Don't Lose Heart von Peacer ================================================================================ Prolog: Faint of Heart ---------------------- Es war ein sehr unangenehmes Aufwachen. Ich blinzelte ein paar Mal, aber meine Augen brauchten wohl noch ein bisschen länger, also konzentrierte ich mich stattdessen vorerst auf das größere Problem: meine stechenden Kopfschmerzen. Da hatte ich mich wohl ordentlich hingelegt. Das war das erste Mal, dass mir schwarz vor Augen wurde und dabei hatte ich über die Jahre der Tollpatschigkeit einen richtigen Dickschädel entwickelt. Kopfschmerzen waren eine neue Erfahrung, normalerweise blieb ich glücklicherweise verschont. Ich setzte mich vorsichtig auf und rieb mir die Augen. Dann putzte ich meine Brille notdürftig mit dem Rand meines T-Shirts. Verschmiert sah der Gang, in dem ich mich befand, aber noch immer unvertraut aus, stählern und mit zig Rohren und Gittern und schwammigen Lichtern, und langsam (was ich auf meine Kopfschmerzen schob) wurde mir klar, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Ich blinzelte noch mal, das Bild verschwamm kurz, blieb aber dasselbe und mein Herz entschied sich in dem Augenblick einen Fluchtversuch zu starten und hämmerte wie wild in meiner Brust. 'Oh Gott, ich wurde entführt!', war mein erster panischer Gedanke. Den gab ich aber ziemlich schnell wieder auf, weil a) weit und breit keine Entführer zu sehen waren, b) ich weder gefesselt noch geknebelt oder auch nur eingesperrt war und c) ich noch immer meine Tasche hatte. Mit wenig Hoffnung öffnete ich diese und war überrascht, als ich ein sorgfältig zusammengerolltes, leicht gelbliches Papier sah, welches ich sogleich inspizierte. Sah aus wie eine Schatzkarte und zudem irgendwie vertraut. Ich versuchte mich vergeblich zu entsinnen, woher die kam – eine D&D Sitzung vielleicht? Meine Kopfschmerzen machten meinen Überlegungen einen Strich durch die Rechnung und schulterzuckend packte ich sie zurück. Abgesehen davon fand ich noch mein Orthopädie- und Kardiologiebuch, mit denen ich im Notfall wohl jemanden eins über den Schädel ziehen konnte, mein Schreibheft, eine halbvolle Flasche Wasser, einen Regenschrim, Deo, Taschentücher und natürlich kein Handy. Das lag bestimmt wieder zu Hause auf dem Schreibtisch und verstaubte. Seufzend packte ich wieder zusammen und erhob mich, eine Hand an der Wand als mir prompt schwindelig wurde. Die aufkommende Übelkeit schluckte ich entschlossen hinunter und stolperte den Gang entlang, in der Hoffnung, jemanden zu finden, und seien es meine inkompetenten Entführer. Alles war besser als verloren herumzusitzen und zu verzweifeln. Die erste Tür, an der ich vorbeikam, war verschlossen. Die zweite führte in einen geräumigen, aber menschenleeren Raum, der wohl als Speisesaal diente, was ich haarscharf an dem langen Tisch und den Stühlen erkannte. Als nächstes kam ich zu zwei Treppen und ich erklomm ohne lange zu zögern die nach oben führende. Wenn mich The Texas Chainsaw Massacre eins gelehrt hatte, dann dass Keller tunlichst zu vermeiden waren. Am Ende der Treppe war eine massive Tür mit Drehrad, wie man sie von den riesigen Safes in Banken kannte. Ich wäre wohl verzweifelt, aber zum Glück (yay me) war sie nur angelehnt und schwang mühelos auf und gab einen wunderbaren Anblick frei: blauer Himmel, eine viel zu grelle aber trotzdem sehr willkommene Sonne (erst jetzt wurde mir wirklich klar, wie düster es drinnen war), kurzum Freiheit. Mit neuem Mut trat ich hinaus, die Augen zusammengekniffen gegen das böse Licht, welches sich tausendfach in den Wellen reflektierte – Moment mal. Ich blinzelte und zwang meine Augen trotz Schmerzen etwas größer auf. Das Meer blieb. Weit und breit nichts als blaues Nass. Mit zitternden Knien taumelte ich zur Reling des Schiffes, um mich daran festzuklammern. Wie lange war ich ohnmächtig, dass man mich bis mitten ins Nirgendwo hatte verschleppen können? Das erklärte wohl auch den Mangel an Fesseln. Ich konnte eh nirgends hin, kein Land weit und breit. Ich atmete tief die salzige Seeluft ein, unterdrückte panische Übelkeit und konzentrierte mich auf die hübschen Wellen, die das gelbe Schiff erzeugte. Dann fiel mir eine Schrift auf der Seite des Schiffes auf und ich lehnte mich ein bisschen nach vorne, um sie genauer zu betrachten. Schlechte Idee. Ich kippte beinahe vornüber, als ich ein mir nur allzu bekanntes Zeichen entdeckte. Meine Hände umklammerten die Reling, während ich mich in Verleumdung flüchtete. Mehr brachte mein Gehirn gerade nicht zustande. „Hey!“ Ich wirbelte herum, was meinem Schwindel nicht allzu gut tat, und erblickte einen aufrecht gehenden Eisbär in orangenem Overall, der mich irritiert ansah. Natürlich. „Wer bist du? Und was machst du hier?“, fragte Bepo, Mitglied der Heartpiraten, und als Antwort kotze ich ihm vor die Pfoten. Kapitel 1: Chicken-Hearted -------------------------- Bepo erholte sich sehr viel schneller von seinem Schock und machte seiner Entrüstung mit einem gellenden Schrei Luft, während ich nur peinlich berührt weg von dem Produkt meines ersten, grandiosen Eindruckes stolperte und mich unter anderem wunderte, wie zum Teufel ich ihn gerade verstanden hatte. Mein Japanisch beschränkte sich auf ein paar Worte und oft genutzte Sätze aus Animes, aber das hier hatte ich wie meine Muttersprache verstanden. Lange blieb mir allerdings nicht, um mich darüber (und alles andere) zu wundern. „Oho, was haben wir denn hier?“ Der erste Heartpirat tauchte auf, welcher wohl in der Nähe des Deckes herumgelungert hatte und somit am ehesten vor Ort war. Er kam mir nicht bekannt vor, aber das war bei Laws größtenteils unbekannter Crew nicht wirklich ein Wunder. Wie jeder von ihnen trug auch er einen weißen Overall mit dem Heart-Smiley und eine Mütze, welche in seinem Fall ein unförmiges hellblaues Ding mit einem Dutzend Zöpfen war, die nahtlos in die gleichfarbigen Haare überging und insgesamt den Eindruck einer toten Qualle verlieh. Die Augen waren nicht zu sehen, dafür aber ein breites Grinsen auf einem noch breiteren Mund. „Hallo“, antwortete ich mit leicht – okay, sehr – zittriger Stimme und lächelte tapfer, wenn auch etwas verkrampft, während mein Herz weiterhin wie wild pochte. Toll, ich hatte ein japanisches Sprachmodul mit auf die Reise bekommen. Das machte die Situation ein klein wenig besser. Wahrscheinlich. Sein Grinsen wurde wenn möglich noch breiter und gruseliger als er mich musterte und ich verschränkte instinktiv die Arme vor der Brust. Am liebsten hätte ich mich irgendwo versteckt. „Ooh, das ist sooo interessant, das muss ich gleich weitererzählen. Oder soll ich doch warten und sehen, wie es sich entwickelt? Schwierig schwierig. Erster sein oder komplette Geschichte aus erster Hand erfahren, mmh. Wer bist du, Schätzchen?“ Spätestens jetzt war mein Lächeln nur noch eine verkrampfte Grimasse und ich brauchte eine Weile, bis ich die Frage aus dem Redeschwalle registrierte. In dem Augenblick kam allerdings ein zweiter Pirat durch die Tür geprescht und rannte den gruseligen Grinsekopf beinahe über den Haufen. „Oi, was ist hier los?“ Dieser trug eine knallrote Kappe verkehrt herum auf seinem unbändigen, blonden Schopf und ein paar Strähnen fielen ihm in die dunklen Augen, die mich erfassten und in dem Bruchteil einer Sekunde als Feind einstuften. „Eindringling!“, rief er laut und bevor ich mich versah wurde ich auch schon mit einem enthusiastischen Tackle von den Füßen gerissen. Mir blieb die Luft weg als ich aufschlug und mein Kopf schon wieder gegen den Boden knallte. Mein Schrei erstickte mir im Hals und tausend schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, die ich nur mit mühsam kontrolliertem Atmen wieder unter Kontrolle bekam. Als meine Sicht sich wieder klärte fand ich mich unter dem Heartpirat wieder, die Arme an die Seite gepinnt, Beine unter seine Knie eingeklemmt, ein schrecklich raubtierartiges Grinsen aus spitzen Zähnen nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. „Damit hast du wohl nicht gerechnet, was? Erst schlagen, dann fragen, das ist meine Devise!