Wang fort. „Ich hatte gehofft, dass ich Sie vielmehr zu meinen Verbündeten zählen kann. Was Sie da draußen geleistet haben, ist mir schließlich nicht entgangen.“ „Das hatte ich schon gemerkt.“ Naoko wusste nicht, was genau sein Onkel damit meinte, doch entschloss er sich, auch nicht nachzufragen. Stattdessen fiel sein Blick auf Cheng, der noch immer mit zusammengekniffenen Augen neben seinem Herrn stand und abwechselnd ihm und seinem Onkel abwertende Blicke zuwarf. „Sie wissen doch, dass es einige Vorteile bringen kann, mein Verbündeter zu sein und Ihr Talent kann ich durchaus brauchen.“ Sein Onkel grinste ihn hämisch an, legte Naoko seine Hand auf die Schulter und erwiderte: „Ich denke drüber nach.“ Der Yamoro verstand und folgte seinem Onkel, der bereits, als er die letzten Worte ausgesprochen hatte, von den beiden Chinesen abließ. Naoko warf noch einen kurzen Blick zurück, ehe er zu Oda aufschloss. Langsam aber beständig, krochen die Schmerzen seines Kampfes seinen Körper entlang und er spürte die zahlreichen Tritte und Schläge nun deutlich. „Du kennst diesen Mann?“ fragte er schließlich und sein Onkel schnaubte verächtlich. „Kennen ist gut. Er war mal mein Geschäftspartner.“ Naoko war überrascht, doch war ihm auch klar, dass er eigentlich nicht wirklich etwas über die Vergangenheit seines Onkels wusste. Das einzige, was einmal seine Mutter erwähnte, war dass er vor mehr als zehn Jahren ein gefeierter Architekt gewesen ist. „Er kannte meinen Vater?“ „Leider nicht nur kennen.“ deutete sein Onkel an. Als die beiden etwas abseits standen, packte Naoko die Neugier und er verlangte: „Erzähl es mir.“ Sein Onkel sah ihn feixend an. „Hast du dich nie gefragt, warum dieses Auto damals explodiert ist?“ Die Erinnerung an diesen Feuerball ließ den Jungen schlucken und ein Gefühl, als läge besagtes Auto auf seiner Brust, machte sich in seinem Körper breit. „Dein Vater hatte Wang und seinen damaligen Partnern ein paar empfindliche Schläge gegeben.“ fuhr sein Onkel fort. „Doch leider hatte dein Vater sich die falsche Frau ausgesucht.“ Das verstand Naoko nicht. „Wie meinst du das?“ „Wang erfuhr von seiner zivilen Identität und beschloss, all seinen Gegnern einmal zu zeigen, was es bedeutete, wenn man sich ihm in den Weg stellen würde.“ Naoko schluckte. „Genau, die Autobombe …“ er klopfte seinem Neffen auf den Metallarm. „.. war von ihm.“ Ein Gewirr aus Farben und Formen tanzte vor seinen Augen, begleitet von einer unglaublichen Hitze, die sich auf seiner Haut ausbreitete. „Wang …?“ „Jap.“ antwortete sein Onkel mit gewohnt gut gelaunter Stimme. Naoko erkannte, dass er das falsche Ziel ausgesucht hatte. „Weißt du was?“ fing sein Onkel mit einem Mal an und grinste dabei breit bis über beide Ohren. „Das Wetter ist doch perfekt, um einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, findest du nicht?“ Von dieser plötzlichen Frage überrascht, vergaß er kurzweilig das Erzählte und sah seinen Onkel fragend an. „Lass uns gehen. Ich habe genug.“ fuhr Oda fort und lenkte seine Schritte in Richtung der dicken Gefängnistür, die das Innengebäude mit dem Hof verband. Sich fragend, aber schweigend folgte Naoko ihm. Ohne Zurückhaltung oder ohne auch nur etwas zu sagen, riss sein Onkel die falsche Haut von seinem linken Oberarm ab, griff in das von Stahl und Kupfer ummantelte Loch hinein und zog eine kleine, grüne Kugel heraus. Ein `Pling` folgte und er drückte es dem nächstbesten Häftling, der ihren Weg kreuzte, an die Brust. „Hier, schenk ich dir.“ sprach er zu diesen, ehe er ihm noch auf die Schulter klopfte und weiterging. Es dauerte einen Augenblick, ehe der Häftling erkannte, was er da eigentlich in der Hand hielt. „Granate!“ Die folgende Explosion war ohrenbetäubend und Naoko spürte wie die Druckwelle gegen seinen Rücken prallte. Sprengstoff?! Als ob sein Onkel diese Frage zu erraten hätte, antwortete er: „Ich wollte nicht umsonst so viel Stauraum.“ Ein kurzer Griff in den Arm und er zog zwei weitere Granaten aus seinem Arm. Er hatte sie die ganze Zeit dabei?! Auf dem Hof brach blanke Panik und Verwirrung aus. Häftlinge und Wärter liefen erschrocken umher wie aufgeschreckte Hühner und versuchten eilig zu verstehen, was gerade geschehen war. Doch Oda wollte ihnen wohl keine Pause gönnen. Zwei weitere ´Plings´ später und die zwei kleinen Bomben folgten dem Schicksal der ersten. „Und jetzt zur Krönung.“ brüllte Oda und zerriss die Haut an seinen Beinen. Instinktiv nahm Naoko etwas Abstand, als sein Onkel die silbrig schimmernden Revolver herauszog. „Zeit für Chancengleichheit!“ Zwei donnernde Schüsse peitschten durch die Luft und die beiden Wärter, die mit Flinten bewaffnet aus dem Gebäude kamen, brachen kreischend zusammen. Die Tür stand offen und ohne Zögern durchschritten sie diese und fanden sich in den mit weißen Wänden ausgekleideten Gängen wieder. Ein paar Schritte und Naoko bemerkte, dass diese beinahe leer waren. Doch dachte Naoko nicht all zu viel darüber nach, sondern versuchte, sich vielmehr auf das, was vor ihm lag, zu konzentrieren. Sie bogen um eine Ecke, als mit einem Mal vier Personen nur wenige Meter vor ihnen in dieselbe Richtung laufend auffielen. Zwei Gefangene, flankiert von zwei Wärtern, welche zielstrebig in Richtung der Tür am Ende des Ganges zuhielten. „Na Wang? Hast du dir eine Eskorte besorgt?“ brüllte sein Onkel durch den Gang und erschrocken drehten sich die Vier um. Als der Angesprochene Oda erkannte, wichen sämtliche Farben aus dessen Gesicht. Naoko fixierte Cheng, der neben ihm stand und bereits die Fäuste hob. Die Wachen fragten gar nicht erst, sondern griffen direkt an ihre Waffenholster. Sein Onkel knurrte kurz und noch ehe Naoko auch nur daran denken konnte zu reagieren, hatte dieser bereits die Revolver gezogen und eröffnete das Feuer. Als erstes traf es die beiden Wachmänner, die sofort schreiend zu Boden gingen. Cheng hingegen wartete erst gar nicht auf den nächsten Schuss, sondern preschte auf die beiden los, wohl versuchend, Oda zuvorzukommen. Naoko reagierte sofort und wehrte den ersten Schlag ab, den Cheng auf seinen Onkel zielte. Er sah aus dem Augenwinkel, wie der Chinese zu einem weiteren ausholte, doch warf er auf einmal von einem Schuss und einem unheilvollen Knacken begleitet den Kopf in den Nacken. Erst jetzt bemerkte Naoko das große, blutige Loch in dessen Stirn. Wie ein nasser Sack klappte Cheng zusammen, ohne einen weiteren Muskel zu bewegen. „Ich konnte den Kerl eh nie wirklich leiden.“ kommentierte sein Onkel beiläufig, während er seine Revolver wieder in seinen Prothesenbeinen verstaute. „Der guckt immer so böse. Ein Lächeln hätte ihm bestimmt mal gut getan.“ Naoko erwiderte nichts, sondern wischte sich lediglich die einzelnen Bluttropfen von der Wange. Es war schade, befand er. Gerne hätte er sich ihm wieder in einem richtigen Kampf entgegen gestellt. Sein Blick fiel stattdessen auf Wang, der fieberhaft bemüht war, einen Schlüssel für die Tür in den Taschen der toten Wachen zu finden. Gemütlich, als ob sie alle Zeit der Welt hatten, schlenderte Oda gut gelaunt auf diesen zu und ließ Naoko keine Zeit, ihn selbst zu packen. Als Oda über ihm stand, griff er ihn am Nacken und zog den wimmernden Wang nach oben, nur um ihn ohne ein weiteres Wort gegen die Wand zu drücken. „Bitte Mr. Nobusaka! ... ich bin mir sicher ... wir finden eine Lösung!“ quiekte dieser in die Wand hinein. Naoko wandte sich von den beiden ab und begann nun seinerseits, die beiden Beamten zu durchsuchen. Hinter ihm hörte er ein geräuschvolles Knacken und Wang sackte wie sein Leibwächter neben Naoko zusammen. Als er aufsah, kommentierte sein Onkel dies mit: „Der Doc hat doch immer gesagt, ich solle mit meiner Vergangenheit ins Reine kommen.“ und schüttelte dabei abfällig die rechte Hand. Naoko schwieg lieber. In den Taschen fand er schließlich das begehrte Objekt. Einen Schlüssel in Form einer Chipkarte. Flink diesen durch den Schlitz gezogen und die eiserne Tür öffnete sich quietschend. „Und jetzt?“ wollte Naoko wissen, doch antwortete seine Onkel nicht darauf. Zielstrebig schritt dieser den Gang entlang und es war erschreckend, wie wenig Gegenwehr sich ihnen in den Weg stellte. Offenbar waren die meisten mit dem Chaos im Hof beschäftigt. Mit einem Mal hielt Oda ihm die Hand vor die Brust und brachte ihn zum Stehen. „Was …?“ begann er, doch erkannte die kleine Kugel in seiner Hand. Es war derselbe Sprengstoff, den er schon in der Fabrikhalle eingesetzte hatte, und Naoko wusste, dass diese sehr viel stärker waren, als die Granaten von eben. Vor ihnen erstreckte sich die Halle und hinter den beiden gepanzerten Türen konnte er den Parkplatz der Gefängnisbusse erkennen. Sofort richteten die beiden Wärter, die an der knasteigenen Rezeption Wache hielten, ihre Flinten auf die beiden. Doch sein Onkel war wieder einmal schneller und mit donnerndem Krachen rissen die Projektile auch diese Männer zu Boden. Ein weiterer Schuss und das Panzerglas der Rezeption zerbrach in tausend Teile. „Da hat wohl wieder jemand am falschen Ende gespart.“ erklärte Oda amüsiert, während er begann, am Rechner herumzufummeln. Oder einfach nicht damit gerechnet, dass jemand mit Sprengmunition hier durch wollte dachte Naoko, doch sprach es nicht aus. Ein Klicken später und die Tore öffneten sich. Während sein Onkel noch damit beschäftigt war, in den Taschen der toten Wärter herumzuwühlen, durchschritt Naoko diese eilig. Auf dem Parkplatz trieben sich nur einige Angestellten herum, welche sofort panisch die Flucht ergriffen. „Was jetzt?“ wollte Naoko wissen, doch sein Gegenüber lachte ihn nur an. „Weißt du, ich habe eine Schwäche für die Marke Kuruma.“ Er wies auf einen der dicken, schwarzen Einsatzwagen, in denen auch er hierhergebracht wurde. Noch schnell eine Sprengbombe aus dem Arm gezogen, an das Tor geworfen und Oda widmete sich dem Auto. Mit seinen Prothesen riss Oda die Tür quasi aus der Verankerung und einen Kurzschluss später sprang das Auto auch schon an. Aus dem Augenwinkel sah Naoko, wie weitere Wachen das Foyer durchschritten, direkt auf den Ausgang zu. „Entspann dich. Ich habe denen etwas da gelassen.“ Er zog einen kleinen, metallenen Stift aus dem Bein und drückte auf den Knopf an dessen Seite. Beinahe hätte es Naoko das Trommelfell zerrissen, so ohrenbetäubend waren die folgenden Explosionen, die den Eingang, das Tor und das halbe Gebäude in Stücke rissen. „Wir sollten verschwinden.“ kommentierte Oda und trat aufs Gaspedal. Der Yamoro war erstaunt, wie glatt das Ganze eigentlich lief. Nicht einmal eine halbe Stunde später hatten sie die Grenzen der Stadt passiert und waren am Hafen angekommen, wo Oda ihn zu einer der zahlreichen alten und verfallenen Lagerhallen führte. Das Schloss und die Ketten vom Tor entfernt und Naoko fand sich in einer riesigen Halle wieder. An den Wänden kreuz und quer verteilt lagen haufenweise Metallgegenstände, Computer, Rohre, Draht und Stahl. An der einen Ecke hatte er so etwas wie einen Schreibtisch aufgebaut, dessen stählerne Oberfläche fast vollständig von einem Berg aus Papieren bedeckt war. Das Licht war spärlich und die Halle düster, während von draußen der schwache Schein der Straßenlaternen in dünnen Fäden durch die Fenster schienen. Doch den größten Teil der Halle nahm ein riesiges, unter Planen verstecktes Gebilde ein, aus dem an der einen oder anderen Ecke Metall herausragte. Der Boden war gesäumt von Werkzeug und aufgebrauchten Zigaretten, zerknülltem Papier und Metallspänen. „Du hast dieses Ding ganz alleine gebaut?“ durchbrach Naoko die Stille, während sein Onkel damit beschäftigt war, sich seine Gefängniskluft auszuziehen und in seinen geliebten Mantel zu hüllen. „Ja, aber die kleinen Roboter deines Freundes waren eine große Hilfe dabei.“ erklärte er grinsend und wies dabei auf den Neuraltransmitter auf dem Schreibtisch. „Weißt du eigentlich, wer der Kerl war, der dich da befragt hat?“ fragte sein Onkel mit einem Mal, als er gerade dabei war, die Teile seiner Rüstung anzulegen. Naoko sah ihn skeptisch an „Stan Lee Zilla.“ antwortete er zögernd und Oda grinste ihn schelmisch an. „Woher weißt du überhaupt von dem Gespräch?“ „Rate mal.“ „Du lässt mich immer noch überwachen.“ Eifrig nickte sein Onkel. „Wie machst ... Ach ist auch egal. Wieso interessiert dich das?“ „Ein reicher Schnösel und nebenbei ebenfalls ein alter Freund deines Vaters.“ Wie viele denn noch? „Wie meinst du das?“ „Er war sein Gegner in seiner Zeit als Schatten.“ Er verstand, doch nicht wie sein Onkel von einem auf den anderen Moment darauf kam. Doch jetzt in diesem kurzen Moment der Ruhe, wurde Naoko klar, dass sie nicht mehr viel Zeit haben würden, ehe die ganze Stadt und damit auch Hiro und seine Freunde nach ihnen suchen würden. „Ich muss noch wohin.“ stellte Naoko fest. „Ach ja? Und wohin?“ Naoko sah ihn nicht an, sondern richtete seinen Blick auf das Tor. „Ich habe Fragen, die ich beantwortet haben will.“ „Ah …“ erwiderte Oda. „Ich verstehe. Nun gut, wir haben noch etwa sieben Stunden Zeit, ehe ich meinen Plan umsetzen werde. Wenn du dir etwas die Beine vertreten willst, werde ich dich nicht abhalten.“ erklärte Oda ihm und wühlte in einem der Schränke herum. „Hier.“ sagte er schließlich und warf Naoko etwas entgegen. Es war sein mit Plasma verstärktes O-Katana. „Es war nicht leicht, die zu besorgen.“ Naoko verneigte sich zum Dank knapp und gürtete das Schwert. „Wo ist eigentlich dein anderes Schwert?“ Kurz dachte Naoko über die Antwort nach, ehe ihm die richtige einfiel „Nur ein Samurai darf zwei Klingen tragen.“ Als er an dem Tor stand rief sein Onkel ihm zu: „Willst du etwa zu Fuß gehen?“ Er ließ das unkommentiert. Sein Onkel kam zu ihm und drückte ihm einen kleinen Schlüsselbund in die Hand. „Meine Maschine steht draußen um die Ecke.“ Als Naoko ihn fragend ansah, fügte er noch hinzu: „Es ist eine 125er ohne Gangschaltung. Ist beinahe wie Fahrrad fahren.“ Sein Neffe nickte. Doch als er gerade die Halle verlassen wollte, fiel sein Blick auf eine Wand am anderen Ende des Gebäudes. Sie war gespickt mit zahlreichen Papieren, untermalt mit Bildern und Aufnahmen verschiedenster Personen. Auf dem zweiten Blick erkannte er, dass es zahlreiche Zeitungsartikel waren und sein Onkel hatte mit Rotstift verschiedene Stellen markiert. Als Naoko an diese herantrat, fragte er: „Und was wirst du jetzt tun?“ Oda sah zu ihm herüber. „Weißt du, welcher Tag heute ist?“ Naoko musste einen Augenblick nachdenken. „Der 31. Dezember …“ antwortete er etwas zögerlich. „Genau.“ säuselte sein Onkel friedlich pfeifend, während er das auf dem Boden liegende Werkzeug einzusammeln begann. Naoko richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Zeitungsartikel. Nach nur wenigen Augenblicken erkannte er, was sein Onkel ihm damit sagen wollte. 20. Jubiläum der Einweihung des Fransokyo National Tower Einen Blick weiter, der nächste Artikel darüber. Pünktlich zum Ende des Jahres werden zahlreiche prominente Gäste erwartet, um in diesem Wahrzeichen unserer Stadt das Jubiläum und das neue Jahr zu feiern „Weißt du, Wang war nicht der einzige, der mich abgesägt hat.“ Mit einem Mal wurde Naoko alles klar. „Und sie werden alle da sein. Jeder einzelne von ihnen.“ Das Gesicht seines Onkels zierte ein Grinsen, das mehr und mehr der Fratze eines Wahnsinnigen glich. „Genauso wie ich …“ „Und was hast du jetzt vor?“ Oda lächelte ihn an. „Wir werden ihnen nachher einen kleinen Besuch abstatten. Doch vorher …“ Mit einem heftigen Ruck zog Oda die Plane herunter. „… werde ich der lästigen Schlange den Kopf abschlagen.“ Kapitel 35: Offene Rechnungen ----------------------------- „Das ist wirklich bemerkenswert.“ murmelte Stan. Er hatte sich in seinem Büro hinter den massiven Schreibtisch gesetzt und durfte nun die Ergebnisse bestaunen, an deren Verwirklichung Hiro die letzten Tage gearbeitet hatte. „Mein Bruder wollte immer Menschen helfen und es wäre unverantwortlich gewesen, das zu ignorieren.“ murmelte der Junge, der sich kleinlaut auf einen der Stühle gesetzt hatte. Sein Blick lag auf dem tanzenden Mädchen. „Und wie funktioniert das?“ Hiro nickte Sora entgegen und diese kam vor dem Schreibtisch zum Halten. Sie griff sich an die Stirn, schob ihre Haare beiseite und offenbarte eine Art Haarreif. Dünn wie Papier und so breit wie ein Bleistift, sodass dieser unter ihren Haaren verschwand. Stan erkannte die kleinen, leuchtenden Kreise auf der schimmernden Oberfläche, welche immer wieder aufleuchteten und erloschen. „Ist es nicht großartig?“ trällerte die junge Frau und umarmte Hiro so stürmisch, dass es sie wohl beinahe beide vom Stuhl gehauen hätte. Stan konnte nicht anders, als über dieses wunderbare Bild zu lächeln. Hiro hatte ihr tatsächlich eine Art Roboterstütze gebaut und der alte Mann musste zugeben, dass er mehr als beeindruckt von dem Jungen war. Das Exoskelett war erstaunlich unauffällig, ja beinahe filigran. Es schmiegte sich perfekt an ihren Körper und ließ stellenweise die Illusion von Tattoos statt der Metallstreben zu. Er hatte es so gebaut, dass sie es unter ihrer Kleidung tragen konnte, was die Illusion einer völlig gesunden jungen Frau beinahe perfekt machte.  „Ich kann sogar wieder rennen.“ grinste Sora und begann sofort einen mehr als holprigen Spurt durch das Zimmer. „Allerdings …“ gab sie beschämt zu, als sie mehr schlecht als recht an der Wand zum Stehen kam. „… muss ich die nötige Motorik wohl wieder lernen.“ Sie wagte ein Lächeln in Hiros Richtung. „Und ich hoffe doch sehr, dass du mir dabei hilfst.“ Hiro lächelte vorsichtig zurück und kratzte sich verlegen am Nacken. Ein verhaltenes Klopfen an der Tür unterbrach den kurzen Dialog der Beiden und Professor Callaghan betrat vorsichtig den Raum. „Sie wollten mich sprechen?“ „Robert, komm rein.“ erwiderte Stan und der Angesprochene tat, wie ihm geheißen. Sein Blick fiel dabei auf Hiro und Sora und lächelnd fragte er: „Hast du das Design endlich in den Griff bekommen?“ Stan wechselte einen kurzen Blick mit Hiro und Robert, als der Junge antwortete: „Ja, Baymax´ Konstruktion hat mich auf die Idee mit den Carbonfasern gebracht.“ Also wusste Robert schon davon folgerte Stan aus diesem kurzen Dialog und damit erübrigte sich die Frage, warum Robert nicht überrascht war. Es schien fast so, als hätte sich das Verhältnis der beiden deutlich verbessert. „Nun, Hiro …“ räusperte sich Stan nach einer kurzen Pause. „Wenn du erlaubst, würde ich gerne mit Professor Callaghan unter vier Augen sprechen.“ Hiro wollte gerade den Mund öffnen, als Sora sich an seinem Arm einhakte und erwiderte: „Wir müssen sowieso langsam los.“ Stan lachte verhalten und fügte hinzu: „Denkt dran, ich erwarte euch heute um acht auf der Insel.“ Mit diesen Worten erhob sich der alte Mann und geleitete die Beiden zur Tür. „Der Junge kann die Verwandtschaft zu Tadashi nicht leugnen.“ stellte der Professor mit reumütigem Unterton fest und seufzte. „Nein, das kann er nicht.“ stimmte Stan dem zu. Er versicherte sich, dass Hiro nicht mehr in Hörweite war, schloss die massive Eichentür seines Büros hinter sich und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. „Mr. Zilla, warum wollten Sie mich alleine sprechen?“ erkundigte sich Callaghan nach einer kurzen Pause vorsichtig. Stan amüsierte diese seltsame Haltung irgendwie. „Robert, ich sagte doch, nenn mich Stan. Ich komme mir sonst so alt vor.“ erwiderte er mild. Robert kratzte sich verlegen am Nacken. „Aber es stimmt. Ich habe dich hergebeten und ich würde es vorziehen, wenn die Kinder noch nichts von dem wissen, was ich dir jetzt sagen werde.“ Noch ehe Stan fortfahren konnte, erklärte Robert: „Ich werde Ihnen das Geld für den Umzug selbstverständlich zurückzahlen.“ Nun konnte Stan nicht mehr anders, er musste herzhaft lachen. Dachte Robert wirklich, dass er darauf aus war? Sein Gegenüber sah ihn verwirrt an. „Nein, darum geht es mir nicht. Und außerdem war es ein Geschenk.“ Er sah, wie er den Mund verzog. Es schien fast so, als würde er sich dafür schämen. „Oder, wenn es deinem Gewissen mehr zusagt, sieh es als Lohn für deine aufopfernde Arbeit bei den Big Hero 6.“ Robert schnaubte und Stan lächelte ihn an, ehe er wieder eine ernste Mimik auflegte und eine Schublade seines Schreibtisches öffnete. Heraus zog er einen kleinen Stapel Papiere und breitete diese vorsichtig vor Robert aus. Dieser nahm indes seine Brille aus der Brusttasche, setzte sie auf und besah sich neugierig die Schriftstücke, während Stan ihn dabei aufmerksam beobachtete und seine Reaktion abwartete. „Ist das …?“ „Die Liste aller gestohlenen Prototypen, Pläne und Gerätschaften.“ beendete Stan den Satz. Robert nahm einige der Listen in die Hand und sein Blick sprang dabei eilig hin und her, während er die einzelnen Komponenten zu registrieren begann. „Können Sie erkennen, was er vorhat?“ Robert seufzte, nahm sich ein weiteres Blatt, legte es wieder beiseite und nahm ein neues. Es vergingen einige Minuten, ehe er antwortete. Dabei ließ er nicht vom Papier ab. „Zahlreiche Antriebselemente… Die Pläne eines Arc-Reaktor Prototypen… Beschichtung aus Vantablack... Mehrere Steuerchips… Experimentelle Panzerung…“ murmelte Robert vor sich hin. „Wie ich sehe, wissen Sie die wichtigen Komponenten aus diesem Chaos zu erkennen.