Über Freunde und Helden von GrauW0lf ================================================================================ Kapitel 35: Offene Rechnungen ----------------------------- „Das ist wirklich bemerkenswert.“ murmelte Stan. Er hatte sich in seinem Büro hinter den massiven Schreibtisch gesetzt und durfte nun die Ergebnisse bestaunen, an deren Verwirklichung Hiro die letzten Tage gearbeitet hatte. „Mein Bruder wollte immer Menschen helfen und es wäre unverantwortlich gewesen, das zu ignorieren.“ murmelte der Junge, der sich kleinlaut auf einen der Stühle gesetzt hatte. Sein Blick lag auf dem tanzenden Mädchen. „Und wie funktioniert das?“ Hiro nickte Sora entgegen und diese kam vor dem Schreibtisch zum Halten. Sie griff sich an die Stirn, schob ihre Haare beiseite und offenbarte eine Art Haarreif. Dünn wie Papier und so breit wie ein Bleistift, sodass dieser unter ihren Haaren verschwand. Stan erkannte die kleinen, leuchtenden Kreise auf der schimmernden Oberfläche, welche immer wieder aufleuchteten und erloschen. „Ist es nicht großartig?“ trällerte die junge Frau und umarmte Hiro so stürmisch, dass es sie wohl beinahe beide vom Stuhl gehauen hätte. Stan konnte nicht anders, als über dieses wunderbare Bild zu lächeln. Hiro hatte ihr tatsächlich eine Art Roboterstütze gebaut und der alte Mann musste zugeben, dass er mehr als beeindruckt von dem Jungen war. Das Exoskelett war erstaunlich unauffällig, ja beinahe filigran. Es schmiegte sich perfekt an ihren Körper und ließ stellenweise die Illusion von Tattoos statt der Metallstreben zu. Er hatte es so gebaut, dass sie es unter ihrer Kleidung tragen konnte, was die Illusion einer völlig gesunden jungen Frau beinahe perfekt machte.  „Ich kann sogar wieder rennen.“ grinste Sora und begann sofort einen mehr als holprigen Spurt durch das Zimmer. „Allerdings …“ gab sie beschämt zu, als sie mehr schlecht als recht an der Wand zum Stehen kam. „… muss ich die nötige Motorik wohl wieder lernen.“ Sie wagte ein Lächeln in Hiros Richtung. „Und ich hoffe doch sehr, dass du mir dabei hilfst.“ Hiro lächelte vorsichtig zurück und kratzte sich verlegen am Nacken. Ein verhaltenes Klopfen an der Tür unterbrach den kurzen Dialog der Beiden und Professor Callaghan betrat vorsichtig den Raum. „Sie wollten mich sprechen?“ „Robert, komm rein.“ erwiderte Stan und der Angesprochene tat, wie ihm geheißen. Sein Blick fiel dabei auf Hiro und Sora und lächelnd fragte er: „Hast du das Design endlich in den Griff bekommen?“ Stan wechselte einen kurzen Blick mit Hiro und Robert, als der Junge antwortete: „Ja, Baymax´ Konstruktion hat mich auf die Idee mit den Carbonfasern gebracht.“ Also wusste Robert schon davon folgerte Stan aus diesem kurzen Dialog und damit erübrigte sich die Frage, warum Robert nicht überrascht war. Es schien fast so, als hätte sich das Verhältnis der beiden deutlich verbessert. „Nun, Hiro …“ räusperte sich Stan nach einer kurzen Pause. „Wenn du erlaubst, würde ich gerne mit Professor Callaghan unter vier Augen sprechen.“ Hiro wollte gerade den Mund öffnen, als Sora sich an seinem Arm einhakte und erwiderte: „Wir müssen sowieso langsam los.“ Stan lachte verhalten und fügte hinzu: „Denkt dran, ich erwarte euch heute um acht auf der Insel.“ Mit diesen Worten erhob sich der alte Mann und geleitete die Beiden zur Tür. „Der Junge kann die Verwandtschaft zu Tadashi nicht leugnen.“ stellte der Professor mit reumütigem Unterton fest und seufzte. „Nein, das kann er nicht.