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Über Freunde und Helden

von

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Ein Hauch von Freiheit

Seine metallenen Gelenke knackten leise bei jeder Bewegung. Der Hof war nicht sonderlich groß und so hatte er von dieser Position aus den perfekten Überblick. Er hatte sich auf eine der zahlreichen Bänke gesetzt und lies seinen Blick schweifen. Sein nächster Gegner war längst ausgemacht und diesmal, so wusste er, würde es eine Herausforderung werden. Er war angespannt, hatte er die letzten vier Tage doch wieder in Isolationshaft verbracht, nachdem er sich abermals mit einem Häftling eine Schlägerei geliefert hatte. Wobei, Schlägerei war an dieser Stelle wohl das falsche Wort. Es kam mehr einer Hinrichtung gleich. Er hatte sich sagen lassen, sein letzter Gegner wäre gefährlich, und war entsprechend hart in den Kampf eingestiegen. Doch letztlich stellte sich sein Gegenüber nur als Muskelprotz ohne jedwede Intelligenz heraus. Der Kampf hatte damit geendet, dass Naoko ihm die rechte Schulter ausgekugelt und den linken Arm gebrochen hatte. Seine Anspannung hatte er mit dieser Zirkusnummer nicht lösen können.

Er hatte es sich angewöhnt, stets nur zu provozieren, um nicht derjenige zu sein, der den Streit begann, denn dieser bekam immer von Haus aus die härtere Strafe. Die Tage in der Zelle nutzte er dann fürs Training, um keine Sekunde zu verschwenden.

Bald

Seine linke Hand kribbelte bei dem Gedanken, endlich diesen Mauern entkommen zu können. Dem dreckigen Essen, der schmutzigen Zelle, den Menschen hier.

Wertloser Abfall

Sein Blick wanderte von der großen Uhr über dem Tor in das Hauptgebäude. In einer Stunde würden die Wachen alle Gefangenen wieder in die Zelle stecken und die nächsten raus lassen. Wer wann raus durfte, wurde immer wieder gemischt und man konnte nie sagen, wem man auf dem Hof begegnen würde. Er ließ wieder von der Uhr ab und konzentrierte sich auf sein Ziel. Der Kerl war vielleicht etwas größer als er selbst, jedenfalls älter, doch noch sehr gut in Form. Naoko hatte so Manches über diesen Mann gehört und er musste sich eingestehen, dass er eine direkte Konfrontation bisher nicht gewagt hatte. Cheng, wie er wohl hieß, hatte sich innerhalb dieser Mauern einen gewissen Ruf erarbeitet, der die meisten Insassen dazu animierte, einen großen Bogen um ihn und seinen Herrn zu machen. Stets folgte er wie ein dämlicher Köter einem gewissen Wang, wo auch immer es diesen hinzog. Tatsächlich waren diese beiden eine der wenigen Konstanten auf diesem Hof, denn sie waren immer zusammen draußen.

Naoko ließ seine metallenen Gelenke knacken. Diesmal würde er seinen rechten Arm brauchen. Während er sich von seinem Platz erhob, sah er noch einmal prüfend zu den jeweiligen Wachposten hinüber, die über den ganzen Platz verteilt waren. So manch einer von ihnen richtete seinen Blick bereits auf ihn und sie wussten wahrscheinlich auch, was er vorhatte. Doch hatte er schnell herausgefunden, dass sie ihn nicht davon abhalten würden. Zumindest nicht sofort. Er hatte schon des Öfteren beobachtet, wie sich die Wachen gegenseitig Geld zuschoben, wenn ihre Kollegen dabei waren, die Kontrahenten auseinander zu treiben. Wahrscheinlich knobelten sie in diesem Moment auch nur die Quote aus.

Es waren nur noch wenige Meter, als der kleine Chinese ihn bemerkte.

Ohne jedes Zögern und schneller, als Naoko gedacht hatte, drehte sich Cheng zu ihm um und sah ihn aus tiefliegenden Augen heraus an.