“ erkannte Stan zufrieden. Er hatte gehofft, dass ein Genie wie er etwaige Zusammenhänge würde erkennen können. „Ja, das ist wohl wahr …“ begann Robert zögerlich. „Doch was macht Sie so sicher, dass er es gerade darauf abgesehen hat und nicht einfach nur wertvolle Technologie stehlen wollte, um sie gewinnbringend zu verkaufen?“ Damit hatte der Professor den Nagel auf den Kopf getroffen. „Es ist vielmehr eine Vermutung als klares Wissen.“ erklärte er, während er mit den Finger nachdenklich auf den Schreibtisch klopfte. „Ich verstehe.“ erwiderte Robert und legte die Papiere wieder ordentlich zusammen. „Das ist allerdings noch nicht alles.“ Er reichte ihm ein weiteres Blatt. Robert überflog das Schreiben nur kurz und Stan fügte hinzu: „Es hat eine Weile gedauert, bis Krei damit rausgerückt ist.“ „Silent Sparrow.“ murmelte Robert geistesabwesend und sah dann erstaunt auf. „Laut Mr. Krei …“ begann Stan langsam. „Gab es bei Einstellung des Experimentes genau zwei Kopien. Eine davon lagert bei der Regierung. Wo genau, habe ich noch nicht rausfinden können. Die andere …“ Er deutete auf das Papier. „… hat Krei indes für sich behalten. Unerlaubt versteht sich, denn die Regierung hatte dieses Experiment als höchst gefährlich eingestuft und ihm sämtliche Rechte daran entzogen.“ „Und diese Kopie befindet sich nun in Nobusakas Hand?“ Stan schüttelte den Kopf. „Nicht mehr.“ Er machte eine kurze Pause, um Robert nachdenken  zu lassen. „Sie sind in Los Angeles, habe ich Recht?“ folgerte dieser ohne jeden Zweifel in der Stimme. Stan sah ihn nachdenklich an und nickte zustimmend. „Soviel ich weiß, hat er seinen Pläne und einige experimentelle Exponate an einen gewissen Arthur verkauft. Einen in der dortigen Unterwelt relativ bekannten Hehler.“ Er reichte Robert ein weiteres Schriftstück. „Wie ich rausfinden konnte, hatte Mr. Nobusaka schon früher mit ihm Geschäfte gemacht und die beiden kennen sich offenbar bereits seit mehreren Jahren.“ „Der Hehler seines Vertrauens.“ schnaubte Robert verachtend. „So ist es. Die Kopie besteht offenbar aus einem Satz Kristalle.“ „Kristalle?“ Robert sah ihn fragend an. „Als Speichermedium?“ fragte er und Stan nickte. „Ja, sie basieren auf dem 5D-Speicherprinzip mit spezieller, optischer Verschlüsselung.“ Robert runzelte die Stirn. „Ich kenne dieses Prinzip, zumindest auf dem Papier.“ Er dachte kurz nach und versenkte seine Hände in den Hosentaschen, nachdem er das Schreiben wieder auf den Tisch gelegt hatte. „Für Krei war dieses Projekt alles. Ein so monumentaler Durchbruch, dass er dafür alles getan hat, sogar …“ Den Rest des Satzes verschluckte er, doch war das Aussprechen auch gar nicht nötig, denn Stan verstand ganz genau, was er sagen wollte. „Unterstützen Sie … Ich meine, unterstützt du deshalb meinen Umzug nach Los Angeles?“ Stan fühlte sich unbehaglich und wägte seine Worte sorgfältig ab. „Nein. Ich kann sehr gut verstehen, dass es dich von hier wegzieht. Weg von all den Ereignissen der letzten Monate.“ Stan erhob sich aus seinem Stuhl, umging den Schreibtisch und stellte sich Robert gegenüber. „Allerdings wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es mir nicht in die Karten spielen würde.“ Er klopfte Robert vorsichtig auf die Schulter, ging an ihm vorbei und stellte sich vor das riesige Fenster, das die winterliche Pracht seines Gartens im hellen Licht ins Zimmer scheinen ließ. „Die Kinder haben viel gelernt, vieles davon auf die harte Tour.“ Robert gesellte sich neben ihn und hörte schweigend zu. „Ich will ihnen so viel Last von den Schultern nehmen, wie ich kann und sie darauf vorbereiten, dass sie eines Tages ohne mich werden klar kommen müssen. Allen voran Fred.“ Er wandte seinen Blick zu Robert. „Ich bitte dich lediglich darum, meine Augen und Ohren da unten zu sein. Niemand kennt das Projekt so gut wie du und nur dir werden diese Pläne auffallen.“ Robert nickte, sagte jedoch nichts dazu. „Arthur ist kein Technikexperte, er wird diese Pläne weiter verkaufen wollen.“ „Und ich soll danach Ausschau halten. Glaubst du, er wird sich an mich wenden?“ Stan lachte verhalten. „Das wäre mehr als ein glücklicher Zufall. Nein, halt einfach nur die Augen und Ohren für mich offen, den Rest erledige ich.“ Die Rotoren brummten laut und fächerten die eiskalte Luft dieses Dezembertages in Stans Gesicht, während dieser ins Cockpit einstieg. Auf dem Pilotensitz saß indes sein treuer Butler und wartete geduldig auf den Befehl zum Abheben. Stan nickte, als er sich den Gurt umgelegt hatte und mit einem Rumpeln erhob sich der Vogel in die Lüfte. Nur wenige Minuten später und sie hatten die Stadt und den Hafen hinter sich gelassen und befanden sich nun über dem offenen Meer. „Sir?“ fragte mit einem Mal sein Butler und Stan sah nervös auf die Uhr. „Wir haben erst 19 Uhr, eine Stunde bleibt uns noch, bevor die Kinder kommen.“ Sie hatten sich alle darauf geeinigt, den Jahreswechsel gemeinsam auf der Insel zu feiern und nun stand Stan ein wenig unter Zeitdruck. Im Geiste ging er noch einmal die Liste mit den nötigen Zutaten und Utensilien durch. „Sir, wenn Sie erlauben …“ „Ich hoffe doch sehr, dass Sie dem heutigen Abend beiwohnen werden, Heathcliff.“ Sein Butler legte eine Mimik auf, als würde er seufzen wollen, fing sich jedoch wieder. „Gewiss, Sir, doch wenn Sie bitte einmal einen Blick auf das Radar werfen würden.“ Stan hob die Augenbraue und richtete seinen Blick auf den Bildschirm. „Das Signal haben wir auf dem Schirm, seit wir den Hafen verlassen haben, Sir“ Stan runzelte die Stirn. „Das ist allerdings eine seltsame Radarsignatur …“ murmelte er, als mit einem Mal sein Handy zu vibrieren begann. Als er auf das Display blickte, erkannte er die Nummer des Direktors. Sollte der Junge doch eingelenkt haben? Er drückte auf das grüne Hörersymbol und das erste, was ihm entgegenschallte, war ein zorniger Mann, der irgendwelche Anweisungen mit aufgewühlter Stimme in den Raum krächzte. „Bob? Was ist los?“ versuchte Stan sich Verhör zu verschaffen. „Was? Ach so, ja, Stan!“ Sein alter Freund klang mehr als nur zornig. Es wirkte mehr wie blanke Panik. „Stan, hier herrscht das absolute Chaos. Es hat mehrere Explosionen gegeben und niemand hat mehr die Kontrolle!“ Stan schluckte und fühlte die Unruhe, die sich in seiner Brust wie ein Geschwür ausbreitete. „Sir?“ fragte Heathcliff mit ratlosem, aber wie immer gefasstem Gesichtsausdruck. „Was ist mit dem Jungen und seinem Onkel?“ wollte Stan wissen und als Antwort bekam er zunächst nur ein Rauschen, ehe Bob heftig atmend antwortete: „Wir müssen davon ausgehen, dass mehrere Gefangene die Gelegenheit genutzt haben!“ Die Kinder! schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss sie warnen! Eilig legte er auf und wählte die Nummer von Hiro. „Heathcliff, wir drehen um!“ befahl er seinem Butler, während das gemäßigte Tuten des Freizeichens wie ein Donnerschlag durch den Kopf hämmerte. „Ja, Sir.“ erwiderte Heathcliff und zog am Steuer. Ein heftiger Ruck durchfuhr den Helikopter und ließ ihn schaukeln. Gleichzeitig erstarb das Freizeichen. „Was ist denn …?“ „Sir! Die Elektronik ist ausgefallen!“ Erst jetzt bemerkte der alte Mann die schwarzen Anzeigen. „Wir sinken.“ Als Stan seinen Blick aus dem Fenster richtete, sah er den hellen Sand seiner Insel nur wenige Meter vor ihnen. „Heathcliff?!“ bellte er seinem Butler entgegen. „Ich habe es unter Kontrolle, Sir!“ war dessen Antwort und Stan erschien es das Beste, ihn in Ruhe diesen Vogel auf den Boden steuern zu lassen. Gefasst und konzentriert hielt dieser das Steuer in der Hand, während ihm nur allzu deutlich die Anstrengung ins Gesicht geschrieben stand. Danke, Frau, dass du einen Heli und kein Flugzeug wolltest (kursiv) versuchte er sich abzulenken und sich zu beruhigen. Panik war das letzte, was sie nun gebrauchen konnten. Der sandige Boden kam immer näher und beinahe hätte Stan schon gejubelt. Aber nur beinahe. Ein weiterer heftiger Ruck durchfuhr den Helikopter und noch ehe Stan begreifen konnte, was gerade geschehen war, neigte sich der Heli zur Seite. „Festhalten!“ brüllte sein Butler und Stan sah den Aufprall kommen. Es vergingen nur Sekunden, doch kamen sie ihm wie eine quälende Ewigkeit vor. Ein letzter Blick nach außen und er konnte erkennen, dass der Vogel keinen Heckrotor mehr besaß. „Was …?“ Weiter kam er nicht und der Heli schlug laut krachend auf dem Strand auf. Seine Lunge brannte, gleichsam wie seine Augen, die er nur langsam zu öffnen im Stande war. Er spürte den Zug an seiner Jacke, jemand zog ihn den Strand entlang. Weg von den brennenden Trümmern seines einstigen Helikopters. Stan konnte den Kopf nicht drehen und er hoffte mit ganzem Herzen, dass es Heathcliff war, welcher ihn ins Haus zu bringen schien. „Wir … sind gleich da, Sir.“ Die gequälte, aber lebendige Stimme seines Butlers ließ ihn für einen kurzen Moment vergessen, was gerade geschehen war. Alles schien so surreal, so unecht, wie es nur ein Alptraum vermochte. Lass es einen Alptraum sein ... Heathcliff zog ihn bis an die Tür, deren Code dieser sofort hörbar in die Konsole hämmerte. „Sie brauchen sofort eine ärztliche Behandlung.“ Stan hatte seinen Butler immer für seine stoische Ruhe bewundert. Selbst jetzt, in diesem heillosen Chaos, blieb er gefasst und konzentriert. Dies war kein Augenblick für Schwäche. „Ich kann laufen …“ brachte Stan keuchend hervor und biss sich auf die Zähne, als er versuchte sich an der nächstbesten Gelegenheit hoch zu ziehen. Erst, als er den massiven Eichentisch erkannte, an dessen Kante er sich nun stütze, begriff er, dass Heathcliff ihn ins Wohnzimmer geschleppt hatte. „Bitte, Sir, bleiben Sie liegen.“ versuchte dieser ihm deutlich zu machen und riss den kleinen Schrank über dem riesigen Sofa auf. „Was war das?“ knurrte Stan stattdessen, rieb sich den dröhnenden Schädel und setzte sich auf einen der Stühle. Sein Butler war wieder an ihn herangetreten, die Hände mit Mullbinden, Klemmen und einem Skalpell bewaffnet und wollte gerade antworten, als Stan ihn erschrocken unterbrach. „Die Kinder! Wir müssen sie warnen!“ befahl er seinem Butler. „Sir, Ihre Wunden …“ „Kann ich erst einmal selbst versorgen. Wichtig ist, dass wir sie vor den beiden warnen.“ Sein Butler hob eine Augenbraue und sah ihn fragend an. „Nehmen Sie das Telefon, ich sage Ihnen die Nummer. Schnell!“ Man sah den Widerstand nur allzu deutlich in den Augen seines Bediensteten, doch tat er, wie ihm befohlen. Stan sah ihm hinterher, wie er an das Telefon ging, und hörte das Klacken, als der Hörer abgenommen wurde. „Sir …“ Weiter kam er nicht, als der donnernde Schall eines Schusses durch den Raum peitschte, dicht gefolgt vom lauten Aufschrei seines Butlers. „Heathcli …!“ Ein Schlag auf seine Brust, wie der eines Hammers, trieb ihm sämtliche Luft aus dem Körper. Erschrocken hob Stan den Blick und blickte in das wahnsinnige Antlitz eines Menschen, dessen Grinsen das ganze Gesicht zierte. Noch im selben Augenblick bückte diese Gestalt sich, griff an die Beine des Stuhls, auf dem er saß, und riss diesen mitsamt Stan in die Luft. Abermals sah er sich dem Boden näherkommen und die Wucht war nicht minder heftig als der Schlag zuvor. Laut krachend landete er mit dem Rücken auf dem kleinen, gläsernen Beistelltisch, welcher in unzählige Splitter zersprang und sich über den Boden ergoss wie fließendes Wasser. Der Schmerz war dumpf, doch völlig taub war er noch nicht. Wie betäubt versuchte er, seinen Kopf zu heben, als ihn eine Hand an der Kehle packte und ihn wie eine Puppe nach oben zog. „Sie sehen ein wenig müde aus.“ schallte ihm die hämische Stimme Odas entgegen und dessen Augen funkelten vor Freude. Er ließ ihn los und nun zum dritten Mal machte Stan die unangenehme Bekanntschaft mit dem Boden. Wenn das vorbei ist, besorge ich mir Teppiche knurrte er in seinen Gedanken und raffte sich am Sofa hoch, bis er aufrecht saß. An dem Mann, der vor ihm stand, war kaum noch etwas Menschliches. Der Blick von Wahnsinn und Gier verzogen, die Arme und Beine durch metallene Prothesen ersetzt, die leise mit jeder seiner Bewegungen surrten. Was sollte er nur tun? Er konnte sich nicht bewegen, geschweige denn kämpfen. Er dachte fieberhaft nach, er musste die Kinder kontaktieren. Irgendwie. Er musste Zeit schinden, bis ihm etwas einfiel. „Ich bin in der Tat etwas müde …“ beantwortete er die Frage von vorhin mit säuerlichem Unterton. Blitzschnell griff Oda an sein Holster und nahm den Revolver heraus. Knapp neben Stans Kopf barst der Stoff des Sofas und nur langsam realisierte er, dass er ihn nicht erschossen hatte. „Wollen Sie schlafen?“ kicherte Oda. Stan ließ diese Frage unbeantwortet. Er musste vorsichtig sein, denn es war nur allzu deutlich, dass er hier mit einem Wahnsinnigen sprach. „Was wollen Sie hier?“ wollte Stan wissen. Oda lachte und erwiderte: „Das, was alle wollen: Ein wenig Spaß haben.“ Beim Reden fuchtelte er wild mit seinem Revolver herum, bis er diesen wieder auf Stan richtete und abdrückte. Wieder zersprang der Stoff, diesmal auf der anderen Seite seines Kopfes. Er spielt mit mir „Wo ist der Junge?“ fuhr der alte Mann unberührt fort. Das war nicht das erste Mal, dass er in solch einer Situation steckte. „Mein Neffe?“ Oda trat näher an ihn heran und kniete sich vor ihm. „Familienprobleme. Ich konnte ihn leider nicht dazu überreden, an dieser Party hier teilzunehmen.“ Er erhob sich wieder und der Boden ächzte unter dem Gewicht seiner Prothesen. „Allerdings muss ich mich wohl bei euch bedanken, Mr. Zilla.“ erklärte er gespielt höflich weiter. „Das mit seiner Schwester, ein echt grandioser Zug. Ihr habt ihn mir ja geradezu in die Arme getrieben.“ Stan unterdrückte ein Husten, während er versuchte, sich unauffällig umzusehen. Oda tat indes dasselbe und ging im Raum auf und ab, während er munter weiter plapperte: „Eigentlich wollte ich ihm irgendeine dramatische Story auftischen, dass Sie seine Schwester verschleppt hätten, um uns aufzuhalten.“ Mit einem Mal begann er laut zu lachen, sah zu Stan hinüber und klatschte sich an die Stirn. „Und dann tut Ihr es tatsächlich!“ Euphorisch klatschte er sich dabei in die Hände. „Das war so nett von Euch. Ich bin wirklich gerührt.“ Langsam kam er wieder auf Stan zu und hockte sich direkt vor. „Es tut mir leid, dass ich so wenig Zeit für Sie habe. Mir ist klar, dass das hier eigentlich der Moment ist, an dem ich Ihnen meinen diabolischen Plan in allen Einzelheiten erklären sollte.“ Er sah auf die große Uhr an der Wand. „Allerdings fürchte ich, dass ich dann noch zu spät zur Party kommen würde, und die würde ich nur ungern verpassen.“ Er zog seinen Revolver wieder und drückte den blanken Stahl an seine eigene Schläfe. „Danke vielmals für die redliche Mitarbeit, Mr. Zilla. Ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen.“ Mit diesen Worten drehte er die Waffe und hielt sie nun Stan zwischen die Augen. Der Stahl war kalt und der Gestank von Schießpulver kroch ihm in die Nase. Seltsamerweise spürte Stan in diesem Augenblick keine Furcht oder gar Panik. Er selbst war erstaunt, wie ruhig er war. Er konnte seinen eigenen Herzschlag hören, wie dieser mit jedem Atemzug eine seltsam wohlklingende Melodie erzeugte, untermalt von dem metallenen Klicken des nun gesponnen Hahns. Es war ein Schatten, klar wie die Waffe, an seinem Kopf, welcher über dem Kopf Odas thronte und ihn schließlich in die Realität zurückholte. Fred … Dann klickte der Abzugshahn. Kapitel 36: Über den Dächern der Stadt -------------------------------------- „Wuhuu!“ Der Schrei der jungen Frau übertönte sogar die brummenden Düsen von Baymax, während sie sich an Hiro festkrallte. „Wie hoch fliegen wir?!“ fragte sie laut nach und der Angesprochene sah auf sein Helmdisplay. „Etwas über 400 Meter!“ erwiderte er. Unter ihnen erstreckte sich die Stadt mit ihren unendlichen Formen und Farben und den zahlreichen Ballons, die sanft im Wind wiegten. „Höher!“ lachte Sora hinter ihm. Hiro wurde etwas mulmig zumute. Höher wagte er sich nicht, da er nicht wusste, wie sie mit ihrem geschwächten Körper auf die dünne Luft reagieren würde. Sora war nur in eine dicke Jacke und Hose gekleidet, deren Stoff laut mit dem Wind flatterte. „Du hast keinen Schutzanzug!“ hielt er ihr entgegen und als Antwort drückte sie sich nur noch stärker gegen seinen Rücken. „Die Luft wird erst ab 2000 Meter oder mehr gefährlich!“ Hiro seufzte in seinen Helm hinein, doch musste er zugeben, dass er ihren Rausch nach Höhe nur allzu gut verstehen konnte. „Du hast es so gewollt.“ grinste Hiro und klopfte Baymax auf den metallenen Kopf. „Los, Großer, auf nach oben!“ rief er in sein Mikro, ehe er noch, etwas leiser, hinzufügte: „Aber behalt ihre Vitalwerte im Auge.“ „Ja.“ antwortete der Roboter und die Düsen an seinen Füßen fauchten laut. Hiro spürte den Rückstoß und auf seinem Rücken lachte Sora laut auf. 1000, 1100, 1200, … Hiro zählte in seinem Kopf nervös mit, obwohl er sich bewusst war, dass die Erfindung seines Bruders eine Gefahr sofort würde ausmachen können. Bei 2000 Metern angekommen ging Baymax in einen ruhigen Gleitflug über, während Hiro und Sora die untergehende Sonne im Westen bestaunen konnten, deren gleißendes Licht die Wolken in ein helles Rot tauchte. Es wurde still um sie herum und selbst Baymax´ Antrieb schien in weite Ferne gerückt zu sein. Sora sagte nichts, sondern richtete ihren Blick nur atemlos auf den Himmel. Über ihnen glaubte Hiro, die ersten Sterne sehen zu können. Er lenkte Baymax nah an den Wolken vorbei und, wie Hiro es sich gedacht hatte, konnte Sora nicht widerstehen und streckte ihren rechten Arm in die Höhe. Ihre zierlichen Finger, umhüllt von dunklem Stoff, tauchten in den weißen Dunst und zauberten ihr ein Lächeln auf die Lippen. Die Minuten vergingen und inzwischen hatte die junge Frau sich wieder an seinen Rücken geschmiegt, bis sie ihn mit einem Mal mit unschuldigem Lächeln fragte: „Wie schnell kann dein Freund eigentlich fliegen?“ Hiro musste grinsen und verkündete mit stolzgeschwellter Brust: „Er durchbricht ohne Probleme die Schallmauer.“ Sora kicherte und flüsterte beinahe unhörbar in sein Ohr: „Das ist gut.“ Der Hamada verstand das zwar nicht, doch löste der Hauch ihrer Stimme einen Schauer auf seinem Rücken aus und sein Herz begann zu rasen. „Wieso fragst …?“ Doch weiter kam er nicht, als er im Augenwinkel sah, wie Sora ihn anlächelte und dann los ließ. Es dauerte einen Moment, auch wenn er Hiro wie eine Ewigkeit vorkam, ehe er begriff, was sie tat. Ihr Exoskelett surrte und mit einem kräftigen Satz drückte sie sich von Baymax‘ Rücken ab. „Was …!“ erschrocken blickte er ihr hinterher, wie sie schnell an Höhe verlor und Baymax reagierte sofort. Mit einer schnellen Kurve wendete der Roboter und schoss dem Mädchen hinterher. Hiro blieb die Luft weg, als er sah, wie sie sich in der Luft drehte und den Kopf nach unten drückte, als würde sie von einem Sprungbrett ins Wasser springen. Als Hiro und Baymax neben ihr waren, hielt er ihr seine Hand hin. „Halt dich fest!“ Doch sie lächelte nur, packte seinen Kopf und drückte ihm einen Kuss auf das Visier, bevor sie sich wieder von ihm wegdrückte. Der Boden kam immer näher und Hiro wurde langsam panisch. Er und Baymax wiederholten das Manöver und diesmal ergriff sie laut lachend seine Hand. Als sie sich wieder an seinen Rücken geschmiegt hatte und ihre Arme um seine Brust schlang, ging Baymax langsam wieder in den waagerechten Flug über. „Bist du irre?!“ fragte Hiro und seine Stimme überschlug sich beinahe vor Panik. Die junge Frau lächelte nur und drückte ihm einen weiteren Kuss auf den Helm. „Nein! Nur glücklich!“ Hiro trieb es die Hitze ins Gesicht, doch verdrängte er die aufkommenden Gedanken schnell wieder. Die Minuten vergingen, in denen die Beiden ohne ein weiteres Wort über der langsam heller werdenden Stadt ihre Kreise zogen. Licht um Licht erstarkte und vertrieb die aufkommende Dunkelheit des Abends und die ersten Sterne begannen über ihnen ihre Bahnen zu ziehen. „Das ist wunderschön.“ hauchte Sora in den Himmel und streckte ihren Arm in die Höhe. „Als wären sie greifbar.“ „Ja …“ stimmte Hiro ihr leise zu, als das Surren von Baymax´ Scanner seine Aufmerksamkeit erregte. „Hast du irgendwas, Großer?“  „Ja.“ war die monotone Antwort des Roboters. „Zwei registrierte Personen nähern sich der Stadt.“ Hiro hob eine Augenbraue. „Wer?“ „Mr. Yamoro und Mr. Nobusaka.“ Hiro sackte das Herz in die Hose und der kurzweilige Frieden in seiner Brust wurde von Panik überschwemmt. „Was ist los, Hiro?“ meldete sich Sora hinter ihm. Hiro beschloss, dass es besser war, ihr nichts zu verraten. „Alles gut. Baymax hat mich nur daran erinnert, dass wir ja noch eine Verabredung haben.“ Hinter ihm lachte Sora laut auf. „Ja!“ Baymax zog eine scharfe Kurve und lenkte seinen Flug in Richtung des Zilla Anwesens. „Soll ich deine Freunde kontaktieren?“ wollte Baymax wissen und Hiro klopfte ihm als Antwort auf den Kopf. So sanft, wie es Baymax möglich war, landete er im riesigen Garten, inmitten des kleinen Pavillons in der Mitte, in dem sie vor fast zwei Jahren noch Freds Butler für ihre neue Superheldenausrüstung missbraucht hatten. Der Hamada half Sora noch herunter und ihr Haarreif schimmerte in schwachem Blau, als sich ihre Beine zu bewegen begannen. „Hey, ihr zwei.