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Über Freunde und Helden

von

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Ehre und Familie

„Hoch das Schwert!“

Die Stimme seines Vaters war wie eine Peitsche. Jeden Fehler und jede falsche Haltung ließ er ihn deutlich spüren. Krachend schlugen die Hölzer aufeinander.

„Denk an deine Beinarbeit!“

mahnte sein Vater ihn und begutachtete jeden Schritt seines Sohnes, während dieser auf einen der hölzernen Dummys einschlug und dabei ein ums andere Mal den Angriffswinkel und die Richtung im Sekundentakt veränderte. Naokos Lunge brannte und seine Muskeln schrien vor Erschöpfung, doch wollte er sich seine Grenze nicht eingestehen, nicht vor den wachsamen Augen seines Vaters. Schließlich nickte dieser und beendete damit die Übung. Naoko ließ das Holzschwert in seinen Gürtel gleiten und verneigte sich vor der Puppe und seinem Vater.

„Du bist unkonzentriert.“

sagte dieser und sah ihn mit strengen Augen an.

„Ja.“

erwiderte Naoko ruhig. Es brachte nichts, ihm in dieser Tatsache zu widersprechen, denn es stimmte, auch wenn Naoko versuchte, jeden ablenkenden Gedanken zu verdrängen.

„Wenn du im Kampf unkonzentriert bist ...“

fing sein Vater an.

„... kostet mich das meinen Kopf.“

beendete Naoko leicht genervt den Satz. Er schüttelte seinen rechten Arm ein wenig. Die neue Prothese machte seine Bewegungen noch sehr viel besser und geschmeidiger mit als ihr Vorgänger, doch waren die Bewegungen noch lange nicht so präzise, wie er es sich vorgestellt hatte. Doch Naoko war sich sicher, dass sein Vater eine solche Ausrede nicht gelten ließe, also schwieg er lieber dazu und sagte stattdessen

„Die Zeiten, in denen man den Kopf verlieren konnte, sind vorbei.“

Sein Vater schüttelte den Kopf und sah ihn streng an.

„Das ist kein Grund, deine Konzentration fallen zu lassen. Auch ein nicht-tödlicher Kampf sollte mit derselben Energie und Hingabe geführt werden wie ein tödlicher.“

Mit einer Handbewegung wies der bullige Mann ihn an, sich hinzuknien. Als Naoko dem nachkam, tat sein Vater dasselbe und kniete sich ihm gegenüber.

„Was ist es, das dich so beschäftigt?“

fragte sein Vater ihn und Naoko fiel aus allen Wolken. Für einen kurzen Moment war er drauf und dran ihn mit entsetztem Gesichtsausdruck anzusehen und lauthals loszulachen. Doch er besann sich rechtzeitig eines Besseren und so blieb es bei einem ungläubigen Blick.

„Seit wann interessiert es dich, was mich beschäftigt?“

gab Naoko spitz zurück und beobachtete genau die Miene seines Vaters. Dieser seufzte laut.

„Du bist mein Sohn.“

„Ja ...“

brachte Naoko nur heraus. Ihm kam das alles seltsam vor und er wusste nicht, wie er darauf reagieren konnte. Er kannte die Meinung seines Vaters zu Schwäche und egal, was Naoko sagte, es würde nichts bringen. Vielleicht, so dachte er, sollte er den alten Mann testen und sich vorsichtig voran tasten.

„Was du mir erzählt hast.“

erwiderte Naoko vorsichtig.

„Was davon genau?“

fragte sein Vater. Naoko überlegte kurz. Wie konnte er das Thema in die Richtung lenken, die er wollte?

„Dein Schwert.“

fuhr er schließlich fort.

„Du sagtest mir, dass du mir das Schmieden beibringen wolltest.“

„Und ich stehe zu meinem Wort.“

sagte sein Vater.

„Warum ist es dir so wichtig? Warum reicht die Kampfausbildung nicht aus?“

Naoko wusste nicht, ob er auf dem richtigen Weg war, doch gab es jetzt kein Zurück mehr. Sein Vater sah ihn ruhig an, sagte jedoch zuerst nichts.

„Um ein Samurai zu werden ... Es gehört wesentlich mehr dazu, als nur den Körper und den Geist zu beherrschen.“

Er streckte die Hand aus und Naoko gab ihm das Holzschwert.