„Ich hatte mich schon gefragt, wann du eigentlich auftauchst.“

Naoko erwiderte nichts darauf und Cheng sah ihn misstrauisch an.

„Glaubst du, bei mir wird es so einfach wie bei den anderen Versagern?“

„Ich wusste nicht, dass dein Herr dich auch mal von der Leine lässt.“

erwiderte Naoko darauf. Naoko war nie wirklich gut darin gewesen, den Kriminellen raushängen zu lassen oder mit rauchiger Stimme sein Gegenüber zu verunsichern. Auch war er sich dessen bewusst, dass das bei diesem hier so oder so nichts gebracht hätte.

„Ich weiß, warum du hier bist, und ich warne dich nur einmal.“

erwiderte Cheng gespielt ruhig, doch es war nur zu offensichtlich, dass er ihm am liebsten direkt eine reingehauen hätte. Genau wie ihm selbst, so hörte er, machte ihm die Zeit in der Isolationszelle nicht viel aus und Naoko war sich sicher, dass er auch wusste, wie er diese nutzen konnte.

„Warum sollte mich das interessieren?“

erwiderte er. Cheng schien sich sichtlich Mühe zu geben, doch er war sich sicher, dass der Chinese einer Herausforderung nicht ausweichen würde.

„Weil ich dir sämtliche Knochen brechen werde, noch ehe die Wachen hier sind.“

Naoko spürte, wie sein Herz zu rasen und das Blut in seinen Adern zu kochen begann. Jeder seiner Muskeln fühlte sich an, als würden die Fasern jeden Augenblick reißen. Er war das Warten so unglaublich Leid und, so sehr er auch meditierte, sein Kopf schrie nach Adrenalin.

Ohne ein weiteres Wort erhob er seine linke Hand, doch Cheng war schneller. Mit katzenhaften Reflexen schlug er diese bei Seite und ließ seine krachend durch Naokos Gesicht fahren. Die Wucht riss ihn zu Boden und schmerzhaft kam er auf dem gefrorenen Sandboden auf. In seinem Kopf tanzten Farben und Lichter und ächzend griff er sich an das Kinn. Der Schlag hatte gesessen.

Doch statt des beißenden Schmerzes fühlte Naoko nur freudige Erregung. Es war wie ein Rausch, der seine Sinne zu benebeln begann.

In Bruchteilen von Sekunden sprang Naoko auf und sah bereits, dass Cheng dies erwartet hatte. Sein linker Fuß raste wie in Zeitlupe auf sein Gesicht zu.

Ich wusste, ich würde ihn diesmal brauchen

Die Hydraulik heulte, als er seinen rechten Arm erhob und dem Angriff zuvorkam. Laut scheppernd krachte Chengs Bein gegen das Metall und mit einem wütenden Aufschrei zog er es wieder zurück.

Er glotzte überrascht, doch hielt ihn das nicht davon ab, sich sofort wieder in den Kampf zu stürzen. Naoko erkannte schnell die aggressive und unbarmherzige Kunst des Kung Fus hinter seinen Angriffen. Schlag um Schlag leitete er um oder wehrte er ab, doch dauerte es eine kleine Ewigkeit, ehe er selbst wieder zum Schlag ausholen konnte. Das Adrenalin rauschte durch seine Venen und machte ihn taub für die Schläge und Tritte, die seinen Körper malträtierten. Cheng hatte schnell begriffen, dass es besser war, seinem rechten Arm auszuweichen und verlagerte die meisten seiner Angriffe auf Naokos linke Seite. Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, doch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Er vergaß alles um sich herum und kümmerte sich nur um seinen Gegner und dessen Angriffe. Er selbst kam kaum zu Zug, doch wenn, dann meistens richtig. Jeder von Chengs Tritten presste ihm die Luft aus den Lungen und jeder seiner Schläge schien seinen Magen und die darüber liegenden Muskeln zu zertrümmern.

