Über Freunde und Helden von GrauW0lf ================================================================================ Kapitel 37: Kapp das Band ------------------------- Quietschend kam das Motorrad zum Stehen. Die Straße war lediglich von den vereinzelten Straßenlaternen beleuchtet, deren Licht die unbekannten Männer vor dem Torbogen seines alten Zuhauses offenbarte. Sie waren alle in Anzüge gehüllt, mal etwas alt, mal edel. Doch waren sie alle bewaffnet und musterten mit nervösem Blick den jungen Yamoro. Er stellte die Maschine ab, zog den Schlüssel und schritt nervös, aber um Ruhe bemüht, auf das Haus zu. Die Männer ließen ihn nicht aus den Augen, doch hielten sie ihn auch nicht auf. Er hörte sie hinter sich flüstern und langsam dämmerte ihm, wer diese Typen waren. Er hörte die durch das Holz gedämpften Stimmen im Inneren des kleinen Gebäudes. Auch vor dieser Tür standen zwei Männer, Gewehre im Anschlag, und blickten angespannt zu ihm herunter. Doch wie die anderen zuvor ließen sie ihn ohne jede Gegenwehr passieren. Geräuschvoll schob er das mit Leinen bekleidete Shoji beiseite und betrat den Dojo. Das Erste, was er sah, war ein kleiner Mann, gehüllt in einen teuer aussehenden Anzug. Er kniete vor den zahlreichen Kerzen, die den Raum in ein warmes Licht tauchten. „Kyodo-san sichert euch seine volle Unterstützung zu.“ ratterte der Mann in fließendem Japanisch runter. Erst jetzt erkannte Naoko die Gestalt, die vor den Kerzen kniete, den Rücken zu ihm und dem Mann gewandt. Der Yamoro brauchte nicht lange, um zu erkennen, wer das war. Die Rüstung, die der Mann trug, war kunstvoll verziert und die metallenen Panzerplatten schimmerten im Kerzenlicht. „Ich sagte Nein.“ antwortete sein Vater in einem ruhigen, aber druckvollen Tonfall, den Naoko nur allzu gut kannte. Offenbar hatten die beiden ihn noch nicht bemerkt und kurzerhand beschloss er, dies zu nutzen. Eiligen Schrittes trat er hinter den Anzugträger, der gerade wieder zu sprechen begann: „Meister Yamoro, es ist meine Pflicht, als ihr Schüler …“ Weiter ließ Naoko ihn nicht sprechen, sondern nahm einen weiteren Schritt und stand nun direkt neben ihm. Augenblicklich verstummte der Mann und sah Naoko von unten heraus mit überraschtem und grimmigem Blick an. Naoko verbeugte sich höflich und erwiderte: „Wenn Sie erlauben.“ Er erhob sich und erst jetzt sah Naoko das Katana, das er bei sich trug. Instinktiv legte der Yamoro seine linke Hand an das Heft seines eigenen. Er spürte, wie das Blut in seinen Adern stärker zu pulsieren begann, als würden diese jeden Moment bersten. „Wie Sie gesagt haben, Meister.“ fuhr der Mann fort und zu Naokos Überraschung verbeugte er sich und erklärte: „Hajimemashite, Handa Shuichi desu.“ Naoko nickte, antwortete jedoch nicht. Ihm war völlig egal, wer der Kerl war, und, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, sah er zu seinem Vater. „Wie ich sehe, hast du mich erwartet.“ Der alte Mann hatte sich inzwischen erhoben und sah ihn von oben herab mit seinen eisblauen Augen an. Für einen kurzen Moment war die Szenerie in Stille getaucht und lediglich das leise Flackern der Kerzen erfüllte den Raum. „Handa, ihr solltet jetzt gehen.“ „Meister …“ wollte dieser protestieren, doch die erhobene Hand Yamoros ließ ihn verstummen. „Dies ist eine Angelegenheit, die nur mich und meinen Sohn betrifft. Geht!“ Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Wie Ihr wünscht.“ erwiderte Handa ruhig, verbeugte sich höflich und murmelte noch ein respektvolles: „Saýonara.“ ehe er an Naoko vorbeiging und den Dojo verließ. Eine Pause folgte auf das Klacken der zugeschlagenen Schiebetür, in der der Sohn seinem Vater still gegenüber stand, bis der alte Mann laut seufzte. „Was willst du hier?