„So wie du das Blei in seinem Inneren und das Holz an seinem Äußeren fühlen kannst, wenn du es schwingst, so musst du auch das Gefühl für den Stahl gewinnen. Du musst ihn formen, ihn scharf halten. Niemand außer dir wird diese Waffe schwingen und sie wird ein Teil deiner selbst.“

Sein Vater machte eine kurze Pause und hob das Holzschwert auf Augenhöhe.

„Eine Waffe ist eine Waffe, nicht mehr.“

Er legte das Stück Holz zur Seite, erhob sich langsam und schritt durch den Raum auf den Schrank zu. Als er sein Schwert herausgeholt hatte, setzte er sich wieder zu seinem Sohn. Das Metall kreischte leise, als er es aus der Scheide zog und die Klinge schimmerte rötlich.

„Das Schmieden einer Waffe macht sie zu deiner eigenen. Du wirst sie erst wirklich respektieren, wenn du den Stahl mit deinen eigenen Händen geformt hast.“

Er schnitt durch die Luft.

„Es wird einen ganz eigenen Klang haben, eine eigene Musik.“

Er ließ den Stahl wieder in die Scheide gleiten und legte das Schwert auf seinen Schoß.

„Deine Art zu kämpfen wird sich völlig nach dieser Waffe ausrichten. Erst, wenn du sie selbst geschaffen hast, wird dir ihre ganze Stärke bewusst.“

Als sein Vater mit diesem Satz endete, trat eine Pause ein und hüllte die beiden in Schweigen. Alles, was Naoko hörte, war sein eigener Atem im gleichmäßigen Takt mit dem Flackern der Kerzen. Beinahe automatisch hob Naoko leicht seinen rechten Arm und blickte auf die zahlreichen kleinen und großen Metallplatten, verbunden mit Drähten und Scharnieren, gehalten von Schrauben und Muttern.

„Du kennst dieses Gefühl bereits, nicht wahr?“

fragte sein Vater. In seiner Stimme erkannte Naoko, dass er die Antwort bereits kannte und so nickte er.

„Ja ...“

Sein Vater verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an.

„Glaubst du wirklich, dein eigener Vater bekommt nicht mit, wenn sein Sohn das Schmieden versucht?“

Naoko hob den Kopf, sah ihm in die Augen.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

wollte er wissen. Es stimmte, was sein Vater sagte. Schon öfters hatte er die Schmiede benutzt, wenn er versucht hatte, die billigen Materialien, die er auf den Schrotplätzen der Stadt und der Uni gefunden hatte, zu kombinieren. Er hatte keine wirkliche Ahnung davon gehabt und konnte Stahl nicht wirklich von reinem Eisen unterscheiden oder wusste um die richtige Temperatur des Ofens. Doch irgendwie hatte er es immer geschafft, diese Platten zu gießen und in Form zu schlagen. Letzten Endes waren sie sogar so rund an der Schulter und ohne Beulen gewesen, dass Naoko nicht umhin kam, stolz auf seine Arbeit zu sein. Der Vorfall im Labor hatte ihn dann schnell eines Besseren belehrt.

„Ich weiß, du hörst das nicht gerne …“

fing sein Vater an.

„Aber ich war dir mal sehr ähnlich.“

Tatsächlich löste diese Aussage ein leichtes Unbehagen in Naokos Magen aus, doch ließ er es sich nicht anmerken.

„Auch ich habe in deinem Alter versucht, auf eigene Faust mein Schwert zu schmieden. Doch ich musste sehr schnell feststellen, dass mehr dazu gehörte, als Metall zu erhitzen und mit einem Hammer darauf rumzuschlagen.“

Sein Vater senkte den Blick ein wenig, sah seinem Sohn jedoch weiterhin in die Augen.

„Aber als ich erkannte, dass du Platten und Finger hergestellt hast, begonnen hast den Stahl zu fräsen und zu löten, wurde mir klar, dass wir beide sehr viel verschiedener sind, als ich dachte.“

Naoko konnte es nicht verleugnen, aber irgendwie tat ihm sein Vater leid. Er wollte es sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn das eigene Fleisch und Blut so grundlegend anders war als man selbst.

Sein Vater seufzte hörbar und rieb sich mit der rechten Hand die Augenbrauen.

„Vielleicht bin ich auch einfach nur zu alt.“

Naoko bestritt ein kühner Gedanke.

„Sora wollte das immer.“

Sein Vater hob den Kopf und sah ihn fragend an.

„Sie wollte immer das, was du von mir erwartest. Sie wollte kämpfen, schmieden und dir gefallen. Sie wollte nichts weiter, als dass du stolz auf sie bist.“

„Fang bitte nicht wieder mit deiner Schwester an. Die alte Tradition dieses Dojos war immer ein Privileg der Männer dieser Familie, seit beinahe elf Generationen.“

erwiderte sein Vater streng. Naoko hatte es geahnt. Was dieses Thema anging, war sein Vater stur wie ein Panzer.

