Blind Date von May_Be ================================================================================ Kapitel 13: Der gestohlene Ring ------------------------------- Die Tage ohne Itoe verliefen sehr trist. Die Sehnsucht nach ihr war größer als Kira sich eingestehen wollte. Er musste sich sogar einige Male zusammenreißen, um seiner Schwäche nicht nachzugeben, sie nicht aufzusuchen, sich bei ihr entschuldigen. Kira mangelte es nicht an Selbstbeherrschung, aber ausgerechnet sie brachte ihn an seine Grenzen. Das war abzusehen, denn sie hatten fast jeden Tag miteinander verbracht und nun hatte er sie zwei ganze Wochen nicht zu Gesicht bekommen. Das Gute an dem Abstand war, dass Kira genug Zeit hatte, um über alles sorgfältig nachzudenken. Und er kam zu dem Schluss, dass es nicht richtig war, sie gehen zu lassen. Nicht wegen seiner Gefühle für sie, sondern wegen Miro. Miro hatte Itoe sicherlich nicht umsonst an ihn gebunden. In seinem Abschiedsbrief hatte er geschrieben, dass Kira Itoe brauchen würde. Als hätte Miro gewusst, dass Kira vor seinem Untergang stand... Gleichzeitig fragte er sich, wie sein Zwilling sich das ganze vorgestellt hatte. Lag es in Miros Interesse, die beiden einander näher zu bringen? Oder sollte Itoe lediglich eine emotionale Stütze sein? Da er auf diese Frage nie eine Antwort erhalten würde, blieb ihm nur eines übrig: Miros letzten Wunsch zu erfüllen, ohne diesen zu hinterfragen. Er konnte sich nicht richtig von ihm verabschieden und hatte bei ihrem letzten Treffen schreckliche Dinge zu ihm gesagt. Es würde sicher nicht leicht werden, weiterhin mit Itoe zusammen zu sein, mit dem Wissen, dass sie seinen Bruder immer noch liebte. Aber Kira würde das in Kauf nehmen, er musste. Seine aufkeimenden Gefühle würde er tief in seinem Herzen vergraben. Das konnte er doch gut. Er würde die gemeinsamen Tage mit ihr, und all die Freude, die diese Tage gebracht haben, in seinem Inneren verbannen und seiner kühlen Fassade die Oberhand überlassen. So wäre es auf jeden Fall leichter. So könnte sie ihn nicht mehr verletzen. Er beschloss, diese fruchtlose Beziehung mit allem Mitteln aufrecht zu erhalten. Und wenn Itoe sich weigern würde, würde er sie eben dazu zwingen.   Nach zwei Wochen Funkstille begegneten sich beide im Flur. Ein Wunder, dass es nicht schon früher passiert war. Kira war gerade auf dem Weg zum Club. Er musste noch ein paar organisatorische Sachen erledigen und die Weihnachts- und Silvesterpartys vorbereiten. Bis dahin dauerte es zwar noch, aber er plante gerne im Voraus. Als er gerade seine Tür abschloss, hörte er ihre Wohnungstür aufgehen. Mitten in seiner Bewegung hielt er inne und wandte sich dann langsam um. Itoe stand in unmittelbarer Nähe zu ihm, da beide Wohnungen gegenüber lagen, und sah unsicher zu ihm rüber. Ihre Haltung wirkte angespannt. „Hey“, sagte sie dann schließlich und Kira entgegnete ihren Gruß mit einem knappem Nicken. Es gab so einiges zu bereden. Kira wollte einige Veränderungen bezüglich ihrer Beziehung vornehmen, aber jetzt war noch nicht der richtige Zeitpunkt, um mit ihr darüber zu sprechen. Er wandte sich zum Gehen, hörte dann ihre leisen Schritte hinter sich und spürte dann ihre Hand auf seinem Arm. „Warte bitte...“ Kira hielt an und wandte sich überrascht zu ihr um. Sofort nahm sie ihre Hand wieder weg und trat einen Schritt zurück. Geduldig wartete er darauf, was sie ihm zu sagen hatte. Dabei drang ihm ein vertrauter, süßlicher Duft von Erdbeer-Vanille in die Nase. „Ich...