Blind Date von May_Be ================================================================================ Kapitel 12: Hinter der Fassade ist das wahre Ich ------------------------------------------------ Am Nachmittag, es war immer noch derselbe Tag nach ihrem Geburtstag, kam Itoe endlich nach Hause. Ren hatte sie freundlicherweise nach Hause gefahren und bestimmt hatte er Kira bereits darüber informiert. Sie nahm es Ren nicht übel, hoffte aber, dass Kira nicht hier auftauchen würde, denn sie schämte sich noch zu sehr für ihren gestrigen Auftritt. Sie wollte Kira auf keinen Fall jetzt schon unter die Augen treten. Am besten nie wieder. Itoe nahm eine heiße Dusche, die ihr das Gefühl gab, all das Elend von sich abzuwaschen. Danach cremte sie sich mit ihrer Lieblingsbodylotion, Erdbeer-Vanille-Duft, ein, woraufhin das ganze Badezimmer herrlich duftete. Itoe schlüpfte in bequeme Klamotten, eine breite Stoffhose und T-Shirt, und ging in die Küche. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten sie erledigt. Sie wollte heute nichts mehr unternehmen, sich einfach nur aufs Sofa hocken, sich mit einem netten Film ablenken und an nichts, was in den letzten 24 Stunden geschehen war, denken. Doch das war leichter gesagt als getan. In der Küche stand immer noch die Torte, den sie für Kira und sich gebacken hatte. Sie stand einsam und verlassen auf dem Tisch, als hätte sie jemand bestellt und nicht abgeholt. Itoe nahm ein Messer und schnitt sich ein dickes Stückchen davon ab. Sie machte sich einen Kaffee und ging dann mit Teller und Tasse ins Wohnzimmer, um es sich auf dem Sofa bequem zu machen und . Miros Wohnzimmer war ziemlich schlicht eingerichtet, aber er hatte volle Regale mit Büchern, CDs, DVDs und sogar Schallplatten. Dadurch wurde der Raum mit Leben erfüllt und bekam eine persönliche Note. Itoe fühlte sich wohl hier, als gehöre sie tatsächlich hierher. Als wäre sie Miro auf diese Weise ein Stückchen näher. Sie schaltete den Fernseher an, aß ihre Torte, der nebenbei erwähnt ziemlich vorzüglich schmeckte, und trank ihren Kaffee. Sie versuchte, sich auf all diese Eindrücke zu konzentrieren, aber ihre Gedanken fanden dennoch einen Weg an die Oberfläche. Die gestrigen Ereignisse hätte Itoe gerne rückgängig gemacht. Sie wusste gar nicht, was sie schlimmer fand: Dass sie ihren Kummer seit sie in Tokio war gerne im Alkohol ertränkte, dass sie irgendwelches Dummes Zeug redete, wenn sie dann betrunken war, oder, was ziemlich neu war, dass sie mit fremden Typen herumknutschte. All das tat sie stets wegen Miro oder Kira. Wegen diesen beiden tat sie unüberlegte Dinge, die sie im Nachhinein bereute. Selbstverständlich wusste sie, dass sie ihnen nicht die ganze Schuld in die Schuhe schieben konnte, das wäre nicht fair. Sie war schließlich für ihr Handeln selbst verantwortlich. Aber sobald es um Miro oder Kira ging, verabschiedete sich ihr rationaler Verstand und schaltete sich um in den Idiotinnen-Modus. Anstatt wie Erwachsene zu reden und Kira auf die Frau aus seiner Wohnung anzusprechen, hatte sie sich maßlos betrunken und die ganze Situation nur noch schlimmer gemacht. Grandiose Leistung, Itoe! Hätte Kira ihr bloß vorher gesagt, dass er noch jemand anderen hatte, dann wäre es gar nicht erst zum Problem geworden und Itoe hätte sich nicht betrunken, um Rache zu üben, was eigentlich eh vollkommen kindisch von ihr war. Sie hatte Kira am Anfang ihrer