„Wir leben nicht mehr im Mittelalter, Vater.“

hielt Naoko dagegen. Er wollte nicht klein beigeben, diesmal nicht. Sein Vater runzelte die Stirn.

„Das mag sein, doch Tradition bleibt Tradition.“

„Und jede Tradition braucht hin und wieder einmal frischen Wind, sonst rostet sie ein.“

erwiderte Naoko und verschränkte nun seinerseits die Arme vor der Brust.

„Schluss damit, ich will über dieses Thema kein Wort mehr hören.“

Das Machtwort war eindeutig und Naoko hütete sich davor, noch dagegen zu halten, so sehr es ihn auch zur Weißglut trieb.

„Es ist sinnlos, darüber zu reden.“

schlug sein Vater mit einem Mal ruhiger an.

„Deine Schwester wird so oder so niemals diesem Dojo beitreten können.“

Die Augen seines Vaters funkelten schwach im Kerzenlicht.

Tränen?

Naoko konnte es nicht glauben, was er sah, doch wagte er es nicht, seinen Vater darauf anzusprechen. Noch nie hatte er seinen Vater so verletzlich gesehen und für einen kurzen Moment, flüchtig wie Staub, wollte er ihn trösten. Sich zu ihm setzen und mit ihm gemeinsam trauern. Dieser Wunsch brannte wie ein Feuer in seiner Brust, verzehrte ihn regelrecht. Doch er blieb sitzen und der Moment war vorbei. Sein Vater sah ihn wieder mit demselben Blick an, wie er es immer tat, und das Gefühl erlosch so schnell, dass Naoko sich seltsam leer fühlte. Wieder erfüllte Stille den Raum und hüllte die beiden ein wie der Schatten um sie herum. Naoko vergrub seine Finger in dem Saum seiner Hose und er spürte, wie ihn das Gefühl der Trauer beinahe übermannte. Er hatte diese Erkenntnis über seine Schwester lange unterdrücken können. Verdrängen, aber nie vergessen. Schnell sortierte Naoko seine Gedanken und atmete tief durch. Schließlich fiel ihm wieder ein, worauf er eigentlich hinaus wollte.

„Onkel Oda ist heute bei Sora gewesen.“

fing er vorsichtig an und beobachtete neugierig die Reaktion seines Vaters. Dieser erwiderte trocken

„Ja, ich weiß. Er kam hierher, während du bei deiner Schwester warst.“

„Wieso?“

fragte Naoko, ohne darüber nachzudenken, wie diese Frage wirken könnte.

„Um deine Mutter zu besuchen natürlich. Ihr Bruder war schließlich schon immer um sie besorgt.“

antwortete sein Vater.

„Verstehe …“

erwiderte Naoko nur. Sein Onkel war schon lange nicht mehr hier gewesen, zumindest nicht, dass er es mitbekommen hatte, doch Naoko erkannte, dass er auf dem richtigen Weg war.

„Ich habe ihn schon seit langem nicht mehr gesehen …“

sagte er wieder vorsichtig.

„Ich auch nicht.“

fügte sein Vater ruhig hinzu.

„Nicht?“

fragte Naoko neugierig.

„Ich dachte, er wäre schon ein paar Mal hier gewesen, während ich in der Uni war.“

Sein Vater schüttelte den Kopf.  

Das passt nicht

dachte Naoko sich. Sein Onkel war schon öfter hier gewesen, das war leicht an der Reaktion seiner Mutter zu erkennen. Ihre Sprache, ihre Haltung, alles war anders, wenn er da gewesen war.

Was weißt du über ihn?

fragte Naoko sich. Irgendetwas stimmte nicht.

„Deine Mutter macht sich Sorgen um dich.“

dieser plötzliche Themenwechsel seines Vaters überraschte ihn.

„Wie meinst du das?“

hakte er nach und sein Vater sagte

„Du sollst deinen Onkel meiden. Du weißt um seine psychischen Probleme.“

Das stimmte, wusste Naoko. Sein Onkel war immer etwas instabil gewesen und er konnte seine Laune von einem zum anderen Augenblick völlig verändern.

„Ich habe nicht vor, den Kontakt mit ihm zu vertiefen.“

log er. Tatsächlich hatte er eher das dringende Bedürfnis, mit ihm zu sprechen und dem würde er auch in Bälde nachkommen.