“ stimmte Stan dem zu. Er versicherte sich, dass Hiro nicht mehr in Hörweite war, schloss die massive Eichentür seines Büros hinter sich und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. „Mr. Zilla, warum wollten Sie mich alleine sprechen?“ erkundigte sich Callaghan nach einer kurzen Pause vorsichtig. Stan amüsierte diese seltsame Haltung irgendwie. „Robert, ich sagte doch, nenn mich Stan. Ich komme mir sonst so alt vor.“ erwiderte er mild. Robert kratzte sich verlegen am Nacken. „Aber es stimmt. Ich habe dich hergebeten und ich würde es vorziehen, wenn die Kinder noch nichts von dem wissen, was ich dir jetzt sagen werde.“ Noch ehe Stan fortfahren konnte, erklärte Robert: „Ich werde Ihnen das Geld für den Umzug selbstverständlich zurückzahlen.“ Nun konnte Stan nicht mehr anders, er musste herzhaft lachen. Dachte Robert wirklich, dass er darauf aus war? Sein Gegenüber sah ihn verwirrt an. „Nein, darum geht es mir nicht. Und außerdem war es ein Geschenk.“ Er sah, wie er den Mund verzog. Es schien fast so, als würde er sich dafür schämen. „Oder, wenn es deinem Gewissen mehr zusagt, sieh es als Lohn für deine aufopfernde Arbeit bei den Big Hero 6.“ Robert schnaubte und Stan lächelte ihn an, ehe er wieder eine ernste Mimik auflegte und eine Schublade seines Schreibtisches öffnete. Heraus zog er einen kleinen Stapel Papiere und breitete diese vorsichtig vor Robert aus. Dieser nahm indes seine Brille aus der Brusttasche, setzte sie auf und besah sich neugierig die Schriftstücke, während Stan ihn dabei aufmerksam beobachtete und seine Reaktion abwartete. „Ist das …?“ „Die Liste aller gestohlenen Prototypen, Pläne und Gerätschaften.“ beendete Stan den Satz. Robert nahm einige der Listen in die Hand und sein Blick sprang dabei eilig hin und her, während er die einzelnen Komponenten zu registrieren begann. „Können Sie erkennen, was er vorhat?“ Robert seufzte, nahm sich ein weiteres Blatt, legte es wieder beiseite und nahm ein neues. Es vergingen einige Minuten, ehe er antwortete. Dabei ließ er nicht vom Papier ab. „Zahlreiche Antriebselemente… Die Pläne eines Arc-Reaktor Prototypen… Beschichtung aus Vantablack... Mehrere Steuerchips… Experimentelle Panzerung…“ murmelte Robert vor sich hin. „Wie ich sehe, wissen Sie die wichtigen Komponenten aus diesem Chaos zu erkennen.“ erkannte Stan zufrieden. Er hatte gehofft, dass ein Genie wie er etwaige Zusammenhänge würde erkennen können. „Ja, das ist wohl wahr …“ begann Robert zögerlich. „Doch was macht Sie so sicher, dass er es gerade darauf abgesehen hat und nicht einfach nur wertvolle Technologie stehlen wollte, um sie gewinnbringend zu verkaufen?“ Damit hatte der Professor den Nagel auf den Kopf getroffen. „Es ist vielmehr eine Vermutung als klares Wissen.“ erklärte er, während er mit den Finger nachdenklich auf den Schreibtisch klopfte. „Ich verstehe.“ erwiderte Robert und legte die Papiere wieder ordentlich zusammen. „Das ist allerdings noch nicht alles.“ Er reichte ihm ein weiteres Blatt. Robert überflog das Schreiben nur kurz und Stan fügte hinzu: „Es hat eine Weile gedauert, bis Krei damit rausgerückt ist.“ „Silent Sparrow.“ murmelte Robert geistesabwesend und sah dann erstaunt auf. „Laut Mr. Krei …“ begann Stan langsam. „Gab es bei Einstellung des Experimentes genau zwei Kopien. Eine davon lagert bei der Regierung. Wo genau, habe ich noch nicht rausfinden können. Die andere …“ Er deutete auf das Papier. „… hat Krei indes für sich behalten. Unerlaubt versteht sich, denn die Regierung hatte dieses Experiment als höchst gefährlich eingestuft und ihm sämtliche Rechte daran entzogen.