Über Freunde und Helden von GrauW0lf ================================================================================ Kapitel 26: Unerwarteter Besuch ------------------------------- Der Aufzug klickte mit jedem Stockwerk, das er passierte. Gogo war nervös, betrachtete ihr Spiegelbild im blanken Stahl der gegenüberliegenden Wand. Sie sah so müde und elend aus, wie sie sich fühlte. Sie wusste nicht wirklich, was sie sich von diesem Treffen erhoffte, aber sie musste einfach mehr erfahren. Seit dem Kampf am Labor hatten sie nichts mehr von Naoko gehört. Keine Nachricht und kein Lebenszeichen. Es war, als wäre er aus dieser Dimension verschwunden, wie damals Hiro und Baymax. Ungeklärt war auch noch die Identität und Rolle seines Partners und wie dieser zu Naoko stand. Auch, ob er in seinen Diensten stand oder sie beide gleichberechtigt handelten, konnten sie sich nicht erklären. Hinzu kam, dass sie sich auch keinen Reim darauf machen konnten, warum Naoko das überhaupt tat. Er hatte sein Ziel doch erreicht. Er war trotz fehlenden Schulabschlusses an der Uni aufgenommen worden. Ihm waren Ressourcen für die Arbeit an seinen Prothesen gestellt worden und Anerkennung, nicht zuletzt durch Gogo und ihre Freunde hatte er auch. Das alles ergab keinerlei Sinn. Der Aufzug stoppte und die metallene Stimme, die nüchtern das Stockwerk verkündete, riss sie wieder aus ihren Gedanken. Quietschend öffnete sich die Tür und vor ihr erstreckte sich der lange, sterile Krankenhausflur. Zwei Schwestern wuselten von Zimmer zu Zimmer und schenkten der Gestalt am Aufzug keinerlei Beachtung. Sie ging die Türen ab und suchte nach der Nummer neunundneunzig. Die letzte Tür trug schließlich die gesuchte Zahl und Gogo klopfte vorsichtig an das helle Holz. „Herein.“ bat eine schrille Stimme sie ins Zimmer. Als Gogo das Zimmer betrat, begrüßte sie ein junges Mädchen wild winkend im weißen Nachthemd vom Fenster aus. Sie hatte sich auf einen der zwei Holzsessel gesetzt, mit Blick auf die Bäume des Innenhofes. Das Mädchen war jung, doch erkannte Gogo sofort die hellblauen Augen wie die ihres Bruders. Leise schloss Gogo die Türe hinter sich und durchschritt den Raum. Er war groß und leer und bis auf ein paar Fotos, welche fein säuberlich auf der Kommode vor dem weißen Bett aufgestellt waren, wies dieser keine nennenswerte Dekoration auf. Am Fenster angekommen setzte Gogo sich ihr gegenüber. „Hallo. Ich bin ...“ „Gogo, ich weiß!“ Begeistert schüttelte sie ihre Hand und lächelte sie breit an, während die kleinen Glöckchen in ihrem Haar leise klingelten. „Woher ...?“ begann Gogo langsam, doch unterbrach sie das junge Mädchen abermals. „Mein Bruder hat mir schon von dir erzählt! Ich bin Sora.“ Das Mädchen strahlte sie förmlich an, als wäre sie die Sonne persönlich, und bei jeder Kopfbewegung klingelten leise kleine Glöckchen in ihrem Haar. Gogo war irritiert, doch fragte sie besser nicht nach dem Sinn dieses Schmucks. „Und jetzt bist du bei mir, weil du die schonungslose Wahrheit über meinen Bruder erfahren willst.“ kombinierte die junge Frau und grinste dabei diabolisch über beide Ohren, während sie wie ein Dämon zu kichern begann. Gogo seufzte leise. Ich glaube, da weiß ich mehr als du „Nein, er hatte dich ein paar Mal erwähnt, also wollte ich dich einmal kennen lernen.“ Da wurde sie offenbar hellhörig. „Ach wirklich?“ Sie legte ihr Grinsen ab, doch nur, um nach einem kurzen, gespielt enttäuschten Gesichtsausdruck Gogo sofort wieder honigsüß anzulächeln. „Naja, hier bin ich.“ fuhr sie schließlich fort. „Ja ...“ erwiderte Gogo darauf. Die Wahrheit war, dass sie sich nicht wirklich auf dieses Gespräch vorbereitet hatte und nun nicht wusste, was sie sagen sollte. Dafür schien Sora umso gesprächiger. „Ich muss mich für meinen Bruder entschuldigen. Er hat den Bogen mit Frauen nicht so wirklich raus.“ Obgleich von Trübsal und Wut gebeutelt, entlockte diese etwas abfällige Bemerkung Gogo doch ein Lächeln. Das schien der jungen Frau zu gefallen und sie grinste über beide Ohren. „Was hat dein Bruder denn so über mich erzählt?“ Erst im Nachhinein, als das letzte Wort bereits ausgesprochen war, bemerkte sie, dass sie diese Frage mehr unbewusst als bewusst gestellt hatte, und sie wollte sie bereits zurückziehen, als Sora tief einatmete: „Dass du ihn in seinem Lieblingssport beinahe fertig gemacht hast, zum Beispiel.