“ Es war Fred, der die Ankömmlinge sofort begrüßte, begleitet von den anderen, die sich auf die Stufen der kleinen Treppe zum Haus gesetzt hatten und mit neugierigem Blick Hiro erwarteten. In weiser Voraussicht hatte dieser seinen Freunden noch mitgeteilt, dass sie ihre Kampfmontur noch nicht anziehen sollten, damit Sora nicht noch auf seltsame Gedanken kam. „Es wird wohl Zeit, dass ich nach Hause komme.“ stellte Sora nach einer kurzen Pause fest und sah zu Hiro hinüber. „Ich hoffe doch sehr, dass wir das im nächsten Jahr wiederholen.“ lächelte sie ihn strahlend an. „Klar.“ erwiderte Hiro und dachte angestrengt nach, während Fred neben ihm immer wieder an seinem Handy rumspielte. „Na, ihr Nerds?“ Er erkannte die freudige Stimme seiner Tante, die erwartungsvoll im Türrahmen stand, die Hände mit Töpfen beladen. „Wollen wir langsam los? Das Zeug wird langsam lästig.“ Hiro gab Honey einen kurzen Wink und das reichte aus. Die Blondine nickte wissend und griff Sora sanft an der Schulter. „Komm, wir helfen ihr mal.“ Soras Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Überraschung und Widerwillen, doch zu Hiros Überraschung stellte sie Honey nicht in Frage, sondern folgte der Order schweigend, jedoch nicht ohne einen letzten hilfesuchenden Blick zum Hamada. Als die drei außer Hörreichweite waren, fragte Wasabi mit deutlich gedämpfter Stimme: „Also, wie sieht der Plan aus?“ Es dauerte keine Minute, bis Honey wieder bei der Gruppe war. „Cass wird sie ablenken.“ erklärte sie knapp und Hiro dachte nach. „Zu allererst müssen wir Sora und Cass verstecken und dann müssen wir uns überlegen, wie wir den beiden entgegentreten.“ Seine Freunde nickten zustimmend. „Noch wissen se ja nich, wo die beiden sind.“ „Und wir nicht, ob sie überhaupt ihr Ziel sind.“ fügte Honey noch hinzu, während Gogo neben ihr still und leise ihren Kaugummi aufblies. „Allerdings sollten wir bei beiden auch kein Risiko eingehen.“ „Ich bekomme Heathcliff nicht ans Telefon.“ erklärte mit einem Mal der Comicnerd und schob sein Handy genervt in die Hosentasche. Hiro sah ihn fragend an. „Wieso Heathcliff?“ Fred lachte wissend und setzte sein schelmisches Lächeln auf. „Na hör mal, Hiro. Der sicherste Ort für die Beiden ist die Insel meines Dads.“ Dem musste Hiro allerdings zustimmen. Der Ort war sehr abgeschieden und nur die wenigsten wussten überhaupt davon. Dort sollten die beiden sichern sein. „Heathcliff könnte sie ausfliegen, während wir uns auf die Suche nach ihrem Onkel machen.“ merkte Honey an und für Hiro wirkte es so, als vermied sie bewusst Naokos Beteiligung an diesem Ausbruch. „Hiro, wie lange ist der Scan jetzt her?“ fragte überraschend Gogo in die Runde. „Eine halbe Stunde etwa.“ Gogo sah ihn scharf an. „Dann sollten wir uns besser beeilen.“ Die Anderen nickten zustimmend. „Wenn wir zuerst zuschlagen, sollten sie keine Chance haben, sich um die beiden zu kümmern.“ erkannte Hiro und schlug die Faust in seine offene Hand. „Dann dürfen wa keene Zeit verlieren.“ knurrte der Riese angriffslustig und setzte seine Kampfbrille auf. Hiro musste schlucken. So hatte er Wasabi noch nie erlebt. Doch nickte der Hamada zustimmend. „Zieht euch um. In fünf Minuten geht es los.“ Gesagt, getan. Mit der Truppe beladen, rumorten Baymax´ Düsen und erhoben sie in die kalte Abendluft. Über der Stadt warf Baymax seinen Scanner auf Hiros Befehl hin wieder an. „Was siehst du?“ fragte Hiro. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und er war fest entschlossen, die beiden diesmal aufhalten zu können, ehe sie noch etwas Schlimmeres würden anstellen können. „Sie haben sich aufgeteilt.“ erklärte der Roboter zur allgemeinen Überraschung. „Wohin genau?“ stellte Honey die Frage, die wahrscheinlich in jedem ihrer Köpfe herumspukte. „Mr. Yamoro bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit der Hauptstraße entlang in den Süden der Stadt.“ „Was will er da?“ wollte Wasabi wissen, doch der Roboter fuhr unbeirrt fort: „Mr. Nobusaka befindet sich im Westen, auf dem offenen Meer.“ „Was?!“ Die Überraschung war groß, bis Fred erkannte: „Dort liegt das Family-Eiland.“ Hiro verschwendete keine Sekunde und befahl dem Roboter, Oda zu folgen. Die Düsen brüllten laut und schnell nahm Baymax Geschwindigkeit auf. Hiro wusste, dass seine Freunde derselben Meinung waren wie er. Naoko konnte warten.  „Mein Dad macht ihn platt, keine Frage.“ witzelte indes Fred ohne jede Furcht in der Stimme. Hiro konnte nicht anders, als ihn für diese Gelassenheit zu bewundern, allerdings musste er auch zugeben, dass sein Vater als ehemaliger Superheld Oda mehr würde entgegensetzen können als damals Tante Cass. Abrupt bremste Baymax seinen Flug ab und beinahe hätte es die Freunde von seinem Rücken gerissen. Irritiert richtete Hiro seinen Helm wieder zurecht. „Was soll das?“ rügte er den Roboter. Doch dieser hob nur seinen Arm und zeigte geradeaus in die Dunkelheit. „Das Ziel bewegt sich auf uns zu.“ Hiro war sofort alarmiert und versuchte seinen Blick zu schärfen. Auch seine Freunde versuchten angestrengt, etwas zu erkennen, doch konnte man in der Schwärze der Nacht kaum etwas sehen. „200 Meter.“ zählte Baymax. „100 Meter.“ „Wo zur Hö…?!“ fing Hiro an, doch unterbrach ihn ein tiefes Rumoren unter ihm. Er hörte die fließende Bewegung von Wellen. Von ziemlich großen Wellen, wie er vermutete. „Er entfernt sich wieder.“ „Wir müssen hinterher!“ brüllte Hiro und Baymax warf bereits seine Düsen an, als Honey die beiden unterbrach. „Halt! Wir wissen noch gar nicht, warum er auf der Insel war.“ Honey hatte diesen Satz gerade erst ausgesprochen, als ein ohrenbetäubender Knall Hiros Ohren erreichte. Es fühlte sich an, als wäre sein Trommelfell zerrissen und in seinem Schädel vibrierte es, als die Schockwelle die Gruppe erreichte. Als der Hamada sich wieder gefangen hatte, hörte er Wasabi unter ihm brüllen: „Da!“ Dann sah Hiro den Feuerball, der sich glühend und leuchtend in den Nachthimmel erhob. Seine geisterhafte Silhouette spiegelte sich im Wasser wieder und es schien beinahe so, als würde der ganze Himmel brennen. Der Wind wehte heftig und trieb Hiro die Hitze ins Gesicht. Unter ihm riss Fred seinen Helm ab. Er brauchte nichts zu sagen, denn, ohne eine Anweisung abzuwarten, befahl Hiro Baymax weiter zu fliegen. Aus dem Augenwinkel sah Hiro, wie Wasabi Fred sanft gegen die Schulter schlug. „Mach dir kenen Kopf. Dein Dad hat doch den geheimen Keller.“ Der Hamada erkannte nur allzu gut, dass der Riese von seinen eigenen Worten nicht völlig überzeugt war. Nur einen Augenblick später, das Feuer hatte sich bereits verzogen, landete die Gruppe in den langsam über den Boden kriechenden Rauchwolken, gefüllt mit Asche und Funken. Einzelne Brandherde tauchten die Szenerie in ein gespenstisches Licht und Fred war der Erste, der sich erhob. Während der warme Wind mit seinen Haaren spielte und der Rauch um sie herum tanzte, suchte der junge Zilla fieberhaft in den brennenden Trümmern. „Baymax! Scanner!“ Die Freunde eilten ihm sofort zur Hilfe und gemeinsam suchten sie vom brennenden Skelett des Hauses umzingelt nach irgendwelchen Anzeichen von Freds Vater. „Dad?!“ rief Fred in die Nacht hinaus. „Dad?!“ Immer und immer wieder. Hiro sah, wie sein Freund auf die Knie ging. „Wo bist du?“ wisperte er. Noch ehe jemand reagieren konnte, war Gogo schon bei ihm und erschrocken sahen die anderen, wie diese mit der blanken Hand dem Zillasprössling quer durchs Gesicht scheuerte. „Hör auf! Dein Dad ist kein Idiot! Er wird sich in der Anlage in Sicherheit gebracht haben! Such weiter!“ Fred sah sie erschrocken von unten an, als Honey, nicht ganz so laut, hinzufügte: „Die Explosion war überirdisch und der Krater ist nicht tief. Die Anlage sollte intakt sein.“ Für einen kurzen Moment sah Hiro, wie Freds Mundwinkel zuckten. „Baymax?“ wandte er sich an den Roboter. „Mein Scanner kommt nicht durch die Mauern.“ „Sie sind noch intakt!“ verkündete Wasabi und Hiro erkannte die Möglichkeit. „Erkennst du Unregelmäßigkeiten beim Scan?“ Der Roboter hob den Kopf und nach einer kurzen Zeit hob er den Arm. „Dort.“ Sofort eilten die Freunde an die Stelle, auf die Baymax sie wies und begannen die Trümmer beiseite zu räumen. Nach einer gefühlten Ewigkeit stießen sie schließlich auf etwas Schweres. Es war ein kleiner, metallener Eingang, so breit wie eine Tür. „Baymax, öffnen!“ befahl der Hamada und augenblicklich machte der Roboter sich ans Werk. Ein lautes Knarzen und er bog das Metall nach außen und offenbarte einen Tunnel, der in die Tiefe führte. „Los! Runter!“ Auf Hiros Befehl hin kletterte die Gruppe auf Baymax‘ Rücken und  in einem vorsichtigen Sinkflug versanken sie in Dunkelheit. „Das muss der Fahrstuhltunnel sein.“ kommentierte Fred. Nach einer knappen Minute setzte der Roboter schließlich auf dem besagten Aufzug auf. Sofort begannen die Freunde, diesen zu öffnen und sprangen zusammen hinein. Als sie dann noch die Tür öffneten, ergoss sich die tiefschwarze Dunkelheit des Raumes vor ihnen. Erst nach einigen Sekunden, als sich ihre Augen allmählich daran gewöhnten, nahmen sie das schwache rote Licht an der riesigen Decke wahr. „Dort.“ Baymax wies auf das Geländer vor ihnen und sofort erkannte Hiro die atmende Silhouette. „Heathcliff!“ rief Fred und stürmte los, seine Freunde im Schlepptau. Der Butler sah auf und ließ ein Schnauben vernehmen. Er sah grauenvoll aus. Die einst vornehme Kleidung war zerrissen und geschwärzt. Sein rechtes Bein war blutgetränkt und er hatte es nur notdürftig mit einem Fetzen seines Ärmels abgebunden. „Master Frederic.“ Er hustete leise, als er den Namen aussprach. „Baymax!“ bellte Hiro und surrend begann der Scanner zu arbeiten. „Die Blutung wurde gestoppt. Es sind keine Anzeichen für Infektionen oder andere äußerliche Verletzungen zu erkennen. Ein leichtes Schädeltrauma und angebrochene Rippen. Seine Verletzungen müssen versorgt werden.“ Sofort aktivierte Honey ihre Tasche und ließ zwei gelbe Bälle ausspeien. Während die Chemikerin damit beschäftigt war, die offene Wunde zu desinfizieren, erkannte Hiro im Augenwinkel Gogo, die sich etwas fernab der Gruppe hinkniete. Hiro sah auch weshalb.  „Fred …“ fing Hiro vorsichtig an, zog seinen Helm vom Kopf und legte seine Hand auf Freds Schulter. Der Comicnerd verstand sofort, folgte Hiros Blick und erhob sich langsam. Mit langsamem Schritt ging er auf Gogo zu und, noch ehe er zu atmen wagte, drehte sie sich um und hielt dem ankommenden Fred ihre Faust gegen die Brust, um ihn aufzuhalten. „Du solltest dir das besser nicht ansehen ...“ flüsterte sie leise. Still sah Fred an ihr vorbei und seine Augen funkelten im schwachen Schein des Lichtes. „Dad?“ Hiro wollte es nicht glauben und sah zu Baymax rauf, doch der Roboter war völlig still und beobachtete bewegungslos die Szenerie. Gogo saß noch immer neben Fred und legte einen Arm um ihn. Seine Schultern bebten schwach und Hiro kannte den Schmerz nur allzu gut, der in seinem Freund toben musste. Schmerzlich erinnerte er sich an die Hitze des letzten Tages vor fast zwei Jahren. „Es … Es tut mir leid, Master Frederic.“ Die Stimme Heathcliffs war schwach und kratzig, doch konnte man die Reue und Trauer dieses Mannes spüren. „Ich habe versagt.“ Honey hatte inzwischen mit den Utensilien in Baymax´ Bauch die Wunden notdürftig verbunden. Fred war völlig still und erwiderte nichts. Gerade, als Hiro den Mund aufmachen wollte, machte sich sein Helmdisplay bemerkbar. Auf dem kleinen Bildschirm blinkte im Sekundentakt ein rotes Symbol, ähnlich dem eines Ausrufezeichens, und Hiro spürte, wie sich sein Hals zuschnürte. „Hiro?“ fragte Wasabi vorsichtig, der Hiros Ausdruck bemerkt zu haben schien. „Cass …“ Es war ihr Peilsender, den Hiro ihr kurz nach der Abreise von der Insel gegeben hatte, dessen piependes Geräusch nun wie Schüsse in seinem Verstand widerhallte. „Ich muss zu ihr …“ begann Hiro mit zitternder Stimme. Mit ratlosem Blick sah er zu Fred hinüber, der noch immer von Gogo im Arm gehalten wurde. „Geht …“ erwiderte er leise. Hiro griff sich an die Stirn und am liebsten hätte er laut losgeschrien. Warum jetzt? Gogo drückte Fred noch einmal an sich und knurrte leise: „Wir schnappen uns den Kerl!“ Dann erhob sie sich und lenkte ihre Schritte zu den anderen. „Fred?“ fragte Honey sanft. „Ich komme nach …“ gab Fred als Antwort zurück, als er die leblose Hand seines Vaters berührte. „Ich werde auf ihn achten.“ schaltete sich Heathcliff ein, bemüht um Haltung und Etikette. „Wie sollen wir ein solches Monster aufhalten?“ fragte Honey leise und Hiro merkte nur allzu deutlich die Furcht und Hilflosigkeit, die in ihrer Stimme mitschwang. „So, wie wir es immer getan haben.“ war die einzige Antwort, die Hiro einfallen mochte. „Zusammen.“ Er atmete hörbar aus und wandte sich dann wieder dem Roboter zu. „Sind Heathcliffs Werte stabil?“ Der Roboter erwiderte: „Ja.“ Hiro ging auf Baymax zu und kletterte auf dessen Rücken. „Uns bleibt keine Zeit.“ Seine Freunde, bis auf Fred, nickten zustimmend und schlossen zu den beiden auf. Hiro spürte den aufkommenden Zorn und den inneren Kampf. Er wollte Fred nicht zurücklassen, nicht jetzt und nicht hier. Doch wusste er, dass er keine Wahl hatte. „Leute …“ begann er zögernd und in den Augen seiner Freunde konnte er die Zweifel sehen. Honey und Wasabi nickten schwach und unsicher, während Gogos Augen vor Zorn zu glühen schienen. „Baymax …“ Er wagte einen letzten Blick zu Fred und biss sich auf die Lippe. „Volle Schubkraft …“ Kapitel 37: Kapp das Band ------------------------- Quietschend kam das Motorrad zum Stehen. Die Straße war lediglich von den vereinzelten Straßenlaternen beleuchtet, deren Licht die unbekannten Männer vor dem Torbogen seines alten Zuhauses offenbarte. Sie waren alle in Anzüge gehüllt, mal etwas alt, mal edel. Doch waren sie alle bewaffnet und musterten mit nervösem Blick den jungen Yamoro. Er stellte die Maschine ab, zog den Schlüssel und schritt nervös, aber um Ruhe bemüht, auf das Haus zu. Die Männer ließen ihn nicht aus den Augen, doch hielten sie ihn auch nicht auf. Er hörte sie hinter sich flüstern und langsam dämmerte ihm, wer diese Typen waren. Er hörte die durch das Holz gedämpften Stimmen im Inneren des kleinen Gebäudes. Auch vor dieser Tür standen zwei Männer, Gewehre im Anschlag, und blickten angespannt zu ihm herunter. Doch wie die anderen zuvor ließen sie ihn ohne jede Gegenwehr passieren. Geräuschvoll schob er das mit Leinen bekleidete Shoji beiseite und betrat den Dojo. Das Erste, was er sah, war ein kleiner Mann, gehüllt in einen teuer aussehenden Anzug. Er kniete vor den zahlreichen Kerzen, die den Raum in ein warmes Licht tauchten. „Kyodo-san sichert euch seine volle Unterstützung zu.“ ratterte der Mann in fließendem Japanisch runter. Erst jetzt erkannte Naoko die Gestalt, die vor den Kerzen kniete, den Rücken zu ihm und dem Mann gewandt. Der Yamoro brauchte nicht lange, um zu erkennen, wer das war. Die Rüstung, die der Mann trug, war kunstvoll verziert und die metallenen Panzerplatten schimmerten im Kerzenlicht. „Ich sagte Nein.“ antwortete sein Vater in einem ruhigen, aber druckvollen Tonfall, den Naoko nur allzu gut kannte. Offenbar hatten die beiden ihn noch nicht bemerkt und kurzerhand beschloss er, dies zu nutzen. Eiligen Schrittes trat er hinter den Anzugträger, der gerade wieder zu sprechen begann: „Meister Yamoro, es ist meine Pflicht, als ihr Schüler …“ Weiter ließ Naoko ihn nicht sprechen, sondern nahm einen weiteren Schritt und stand nun direkt neben ihm. Augenblicklich verstummte der Mann und sah Naoko von unten heraus mit überraschtem und grimmigem Blick an. Naoko verbeugte sich höflich und erwiderte: „Wenn Sie erlauben.“ Er erhob sich und erst jetzt sah Naoko das Katana, das er bei sich trug. Instinktiv legte der Yamoro seine linke Hand an das Heft seines eigenen. Er spürte, wie das Blut in seinen Adern stärker zu pulsieren begann, als würden diese jeden Moment bersten. „Wie Sie gesagt haben, Meister.“ fuhr der Mann fort und zu Naokos Überraschung verbeugte er sich und erklärte: „Hajimemashite, Handa Shuichi desu.“ Naoko nickte, antwortete jedoch nicht. Ihm war völlig egal, wer der Kerl war, und, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, sah er zu seinem Vater. „Wie ich sehe, hast du mich erwartet.“ Der alte Mann hatte sich inzwischen erhoben und sah ihn von oben herab mit seinen eisblauen Augen an. Für einen kurzen Moment war die Szenerie in Stille getaucht und lediglich das leise Flackern der Kerzen erfüllte den Raum. „Handa, ihr solltet jetzt gehen.“ „Meister …“ wollte dieser protestieren, doch die erhobene Hand Yamoros ließ ihn verstummen. „Dies ist eine Angelegenheit, die nur mich und meinen Sohn betrifft. Geht!“ Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Wie Ihr wünscht.“ erwiderte Handa ruhig, verbeugte sich höflich und murmelte noch ein respektvolles: „Saýonara.“ ehe er an Naoko vorbeiging und den Dojo verließ. Eine Pause folgte auf das Klacken der zugeschlagenen Schiebetür, in der der Sohn seinem Vater still gegenüber stand, bis der alte Mann laut seufzte. „Was willst du hier?“ Langsam nahm Naoko die Hand vom Schwert, öffnete den Gurt und nahm die Klinge ab. Unter den wachsamen Augen seines in Rüstung gehüllten Vaters sank er auf seine Knie und legte die Klinge sorgsam vor sich. Erst danach sah er wieder auf und erwiderte: „Ich will Antworten.“ Der alte Yamoro hob eine Augenbraue, doch abgesehen davon ließ er sich absolut nichts anmerken. Selbst nach Jahren war es Naoko unmöglich, seines Vaters Gemütszustand zu erkennen oder seine Gedanken auch nur ansatzweise zu erahnen. Zahlreiche Fragen schossen durch seinen Kopf, gleich wie Gewehrkugeln. Bist du überrascht? Bist du wütend? „Ich schulde dir keine Antworten.“ erklärte sein Vater barsch, auch wenn er sich sichtlich um Fassung bemühte. „Du hast diesen Dojo entehrt, unsere Familie.“ Naoko fühlte den Zorn in sich aufkeimen, doch versuchte er, ihn, so gut es ging, hinunterzuschlucken. Und was hast du getan? hätte er am liebsten gefragt, doch auch, wenn er bereit war, die Antworten, die er suchte, zu erzwingen, so wollte er, so gut es ging, eine offene Konfrontation vermeiden. Immerhin wusste er, wie stur sein Vater sein konnte. Stattdessen versuchte er, fürs erste das Thema zu wechseln. „Du scheinst etwas anderes erwartet zu haben.“ Sein Blick ruhte auf der reich geschmückten Rüstung. Sein Vater bemerkte dies und nickte verhalten. „Ja, offen gesagt, habe ich das.“ „Und die Männer vor der Tür?“ wollte Naoko wissen und zeigte mit dem Daumen hinter sich. „Alle bewaffnet und ziemlich nervös. Hast du geglaubt, dass ich ein Blutbad anrichten wollte?“ Sein Vater schüttelte ruhig den Kopf. „Nein, diese Herren sind nicht auf meine Anweisung hier. Sie haben mich lediglich davon in Kenntnis gesetzt, dass du dich deiner gerechten Strafe entziehst.“ Naoko zog eine Grimasse und biss sich auf die Unterlippe. Gerecht?! Innerlich brannte er bereits und seine Gelenke schmerzten, als er seine Finger in den Stoff seiner Hose vergrub. Doch schluckte er seinen Ärger lieber weiterhin herunter, denn noch hatte er seine Antworten nicht. „Sind diese Herren zufällig von der Yakuza?“ fragte Naoko gerade heraus. Ob seinen Vater dies überraschte, konnte er nicht erkennen, doch hatte er den Eindruck, als würde sein Vater darum kämpfen, ihn nicht gleich an Ort und Stelle zu verprügeln. „Ich weiß nicht, mit welchen Geschichten Oda deinen Verstand vergiftet hat …“ begann der alte Mann, doch unterbrach sein Sohn ihn direkt. „Geschichten, die nach einer Antwort verlangen.“ In seinem Kopf tobte bereits ein erbitterter Kampf um Fassung und nur mühsam konnte er seinen Oberkörper dazu zwingen, sich zu beugen. Die Hände vor sich ausgebreitend, die Stirn auf dem hölzernen Boden ruhend, sagte er: „Nichts weiter als Antworten. Ich bitte dich.“ Sein Vater erwiderte nichts und Naoko fügte hinzu: „Danach werde ich wieder verschwinden.“ Diese Halbwahrheit ging ihm nicht leichtfertig über die Lippen, doch hoffte er inständig, dass dies diesen sturen Ochsen dazu bewegen würde, endlich den Mund aufzumachen. Er hörte ihn seufzen und das Flattern von Kleidung, gemischt mit dem charakteristischen Knirschen von Metall, verriet ihm, dass sein Gegenüber nun ebenfalls kniete. „Ich höre.“ Erleichtert über diese Worte erhob sich Naoko wieder. „Oda erzählte mir, dass du in deiner Tätigkeit als Schatten für die Yakuza gearbeitet hast.“ Die grimmige Miene seines Gegenübers machte nur allzu deutlich, dass dies keine Frage war, die sein Vater beantworten wollte, doch musste ihm inzwischen klar sein, dass Naoko bereits zu viel wusste, um es noch weiter geheim zu halten. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und nickte schwach. „Ja, das ist wahr.“ Er seufzte laut und begann zu erzählen: „Ich bin in meiner jugendlichen Naivität ein paar Mal mit ihnen aneinander geraten. Irgendwann hatten sie mich geschnappt und stellten mir ein Ultimatum: Entweder arbeitete ich meine Schulden ab oder sie hätten mich am Grund des Meeres versenkt.“ Naoko musste innerlich schmunzeln. Das klang mehr nach der Mafia als nach der Yakuza. „Und in ihrem Auftrag hast du einen gewissen Wang kennengelernt.“ Wieder nickte er. „Auch das ist wahr.“ Naoko zog den rechten Ärmel seines Pullovers hoch und entblößte die im Kerzenschein schimmernde Prothese. „Und dieser Mann ist dafür verantwortlich …“ „Ja, das ist er.