“ Langsam nahm Naoko die Hand vom Schwert, öffnete den Gurt und nahm die Klinge ab. Unter den wachsamen Augen seines in Rüstung gehüllten Vaters sank er auf seine Knie und legte die Klinge sorgsam vor sich. Erst danach sah er wieder auf und erwiderte: „Ich will Antworten.“ Der alte Yamoro hob eine Augenbraue, doch abgesehen davon ließ er sich absolut nichts anmerken. Selbst nach Jahren war es Naoko unmöglich, seines Vaters Gemütszustand zu erkennen oder seine Gedanken auch nur ansatzweise zu erahnen. Zahlreiche Fragen schossen durch seinen Kopf, gleich wie Gewehrkugeln. Bist du überrascht? Bist du wütend? „Ich schulde dir keine Antworten.“ erklärte sein Vater barsch, auch wenn er sich sichtlich um Fassung bemühte. „Du hast diesen Dojo entehrt, unsere Familie.“ Naoko fühlte den Zorn in sich aufkeimen, doch versuchte er, ihn, so gut es ging, hinunterzuschlucken. Und was hast du getan? hätte er am liebsten gefragt, doch auch, wenn er bereit war, die Antworten, die er suchte, zu erzwingen, so wollte er, so gut es ging, eine offene Konfrontation vermeiden. Immerhin wusste er, wie stur sein Vater sein konnte. Stattdessen versuchte er, fürs erste das Thema zu wechseln. „Du scheinst etwas anderes erwartet zu haben.“ Sein Blick ruhte auf der reich geschmückten Rüstung. Sein Vater bemerkte dies und nickte verhalten. „Ja, offen gesagt, habe ich das.“ „Und die Männer vor der Tür?“ wollte Naoko wissen und zeigte mit dem Daumen hinter sich. „Alle bewaffnet und ziemlich nervös. Hast du geglaubt, dass ich ein Blutbad anrichten wollte?“ Sein Vater schüttelte ruhig den Kopf. „Nein, diese Herren sind nicht auf meine Anweisung hier. Sie haben mich lediglich davon in Kenntnis gesetzt, dass du dich deiner gerechten Strafe entziehst.“ Naoko zog eine Grimasse und biss sich auf die Unterlippe. Gerecht?! Innerlich brannte er bereits und seine Gelenke schmerzten, als er seine Finger in den Stoff seiner Hose vergrub. Doch schluckte er seinen Ärger lieber weiterhin herunter, denn noch hatte er seine Antworten nicht. „Sind diese Herren zufällig von der Yakuza?“ fragte Naoko gerade heraus. Ob seinen Vater dies überraschte, konnte er nicht erkennen, doch hatte er den Eindruck, als würde sein Vater darum kämpfen, ihn nicht gleich an Ort und Stelle zu verprügeln. „Ich weiß nicht, mit welchen Geschichten Oda deinen Verstand vergiftet hat …“ begann der alte Mann, doch unterbrach sein Sohn ihn direkt. „Geschichten, die nach einer Antwort verlangen.“ In seinem Kopf tobte bereits ein erbitterter Kampf um Fassung und nur mühsam konnte er seinen Oberkörper dazu zwingen, sich zu beugen. Die Hände vor sich ausgebreitend, die Stirn auf dem hölzernen Boden ruhend, sagte er: „Nichts weiter als Antworten. Ich bitte dich.“ Sein Vater erwiderte nichts und Naoko fügte hinzu: „Danach werde ich wieder verschwinden.“ Diese Halbwahrheit ging ihm nicht leichtfertig über die Lippen, doch hoffte er inständig, dass dies diesen sturen Ochsen dazu bewegen würde, endlich den Mund aufzumachen. Er hörte ihn seufzen und das Flattern von Kleidung, gemischt mit dem charakteristischen Knirschen von Metall, verriet ihm, dass sein Gegenüber nun ebenfalls kniete. „Ich höre.“ Erleichtert über diese Worte erhob sich Naoko wieder. „Oda erzählte mir, dass du in deiner Tätigkeit als Schatten für die Yakuza gearbeitet hast.“ Die grimmige Miene seines Gegenübers machte nur allzu deutlich, dass dies keine Frage war, die sein Vater beantworten wollte, doch musste ihm inzwischen klar sein, dass Naoko bereits zu viel wusste, um es noch weiter geheim zu halten. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und nickte schwach. „Ja, das ist wahr.“ Er seufzte laut und begann zu erzählen: „Ich bin in meiner jugendlichen Naivität ein paar Mal mit ihnen aneinander geraten. Irgendwann hatten sie mich geschnappt und stellten mir ein Ultimatum: Entweder arbeitete ich meine Schulden ab oder sie hätten mich am Grund des Meeres versenkt.