“ Ich war völlig überrumpelt, in jedem Sinn, und konnte ihn nur verdattert und vor allem eingeschüchtert anstarren. Ich fragte mich, ob tacklen als schlagen zählte oder ob das der nächste Schritt war und schluckte schwer. Das letzte Mal hatte ich mich in der Grundschule geprügelt und das war nicht gegen einen trainierten Kämpfer gewesen. Selbst so hatte ich recht unangenehme Erinnerungen daran. „Shark, du ungehobelter Flegel, so bekommt man doch keine Antworten. Überlass das lieber mir“, sagte Blauhaar in einem viel zu gut gelaunten, eifrigen Ton als dass ich wirklich beruhigt war. Trotzdem war er mir vergleichsweise augenblicklich weitaus sympathischer als das Raubtier über mir. „Vor allem nicht, wenn man überhaupt keine Fragen stellt“, murmelte Bepo. „Seid still! Ich habe noch gar nicht angefangen!“ „Tut mir leid“, entschuldigte sich Bepo und ließ den Kopf hängen. Blauhaar hingegen stemmte ungeduldig die Hände in die Hüften. „Dann mach schon! Ich will heute noch die Neuigkeiten verbreiten!“ „Ich wäre ebenfalls äußerst an der Geschichte interessiert“, meldete sich nun eine neue und doch sehr bekannte Stimme zu Wort und ich musste nicht hinsehen um zu wissen, dass Law in der Tür stand. Natürlich sah ich trotzdem hin. Selbst wenn mein inneres Fangirl nicht wäre, hing mein Schicksal doch von diesem Mann ab...leider. Ein guter erster Eindruck war eindeutig etwas anderes. Nun, positiv war zumindest, dass er in Wirklichkeit noch sehr viel besser aussah. Negativ war, dass er auch sehr viel bedrohlicher wirkte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie wirklich verstanden, was mit einem gefährlichen Lächeln gemeint war. Nun tat ich es und ich fröstelte. „Ähm“, meinte ich intelligent und schloss den Mund wieder. Das hier war kaum der richtige Zeitpunkt, meinen Hirn-Mund-Filter auszuschalten. Ich hatte das bestimmte Gefühl, ich sollte mir meine Worte genauestens überlegen oder ich würde allzu bald herausfinden, wie ein Seekönig von innen aussah. Im besten Fall, hieß das. „Vielleicht solltest du sie loslassen, Shark. Ich behalte sie im Auge. Kapitän?“ Erst jetzt bemerkte ich Laws Begleitung: ein hochgewachsener Mann mit dunkelblauem Beanie auf leuchtend rotem Haar, welches ihm offen bis weit über die Schultern fiel. Entgegen seiner entspannten Haltung mit den Händen in den Taschen seines Overalls entging seinem azurblauen Blick nichts. Law machte eine wegwerfende Handbewegung und Shark ließ von mir ab, auch wenn er in der Nähe bereit stehen blieb. Als ob ich irgendjemanden angreifen würde. Oder könnte. Mühsam rappelte ich mich in eine sitzende Position und rieb mir den Kopf. Ich betete, dass ich Law nicht auch noch vor die Füße kotzte und erhob mich auf meine Puddingbeine, deren Ursprung diesmal mehr Nervosität als Schwindel war. Ich verschränkte wieder die Arme vor der Brust, erinnerte mich dann aber, dass das körpersprachlich sehr defensiv und unsicher wirkte, sah in die eisig grauen Augen von Law und befand, dass mir das egal war. Ich war defensiv und unsicher und definitiv eingeschüchtert. Meine Gedanken rasten, aber ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ich hatte eindeutig nicht damit gerechnet auf einen fiktiven Charakter in einer fiktiven Welt zu treffen, der genauso sadistisch wie sexy war. Oder auf seine Crew, die mich ebenso intensiv musterte. Wenn ich etwas hasste, dann im Mittelpunkt zu stehen, vor allem, wenn ich mich nicht mental darauf vorbereiten konnte. Mir war danach, ein Time Out zu erbitten. Mein Gesicht glühte. „Nun, Miss“, sagte Law, der im Gegensatz zu mir entspannt an der Wand des U-Boots lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt (was bei ihm im Gegensatz zu mir Selbstsicherheit ausstrahlte) und mich mit seinem aufmerksamen Blick fixierte, gruseliges, immerwährendes Lächeln nach wie vor auf den Lippen. „Was bringt dich auf mein Schiff?“ Gute Frage. Ich dachte kurz nach, kam zu dem Schluss, dass selbst wenn ich eine gute Ausrede parat hätte und lügen könnte, ich jemanden wie ihn eh nicht hinters Licht führen konnte und beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben. „Nun“, begann ich und zupfte nervös an meinem T-Shirt herum, obwohl es perfekt saß und definitiv nicht zu viel Ausschnitt zeigte. Ich fühlte mich trotzdem entblößt. „Wenn ihr mich nicht gekidnappt habt, dann weiß ich es auch nicht.“ Law hob eine Augenbraue und Bepo grummelte: „Wieso sollten wir dich entführen?“ Wieder eine gute Frage. Was zum Teufel tat ich hier? „Da wir nicht dafür verantwortlich sind bleibt die Frage, wie du es hierher geschafft hast.“ Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich bin hier aufgewacht.“ Die Augenbraue kletterte höher. „Aha.“ „Ich weiß, wie unglaubwürdig sich das anhört, aber wenn ich lügen würde, hätte ich dann keine bessere Erklärung parat?“ Wow, das Argument fand ich gar nicht mal so schlecht. Law schien anderer Meinung zu sein. „Möglicherweise willst du sie einfach nicht mit uns teilen.“ „Ich habe keinen Todeswunsch.“ „Es scheint aber so, immerhin bist du hier. Oder weißt du etwa nicht, wer ich bin?“ „Doch.“ Laws Augen blitzten und ich hatte das ungute Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Ich wusste allerdings nicht was, und das erhöhte meine Angst nur noch bis sie an Panik grenzte. „Und das wäre?“ Mein Mund war sehr trocken und ich versuchte vergeblich, meine Lippen zu befeuchten. „Trafalgar Law, Dark Doctor, Chirurg des Todes.“ Ich zögerte kurz, beäugte seine alte, schirmlose Mütze und den gelben Pullover mit seinem Smiley und riet: „Supernova.“ „Da hat wohl jemand seine Hausaufgaben gemacht.“ Ich rätselte vergeblich, was er damit meinte und beschloss, mich einfach darüber zu freuen, dass ich den Zeitraum zumindest etwas eingegrenzt hatte, indem ich gelandet war. Nach Sabaody, wenn man nach dem Titel von Supernova ging, was er nicht verneint hatte, und offensichtlich vor Punk Hazard, wenn man nach Mütze, Crew und entspannter Attitüde ging. Aber vor oder nach dem Krieg? Und vor allem: war er bereits ein Shichibukai oder nicht? Abgesehen davon waren meine Gedanken in eine Schockstarre verfallen, meinen Körper nachahmend. „Und mit wem habe ich es zu tun?“ Ich haderte kurz, spielte mit dem Gedanken, mich als Rin vorzustellen, kam dann aber zu dem Schluss, dass ich wohl nicht entsprechend auf den Namen reagieren würde. Außerdem war es irgendwie unpassend. „Kim. Einfach Kim.“ Schließlich konnte ich mich nicht mit hübschen Titeln rühmen. Außer vielleicht „die verlorene Weltenwechslerin“. „Nun, Miss Kim, was weißt du noch?“ Langsam aber sicher wurde mir klar, dass das hier kein netter Plausch sondern eine Befragung war (ja, ich war ziemlich naiv) und dass mein Schicksal von meinen Antworten abhing. Und dass Law mich vermutlich für etwas hielt, das ich gar nicht war. Eine Spionin, etwa. Ich zögerte einen Tick zu lange und Shark trat einen drohenden Schritt näher. Ich hob abwehrend die Hände. „Nichts.“ Viel zu viel. „Ich weiß wirklich nicht, was hier vorgeht und bin sicher nicht hier, um euch auszuspionieren oder so.“ Zumindest das war wahr. „Und töten? Immerhin weißt du um mein beträchtliches Kopfgeld.“ Ehrlich? Ehrlich?! Er hielt mich für eine Kopfgeldjägerin? Ich konnte nicht anders als zu lachen, so absurd war der Gedanke. Das war allerdings weder für meine Kopfschmerzen noch für meinen zweiten Eindruck zuträglich. „Ich töte nicht mal Insekten, wenn es sich vermeiden lässt. Und überhaupt, wie sollte ich das anstellen?“ Laws Blick fiel daraufhin auf meine Handtasche. Oh. Wieder zögerte ich. Mir behagte es nicht, mich von meiner Tasche zu trennen. Es war nicht nur das einzige, was mir in dieser fremden Welt geblieben war, es war auch privat. Es war mein Besitz und es ging niemandes etwas an, was ich darin aufbewahrte. Vor allem aber war ich mir ganz und gar nicht sicher, wie Law auf den Inhalt reagieren würde, und damit meinte ich nicht meinen rosafarbigen Regenschirm. Ich hatte zwar kein Handy dabei, aber meine Medizinbücher würden ihn bestimmt brennend interessieren. Genauso wie die Schatzkarte, bei der mir jetzt erst klar wurde, dass sie die Neue Welt zeigte. Wie auch immer sie in meinen Besitz gelangt war, ich hatte das Gefühl, ich sollte sie gut aufbewahren. Sie war mein einziger Hinweis, wie ich hier gelandet war und wie ich möglicherweise wieder zurück nach Hause kam. Andererseits schoss die Anspannung mir jeder Sekunde, die ich zögerte in die Höhe und die Stimmung schlug von relativ entspannt, wenn auch wachsam, auf bedrohlich um. Der Inhalt meiner Tasche würde mir kaum helfen, wenn ich in tausend Stücken auf dem Meeresboden lag. Und vielleicht würde meine Kooperation mich davor bewahren. Mein direktes Überleben war gerade wichtiger als irgendwelche zukünftigen Konsequenzen. Also nahm ich meine Tasche ab, langsam, ohne bedrohlich zu wirken (das dürfte nicht allzu schwierig sein, ich meine, seht mich an) und ließ sie auf den Boden gleiten, ehe ich widerwillig ein paar Schritte zurücktrat. „Ich glaube, das einzig gefährliche sind die Bücher, die ich jemandem potentiell über den Kopf ziehen könnte. Aber überzeugt euch selbst.