“ Das Familienoberhaupt verzog das Gesicht, bevor es fortfuhr: „Die Yakuza haben gut gezahlt und unter ihrer Führung hatte ich die Gelegenheit, meine Ziele zu erreichen.“ gab er zu und griff an das Heft seines Katanas. Geräuschvoll zog er es aus der Scheide und legte es vor sich auf den Boden. Der rötliche Stahl leuchtete im Licht, als bestünde er selbst aus reinem Feuer. „Mit ihrer Hilfe konnte ich endlich das Schwert erschaffen, das ich mit ganzem Stolz mein Eigen nennen konnte.“ „Und dafür musstest du Wang ans Bein pissen?“ zischte Naoko leise. „So gesehen ja. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings nicht, zu was dieser Mann fähig war.“ „Und als er sich an deinen Kindern vergriffen hat, hast du den Schwanz eingezogen und nichts unternommen …“ Die Augen seines Vaters zuckten nervös und Naoko spürte, dass er dabei war, eine gefährliche Grenze zu überschreiten. Er atmete tief und hörbar durch. Er würde keine Angst mehr zeigen und sich den Konsequenzen seines Handelns stellen. „Du hast uns beide aufgegeben …“ fuhr Naoko unbeirrt fort und fühlte den strafenden Blick, der auf ihm ruhte. „Du hast Sora aufgeben …“ Zu Naokos Überraschung schloss sein Vater nur die Augen und seufzte erneut. „Nein, das habe ich nie …“ fing er an und das war Naoko zu viel. „Lüg mich nicht an!“ In all der aufbrodelnden Wut ergriff er sein Schwert, zog es aus der Scheide und rammte die Klinge in den Boden. Das Holz splitterte und der Stahl sang sein metallenes Lied. Sein Gegenüber sah ihn nur aus müden Augen heraus an. „Als ich von der Bombe erfuhr, habe ich in Rage sieben seiner Männer getötet, ehe die Polizei mich aufhalten konnte.“ Naokos Metallgelenke knirschten, als er den Griff um das Heft verstärkte. „Erst drei Tage später haben sie mich wieder rausgelassen. Ein alter Freund von mir hatte das möglich gemacht. Erst da erfuhr ich, dass du deinen Arm und Sora ihr Leben verloren hatte.“ „Sie ist noch nicht tot!“ presste Naoko zwischen seinen Zähnen hervor. „Glaubst du, ich hätte nicht jeden erdenklichen Strohhalm ergriffen?!" hielt sein Vater ihm nicht minder hitzig entgegen. „Dann hast du nicht genug getan!“ Ein kurzer Ruck und zischend begann das Schwert, sich durch den Holzboden zu brennen. „Was ist das?“ Hast du Angst, alter Mann? Naoko lächelte stumm in sich hinein über diese Vorstellung. „Laserinduziertes Plasma.“ erwiderte der junge Mann und er kam nicht umhin zu lächeln. Kannst du dir vorstellen, wie viel Angst ich habe? Es dauerte einen Moment, bevor sein Vater knurrend fortfuhr: „Ich kann den Hass und die Wut in dir verstehen, mein Sohn.“ Es lag ein seltsamer und Naoko völlig unbekannter Unterton in seiner Stimme, doch waren es die Worte, die in seinem Kopf einen unheimlichen Lärm auslösten. Lächelnd erklärte er: „Du hast einmal gesagt, dass ich mein eigenes Schwert schmieden muss, um den nötigen Respekt davor zu erhalten. Um meine eigene Musik zu hören.“ Er zog das Katana zischend aus dem Boden und erhob sich langsam. „Dann hör jetzt mal genau hin!“ Begleitet von einem Schwarm Funken zog er das grünglühende Schwert über den Boden und sprintete auf seinen Vater zu. Flink wie eine Katze schob dieser seine Hand unter sein Schwert, warf es hoch und fing es in der Luft, noch während er seinen Körper nach oben drückte. Mit einem lauten Zischen krachten die beiden Schwerter zusammen und Naoko erschrak. Die rote Klinge widerstand dem Plasma und, davon überrascht, nutzte sein Vater dies aus, drehte das Schwert mit dem seinigen und schlug es zur Seite, nur um im selben Atemzug seine Faust durch Naokos Gesicht zu fahren. „Überrascht?“ fragte der alte Mann spöttisch und Naoko spuckte Blut aus seinem Mund, während er einen  Schritt zurückwich. „Das ist Vibranium. Es gibt nichts auf dieser Welt, was dieses Schwert bezwingen kann. Auch deine neumodische Erfindung nicht!“ Naokos Blut kochte und schrie nach mehr. Sofort warf er sich wieder nach vorne und wieder hielt sein Vater dagegen. Schlag folgte auf Schlag, während das Metall mit jeder Berührung kreischte. Dem Schlag seines Vaters zuvorkommend, rammte er seinen Fuß in dessen Magen. Wie ein Donner durchfuhr der Schlag seinen Körper und warf ihn in die brennenden Kerzen, die mit einem lauten Scheppern mitsamt Tisch und Halter brachen. Naoko nutzte die Chance und warf sich wieder nach vorne. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust, während - wie in Zeitlupe - sein Gegner sich auf die Beine hob. Glühend wie Feuer malten die Klingen ihr eigenes Bild. Verbissen und ohne jede Gnade schlug Naoko auf seinen Vater ein, der die Angriffe immer wieder abwehrte. Doch war er immer einen Augenblick zu langsam. Laut schrie er auf, als das glühende Plasma sich durch das weiche Fleisch seiner Schulter schnitt. Getroffen strauchelte sein Vater gegen die Wand. Naoko breitete die Arme aus. „Was ist los?! Sagtest du nicht selber, dass jeder Kampf wie ein tödlicher geführt werden sollte?! Wo ist deine Entschlossenheit?!“ schrie er ihn an und ging zum nächsten Angriff über. Katzengleich wich sein Vater diesem aus und schlug ihm erneut ins Gesicht. Diesmal nutzte er die Lücke in Naokos Verteidigung. Sofort warf sich der bullige Mann nach vorne, überbrückte die wenigen Meter zu seinem nach hinten gestrauchelnden Sohn und schlug erneut zu. Immer wieder. Mit dem letzten Schlag rammte er seinen Fuß in seine Rippen. Das Holz der Tür splitterte, während sein Körper durch diese segelte, hart auf der Steintreppe aufschlug und sie hinunterrollte, um dann auf dem hölzernen Weg zum Stehen zu kommen. Sein Kopf schien jeden Moment bersten zu wollen und sein Körper fühlte sich an, als hätte ihn ein Dampfhammer getroffen. Er hob seinen Kopf und erblickte seinen Vater am oberhalb der Treppe, der nun seinerseits die Arme ausbreitete und zu seinem Sohn hinunter brüllte: „Ein wütender Geist hat keinen Verstand!“ Abermals musste er Blut spucken. Wie Leid er es war. Zahlreiches metallenes Klicken um ihn herum ließ ihn erkennen, dass die bewaffneten Männer den Garten noch längst nicht verlassen hatten. Er blickte unbeeindruckt in die Läufe der Revolver und Maschinenpistolen. „Habe ich dich denn gar nichts gelehrt?“ Sein Vater hatte am Fuße der Treppe Halt gemacht und sah nun auf ihn herab. „Belogen hast du mich …“ hustete Naoko, während er sich langsam erhob, das Schwert noch immer in seiner Hand. „Verraten und verkauft.“ Sein Vater erwiderte nichts und auch sonst sagte niemand ein Wort. „Alles dafür?“ zischte er den alten Mann an und wies auf das rote Schwert in seiner Hand. „Hör endlich auf mit diesem Wahnsinn!“ brüllte der Yamoro seinem Sohn ins Gesicht und man sah die pochenden Adern an seinem Hals, während er ihm direkt gegenüber stand. „Stell dich endlich der Realität! Sie ist bereits tot! Du bist es, der sie noch ins Grab bringt!“ Er hatte den Satz gerade erst beendet, da krachte die eiserne Faust seines Sohnes bereits in sein Gesicht und riss den alten Mann von den Füßen. Noch während er fiel, packte Naoko ihn an der Kehle und drückte ihn mit ganzer Kraft in den, unter der Wucht berstenden, hölzernen Boden. Bevor jemand reagieren konnte, wandte er sich bereits um, hob das Schwert und griff den erstbesten an, der in Reichweite seiner Klinge war. Laut zischend durchschnitt das Plasmaschwert die Maschinenpistole, die auf ihn gerichtet war, schlug seine Faust gegen die Kehle des Schützen und griff den nächsten in seiner Reichweite an. Um ihn herum wurde es laut, doch merkte er nichts mehr davon. Seine ganze Konzentration galt nur dem nächsten Gegner. Knochen knackten, als er einem von ihnen die Waffe gewaltvoll entriss, diese hochzog und dem nächsten ins Bein schoss. Wieso schießt ihr nicht?! Er warf die Pistole einem weiteren entgegen, nur um im selben Augenblick erneut anzugreifen. Sein Blick war starr, wie durch einen Tunnel. Die Gedanken rasten und die Wut betäubte jeden Schmerz. Dumpf hörte er das Stimmenwirrwarr um ihn herum, das Donnern der Schläge und Tritte, das Kreischen von Metall. „Hör auf!“ Schrill, wie Kreide auf einer Tafel, durchbrach die Stimme die Stille in seinem Kopf und augenblicklich stoppte er. „Bitte hör damit auf!“ Die Stimme zitterte und klang fiebrig. Dumpf dagegen der Aufprall des Mannes, den er gerade noch am Kragen gepackt hatte und der nun laut fluchend auf dem Boden aufkam. Er wagte seinen Augen nicht zu trauen. Wie im Traum umarmte das schlaksige, junge Mädchen ihn und drückte seinen Kopf gegen seine Brust. „Sora …“ flüsterte er atemlos, während er die Arme um sie schlug. „Du … stehst.“ Ungläubig blickte Naoko an ihr herunter. Er konnte es nicht glauben. Die Welt um sich herum vergessend gab er sich völlig der Illusion hin und hoffte inständig, nie wieder aufzuwachen. „Bitte hör damit auf …“ schluchzte Sora und ihre kleinen Glöckchen klingelten leise beim Beben ihrer Schultern. „Wie …?“ Er drückte sie etwas von sich und begutachtete die junge Frau. „Wie …?“ wiederholte er. Er sah Sora tief in die verheulten, eisblauen Augen und wäre am liebsten darin versunken. Da hob sie mit einem Mal ihren Arm, schob ihre Haare von ihrer Stirn und offenbarte einen kleinen, bläulich leuchtenden Haarreif. Augenblicklich erstarb das Gefühl in ihm und wich dem widerlichen Geschmack von Trauer und Enttäuschung. „Hiro hat das für mich gebaut.“ erwiderte Sora und ein vorsichtiges Lächeln stahl sich über ihre Lippen. „Hiro …“ wiederholte er mit zitternder Stimme. Er sah an ihr vorbei und erblickte am Torbogen die Gestalt einer Frau. „Miss Hamada …“ Sichtbar um Mut bemüht sah Hiros Tante ihm in die Augen. „Sie hat mich hergebracht.“ Es war ein seltsames Gefühl, dass sich in seiner Brust ausbreitete, doch Freude war nicht darunter. Eher fühlte es sich an, als würde Feuer ihn von innen zerfressen. Wie kann er es wagen?! zischte er in Gedanken. Nach und nach nahm er die vielen Menschen um ihn herum wieder wahr, die nervös und noch immer mit erhobenen Waffen auf ihn gerichtet, sich im Garten verteilt hatten und Abstand hielten. Vorsichtig drückte er Sora von sich weg. Er wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen und fühlte die brodelnde Wut in seinem Inneren. Sein Atem beschleunigte sich wieder und das Adrenalin rauschte durch seine Venen, wenn er an den Hamada dachte. „Nao?“ fragte seine Schwester schüchtern, doch reagierte er nicht mehr darauf. Stattdessen machte er kehrt, lenkte seine Schritte zu seinem inzwischen sitzenden Vater und kam neben ihm zum Stehen. „Bitte hör auf, so lange es noch möglich ist.“ Die Worte des alten Mannes entlockten ihm nur ein verächtliches Schnauben, während er sich hinunterbückte und das Schwert seines Vaters an sich nahm. „Vibranium also? Ja?“ fragte er spöttisch nahm die Klinge in seine linke. Niemand sagte etwas zu ihm, während er den Garten durchschritt. Vorbei an den Yakuza-Männern. Vorbei an seiner Schwester, nicht ohne ihr vorher noch einmal über den Kopf zu streicheln und vorbei an Cass Hamada, die er nicht eines Blickes würdigte. „Nao?!“ rief Sora erneut, doch ignorierte er sie. Er war gerade am Torbogen angekommen, als er die zierlichen Arme seiner Schwester an seinem linken Arm spürte. „Bitte bleib hier … hör auf damit …“ flehte sie ihn an. „Werde wieder wie früher …“ Ihre Stimme war nur noch ein Winseln. Naoko seufzte und unterdrückte die aufkommenden Tränen. Bitte hass mich nicht flehte er innerlich und drehte sich wieder zu ihr um. Ohne ein weiteres Wort ergriff er den Haarreif und zog ihn sanft von ihrem Kopf.  „Was tust du da?“ Seine Schwester sah ihn erschrocken an. Er fing sie auf, als die mechanischen Gelenke ihre Arbeit versagten und legte sie vorsichtig auf das kühle Gras. „Du bleibst hier.“ fügte er noch leise hinzu und dann drückte er zu. Das filigrane Gebilde zersprang augenblicklich unter der Kraft seiner Prothese und ihre Einzelteile verteilen sich wie eiserner Sand auf dem Rasen. Er sah ihr nicht in die Augen, während er sich erhob und warf auch keinen Blick zurück. Schießt, wenn ihr müsst Gerade, als er den Torbogen durchschritten hatte, hörte er das unheilvolle Donnern. Laut krachend barst der Asphalt der Straße unter dem Gewicht des roten Roboters und die aufgewirbelte Luft ließ den Stoff seiner Kleidung laut flattern. Sofort sprangen die Gestalten von seinem Rücken und Naoko erkannte das surrende Geräusch von fließendem Plasma und das Ploppen der kleinen Bälle Honeys. Die kleinen Microbots zogen surrend an ihm vorbei, doch war es mehr die Person, die diese steuerte, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Das macht es einfacher dachte Naoko sich und lächelte. „Es ist vorbei, Yamoro!“ Hiro klang noch lange nicht so zuversichtlich, wie er sich gab. Er hörte die Schritte hinter sich und aus dem Augenwinkel sah er, wie Gogo Hiros Tante zur Seite nahm. „Hiro, bitte verschwinde.“ hörte er Sora hinter sich wispern. „Das war dein Werk, nicht wahr?“ wollte Naoko von ihm wissen. Hiro sah ihm in die Augen und nickte schwach. „Es gibt kein Heilmittel für sie, das weißt du.“ Die plötzliche Offenheit überraschte Naoko, doch fachten diese Worte seine Wut nur noch mehr an. „Sie soll ihr Leben noch genießen und nicht in einem Krankenhaus vor sich hin vegetieren.“ Ein Auto wurde angeworfen und mit quietschenden Reifen entfernte Cass sich vom Schauplatz. Hiro sah ihr einen Augenblick hinterher, ehe er sein Augenmerk wieder Naoko zuwandte. „Was sie braucht, ist ein Heilmittel und keine Illusionen!“ knurrte der Yamoro. „Das Heilmittel ist eine Illusion.“ Naoko verstärkte den Griff um die Schwerter. Ich werde dich hier an Ort und Stelle enthaupten „Hiro?“ Es war Honey, die auffordernd zu dem Hamada aufsah. Wieder nickte dieser nur und seine Freunde deaktivierten ihre Waffen.  „Tut uns leid, aber wir werden das hier verschieben müssen.“ Ungläubig sah Naoko ihm an. „Du hast hier genug zu tun und wir werden woanders gebraucht.“ fuhr Hiro fort und sah zu Gogo hinüber. Die Anderen indes stiegen wieder auf Baymax‘ Rücken und mit einem lauten Zischen startete er seine Triebwerke. Donnernd erhob sich der Roboter in die Luft und ließ einen ratlosen Naoko zurück. „Wir wollten nur Tante Cass von dir befreien …“ erklärte die zurückgebliebene Gogo ihm und in ihrer Stimme konnte man nur allzu deutlich ihre Trauer und Verachtung spüren. Sie war nur wenige Meter von ihm entfernt, doch kam es ihm vor, als würden Welten zwischen ihnen liegen. Er öffnete den Mund, doch bekam er kein Wort heraus, als eine Explosion, dumpf, wie aus weiter Ferne, die Stille zerriss. Gogo senkte den Blick und drehte sich um. Zischend aktivierte auch sie ihr Jetpack und fuhr auf ihren Rädern ohne ein weiteres Wort davon, dem Auto der Hamada hinterher. Kapitel 38: Vergeltung ---------------------- „Bitte Tante Cass, bleib hier!“ Um Ruhe bemüht versuchte Hiro, seine Tante davon zu überzeugen, dass nichts geschehen würde, was ihm offenbar eher schlecht als recht gelang. Nervös kaute Cass auf ihren Nägeln herum, während sie ihn immer und immer wieder darum bat, auf sich Acht zu geben. Gogo und die anderen saßen indes startbereit auf Baymax‘ Rücken und ein jeder von ihnen checkte noch einmal seine Ausrüstung, während Gogo angespannt auf ihrem Kaugummi herumkaute. Sie hatten Tante Cass bis hierhin eskortiert, doch nun mussten sie weiter. Schon seit sie hier waren, hörte man in der Ferne zahlreiche Polizeisirenen und Explosionen. Gogos Nerven waren zum Zerreißen gespannt und sie brannte darauf, diesem Irren endlich in seine hässliche Visage treten zu können. Auch um Freds Willen. „Und bitte, was immer du tust, schalte nicht den Fernseher oder das Radio an!“ beschwörte Hiro Cass und sprang mit diesen Worten zu seinen Freunden auf Baymax. Ohne ein weiteres Wort ließ der Roboter die Düsen an und die Big Hero 6 erhoben sich in den Nachthimmel. „Du weißt, dass sie trotzdem den Fernseher anschalten wird?“ bemerkte Gogo mit einem sarkastischen Unterton und Hiro ließ als Antwort ein Seufzen vernehmen. „Ja, ich weiß.“ Geräuschvoll zischte die Nachtluft an ihrem Helm vorbei und unter ihnen schimmerte das grenzenlose Lichtermeer der Stadt. „Meinst du, es war so eine gute Idee, Sora alleine zu lassen?“ fragte Honey nervös an Hiro gewandt. „Alles gut, Honey. Ihr Bruder wird ihr nichts tun und von dem Neuraltransmitter hat sie noch einen als Ersatz. Sie wird klar kommen.“ Gogo stimmte dem im Stillen zu und versuchte, jeden weiteren Gedanken in diese Richtung zu verdrängen. „Der Kerl wird doch net abwarten un Tee schlürfen. Der wird uch noch kommen.“ fügte Wasabi mit missmutiger Miene hinzu. „Natürlich wird er das. Allerdings mache ich mir mehr Sorgen darum, was sein Onkel vorhat. Um Naoko kümmern wir uns, wenn es so weit ist.“ In den Straßen unter ihnen brausten unter Blaulicht und Sirene zahlreiche Polizeiwagen in Richtung Innenstadt. „Wie sieht der Plan aus?“ fragte Honey in die Runde. „Erst einmal müssen wir rausfinden, was da eigentlich los ist …“ Gerade als Hiro den Satz beendet hatte, erschütterte eine Explosion die Stadt und ein unheilvolles Knistern rauschte an ihnen vorbei. „Mein Display …“ begann Honey mit einem Mal irritiert. Auf die fragenden Blicke ihrer Kameraden erwiderte sie: „Es hat geflackert.“ Hiro sagte dazu nichts, doch sah man dem Hamada deutlich an, dass er nachdachte. „Dort!“ Wasabi hob den Arm und deutete auf die Gruppe Hochhäuser vor ihnen. Die Lichter der Gebäude waren erloschen, gleichsam wie die der unzähligen Autos, die eben noch die Straßen erhellt hatten. „Alles klar!“ rief Hiro aus. „Ich lade euch beide da unten ab!“ Er sah dabei zu Wasabi und Honey. „Honey, du scannst das vorhandene Material, was auch immer dort wartet. Wasabi, du gibst ihr Rückendeckung.“ „Roger!“ riefen beide im Chor. „Was hast du für mich vorgesehen?“ wollte Gogo wissen und legte die Scheiben in ihre Schienen. „Ich werde von oben Aufklärungsarbeit leisten und du wirst von den Polizisten in Erfahrung bringen, was sie schon wissen!“ Gerade als Baymax in den Sinkflug überging, flackerten die Lichter der Stadt wieder auf und enthüllten den Ursprung des Chaos. Etwas Riesiges wirbelte den in der Luft fliegenden Staub auf und offenbarte sein dunkles Antlitz. „Dat is net sein Ernst …“ Schwarze, metallschimmernde Scheren, groß wie Lastwagen, schlugen Autos und Wände ein, als bestünden sie nur aus Papier.  Sechs, ebenfalls aus schwarzem Stahl bestehende Glieder, drei zu jeder Seite, trugen den massigen Körper durch die Straßen. Klackend zog der Körper einen ebenso langen, mit Platten bestückten Schwanz hinter sich her. Der Kopf der Maschine, eckige Formen in schwarzem Metall geformt mit ebenso schwarzem Glas, hob sich und fixierte die ankommenden Freunde. „Echt jetzt?“ Krachend brach die Ecke des Gebäudes zu der Linken der riesigen Maschine und ließ einen Regen aus Beton und Glas auf die Straße niedergehen. Autos barsten unter der Wucht der Fassade und panisch kreischend liefen die Menschen wie aufgeschreckte Hühner den Platz entlang. Die großen Zangen bohrten sich in die Fassaden der Gebäude an den Seiten der Straße und rissen klaffende Löcher in die Wände. „Dat is en verdammter Skorpion!“ sprach Wasabi es schließlich aus, als mit einem Mal sich Baymax mit mahnendem Unterton zu Wort meldete: „Wir wurden erfasst.“ Überrascht sah Hiro zu seinem Roboter herunter. „Erfasst? Wovon?“ Laut klackernd öffneten sich die Panzerplatten am Schwanz des Skorpions. Zischend entwichen den nun frei liegenden Löchern zwei Raketen und rasten, einen weißen Schweif hinter sich herziehend, auf den roten Roboter zu. „Haltet euch fest!“ bellte der Hamada seinen Freunden entgegen und Baymax legte sich in eine enge Kurve. Ängstlich klammerte Wasabi sich an die riesigen Arme des Roboters und wimmerte laut, während die Raketen zischend an ihnen vorbei flogen. Ein Knall und die Spitze sprang auf und enthüllte unzählige kleine Kugeln, die sich hinter ihnen auf die Stadt ergossen. „Was ist das?!“ wollte Honey laut rufend wissen, doch bekam sie ihre Antwort prompt. Kaum berührten diese Kugeln den Boden, explodierten diese in laut krachenden Feuerkugeln und legten einen Teppich aus Feuer unter ihnen aus. Ein erneutes Klacken und zwei weitere Raketen entwichen der Maschine, begleitet von einem tiefen Brummen. „Achtung!“ rief Hiro und leitete das nächste Ausweichmanöver ein. Ein Raunen ging durch die Straßen, untermalt von einem leisen Knistern und in Gogo breitete sich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend aus. Dasselbe Knistern wie Sekunden zuvor und die Lichter um sie herum erloschen. Gogo spürte, wie eine Last von ihrem Rücken fiel, und erschrocken drehte sie sich um. Sie sah gerade noch, wie ihre Scheiben laut scheppernd auf Baymax‘ Rücken aufkamen und dann in die Tiefe rutschten. „Was …?!“ Ihre Stimme zitterte erstaunt, doch hatte sie keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, als sie das unheilvolle Zischen der Raketen vernahm. „Baymax! Hochziehen!“ bellte der Hamada dem Roboter entgegen. Doch dieser reagierte nicht. Stattdessen sank er immer weiter. Ein kurzer Blick und Gogo erkannte panisch, dass seine Düsen deaktiviert waren. „Wir stürzen ab!“ hörte sie die hysterische Stimme Hiros und, als sie den Blick wieder nach vorne richtete, blickte sie ihr eigenes Spiegelbild an, während hinter ihnen die Welt in Flammen aufging. Laut krachend durchschlugen die Freunde die im Feuer und Licht schimmernden Fenster des Towers. Abrupt kam Baymax zum Stehen und Gogo riss es von seinem Rücken. In der Luft versuchte sie sich noch zu stabilisieren, als sie mit ganzer Wucht auf einem der Schreibtische landete und mitsamt des Computers, der Tastatur und Maus, Drucker und allerlei Equipment scheppernd auf dem Boden aufkam und schließlich rutschend an der Wand zum Stehen kam. „Ah …!