“, fing Itoe langsam an und senkte den Blick. Offensichtlich fiel es ihr schwer, ihm in die Augen zu sehen. „Ich wollte mich entschuldigen.“ Kira runzelte verdutzt die Stirn. Eine Entschuldigung war das letzte, womit er gerechnet hatte. Außerdem hatte er sich ebenfalls nicht gentlemanlike benommen. Er war ihr auch eine Entschuldigung schuldig, aber... „Wofür?“, fragte er stattdessen. Für den Kuss mit Yagami? Für ihre Worte? Nun blickte Itoe doch zu ihm auf. Ihre großen Rehaugen sahen ihn beinahe flehend an. „Für alles“, antwortete sie, doch Kira wollte ihr nicht so recht glauben. Er konnte es nicht. Eine Entschuldigung machte nichts wieder gut. „Zu spät“, gab er kühl von sich und hielt ihren Blick gefangen. „Kira, ich weiß, ich habe dich verletzt und...“, versuchte sie es erneut, doch Kira fiel ihr ins Wort. „Und was? - Es tut dir leid?“ Kira schnaubte. „Dass du mit Yagami rumgemacht hast, kann ich dir nicht übel nehmen. Ich war schließlich nicht besser. Aber was du gesagt hast... Das werde ich dir nicht verzeihen.“ Kira ließ sie stehen und drückte auf den Fahrstuhlknopf. Jetzt war es raus. Er würde ihr das nicht noch einmal verzeihen. Es war ihm egal, dass sie das nur gesagt hatte, weil sie betrunken war. Tief in ihrem Herzen wünschte sie sich trotzdem nur Miro. Er war nie mehr für sie gewesen als ein Ersatz, ein Lückenbüßer, auch wenn es sich eine kurze Zeit lang ganz anders angefühlt hatte... Als sähe sie ihn, Kira, und nicht seinen Bruder. Der Aufzug öffnete sich und Kira stieg ein. Er drückte bereits auf den Knopf, da stellte sich Itoe zwischen die Türen. „Und was ist nun mit uns?“ Diese Frage hatte er nicht kommen sehen. Kiras harte Fassade wollte für einen Augenblick bröckeln, doch er sammelte seine Gedanken und ließ seine wahren Gefühle nicht an die Oberfläche dringen. „Was soll mit uns sein? Es ist doch alles nicht echt.“ Er benutzte ihre Worte. Sie sollte denselben Schmerz fühlen wie er. Itoe erwiderte nichts darauf, sondern sah ihn nur mit ihren traurigen Augen an. Doch Kira ließ sich nicht davon beirren. Itoe nickte leicht und trat einen Schritt zurück, damit die Türen sich schließen konnten. Erst jetzt atmete Kira tief durch und lehnte sich zurück an die Wand. Das hatte er überstanden, auch wenn ein bitterer Nachgeschmack zurückblieb. Er musste einfach fies sein, denn sonst würde er in seine alte Gewohnheit zurückfallen, nett und verständnisvoll sein, und am Ende würde sie ihm das Herz noch einmal herausreißen. Den ganzen Weg nach unten hatte er das Gefühl, von ihrem Erdbeer-Vanille-Duft verfolgt zu werden.   Nachdem Kira sie zurück gelassen hatte, musste Itoe erst einmal wieder die Fassung zurückgewinnen. Sie hätte nicht gedacht, dass er sie zurückweisen würde und noch weniger hätte sie gedacht, dass es so schmerzvoll sein würde. Sie hatte zumindest gehofft, dass er ihre Entschuldigung annahm. Aber er hatte sich vor ihr verschlossen und war zu dem Menschen geworden, den sie am Anfang kennengelernt hatte, kühl und abweisend. Ren hatte somit Recht behalten, dass sich Kira verschloss und zurückzog, sobald ihn jemand verletzte. Womit er allerdings falsch lag war, dass Kira bei ihr eine Ausnahme machen würde. Sie war schließlich seine Frau, hatte Ren behauptet. Und auch wenn Itoe es besser wusste, hatte sie trotzdem darauf gesetzt, dass Kira das berücksichtigen würde. Doch das war nicht der Fall gewesen. Er hatte sie abgewiesen, wollte ihre Entschuldigung nicht einmal annehmen. Aber das hatte sie verdient. Itoe nahm den anderen Aufzug daneben und fuhr nach unten. Sie musste zur Arbeit. Dass sie heute auf Kira treffen