Und endlich zeigte sich eine Lücke. Nur für einen kurzen Moment, doch würde er sie nutzen. Wie einst bei Wasabi trieb er ihm die Arme auseinander und tatsächlich warf ihn das zurück. Doch Cheng war sehr viel schneller als der Riese mit Rasterlocken und sofort schoss sein Fuß auf ihn zu.

„Nana, was wird das denn hier?“

Der Griff war kräftig und bremste seinen Schlag so abrupt, dass ihm der Rückstoß durch die Knochen ging. Naoko erkannte das Antlitz seines Onkels zwischen ihm und Cheng. Er hatte seinen Arm und Chengs Fuß gepackt.

„Was soll denn dieser sinnlose Zank?“

fragte er in seiner fröhlich arroganten Art.

„Halt dich da raus, Grinsebacke!“

zischte Cheng ihn an und am liebsten hätte Naoko dem zugestimmt, doch hielt er sich damit zurück. Es war sinnlos, sich gegen ihn zu stellen.

„Das sind aber ungewohnt scharfe Töne von einem kleinen Wachköter wie dir.“

hielt Oda Cheng entgegen und ließ die beiden los, nicht ohne den Chinesen dabei zurückzustoßen.

„Ich hatte mich schon gefragt, warum sie mir ausgewichen sind, Mr. Nobusaka.“

Naoko hatte nicht bemerkt, wie eine weitere Person hinzugetreten war. Der rundliche, ältere Mann lächelte beide ölig an und Naoko konnte nicht anders, als ihn von vorneherein als widerlich zu empfinden.

„Wang, welch eine Ehre …“

erwiderte sein Onkel kalt und deutete eine wohl nicht ganz ernst gemeinte Verbeugung an.

„Ich hörte, dass Sie auch hier gelandet sind, doch bekam ich Sie ja nie zu Gesicht.“

Oda kratzte sich am Kinn.

„Ich habe Sie ohne Ihren protzigen Anzug wohl einfach nicht erkannt.“

giftete er ihn an und Wang brach in schallendes Gelächter aus.

„Ja, daran musste ich mich auch erstmal gewöhnen.“

Naoko hatte das Gespräch schweigend beobachtet und es war nur allzu offensichtlich, dass die beiden sich kannten.

Überraschend reichte er auf einmal Naoko die Hand, welche dieser jedoch nicht erwiderte, was Wang wohl amüsant fand.

„Er ist tatsächlich wie sein Vater. Einfach nur unhöflich.“

Naoko hob die Augenbraue und sah seinen Onkel fragend an.

„Sagen wir so, dein Vater hat als Söldner der Yakuza das eine oder andere Mal mit Wang zu tun gehabt.“

erklärte sein Onkel ihm. Zu Naokos Überraschung lächelte nun auch sein Onkel und fragte säuselnd:

„Dann werdet Ihr ja heute nicht an den Feierlichkeiten teilnehmen können, was?“

Wang seufzte.

„Bedauerlicherweise nicht, aber die werden in fünf Jahren bestimmt auch noch stattfinden, nicht wahr?“

Oda erwiderte nichts dazu und das war das erste Mal, dass Naoko mitbekam, wie sein Onkel schwieg.

„Ich hoffe doch sehr, dass Sie uns nicht mehr böse sind, weil wir Ihnen dieses unbedeutende Projekt verwehrt haben.“

fuhr Wang fort.

„Ich hatte gehofft, dass ich Sie vielmehr zu meinen Verbündeten zählen kann. Was Sie da draußen geleistet haben, ist mir schließlich nicht entgangen.“

„Das hatte ich schon gemerkt.“

Naoko wusste nicht, was genau sein Onkel damit meinte, doch entschloss er sich, auch nicht nachzufragen. Stattdessen fiel sein Blick auf Cheng, der noch immer mit zusammengekniffenen Augen neben seinem Herrn stand und abwechselnd ihm und seinem Onkel abwertende Blicke zuwarf.