“ stöhnte sie leise auf. Schmerzvoll meldete sich ihr Körper zu Wort. Einige Stellen ihres Anzugs waren aufgerissen und so manches Rinnsal an Blut benetzte den schwarzen  Stoff. Panik hatte sie gelähmt und auch jetzt noch hämmerte ihr Herz gegen die Brust, als würde es jeden Moment bersten.   Neben ihr lag Wasabi kopfüber an die Wand gelehnt. „Gott … dat wird der mir büßen …“ knurrte der Riese leise, doch hörbar erleichtert. Vor ihr lag der leblose Körper Baymax‘, dessen Aufprall ihn tief in den Boden getrieben hatte. Zu ihrem Glück, wie Gogo erschrocken erkennen musste. Sein Gewicht hätte die Freunde locker zerquetschen können. „Statusbericht …“ hörte sie den Hamada am anderen Ende des Büros sagen. „Lebe!“ Honey war die erste, die ihren Arm erhob und so taten Wasabi und Gogo es ihr gleich, bevor sie sich vorsichtig erhoben. „Was war das?“ warf Wasabi in die Runde und sah Gogo fragend an. Sie wollte gerade den Mund öffnen, als Hiro geräuschvoll die Taschen seines Anzugs aufriss und die Microbots leblos zu Boden rieselten. „Meine Tasche ist auch aus.“ fügte Honey hinzu und Wasabi versuchte, seine Handschuhe zu aktivieren. Nach ein paar Versuchen verkündete er gereizt: „Tot.“ Hiro sah zu Gogo auf und sie erkannte in seinem Blick, dass er dasselbe dachte. „EMP …“ sprachen beide im Chor und die anderen hoben irritiert die Augenbrauen. „Ein elektromagnetischer Puls. Ein Starker Mikrowellenimpuls aus einem mit Kondensatoren gespeisten relativistischen Magnetron , der sämtliche Elektronik sofort beschädigt oder lahmlegt!“ erklärte Gogo tonlos, während Hiro sich an Baymax‘ Hinterkopf zu schaffen machte. „Das wird das Knistern gewesen sein.“ fügte Wasabi hinzu und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Honey war indes mit Gogo an das Fenster getreten und blickte mit sorgenvoller Miene hinaus. Alles um sie herum stand in Flammen, während die Männer und Frauen der Polizei und deren Spezialkräfte alles Feuer auf den Skorpion konzentrierten. Es war eine unglaubliche Hitze zu spüren und Gogo beschlich ein Gefühl der Machtlosigkeit. „Ohne panzerbrechende Munition haben die keine Chance.“ hauchte Honey ihr entgegen und Gogo lenkte den Blick wieder zu Hiro. „Wie sieht es aus?“ „Der Puls war in einem niedrigen Frequenzbereich! Seine Elektronik ist nur gestört. Wenn ich ihn reboote, sollte er wieder laufen.“ erwiderte der Hamada. Wasabi trat neben ihn. „Und unsere Ausrüstung?“ „Moment.“ Eifrig zimmerte Hiro an Baymax herum und gab der Truppe damit die Möglichkeit, nach dieser Aktion erst einmal durchzuatmen. Gogo wusste, dass dieser Absturz auch ganz anders hätte ablaufen können, und doch verdrängte sie diesen Gedanken schnell wieder. Mit einem Surren begannen sich Baymax‘ Extremitäten wieder zu bewegen. Ein kurzer Griff und auch die Microbots meldeten sich zurück, indem sie sofort eifrig ans Werk gingen. Geräuschvoll ließ Hiro die kleinen Roboter über Wasabis Handschuhe fließen, gleich wie Wasser, ehe sie dasselbe bei Gogo und Honey taten. Honeys Brille hatte es beim Aufprall zerrissen, aber die Tasche schien intakt, und auch Gogos Jetpack arbeitete wieder. „Jetzt muss ich mir nur noch meine Scheiben holen.“ gab sie seufzend zu, doch das würde in diesem Chaos keine leichte Aufgabe werden. „Wenn das hier vorbei ist, werde ich ein paar Peilsender einbauen. Jetzt haben wir andere Sorgen!“ Baymax hatte sich wieder erhoben und war bereits dabei, sich für das Verletzen seines Sicherheitsprotokolls zu entschuldigen, als Wasabi dazwischen platzte: „Wir brauchen nen neuen Plan.“ Der Riese war zu den beiden Frauen ans Fenster getreten und betrachtete nun ebenfalls den in den Straßen wütenden Skorpion, während ihm der Schweiß die Stirn hinunter ran. Hiros Stirn war in Falten gelegt und genervt rieb er sich das Kinn. „Wir sollten erst einmal rausfinden, was er vorhat.“ schlug Gogo nach einer kurzen Pause vor und erntete ein verhaltenes Nicken seitens ihres jungen Anführers. „Ja …“ Er dachte kurz nach. „Wir sollten damit anfangen, die Menschen aus dem Gebiet zu evakuieren.“ „Sollte dat die Polizei net tun?“ „Ja und dafür werden wir sorgen.“ Mit dem letzten Wort sah er zu Gogo, die nur zustimmend nickte. „Wasabi und Gogo werden die Evakuierung unterstützen, während Honey und ich dieses Ding von der Luft aus bekämpfen werden.“ Er wandte sich der Blondine zu: „Funktioniert deine Kanone noch?“ Ein kurzes Klicken und die Tasche fuhr den Lauf aus, den Honey sofort schulterte. „Ich werde ihm ein paar Ladungen in seinen Allerwertesten ballern.“ Honey grinste zuversichtlich in die Runde, auch wenn Gogo nicht wirklich davon überzeugt war. In solchen Momenten fehlte ihr Fred. „Gut, dann hat jeder seine Aufgabe. Jede Auffälligkeit wird mir sofort gemeldet.“ instruierte Hiro seine Freunde noch einmal, ehe er sich erhob. „Treten wir ihm in den Arsch.“ Wenige Sekunden später saßen sie auch schon auf Baymax‘ Rücken und starteten mir fauchenden Düsen in den Himmel. Der Skorpion hielt zielstrebig auf den Fransokyo Tower zu, an dessen Fuß die Einsatzkräfte eine Wagenburg errichtet hatten. Und auch Gogos Scheiben lagen dort auf der Straße. Die Freunde überflogen den Skorpion und hielten direkt auf die Wagenburg zu. Baymax flog tief über sie hinweg und Gogo sprang mit brennenden Düsen ab. Geräuschvoll landete sie direkt auf einem der Autos vor den verdutzt dreinblickenden Beamten. „Es müssen Männer in die Gebäude, da sind Menschen drin. Die würden genau in die Schusslinie laufen!“ erklärte sie lautstark den Polizisten, die sie fragend anstarrten. „Führen Sie sie am besten durch Keller oder die U-Bahn raus, Hauptsache weg von der Straße! Und sperren sie alles ab, bis hinten zur 39.!“ Der Truppführer schien nicht zu glauben, was er da hörte, und er raunzte sie an: „Seit wann nehme ich von Ihnen Befehle entgegen?!“ Sein Protest wurde jäh unterbrochen, als Baymax neben ihm auf einem der Autos landete. Das Blech riss und die Scheiben barsten dabei und verteilten sich auf der ganzen Straße. Erschrocken blickte der Beamte den Roboter an, dann rief er seinen Kollegen zu: „Rein in die Gebäude! Bringt die Leute nach unten, möglichst weg von der Straße!“ „Alles klar!“ erwiderte einer der Männer und rannte los, während der Officer an sein Mikro griff: „Wir errichten eine Absperrung bis runter zur 39.!“ Ein Lächeln stahl sich auf Gogos Lippen und sie wandte ihren Blick Hiro neben ihr zu. „Weiter geht’s.“ Ein kurzes Surren und die magnetischen Scheiben rasten wieder an ihren Arm. Wasabi sprang nun auch ab und gemeinsam rannten sie dem Tower entgegen, als der Riese seinen Arm hob und seine Stimme aufgeregt durch ihre Lautsprecher hallte: „Er hat uns bemerkt!“ rief er panisch und Gogo sah, wie die riesigen Zangen sich erhoben und die versammelten Einsatzwagen mit einem lauten Grollen durch die Luft warfen. Erschrocken warf sie sich zur Seite, während eines der Autos in ihre Richtung segelteund scheppernd auf dem Asphalt neben ihr aufkam. Sofort schoss Baymax über den Skorpion hinweg und Honey feuerte aus allen Rohren. „Ziel auf die verdammte Kanzel!“ fluchte Gogo ins Mikro hinein und erhob sich mit zitternden Knien wieder. Dem Befehl gehorchend konzentrierte die Blondine ihre Feuer auf den Kopf des Ungeheuers. Dampfender Glibber überzog das Glas und raubte ihm, nach Gogos Hoffnung, die Sicht. Diese Gelegenheit nutzend sprintete die kleine Frau auf den Eingang des Gebäudes zu, das nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. Zu dessen Toren hatten sich einige Polizisten verschanzt, während ihre Kollegen bereits das Gebäude stürmten. „Was auch immer er vorhat, er darf das Gebäude nicht erreichen!“ diktierte Hiro angespannt und zog mit Baymax eine enge Kurve um den Körper des Skorpions, während Honey dazu überging, ihre Geschosse auf die mechanischen Glieder der Maschine zu verteilen. „Er wird langsamer!“ rief Wasabi freudig aus. Ein lärmendes Rattern und die Platten an der Seite der Kanzel öffneten sich. Eine kleine Welle aus wuselnden Microbots ergoss sich daraus, die schnurstracks auf die Kanzel und die Glieder zuhielten. „Ne, oder?“ Stichflammen und Fetzen von Glibber flogen durch die Luft und nach wenigen Sekunden lagen die Gelenke wieder frei. „Wir bekommen Besuch!“ rief Honey durch das Mikro und hastig blickte Gogo zur Seite. Sie erkannte unter dem Skorpion die Silhouette eines Motorrads, das mit hoher Geschwindigkeit auf sie zuhielt. Fauchend und krachend durchbrach die Maschine die Wagenburg und das Motorrad raste zwischen seinen Beinen hindurch. Mit einem Mal erhob sich der Fahrer, sprang ab und das Vehikel schoss donnernd auf Wasabi zu. Mit einem Zischen durchschnitt das Plasma den Stahl und ließ das Motorrad in zwei glühenden Stahlklumpen an Wasabi vorbeifliegen. Ein siegessicheres Lächeln stahl sich auf seine Lippen und beinahe hätte er auch noch motiviert aufgeschrien, als die Silhouette Naokos durch den Rauch brach und mit den Füßen voran auf Wasabis Brust landete. Die Luft aus dessen Lungen gepresst, landeten beide auf dem Boden. Wütend und schnaubend erhob sich Wasabi, während der Yamoro sich geschickt abrollte, sein Schwert zog und sofort zum Angriff überging. Plasma krachte zischend auf Plasma und erfüllte die Luft mit dem Geruch verbrannten Eisens. Die Freunde verloren keine Sekunde und stürzten sich ebenfalls in den Kampf. Baymax landete donnernd hinter Wasabi und feuerte seine Fäuste in Naokos Richtung, während Honey den Boden unter seinen Füßen in Eis verwandelte. Hinter dem Yamoro öffnete der Skorpion laut fauchend sein metallenes Maul und enthüllte etwas, das verdächtig aussah nach einer … „Bitte sag mir, dass das ein Witz ist ...“ flehte Hiro. Laut surrend begannen sich die Rohre zu drehen. „In Deckung!“ rief Gogo. „Hiahahahahaha!“ Das Gelächter Gunners schallte laut durch die Straßen, untermalt von dem Surren und Klicken der Gatlinkanone, die laut kreischend ihren todbringenden Regen über die Straße verteilte, mittendrin Naoko mit gesenktem Blick stehend. Wie Feuerstrahlen gingen die Schüsse auf die Gruppe nieder, die hinter Baymax‘ Rücken und Wasabis Plasmaschild Schutz gesucht hatte. Alle, bis auf Gogo, die den Abstand zum Feind nicht mehr hatte verringern können und nun auf offener Straße hinter einem steinernen Vorsprung kauerte, die Arme über ihre Köpfe haltend. Der Asphalt splitterte um sie herum und sie wagte es nicht, ihren Kopf zu heben. „Du hast dir aber viel Zeit gelassen!“ schrie die hysterisch lachende Stimme Odas und leise surrend endete das Feuer. Der junge Yamoro ließ den Spruch unkommentiert und zog stattdessen sein zweites Schwert, die rote Klinge, nicht ohne dabei Hiro aus den Augen zu lassen. „Ihr Kinderlein kommet.“ verkündete die blecherne Stimme Odas und knackend öffnete er die Kanzel. Gogo stockte der Atem, als sie den Wahnsinnigen darin sitzen sah. Seine Arme und Beine waren völlig verdrahtet und verkabelt, gleichsam wie sein Kopf. Den Bart hatte er sich abrasiert, zusammen mit den Haaren auf seinem Kopf. Vorsichtig senkte er den Kopf der Maschine und erhob sich aus seinem Sitz. „Ihr steht mir im Weg, wisst ihr das?“ Langsam und gespielt anmutig trat er aus der Kanzel heraus, die unzähligen Kabel und Drähte hinter sich herziehend und gesellte sich zu seinem Neffen. „Du bist völlig gestört!“ hielt Hiro ihm entgegen und Oda kicherte nur. „Nein, Kleiner, nur wahnsinnig. Und Wahnsinn …“ Er legte seine Hand auf Naokos Schulter. „… liegt bei uns in der Familie.“ Als er wieder von seinem Neffen abließ, zeigte er mit zitterndem Zeigefinger abwechselnd auf die Big Hero 6. „Ein weiser Mann hat einmal gesagt …“ Er stockte und rieb sich nachdenklich den nicht mehr vorhandenen Bart. „Nein, das muss ich anders erklären.“ Gogo indes kochte vor Wut über diesen Verrückten. Die Stadt um sie herum versank in Rauch und Feuer und der Kerl stand dort vor seiner Maschine und schwang seine Rede. Ihren Freunden erging es nicht anders, doch wagte es keiner, nach vorne zu stürmen. Nicht, solange Naoko mit griffbereiten Schwertern neben ihm stand. „Hab ich euch schon mal erklärt, was Wahnsinn ist?“ Oda lächelte kurz, dann biss er sich auf die Unterlippe. „Ich bekomme seinen Wortlaut einfach nicht hin.“ Gogo spannte jeden Muskel an und war entschlossen loszuschlagen, wenn sich eine Gelegenheit ergeben sollte. „Ach, wisst ihr was? Das ist eigentlich auch egal. Ich habe einen Zeitplan einzuhalten. Entschuldigt mich also bitte.” Ohne ein weiteres Wort drehte er um und stieg gerade wieder in die Maschine, als die angespannte Stimme eines Beamten durch ein Megafon peitschte: „Oda Nobusake!“ Mit einem genervten Gesichtsausdruck wandte er sich den Einsatzkräften zu, die an den Flanken des Skorpions Stellung bezogen hatten und ihre Waffen auf ihn gerichtet hatten. „Nehmen Sie die Hände hoch und ergeben Sie sich! In wenigen Minuten wird die Nationalgarde hier sein!“ Oda kicherte verhalten. „Panzer und Kampfhubschrauber. Ich denke, das wird interessant.“ „Das ist unsere letzte Warnung!“ brüllte der Polizist noch einmal, doch Oda drehte sich bereits wieder um. Flink sprang er in die Kapsel und schloss diese, noch ehe die ersten Kugeln ihn erreichten. „I don’t want to set the World on Fire.“ trällerte er aus voller Kehle. „I just want to start A flame in you’re heart.“ Unter Dröhnen und dem anhaltenden Gesang erhob sich der Skorpion. „Kommst du mit, Neffe?“ rief er zu Naoko hinunter und dieser richtete seine Prothese auf den Kopf, surrend schoss seine Hand davon, verhakte sich und zog ihren Meister am Stahlseil nach oben, während die mächtigen Beine damit anfingen, den wuchtigen Metallkörper die Fassade des Towers emporzuhieven. „Wir müssen die Menschen dort raus holen!“ Wie auf Befehl stürmten einige der Polzisten in das Gebäude und auch Gogo und Wasabi schlossen sich denen wortlos an. Das erste, was ihr in die Augen fiel, war die große Ankündigung einer Feier zur Einweihung des Towers und sofort richtete sie sich an die Beamten: „Sie werden das Gebäude von unten räumen, wir fangen oben an!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte sie Wasabi in Richtung der Treppe. „Bist du wahnsinnig?! Dat sin jut un gern hundert Stockwerke!“ Gogo seufzte. „Dann eben in die Aufzüge!“ bellte sie ihn an und schob ihn in Richtung der genannten Transportboxen. Innen drin hämmerte sie auf den obersten Knopf und rumpelnd kam der Stahlkasten in Fahrt. Begleitet von nerviger, monotoner Musik begann der Riese murmelnd zu fragen: „Weeßte, wat jetzt praktisch wäre?“ „Was …?“ erwiderte Gogo genervt und blies ihre Kaugummiblase auf. „Warum haben wir egentlich keene Flugpeds oder so wat in der Art?“ Mit zuckenden Augenlidern und platzender Kaugummiblase fragte die kleine Frau: „Was?“ „Na so kleene fliegende Transportdinger … Motorräder oder so wat … Damit wa nich immer uf Baymax fliegen müssen …“ Verlegen kratzte Wasabi sich am Kinn. „Ich frag enfach Hiro, wenn dat hier vorbei ist …“ murmelte er leise zu sich selbst. Dann blieb er still und die langweiligen Klänge der Musik übernahmen wieder die Geräuschkulisse. Mit dem erlösenden Klingeln öffnete sich die Fahrstuhltür und sie stürmten hinaus in einen Gang, an dessen Ende bereits der Eingang des Festsaales prangte. „Dort!“ wies Gogo und rannte mit Wasabi im Schlepptau los. Mit einem lauten Krachen riss dieser die Tür auf und blickte sofort in zahlreiche verdutzte Gesichter. Ratlos sahen die hohen Herren und Damen die beiden Gestalten an der Tür an. Es war eine kleine Feier. Ein Büfett und Kellner, die mit Wein und Sekt beladene Tabletts voller Gläser durch die Reihen flanierten. Ein eben solcher stellte sich nun vor die beiden Eindringlinge, während die Gäste mit zunehmender Lautstärke ihre Gespräche wieder aufnahmen. „Haben Sie eine Einladung Mr. und Mrs. …?“ Gogo und Wasabi drückten sich an dem Butler vorbei durch die aufgeschreckte Menschenmenge. „Sie müssen hier raus und zwar sofort!“ rief Gogo den Gästen entgegen. Die meisten schnaubten nur verächtlich und vereinzelt hörte sie schnippische Kommentare wie: „Der Sicherheitsdienst ist auch nicht mehr das, was er mal war.“ „So jagt doch endlich dieses Kind raus.“ „Die sind doch garantiert für den ganzen Lärm verantwortlich.“ Da platzte Gogo der Kragen und auch Wasabi schien ihr Vorhaben verstanden zu haben. Er aktivierte seine Klingen und spaltete den Büfetttisch mitsamt dem mit Essen beladenen Geschirr darauf, welches laut splitternd auf den Boden niederregnete. Gogo indes nahm ihre Scheiben und zerschmetterte die riesigen Fenster, deren Glas sich über die naheliegenden Gäste verteilte. Panik brach aus und endlich setzten die Menschen sich in Bewegung. Doch der Fluss stoppte abrupt an der Tür. Gogo konnte nicht sehen, was dort vor sich ging, Wasabi mit seiner Größe jedoch schon und seine aufgerissenen Augen verrieten ihr, wer dort stand. Panisch liefen die Gäste an ihm vorbei, während der Schwarzhaarige den Raum betrat, das glühende Schwert in seiner Rechten, das rotschimmernde in seiner linken. Noch ehe sie reagieren konnte, drang ein ohrenbetäubender Lärm durch den kleinen Saal und hinter ihnen erblickten sie die schwarzen Glieder des Skorpions. Draußen konnten sie die vereinzelten und offenbar wirkungslosen Angriffe ihrer Freunde sehen. Links und rechts der Fenster trieb Oda die Zangen seiner Maschine in die Außenmauer und drückte den Kopf des Skorpions in das Gebäude. „So langsam …“ begann er knurrend und leise zischend öffnete sich die Kuppel des Skorpions. Langsam und gespielt anmutig trat er aus der Kanzel heraus, seine Arme und Beine mit verschiedenen Drähten und Kabeln verbunden. „… geht ihr mir richtig auf die Nerven.“ Er raufte sich mit beiden Händen durch die Haare. „Ich wollte diese Party sprengen, wisst ihr?“ Er seufzte hörbar, als sich Wasabi und Gogo kampfbereit aufstellten. Außerhalb der Maschine war er verwundbar, hoffte Gogo, und war bereit seine Hybris noch etwas auszureizen. „Hättest früher kommen sollen.“ „Ja …!“ unterstützte Wasabi sie, wenn auch mit einer deutlichen Unsicherheit in der Stimme. „Dann muss ich eben umdisponieren.“ Resigniert begann er wieder in die Maschine zu steigen. „Tut mir leid, aber ich habe keine Zeit, mich mit euch Kindern zu befassen.“ Sie schnaubte, öffnete ihr Visier und steckte sich den Kaugummi an den Helm. Oh nein, das wirst du nicht! Sie warf sich nach vorne und legte im vollen Lauf ihre Scheiben in die Schiene. Oda dreht sich noch nicht einmal um, doch das brauchte er auch nicht. Eine feste Hand hatte Gogos Bein Sekunden nach ihrem Start ergriffen und zog sie mit aller Macht wieder zurück. Erst im Fall erkannte sie die Prothese Naokos an einem Stahlkabel, ehe sie mit lautem Donnern auf einem der Tische aufschlug. „Wie ich sehe, habt ihr hier mehr als genug zu tun.“ Mit metallischem Klicken warf er die Maschine wieder an und unter dumpfem Dröhnen entledigte er sich seines Halts, nicht ohne vorher sein Maul unter der Kanzel zu öffnen und ein in Stahl gehülltes Projektil in den Raum zu feuern, welches mit einem lauten Donnern durch die Wand brach. Sie sah noch, wie der Skorpion nach unten verschwand, nicht ohne vorher noch den Boden des Saals dabei aufzureißen. Krachend gab dieser nach und zog Wasabi und Gogo mit sich in das darunter liegende Stockwerk. Ihr stockte der Atem und hinter sich konnte sie Naoko sehen, der ihnen folgte und den geneigten Boden hinabrutschte. Als sie auf dem Teppich des darunterliegenden Stockwerks aufkam, rollte sie sich ab und kam abrupt an einem der zahlreichen Schränke zum Stehen. Sie waren in einem der vielen Büros gelandet, in dessen Mitte sich gerade das darüber liegende Stockwerk mit Beton, Glas und Stahl niederlegte. Staub wurde aufgewirbelt und die getrennten Leitungen in Decke und Wänden tauchten den Raum in einen Funkenregen. Die schattenhafte Gestalt Naokos hielt direkt auf Wasabi zu und sein grünschimmerndes Plasmaschwert zog sich einer Feuerwelle gleich durch den Raum. Stühle und Tische flogen durch die Luft und wurden mit brennendem Plasma entzwei geschlagen. Gogo und Wasabi koordinierten ihre Angriffe und wechselten fließend vom Angriff in die Verteidigung und zurück. Zischend krachte das Plasma aufeinander und beinahe augenblicklich sprang Gogo über Wasabis Rücken auf Naoko zu. Das Schwert durch Wasabi blockiert klemmte die kleine Frau seinen Kopf zwischen ihre Beine und riss ihn mit einer schwungvollen Drehung zu Boden. Das Metall seiner Rüstung schepperte laut und Putz rieselte von der Decke. Doch nutzte ihr Gegner den unerwarteten Schwung, rollte sich mitsamt Gogo auf dem Boden und rammte ihr seine Linke in die Seite. Schmerzvoll keuchte sie auf, ehe er sie am Arm packte und nach vorne riss. Augenblicklich war Wasabi da, um die Lücke zu schließen, und stürzte sich seinerseits wieder auf den Gegner. Die ersten Angriffe des Riesen abwehrend wich der Yamoro zurück, die Schwerter auf die beiden gerichtet. Er atmete schwer und der Schweiß rann seine Stirn hinab. Teile seiner Rüstung waren angesengt und an manchen Stellen seiner Prothese war die metallene Oberfläche abgerissen worden. Du bist nicht bei der Sache Auf ihrer Seite sah es nicht viel besser aus. Wasabi war völlig außer Puste und auch ihre Lungen brannten wie Feuer. „Gib es uf, klener Mann!