„Das ist gut.“

antwortete sein Vater.

„Dabei fällt mir ein ...“

Er griff in seine Hosentasche und zog einen kleinen, schwarzen Speicherstick hervor.

„Das hat mir dein Onkel mitgegeben. Er meinte, du hättest ihn im Krankenhaus verloren.“

Naoko hatte diesen Datenträger noch nie zuvor gesehen. Er wusste nicht, was sein Onkel ihm damit sagen wollte oder was er damit bezweckte, doch Naoko konnte nicht anders, er musste sich ansehen, was sich auf dem Stick befand und er fragte sich, ob seine Eltern sich den Inhalt bereits angesehen hatten. Wenn, dann ließ es sich sein Vater nicht anmerken. Vielleicht war er auch leer oder die Dateien harmlos gewesen. Sein Vater reichte ihm den Datenträger und Naoko bedankte sich knapp.

„Wir sollten morgen mit dem Training fortfahren. Dieselbe Zeit, hast du mich verstanden?“

Naoko nickte. Er hörte nur mit einem Ohr zu, zu sehr war er damit beschäftigt dahinterzukommen, was das Ganze mit seinem Onkel zu bedeuten hatte. Als er im Augenwinkel erkannte, wie sein Vater sich verbeugte, tat er es ihm schnell gleich. Dann erhoben sie sich beide und Naoko verließ den Dojo, während sein Vater damit beschäftigt war, die Kerzen zu löschen.

Oben in seinem Zimmer warf Naoko seinen Laptop an, welcher mit surrendem Kühler hochfuhr und das helle Parkett eines Basketballfeldes als Desktopbild ihn begrüßte. Schnell den Stick angeschlossen und sofort öffnete dieser sich. Eine Reihe von Ordnern erschienen vor ihm, einzeln beschriftet

Honey? Wasabi?

las er sie in Gedanken vor und erkannte, dass das ein Stick von Gogos Freunden sein musste. Doch wie war er in die Hände seines Onkels geraten? Neugierig öffnete er den Ordner, der den Namen Gogo trug. Eine Reihe von Bilddateien und Programmen, deren Endungen Naoko völlig unbekannt waren, öffneten sich und, als er eines der Bilder anklickte, prangte mit einem Mal das Bild eines Anzugs auf dem Monitor. Ein lila farbener, hautenger Anzug auf der linken Seite sprang ihm dabei als erstes ins Auge und er erwischte sich einen flüchtigen Moment selbst dabei, wie er sich die kleine Frau in eben jenem Anzug vorstellte. Seine Wangen begannen zu glühen und schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Doch er musste zugeben, ihm gefiel sein Gedanke. Als er seinen Blick auf die andere Seite richtete, bemerkte er verschiedene Teile einer in gelb und rot gehaltener Rüstung mit einer Art Jetpack auf dem Rücken.

Was hat Gogo mit einer Rüstung zu tun, sie baut doch an einem Fahrrad …

Und in diesem Moment traf ihn die Erkenntnis wie ein Faustschlag.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2015-08-09T05:53:31+00:00 09.08.2015 07:53
Hey (❀◦‿◦)♫・*:.。. .。.:*・

*schmunzelt* ich hatte mich schon auf das Training der Helden gefreut und dann kommt man bei Naoko heraus. Ich fand das Gespräch zwischen den beiden sehr interessant. Momentan scheint mir Naokos Vater eigentlich garnicht mehr so streng wie er am Anfang rüber gekommen ist. Eher ein bisschen so, als wenn er versucht an Traditionen festzuhalten, aber selbst merkt das es bröckelt und er wohl der letze aus der Familienline sein wird, der alles so ausführt wie es althergebracht ist. Ein wenig klang es auch so, als wenn er gern die wünsche der Kinder erfüllt hätte, und er hin und her gerissen ist, weil er die Tradition befolgen möchte.

Oh, ich bin mal gespannt, was die Info bewirken wird, wenn Naoko jetzt weiß, was Gogo sonst noch in ihrer „Freizeit“ tut... :D

CuCu Jyorie

Antwort von:  GrauW0lf
22.08.2015 09:59
Hey :D

Danke für deine Review^^

Ja Kindererziehung ist schwierig und das man da manchmal Kompromisse eingehen muss oder nachgeben muss, sollte bekannt sein.
Immerhin gibt es auch Menschen die das einsehen und versuchen das beste daraus zu machen :)

"Freizeit"^^
Schön formuliert xD

LG GrauW0lf


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