“ Naoko musste innerlich schmunzeln. Das klang mehr nach der Mafia als nach der Yakuza. „Und in ihrem Auftrag hast du einen gewissen Wang kennengelernt.“ Wieder nickte er. „Auch das ist wahr.“ Naoko zog den rechten Ärmel seines Pullovers hoch und entblößte die im Kerzenschein schimmernde Prothese. „Und dieser Mann ist dafür verantwortlich …“ „Ja, das ist er.“ Das Familienoberhaupt verzog das Gesicht, bevor es fortfuhr: „Die Yakuza haben gut gezahlt und unter ihrer Führung hatte ich die Gelegenheit, meine Ziele zu erreichen.“ gab er zu und griff an das Heft seines Katanas. Geräuschvoll zog er es aus der Scheide und legte es vor sich auf den Boden. Der rötliche Stahl leuchtete im Licht, als bestünde er selbst aus reinem Feuer. „Mit ihrer Hilfe konnte ich endlich das Schwert erschaffen, das ich mit ganzem Stolz mein Eigen nennen konnte.“ „Und dafür musstest du Wang ans Bein pissen?“ zischte Naoko leise. „So gesehen ja. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings nicht, zu was dieser Mann fähig war.“ „Und als er sich an deinen Kindern vergriffen hat, hast du den Schwanz eingezogen und nichts unternommen …“ Die Augen seines Vaters zuckten nervös und Naoko spürte, dass er dabei war, eine gefährliche Grenze zu überschreiten. Er atmete tief und hörbar durch. Er würde keine Angst mehr zeigen und sich den Konsequenzen seines Handelns stellen. „Du hast uns beide aufgegeben …“ fuhr Naoko unbeirrt fort und fühlte den strafenden Blick, der auf ihm ruhte. „Du hast Sora aufgeben …“ Zu Naokos Überraschung schloss sein Vater nur die Augen und seufzte erneut. „Nein, das habe ich nie …“ fing er an und das war Naoko zu viel. „Lüg mich nicht an!“ In all der aufbrodelnden Wut ergriff er sein Schwert, zog es aus der Scheide und rammte die Klinge in den Boden. Das Holz splitterte und der Stahl sang sein metallenes Lied. Sein Gegenüber sah ihn nur aus müden Augen heraus an. „Als ich von der Bombe erfuhr, habe ich in Rage sieben seiner Männer getötet, ehe die Polizei mich aufhalten konnte.“ Naokos Metallgelenke knirschten, als er den Griff um das Heft verstärkte. „Erst drei Tage später haben sie mich wieder rausgelassen. Ein alter Freund von mir hatte das möglich gemacht. Erst da erfuhr ich, dass du deinen Arm und Sora ihr Leben verloren hatte.“ „Sie ist noch nicht tot!“ presste Naoko zwischen seinen Zähnen hervor. „Glaubst du, ich hätte nicht jeden erdenklichen Strohhalm ergriffen?!" hielt sein Vater ihm nicht minder hitzig entgegen. „Dann hast du nicht genug getan!“ Ein kurzer Ruck und zischend begann das Schwert, sich durch den Holzboden zu brennen. „Was ist das?“ Hast du Angst, alter Mann? Naoko lächelte stumm in sich hinein über diese Vorstellung. „Laserinduziertes Plasma.“ erwiderte der junge Mann und er kam nicht umhin zu lächeln. Kannst du dir vorstellen, wie viel Angst ich habe? Es dauerte einen Moment, bevor sein Vater knurrend fortfuhr: „Ich kann den Hass und die Wut in dir verstehen, mein Sohn.“ Es lag ein seltsamer und Naoko völlig unbekannter Unterton in seiner Stimme, doch waren es die Worte, die in seinem Kopf einen unheimlichen Lärm auslösten. Lächelnd erklärte er: „Du hast einmal gesagt, dass ich mein eigenes Schwert schmieden muss, um den nötigen Respekt davor zu erhalten. Um meine eigene Musik zu hören.“ Er zog das Katana zischend aus dem Boden und erhob sich langsam. „Dann hör jetzt mal genau hin!“ Begleitet von einem Schwarm Funken zog er das grünglühende Schwert über den Boden und sprintete auf seinen Vater zu. Flink wie eine Katze schob dieser seine Hand unter sein Schwert, warf es hoch und fing es in der Luft, noch während er seinen Körper nach oben drückte. Mit einem lauten Zischen krachten die beiden Schwerter zusammen und Naoko erschrak. Die rote Klinge widerstand dem Plasma und, davon überrascht, nutzte sein Vater dies aus, drehte das Schwert mit dem seinigen und schlug es zur Seite, nur um im selben Atemzug seine Faust durch Naokos Gesicht zu fahren. „Überrascht?