“ hielt Wasabi ihm entgegen. Naoko erwiderte nichts, sondern sah sie nur aus leeren, blauen Augen heraus an. Gogo spürte den Stich in ihrem Herzen, doch kam ihr ein kühner Gedanke. „Wasabi?“ Sie sah fragend zu dem Riesen hinauf. „Bitte lass mich das regeln. Kümmere du dich um die restlichen Menschen.“ Wasabi entglitten die Gesichtszüge und er sah abwechselnd zu ihr und Naoko. „Aber …“ begann er unsicher, doch Gogo unterbrach ihn augenblicklich. „Bitte!“ Geh einfach fügte sie in Gedanken hinzu und nur widerwillig deaktivierte er seine Klingen. „Einverstanden …“ Er ließ Naoko nicht aus den Augen, als er seine Schritte in Richtung der Tür lenkte und schließlich hinter dieser verschwand. Seufzend nahm Gogo ihre Scheiben von der Schiene und hing sie zusammen mit der großen  auf ihren Rücken. „Ich …“ wollte sie anfangen, doch wie zuvor bei Wasabi, so ließ auch Naoko sie nicht aussprechen: „Versuch erst gar nicht, mich weichzukochen!“ Zischend deaktivierte er sein Schwert und ließ es surrend in die Scheide gleiten. Doch sie erkannte sofort, dass er nicht daran interessiert war, den Kampf abzubrechen. Laut ließ er seine Gelenke knacken und stürmte auf sie zu. Dem ersten Schlag ausweichend sprang sie über einen der Schreibtische und brachten diesen zwischen sich und ihn. „Bitte hör mir zu …“ Mit einem kraftvollen Tritt spaltete Naoko den Tisch von unten und griff erneut an. Seine Angriffe waren unkoordiniert, aber kraftvoll. Laut scheppernd versenkte er seine eiserne Faust in den Schrank hinter ihr, als sie auswich. „Wir sind nicht deine Feinde!“ Sie konnte hinter den großen Fenstern die dunkle Silhouette des Skorpions erkennen, wie er unter lautem Scheppern die Außenwand erkletterte. Die Wände bebten und das Glas knirschte laut, während die mechanischen Gelenke des Insekts klickten und knackten. Kommt schon, Leute „Du hast sie ihm ausgeliefert!“ hielt er ihr knurrend entgegen und griff wieder an. „Und du Hiros Tante entführt!“ Sie ließ seine Faust knapp an ihrem Gesicht vorbeiziehen, hakte sich an seinem Arm ein und zog ihn, nicht ohne zuvor ihre Beine in seinen Bauch zu rammen, nach unten und warf ihn über sich. „Verraten hast du uns auch!“ fügte sie hinzu und ging nun ihrerseits in die Offensive. „Weil ich es musste!“ Ihrem Schlag zuvorkommend, schlug er ihren Arm weg und nahm ihr mit einem gezielten Tritt die Balance, ehe er ihre Kehle packte und sie auf den Boden riss. Keuchend trieb es ihr die Luft aus den Lungen, doch nahm sie den Schwung, hob ihre Beine und rammte ihr Knie gegen seine Schläfe. Überrumpelt rollte er an ihr vorbei, sie packte den Schaft seines Schwertes und zog es mit aktiviertem Plasma heraus. Mit ganzer Kraft rammte sie die Klinge in seinen rechten Arm und trieb sie durch den Boden. Ein kurzer Ruck und das grüne Licht erlosch fauchend und ließ den Stahl des Schwertes rot glühend zurück. „Bitte …“ Sie konnte die anbahnenden Tränen nur sehr schwer unterdrücken und ihre Stimme zitterte unaufhörlich. „Bitte … Ich will nicht, dass es so endet!“ Noch immer hielt sie den Schaft des Schwertes fest in ihren Händen, während ihre Schultern zu beben begannen. Sie sah ihm direkt in seine leeren, eisblauen Augen, die sie so geliebt hatte und es immer noch tat. „Bitte … das ist Wahnsinn.“ Die ersten Tränen liefen ihre Wangen hinab, rötlich schimmernd im Glühen der Klingen. „Gogo?! Du musst da …“ Es war die Stimme Hiros, die durch das Mikrofon peitschte, doch wollte sie gerade nichts außerhalb dieses Raumes wissen und deaktivierte ihr Headset mit einer Handbewegung. „Es ist zu spät um umzukehren.“ Naokos Stimme war leise, mehr ein Hauch, als denn ein Flüstern. „Nein! Nein ist es nicht!“ hielt sie ihm schluchzend entgegen und ließ das Schwert los. „Du solltest jetzt an unserer Seite gegen deinen Onkel kämpfen! An meiner Seite.“ Sie stützte sich vorsichtig an seiner Brust ab und er schien keinen Versuch unternehmen zu wollen, sie von sich runter zu bekommen. Gogo wusste ganz genau, dass er physisch dazu mehr als nur in der Lage gewesen wäre. Er müsste nur nach dem Schwert greifen. Unter ihren Fingerspitzen fühlte sie sein hämmerndes Herz in der Brust und zusammen mit seinem Atmen spielte es eine seltsam schöne Melodie. „Sie wird sterben …“ wisperte er und Gogo nickte schwach. „Ja. Ja das wird sie und du kannst nichts dagegen tun.“ Nur schwer kamen ihr diese Worte über die Lippen, doch er musste es endlich einsehen. „Alles, was du tun kannst, ist ihr ihre restliche Zeit so schön wie nur irgend möglich zu gestalten.“ fügte sie leise hinzu. „Sie darf nicht sterben …“ Vorsichtig legte sie ihre rechte Hand auf seine Wange. Seine Haut war kalt und rau und die schweißnassen Haare wurden nur noch lose vom Band gehalten. „Sie wird.“ Sie war seinem Gesicht so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. „Lass sie nicht in Trauer gehen. In dem Gedanken, dass ihr Bruder sie im Stich gelassen hat. Lass sie nicht alleine sterben, sondern sei an ihrer Seite …“ Langsam und beinahe anmutig schloss er die Augen. Was denkst du gerade? Könnte sie doch in seine Gedanken hineinsehen. „Dein Onkel benutzt deine Angst, deine Illusion.“ fuhr sie unbeirrt fort, doch wagte sie es noch immer nicht, ihre Stimme zu erheben. „Er nährt sie mit seinen Lügen, damit du auf seiner Seite bist.“ „Er bezahlt ihre …“ Fing er leise an, doch Gogo wollte seinen Widerstand im Keim ersticken. „Sie ist jetzt in der Uniklinik. In den Händen eines sehr fähigen Arztes und es kostet euch nichts.“ Sie schmiegte sich vorsichtig an seine Brust. „Mr. Zilla hat für alles gesorgt, es wird ihr an nichts mangeln.“ Sie fühlte, wie sein Zittern schwächer wurde, seine innere Unruhe verflog. Es wird ihr an nichts mangeln, das schwöre ich Ein tiefes Brummen und Rumpeln ließ sie erschrocken aufhorchen. Der Boden erbebte und die Wände begannen zu wackeln. „Was …?!“ fing sie an und ein weiterer Ruck durchfuhr das Büro. Bildschirme fielen von den Schreibtischen und das Holz der Schränke splitterte. Panisch griff Gogo an ihr Mikro. „ … sofort raus!“ schrie die hysterische Stimme Honeys heraus. „Ick bin uf dem Dach!“ erwiderte Wasabi nervös und man hörte nur allzu deutlich heraus, dass er jetzt lieber woanders wäre. „Du musst hier weg …“ Naoko hatte ihren Arm gepackt und im selben Augenblick gab der Boden unter einem lauten Knirschen nach. Geistesgegenwärtig ergriff sie seine Hand, während sich der Boden in die Tiefe neigte und beide mitriss. Ein Ächzen und beide kamen mit einem Ruck zum Stehen. Ihr schnürte sich die Kehle zu vor Angst und ihr Atem stockte. Seine Prothese hing noch immer am Schwert, das sie in den Boden getrieben hatte, während unter ihnen der Abgrund gähnte und sich in einem Gewirr aus Lichtern und Farben ergoss und das Mobiliar derweilen an ihnen vorbeirauschte. Gogo erkannte den Skorpion Odas, der einer Bestie gleich am Fuße des Towers wild um sich schlug und schoss. Wasabi flog mit Hiro auf Baymax‘ Rücken von oben herab und Honey schoss unablässig ihre Bälle. „Zieh dich hoch!“ Naokos Ruf holte sie wieder zurück in ihre eigene Situation und sie gehorchte. Er zog sie hoch und sie ergriff mit der anderen Hand seinen Unterarm. Die Prothese, noch immer am Boden mit dem Schwert genagelt, ächzte und knackte unter ihrem Gewicht, doch schien sie zu halten. Mit Naokos Hilfe erreichte sie den Vorsprung und zog nun ihn nach oben. Doch auf halben Weg stoppte er. Irritiert sah sie an ihm herunter, die Prothese hing fest und machte es ihr unmöglich, ihn nach oben zu ziehen. „Geh!“ bellte er sie an, doch weigerte sie sich. „Hör auf, den Helden zu spielen! Ich hol dich da raus.“ Fieberhaft sah sie sich um. Irgendetwas musste doch in Reichweite sein. Irgendetwas, das ihr helfen würde. Ein weiterer Ruck durchzuckte das Gebäude und Naokos Hand rutschte ab. Erschrocken und wie gelähmt sah sie, wie er einen Meter fiel und dann wieder mit dem Arm am Schwert hängen blieb. „Verschwinde!“ brüllte er sie an und griff mit der freien Hand an das Schwert. Gogo sah an ihm vorbei, wie Wasabi und Hiro gegen eine Armee von feindlichen Microbots kämpften, die aus allen Löchern und Schlitzen des Skorpions gekrochen kamen. Der Geruch von geschmolzenem Metall stieg ihr in die Nase und sie erkannte das glühende Plasma des Schwertes, das Naoko wieder aktiviert hatte und mit einem Ruck aus dem Beton zog. „Nein!“ rief sie ihm hinterher, doch er rutschte bereits den schrägen Boden entlang Richtung Abgrund. Ohne zu zögern warf sie ihre Düsen an, sprang hinunter und zog noch im Fall die Scheiben von ihrem Rücken und knallte sie gegen ihre Füße. Am Abgrund angekommen packte Naoko indes den Vorsprung mit der Prothese und kam abrupt zum Stillstand. Gogo versuchte zu bremsen und ließ die Düsen mit allem feuern, was sie hergaben. Doch das reichte nicht. Panisch versuchte sie erneut, seine Hand zu greifen, doch sie war zu schnell. „Baymax!“ brüllte sie ins Mikro und rauschte mit hämmerndem Herzen in die Tiefe. Ein Ruck durchfuhr sie und abrupt bremste sie ab. Sie spürte das Adrenalin in ihren Venen und erschrocken wie erleichtert blickte sie in das Antlitz einer blau-orangenen Kreatur, die sie aus riesigen Augen heraus anstarrte. „Jungfrau in Nöten?“ scherzte eine nur allzu bekannte Stimme. „Ich geb dir gleich Jungfrau in Nöten!“ hielt sie dem Comicnerd entgegen und machte keinen Hehl um ihre Erleichterung. Nach einem kurzen Fall kamen sie bereits wieder zum Stehen und erst jetzt bemerkte sie das leise Klicken und Klacken von: „Microbots!“ Sie standen auf einem kleinen Vorsprung, gebaut aus den kleinen Robotern. „Ich musste noch jemanden abholen.“ Wie aufs Stichwort sanken die Microbots mitsamt den beiden nach unten und sie richtete einen letzten Blick nach oben. Naoko war jedoch verschwunden und nirgends zu sehen. Vorsichtig setzten sie auf der Straße auf. „Wir dachten uns, dass ihr etwas Hilfe nötig haben könntet.“ lächelte sie ihr alter Professor an, ehe er seine Maske wieder aufzog. „Also gut! Was müssen wir wissen?!“ wollte Callaghan wissen und Gogo konnte nicht anders, als zu lächeln. In kurzen, knappen Sätzen erklärte sie ihnen alles, was sie schon wussten. Von der EMP, den Raketen und seiner Panzerung. Seine Bewegungsabläufe und sein offensichtliches Ziel, den Tower niederzureißen. Das besagte Gebäude lag bereits schief und es würde nicht mehr lange dauern, bis Oda dieses niedergerissen hatte. „Habt ihr einen Plan?“ wollte Callaghan wissen und Gogo schüttelte den Kopf. „Es sind noch zu viele ungeklärte Variablen. Momentan müssen wir improvisieren.“ „Ich verstehe. Lass mich mal mit Hiro sprechen.“ Fordernd sah er sie an und, ohne zu zögern, nahm sie den Helm ab. „Hiro, kannst du mich hören?“ Es sah etwas seltsam aus, wie ihr alter Professor in den Helm hinein sprach, doch war für solche Gedanken gerade kein Platz. Während Callaghan dem verdutzten Hiro erklärte, dass er und Fred nun da waren, wanderten ihre Gedanken wieder zu Naoko und sie blickte zum Gebäude hinauf. Wo steckst du? fragte sie sich und suchte die Fenster nach verräterischen Schatten ab. „… Gogo hat uns bereits instruiert. Wenn du Befehle hast, dann gib sie mir jetzt!“ forderte Robert und nach einem kurzen Augenblick waren die Fronten geklärt. „Hier.“ Er warf Gogo den Helm wieder zu. „Zeit für Gravity Crush!“ rief Fred siegessicher aus und erhob sich. Ohne ein weiteres Wort sprang er davon mit dem auf den Microbots reitenden Callaghan im Schlepptau. Gogo kam nicht umhin, Fred für seine Stärke zu bewundern und anerkennend lächelte sie. „Zeit, den Spieß umzudrehen.“ Kapitel 39: Konsequenzen ------------------------ „Weißt du, was dem noch fehlt?“ Die gut gelaunte Stimme Freds hob, auch wenn Gogo es nur ungern zugab, ihre Moral und sichtlich die ihrer Freunde, während um sie herum die Welt in Flammen stand. Der Comicnerd ließ die Fangarme seines Anzugs herausschnellen und hakte sich am Bein des Skorpions fest, ehe er sich zu ihm zog und gegen die Gläser der Kanzel sprang. „Laserstrahlen! Das wäre der Hammer!“ rief er freudig aus und Gogo, die zwischen den Beinen der Maschine fuhr, schüttelte nur den Kopf. „Gib dem net uch noch Tipps.“ kommentierte Wasabi mit aufgeregter, aber auch froher Stimme. Mit tobendem Eifer hatten sich die beiden Neuankömmlinge in den Kampf geworfen. Callaghan bemühte sich darum, den Skorpion mit seinen Microbots an empfindlichen Stellen zu treffen, während Fred immer wieder mit gezielten Feuerstößen das Metall glühen ließ. Wasabi war indes dazu übergetreten, mit Hilfe von Hiro und Baymax den ungesicherten Rücken zu attackieren, wobei sie ein ums andere Mal es mit den Microbots Odas zu tun bekamen. Sichtlich motiviert schafften sie es, den Angriffen der Maschine zuvor zu kommen, und ihn langsam, aber sicher, daran zu hindern, weiter auf die tragenden Elemente des Towers einzuprügeln. Auch die Nationalgarde war inzwischen eingetroffen und schoss aus allen Rohren, sobald die Big Hero 6 eine Lücke zuließen. Die meisten Zivilisten waren aus den Gebäuden evakuiert worden und so mussten sich die Helden nicht zurückhalten und konnten sich ganz und gar auf ihren Gegner konzentrieren. „Jetzt kommen die flammenden Schilde!“ Ein gemeinsam koordinierter Angriff ließ den Skorpion straucheln, als Callaghan mit den Microbots die Füße an seiner rechten Flanke in die Luft hob, Honey ihre Bälle fliegen ließ und Baymax mit Hiro auf dem Rücken auf die Kanzel einschlug. Mit einem lauten Donnern, das ihr das Trommelfell zu zerreißen drohte, ächzte der Skorpion auf die Seite und der Asphalt splitterte auf. Tosendes Glas und Stein barst unter dem Gewicht, als die riesige Maschine in das neben ihm liegende Gebäude krachte. Die Erde bebte, Rauch stieg auf und verhüllte die Szenerie, während angespannt Befehle durch die Straßen peitschten und man das Klappern zahlreicher Stiefel, untermalt vom charakteristischen Knacken des Feuers um sie herum, hörte. Regungslos lag der Skorpion da, als Gogo sich ihm vorsichtig näherte. Neben ihr traten auch Baymax und Wasabi heran und hinter ihr, so wusste sie, stand Honey mit der Bazooka im Anschlag, umzingelt von Fred, Callaghan und den Einsatzkräften. „Komm raus!“ bellte Hiro in den Rauch hinein und bekam ein leises Kichern als Antwort. „Das kam etwas unerwartet. Dachte es würde leichter werden.“ Odas Stimme war blechern, also hatte er den Skorpion noch nicht verlassen. Gogo schritt an den leblosen Scheren vorbei, auf das Cockpit zu, welches noch immer verschlossen hinter schwarzem Glas lag. Ihre Scheiben im Anschlag schlich sie näher, begleitet vom unheilvollen Knacken des Gebäudes über ihr. Kein Surren war zu hören, kein Zischen. Die Maschine schien völlig abgeschaltet. „Gogo?“ Honey klang nervös und angespannt und Gogo konnte es ihr nachfühlen. Sie erreichte das Cockpit und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, während ihr der Schweiß von der Stirn rann. Neben ihr trat die riesige Gestalt Baymax‘ aus dem Rauch und gesellte sich zu ihnen mit Hiro im Schlepptau. „Holen wir ihn da raus.“ erklärte der Hamada leise und gab Baymax das Stichwort. Sofort begann dieser die Cockpittür zu umgreifen und zu ziehen. Gogo war bereit, sofort zu feuern, sollte sich auch nur ein Schatten rühren. Rumpelnd und ächzend zog der Roboter an dem Gehäuse und Gogos Nerven schienen jeden Moment reißen zu wollen, als die Stimme Odas ihr das Herz in die Hose rutschen ließ: „Wisst ihr, was der Vorteil meiner Erfindung euch gegenüber ist?“ Erschrocken sprang sie auf. Neben ihr tat Hiro das Gleiche. Mit einem Ruck erhob sich das Ungetüm und zertrümmerte dabei die Decke über ihnen. In Sekundenbruchteilen setzten sie einen Schritt zurück und Putz, Beton und Möbel regneten auf den Skorpion nieder, während er sich aus seiner Lage freikämpfte. Ein Klacken. Die Platten auf seinem Rücken öffneten sich und Gogo verstand, was nun folgen würde. Geistesgegenwärtig ergriff sie den Hamada und zog ihn zu sich, während das Zischen der Raketen das Dröhnen des Gebäudes übertönten. „Raus hier!“ schrie sie ins Mikro und augenblicklich drang der tiefe Ton der Explosionen an ihr Ohr. Wie ein Lastwagen hob die Druckwelle die beiden von den Füßen und katapultierte sie in hohem Bogen durch die Luft. Ihr Schädel dröhnte und alles um sie herum erschien, als wäre es hinter Glas verborgen. Ihre Sicht war verschwommen. Ihre Ohren durchzuckte ein heller, anhaltender Ton und benommen versuchte sie, den Kopf zu heben, doch zwang sie der stechende Schmerz in ihrer Brust wieder auf den Boden. „Bleib … liegen …“ flüsterte ihr eine Stimme zu. Sie schien aus unendlich weiter Ferne und doch war sie klar wie ein Donner. Jemand hielt sie im Arm, hatte sich über sie gebeugt. Blaue Augen wie aus reinem Eis blickten auf sie herab und jagten ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. „Du bist zurück.“ hauchte sie ihm entgegen. Alles um sie herum war in dichten Staub gehüllt und nur zögerlich machte sich in ihrem Kopf die Erkenntnis breit, dass das Gebäude, in dessen Erdgeschoss sie gerade noch gestanden hatten, eingestürzt war. „Wo sind die anderen?“ fragte sie ihn, doch er hob nur den Blick. „Warte hier.“ sagte er noch, ehe er sie vorsichtig ablegte und sich erhob. Vor ihnen trat aus dem Staub heraus der riesige Schatten des Skorpions und hüllte sie beide in Dunkelheit. Mit einem leisen Surren öffnete sich die Kanzel und die dürre Gestalt Odas erhob sich daraus. „Ne … Neffe … Was tust du da?“ Seine Augen zuckten nervös, gleichsam wie seine Mundwinkel und mit fragendem Blick sah er seinen Neffen an. Naoko nahm das rote Schwert und rammte es in den Boden neben sich, ehe er das andere zog und fauchend das grün schimmernde Plasma zu glühen begann. „Ich treffe eine Entscheidung.“ Er nahm die Klinge in beide Hände und ließ die Spitze in Odas Richtung ruhen. Sein Onkel lachte ungläubig und fuhr sich über die Stirn: „Das … das ist also der Dank für meine Mühe?“ Er knackte mit den metallenen Gelenken und schluckte hörbar. „Das ist der Dank dafür, dass ich das Leben deiner Schwester erhalten habe, ja?“ Naoko erwiderte nichts, doch meinte Gogo in seinem Blick erkennen zu können, welchen Kampf er in seinem Inneren austrug. Oda nickte mehrmals und blickte dabei auf den Boden, als er drohend den Finger hob. „Weißt du, ich konnte dich gut leiden … Aber …“ Geräuschvoll krachte die Kanzel herunter und Oda brüllte wütend und hysterisch: „So langsam habe ich keine Geduld mehr!“ Mit einem Klicken senkte der Skorpion seinen Kopf nach unten und offenbarte seinen gepanzerten Rücken. „Hiro!“ Die Rückenplatten des Skorpions neigten sich zur Seite und erneut ließ Oda seine Raketen sprechen. Rasend schnell befreiten diese sich aus ihrem Joch und dichten Rauch hinter sich herziehend stoben sie in alle Richtungen davon. „Baymax!“ Der Roboter feuerte seine Fäuste ab, Honey ihre Kanone und Wasabi aktivierte seine Klingen. Doch es war wirkungslos und unbeeindruckt schlugen die Raketen rings um sie herum ein. Feuerbälle, glühend rot mit windenden Flammen, krochen die Fenster und Mauern empor und Glas, Beton und Stahl um sie herum barsten. Trümmer regneten auf die Straße nieder, schlugen in benachbarte Gebäude ein, rissen Löcher in Autos und Asphalt. Wasabi und Gogo warf es erneut durch die Luft und sie sah ihm Augenwinkel Hiro, Callaghan und Honey, die von Baymax geschützt wurden. Augenblicklich hatte die Druckwelle sämtliche Luft aus ihrer Lunge gepresst und, als sie auf der Straße aufkam, spürte sie ihre Rippen brechen, während sie auf dem Boden rutschend langsam zum Stillstand kam. Ein weiteres Klicken und der Skorpion öffnete seine Seitenpanzerung, während das charakteristisch tiefe Brummen der EMP-Kanone durch die Kreuzung schallte. Das Knistern des Pulses folgte sofort. Im selben Augenblick klappten ihre Scheiben ohne Halt scheppernd auf die Straße. Wasabis Schild erlosch mit einem Zischen und Baymax senkte gebrochen sein Haupt. Während der Tower sich langsam zur Seite neigte und bedrohlich knackte, schossen kleine, dampfende Granaten aus der Flanke des Skorpions heraus. Gerade als Gogo sich zu erheben versuchte, wurde sie von beißendem Rauch eingehüllt. Ihre Sicht verschwamm, ihr Hals brannte. Ihr Kopf war wie betäubt und ihre Glieder fühlten sich an, als wären sie aus Blei. „Na, wie fühlt ihr euch?“ Unfähig, sich auf den tauben Beinen zu halten, brach sie hustend zusammen. Der Skorpion neigte seinen Kopf und öffnete die Kanzel, aus der, langsam und mit gezogenem Revolver, Oda ausstieg. Seine schemenhafte Gestalt schwebte über die Szenerie, wie ein Geist. Seine Stimme schien fern, doch brannte jedes Wort in ihrem Kopf wie Feuer. „Naja, ich muss wohl zugeben, dass ich mich ein wenig bei der Berechnung des Gases vertan haben muss. Dass ihr euch noch bewegen könnt, war eigentlich nicht geplant …“ säuselte er vor sich hin, während er zwischen ihnen hindurchstapfte. Gogo versuchte krampfhaft, die Augen offen zu lassen, auch wenn ihr Körper förmlich nach Ruhe schrie. Um sie herum lagen ihre Freunde auf der Straße, ebenfalls hustend und bewegungsunfähig. Steh auf bellte sie innerlich, doch wollten ihre Glieder ihr nicht mehr gehorchen. „Aber vielleicht …“ Oda blieb vor Naoko stehen und beugte sich nach unten. „… ist das auch gar nicht mal schlecht.