“ „Sie könnte explodieren“, gab Shark aufgeregt zu bedenken, auch wenn ihn das nicht im geringsten abzuschrecken schien. Eher das Gegenteil. „Dann würde ich kaum direkt daneben stehen bleiben“, antwortete ich, ehe ich es mir besser überlegen konnte. Mit Sarkasmus machte man sich selten Freunde. Shark aber schien meine Antwort nicht im geringsten zu interessieren. Stattdessen nahm er auf ein Kopfnicken seitens Law mit Elan meine Tasche auseinander. Bevor er meine kostbaren Bücher achtlos auf den Boden schmeißen konnte, riss ich sie ohne lange zu überlegen an mich. „Vorsicht damit!“ Sie waren neu! Und teuer! Und vor allem hatte ich sehr viel Zeit hineingesteckt, um alles pedantisch zu notieren und in allen möglichen Farben nach meinem persönlichen System anzumalen. Ich drückte sie also schützend an meine Brust. Für mein Schreibheft kam allerdings jede Hilfe zu spät und bald schon lag es umringt von losen Blättern in einem kunterbunten Haufen auf dem Boden. Ich dachte mit Schrecken an meine Fanfictions über eben jenen Mann, der nur ein paar Meter entfernt stand, darunter der Anfang eines peinlichen PWPs, den ich niemanden und schon gar nicht dem Protagonisten zeigen wollte und bückte mich hastig, um alles einzusammeln – und möglicherweise vorsorglich über Bord zu werfen. Die abrupte Bewegung war allerdings eine schlechte Idee und Schwindel und Kopfschmerzen, dank Adrenalin so gut wie vergessen, kamen mit doppelter und dreifacher Kraft zurück. Mit einem ziemlich erbärmlichen Stöhnen fiel ich auf die Knie und ließ meine Bücher zugunsten meines Kopfes fallen, den ich festhielt, als ob er jeden Augenblick davonrollen und explodieren würde. Durch das Rauschen in meinen Ohren hörte ich ihn nicht näher kommen, bis seine schwarzen Schuhe in meinem verschwommenen Blickfeld erschienen. Eine tätowierte Hand hob eines meiner Bücher und ein paar lose Blätter auf, von denen ich hoffte, dass sie nichts peinliches enthielten, auch wenn es mir gerade fast egal war. Ich war müde und verloren und hatte Angst und Schmerzen und keine Geduld für clevere Spielchen mit einem mir weitaus überlegenen Gegner, nur die vage Hoffnung, nicht halbiert im Meer zu landen. „Interessant...“ Nach einer kurzen Pause, in der nur das Umblättern von Seiten zu hören war, ging Law in Befehlston über. „Shark, sammle die Sachen wieder ein und bring sie zu Moki. Kurage, du erklärst ihm die Lage. Ray, hilf unserem“, eine kleine, unangenehme Pause, „...Gast ins Krankenzimmer. Und Bepo, wir tauchen ab.“ „Aye, Kap'tän!“ Einen Augenblick später war das Deck von geschäftiger Aktivität erfüllt und ich wurde auf die Beine gezogen. Ein Arm schlang sich um meine Taille und der rothaarige Beanieträger zog mich ins Innere des U-Boots. Die Tür fiel mit einem unheilvollen, endgültig klingenden Geräusch ins Schloss. Kapitel 2: Auf Herz und Nieren geprüft -------------------------------------- Die Dunkelheit im Inneren des U-Boots war Balsam für meinen Kopf und die Unterstützung Rays genug, um meinen Schwindel zu ertragen ohne durch de Gänge zu torkeln. Das wäre wohl der perfekte Augenblick gewesen, mir einen Plan zu überlegen, wie ich weiter vorgehen sollte, nun, wo die imminente Gefahr gebannt und ich zumindest vorerst in Sicherheit war. Ich tappte allerdings genauso im Dunklen was mein plötzliches Erscheinen und zukünftige Ziele anging wie Law und war nicht in der Verfassung, mir auf die schnelle einen Reim darauf zu machen oder gar Pläne auszuhecken, die ausgeklügelt genug wären, um jemanden wie den Supernova hinters Licht zu führen. Es mochte gegen meine Natur gehen, aber ich würde improvisieren müssen. Ray öffnete eine Tür und die Düsternis wurde von schmerzhaftem, sterilen Licht vertrieben. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf ein typisches Krankenzimmer mit Betten, vielen Gerätschaften und Schränken, ehe ich meine Augen zu winzigen Schlitzen schloss. Ich wurde zu einem Bett bugsiert und darauf platziert, ehe Ray sich zum Eingang des Raumes zurückzog, ein schweigsamer Wachposten. Gut, ich war eh schlecht in Smalltalk. Und flüchten würde ich bestimmt nicht. Wohin auch? Müde schloss ich vollends die Augen und das Pochen in meinem Kopf ließ ein bisschen nach. Das Adrenalin verließ langsam aber sicher meinen Körper und ich fühlte mich, als sei ich einen Marathon gelaufen. Nun, ich hatte eine Welt gewechselt. Das plus meine ungewollte zweifache Begegnung mit dem Boden, die Angst vor Law und meinem ungewissen Schicksal waren an meine Reserven gegangen. Und viele hatte ich momentan nicht, mit anstrengendem Praktikum und Schlafmangel durch Nachtschichten. Das Öffnen der schweren Metalltür beendete mein Dösen und ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Law soeben den Raum betreten hatte. Die Atmosphäre schlug um, wurde bedrohlicher, kalter. Vielleicht war es aber auch nur meine Einbildung. Fakt blieb, Law machte mir tierisch Angst und allein in einem Raum mir ihm zu sein, viele Kilometer unter der Wasseroberfläche, verpasste mir ein flaues Gefühl im Magen, welches rein gar nichts mit meiner vorigen Übelkeit zu tun hatte. Ich blinzelte und sah aus den Augenwinkeln, wie Ray auf eine unmerkliche Bewegung seines Kapitäns wortlos den Raum verließ. Der Schleier der Müdigkeit hob sich kurzzeitig, aber mein Kopf fühlte sich trotzdem noch immer schwammig an. Ob das an meinem angeschlagenen Kopf oder doch an Laws Präsenz lag war unklar. Ich war immer schon überfordert, wenn sexy Männer mit mir redeten, aber es war weitaus schlimmer, wenn diese es mit großer Wahrscheinlichkeit auf mich abgesehen hatten und als Piraten sich eher weniger auf einen Moralkodex basierten. Huh, wer hätte gedacht, dass mir Marine in One Piece je sympathischer erscheinen würden? Hätte ich nicht bei Smoker landen können? Ich machte wohl einen richtig erbärmlichen Eindruck, denn er schien Mitleid zu haben und schwächte das Licht weit genug, damit ich meine Augen öffnen konnte, ohne dass mein Kopf explodierte. So sah ich auch, wie er mich mit diesem berechnenden Lächeln musterte, ehe er wie ein Raubtier, das sich seiner Beute sicher war, gemächlich an mein Bett herantrat und demonstrativ mein Kardiologie-Buch neben mich aufs Bett legte. Ich schluckte und stellte mich auf die unumgehbare Befragung ein. „Übelkeit, Lichtempfindlichkeit, Schwindel und Kopfschmerzen. Diagnose?“ Ich blinzelte. „Wie bitte?“ Law trat an meinem Bett vorbei zu einer Schublade und kramte darin herum. „Bist du immer schwer von Begriff oder liegt es an der Kopfverletzung?“ Ich war zu eingeschüchtert, um entrüstet zu sein und zum Glück geistesgegenwärtig genug, keine dummen Fragen zu stellen, zum Beispiel wie er von meiner Kopfverletzung wusste. Ich dachte über die Frage nach, wobei mein Blick auf mein Buch fiel. „Gehirnerschütterung“, antwortete ich kleinlaut. „Du schleppst die Bücher also nicht nur zum Spaß mit, gut.“ Er trat mit Otoskop, Hämmerchen und Handschuhen bewaffnet zurück an mein Bett und bedeutete mir, mich umzudrehen. Mit einem mulmigen Gefühl drehte ich ihm den Rücken zu, aber er tastete meinen Kopf relativ sanft ab. „Wie ist das passiert?“ Es war klar, dass er nicht nach Sharks Tackle fragte. Mein Gehirn lief trotz allem auf Hochtouren. „Ich weiß nicht genau.“ Ich würde ihm bestimmt nicht auf die Nase binden, dass ich ein riesengroßer Tollpatsch war. Ich zuckte zusammen, als er die geschundene Stelle fand, die nun schon zweimal Bekanntschaft mit dem Boden gemacht hatte. Ich hoffte, dass Law mir die Lüge abkaufte. So lange er mein Gesicht nicht sah, bestand zumindest eine kleine Chance, dass er mich nicht als Lügnerin entlarvte. „Ist das so?“ Er ließ von meinem Kopf ab und tauchte wieder in meinem Blickfeld auf. Seine grauen Augen bohrten sich in meine und ich hoffte, dass er meine verkrampfte, panische Haltung als Angst vor ihm deutete. Wirklich falsch war das nicht mal. Ich fuhr mir mit der Zunge über meine ausgetrockneten Lippen und räusperte mich. „Retrograde Amnesie ist keine Seltenheit bei Kopfverletzungen?“ Ich hatte im Laufe des Satzes mein bisschen an zusammengekratztem Mut verloren und meine Aussage endete als Frage, was Law zu amüsieren schien. „In der Tat. Und äußerst praktisch.