„Sie wissen doch, dass es einige Vorteile bringen kann, mein Verbündeter zu sein und Ihr Talent kann ich durchaus brauchen.“

Sein Onkel grinste ihn hämisch an, legte Naoko seine Hand auf die Schulter und erwiderte:

„Ich denke drüber nach.“

Der Yamoro verstand und folgte seinem Onkel, der bereits, als er die letzten Worte ausgesprochen hatte, von den beiden Chinesen abließ.

Naoko warf noch einen kurzen Blick zurück, ehe er zu Oda aufschloss. Langsam aber beständig, krochen die Schmerzen seines Kampfes seinen Körper entlang und er spürte die zahlreichen Tritte und Schläge nun deutlich.

„Du kennst diesen Mann?“

fragte er schließlich und sein Onkel schnaubte verächtlich.

„Kennen ist gut. Er war mal mein Geschäftspartner.“

Naoko war überrascht, doch war ihm auch klar, dass er eigentlich nicht wirklich etwas über die Vergangenheit seines Onkels wusste. Das einzige, was einmal seine Mutter erwähnte, war dass er vor mehr als zehn Jahren ein gefeierter Architekt gewesen ist.

„Er kannte meinen Vater?“

„Leider nicht nur kennen.“

deutete sein Onkel an. Als die beiden etwas abseits standen, packte Naoko die Neugier und er verlangte:

„Erzähl es mir.“

Sein Onkel sah ihn feixend an.

„Hast du dich nie gefragt, warum dieses Auto damals explodiert ist?“

Die Erinnerung an diesen Feuerball ließ den Jungen schlucken und ein Gefühl, als läge besagtes Auto auf seiner Brust, machte sich in seinem Körper breit.

„Dein Vater hatte Wang und seinen damaligen Partnern ein paar empfindliche Schläge gegeben.“

fuhr sein Onkel fort.

„Doch leider hatte dein Vater sich die falsche Frau ausgesucht.“

Das verstand Naoko nicht.

„Wie meinst du das?“

„Wang erfuhr von seiner zivilen Identität und beschloss, all seinen Gegnern einmal zu zeigen, was es bedeutete, wenn man sich ihm in den Weg stellen würde.“

Naoko schluckte.

„Genau, die Autobombe …“

er klopfte seinem Neffen auf den Metallarm.

„.. war von ihm.“

Ein Gewirr aus Farben und Formen tanzte vor seinen Augen, begleitet von einer unglaublichen Hitze, die sich auf seiner Haut ausbreitete.

„Wang …?“

„Jap.“

antwortete sein Onkel mit gewohnt gut gelaunter Stimme. Naoko erkannte, dass er das falsche Ziel ausgesucht hatte.

„Weißt du was?“

fing sein Onkel mit einem Mal an und grinste dabei breit bis über beide Ohren.

„Das Wetter ist doch perfekt, um einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, findest du nicht?“

Von dieser plötzlichen Frage überrascht, vergaß er kurzweilig das Erzählte und sah seinen Onkel fragend an.

„Lass uns gehen. Ich habe genug.“

fuhr Oda fort und lenkte seine Schritte in Richtung der dicken Gefängnistür, die das Innengebäude mit dem Hof verband. Sich fragend, aber schweigend folgte Naoko ihm.

Ohne Zurückhaltung oder ohne auch nur etwas zu sagen, riss sein Onkel die falsche Haut von seinem linken Oberarm ab, griff in das von Stahl und Kupfer ummantelte Loch hinein und zog eine kleine, grüne Kugel heraus.

Ein `Pling` folgte und er drückte es dem nächstbesten Häftling, der ihren Weg kreuzte, an die Brust.

„Hier, schenk ich dir.“

sprach er zu diesen, ehe er ihm noch auf die Schulter klopfte und weiterging.

Es dauerte einen Augenblick, ehe der Häftling erkannte, was er da eigentlich in der Hand hielt.

„Granate!“

Die folgende Explosion war ohrenbetäubend und Naoko spürte wie die Druckwelle gegen seinen Rücken prallte.

Sprengstoff?!