Kennenlernphase gefragt, ob er jemand anderen hatte oder ob er nicht jemand anderen wollte. Sie hatte ihm die Wahl gelassen, sich von ihr scheiden zu lassen. Stattdessen entschied er sich für sie. Dabei hatte er nebenbei noch jemand anderen... Die ganze Sache mit der anderen Frau hätte sie nicht so sehr verletzt, wenn sie nicht so viel Zeit mit ihm verbracht hätte. Denn dadurch fühlte sie sich unglücklicherweise zu ihm hingezogen. Bei dem Gedanken daran, dass sie Gefühle für Kira hatte, bekam sie ein schlechtes Gewissen gegenüber Miro. Sie durfte für Kira keine romantischen Gefühle empfinden! Es war nicht richtig. Es war genauso, als würde sie Miro hintergehen. Dass Itoe Gefühle für Kira haben würde, hatte Miro sicher nicht im Sinn gehabt, als er sie mit seinem Bruder verheiratet hatte. Miro wollte vermutlich nur, dass sich jemand um Itoe kümmerte, wenn er nicht mehr da war, da war sie sich ganz sicher. Itoe betrachtete gedankenverloren ihren Ehering. Ihre Gefühlswelt war ein einziges Chaos. Sie liebte Miro, aber nun hatte sie Gefühle für Kira. Sie war eifersüchtig auf die wunderschöne Frau aus Kiras Wohnung. Sie war wütend über ihr eigenes dämliches Verhalten im Club, weil sie sich betrunken und Yagami geküsste hatte. Was war nur los mit ihr? Seit wann wusste sie nicht, was richtig und was falsch war? Eine weitere Frage drängte sich auf. War ihre Beziehung mit Kira nun endgültig vorbei? Ich bin fertig mit dir! Mit euch beiden! Kira hatte anscheinend genug von ihr und von Miro, was sie verständnisvoller Weise nachempfinden konnte. Sie hatte Kira mit ihren Worten und Taten gekränkt. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich Miro zurückwünschte und es Kira offen ins Gesicht sagte. Obwohl sie komischerweise immer betrunken war, wenn sie es sagte, war dies keine Entschuldigung. Außerdem... wenn sie sich recht entsann, hatte sie gesagt, ihre Beziehung mit Kira sei nicht echt. Kein Wunder, dass Kira endgültig die Nase voll von ihr hatte. Aber vielleicht war es auch besser so. Dann konnte sie ihre Gefühle für ihn im Keime ersticken, bevor sich daraus noch mehr entwickelte. Kira konnte glücklich mit dieser einen Frau werden und sie würde ihre reine Liebe zu Miro bewahren.   Die nächsten Tage schafften sie es irgendwie, sich aus dem Weg zu gehen. Wenn Itoe zur Arbeit ging, begegnete sie ihm nicht im Flur. Im Restaurant ließ er sich auch nicht blicken, er holte sie nicht mehr von der Arbeit ab und besuchte sie nicht mehr zu Hause. Das hatte sie erwartet und trotzdem stimmte es sie traurig. Es sah nicht danach als, als wollte er die Angelegenheit zwischen ihnen klären. Er hatte es wohl ernst gemeint, als er sagte, er wäre fertig mit ihr. Itoe spielte mit dem Gedanken den ersten Schritt zu machen, auf ihn zugehen, sich entschuldigen. Aber... wenn er wirklich vorhatte, sich von ihr scheiden zu lassen, machte es da noch Sinn sich zu versöhnen?   „Habt ihr immer noch nicht miteinander gesprochen?