würde, war nur ein Zufall gewesen. Aber da sie eh geplant hatte, sich in den nächsten Tagen bei ihm zu entschuldigen, traf sich diese Gelegenheit ganz gut. Leider war der Ausgang dieses Treffens nicht der gewünschte, aber was hatte sie erwartet? Dass ihre Worte keine Spuren hinterließen? Niedergeschlagen verließ sie das Gebäude und nahm die Bahn zur Arbeit. Es fing um diese Uhrzeit bereits an zu dämmern, der Tag wurde kürzer, der Abend länger. Vor allem wurde es immer kälter. Itoe versteckte ihre Nase im großen Schal und zog die Mütze mehr über die Ohren, als sie das letzte Stückchen zu dem Restaurant lief. Heute war zum Glück nicht allzu fiel los, trotzdem kam ihr die Arbeit heute besonders mühsam vor. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu ihrer Begegnung mit Kira ab. „Itoe, bediene bitte den Tisch fünf“, wies ihr Chef an, nachdem sie sich umgezogen hatte. Itoe nahm ihren Block und trat zum Tisch. Sie begrüßte höflich die Gäste, doch erst beim zweiten Blick erkannte sie, wer da vor ihr saß. „Na sieh mal einer an“, sagte die Frau amüsiert, „heute ist wohl mein Glückstag.“ Itoes Glückstag war das definitiv nicht. „Kennst du sie etwa, Makoto?“, fragte eine ihrer Freundinnen am Tisch. „Klar kennen wir uns, nicht wahr, Schätzchen?“, meinte Makoto an Itoe gewandt. Itoe sah ausdruckslos zu ihrer Rivalin hinab und neigte etwas den Kopf. Sie wollte nicht unhöflich sein, indem sie protestierte, da die einmalige Begegnung sie noch lange nicht zu Bekannten machte. Itoes Herz zog sich zusammen, als daran dachte, wie sie Makoto in Kiras T-Shirt angetroffen hatte. „Wissen Sie schon, was Sie gerne trinken möchten?“, wechselte sie das Thema und ging ihrer Arbeit nach. Sie musste höflich und professionell bleiben, persönliche Gefühle gehörten nicht hierher. Doch hinter ihrer höflichen Fassade, fühlte sie sich ausgesprochen unwohl und unsicher. Nicht nur deswegen, weil Kira mit dieser Frau geschlafen hatte. Sie kam sich vor, wie damals auf der High School. Makoto war wie eine dieser hübschen Mädchen, die den Charme hatte, alle anderen gegen eine einzelne Person aufzubringen. Niemand mochte sich gegen solche Mädchen auflehnen. Wenn man erst einmal in ihr Visier geraten war, konnte es ziemlich ungemütlich werden. Solche Mädchen fühlten sich durch andere, die mindestens genauso gut aussahen wie sie selbst, bedroht und suchten sich diese dann als Opfer aus. Itoe hatte diese Erfahrung leider machen müssen, aber nachdem sie die Schule überlebt hatte, hätte sie nicht gedacht, dass sich das jemals wiederholen würde. Nachdem die Frauengruppe ihre Bestellung aufgegeben hatte, ging Itoe an die Bar, um die Getränke zu holen. Sie hoffte, sie musste diese Truppe nicht den ganzen Abend bedienen. Tisch fünf fiel nicht einmal unter ihren Zuständigkeitsbereich. Doch das Schicksal meinte es heute nicht gut mit ihr. Itoe servierte später auch das Essen und wurde für jeden noch so kleinen Wunsch an den Tisch gerufen. Sie war trotzdem erstaunt, wie problemlos das ganze ablief. Sie musste gestehen, sie hatte am Anfang ein komisches Gefühl gehabt. Aber wahrscheinlich lag das einfach nur an den Mobbing-Erlebnissen. Itoe wurde wieder an den Tisch fünf bestellt, an dem es schon heiter zuging. „Schätzchen, da bist du ja endlich“, meinte Makoto überschwänglich, auch wenn in ihrem Blick etwas Teuflisches lag. „Der Wein schmeckt mir nicht. Ist das wirklich ein Chardonnay?