“ Gogo amüsierte diese Vorstellung ein wenig. „Dass du mit ihm auf dem Dach eines Hochhauses gestanden hast.“ Gogo war ein wenig erleichtert, dass er ihre kleine Flugeinlage nicht erwähnt zu haben schien. Allerdings konnte sie nicht sagen, ob Sora diesen Teil einfach bewusst ausließ, welchen Grund auch immer das haben mochte. Doch Sora fuhr munter fort: „Oder dass du ihn nach einem seiner missglückten Versuche verarzten musste.“ Gerade als sie den Satz beendet hatte, musste sie kichern. „Du glaubst gar nicht, wie oft sein Arm bereits versagt hat. Einmal hat er damit aus Versehen seinen Basketball aufgespießt, als sich die Hand löste und er die einzelnen frei stehenden Rohre in den Ball jagte. Die nächsten drei Tage hatte er sich in der Garage eingeschlossen.“ Auch wenn das Gespräch ganz anders lief, als Gogo das erwartet hatte, und sie mit den bisher gewonnenen Informationen noch nicht viel anfangen konnte, so musste sie doch eingestehen, dass es ihrem Gemütszustand unglaublich gut tat, einmal nicht an die letzte Nacht denken zu müssen. Doch sie wusste auch nicht, wie viel Zeit ihr noch bleiben würde, und so begann sie: „Warum ...?“ Doch Sora unterbrach sie mit erhobenem Zeigefinger. „Einen Moment. Jetzt bin ich dran mit Fragen stellen.“ Sie lächelte wieder. „Du schuldest mir drei Antworten.“ folgerte sie und Gogo hob die Augenbraue. In offensichtlicher Erwartung über dieses Rechnung, fügte die junge Frau hinzu: „Ich habe dir auch drei Antworten gegeben.“ Gogo schüttelte seufzend den Kopf und beschloss, ihrer Forderung einfach nachzugeben. „Also gut, leg los.“ Ihr Lächeln wuchs sich zu einem schelmischen Grinsen aus. „Wie findest du meinen Bruder?“ Innerlich schlug sich Gogo bereits gegen die Stirn. Mit solch einer Frage hatte sie eigentlich gerechnet, wenngleich sie gehofft hatte, dass sie nicht kommen würde. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, auch weil sie sich im Moment selbst nicht im Klaren darüber war. „Ich ... mag ihn.“ Sora hob eine Augenbraue, sagte jedoch nichts. Nach einer kurzen und peinlichen Pause, erwiderte sie: „Er hat euer Date verbockt.“ Sora seufzte und schüttelte den Kopf. So könnte man es auch ausdrücken Mit einem Mal kamen ihr die Erinnerungen an ihren Kampf wieder hoch und an jenen Moment, als er seinen Helm abnahm. Dieses Bild schnürte ihren Hals zu und sie versuchte, es wieder zu verdrängen. Nicht jetzt. Nicht hier Sie sah Sora an und murmelte: „Ein wenig.“ Zu ihrem Glück schien Sora darauf nicht weiter eingehen zu wollen, sondern strahlte sie stattdessen wieder an. „Dann kann ich mir die nächste Frage wohl sparen.“ Wissend und mit diabolischem Ausdruck in den Augen sah sie Gogo an und ehe diese fragen konnte, was sie damit meinte, fuhr Sora bereits mit einer anderen Frage fort: „Wo ist er eigentlich?“ Über den plötzlichen Ernst in ihrem Ton überrascht wusste Gogo nicht, was sie darauf antworten sollte. „Normalerweise kommt er mich jeden Tag besuchen, doch heute war er noch nicht hier.“ Sie hob ihren Blick und sah Gogo in die Augen. „Stattdessen bist du hier.“ Gogo schluckte unmerklich. Wie sollte sie ihr das jetzt erklären, ohne dass sie Verdacht schöpfen würde? „Was hat er schon wieder angestellt?“ Wieder lächelte sie Gogo unschuldig an. Es war nur allzu deutlich, dass die beiden sich nicht nur äußerlich ähnlich waren. Als Gogo den Mund aufmachte, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, fügte Sora noch hinzu: „Ich habe heute Morgen im Radio gehört, dass es in einem Labor zu einem Kampf gekommen ist ...“ Sie sprach das nur zögerlich aus, doch reichte es, um Gogo nervös zu machen. „Bitte sag mir, dass er nicht versucht hat, den Helden zu spielen.“ Gogo war in Gedanken schon dabei gewesen, ihn irgendwie aus dieser Richtung herauszunehmen, als sie erkannte, was Sora gerade gesagt hatte. Sie hat Angst, dass er sich in Gefahr begibt „ ... Nein. Nein hat er nicht. Er hat damit nichts zu tun, denke ich.“ antwortete Gogo und bemühte sich, dabei überzeugt und ruhig zu klingen. „Er hat lediglich eine ... Prüfung in der Uni verpennt, die er noch machen musste. Deshalb hat er mich geschickt. Ich sollte dich sowieso einmal kennen lernen.