“ fragte der alte Mann spöttisch und Naoko spuckte Blut aus seinem Mund, während er einen  Schritt zurückwich. „Das ist Vibranium. Es gibt nichts auf dieser Welt, was dieses Schwert bezwingen kann. Auch deine neumodische Erfindung nicht!“ Naokos Blut kochte und schrie nach mehr. Sofort warf er sich wieder nach vorne und wieder hielt sein Vater dagegen. Schlag folgte auf Schlag, während das Metall mit jeder Berührung kreischte. Dem Schlag seines Vaters zuvorkommend, rammte er seinen Fuß in dessen Magen. Wie ein Donner durchfuhr der Schlag seinen Körper und warf ihn in die brennenden Kerzen, die mit einem lauten Scheppern mitsamt Tisch und Halter brachen. Naoko nutzte die Chance und warf sich wieder nach vorne. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust, während - wie in Zeitlupe - sein Gegner sich auf die Beine hob. Glühend wie Feuer malten die Klingen ihr eigenes Bild. Verbissen und ohne jede Gnade schlug Naoko auf seinen Vater ein, der die Angriffe immer wieder abwehrte. Doch war er immer einen Augenblick zu langsam. Laut schrie er auf, als das glühende Plasma sich durch das weiche Fleisch seiner Schulter schnitt. Getroffen strauchelte sein Vater gegen die Wand. Naoko breitete die Arme aus. „Was ist los?! Sagtest du nicht selber, dass jeder Kampf wie ein tödlicher geführt werden sollte?! Wo ist deine Entschlossenheit?!“ schrie er ihn an und ging zum nächsten Angriff über. Katzengleich wich sein Vater diesem aus und schlug ihm erneut ins Gesicht. Diesmal nutzte er die Lücke in Naokos Verteidigung. Sofort warf sich der bullige Mann nach vorne, überbrückte die wenigen Meter zu seinem nach hinten gestrauchelnden Sohn und schlug erneut zu. Immer wieder. Mit dem letzten Schlag rammte er seinen Fuß in seine Rippen. Das Holz der Tür splitterte, während sein Körper durch diese segelte, hart auf der Steintreppe aufschlug und sie hinunterrollte, um dann auf dem hölzernen Weg zum Stehen zu kommen. Sein Kopf schien jeden Moment bersten zu wollen und sein Körper fühlte sich an, als hätte ihn ein Dampfhammer getroffen. Er hob seinen Kopf und erblickte seinen Vater am oberhalb der Treppe, der nun seinerseits die Arme ausbreitete und zu seinem Sohn hinunter brüllte: „Ein wütender Geist hat keinen Verstand!“ Abermals musste er Blut spucken. Wie Leid er es war. Zahlreiches metallenes Klicken um ihn herum ließ ihn erkennen, dass die bewaffneten Männer den Garten noch längst nicht verlassen hatten. Er blickte unbeeindruckt in die Läufe der Revolver und Maschinenpistolen. „Habe ich dich denn gar nichts gelehrt?“ Sein Vater hatte am Fuße der Treppe Halt gemacht und sah nun auf ihn herab. „Belogen hast du mich …“ hustete Naoko, während er sich langsam erhob, das Schwert noch immer in seiner Hand. „Verraten und verkauft.“ Sein Vater erwiderte nichts und auch sonst sagte niemand ein Wort. „Alles dafür?“ zischte er den alten Mann an und wies auf das rote Schwert in seiner Hand. „Hör endlich auf mit diesem Wahnsinn!“ brüllte der Yamoro seinem Sohn ins Gesicht und man sah die pochenden Adern an seinem Hals, während er ihm direkt gegenüber stand. „Stell dich endlich der Realität! Sie ist bereits tot! Du bist es, der sie noch ins Grab bringt!