“ Ich hatte komischerweise das Gefühl, dass er mir nicht glaubte. Wer hätte das gedacht. Aber zu meiner großen Verwunderung ging er nicht weiter darauf ein. Stattdessen leuchtete er mir ohne Vorwarnung in die Augen und ich blinzelte heftig, als meine Augen zu tränen anfingen. „Welcher Tag ist heute?“ Ein ganz schlechter. Ich zuckte mit den Schultern. Gab es hier überhaupt Wochentage? „Monat? Jahr?“ Ich schüttelte den Kopf. Selbst wenn ich wüsste, wann genau ich in der Timeline gelandet war, hätte ich trotzdem keine Ahnung, was das Datum oder Jahr betraf. Das wurde in One Piece nie wirklich erwähnt, soweit ich mich erinnern konnte. Law hob eine Augenbraue und untersuchte meine Innenohren. „Das wird immer interessanter. Benutzt man bei euch keine Kalender?“ „Wir benutzen einen anderen.“ „So wie ihr andere, fremdsprachige Bücher benutzt?“ Ich sah zu meinem Buch, um Law nicht in die Augen sehen zu müssen. Sah so aus, als ob ein Handy nicht das einzig suspekte Objekt war, welches man bei einem Weltenwechsel vorzeigen konnte. Ich zuckte wieder mit den Schultern. „Wir sind klein und recht abgeschottet.“ Der erste Teil war zumindest wahr. „Und was und wo genau ist dieses „wir“? Gaaanz weit weg, auf einem anderen Planeten. Oder einer anderen Dimension. Woher sollte ich das denn wissen? „Eine Insel im East Blue“, antwortete ich, weil ich mir recht sicher war, dass Law sich dort nicht so genau auskannte. Hoffentlich. Er prüfte meine Reflexe, meiner Meinung nach ein bisschen heftiger als nötig. „Und der Name dieser mysteriösen Insel?“ „Luxemburg.“ Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass die besten Lügen immer einen Korn Wahrheit enthielten. Wenn das stimmte, dann war ich gerade ziemlich genial. „Davon habe ich noch nie gehört.“ „Wie gesagt, winzige Insel. Ich bin ziemlich sicher die Erste, die sich auf so eine Reise begeben hat.“ Wow, ich hatte einen Lauf. „Klein, abgeschottet und mit eigener Sprache. Ich würde auf eine primitive Insel schließen, wären da nicht diese überaus fortgeschrittenen Bücher. Es würde mich brennend interessieren, weshalb die Insel nicht bekannter ist.“ Ich zuckte wieder mit den Schultern. Wenn das so weiter ging würde ich noch Muskelkater bekommen. „Wir bleiben halt gerne unter uns. Fremde machen nur Probleme.“ Wir waren ein bisschen wie Hobbits in der Hinsicht, auch was Bräuche und Gemüt anging. Zudem war ich im Vergleich zu Law und dem Rest der Crew klein, neben Bepo sogar winzig. Nur die haarigen Füße blieben mir zum Glück erspart. Während der Befragung hatte er nicht aufgehört, mich auf Herz und Nieren zu prüfen und mich einer kompletten neurologischen Untersuchung zu unterziehen. Nachdem ich unter anderem unter Beweis gestellt hatte, dass ich nach wie vor meine Backen aufblasen, die Zunge rausstrecken und meine Nase selbst mit geschlossenen Augen finden konnte, ließ er endlich von mir ab. „Scheint alles in Ordnung zu sein. Nichts, was ein bisschen Bettruhe nicht hinbiegen kann, solange du dir nicht noch einmal den Kopf stößt.“ Solange ich Shark also aus dem Weg ging, war ich relativ sicher. In dem Augenblick flog die Tür mit einem schmerzhaften Krachen gegen die Wand und der Tackler höchstpersönlich betrat den Raum. Wenn man vom Teufel sprach. Oder halt an den Hai dachte. „Oi Boss, schau was wir gefunden haben!“ Mir rutschte kurz das Herz in die Hose, als ich mir das schlimmste ausmalte: die Entdeckung meiner freizügigen Fanfictions. Als Shark die Schatzkarte triumphierend in die Höhe hielt, war ich ein bisschen beruhigt. Law überflog die Karte. „Nun, Miss Kim. Was hast du dazu zu sagen?“ 'Gott sei Dank ist es die Schatzkarte und nicht die Fanfictions.' „Das ist meine Schatzkarte.“ Duh. Laws Lächeln verblasste und ich erbleichte. „Ich mag keine Besserwisser, Miss Kim.“ Oh Gott, Memo an mich selbst: keine schnippischen Kommentare. Das war potentiell ungesund. „Ich auch nicht!“ Immer dem bösen Piraten zustimmen. „Ich meinte nur, dass ich nicht wirklich etwas darüber weiß, was für ein Schatz es ist oder so.“ „Du hast dich also ohne jegliche Informationen auf eine Schatzsuche begeben?“ Nun, im Grunde hatte ich mich lediglich unfreiwillig auf ein feindliches Piratenschiff teleportiert, aber ja? „Ist die Suche nach One Piece nicht ähnlich?“ Zumindest war sein immerwährendes Lächeln zurück. Phew. „Warum sich mit kleinen Fischen abgeben?“ „Weil mich Größere fressen. Meine kleine Schatzsuche ist mehr als genug für mich.“ Mit Betonung auf mehr. Die Paradies-Hälfte der Grand Line war schon drei (fünf, zehn) Nummern zu groß für mich, die Neue Welt war ein sicheres Todesurteil. Aber es war mein einziger Hinweis auf eine mögliche Rückkehr nach Hause. Ich würde es wohl oder übel riskieren müssen. Law musterte mich, ehe er sich an Shark wandte. „Hat Moki irgendetwas rausgefunden?“ Shark schüttelte den Kopf. „Nichts. Er ist am Durchdrehen. Meint, es wäre fast so, als würde sie gar nicht existieren.“ Uh-oh. Das hörte sich nicht gut an. „Wir werden sehen.“ Law entließ Shark, der eindeutig enttäuscht aussah. Vielleicht hatte er gehofft, mich als Punching Bag benutzen zu dürfen? Aber ich hatte dringendere Probleme. Nämlich einen gewissen Chirurg des Todes, der mich musterte, als ob er sich gerade ausrechnete, wie viel ich wert war und das Resultat ihn nicht zufrieden stellte. „Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.“ „Ich-“ Ich verstummte, als mir Law einen bedrohlichen Blick zuwarf. Auweia. „Ebenso wenig mag ich Halbwahrheiten, die versuchen, mich in die Irre zu führen.“ Ich hielt seinem Blick nicht länger stand und sah schuldig zu Boden. Das war's dann wohl. Gleich durfte ich mich höchstpersönlich von der Existenz von Seekönigen überzeugen. Wenn er gnädig war. „Aber ich werde die Wahrheit noch herausfinden“, versprach der Chirurg des Todes. „So oder so.“ Sein Blick war berechnend. Dann packte er plötzlich eine gefährlich aussehende Nadel aus. Okay, es war eine ganz normale, nicht mal besonders große Nadel (ich ging Blut spenden, mich schockte nichts mehr so leicht), aber in Laws Händen sah alles bedrohlich aus. Mochte an den Death Tattoos liegen, mmh. Er hob eine Augenbraue und ich schob widerwillig meinen Ärmel hoch. „Angst vor Nadeln, Miss Kim?“, fragte er eindeutig höhnisch. Nein, nur Angst vor Chirurgen des Todes. Die waren schon schlimm genug ohne potentielle Waffen. Ich verzog den Mund. „Nein. Ich wundere mich nur, warum das nötig ist?“ „Ich bin gerne gründlich, Miss Kim“, gab er als Nicht-Antwort zurück und bedachte mich mit einem vielsagenden Blick. „In jeder Hinsicht.“ Oh Gott, das war eindeutig ein Versprechen, dass er die Antworten aus mit rauskitzeln würde. Ich war so tot. Sorgfältig stöpselte er die Blutabnahme und ich blinzelte. Vorerst würde ich wohl noch nicht leiden. Das hatte ich gar nicht gespürt. Law grinste, als ob er meine Gedanken lesen konnte. „Das war doch gar nicht so schlimm, nicht wahr?“ Wenn er mir jetzt ein Bonbon anbot, machte ich mich aus dem Staub. Vielleicht konnte ich mich durch ein Bullauge in die Freiheit quetschen und einen Seekönig um eine Mitfahrgelegenheit bitten. Ich wünschte, er würde böse schauen. Das war weitaus weniger verstörend. Er schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht schlau aus dir. Entweder bist du wirklich so naiv und schusselig wie du dich ausgibst und somit der größte Glückspilz, der mir je begegnet ist, oder aber die beste Schauspielerin, die ich je das zweifelhafte Glück hatte, zu begegnen.“ „Wie genau bin ich ein Glückspilz?“, fragte ich etwas fassungslos mit einer weitläufigen Handbewegung, die meine derzeitige Situation als einsamer Geisel-Gast mit Gehirnerschütterung nur unzureichend erfasste. Law fixierte mich. „Du lebst noch.“ „Oh.“ Ich nickte. „Ja, natürlich, riesengroßer Glückspilz. Danke.“ Er stand auf. „Du wartest hier, bis ich entscheide, was ich mit dir tun werde. Ich fürchte allerdings, wir haben keine Schmerzmittel mehr. Viel Glück mit den Kopfschmerzen“, log er unverfroren und so offensichtlich, dass sogar ich es bemerkte, ein teuflisches Grinsen auf den Lippen und verließ den Raum. Kapitel 3: Racing Heart ----------------------- Ich hatte bisher noch nie jemanden gehasst. Nicht sonderlich gemocht, ja, aber wirklich gehasst? Dazu war ich zu versöhnlich. Law aber kam sehr nahe, der erste zu sein. Vermutlich, weil ich gerade am anderen Ende des Spektrums von versöhnlich war. Ich war wütend und verzweifelt und vor allem machtlos, irgendetwas daran zu ändern, das hatte Law mehr als nur klar gemacht. Dabei hätte ich das auch ohne ihn gewusst, vielen Dank. Wie schnell Bewunderung doch verschwinden konnte. Ich wusste gerade nicht mehr, weshalb ich ihn als Charakter je gemocht hatte. Wahrscheinlich war er auf Distanz weitaus sympathischer, so lange man sich nicht selbst mit ihm auseinandersetzen musste. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, aber die Tränen unterdrückte ich trotzdem erfolglos. Ich war schon immer nahe am Wasser gebaut gewesen, aber gerade jetzt frustrierte mich das ungemein, wobei die Frustration es nur noch schlimmer machte. Ich konnte nur hoffen, dass Law oder sonst wer nicht reinschauen würde. Ich war mir sicher, dass ich auch ohne zu heulen ein klägliches Bild abgab. Ablenkung! Ich rutschte schniefend vom Bett und machte mich an die Erkundung des Raumes. An Bettruhe war nicht zu denken. Als ob ich mich nach alledem entspannen könnte. Außerdem schien Law meine Kopfschmerzen verschreckt zu haben, denn ich fühlte mich schon ein wenig besser. Zumindest in der Hinsicht. Die Schränke und Schubladen enthielten nur langweiliges Medizinzeug, wie ich es schon hunderte Male im Krankenhaus gesehen hatte. Nur dass ich kein einziges der Medikamente hier kannte und sie es mit genauer Beschriftung und Packungsbeilage wohl nicht so hatten. Nun, damit erübrigte sich wohl die Frage, ob Law es bemerken würde, wenn ich mir trotzdem ein Schmerzmittel einwarf. Meine nächste Entdeckung war weitaus interessanter – und gruseliger. Faszination kämpfte mit Ekel, als ich das Herz im Glas betrachtete. Es schlug nicht mehr und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Es bedeutete wohl eher nichts Gutes. Law schien mir nicht der Typ, der nur so zum Spaß... dekorierte. Ich war überzeugt, dass er sich daran ergötzte, Leute zu verstören. Wo war ich bloß gelandet? Mal davon abgesehen hatte ich eine böse Vorahnung, dass es nicht das einzige Herz bleiben würde. Und die nächsten würden vermutlich schlagen. Hoffentlich? Schon komisch, wenn man auf schlagende Herzen hoffte. Mein Kopf pochte und ich ließ mich wieder auf dem Bett nieder. Da war ich in was reingeraten und ich hatte keine Ahnung, wie ich wieder rauskam. Ich hoffte gar nicht erst darauf, dass ich irgendwann aufwachte. So schräg die Situation auch sein mochte, sie war trotzdem viel zu realistisch als dass es einer meiner verrückten Träume sein könnte. Ich meinte, ich konnte weder fliegen noch Feuerbälle beschwören oder gar die Macht einsetzen, um Gegenstände zu bewegen. Und obwohl ich es mit furchteinflößenden Leute zu tun hatte, waren sie immer noch allemal besser als diverse Monster. Ich sah zum Herz im Glas. Vermutlich. Dann fiel mein Blick auf die Tür und ich begann mit mir zu hadern. Es mir mit Law zu verscherzen war das letzte, was ich wollte und sein Befehl, hier zu bleiben, wo ich mich ausruhen konnte, war gar keine so schlechte Idee. Er schien meine Kopfverletzung zwar soweit eingeschüchtert zu haben, dass ich mich nicht mehr ganz so schlecht fühlte, aber fit war ich trotzdem noch nicht wieder. Andererseits war ich noch nie jemand gewesen, der lange still sitzen konnte, vor allem ganz ohne Beschäftigung. Und ich war noch nie auf einem U-Boot gewesen. Meine Neugierde ging einen Kompromiss mit meinem Verstand ein und ich beschloss, dass ich zumindest testen konnte, ob die Tür abgeschlossen war. Und eventuell den Kopf raus strecken konnte. Den Entschluss gefasst, glitt ich vom Bett und schlich zur Tür, als ob Law jeden Augenblick hereinstürmen und mich shamblen könnte, wenn er sah, dass ich auch nur daran dachte, mich seinem Befehl zu widersetzen. Meine Vorsicht rettete mich, als die Tür aufflog und mich um Haaresbreite verfehlte. Instinktiv duckte ich mich, hielt mir die Hände über meinen armen Kopf und wich zurück. „Ich wollte nur, eh, nach einer Toilette suchen!“ Ich rechnete damit, wieder getacklet oder in Stücke zerlegt zu werden, aber als ich nach ein paar Sekunden immer noch heil war, wagte ich einen Blick auf meinen unerwarteten Besucher. Es war weder Shark, noch Law und ich atmete innerlich auf. Es war zwar niemand, den ich kannte, aber das freundliche Lächeln auf dem rundlichen Gesicht und der schiefe Kochhut auf seinen fröhlich braunen Locken machten einen guten Eindruck auf mich. Genau wie das Tablett voll wunderbar aussehenden und köstlich riechendem Essen, das er in den Händen hielt. Ich lächelte hoffnungsvoll zurück und mein Magen gab ein zustimmendes Knurren von sich, vorige Übelkeit augenblicklich vergessen. Der Verräter. „Die Toilette ist gleich dort drüben.“ Der Koch, wie ich von seinem, nun, Kochhut schloss, nickte in die Richtung einer offensichtlichen Badezimmertür. „Oh. Danke.“ Verlegen schob ich mich ins Bad, meinen Besucher nicht aus den Augen lassend, und schloss dann mit einem erleichterten Seufzen die Tür. So langsam wurde mir das alles ein bisschen zu viel. Ich wollte mich irgendwohin verkriechen und das alles zuerst einmal verdauen. Das Badezimmer war dabei ein vertrauter Ort, um mich ein bisschen zu sammeln. Ich stütze mich auf dem Waschbecken ab und begutachtete den Schaden erst einmal im Spiegel. Meine Augen waren leicht gerötet und noch kleiner als üblich hinter der starken Brille, mein Gesicht aschfahl, meine Haare noch zerzauster als sonst. Nun, zumindest das konnte ich verbessern. Ich löste meinen Zopf, schüttelte meine lockige Mähne durch, kämmte sie notdürftig mit meinen Fingern und knotete sie dann neu zusammen. Auf eine aufwendige Frisur hatte ich weder Lust noch Nerven. Ich hatte nicht vor, irgendjemanden zu beeindrucken. Die Gelegenheit hatte ich sowieso schon verpasst. Dann wusch ich mir das Gesicht noch mit kaltem Wasser, was zwar nichts an meinem Aussehen änderte, mich aber gleich besser fühlen ließ. Ich atmete noch ein paar Mal tief durch, richtete mich dann auf und öffnete entschlossen die Tür. Ich war bereit. Dachte ich zumindest. Der Anblick des Essens, das erstaunlich geschmackvoll auf dem Beistelltisch eines Krankenbettes angerichtet worden war, kam dann doch recht unerwartet. Aber zumindest war es zur Abwechslung mal eine nette Überraschung. „Wow.“ Der Koch, der gerade noch das Besteck pedantisch zurecht gerückt hatte, obwohl es längst in einem perfekten Winkel zu Tisch und Teller lag, drehte sich schwungvoll um und schenkte mit ein strahlendes Lächeln. „Ich hoffe, du hast Hunger!“ Bevor ich mich versah, bugsierte er mich auch schon zum Essen und platzierte mich auf den Stuhl. „Iss!“ Nun, das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Trotz mulmigen Gefühl im Magen wegen der ganzen abstrusen Situation hatte ich einen Mordshunger. Jegliche Bedenken verschwanden augenblicklich, sobald ich den ersten Bissen nahm. Ich war in der Regel kein großer Fischesser, aber dieser hier war perfekt zubereitet. Und die Sauce! „Mmmh“, brummte ich mit vollem Mund und sah auf. Direkt in die Augen des Kochs, der mich unheimlich anstarrte. Ich verschluckte mich beinahe, spülte den Klumpen mit einem Schluck Wasser hinunter und räusperte mich. „Es ist sehr lecker“, versuchte ich ihn zu besänftigen und tatsächlich schienen das die richtigen Worte zu sein, denn er strahlte mich an, gruseliges Stalker-Verhalten augenblicklich vergessen. „Yay! Ich habe mir extra Mühe gegeben, ich dachte mir du seist hungrig, ganz allein in diesem Raum, und diese Umgebung, also der Fisch ist ganz frisch, nur der Reis ist aufgewärmt, das würde der Kapitän allerdings nie essen, aber Brot mag er nicht...“ Ich verlor den Faden bei dem unzusammenhängenden Redeschwall, aber das schien den Koch nicht zu stören, als er munter weiter plapperte und mir vom Kochen, Kapitän und Kämpfen erzählte, nicht unbedingt in der Reihenfolge und schon gar nicht mit nachvollziehbaren Zusammenhang. „... ich bin übrigens Fugu, schön, dich kennen zu lernen.“ Als die Pause etwas länger andauerte, wurde mir klar, dass er mir tatsächlich die Gelegenheit bot zu antworten. „Kim!“, rief ich schnell, ehe er es sich anders überlegen konnte. Ich lächelte verlegen. „Ähm, ich heiße Kim. Auch schön, dich kennen zu lernen, Fugu-san. Und vielen Dank für das wunderbare Essen.