Als ob sein Onkel diese Frage zu erraten hätte, antwortete er:

„Ich wollte nicht umsonst so viel Stauraum.“

Ein kurzer Griff in den Arm und er zog zwei weitere Granaten aus seinem Arm.

Er hatte sie die ganze Zeit dabei?!

Auf dem Hof brach blanke Panik und Verwirrung aus. Häftlinge und Wärter liefen erschrocken umher wie aufgeschreckte Hühner und versuchten eilig zu verstehen, was gerade geschehen war. Doch Oda wollte ihnen wohl keine Pause gönnen. Zwei weitere ´Plings´ später und die zwei kleinen Bomben folgten dem Schicksal der ersten.

„Und jetzt zur Krönung.“

brüllte Oda und zerriss die Haut an seinen Beinen. Instinktiv nahm Naoko etwas Abstand, als sein Onkel die silbrig schimmernden Revolver herauszog.

„Zeit für Chancengleichheit!“

Zwei donnernde Schüsse peitschten durch die Luft und die beiden Wärter, die mit Flinten bewaffnet aus dem Gebäude kamen, brachen kreischend zusammen. Die Tür stand offen und ohne Zögern durchschritten sie diese und fanden sich in den mit weißen Wänden ausgekleideten Gängen wieder.

Ein paar Schritte und Naoko bemerkte, dass diese beinahe leer waren. Doch dachte Naoko nicht all zu viel darüber nach, sondern versuchte, sich vielmehr auf das, was vor ihm lag, zu konzentrieren. Sie bogen um eine Ecke, als mit einem Mal vier Personen nur wenige Meter vor ihnen in dieselbe Richtung laufend auffielen. Zwei Gefangene, flankiert von zwei Wärtern, welche zielstrebig in Richtung der Tür am Ende des Ganges zuhielten.

„Na Wang? Hast du dir eine Eskorte besorgt?“

brüllte sein Onkel durch den Gang und erschrocken drehten sich die Vier um. Als der Angesprochene Oda erkannte, wichen sämtliche Farben aus dessen Gesicht. Naoko fixierte Cheng, der neben ihm stand und bereits die Fäuste hob. Die Wachen fragten gar nicht erst, sondern griffen direkt an ihre Waffenholster.

Sein Onkel knurrte kurz und noch ehe Naoko auch nur daran denken konnte zu reagieren, hatte dieser bereits die Revolver gezogen und eröffnete das Feuer. Als erstes traf es die beiden Wachmänner, die sofort schreiend zu Boden gingen. Cheng hingegen wartete erst gar nicht auf den nächsten Schuss, sondern preschte auf die beiden los, wohl versuchend, Oda zuvorzukommen. Naoko reagierte sofort und wehrte den ersten Schlag ab, den Cheng auf seinen Onkel zielte. Er sah aus dem Augenwinkel, wie der Chinese zu einem weiteren ausholte, doch warf er auf einmal von einem Schuss und einem unheilvollen Knacken begleitet den Kopf in den Nacken. Erst jetzt bemerkte Naoko das große, blutige Loch in dessen Stirn. Wie ein nasser Sack klappte Cheng zusammen, ohne einen weiteren Muskel zu bewegen.

„Ich konnte den Kerl eh nie wirklich leiden.“

kommentierte sein Onkel beiläufig, während er seine Revolver wieder in seinen Prothesenbeinen verstaute.

„Der guckt immer so böse. Ein Lächeln hätte ihm bestimmt mal gut getan.“

Naoko erwiderte nichts, sondern wischte sich lediglich die einzelnen Bluttropfen von der Wange. Es war schade, befand er. Gerne hätte er sich ihm wieder in einem richtigen Kampf entgegen gestellt.

Sein Blick fiel stattdessen auf Wang, der fieberhaft bemüht war, einen Schlüssel für die Tür in den Taschen der toten Wachen zu finden. Gemütlich, als ob sie alle Zeit der Welt hatten, schlenderte Oda gut gelaunt auf diesen zu und ließ Naoko keine Zeit, ihn selbst zu packen.