“ Er hatte den Satz gerade erst beendet, da krachte die eiserne Faust seines Sohnes bereits in sein Gesicht und riss den alten Mann von den Füßen. Noch während er fiel, packte Naoko ihn an der Kehle und drückte ihn mit ganzer Kraft in den, unter der Wucht berstenden, hölzernen Boden. Bevor jemand reagieren konnte, wandte er sich bereits um, hob das Schwert und griff den erstbesten an, der in Reichweite seiner Klinge war. Laut zischend durchschnitt das Plasmaschwert die Maschinenpistole, die auf ihn gerichtet war, schlug seine Faust gegen die Kehle des Schützen und griff den nächsten in seiner Reichweite an. Um ihn herum wurde es laut, doch merkte er nichts mehr davon. Seine ganze Konzentration galt nur dem nächsten Gegner. Knochen knackten, als er einem von ihnen die Waffe gewaltvoll entriss, diese hochzog und dem nächsten ins Bein schoss. Wieso schießt ihr nicht?! Er warf die Pistole einem weiteren entgegen, nur um im selben Augenblick erneut anzugreifen. Sein Blick war starr, wie durch einen Tunnel. Die Gedanken rasten und die Wut betäubte jeden Schmerz. Dumpf hörte er das Stimmenwirrwarr um ihn herum, das Donnern der Schläge und Tritte, das Kreischen von Metall. „Hör auf!“ Schrill, wie Kreide auf einer Tafel, durchbrach die Stimme die Stille in seinem Kopf und augenblicklich stoppte er. „Bitte hör damit auf!“ Die Stimme zitterte und klang fiebrig. Dumpf dagegen der Aufprall des Mannes, den er gerade noch am Kragen gepackt hatte und der nun laut fluchend auf dem Boden aufkam. Er wagte seinen Augen nicht zu trauen. Wie im Traum umarmte das schlaksige, junge Mädchen ihn und drückte seinen Kopf gegen seine Brust. „Sora …“ flüsterte er atemlos, während er die Arme um sie schlug. „Du … stehst.“ Ungläubig blickte Naoko an ihr herunter. Er konnte es nicht glauben. Die Welt um sich herum vergessend gab er sich völlig der Illusion hin und hoffte inständig, nie wieder aufzuwachen. „Bitte hör damit auf …“ schluchzte Sora und ihre kleinen Glöckchen klingelten leise beim Beben ihrer Schultern. „Wie …?“ Er drückte sie etwas von sich und begutachtete die junge Frau. „Wie …?“ wiederholte er. Er sah Sora tief in die verheulten, eisblauen Augen und wäre am liebsten darin versunken. Da hob sie mit einem Mal ihren Arm, schob ihre Haare von ihrer Stirn und offenbarte einen kleinen, bläulich leuchtenden Haarreif. Augenblicklich erstarb das Gefühl in ihm und wich dem widerlichen Geschmack von Trauer und Enttäuschung. „Hiro hat das für mich gebaut.“ erwiderte Sora und ein vorsichtiges Lächeln stahl sich über ihre Lippen. „Hiro …“ wiederholte er mit zitternder Stimme. Er sah an ihr vorbei und erblickte am Torbogen die Gestalt einer Frau. „Miss Hamada …“ Sichtbar um Mut bemüht sah Hiros Tante ihm in die Augen. „Sie hat mich hergebracht.“ Es war ein seltsames Gefühl, dass sich in seiner Brust ausbreitete, doch Freude war nicht darunter. Eher fühlte es sich an, als würde Feuer ihn von innen zerfressen. Wie kann er es wagen?! zischte er in Gedanken. Nach und nach nahm er die vielen Menschen um ihn herum wieder wahr, die nervös und noch immer mit erhobenen Waffen auf ihn gerichtet, sich im Garten verteilt hatten und Abstand hielten. Vorsichtig drückte er Sora von sich weg. Er wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen und fühlte die brodelnde Wut in seinem Inneren. Sein Atem beschleunigte sich wieder und das Adrenalin rauschte durch seine Venen, wenn er an den Hamada dachte. „Nao?“ fragte seine Schwester schüchtern, doch reagierte er nicht mehr darauf. Stattdessen machte er kehrt, lenkte seine Schritte zu seinem inzwischen sitzenden Vater und kam neben ihm zum Stehen. „Bitte hör auf, so lange es noch möglich ist.“ Die Worte des alten Mannes entlockten ihm nur ein verächtliches Schnauben, während er sich hinunterbückte und das Schwert seines Vaters an sich nahm. „Vibranium also? Ja?“ fragte er spöttisch nahm die Klinge in seine linke. Niemand sagte etwas zu ihm, während er den Garten durchschritt. Vorbei an den Yakuza-Männern. Vorbei an seiner Schwester, nicht ohne ihr vorher noch einmal über den Kopf zu streicheln und vorbei an Cass Hamada, die er nicht eines Blickes würdigte. „Nao?!