“ Das war absolut ehrlich gemeint. Fugu verbeugte sich schwungvoll und sein glückliches Lächeln war ansteckend. Ich war so erleichtert, endlich jemanden gefunden zu haben, der nett war, dass ich ihn am liebsten umarmt hätte. Da ich ihn aber noch keine fünf Minuten kannte, aß ich stattdessen lieber weiter, was ihn mindestens genauso zu freuen schien. So waren wir beide glücklich. Zum Glück übernahm Fugu es, ein Gespräch in Gang zu bringen. Oder zumindest einen Monolog, indem er weiter plapperte, das Thema öfter wechselte als ich schlucken konnte und dabei durch den Raum wuselte und Sachen umher schob nur um sie dann wieder zurecht zu rücken. „Ich hätte da mal eine Frage.“ Ich erstarrte, der Bissen auf einmal zu groß, um ihn runterzuschlucken. Ich hatte mich so wohl gefühlt, dass ich einen Augenblick ganz vergessen hatte, wo genau ich hier war und auf eine weitere Befragung gar nicht gefasst war. Mir war plötzlich kalt. „Was ist dein Lieblingsessen?“ „Huh?“, fragte ich mit vollem Mund, ehe ich mühsam schluckte. Fugu starrte mich intensiv an, als ob er die Antwort auf seine unerwartete Frage in meinen Augen zu lesen versuchte. Dabei kannte ich die Antwort selbst nicht. Ich aß praktisch alles und mochte vieles. „Kartoffelbrei?“ Er nickte ernst, als ob er genau diese Antwort erwartet hatte. „Ja ja, eindeutig ein Kartoffel-Typ. Das habe ich mir schon gedacht.“ „Ach so?“ Nun, zumindest beruhigte sich mein Herzschlag langsam wieder von dem Schreck. Fugu war zwar verrückt, aber nicht gemein. Damit kam ich klar. Verrückte waren mir eh am liebsten. Geistesverwandte und so. „Jup. Die Kartoffeln sieht man dir an.“ Bevor ich mich wundern konnte, ob das eine Beleidigung, ein Kompliment oder doch keins von beidem war, plapperte Fugu auch schon wieder darauf los. Mit einem mentalen Schulterzucken ergriff ich die Gelegenheit, den Rest meines Tellers zu verschlingen. Schließlich wusste ich nicht, wann ich wieder etwas zu essen bekommen würde. Die Entscheidung bewährte sich, als im nächsten Augenblick ein heftiges Ruckeln durch das U-Boot ging und der nun glücklicherweise leere Teller vom Tisch rutschte und zerbrach. Etwas schuldbewusst hielt ich mich an meinem Glas fest, welches ich gerade noch gerettet hatte, während Fugu mit weit aufgerissenen Augen die Scherben anstarrte. Ich schluckte. Da hatte ich es mir wohl mit dem einzig netten Piraten verscherzt. Ein weiteres Ruckeln ließ den Inhalt der Schränke ominös klirren und riss Fugu aus seiner Erstarrung. „Meine Küche!“, rief er entsetzt, wirbelte herum und hastete zur Tür hinaus ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Kurz schwankte ich zwischen Entrüstung, ohne Zögern einfach zurückgelassen zu werden und Erleichterung, dass er mich wegen dem zerbrochenen Tellers nicht hasste. Im nächsten Augenblick war ich zu sehr damit beschäftigt, nicht vom Stuhl zu fallen und mir den Kopf ein drittes Mal zu stoßen, als das U-Boot eine abrupte Kurve einlegte und noch heftiger bebte. Panik hatte jetzt ganz klar Vorrang. Entfernte Rufe erklangen und mein Blick fiel unwiderruflich auf die sperrangelweit offen stehende Tür, die mir einladend mit jedem Ruckeln zuwinkte. Jetzt hatte ich wohl nicht mehr die Entschuldigung eines Schlosses und selbst die Gefahr, erwischt zu werden, schien dem Lärm zufolge gering. Die Heartpiraten hatten gerade besseres zu tun, als sich mit neugierigen Gästen zu beschäftigen. Ich schlich also mit wild klopfendem Herzen zur Tür – und taumelte mit einem erschrockenen Quietschen auf den Gang, als ein weiteres Ruckeln mein Gleichgewicht in arge Bedrängnis brachte. Gut, dass ich nicht in Naruto gelandet war, Ninjamaterial war ich eindeutig nicht. Der Gang war noch immer gruselig mit seinem künstlichen Licht und den ganzen Rohren und Kabeln und kam mir irgendwie schmaler vor als zuvor. Das konnte aber auch an meiner aufkeimenden Panik mit dieser Blechbüchse zu versinken liegen, die ich nur zurückgedrängt bekam, indem ich mir sagte, dass das Law laut Plot nicht passiert war. Wenn ich also abkratzte, dann weil er mich beim Rumschleichen erwischte. Beruhigend. Dementsprechend schlug ich also die den Schreien entgegengesetzte Richtung ein. Vollkommen orientierungslos hatte ich eh keinen wirklichen Plan, nur die vage Hoffnung, zufällig meine Sachen zu finden und das am besten ohne jemand anderem zu begegnen. Ich war halt eine unverbesserliche Optimistin. Ein paar wacklige Meter und Abbiegungen später wurde mir dann aber klar, dass es wohl doch unrealistisch war darauf zu hoffen, dass ich im Gang fündig werden würde, also presste ich prompt das Ohr gegen die erstbeste Tür und lauschte. Schlechte Idee, denn beim nächsten Ruck machte ich ein bisschen näheren Kontakt mit dem harten Stahl als mir lieb war. Ich nahm es als Zeichen und torkelte mit dröhnendem Kopf weiter. So wie ich mich anstellte, brauchte ich nicht mal Laws Hilfe, um mich umzubringen. Dann ertönten hastige Schritte, die sich eindeutig in meine Richtung bewegten und panisch suchte ich in dem nächstbesten Zimmer Zuflucht, ganz ohne zu taumeln oder mich zu stoßen. Ich wäre beinahe stolz, bis mir auffiel, dass ich es versäumt hatte nachzusehen, ob das Zimmer leer war. Was es natürlich nicht war. Wieso war ich noch gleich Optimistin? Mein Blick fiel auf meine Tasche, die der Heartpirat gerade als Kopfkissen benutzte und seelenruhig vor sich hin murmelte, dem Chaos im U-Boot zu trotz. Ah, deswegen. Glück im Unglück. Mehr oder weniger. An die Sachen in der Tasche, wie die ersehnte Dafalgan Tablette, kam ich somit wohl nicht heran. Mein Schreibheft hingegen lag neben Sleepy auf dem Tisch, nur leider aufgeschlagen. Wenn das nicht beunruhigend war. Und von der Schatzkarte fehlte nach wie vor jede Spur, aber die hatte Law wohl nach wie vor in seinem Besitz. Also war sie für mich momentan unerreichbar. Nun ja, Prioritäten. Und wenn der PWP, welcher wie Damokles Schwert über mir hing, keine war, dann wusste ich es auch nicht. Ich trat also vorsichtig an den Tisch heran – als ob meine Schritte im Gegensatz zu dem ganzen Radau es vermochten, den Heartpiraten in seinem Schlaf zu stören – und zog das Heft laaaangsam zu mir heran... „Ich hasse Schmelzkäse.“ Und damit landete es auf dem Boden als ich die Hände in eine sehr traurige Kung Fu Imitation erhob. Der Heartpirat war gänzlich unbeeindruckt und schlief weiter. Ich blinzelte. Er murmelte. „Nein, das hat gar nichts damit zu tun.“ Ich hob das Heft auf und wich in Richtung Tür zurück. Ich hatte die Hand schon auf der Türklinke und fragte mich gerade, was ich nun eigentlich mit dem Heft tun und wie ich Law erklären sollte, dass dieses mir nichts, dir nichts verschwunden war als eine Stimme hinter mir ertönte. „Das würde ich nicht tun.“ Langsam drehte ich mich zurück, betend, dass er nur wieder im Schlaf redete, aber diesmal blieb das Glück aus. Der Heartpirat mochte mit den halb geschlossenen Augen, den wirren grünen Haaren und dem Abdruck meiner Tasche im Gesicht sehr verschlafen aussehen – und trug er wirklich eine Schlafmütze? - aber er war eindeutig wach. Ich versuchte mein Heft unauffällig hinter meinem Rücken verschwinden zu lassen, aber er war wohl doch aufmerksamer als er aussah und verfolgte meine Bewegung. Meine schuldige Unschuldsmiene würde das wohl auch nicht mehr retten. „Was tun?“ Er gähnte herzhaft und ich tat es ihm gleich. Das war wirklich ansteckend. „Der Kapitän würde uns beide grillen, wenn du mit Beweismaterial verschwindest. Und ich mag meine Ruhe zu sehr.“ „Beweismaterial?“ Ich war etwas empört. „Das ist mein Heft! Mein Privateigentum!“ „Sobald du hier aufgetaucht bist war privat passé. Wie auch immer du das getan hast. Keine mir bekannte Teufelsfrucht vermag so was.“ Schon wieder diese Fragen, auf die ich keine Antwort hatte. Aber ich wollte mich gut mit diesem Mann halten, der zwischen mir und meiner Mission stand, heikle Fanfiction loszuwerden.„Ich habe keine Teufelsfrucht gegessen.“ Er legte träge den Kopf schief und trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass er gefährlich war. Schlafende Tiger stupste man nicht an, also versuchte ich ihn weiterhin einzulullen. „Und das Heft enthält wirklich keine wichtigen Informationen, das schwöre ich.“ „Ich weiß.“ „Gut, kann ich dann – was meinst du mit „Ich weiß?!