“, fragte Ren nach, als er einmal bei Itoe zu Besuch war. Er hatte sich zunächst gewundert, warum Itoe in Miros Wohnung lebte. Aber für diesen Fall hatte sich Itoe bereits eine Antwort zurecht gelegt. Sie erklärte, dass Kira ihr Miros Wohnung als eine Art Rückzugsort angeboten hatte. Für Ren erschien das plausibel. Er fand es sogar sehr großzügig von Kira, ihr diese Möglichkeit anzubieten. Seit dem Streit mit Kira hatte Itoe wenigstens einen neuen Freund gewonnen. Sie hatte sich mit Ren schon von Anfang an gut verstanden, aber die beiden hatten sich nie zu zweit getroffen, um etwas gemeinsam zu unternehmen. Mittlerweile war es das normalste von der Welt, dass sie einander besuchten oder ausgingen, als Freunde versteht sich. Heute hatte sie ihn zum Kaffee und Kuchen eingeladen, aber es lag nicht in ihrer Absicht, über ihre Probleme mit Kira zu reden. Außerdem kannte sie Rens Standpunkt. Er war der Meinung, sie sollte sich mit Kira aussprechen. Das riet er ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Itoe schüttelte den Kopf, als eine Antwort auf seine Frage. „Wie lange habt ihr euch jetzt schon nicht gesehen?“ „Zwei Wochen“, meinte sie und unterdrückte einen bedrückenden Seufzer. „Ich hab diesmal ein neues Rezept ausprobiert“, wechselte sie prompt das Thema, „wie schmeckt dir der Kuchen?“ Ren war nicht blöd, um den Wink zu verstehen, dass sie nicht über Kira sprechen wollte, und ging netterweise auf den Themawechsel ein. „Wirklich lecker“, meinte er nach einem Bissen, „du bist wirklich eine sagenhafte Bäckerin. Wie wär's mit einer eigenen Konditorei?“ Itoe winkte ab. Mit diesem Gedanken hatte sie noch nie gespielt. Selbst wenn, sie hatte nicht genügend Geld und Erfahrung, um ein eigenes Geschäft aufzubauen. „Vielleicht irgendwann“, sagte sie darauf, ohne es ernst zu meinen. Itoe war Ren dankbar, dass er ihr keine Leviten bezüglich Kira las. Mit ihm konnte sie sich über Gott und die Welt unterhalten. Es gab immer etwas zu bereden und manchmal lachten sie aus vollem Hals. Ren war ein guter Freund und durch seine Anwesenheit konnte sie ihre Sorgen für einen Moment vergessen. „Wie war eigentlich Miro?“, fragte Itoe unvermittelt während einer längeren Pause. Sogleich spiegelte sich Überraschung auf Rens Gesicht wieder. „Warum fragst du plötzlich?“ Seine Gegenfrage war berechtigt. Itoe hatte nie nach Kiras Bruder gefragt und jetzt wollte sie wie aus dem Nichts etwas über ihn erfahren. Da Ren nichts von ihrer Vergangenheit mit Miro wusste, musste Itoe sich einen anderen Grund für ihre Neugierde ausdenken. „Kira spricht selten von seinem Bruder“, erklärte sie und das war nicht einmal gelogen. Das letzte Mal hatte Kira diese hässlichen Sachen über Miro gesagt. Itoe wusste bereits seit längerem, dass Miro nicht der Mensch war, für den sie ihn hielt, aber dass er so schlimme Dinge getan haben soll, wollte sie immer noch nicht glauben. Vielleicht konnte Ren ein wenig Licht ins Dunkeln bringen. „Ich würde gerne wissen, wie Kiras Bruder war.“ Ren nahm das nickend zur Kenntnis. Anscheinend reichte ihm diese Erklärung aus. „Hm, wo soll ich bloß anfangen... - Miro war ein sehr offener und kontaktfreudiger Mensch. Er ließ sich von niemandem unterkriegen, ganz besonders nicht von seiner Krankheit. Na ja, bevor er verschwand, sah das natürlich schon anders aus.“ Ren machte eine Pause, als würde er sich an die Zeit zurückerinnern, von der er gerade erzählte. „Miro war ganz anders als Kira und doch waren sie gleich. Es ist schwer zu begreifen, wenn man die beiden nicht persönlich kennt... kannte. - Während Miro offen war, war Kira eher verschlossen. Miros freundliche Art wurde an jeden verteilt, während man zu Kiras weichem Kern erst vordringen musste. Doch beide konnten mit ihrem netten Charme alle verzaubern, wenn sie wollten. Aber wenn jemand die beiden verletzte oder hinterging, verschlossen sie sich, zogen sich innerlich zurück, und es war schwer, wieder zu ihnen vorzudringen.