“ Makoto fuchtelte mit dem zierlichen Weinglas herum und behielt Itoe stets im Blick. „Ja, natürlich. Den hattest du doch bestellt“, meinte Itoe. Sie versuchte ein sicheres Auftreten an den Tag zu legen, aber Makoto schien sie zu durchschauen. „Hast du mich grade geduzt?“, zischte Makoto, „ich glaube nicht, dass ich es dir erlaubt habe.“ Im Restaurant bedurfte es der Höflichkeit, seine Gäste zu siezen, es sei denn diese wünschten den vertrauten Umgangston. Die Gäste dagegen konnte die Bedienung mit jedem Titel ansprechen, den sie für angemessen hielten. „Verzeihung. Kommt nicht wieder vor“, entschuldigte sich Itoe und verbeugte sich leicht. Sie spürte förmlich, wie die Anspannung zwischen ihnen anstieg. Plötzlich ließ Makoto das Weinglas fallen, sodass es auf dem Boden zerbrach und die rote Flüssigkeit sich vor Itoes Füßen verteilte. „Hoppla. Wie ungeschickt von mir“, meinte Makoto und lächelte bösartig. „Heb' schon auf, was stehst du noch rum!“ Itoe ging auf die Knie und sammelte die Scherben auf. Was für kindisches Verhalten, würde sie am liebsten sagen, doch befahl sich innerlich still zu sein. Sie durfte auf keinen Fall frech werden, denn sie konnte sich gut vorstellen, dass Makoto sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und sich bei der Geschäftsführung beschweren würde. Der Gast war immer König und Itoe wollte diesen Job gerne behalten. „Komm, ich helfe dir“, meinte Makoto plötzlich, doch anstatt tatsächlich Hilfe zu bekommen, trat sie mit ihrem High Heel auf Itoes Hand. Die Scherben schnitten in ihre Haut und bohrten sich tiefer hinein, als Makoto den Druck verstärkte. Itoe gab ein leises Keuchen von sich. Der Schmerz war unerträglich und trieb ihr Tränen in die Augen. Aber sie hatte sich geschworen, nie wieder wegen solchen Dingen zu weinen und daran würde sie sich auch halten. Sie schluckte den Kloß im Hals herunter und sah trotzig zu Makoto auf. Makoto schien überrascht und gleichzeitig verärgert darüber zu sein, dass Itoe sie unverhohlen ansah. „Ich hatte dir schon mal gesagt, dass du Kira in Ruhe lassen sollst. Aber anscheinend war ich nicht deutlich genug. Jetzt musst du mit den Konsequenzen leben.“ Makoto beugte sich zu Itoe hinab und ergriff ihre verletzte Hand. „Den hier werde ich behalten“, meinte sie und zog Itoe den Ehering aus. „Gib ihn mir wieder!“, verlangte Itoe nun aufgebracht und wollte mit der anderen Hand nach Makoto greifen, doch diese drückte Itoes verletzte Hand schmerzvoll zusammen, sodass Itoe aufstöhnte und sich wie gelähmt fühlte. Keine von Makotos Freundinnen sagte auch nur ein Wort, eine von ihnen kicherte sogar, und niemand sonst mischte sich ein. „Gib ihn mir wieder“, wiederholte Itoe verzweifelt, „bitte!“ Makoto ließ ihre Hand los. „Nein. Er ist von Kira, oder? Aber er gehört dir nicht. Er sollte mir gehören.“ Makoto wollte sich den Ring auf den Finger stecken, doch er war ihr zu klein. Verärgert steckte sie ihn in die Tasche und gab ihren Freundinnen ein Zeichen, dass es an der Zeit war zu gehen. Sie hinterließen genug Geld auf dem Tisch und verließen das Restaurant. Kaum waren sie fort, kam auch schon Nari angelaufen. „Itoe...“ Nari ging in die Hocke, um Itoe aufzuhelfen und bemerkte ihre blutige Hand. „Oh mein Gott. Was haben sie nur gemacht... Wir müssen das sofort behandeln!“ Während Nari auf sie einredete, konnte Itoe nur an eines denken: Makoto hatte den Ring. Miros Ring. Es war sein einziges Geschenk, die einzige Erinnerung, die sie an ihn hatte. Die Hilflosigkeit lähmte sie. Itoe biss sich schmerzvoll auf die Unterlippe und versucht die Tränen zu unterdrücken, die sich unnachgiebig anbahnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)