“ Ich starrte ihn entsetzt an, während ich mich verzweifelt zu erinnern versuchte, was ich eigentlich alles geschrieben hatte. Aber schlimmer als mein angefangener PWP über Law war wohl nichts. Oh Gott. Ich wünschte mir, dass das U-Boot doch untergehen würde. Mit etwas Glück würden meine glühenden Wangen das Wasser einfach verdampfen lassen. Mein Wunsch wurde wohl erhört, denn das Ruckeln wurde stärker und ich musste mich an die Türklinge klammern, um nicht von den Beinen gefegt zu werden. Der Heartpirat schwankte wie im Schlaf, behielt aber mühelos das Gleichgewicht und blinzelte müde Richtung Bullauge, welches ich bisher gar nicht bemerkt hatte. „Mmh, die Unterwasserstrudel müssen ernst sein, wenn Jean-Bart gezwungen ist aufzutauchen.“ „Strudel?“, stöhnte ich und dass meine Beine sich wie Pudding anfühlten und ich vorsichtshalber zu Boden glitt, hatte nur zum Teil etwas mit dem instabilen Boden zu tun. Ich hatte schon immer eine irrationale Angst vor Strudeln gehabt, weshalb mir offene Gewässer nie geheuer waren, egal wie gut ich schwimmen konnte. Dabei in einer Blechbüchse unter Wasser zu sein war erdrückend. Eine Hand packte mich unter dem Ellbogen und eine Welle Müdigkeit schwappte beruhigend über mich. Als ich diese endlich abgeschüttelt hatte, stand ich vor der Tür und der Heartpirat winkte mit meinem Schreibheft. „Wir reden später noch mal drüber. Jetzt solltest du zurück ins Krankenzimmer.“ Ich dachte an Law, sein Nodachi und seinen Herzfetisch und nickte stumm, bevor Sleepy die Tür vor meiner Nase zuschlug. Ich drehte mich um, völlig ausgelaugt von meinem kleinen Abenteuer und sah den Gang auf und ab. Ich blinzelte. Wo war noch gleich das Krankenzimmer? Kapitel 4: Herz für Bedürftige ------------------------------ Ich nahm mir fest vor, nie wieder über Zoro und seine Orientierungslosigkeit zu lachen, als ich durch die komplett identischen Gänge stolperte und absolut keinen Plan hatte, wo ich mich befand, geschweige denn, wo vorne und wo hinten war. Dass ich nicht in Bestform war und das U-Boot mich bei seinem ruckelnden Aufstieg in wahrer Silver Star Manier durchschüttelte, reichten als Entschuldigung irgendwie nicht ganz. Falls ich lange genug hier blieb und vor allem überlebte, würde ich mir einen Plan zeichnen. Schließlich wollte ich nicht Law und die Grand Line überleben, nur um dann in den Tiefen irgendeines gelben U-Boots zu verhungern. Selbst ich hatte gewisse (winzige) Prinzipien. Nun, meine unfreiwillige Erkundungstour durch den Mixer brachte mich tatsächlich irgendwann zu einem bekannten Ort, auch wenn es nicht das erwünschte Krankenzimmer war. Nein, ich stand wieder einmal vor der Treppe, die hinauf zum Deck führte, und durch die einen Spalt offen stehende Tür klangen Stimmen. Ich hatte es also nicht nur fertig gebracht, mich hoffnungslos zu verirren, sondern auch, meine Peiniger zu finden. Ich war drauf und dran, umzukehren und erneut mein Glück zu versuchen, als ich eine eindeutig bekannte Stimme hörte, die zweifelsohne nicht zu den bisher getroffenen Heartpiraten gehörte. Wieso, wieso musste meine Neugierde immer so auf die Probe gestellt werden? Das war sicher ungesund. Vor allem wenn ich entdeckt wurde. Und trotzdem schlich ich schon eifrig die Treppe rauf und lauschte angestrengt. „... so Angst, dass deine halbe, mickrige Crew anwesend ist?“ Jetzt war ich mir zumindest sicher, dass ich die Stimme kannte, aber zuordnen konnte ich sie noch immer nicht. Sie war unangenehm, der Tonfall überheblich und der Sprecher wohl lebensmüde, so mit Law zu reden. Oder einfach stark genug, um mit dem Leben davon zu kommen. Ich hatte plötzlich eine schreckliche Ahnung, wer der Besucher war und schielte dementsprechend extra vorsichtig durch den offenen Spalt in der Tür. Viel erkennen konnte ich jedoch nicht, es war noch immer zu hell für meine Augen. Laws Antwort konnte ich dafür aber klar und deutlich hören: „Warum bist du hier, Mister Eustass? Antworte, bevor ich die Geduld verliere.“ Oh Gott, bloß weg hier. Zwischen die Fronten wollte ich garantiert nicht geraten. Anscheinend war das Schicksal aber anderer Meinung und schickte mir eine extra große Welle, die mich in die exakt falsche Richtung stolpern ließ: nach vorne, durch die Tür und in den breiten Rücken meines Lieblings-Heartpiraten: Shark. Der augenblicklich herumwirbelte und mich am Handgelenk schmerzhaft nach vorne zog, wohl dass er mich besser im Auge behalten konnte. So hatte ich zwar eine tolle Aussicht auf die Geschehnisse, diese aber leider auch auf mich. Da war Kid, ein weiterer Riese, der in seiner extravaganten Kleidung nur noch imposanter erschien und ein furchteinflößendes Grinsen auf seinen violett geschminkten Lippen trug, was aus nächster Nähe irgendwie gar nicht mehr lächerlich wirkte. Ihm gegenüber stand Law, vollkommen entspannt mit den Händen in den Taschen, das Lächeln gefährlich. Er würdigte mich nur eines kurzen, dafür aber durchdringenden Blickes, der mich um meine Zukunft bangen ließ, ehe er seine Aufmerksamkeit mit betonter Langweile wieder seinem Rivalen zuwandte. Bepo an seiner Seite, das Nodachi über der Schulter, würdigte mich keines Blickes, war aber im Gegensatz zu seinem Kapitän sichtlich angespannt. Dahinter stand Shark, dessen Finger sich nach wie vor in mein Handgelenk gruben. Sein raubtierartiges Zähneblecken galt glücklicherweise aber Kid und er vibrierte förmlich vor kaum gezügelter Kampfeslust. Ich hoffte nur, dass ich im Falle eines Kampfes schnell genug aus dem Weg kam. Neben uns stand Kurage, dessen Grinsen irgendwie ernster wirkte, wenn das überhaupt möglich war, und der scheinbar geistesabwesend mit zwei Peitschen spielte. Ich schluckte. Ich sollte es mir wohl besser nicht mit ihm verscherzen. Die beiden anderen Heartpiraten sah ich zum ersten Mal. Der eine trug eine kleine, eckige, gelbe Kappe auf einem Meer aus dunkelbraunen Locken, einen sehr beeindruckenden, geschwungenen Schnurrbart und einen finsteren Blick, der festgewachsen schien. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und an den Seiten seines Overalls hingen zwei glänzende, perfekt polierte Pistolen. Die Gesichtszüge des Zweiten kamen mir sehr bekannt vor und ein Blick auf die himmelblaue Beanie mit dem „S“ bestätigte meine Vermutung, dass er wohl verwandt mit Ray sein musste. Die Haare mochten mehr orange als rot sein und die blauen Augen etwas dunkler, aber die Ähnlichkeit war offensichtlich, wobei sie beim Aussehen aufzuhören schien. Er zwinkerte mir doch tatsächlich zu, in den Augen ein Funkeln vor kaum unterdrückten Schalk, das schelmische Lächeln umringt von Lachfalten. Zum Glück wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Kid zu, ehe er meine roten Wangen bemerken konnte und ich tat es ihm hastig nach. Das Blut in meinem Gesicht trat einen schnellen Rückzug an, als ich direkt in die rot-orangen Augen des grausamen Supernovas sah und Sharks Griff kam mir vergleichsweise plötzlich sicher vor. Ich senkte den Blick und versuchte klein und unwichtig zu erscheinen, was nicht allzu schwer sein dürfte. „Wer ist das denn?“ Oder auch nicht. Bei all den riesigen, starken Piraten fiel ich wohl durch meine kleine Größe und mein unscheinbares Auftreten doppelt auf. Na toll. „Die sieht selbst für deine Crew zu armselig aus. Hattest du etwa Mitleid und die Zeit zwischen den Inseln wurde zu lang?“ Ich schwankte zwischen Empörung und Demütigung, was meinen Überlebensinstinkt gekonnt überschrieb und ich hob schon trotzig den Kopf und funkelte Kid trotz glühenden Wangen böse an, einen abfälligen Kommentar über seine Schminke auf der Zunge, aber Sharks warnender Druck brachte mich zum Glück zur Besinnung. Und das gerade rechtzeitig, um Laws nonchalante Antwort zu hören: „Ein blinder Passagier. Wenn sie dich so interessiert, darfst du sie gerne mitnehmen. Mir soll schließlich niemand nachsagen, dass ich kein Herz für Bedürftige habe.“ Ich starrte Law entsetzt an, aber dieser würdigte mich keines Blickes. Sein spöttisches Lächeln galt ganz und gar Kid, der nicht sehr erfreut über dieses Angebot schien, von dem ich nur hoffen konnte, dass es sich nur um einen schlechten Witz handelte, um den unerwünschten Besucher auf die Palme zu bringen. Zumindest zeigte es die gewünschte Wirkung und Kid knirschte hörbar mit den Zähnen, was mich wohl mit Befriedigung erfüllt hätte, wäre es nicht auf meine Kosten. Allein die Vorstellung, bei Kid zu landen... dagegen war Law U-Boot das reinste Schlaraffenland. „Du mieser Leichenlieber, ich gebe dir gleich bedürftig!“ Die Stimmung schlug augenblicklich um, von wachsam entspannt zu bedrohlich kampfbereit, und das ohne dass die Heartpiraten auch nur einen Finger rührten. Es war beängstigend. Laws Lächeln war schärfer als je zuvor und seine Augen eiskalt. „Sag, weshalb du gekommen bist, Mister Eustass, und dann verschwindest du von meinem Schiff.