“ Ren aß seinen Kuchen auf, bekam von Itoe noch ein Stückchen serviert und lächelte genüsslich, als er sich wieder eine Gabel in den Mund schob. „Du hast gesagt, Miro ließ sich nicht unterkriegen, bis zu dem Zeitpunkt vor seinem Verschwinden...“, half Itoe nach, damit Ren seine Erzählung fortsetzte. „Ja, genau. Da hatte er sich stark verändert. Ich sag's mal so, Miro mochte schon immer das freizügige Leben. Er genoss jeden Moment und lebte in den Tag hinein. Er hatte viele weibliche Bekanntschaften und da er ziemlich beliebt war, nutzte er das gerne aus.“ Itoes Atem stockte. Die Bestätigung, dass Kira die Wahrheit über seinen Bruder gesagt hatte, traf sie heftiger als erwartet. Miro, der Frauenheld. Das ergab doch irgendwie keinen Sinn. Warum war er dann mit ihr zusammen gewesen? Warum hatte er sie sogar geheiratet? Die Frage lag ihr auf den Lippen, aber die konnte sie Ren leider nicht stellen. „Irgendwann wurden seine Liebschaften extremer. Er hatte fast jeden Tag eine Neue. Das war schon krass. “ Ren hielt inne, als er in Itoes geschocktes Gesicht sah. „Oh man, das wolltest du sicher gar nicht wissen oder? Ich hör lieber auf.“ „Nein, erzähl bitte weiter“, sagte Itoe schnell, auch wenn ihr das wirklich schwer viel. Aber sie wollte einfach alles, was sie über Miro noch nicht wusste, erfahren. Sie wollte verstehen, wer dieser Menschen, den sie so sehr geliebt hatte, war. Ren wog ab, ob er ihrer Bitte nachkommen sollte und entschied sich dafür. „Auf jeden Fall waren wir alle ziemlich besorgt, weil wir ihn so nicht kannten. Er hatte irgendwie den Sinn seines Leben verloren. Er hatte sich sehr für Musik interessiert. Er hatte sogar eine Zeit lang Saxophon gespielt, da er Jazz-Musik liebte. Doch irgendwann war ihm selbst das egal, das machte zumindest den Eindruck. Er griff sogar öfters zu Partydrogen. Wir versuchten es ihm auszureden, ohne Erfolg. Kira hatte sich oftmals heftig mit ihm darüber gestritten.“ Die Informationen rauschten durch Itoes Kopf. Nun sah sie Miro in einem vollkommen anderen Licht. Wer war dann der Miro, den sie kennengelernt hatte? War das alles nur Fassade? „Jetzt hab ich dir sicher ein ganz schlechtes Bild von ihm gemacht“, meinte Ren schuldbewusst, „du musst bedenken, dass Miros Krankheit ihn zu vielen Dingen verleitet hatte. Wir wissen nicht, was wir in seiner Situation getan hätten.“ Itoe stimmte ihm zu. „Richtig.“ „Vielleicht mag dir Kira irgendwann mehr von seinem Bruder erzählen. Wenn du endlich mit ihm reden würdest...“ Itoe blickte still in ihren Kaffeebecher, den sie schon seit einigen Minuten nicht angerührt hatte. Der Kaffee darin war bereits kalt. „Ich denke nicht, dass er mit sich reden lässt. Meintest du nicht selbst vorhin, dass er niemanden mehr an sich heran lässt, wenn er hintergangen wurde?“ Ren seufzte leise. „Ja, das habe ich. Aber du bist seine Frau, Itoe. Das ist etwas anderes. Ich hätte schließlich auch nicht gedacht, dass er irgendwann mal heiratet.“ Wenn du wüsstest... „Bitte versprich mir, dass du mit ihm sprichst. Es wird Zeit, dass ihr euch endlich versöhnt“, fügte Ren hinzu und lächelte zuversichtlich. Wenn das doch so einfach wäre. „Ich verspreche es.“ Ren hätte sie nicht in Ruhe gelassen, solange sie ihm dieses Versprechen nicht gab. „Noch ein Stück Kuchen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)