“ „Und diese Kopie befindet sich nun in Nobusakas Hand?“ Stan schüttelte den Kopf. „Nicht mehr.“ Er machte eine kurze Pause, um Robert nachdenken  zu lassen. „Sie sind in Los Angeles, habe ich Recht?“ folgerte dieser ohne jeden Zweifel in der Stimme. Stan sah ihn nachdenklich an und nickte zustimmend. „Soviel ich weiß, hat er seinen Pläne und einige experimentelle Exponate an einen gewissen Arthur verkauft. Einen in der dortigen Unterwelt relativ bekannten Hehler.“ Er reichte Robert ein weiteres Schriftstück. „Wie ich rausfinden konnte, hatte Mr. Nobusaka schon früher mit ihm Geschäfte gemacht und die beiden kennen sich offenbar bereits seit mehreren Jahren.“ „Der Hehler seines Vertrauens.“ schnaubte Robert verachtend. „So ist es. Die Kopie besteht offenbar aus einem Satz Kristalle.“ „Kristalle?“ Robert sah ihn fragend an. „Als Speichermedium?“ fragte er und Stan nickte. „Ja, sie basieren auf dem 5D-Speicherprinzip mit spezieller, optischer Verschlüsselung.“ Robert runzelte die Stirn. „Ich kenne dieses Prinzip, zumindest auf dem Papier.“ Er dachte kurz nach und versenkte seine Hände in den Hosentaschen, nachdem er das Schreiben wieder auf den Tisch gelegt hatte. „Für Krei war dieses Projekt alles. Ein so monumentaler Durchbruch, dass er dafür alles getan hat, sogar …“ Den Rest des Satzes verschluckte er, doch war das Aussprechen auch gar nicht nötig, denn Stan verstand ganz genau, was er sagen wollte. „Unterstützen Sie … Ich meine, unterstützt du deshalb meinen Umzug nach Los Angeles?“ Stan fühlte sich unbehaglich und wägte seine Worte sorgfältig ab. „Nein. Ich kann sehr gut verstehen, dass es dich von hier wegzieht. Weg von all den Ereignissen der letzten Monate.“ Stan erhob sich aus seinem Stuhl, umging den Schreibtisch und stellte sich Robert gegenüber. „Allerdings wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es mir nicht in die Karten spielen würde.“ Er klopfte Robert vorsichtig auf die Schulter, ging an ihm vorbei und stellte sich vor das riesige Fenster, das die winterliche Pracht seines Gartens im hellen Licht ins Zimmer scheinen ließ. „Die Kinder haben viel gelernt, vieles davon auf die harte Tour.“ Robert gesellte sich neben ihn und hörte schweigend zu. „Ich will ihnen so viel Last von den Schultern nehmen, wie ich kann und sie darauf vorbereiten, dass sie eines Tages ohne mich werden klar kommen müssen. Allen voran Fred.“ Er wandte seinen Blick zu Robert. „Ich bitte dich lediglich darum, meine Augen und Ohren da unten zu sein. Niemand kennt das Projekt so gut wie du und nur dir werden diese Pläne auffallen.“ Robert nickte, sagte jedoch nichts dazu. „Arthur ist kein Technikexperte, er wird diese Pläne weiter verkaufen wollen.“ „Und ich soll danach Ausschau halten. Glaubst du, er wird sich an mich wenden?“ Stan lachte verhalten. „Das wäre mehr als ein glücklicher Zufall. Nein, halt einfach nur die Augen und Ohren für mich offen, den Rest erledige ich.“ Die Rotoren brummten laut und fächerten die eiskalte Luft dieses Dezembertages in Stans Gesicht, während dieser ins Cockpit einstieg. Auf dem Pilotensitz saß indes sein treuer Butler und wartete geduldig auf den Befehl zum Abheben. Stan nickte, als er sich den Gurt umgelegt hatte und mit einem Rumpeln erhob sich der Vogel in die Lüfte. Nur wenige Minuten später und sie hatten die Stadt und den Hafen hinter sich gelassen und befanden sich nun über dem offenen Meer. „Sir?“ fragte mit einem Mal sein Butler und Stan sah nervös auf die Uhr. „Wir haben erst 19 Uhr, eine Stunde bleibt uns noch, bevor die Kinder kommen.