“ rief Sora erneut, doch ignorierte er sie. Er war gerade am Torbogen angekommen, als er die zierlichen Arme seiner Schwester an seinem linken Arm spürte. „Bitte bleib hier … hör auf damit …“ flehte sie ihn an. „Werde wieder wie früher …“ Ihre Stimme war nur noch ein Winseln. Naoko seufzte und unterdrückte die aufkommenden Tränen. Bitte hass mich nicht flehte er innerlich und drehte sich wieder zu ihr um. Ohne ein weiteres Wort ergriff er den Haarreif und zog ihn sanft von ihrem Kopf.  „Was tust du da?“ Seine Schwester sah ihn erschrocken an. Er fing sie auf, als die mechanischen Gelenke ihre Arbeit versagten und legte sie vorsichtig auf das kühle Gras. „Du bleibst hier.“ fügte er noch leise hinzu und dann drückte er zu. Das filigrane Gebilde zersprang augenblicklich unter der Kraft seiner Prothese und ihre Einzelteile verteilen sich wie eiserner Sand auf dem Rasen. Er sah ihr nicht in die Augen, während er sich erhob und warf auch keinen Blick zurück. Schießt, wenn ihr müsst Gerade, als er den Torbogen durchschritten hatte, hörte er das unheilvolle Donnern. Laut krachend barst der Asphalt der Straße unter dem Gewicht des roten Roboters und die aufgewirbelte Luft ließ den Stoff seiner Kleidung laut flattern. Sofort sprangen die Gestalten von seinem Rücken und Naoko erkannte das surrende Geräusch von fließendem Plasma und das Ploppen der kleinen Bälle Honeys. Die kleinen Microbots zogen surrend an ihm vorbei, doch war es mehr die Person, die diese steuerte, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Das macht es einfacher dachte Naoko sich und lächelte. „Es ist vorbei, Yamoro!“ Hiro klang noch lange nicht so zuversichtlich, wie er sich gab. Er hörte die Schritte hinter sich und aus dem Augenwinkel sah er, wie Gogo Hiros Tante zur Seite nahm. „Hiro, bitte verschwinde.“ hörte er Sora hinter sich wispern. „Das war dein Werk, nicht wahr?“ wollte Naoko von ihm wissen. Hiro sah ihm in die Augen und nickte schwach. „Es gibt kein Heilmittel für sie, das weißt du.“ Die plötzliche Offenheit überraschte Naoko, doch fachten diese Worte seine Wut nur noch mehr an. „Sie soll ihr Leben noch genießen und nicht in einem Krankenhaus vor sich hin vegetieren.“ Ein Auto wurde angeworfen und mit quietschenden Reifen entfernte Cass sich vom Schauplatz. Hiro sah ihr einen Augenblick hinterher, ehe er sein Augenmerk wieder Naoko zuwandte. „Was sie braucht, ist ein Heilmittel und keine Illusionen!“ knurrte der Yamoro. „Das Heilmittel ist eine Illusion.“ Naoko verstärkte den Griff um die Schwerter. Ich werde dich hier an Ort und Stelle enthaupten „Hiro?“ Es war Honey, die auffordernd zu dem Hamada aufsah. Wieder nickte dieser nur und seine Freunde deaktivierten ihre Waffen.  „Tut uns leid, aber wir werden das hier verschieben müssen.“ Ungläubig sah Naoko ihm an. „Du hast hier genug zu tun und wir werden woanders gebraucht.“ fuhr Hiro fort und sah zu Gogo hinüber. Die Anderen indes stiegen wieder auf Baymax‘ Rücken und mit einem lauten Zischen startete er seine Triebwerke. Donnernd erhob sich der Roboter in die Luft und ließ einen ratlosen Naoko zurück. „Wir wollten nur Tante Cass von dir befreien …“ erklärte die zurückgebliebene Gogo ihm und in ihrer Stimme konnte man nur allzu deutlich ihre Trauer und Verachtung spüren. Sie war nur wenige Meter von ihm entfernt, doch kam es ihm vor, als würden Welten zwischen ihnen liegen. Er öffnete den Mund, doch bekam er kein Wort heraus, als eine Explosion, dumpf, wie aus weiter Ferne, die Stille zerriss. Gogo senkte den Blick und drehte sich um. Zischend aktivierte auch sie ihr Jetpack und fuhr auf ihren Rädern ohne ein weiteres Wort davon, dem Auto der Hamada hinterher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)