“ Seine Augen funkelten wie die eines Raubtieres und grinsend hob er den Revolver. Hinter ihnen knackte und ächzte der Tower. Die Risse wurden größer und einzelne Gläser zersprangen mit einem lauten Bersten. „Weißt du …?“ seufzend wies er mit dem Revolver auf das sich immer weiter neigende Gebäude. „Weißt du? Ich habe gedacht, wenn ich am Ziel meiner Träume bin, dann … dann wäre ich glücklich. Der Schandfleck meiner Kollegen wird jeden Moment einstürzen. Und trotzdem bin ich nicht glücklich.“ Er seufzte noch einmal hörbar. „Nicht glücklich. Siehst du mich lächeln?“ Leise kichernd drückte er den Lauf an Naokos Kopf. „Nach allem, was ich für dich getan habe, ist das der Dank? Indem du mir in den Rücken fällst?!“ Die letzten Worte kreischte er wild geworden umher und das Echo hallte um sie herum wieder. „All … es …!“ versuchte Naoko ihm entgegen zu halten, doch wollte sein Mund keine Worte formen. „Es gab einen Grund, warum ich deinen Vater für diese Aufgabe wollte.“ fuhr Oda ruhig fort, doch konnte man seine Unruhe an den zuckenden Augen nur allzu deutlich erkennen. „Doch war er bereit, seine Tochter sterben zu lassen!“ Gogo schluckte, als sie diese Worte aus seinem Mund hörte. „Weil er begriffen hat, dass es nichts bringt …“ Der Revolver klickte, doch kam kein Schuss. Oda lachte laut auf und erhob sich tanzend. Man konnte den Schrecken im Gesicht des Yamoro nur allzu deutlich sehen. „Das hier ist noch nicht das Ende.“ fuhr Oda fort und steckte den Revolver wieder in sein metallenes Bein, ehe er seinen Neffen am Kragen packte und ihn hochzog. „Ich bin nicht aufzuhalten, du dreckiger Verräter!“ Er stieß Naoko wieder von sich, der laut klappernd wieder auf der Straße landete, direkt neben der roten Klinge. „Ich werde die ganze Stadt in Schutt und Asche legen!“ brüllte der Wahnsinnige in die Nacht hinaus und kicherte dabei wie ein kleines, verrücktes Mädchen. „Und wisst ihr auch, wieso?“ Das Stirnband, das seine Microbots kontrollierte, leuchtete auf und in der Kanzel des Skorpions sah man die kleinen Roboter, wie sie einem Ameisenhaufen gleich über den Sitz und die Konsole krabbelten. Laut rumpelnd setzte sich der Skorpion in Bewegung. „Weil ich es kann!“ Geräuschvoll öffneten sich die Rückenplatten, gemeinsam mit weiteren am Schwanz, und mit einem Kreischen entwichen die Raketen, die kreuz und quer durch die Straßen flogen. Feuer und Blitze erhellten das Stadtbild und lahmgelegte Panzer flogen durch die Luft, als bestünden sie nur aus Papier und Pappe. Die Menschen schrien und brüllten, gemischt mit dem stetigen Trommelfeuer der Explosionen und dem Rattern der Gatlinkanone des Skorpions, der wild um sich schoss. Oda breitete die Arme aus. „Weil ich es will!“ Er hämmerte sich herausfordernd auf die Brust und sah die Freunde durchdringend an. „Jedes dieser Gebäude wurde von einem meiner alten Kollegen entworfen! Alle sollen sie brennen!“ Er lachte laut und drehte sich wieder um. „Und nun, ohne weitere Unterbrechungen, meine Damen und Herren, kommen wir zum furiosen Finale!“ Ihre Glieder waren noch immer schwer wie Blei, doch spürte Gogo, dass langsam wieder Leben in ihre Arme und Beine floss. Während seine Maschine weiter tobte, gesellte sich Oda nun zu Hiro, setzte sich neben ihn, schlang seinen Arm um den Hamada und richtete ihn auf. „Sagt dir eigentlich „Little Boy“ etwas?“ Er drückte seine Wange gegen Hiros und wies mit den Finger zum Tower. „Dreizehn Kilotonnen waren das damals. Kannst du dir das vorstellen? Alles zusammen in einem kleinen Paket, dort oben, im letzten Stockwerk.“ Erschrocken verstand Gogo, was dieser Wahnsinnige sagte. „Hätten wir diese Waffe damals abwerfen können, wäre das hier kein japanisches Protektorat, weißt du?“ Lächelnd tätschelte Oda dem Jungen den Kopf. „Hach, das wird ein herrliches Feuerwerk, findest du nicht auch? Der größte Silvesterknaller von allen.“ Er erhob sich wieder und kicherte dabei wieder. Mit stolz geschwellter Brust sah er zu seiner noch immer tobenden Maschine. „Eine wahre Schönheit, findet ihr nicht? Und bald werden alle daran teilhaben können.“ „w … a ... s …?“ brachte Hiro neben ihr knurrend heraus. „Och, ganz einfach. Ich habe die Pläne meines Meisterwerkes verkauft.“ erklärte Oda achselzuckend und fuhr sich über den blanken Kopf. „Bald werden unzählige Kopien meiner Schöpfung existieren und die Nationen werden sich gegenseitig mit noch mächtigeren Versionen übertrumpfen.“ Langsam, mit einem wissenden, breiten Grinsen auf den Lippen, wandte Oda sich mit einem Mal um und sah direkt zu seinem Neffen. „Ich habe eine Idee. Lasst uns doch ein Spiel spielen. Um die Wartezeit auf das neue Jahr zu verkürzen.“ Mit langsamem Schritt ging er zu seinem Neffen und setzte sich neben ihn. „Was sagst du?“ Er sah Naoko erwartungsvoll an, als er erkannte: „Mach dir keinen Kopf um das Gift, es hält nicht allzu lange.“ Er zog seinen Revolver und begann langsam, ihn zu laden. „Vielleicht fünf, maximal zehn Minuten. Aber da du …“ Oda klopfte seinem Neffen gegen die Brust. „… etwas kräftiger bist, als deine Freunde, sollten es nur vier sein.“ Er schlang seinen rechten Arm mit dem Revolver in der Hand um Naoko und legte die Waffe in dessen Hand. „Komm, ich helfe dir.“ Man sah den zitternden, aber viel zu schwachen Widerstand des Yamoros, der beinahe hilflos mit ansehen musste, wie Oda ihm die Waffe in die Hand drückte und begann auf Hiro zu zielen. „Also, Neffe, lass dir von einem Veteranen sagen, dass der erste Mord immer der schwierigste ist, danach wird es einfacher.“ Erschrocken weiteten sich seine Augen, nur um sofort wieder der wutverzerrten Miene zu weichen. „Hör … auf …!“ knurrte Naoko kraftlos, als Oda den Revolver auf Wasabi richtete. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Also, wer soll es sein?“ Er schob den Revolver in Freds Richtung. „Der Freak?“ Dann zu Callaghan. „Der alte Sack? Oder magst du vielmehr …?“ Ein weiterer Ruck und der Lauf zeigte in Gogos Richtung. „… deine Kleine knallen?“ Er gluckste über seinen eigenen Witz, gleich einem kleinen Jungen. Alles in ihrem Körper schrie nach Flucht, doch konnte sie sich nicht bewegen, so sehr sie auch kämpfte. „Ah, ich sehe schon. Sie ist deine Wahl. Bist du dir ganz sicher?“ Sein Gesicht war bereits völlig rot vor Anstrengung und seine Muskeln zuckten unaufhörlich. „Pass auf. Du zielst … mit beiden Augen natürlich.“ Er sah an ihm herunter. „Großartig, und wenn du das Ziel im Visier hast …“ Gogo hörte das langsame Klicken des Hahns, dessen Spannung immer größer wurde. Ihre Sicht verschwamm, sie weinte und ihr Brustkorb hob und senkte sich im Sekundentakt. Beende diesen Alptraum! Sie sah in diese eisblauen Augen, die Panik und Machtlosigkeit, die diesen innewohnten. Es ist nicht deine Schuld wollte sie ihm zurufen, doch versagte ihre Stimme den Dienst und der Hals schnürte sich ihr zu. „Drückst du ab!“ Sie hörte den Schuss gar nicht. Jedes Geräusch um sie herum verschwand und die Welt wurde still, als ein metallisches Kreischen alle Töne wieder in ihren Schädel prügelte. „Nein, Nein! Du darfst doch dabei nicht zucken!“ Augenblicklich war sämtliche Luft aus ihren Lungen gedrückt und ihr Herz schien stillzustehen. Sie lebte noch. „Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.“ Er hatte nur ihren Helm getroffen und am liebsten hätte sie vor Erleichterung laut aufgeschrien. Doch währte ihre Freude nur kurz, als sie erkannte, dass Oda ihn erneut zwang, zu zielen. „Keine Sorge, ich habe ja sechs Schuss. Versuchen wir es nochmal.“ Wieder blickte sie in den dunklen Lauf der Waffe, aus der noch der Rauch des ersten Schusses aufstieg. „Genau so …“ flüsterte Oda und der Hahn begann erneut zu Klicken. „Nao?!“ Erschrocken über diesen Ruf, zog Oda den Revolver nach oben und blickte in die Richtung, aus der er kam. Sichtlich irritiert wartete er wie Gogo und Naoko auf einen weiteren. Bitte lass das nicht wahr sein Und da rief sie wieder aus dem Rauch heraus und mit Entsetzen erkannte Gogo die Urheberin. Odas Lächeln war indes so breit, dass sie glaubte, seine Mundwinkel würden jeden Moment aufreißen. „Gott, ist das gut!“ Oda musste sich sichtlich zurückhalten, nicht laut loszujubeln. „Das ist viel besser.“ flüsterte er Naoko zu, ehe er nach ihr rief: „Hier drüben, Kleines!“ Nein! Aus dem Rauch heraus hörte sie die mechanischen Gelenke des Exoskeletts und die immer wieder fragende Stimme, unterbrochen vom lieblichen Klang ihrer Glöckchen. Als die zierliche Gestalt aus dem Schatten heraustrat, konnte Gogo die geröteten Augen sehen. Sie war außer Atem und man sah die Angst in ihren Augen, als sie die beiden Gestalten vor ihr erkannte. Sie riss die Augen auf und rannte los. „Nao!“ Oda hielt ihm den Revolver noch immer in der Hand, ließ den Arm jedoch sinken, so dass Sora diesen nicht sehen konnte. Sofort warf sie sich auf die Knie, die Augen mit Tränen gefüllt. „Nao! Was ist passiert?!“ Sie umgriff sein Gesicht. „Er ist nur gelähmt, Kleines. Er lebt noch. Wie bist du deinen Eltern entkommen?“ versuchte Oda gespielt ruhig ihr zu erklären und legte dabei den Arm um seine Nichte. „Sprich mit mir!“ hielt sie ihn an, Odas Frage ignorierend, doch entwichen seiner Kehle nur Fetzen. Gogo spürte das Kribbeln in ihren Fingern und betete, dass das Gas nachlassen würde. Sie musste sie irgendwie warnen. Sora verschwinde da! „Was trägst du da?“ fragte Oda gespielt ahnungslos und zeigte auf ihren blau schimmernden Haarreif. Irritiert sah sie ihn an, ehe sie stotternd erklärte: „Einen Neuro … Transmitter.“ Ohne ein weiteres Wort griff Oda danach, zog ihn ihr vom Kopf und warf ihn weg. „Was tust du …?!“ Sie hatte den Satz noch gar nicht ausgesprochen, da rammte ihr Onkel seinen Fuß in ihre Brust und warf sie von den beiden weg. „Ist das nicht perfekt?!“ brüllte Oda ihr hinterher und hob Naokos Arm mit dem Revolver. „Ist das nicht großartig?!“ zischte er ihm zu und zielte mit dem Revolver auf Sora. „Ah, ich merke schon, die Lähmung lässt langsam nach.“ Auch Gogo konnte es erkennen, dass der Widerstand wuchs und Oda es sichtlich schwerer als zu Anfang hatte, ihn zu lenken. „Nun … gut! Dann entscheide dich mal! Sie?“ Noch während er sprach, riss er den Revolver zu Gogo rum. „Oder sie?“ „Nao?! Was ist hier los?!“ Oda lachte hysterisch. „Na los, entscheide dich! Drück einfach ab! Du hast drei Sekunden!“ Immer wieder wechselte er zwischen den beiden Frauen hin und her. „3!“ Baymax! Wasabi! Fred! Surrend meldeten sich ihr Anzug und das charakteristische Klappern der reaktivierten Microbots. „Deine Zeit läuft ab! 2!“ Tu irgendwas! Der Pulseffekt hatte endlich nachgelassen. „1!“ Der Revolver zitterte unaufhörlich und kam bei Sora zum Stillstand. „Zeit ist um.“ Den Schuss hörte Gogo schon gar nicht mehr. Sora verschwinde da Noch immer waren ihre Sinne benebelt und alles um sie herum klang dumpf und wie aus weiter Ferne. Ihr Blick war getrübt und sie wusste, dass sie weinte. Die Welt schien so weit entfernt, so unwirklich. Alles verging so langsam und jeder Atemzug schmerzte in ihrer Brust. Hiro, Callaghan, irgendwer Verschwunden hinter einem Schleier aus schwarz und rot und dumpf hörte sie den schrillen Ton eines Schreies. Nein … Für einen kurzen Moment verließ sie ihr Wille zu atmen, doch wollte sie nicht nachgeben. Ein weiterer, erstickter Schrei durchbrach ihre Stille. Ein Schrei der Soras Namen rief, mit schallendem Gelächter untermalt und Gogo riss die Augen auf. Naoko hatte sich losgerissen und kämpfte sich nun mit tauben Gliedern durch die Trümmer auf den leblosen Körper der jungen Frau zu. Oda indes hatte sich erhoben und zog, begleitet von einem metallischen Singen, das rote Schwert aus dem Boden. Surrend meldeten sich ihr Anzug und das charakteristische Klappern der reaktivierten Microbots zurück. Oda neigte sich zu seinem Neffen hinunter und zischte zu ihm: „Ist es nicht großartig, dass wir alle unsere eigenen Entscheidungen treffen können?“ Machtlos musste Gogo mitansehen, wie er das Schwert hob. „Dumm ist nur, dass wir mit den Konsequenzen leben müssen!“ Stahl auf Knochen und Fleisch war alles, was für sie in diesem Moment in die Nacht hinaus getragen wurde, untermalt mit dem Surren und Klicken der Microbots, die nur Sekunden danach die Szenerie umhüllten. Sie hatten den laut fluchenden Oda gepackt, der sich mit aller Kraft wehrte. Doch sah Gogo gar nicht mehr hin und wartete auf den Augenblick, in dem die kleinen Roboter den Blick wieder freigeben würden. Rüde wurde sie von weiteren Microbots gepackt, die sie hochzogen, weg vom Geschehen, doch bemerkte sie im Augenwinkel Honey und Wasabi, die sich nach vorne kämpften. Alles war dumpf und sie fühlte sich wie betäubt. Doch war es nicht das Gas, das sie nun lähmte. Ihre Glieder gehorchten ihr nicht mehr, ihre Sinne waren benebelt. Der Drang zu schreien brannte sich in ihren Verstand, doch war sie unfähig auch nur zu atmen. Wie hinter einer Wand hörte sie die Stimmen, die ihren Namen riefen: „Gogo!“ Erst der zweite Ruf erreichte sie: „Gogo!“ Es war Wasabi, der sich über sie gebeugt und sie an den Schultern gepackt hatte. „Wach uf!“ bellte er sie verzweifelt an und ungläubig sah sie zu ihm hinauf. Rumpeln und Donnern, Blitzen und Fauchen drangen an ihr Ohr. Der Kampf um sie herum tobte weiter. Oda hatte sich wieder in seinem Skorpion verschanzt und ließ seine todbringenden Kugeln auf die Gruppe niederregnen. Hiro und Baymax waren bereits wieder in der Luft, während Fred und Callaghan ihm von unten im wahrsten Sinne des Wortes Feuer gaben. Honey war nirgendwo zu sehen und Wasabi hielt sie noch immer mit der linken fest, als er mit der anderen an sein Mikro griff: „Haben wa nen Plan?“ brüllte er hinein und ein Knacken folgte, ehe Hiro mit bedrückter, aber durchdringender Stimme antwortete: „Wir müssen uns aufteilen! Wasabi und Gogo, ihr müsst in den Tower und die Bombe bergen!“ Wasabi sah ungläubig zu dem in Schieflage stehenden Gebäude hoch und schluckte schwer. „Callaghan, Fred und Honey, ihr werdet mir etwas besorgen müssen!“ fuhr Hiro schwer atmend fort. Sofort schoss Gogo die Frage in den Kopf, was er damit meinen würde, doch verschluckte sie diese stattdessen schnell wieder. „Habe verstanden.“ erwiderte der alte Mann nur kurz. „Ich komme gleich dazu …“ fügte Honey mit bedrückter Stimme hinzu. Und noch ehe jemand ein Wort sagen konnte, bellte Hiro: „Los geht’s!“ Es dauerte eine Weile, ehe sie das letzte Stockwerk erreicht hatten. Draußen tobte der Kampf und das Gebäude lag bereits so schief, dass der Aufstieg über die Treppen mehr als nur schwierig wurde, während das Knarzen und Quietschen der Wände um sie herum ihre Nerven strapazierten. Endlich im gesuchten Raum angekommen, erspähten sie auch so gleich das Packet, dessen Wucht die Wand zum angrenzenden Raum eingeschlagen hatte. Ohne zu zögern traten die Freunde heran und Wasabi begann mit seinen Händen vorsichtig die Oberfläche abzutasten, während Gogo am Fenster Stellung bezog. Das Feuer der Gebäude um sie herum tauchte die Stadt in ein grauenhaftes Licht, unterbrochen von den Funken der aufeinander prallenden Stahlwaffen und Microbots. „Wie sieht es aus?!“ rief sie dem Riesen entgegen. „Hier sind eine Menge Kabel und Drähte!“ brüllte er zurück. „Kannste se entschärfen?!“ „Sehe ick us, wie en verdammter Sprengstoffexperte?!“ Wasabis Nerven lagen blank und Gogos auch. Wo bleibt Callaghan? „Jetzt wär ma en Kernphysiker praktisch!“ jammerte Wasabi und packte sich an die Stirn, als er eine der kleinen Platten mit seiner Klinge vorsichtig aufschweißte. „Was redest du da für einen Müll?! Du bist Physiker!“ hielt sie ihm entgegen. „Ja, für Laser! Dat hier is ne verdammte Atombombe!“ So kamen sie nicht weiter und sie musste ihn beruhigen. Sie öffnete ihren Mund, doch eine laute Explosion unter ihnen erhellte den Nachthimmel und erschrocken sah sie hinunter. Sie konnte gerade noch erkennen, wie eine lange Metallschere nach oben schnellte. Im letzten Moment warf sie sich nach hinten, bevor das Fenster und die Wand vor ihr aufgerissen wurden. Augenblicklich brach der Boden unter ihren Füßen und riss sie nach unten. Panisch versuchte sie, sich an irgendetwas festzuhalten, doch griffen ihre Hände nur ins Leere und abrupt kam sie auf der metallenen Oberfläche des Skorpions auf. „Na, was soll das denn werden?!“ schrie die blecherne Stimme des Wahnsinnigen sie an. Es dauerte keine Sekunde, da schoss bereits Baymax an ihnen vorbei und landete mit einem lauten Scheppern neben ihr. Der Skorpion wackelte heftig dabei und beinahe hätte es ihn von der Fassade gerissen. Ohne ein Wort sprang Hiro ab und ließ seine Microbots aus seinen Taschen heraus, die geräuschvoll über die Oberfläche krochen und an den Seiten zum Bauch hin steuerten. „Was hast du vor?!“ wollte sie wissen, doch unterbrach ein weiteres Donnern seine Antwort. Eine Schere hatte sich in das Gebäude geschlagen und von Panik ergriffen rief Wasabi durch sein Mikro: „Er hat sie!“ Mit einem Satz löste sich die Maschine und fiel in die Tiefe. Gogo und Hiro verloren den Boden unter ihren Füßen, als Hiro bellte: „Sie kommt!“ In Sekundenbruchteilen griff Baymax die beiden und erhob sich in die Luft, als das tonnenschwere Biest auf der Straße aufkam. Rauch durchzog die Straßen, als der Tower unter der Wucht schlussendlich nachgab. Von einem tiefen Brummen begleitet sank die Konstruktion immer tiefer. Baymax und Hiro reagierten sofort und Gogo klammerte sich an den Armen des Roboters fest, als dieser Vollgas gab. „Festhalten!“ rief Hiro und gemeinsam schossen sie in das letzte Stockwerk hinein, griffen den verdutzten Wasabi und brausten auf der anderen Seite wieder heraus, als der Turm unter ihnen in Asche und Rauch versank. Gogo sah hinunter, konnte jedoch nichts mehr erkennen, als die Aschewolke zu ihnen nach oben rauschte und sie umgab. „Die Bombe!“ rief Wasabi ihnen atemlos wieder ins Gedächtnis und Baymax trat den eiligen Sinkflug an. „Nutz den Scanner für den Blindflug!“ Man sah die Hand vor dem Auge nicht, doch erhob sich nur wenige Augenblicke später ein schwarzes Gespenst aus dem Rauch heraus, das sich stöhnend aus den Trümmern kämpfte. „Zeit, das zu beenden!“ Hiro lenkte den Roboter auf den Kopf des Skorpions zu und Wasabi und Gogo sprangen ohne Zögern ab. Der Riese warf im Sprung noch seine Klingen an und rammte sie im Schwung des Falls in die gläserne Kanzel. Doch er war zu schnell gewesen. Wasabi verlor den Halt und rutschte weiter nach unten, nicht ohne sein Plasma weiter in das Glas zu treiben, das zischend zu schmelzen begann. „Honey!“ brüllte Wasabi, als er endlich losließ und Gogo begriff, was nun passieren würde. Sie drehte sich um und ließ sich fallen. Im Augenwinkel sah sie die vielen kleinen, roten Bälle, die aus dem Rauch heraus geflogen kamen. Dann folgte ein Blitz. Eine Stichflamme schoss nach oben und ein Schrei drang ihr durch Mark und Bein. Sie rollte sich auf dem Boden ab und richtete ihren Blick nach oben. Die Kanzel stand in Flammen. Funken stoben in alle Richtungen und klirrend sprang das Glas. Ein Rumoren folgte, als das Cockpit aufgesprengt wurde und eine brennende Gestalt heraustrat, deren Schreie noch immer hallten. Sofort schossen weiter Kugeln hervor und hüllten ihn in dampfenden, weißen Schaum, der sich sofort wieder löste und Oda rauchend auf den Knien zurückließ. Neben ihr trat Honey aus dem Nebel hervor, die Kanone geschultert. „Monster …“ zischte sie. Ihre Augen waren gerötet und in ihrem Blick lag purer Hass. Das Gesicht ihres Gegners war beinahe vollständig verbrannt und hing in schwarzen, noch immer glühenden Fetzten herab. Doch er lachte leise. „Mich nennst du Monster?“ „Halt dein dreckiges Maul oder ich fackel dich nochmal ab!“ Oda setzte ein Lächeln auf, welches man jedoch nur mit Mühe als ein solches erkennen konnte. „Du kleines Miststück …“ Seine Prothesen waren schwarz gefärbt, doch funktionierten sie oberflächlich noch. Die Truppe begann ihn vorsichtig zu umzingeln, als er mit einem Mal den rechten Arm in die Höhe trieb, in der Hand ein kleines, stabförmiges Stück Metall haltend. „Ich würde das gut überdenken.“ Er kicherte und erschrocken erkannte Gogo das Ding als Fernzünder. „Ihr habt mein wunderschönes Gesicht entstellt …“ fuhr er leise fort und seine geschundenen Augen blieben bei Honey stehen. „Und du nennst mich ein Monster?“ Gogo verstand nicht, was er damit sagen wollte, doch war es ihr auch völlig egal. Was auch immer Honey vor wenigen Sekunden abgefeuert hatte, Gogo hätte keine Skrupel davor, sie es noch einmal tun zu lassen. „Ich dachte immer, Helden verletzen nicht.“ Vorsichtig und mit knarzenden Gelenken erhob sich Oda. „Gib endlich auf! Du kannst nicht mehr gewinnen.“ hielt Hiro ihm ruhig entgegen. „Natürlich kann ich das.“ Oda besah sich den Zünder in seiner Hand, ehe er ihn hochhob und Hiro entgegenhielt. Er hielt den Daumen auf dem Knopf gedrückt und sie wusste, wenn er loslassen würde, wäre alles vorbei. „Oder hast du allen Ernstes gedacht, dass ich geplant hatte, lebend aus der Sache herauszukommen?“ Gogo jagte ein Schauer über den Rücken und hörte ein leises Knistern. Oda lächelte breit. „Frohes, neues Jahr …“ Doch es geschah nichts. Sein mechanischer Daumen verharrte weiterhin auf dem Knopf. „Was soll das?!