Als Oda über ihm stand, griff er ihn am Nacken und zog den wimmernden Wang nach oben, nur um ihn ohne ein weiteres Wort gegen die Wand zu drücken.

„Bitte Mr. Nobusaka! ... ich bin mir sicher ... wir finden eine Lösung!“

quiekte dieser in die Wand hinein. Naoko wandte sich von den beiden ab und begann nun seinerseits, die beiden Beamten zu durchsuchen. Hinter ihm hörte er ein geräuschvolles Knacken und Wang sackte wie sein Leibwächter neben Naoko zusammen. Als er aufsah, kommentierte sein Onkel dies mit:

„Der Doc hat doch immer gesagt, ich solle mit meiner Vergangenheit ins Reine kommen.“

und schüttelte dabei abfällig die rechte Hand. Naoko schwieg lieber.

In den Taschen fand er schließlich das begehrte Objekt. Einen Schlüssel in Form einer Chipkarte. Flink diesen durch den Schlitz gezogen und die eiserne Tür öffnete sich quietschend.

„Und jetzt?“

wollte Naoko wissen, doch antwortete seine Onkel nicht darauf. Zielstrebig schritt dieser den Gang entlang und es war erschreckend, wie wenig Gegenwehr sich ihnen in den Weg stellte. Offenbar waren die meisten mit dem Chaos im Hof beschäftigt. Mit einem Mal hielt Oda ihm die Hand vor die Brust und brachte ihn zum Stehen.

„Was …?“

begann er, doch erkannte die kleine Kugel in seiner Hand. Es war derselbe Sprengstoff, den er schon in der Fabrikhalle eingesetzte hatte, und Naoko wusste, dass diese sehr viel stärker waren, als die Granaten von eben. Vor ihnen erstreckte sich die Halle und hinter den beiden gepanzerten Türen konnte er den Parkplatz der Gefängnisbusse erkennen.

Sofort richteten die beiden Wärter, die an der knasteigenen Rezeption Wache hielten, ihre Flinten auf die beiden. Doch sein Onkel war wieder einmal schneller und mit donnerndem Krachen rissen die Projektile auch diese Männer zu Boden. Ein weiterer Schuss und das Panzerglas der Rezeption zerbrach in tausend Teile.

„Da hat wohl wieder jemand am falschen Ende gespart.“

erklärte Oda amüsiert, während er begann, am Rechner herumzufummeln.

Oder einfach nicht damit gerechnet, dass jemand mit Sprengmunition hier durch wollte

dachte Naoko, doch sprach es nicht aus.

Ein Klicken später und die Tore öffneten sich. Während sein Onkel noch damit beschäftigt war, in den Taschen der toten Wärter herumzuwühlen, durchschritt Naoko diese eilig. Auf dem Parkplatz trieben sich nur einige Angestellten herum, welche sofort panisch die Flucht ergriffen.

„Was jetzt?“

wollte Naoko wissen, doch sein Gegenüber lachte ihn nur an.

„Weißt du, ich habe eine Schwäche für die Marke Kuruma.“

Er wies auf einen der dicken, schwarzen Einsatzwagen, in denen auch er hierhergebracht wurde. Noch schnell eine Sprengbombe aus dem Arm gezogen, an das Tor geworfen und Oda widmete sich dem Auto. Mit seinen Prothesen riss Oda die Tür quasi aus der Verankerung und einen Kurzschluss später sprang das Auto auch schon an. Aus dem Augenwinkel sah Naoko, wie weitere Wachen das Foyer durchschritten, direkt auf den Ausgang zu.

„Entspann dich. Ich habe denen etwas da gelassen.“

Er zog einen kleinen, metallenen Stift aus dem Bein und drückte auf den Knopf an dessen Seite. Beinahe hätte es Naoko das Trommelfell zerrissen, so ohrenbetäubend waren die folgenden Explosionen, die den Eingang, das Tor und das halbe Gebäude in Stücke rissen.

„Wir sollten verschwinden.“

kommentierte Oda und trat aufs Gaspedal.
 