“ Gogo bemerkte, dass sie in letzter Zeit häufiger gelogen hatte und sie offensichtlich langsam Übung darin bekam, auch wenn ihr diese Erkenntnis ganz und gar nicht zusagte. Sora hingegen sah sie nur an, sagte nichts dazu. Gogo konnte nicht erkennen, ob sie ihr glaubte oder nicht, und das machte sie nervös. Mit einem Mal seufzte Sora laut. „Das sieht ihm ähnlich.“ Sie schlug sich an die Stirn. „Er konnte sich nie auf seine Aufgaben konzentrieren. Er war immer zum Zerreißen angespannt. Egal, worum es ging.“ erzählte sie geistesabwesend. „Doch als ich krank wurde, hat er sich völlig verändert. Er ist ruhiger, nachdenklicher geworden. Er sagte einmal, dass er ein Ventil gefunden hat und dass ich ihn wachgerüttelt hätte.“ Gogo wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, doch spürte sie, dass sich der Wind gedreht hatte. Vorsichtig begann sie: „Dein Bruder hat erzählt, dass du schon etwas länger hier liegst, doch nie erwähnt, wieso.“ Sora lächelte schwach. „Sagen wir so.“ Kurz grübelte sie über eine Antwort. „Ich ... bin bewegungstechnisch etwas eingeschränkt.“ Als sie den Satz beendet hatte, zeigte sie auf den Rollstuhl, der etwas abseits im Schatten neben ihr stand. Tatsächlich hatte Gogo diesen gar nicht registriert. „Ich verstehe ...“ erwiderte Gogo zögerlich, als Sora sie unterbrach. „Mein Bruder redet nicht gerne über dieses Thema. Nicht mal mit mir.“ Gogo nickte. „Klingt nach ihm.“ Er hatte bisher nicht viel von sich preisgegeben. Andererseits hatten sie und ihre Freunde auch nie wirklich gefragt. Ich habe bis heute Morgen noch nicht einmal gewusst, dass du eine Schwester hast „Kommt er heute noch vorbei?“ fragte Sora. Gogo schluckte und schwieg zunächst, ehe sie antwortete: "Ich glaube nicht, aber ich bin mir sicher, dass er, sobald er kann, zu dir kommen wird." Sora ließ den Kopf ein wenig hängen und knabberte auf ihrer Unterlippe herum. „Kommst du mich dann besuchen?“ Diese Frage hatte Gogo nicht erwartet, doch musste sie zugeben, dass dies vielleicht gar keine so schlechte Idee war. Zumindest könnte sie so dafür sorgen, dass ihr nichts geschehen würde. Mit einem Mal klopfte es kurz an der Tür und, als die beiden ihren Blick in Richtung der Tür lenkten, stand dort ein alter Mann im Kittel, das Klemmbrett zur rechten, einen Stift in der linken. „Mrs. Yamoro?“ Lächelnd winkte die Angesprochene den Arzt hinein. Als dieser die Tür hinter sich schloss, blickte er zuerst zu Gogo, dann wieder zu Sora. „Familie?“ fragte er freundlich. Kichernd schüttelte Sora den Kopf. „Nein, die Freundin meines Bruders.“ Gogo ignorierte diese nicht ganz korrekte Bemerkung, erhob sich stattdessen und erwiderte den Händegruß des alten Mannes. „Ich fürchte, ich muss mit Mrs. Yamoro unter vier Augen sprechen. Da Sie nicht zur Familie gehören, kann ich Ihnen nicht erlauben, hier zu bleiben.“ Sora wollte gerade den Mund aufmachen, als Gogo sie unterbrach. „Das ist kein Problem. Ich muss sowieso langsam los.“ Gogo gefiel diese plötzliche Wendung überhaupt nicht, doch er war ihr Arzt und sie würde nichts dagegen tun können, auch wenn sie zu gern gewusst hätte, was er ihr zu sagen hatte. „Kommst du mich wieder besuchen?“ wandte sich die junge Frau an sie und Gogo beschlich ein kühner Gedanke. Ohne zu fragen griff sie nach dem Kugelschreiber, der ihrem Arzt aus der Brusttasche ragte, griff sich einen Zettel und kritzelte eine Nummer auf das Papier. „Hier.“ Sie übergab diese an Sora und fügte hinzu: „Unter der Nummer kannst du mich immer erreichen.“ Als sie dem wortlosen Arzt den Kugelschreiber in die Hand drückte, nicht ohne sich knapp zu bedanken, und an der Tür stand, wandte sie sich noch Sora zu und sagte: „Ja, ich komme dich auf jeden Fall noch einmal besuchen.“ Sora setzte daraufhin wieder ihr Lächeln auf und Gogo verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Als sich die Tür mit einem leisen Klacken hinter ihr schloss, atmete sie tief durch. Viel hatte sie nicht herausfinden können und das ärgerte sie. Allerdings hatte sie auch noch einen anderen Termin und den wollte sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)