“ Sie hatten sich alle darauf geeinigt, den Jahreswechsel gemeinsam auf der Insel zu feiern und nun stand Stan ein wenig unter Zeitdruck. Im Geiste ging er noch einmal die Liste mit den nötigen Zutaten und Utensilien durch. „Sir, wenn Sie erlauben …“ „Ich hoffe doch sehr, dass Sie dem heutigen Abend beiwohnen werden, Heathcliff.“ Sein Butler legte eine Mimik auf, als würde er seufzen wollen, fing sich jedoch wieder. „Gewiss, Sir, doch wenn Sie bitte einmal einen Blick auf das Radar werfen würden.“ Stan hob die Augenbraue und richtete seinen Blick auf den Bildschirm. „Das Signal haben wir auf dem Schirm, seit wir den Hafen verlassen haben, Sir“ Stan runzelte die Stirn. „Das ist allerdings eine seltsame Radarsignatur …“ murmelte er, als mit einem Mal sein Handy zu vibrieren begann. Als er auf das Display blickte, erkannte er die Nummer des Direktors. Sollte der Junge doch eingelenkt haben? Er drückte auf das grüne Hörersymbol und das erste, was ihm entgegenschallte, war ein zorniger Mann, der irgendwelche Anweisungen mit aufgewühlter Stimme in den Raum krächzte. „Bob? Was ist los?“ versuchte Stan sich Verhör zu verschaffen. „Was? Ach so, ja, Stan!“ Sein alter Freund klang mehr als nur zornig. Es wirkte mehr wie blanke Panik. „Stan, hier herrscht das absolute Chaos. Es hat mehrere Explosionen gegeben und niemand hat mehr die Kontrolle!“ Stan schluckte und fühlte die Unruhe, die sich in seiner Brust wie ein Geschwür ausbreitete. „Sir?“ fragte Heathcliff mit ratlosem, aber wie immer gefasstem Gesichtsausdruck. „Was ist mit dem Jungen und seinem Onkel?“ wollte Stan wissen und als Antwort bekam er zunächst nur ein Rauschen, ehe Bob heftig atmend antwortete: „Wir müssen davon ausgehen, dass mehrere Gefangene die Gelegenheit genutzt haben!“ Die Kinder! schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss sie warnen! Eilig legte er auf und wählte die Nummer von Hiro. „Heathcliff, wir drehen um!“ befahl er seinem Butler, während das gemäßigte Tuten des Freizeichens wie ein Donnerschlag durch den Kopf hämmerte. „Ja, Sir.“ erwiderte Heathcliff und zog am Steuer. Ein heftiger Ruck durchfuhr den Helikopter und ließ ihn schaukeln. Gleichzeitig erstarb das Freizeichen. „Was ist denn …?“ „Sir! Die Elektronik ist ausgefallen!“ Erst jetzt bemerkte der alte Mann die schwarzen Anzeigen. „Wir sinken.“ Als Stan seinen Blick aus dem Fenster richtete, sah er den hellen Sand seiner Insel nur wenige Meter vor ihnen. „Heathcliff?!“ bellte er seinem Butler entgegen. „Ich habe es unter Kontrolle, Sir!“ war dessen Antwort und Stan erschien es das Beste, ihn in Ruhe diesen Vogel auf den Boden steuern zu lassen. Gefasst und konzentriert hielt dieser das Steuer in der Hand, während ihm nur allzu deutlich die Anstrengung ins Gesicht geschrieben stand. Danke, Frau, dass du einen Heli und kein Flugzeug wolltest (kursiv) versuchte er sich abzulenken und sich zu beruhigen. Panik war das letzte, was sie nun gebrauchen konnten. Der sandige Boden kam immer näher und beinahe hätte Stan schon gejubelt. Aber nur beinahe. Ein weiterer heftiger Ruck durchfuhr den Helikopter und noch ehe Stan begreifen konnte, was gerade geschehen war, neigte sich der Heli zur Seite. „Festhalten!“ brüllte sein Butler und Stan sah den Aufprall kommen. Es vergingen nur Sekunden, doch kamen sie ihm wie eine quälende Ewigkeit vor. Ein letzter Blick nach außen und er konnte erkennen, dass der Vogel keinen Heckrotor mehr besaß. „Was …?