Der Yamoro war erstaunt, wie glatt das Ganze eigentlich lief. Nicht einmal eine halbe Stunde später hatten sie die Grenzen der Stadt passiert und waren am Hafen angekommen, wo Oda ihn zu einer der zahlreichen alten und verfallenen Lagerhallen führte. Das Schloss und die Ketten vom Tor entfernt und Naoko fand sich in einer riesigen Halle wieder. An den Wänden kreuz und quer verteilt lagen haufenweise Metallgegenstände, Computer, Rohre, Draht und Stahl. An der einen Ecke hatte er so etwas wie einen Schreibtisch aufgebaut, dessen stählerne Oberfläche fast vollständig von einem Berg aus Papieren bedeckt war. Das Licht war spärlich und die Halle düster, während von draußen der schwache Schein der Straßenlaternen in dünnen Fäden durch die Fenster schienen.

Doch den größten Teil der Halle nahm ein riesiges, unter Planen verstecktes Gebilde ein, aus dem an der einen oder anderen Ecke Metall herausragte. Der Boden war gesäumt von Werkzeug und aufgebrauchten Zigaretten, zerknülltem Papier und Metallspänen.

„Du hast dieses Ding ganz alleine gebaut?“

durchbrach Naoko die Stille, während sein Onkel damit beschäftigt war, sich seine Gefängniskluft auszuziehen und in seinen geliebten Mantel zu hüllen.

„Ja, aber die kleinen Roboter deines Freundes waren eine große Hilfe dabei.“

erklärte er grinsend und wies dabei auf den Neuraltransmitter auf dem Schreibtisch.

„Weißt du eigentlich, wer der Kerl war, der dich da befragt hat?“

fragte sein Onkel mit einem Mal, als er gerade dabei war, die Teile seiner Rüstung anzulegen.

Naoko sah ihn skeptisch an

„Stan Lee Zilla.“

antwortete er zögernd und Oda grinste ihn schelmisch an.

„Woher weißt du überhaupt von dem Gespräch?“

„Rate mal.“

„Du lässt mich immer noch überwachen.“

Eifrig nickte sein Onkel.

„Wie machst ... Ach ist auch egal. Wieso interessiert dich das?“

„Ein reicher Schnösel und nebenbei ebenfalls ein alter Freund deines Vaters.“

Wie viele denn noch?

„Wie meinst du das?“

„Er war sein Gegner in seiner Zeit als Schatten.“

Er verstand, doch nicht wie sein Onkel von einem auf den anderen Moment darauf kam. Doch jetzt in diesem kurzen Moment der Ruhe, wurde Naoko klar, dass sie nicht mehr viel Zeit haben würden, ehe die ganze Stadt und damit auch Hiro und seine Freunde nach ihnen suchen würden.

„Ich muss noch wohin.“

stellte Naoko fest.

„Ach ja? Und wohin?“

Naoko sah ihn nicht an, sondern richtete seinen Blick auf das Tor.

„Ich habe Fragen, die ich beantwortet haben will.“

„Ah …“

erwiderte Oda.

„Ich verstehe. Nun gut, wir haben noch etwa sieben Stunden Zeit, ehe ich meinen Plan umsetzen werde. Wenn du dir etwas die Beine vertreten willst, werde ich dich nicht abhalten.“

erklärte Oda ihm und wühlte in einem der Schränke herum.

„Hier.“

sagte er schließlich und warf Naoko etwas entgegen. Es war sein mit Plasma verstärktes O-Katana.

„Es war nicht leicht, die zu besorgen.“

Naoko verneigte sich zum Dank knapp und gürtete das Schwert.

„Wo ist eigentlich dein anderes Schwert?“

Kurz dachte Naoko über die Antwort nach, ehe ihm die richtige einfiel

„Nur ein Samurai darf zwei Klingen tragen.“

Als er an dem Tor stand rief sein Onkel ihm zu:

„Willst du etwa zu Fuß gehen?“

Er ließ das unkommentiert. Sein Onkel kam zu ihm und drückte ihm einen kleinen Schlüsselbund in die Hand.