“ brüllte Oda hysterisch herum und sah ungläubig seine tote Hand an. „Ihr solltet brennen!“ Noch während er tobte, überbrückte Hiro die letzten Meter zu ihm. „Heute nicht!“ Und rammte ihm seine Faust in seinen Magen. Keuchend beugte Oda sich nach vorne und erst jetzt schien er zu bemerken, dass seine Prothesen nicht mehr funktionierten. „Was …?!“ Er wandte den Kopf und erspähte Fred und Callaghan, die gemeinsam um einen Haufen Schrott herum standen, der zischend Funken spie. Odas Augen weiteten sich, als er das Gerät erkannte. „Nein!“ brüllte er sie an und, ehe er reagieren konnte, hatte Wasabi ihn bereits gepackt und drückte ihn zu Boden. Vorsichtig ließ Hiro seine Microbots die Hand mit dem Zünder abschweißen und nahm sie an sich, darauf bedacht, dass der Daumen an Ort und Stelle blieb. Auch, wenn der EMP alles deaktiviert hatte, war es wohl besser, kein Risiko einzugehen. „Ihr dreckigen, kleinen …!“ Oda tobte, doch konnte er sich ohne seine Prothesen nicht gegen Wasabi wehren und spie stattdessen Gift und Galle. Die Erkenntnis rollte nur sehr langsam durch Gogos Kopf. Es war vorbei. Der Schrecken hatte nun ein Ende und erst jetzt wurde sich Gogo des nächtlichen Himmels über ihr bewusst, dessen tiefschwarze Wolken vom Schein des Feuers erhellt wurden und die eine oder andere Explosion einer Silvesterrakete aus weiter Ferne sie in buntes Licht tauchten. Ein Bild, dessen Schönheit sie mit tiefer Trauer erfüllte und ihr die Bilder der vorangegangen Minuten immer wieder vor Augen führte. Mit zitternden Beinen und völlig erschöpft gab sie nach und ließ sich fallen. Sie riss sich die Panzerung vom Leib, bis nur noch ihr lila Anzug und die Schuhe übrig blieben. Der Boden unter ihr war angenehm kühl, doch konnte auch dieser ihre Schmerzen nicht lindern, die sich nun in ihrem Körper ausbreiteten. In der Ferne hörte sie quietschende Reifen und harsches Gebell, gemischt mit dem wütenden Geschrei Odas. Nur schleppend rollten die Bilder dieses Kampfes durch ihren Kopf und offenbarten, was sie verdrängt hatte. Auf wackeligen Beinen erhob sie sich wieder und schritt die Trümmer des Gefechtsfeldes entlang, wie ferngelenkt. Hiro und Honey neben ihr.   Als sie vor ihm stand, wirkte er fast friedlich, wie er dort auf seinen Knien ruhte, als würde er schlafen. Seine Haut war beinahe weiß, strahlend, abwechselnd in rot und blau der Einsatzwagen um sie herum getaucht. Vorsichtig nahm sie sein Gesicht in die Hände und drückte ihre Stirn gegen die seine. „Es tut mir so leid.“ wimmerte sie mit bebenden Schultern. „Es tut mir so leid …“ Kapitel 40: Das Ende eines Weges -------------------------------- Nervös drückte sie auf dem Stoff des Griffs herum, lies ihn unter ihrer Hand knarzen. In In ihrem Gesicht kämpfte der kalte Wind dieses Herbsttages mit der Hitze des gleißenden Feuers vor ihr einen Kampf im Rhythmus der tanzenden Flammen. Es war ruhig, keine Musik erklang und kein Wort wurde gesprochen. Sie stand alleine etwas abseits der Hand voll Männer, die sich um das Feuer versammelt hatten und ehrfürchtig den Kopf gesenkt hatten. „Du kannst jetzt zu ihm gehen.“ sprach der Japaner, den sie Handa nannten, leise zu ihr und wies mit einer respektvollen Geste auf den bulligen, großen Mann ganz am Feuer. Vorsichtig und mit noch immer geneigten Kopf trat sie an ihn heran. „Hier …“ Das Schwert in beiden Händen ruhend hielt sie es ihm entgegen und wagte es dabei nicht, dem alten Mann in die Augen zu sehen. „Ihr Sohn … er trug es bei sich, als er ...“ Er nahm die Klinge zögerlich entgegen und seine müden Augen wanderten die vom Kampf geschundene Scheide ab. „Er hätte gewollt, dass ich es ihnen wiedergebe.“ Ihr Gegenüber sagte kein Wort, sondern wies sie nur mit einer anmutigen Geste an, sich neben ihn zu stellen. So nah war das Feuer schon fast unerträglich heiß, doch wollte Gogo keine Schwäche zeigen. Nicht hier, nicht an diesem Ort. Die schwarzen Silhouetten, umgeben von tanzenden Flammen, hoch oben auf einem Thron aus Balken und Geäst, jagten ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Es war ein eigenartiger Kampf, der in ihrem Inneren tobte. Ein Kampf aus Trauer, Wut und Erleichterung. Trauer, dass sie zwei geliebte Menschen hat sterben sehen. Wut, dass sie versagt hatte. Erleichterung, dass sie nun endlich frei waren. „Ich muss dir danken.“ begann der alte Mann neben ihr mit einem Mal zögerlich und Gogo sah ihn fragend an. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen wofür dieser Mann ihr danken sollte. Er bemerkte offenbar ihren Blick, denn er fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Du hast meinen Kindern eine neue Welt gezeigt für diese beide blind gewesen zu sein schienen.“ Er atmete tief und langsam durch. „Meine Tochter hat oft von dir erzählt. Dass du an sie geglaubt hast, ihr Mut gemacht hast. Meine Frau sagte, sie habe sie schon lange nicht mehr so glücklich gesehen.“ Er seufzte und sah sie wieder an. „Und was meinen Sohn betrifft … Nach allem was ich gehört habe, warst du dafür verantwortlich, dass er sich gewandelt hat. Dass er im letzten Moment die richtige Entscheidung getroffen hat.“ Gogos Mund war trocken und sie schwieg, wusste sie doch nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Er hat noch gelebt, wusstest du das?“ Sie riss die Augen auf und sah zu dem bulligen Mann hoch. Was?! „Er starb erst, als sie die Pforten des Krankenhauses durchschritten hatten.“ Sein leerer Blick war starr auf das Feuer gerichtet und die Flammen spiegelten sich in seinen Augen. „Was werdet ihr jetzt tun?“ Gogo wusste nicht, warum sie das fragte, doch kam ihr diese Frage so schnell über die Lippe, dass sie gar nicht darüber nachdachte. Der Mann seufzte. „Meine Frau und ich werden dieser Stadt den Rücken kehren und in die Heimat zurückkehren.“ Er atmete tief durch, ehe er fortfuhr: „Die Linie ist durchbrochen. Mit mir wird der Name Yamoro letztlich aussterben. Es gibt nichts mehr, was uns hier hält.“ Gogo schwieg dazu und wollte sich nicht vorstellen, welche Trauer in ihm vorgehen mochte. Während die Flammen immer höher stiegen und den Himmel über ihnen befeuerten, sprachen beide kein Wort mehr. Ein beißend kühler Wind fuhr der jungen Frau durch die Haare und ließ sie erschaudern. Sie zog die Jacke hoch und vergrub ihr Kinn unter dem Stoff. Der Samurai zog die Klinge geräuschvoll aus der Scheide und dessen roter Stahl schimmerte anmutig im Schein des Feuers. „Rot ist wahrlich die richtige Farbe für dieses Schwert.“ flüsterte er leise und Gogo neigten den Kopf. „Es ist mit viel Blut bezahlt worden und trotzdem war der Preis noch nicht bezahlt.“ Er ließ die Klinge wieder in die Scheide gleiten und reichte der erstaunten Gogo das Schwert. „Es soll dir gehören.“ Gogo wusste nicht was sie sagen, noch wie sie diese Geste interpretieren sollte. „Sir … ich …“ begann sie zögerlich, wurde jedoch sofort unterbrochen. „Diese Waffe hat mich letztlich das Leben meiner Kinder gekostet. Dieser Preis war zu hoch.“ Er richtete seine müden Augen der jungen Frau zu. „Wenn du es willst, so soll es dir gehören. Wenn nicht, werde ich es vernichten.“ Die Beerdigung Mr. Zillas war ungleich größer, als die der Yamoro Kinder. Alles was Rang und Namen hatte, hatte sich im Anwesen versammelt um Mr. Zilla die letzte Ehre zu erweisen. Gogo wagte von ihrem Platz neben ihren Freunden immer wieder einen Blick zu Fred, der einsam mit seiner Mutter am Sarg stand und schweigend der Rede des Pastors lauschte. Er konnte seine Trauer gut verbergen, denn seine Miene war steif und ausdruckslos. Allerdings konnte sie sich nur allzu gut vorstellen, was in ihm vorging. Die Beisetzung ging größtenteils still vonstatten und niemand wagte ein Wort zu sprechen, oder auch nur zu husten. Lediglich die leisen und andächtigen Klänge eines Klaviers durchbrach die Stille. Es war ein langer Zug, der sich von schwarzen Gestalten, die der Beisetzung im Familiengarten begleiteten, Gogo und ihre Freunde stets im Hintergrund. Honey hatte ihren Arm um Fred gelegt und auch Wasabi ließ seine Hand auf seiner Schulter ruhen. Hiro stand still neben Callaghan, Baymax hatte er im Labor gelassen. Der anschließende Leichenschmaus fand wieder im inneren des Anwesens der Zillas statt, doch waren Gogo und ihre Freunde nicht an Essen interessiert und der trauernden Gemeinde überdrüssig. Und so kam es, dass sie nun alle in ihren schwarzen Trauergewänden um Mr. Zillas ehemaligen Schreibtisch herum standen. Sein Sohn strich vorsichtig über das massive Holz, ehe er sich auf den schwarzen Sessel setzte. „Wie fühlst du dich, Fred?“ Honey war die erste, die die Stille durchbrach und sah den Comicnerd aus noch immer von Trauer geröteten Augen heraus an. „Ich habe immer gewusst, dass ich irgendwann das Erbe meines Vaters antreten und seine Aufgaben übernehmen würde, doch …“ Er seufzte hörbar, doch war Gogo sich sicher, Erleichterung herauszuhören. „Naja, ich dachte, dass es noch etwas dauern würde.“ Die Freunde lächelten ihn verlegen an. „Naja, wenn Heathcliff aus dem Krankenhaus entlassen wird, werde ich mich wohl daran machen müssen, das Erbe meines Vaters anzutreten.“ fuhr Fred in seiner gewohnt guten Laune fort. „Kommste klar?“ schnippte Wasabi ihm zu. „Logo. Nur zum Comiclesen werde ich wohl in absehbarer Zeit eher selten kommen.“ Tatsächlich entlockte diese Bemerkung der Truppe ein vorsichtiges Lächeln. Die Stimmung war bedrückt und etwas angespannt, doch spürte sie auch nur allzu deutlich den Zusammenhalt ihrer Freunde und sie ließ den Blick schweifen. Fred der inzwischen die Beine auf den Tisch abgelegt hatte und selig grinste, während er sich wahrscheinlich an all die Momente erinnerte, an denen er dafür gerügt wurde. Wasabi, der sich verkehrt herum auf einen der Stühle gesetzt hatte, die Arme auf die Lehne und den Kopf auf die Arme abgelegt hatte und nachdenklich aus dem Fenster sah. Honey, die zwar wie gewohnt ihr Handy in der Hand hielt, doch nur Löcher in die Luft starrte. Baymax, der sich wieder in seiner Zivilausrüstung befand und still in der Ecke stand. Und schlussendlich Hiro, lässig, aber mit nachdenklicher Miene an der Wand gelehnt. „Wir sollten uns so bald wie möglich um die verschwundenen Pläne und Prototypen kümmern, ehe es jemand anderes tut.“ durchbrach Hiro schließlich die Stille. Als Anführer war es seine Aufgabe, die Truppe wieder auf Kurs zu bringen, dass hatte Freds Vater ihm beigebracht. „Und auch die Pläne des Kampfskorpions sind noch irgendwo da draußen und könnten in die falschen Hände geraten.“ „Ick will diesem Ding nicht noch ma entjegen treten.“ gab Wasabi knurrend zu verstehen und Hiro stimmte dem nickend zu. Das Oda auf tödliches Gas verzichtet hat, grenzte für sie an ein Wunder, denn dazu wäre er vermutlich durchaus in der Lage gewesen. Offenbar hatten sie es seiner Hybris und dem unwiderstehlichen Wunsch nach Vergeltung zu verdanken, dass er nur lähmendes Gas benutzt hatte. Allerdings musste Hiro wahrscheinlich auch zugeben, dass er dank dieses Kampfes eine große Liste an Verbesserungen abzuarbeiten hatte und wie sie es verstanden hatte, würde er sich als erstes um die Anfälligkeit der Elektronik gegenüber elektromagnetischen Pulsen kümmern. Wenn eine solche Waffe in die falschen Hände fällt, könnte man gut und gerne eine ganze Armee aus solchen Kampfrobotern herstellen und das wäre eine Aufgabe, der die Big Hero 6 noch nicht gewachsen waren. Oda indes schmorrte im wahrscheinlich tiefsten Loch, das das Gefängnis zu bieten hatte und er konnte wohl froh darüber sein, dass er noch lebte. Honey hatte ihr im Stillen anvertraut, dass sie einen Napalmersatz benutzt hatte und sich erst im letzten Moment wieder besann, ihn nicht einfach verbrennen zu lassen.   „Professor Callaghan hat mir heute Morgen geschrieben, dass er sich mit uns treffen will.“ Hiro sah in die Runde. „Wir haben noch einiges an Arbeit vor uns. Allerdings …“ Er stoppte kurz und sah jedem einzelnen seiner Freunde ins Gesicht. „Allerdings finde ich, dass uns ein paar Tage Pause ganz gut tun werden.“ Wasabi war der erste, der ihn lächelnd ansah. „Wir könnten doch ma zusammen angeln jen.“ „Angeln?“ Fred hob belustigt die Augenbrauen und auch Honey musste grinsen. „Angeln.“ bekräftigte Wasabi noch einmal. „Mene Eltern ham enen eigenen See.“ „Ja …“ bekräftigte Hiro ruhig das Vorhaben. „Warum eigentlich nicht?“ Doch hörte Gogo gar nicht mehr richtig zu, wie ihre Freunde zu planen begannen, sondern richtete ihren Blick aus dem Fenster auf die stille Silhouette der Stadt und ihren Ballons. Eine Sache hatte sie noch zu erledigen. Der Wind war rau hier oben. Eisig fegte er über sie hinweg und bestrafte jeden noch so kleinen Streifen Haut, der frei an der Luft lag. Ihre Hände begannen bereits taub zu werden und ihre Arme und Beine zitterten schwach, doch war ihr das alles egal. Heute war das alles egal. Die junge Dame kaute auf ihrem Kaugummi herum, während sie die Stufen zu dem eisernen Ballon hinaufstieg, weit über den Dächern der Stadt. Im Westen ging die Sonne bereits hinter den Bergen unter und die Fenster und Gläser der Stadt funkelten in ihrem rötlichen Licht. Die Tasche auf ihrem Rücken drückte gegen ihre Schultern und schien sie hinabziehen zu wollen, doch ignorierte sie diesen Schmerz. Die letzten Schritte auf dem stählernen Boden und sie war oben. Der Wind pfiff durch ihre Haare und ließ sie tanzen, während sie ihren Blick über die Stadt schweifen ließ. Der Anblick, obwohl sie erst das dritte Mal hier oben war, kam ihr bereits vertrauter vor, als alles andere und umso mehr genoss sie den Ausblick und den Wind. Die leisen Geräusche der Stadt und die über sie vorbeiziehenden Wolken. Ich verstehe nun warum du immer hier warst Es war zwar nicht derselbe Ballon, doch bot ein anderer, der nun an dessen Stelle installiert worden war, denselben Ausblick wie zuvor. Als sie ihr Gewicht etwas verlagerte um bequemer zu stehen, spürte sie die lange Klinge, die sich sanft an ihren Rücken schmiegte, als wäre er es selbst, der sie umarmte. Unweigerlich musste sie daran denken, wie sie ihn hier oben zu sich runter gezogen hatte und es trieb ihr die Hitze ins Gesicht. Es war ein angenehmes Gefühl, gemischt mit Sehnsucht und Trauer, doch tat es ihr unendlich gut. Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte sie sich schließlich, legte die Tasche und das Schwert neben sich und ließ ihren Blick wieder über den Horizont schweifen. Es würde noch etwa eine Stunde dauern, bis die Sonne hinter den Bergen verschwunden war und sich endlich die Nacht über die Stadt legen würde. Die letzten Wochen waren nicht einfach für sie und ihre Freunde gewesen. Durch die Zerstörung der Innenstadt und der damit verbundene Medienrummel um die Gruppe, war es schwierig geworden, noch als Helden aktiv zu sein, ohne direkt sämtliche Einsatzkräfte im Nacken sitzen zu haben. Denn aus irgendeinem unerfindlichen Grund schien es für die Behörden so, als trügen sie eine Mitschuld an dem ganzen Chaos. So sah sich die Gruppe gezwungen, eine kleine Auszeit zu nehmen, was so manchen unter ihnen offenbar doch sehr zusagte, als sie es wahrscheinlich zugegeben hätten. Honey wird mit ihren Eltern nach Europa reisen. Gogo kannte Honey zu gut und wusste daher, dass bei den ganzen Bildern, die sie täglich von ihr erhalten wird, es ihr wahrscheinlich fast so vorkommen wird, als wäre sie selbst vor Ort. Wasabi wird sich im Labor in seine Arbeit flüchten und die Ruhe nutzen um weiter an seiner Erfindung zu arbeiten. Gogo hatte sich schon überlegt, ob sie ihn nicht einfach mal besuchen sollte, um das eine oder andere Werkzeug mitgehen zu lassen, nur damit es Wasabi auch nicht zu langweilig wurde. Doch hatte sie diese Idee sehr schnell wieder verworfen. Fred wird mit Hilfe von Heathcliff und seiner Mutter das Erbe seines Vaters antreten und in dessen Namen die Gruppe unterstützen. Es kam Gogo fast so vor, als wäre er ein wenig ernster geworden, doch wenn er mit ihnen alleine war, war er noch immer der verrückte Comicnerd, denn Gogo hasste und liebte. Ihr kleiner Freund Hiro wird mit seiner Tante und Baymax ebenfalls verreisen, so viel hatte er ihnen schon verraten. Wie er erzählte, hatten sie für sich die Karibik ausgesucht, da Cass wohl unbedingt ans Meer wollte. Vielleicht wäre das Meer für sie auch mal einen Gedanke wert. Callaghan indes hatten die Stadt für immer verlassen und war nach Los Angeles gezogen, während Abigail zurück an die Ostküste gegangen war. Der Abschied war kurz, doch emotional gewesen, da die beiden erst kurz vor ihrer Abreise die Freunde von ihren Plänen erzählten. Selbst Hiro ließ sich, nachdem er lange gezögert hatte, zu einer Umarmung hinreißen. Gogo war sich sicher, dass dies vor allem dem Wunsch entsprang, endlich alles hinter sich lassen zu können und sie  hoffte, dass ihr ehemaliger Professor sich von seinen Wunden erholen würde. Und sie ... Sie saß hier in mehreren hundert Meter Höhe und genoss die Ruhe um sie herum. Sie liebte ihre Freunde über alles, doch war es diese Art der Ruhe, die sie schon lange gebraucht hatte. Dieser Abstand um sich über alles im Klaren zu werden was geschehen ist. Über jedes Wort, dass sie miteinander gewechselt hatten. Jeden Augenblick, den sie miteinander geteilt hatten. Jedes Mal, wenn sich ihre Lippen berührt hatten. Die Nacht kam in großen Schritten näher und noch während Gogo in ihren Gedanken versank, durchbrachen die ersten Sterne den mondlosen Himmel über ihr. Sie wartete noch ein paar Minuten ab, bis die Stadt vollends in Dunkelheit getaucht wurde und die geisterhaften Lichter der Straßen und Gebäude von unten her schimmerten. Zögerlich griff sie in die Tasche und zog eine kleine, aus weißem Stoff bestehende Laterne heraus. Sie faltete sie auf, befestigte das dünne Drahtgestell darunter, befestigte die kleine Kerze daran und zündete sie an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Wärme der Kerze das dünne Konstrukt aus Stoff und Metall in die Lüfte heben konnte. Ein kurzer Handgriff und eine Schnur und die Laterne blieb vor ihr in der Luft stehen. Ein weiteres Mal griff sie in ihre Tasche und zog ein kleines Kästchen hervor, welches sie ohne zu zögern öffnete. Der Inhalt war unscheinbar für Außenstehende, besaß für Gogo jedoch einen weit größeren Wert. Eine kleines, silbrig schimmerndes Glöckchen und ein orangener Fetzen eines Basketballs. Vorsichtig befestigte sie die beiden Stücke an die kleine Laterne und das Glöckchen stimmte im Wind dabei ein leises Lied. „Nun darf wenigstens ein Teil von euch endlich fliegen.“ flüsterte sie, vergrub ihr rotglühendes Gesicht zu teilen unter dem Kragen ihres Pullovers und lies den die Laterne los. Ihr Herz raste, als sie den leuchtenden Ballon langsam steigen sah und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Und dieses Mal würde sie sie nicht zurück halten. Sie hatte bei seinem Tod nicht geweint. Nicht bei seiner Verbrennung und auch danach nicht. Doch nun war sie alleine und ihm näher, als sie es je zuvor gewesen ist. Diesmal konnte sie weinen. „Du bist so ein Idiot.“ fluchte sie leise in den Wind. Der Ballon war inzwischen nur noch ein kleiner, leuchtender Punkt am Nachthimmel, der sich langsam mit den Sternen vermischte, während ihre Tränen den Weg nach unten suchten. Ihre Wangen brannten und die Sicht war verschwommen, doch interessierte sie das nicht. Nicht dieses Mal. Einmal durfte auch sie schwach sein. Sie hatte Sora immer für ihre unglaubliche Stärke im Hinblick auf ihren eigenen, baldigen Tod bewundert. Und nun war er schneller gekommen, als sie alle geahnt hatten. Vor wenigen Tagen hatte Gogo noch geglaubt, sie könnte hundert Jahre alt werden. So glücklich, so sorglos und sie hatte es sogar geschafft Hiro in diesen finsteren Tagen ein Lächeln zu entlocken. Und Gogo? Sie war letzten Endes nicht mal mehr in der Lage gewesen Naoko sagen zu können, was sie für ihn empfand. Das sie ihn vermisste, dass sie ihn... ... mochte. „Ich ...“ begann sie langsam und wandte ihren Blick vom Himmel ab. Sie stellte sie sich vor, wie er vor ihr stand, mit seinem fragenden Ausdruck in seinen eisblauen Augen und irgendwie wollte sie ihm nicht in die Augen sehen. „Ich li...“ versuchte sie weiter, doch brachte sie nur ein Stottern heraus. Wütend und beschämt über sich selbst knurrte sie: „Du weißt schon was ich meine.“ und setzte sich mit trotzigem Gesichtsausdruck wieder auf den Boden Ballons. Das sollte reichen! schnaubte sie innerlich. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb und ihr Gesicht schien in Flammen zu stehen. Zum Glück war es dunkel und niemand würde sie sehen können. Sie griff nach seinem Schwert und legte es sich vorsichtig auf den Schoß. Mit einem metallischen Singen zog sie die Klinge heraus. Die Waffe war ungewöhnlich leicht und unglaublich filigran, doch hatte sie keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Sie wird diese Waffe bei sich tragen, das hatte sie sich geschworen. Immer wenn sie in den Kampf ziehen werden, will sie es bei sich wissen. Sie besah sich den rot schimmernden, glatten Stahl, von der Spitze bis zur Tsuba, dem Stichblatt. Es war nun ihres. Das letzte, was ihr von ihm noch geblieben war. Sie wusste in diesem Moment, dass sie Hiro um einen Gefallen bitten musste. Seine Microbots mussten ihr etwas in Klinge gravieren. Einen Namen …   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)