“ Weiter kam er nicht und der Heli schlug laut krachend auf dem Strand auf. Seine Lunge brannte, gleichsam wie seine Augen, die er nur langsam zu öffnen im Stande war. Er spürte den Zug an seiner Jacke, jemand zog ihn den Strand entlang. Weg von den brennenden Trümmern seines einstigen Helikopters. Stan konnte den Kopf nicht drehen und er hoffte mit ganzem Herzen, dass es Heathcliff war, welcher ihn ins Haus zu bringen schien. „Wir … sind gleich da, Sir.“ Die gequälte, aber lebendige Stimme seines Butlers ließ ihn für einen kurzen Moment vergessen, was gerade geschehen war. Alles schien so surreal, so unecht, wie es nur ein Alptraum vermochte. Lass es einen Alptraum sein ... Heathcliff zog ihn bis an die Tür, deren Code dieser sofort hörbar in die Konsole hämmerte. „Sie brauchen sofort eine ärztliche Behandlung.“ Stan hatte seinen Butler immer für seine stoische Ruhe bewundert. Selbst jetzt, in diesem heillosen Chaos, blieb er gefasst und konzentriert. Dies war kein Augenblick für Schwäche. „Ich kann laufen …“ brachte Stan keuchend hervor und biss sich auf die Zähne, als er versuchte sich an der nächstbesten Gelegenheit hoch zu ziehen. Erst, als er den massiven Eichentisch erkannte, an dessen Kante er sich nun stütze, begriff er, dass Heathcliff ihn ins Wohnzimmer geschleppt hatte. „Bitte, Sir, bleiben Sie liegen.“ versuchte dieser ihm deutlich zu machen und riss den kleinen Schrank über dem riesigen Sofa auf. „Was war das?“ knurrte Stan stattdessen, rieb sich den dröhnenden Schädel und setzte sich auf einen der Stühle. Sein Butler war wieder an ihn herangetreten, die Hände mit Mullbinden, Klemmen und einem Skalpell bewaffnet und wollte gerade antworten, als Stan ihn erschrocken unterbrach. „Die Kinder! Wir müssen sie warnen!“ befahl er seinem Butler. „Sir, Ihre Wunden …“ „Kann ich erst einmal selbst versorgen. Wichtig ist, dass wir sie vor den beiden warnen.“ Sein Butler hob eine Augenbraue und sah ihn fragend an. „Nehmen Sie das Telefon, ich sage Ihnen die Nummer. Schnell!“ Man sah den Widerstand nur allzu deutlich in den Augen seines Bediensteten, doch tat er, wie ihm befohlen. Stan sah ihm hinterher, wie er an das Telefon ging, und hörte das Klacken, als der Hörer abgenommen wurde. „Sir …“ Weiter kam er nicht, als der donnernde Schall eines Schusses durch den Raum peitschte, dicht gefolgt vom lauten Aufschrei seines Butlers. „Heathcli …!“ Ein Schlag auf seine Brust, wie der eines Hammers, trieb ihm sämtliche Luft aus dem Körper. Erschrocken hob Stan den Blick und blickte in das wahnsinnige Antlitz eines Menschen, dessen Grinsen das ganze Gesicht zierte. Noch im selben Augenblick bückte diese Gestalt sich, griff an die Beine des Stuhls, auf dem er saß, und riss diesen mitsamt Stan in die Luft. Abermals sah er sich dem Boden näherkommen und die Wucht war nicht minder heftig als der Schlag zuvor. Laut krachend landete er mit dem Rücken auf dem kleinen, gläsernen Beistelltisch, welcher in unzählige Splitter zersprang und sich über den Boden ergoss wie fließendes Wasser. Der Schmerz war dumpf, doch völlig taub war er noch nicht. Wie betäubt versuchte er, seinen Kopf zu heben, als ihn eine Hand an der Kehle packte und ihn wie eine Puppe nach oben zog. „Sie sehen ein wenig müde aus.