„Meine Maschine steht draußen um die Ecke.“

Als Naoko ihn fragend ansah, fügte er noch hinzu:

„Es ist eine 125er ohne Gangschaltung. Ist beinahe wie Fahrrad fahren.“

Sein Neffe nickte. Doch als er gerade die Halle verlassen wollte, fiel sein Blick auf eine Wand am anderen Ende des Gebäudes. Sie war gespickt mit zahlreichen Papieren, untermalt mit Bildern und Aufnahmen verschiedenster Personen. Auf dem zweiten Blick erkannte er, dass es zahlreiche Zeitungsartikel waren und sein Onkel hatte mit Rotstift verschiedene Stellen markiert. Als Naoko an diese herantrat, fragte er:

„Und was wirst du jetzt tun?“

Oda sah zu ihm herüber.

„Weißt du, welcher Tag heute ist?“

Naoko musste einen Augenblick nachdenken.

„Der 31. Dezember …“

antwortete er etwas zögerlich.

„Genau.“

säuselte sein Onkel friedlich pfeifend, während er das auf dem Boden liegende Werkzeug einzusammeln begann. Naoko richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Zeitungsartikel. Nach nur wenigen Augenblicken erkannte er, was sein Onkel ihm damit sagen wollte.

20. Jubiläum der Einweihung des Fransokyo National Tower

Einen Blick weiter, der nächste Artikel darüber.

Pünktlich zum Ende des Jahres werden zahlreiche prominente Gäste erwartet, um in diesem Wahrzeichen unserer Stadt das Jubiläum und das neue Jahr zu feiern

„Weißt du, Wang war nicht der einzige, der mich abgesägt hat.“

Mit einem Mal wurde Naoko alles klar.

„Und sie werden alle da sein. Jeder einzelne von ihnen.“

Das Gesicht seines Onkels zierte ein Grinsen, das mehr und mehr der Fratze eines Wahnsinnigen glich.

„Genauso wie ich …“

„Und was hast du jetzt vor?“

Oda lächelte ihn an.

„Wir werden ihnen nachher einen kleinen Besuch abstatten. Doch vorher …“

Mit einem heftigen Ruck zog Oda die Plane herunter.

„… werde ich der lästigen Schlange den Kopf abschlagen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2016-02-29T06:15:03+00:00 29.02.2016 07:15
Hallo (•‿•)

Naoko kommt einem fast wie durchgedreht vor, wie er die anderen Häftlinge angeht und sich mit ihnen messen will und wie ein besessener Trainiert. Andererseits war bei dem letzen Kampf, bei dem sein Onkel eingeschritten ist, das mit dem Adrenalin-Junkie, das hatte Wiedererkennungserwert zu der Geschichte, was er damals mit Gogo auf dem Ballon gemacht hatte. Aber man kann es ihm auch nachvollziehen, das er sich wie ein „eingesperrtes Tier“ verhält, bei den Sorgen die er sich um seine Schwester macht, das er da so am Rad dreht. Er hat ja auch schon zuvor alles für sie tun müssen.

Die Hintergrund Infos in dem Kapitel waren toll eingebracht, das man etwas erfährt darüber, wie das mit dem Unfall war, und das auch Naokos Vater nicht ganz so unbescholten ist, wie man vielleicht hätte meinen können und das Naoko bisher davon nichts gewusst hat. Ich glaub wenn ich so etwas erfahren würde, würden Welten zerbrechen, aber sich vielleicht auch bei ihm dann andere Puzzelteile zusammenfügen, deren Zusammenhänge er bisher noch nicht verstanden hatte.

Liebe Grüße, Jyorie

Antwort von:  GrauW0lf
06.03.2016 00:39
Hey :D

Ja, ein Leben zwischen engen Wänden, wenn man zuvor die große Freiheit genossen hat und liebt, muss unheimlich frustrierend sein.

Was die Hintergründe angeht, darfst du weiterhin gespannt sein!

LG
GrauW0lf


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