“ schallte ihm die hämische Stimme Odas entgegen und dessen Augen funkelten vor Freude. Er ließ ihn los und nun zum dritten Mal machte Stan die unangenehme Bekanntschaft mit dem Boden. Wenn das vorbei ist, besorge ich mir Teppiche knurrte er in seinen Gedanken und raffte sich am Sofa hoch, bis er aufrecht saß. An dem Mann, der vor ihm stand, war kaum noch etwas Menschliches. Der Blick von Wahnsinn und Gier verzogen, die Arme und Beine durch metallene Prothesen ersetzt, die leise mit jeder seiner Bewegungen surrten. Was sollte er nur tun? Er konnte sich nicht bewegen, geschweige denn kämpfen. Er dachte fieberhaft nach, er musste die Kinder kontaktieren. Irgendwie. Er musste Zeit schinden, bis ihm etwas einfiel. „Ich bin in der Tat etwas müde …“ beantwortete er die Frage von vorhin mit säuerlichem Unterton. Blitzschnell griff Oda an sein Holster und nahm den Revolver heraus. Knapp neben Stans Kopf barst der Stoff des Sofas und nur langsam realisierte er, dass er ihn nicht erschossen hatte. „Wollen Sie schlafen?“ kicherte Oda. Stan ließ diese Frage unbeantwortet. Er musste vorsichtig sein, denn es war nur allzu deutlich, dass er hier mit einem Wahnsinnigen sprach. „Was wollen Sie hier?“ wollte Stan wissen. Oda lachte und erwiderte: „Das, was alle wollen: Ein wenig Spaß haben.“ Beim Reden fuchtelte er wild mit seinem Revolver herum, bis er diesen wieder auf Stan richtete und abdrückte. Wieder zersprang der Stoff, diesmal auf der anderen Seite seines Kopfes. Er spielt mit mir „Wo ist der Junge?“ fuhr der alte Mann unberührt fort. Das war nicht das erste Mal, dass er in solch einer Situation steckte. „Mein Neffe?“ Oda trat näher an ihn heran und kniete sich vor ihm. „Familienprobleme. Ich konnte ihn leider nicht dazu überreden, an dieser Party hier teilzunehmen.“ Er erhob sich wieder und der Boden ächzte unter dem Gewicht seiner Prothesen. „Allerdings muss ich mich wohl bei euch bedanken, Mr. Zilla.“ erklärte er gespielt höflich weiter. „Das mit seiner Schwester, ein echt grandioser Zug. Ihr habt ihn mir ja geradezu in die Arme getrieben.“ Stan unterdrückte ein Husten, während er versuchte, sich unauffällig umzusehen. Oda tat indes dasselbe und ging im Raum auf und ab, während er munter weiter plapperte: „Eigentlich wollte ich ihm irgendeine dramatische Story auftischen, dass Sie seine Schwester verschleppt hätten, um uns aufzuhalten.“ Mit einem Mal begann er laut zu lachen, sah zu Stan hinüber und klatschte sich an die Stirn. „Und dann tut Ihr es tatsächlich!“ Euphorisch klatschte er sich dabei in die Hände. „Das war so nett von Euch. Ich bin wirklich gerührt.“ Langsam kam er wieder auf Stan zu und hockte sich direkt vor. „Es tut mir leid, dass ich so wenig Zeit für Sie habe. Mir ist klar, dass das hier eigentlich der Moment ist, an dem ich Ihnen meinen diabolischen Plan in allen Einzelheiten erklären sollte.“ Er sah auf die große Uhr an der Wand. „Allerdings fürchte ich, dass ich dann noch zu spät zur Party kommen würde, und die würde ich nur ungern verpassen.“ Er zog seinen Revolver wieder und drückte den blanken Stahl an seine eigene Schläfe. „Danke vielmals für die redliche Mitarbeit, Mr. Zilla. Ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen.“ Mit diesen Worten drehte er die Waffe und hielt sie nun Stan zwischen die Augen. Der Stahl war kalt und der Gestank von Schießpulver kroch ihm in die Nase. Seltsamerweise spürte Stan in diesem Augenblick keine Furcht oder gar Panik. Er selbst war erstaunt, wie ruhig er war. Er konnte seinen eigenen Herzschlag hören, wie dieser mit jedem Atemzug eine seltsam wohlklingende Melodie erzeugte, untermalt von dem metallenen Klicken des nun gesponnen Hahns. Es war ein Schatten, klar wie die Waffe, an seinem Kopf, welcher über dem Kopf Odas thronte und ihn schließlich in die Realität zurückholte. Fred … Dann klickte der Abzugshahn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)