“ Sein Tonfall war betont ruhig und trotzdem bestimmend, mit der vollen Autorität eines Kapitäns gesprochen, der Kid ebenbürtig war. Das sah wohl selbst Kid ein, als er einen berechnenden Blick über die versammelte Crew schweifen ließ, ehe er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und die Arme demonstrativ vor der Brust verschränkte. Er mochte einen Hang zur Gewalttätigkeit haben, aber er war nicht dumm genug, sich grundlos in einen Kampf zu stürzen, bei dem er klar benachteiligt war. „Was ist aus Strohhut geworden?“ Laws Grinsen wurde breiter und die Spannung nahm wieder ab. „Machst du dir etwa Sorgen, Mister Eustass? Wer hätte das gedacht.“ „Spuck's einfach aus, Trafalgar“, knurrte Kid und ein Beben ging durch das U-Boot, welches dem Ziehen an meinen Ohrringen und Brille zufolge nichts mit dem unruhigen Meer zu tun hatte. Der rothaarige Kapitän war am Ende seines kurzen Geduldsfadens angekommen. Law aber zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Im Gegensatz zu gewissen anderen Personen habe ich nicht die Angewohnheit, jemanden zu belauern.“ Das Beben wurde stärker und das U-Boot quietschte ominös. Ich hielt vorsichtshalber meine Brille fest. Auch die Heartpiraten hatten die Hände lieber auf ihren metallenen Waffen liegen. „Kap'tän“, jammerte Bepo leise, welcher sichtliche Probleme hatte, das Nodachi festzuhalten. Fasziniert starrte ich die Arterie an, die sichtlich auf Kids Schläfe pulsierte und fragte mich, ob es in dieser Welt wohl möglich war, jemanden so zur Weißglut zu treiben, dass diese explodierte. Vielleicht wollte Law gerade das testen. Auf dem richtigen Weg war er auf jeden Fall. Kid holte tief Luft. Die Antwort schien ihm wirklich wichtig zu sein, dass er sich so zusammenriss. „Du hast ihn aus Marineford gerettet, was auch immer deine Gründe dafür waren.“ „Und deshalb soll ich mehr wissen als du?“ Law zuckte mit den Schultern, als Kid ihn vernichtend ansah, aber er hatte wohl genug Spaß mit seinen Sticheleien gehabt, denn er fuhr fort. „Ich habe ihn zusammengeflickt und mich wieder auf den Weg gemacht. Geredet haben wir nicht. Dass er überlebt hat, weiß ich genau wie du auch nur wegen seinem folgenden kleinen Auftritt in Marineford." Er hob eine Augenbraue. „Zufrieden?“ „Nicht im geringsten.“ „Dann verlass trotzdem mein Schiff. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für deine Spielchen, so kurzweilig sie auch sein mögen.“ Kid grinste und es war trotz normaler Zähne weitaus raubtierartiger als das von Shark. Ich schauderte. „Wenn wir uns wiedersehen, stopfe ich dir dein vorlautes Maul, Trafalgar.“ „Das bezweifele ich.“ Ohne uns noch eines Blickes zu würdigen, stieß sich Kid mit unnatürlicher Kraft von der Reling ab, nur um katzenhaft auf dem Deck seines Schiffes zu landen und sofort Befehle zu brüllen. Keine Minute später entfernte sich das Schiff und ich war nicht die Einzige, die erleichtert aufatmete. Vielleicht ein bisschen zu früh, denn im nächsten Augenblick kam mir Law entgegen, Nodachi nun lässig über der Schulter, Bepo wichtigtuerisch hinter sich. Von seiner not-amused-Miene konnte die Queen noch sehr viel lernen. Ich schluckte und wäre zurückgewichen, wenn Shark mich denn endlich losgelassen hätte. So langsam hatte ich kein Gefühl mehr in der Hand, aber das war wohl gerade mein geringstes Problem. Der Chirurg des Todes hob seine freie Hand in einer schrecklich vertrauten Geste und ich starrte sie panisch an. Jeden Augenblick würde das schimmernde Blau seines Raumes erscheinen und er würde Schaschlik aus mir machen. Oder schlimmer. Ich erinnerte mich plötzlich an das tote Herz unter Deck und mein eigenes schlug mir bis zum Hals, wohl zum letzten Mal. Dann aber grinste er nur wissend und wandte sich ab, während meine zitternden Knie unter mir nachgaben und ich komplett geschafft zu Boden rutschte. Das war mir eine Lehre. Ich würde nie wieder Befehle missachten. Scheiß auf meine Neugierde und auf meine peinlichen Fanfics. Sollte er doch darüber lachen, so lange er mir mein Herz ganz ließ. Ich fragte mich, ob es zu spät war, Kid hinterher zu schwimmen, Seekönige hin oder her. Wobei bei ihm wohl ganz andere Dinge in Gefahr wären als mein Herz. Shark ließ endlich und sichtlich enttäuscht mein Handgelenk los und murmelte etwas von wegen „Psychospielchen, pff. Ein bisschen Training mit mir wäre weitaus effektiver“ ehe er davon wanderte. Stattdessen kam der finster blickende Schnurrbart-Heartpirat zu mir hinüber, der auf mein zaghaftes Lächeln nur mit einem tiefen Stirnrunzeln antwortete. Schnell erhob ich mich vom Deck, so dass er nicht mehr ganz so weit nach unten blicken musste und widerstand nur knapp dem Drang zu salutieren. Er hatte was Militärisches an sich. „Der Kapitän hat dich mir überlassen.“ Sein Blick wurde noch finsterer, wenn das überhaupt möglich war. „Mal sehen, was sich da tun lässt.“ Ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück. So viel dazu, keine Schwäche vor Raubtieren zu zeigen, aber mir schwante Böses. War er etwa der Foltermeister? Sollte ich mich doch vorsichtshalber über Bord werfen? Ich schielte gerade hinüber zur Reling, als ein Schatten vom Dach stürzte und keinen Meter vor mir leichtfüßig auf dem Deck landete. Ich kreischte erschrocken auf und wich mit rudernden Armen zurück, bis mein Rückzug abrupt von zwei Händen auf meinen Schultern gestoppt wurde. „Geez, Ray, verschreck' sie doch nicht so“, erklang eine gut gelaunte Stimme hinter mir, die wohl zu besagten Händen gehörte. Mein Herzschlag beruhigte sich nur langsam wieder, deutlich überfordert mit den ganzen Schrecken dieses viel zu langen Tages, als ich Ray erkannte, der nonchalant ein langes Scharfschützengewehr schulterte und mir einen gelangweilten Blick zuwarf. „Entschuldige“, meinte er ohne große Überzeugung und verschwand im Inneren des U-Boots. Ein Seufzen und die Hände verließen meine Schultern, als mein Retter um mich herum trat und sich als der süße, ähm, Ray-ähnlich-sehende Heartpirat entpuppte, der mir vorhin zugezwinkert hatte. „Nimm es ihm nicht übel, er hat's nicht so mit Menschen.“ Er hielt mir seine Hand entgegen, ein entwaffnendes Lächeln auf den Lippen, das man nur erwidern konnte. Nur eine längliche Narbe über Nase und Wange zeugte davon, dass er alles andere als harmlos war und ließ ihn verwegen erscheinen. „Ich bin Skate, Bruder dieser Katastrophe.“ Das erklärte die Ähnlichkeit. Ich schüttelte enthusiastisch die dargebotene, warme Hand. „Kim, Tollpatsch vom Dienst.“ Das vergnügte Lachen war wie warmer Sonnenschein, welches die Dunkelheit der letzten Stunden seit meiner hiesigen Ankunft durchdrang und ich grinste, zum ersten Mal wirklich unbeschwert. Natürlich störte ein Räuspern meinen Moment der nicht-Panik und ich erinnerte mich schlagartig, dass Schnurri nur darauf wartete, mir das Befolgen von Befehlen schmackhaft zu machen. Als ob Laws Warnung nicht gereicht hätte. Mir war plötzlich wieder kalt. „Komm, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit“, brummte er und nicht einmal Skates aufmunterndes Schulterklopfen vermochte es, mich von meinen düsteren Gedanken abzulenken, was da wohl auf mich zukam, als ich dem miesepetrigen Heartpirat mit gesenktem Kopf zurück in die Dunkelheit des U-Boots folgte. Kapitel 5: Wankendes Herz - Teil 1 ---------------------------------- Mir schwante Schlimmes, als ich dem miesepetrigen Heartpirat folgte. Der Abstieg in die Dunkelheit des U-Boots ließ den unangenehmen Vergleich mit der Hölle aufkommen und ich fragte mich, ob mich am Ende des Weges ebenfalls eine Tortur als Bestrafung für meine begangenen Fehler erwartete. Mir wurde mulmig bei dem Gedanken. Also versuchte ich es mit Smalltalk. „Uh, ich heiße Kim. Erfreut?“ Ich musste wohl nicht unterstreichen, dass Smalltalk absolut nicht meine Stärke war, selbst unter positiveren Umständen. Aber hey, Übung macht den Meister. „Ich weiß“, grummelte der mutmaßliche Folterknecht, der wohl weniger davon hielt. Ich verkniff mir die äußerst blöde Frage, woher er das wusste, war ich wohl leider mit meinem verblüffenden Auftauchen Gesprächsthema Nummer eins. Das Schweigen zog sich und wurde unangenehm, während ich mir vergeblich den Kopf zerbrach, wie man ein Gespräch mit einem, feindlichen Piraten begann. Er hatte wohl Erbarmen und ließ sich dazu herab, mir wenigstens einen Namen zu geben. „Namazu.“ Ich unterdrückte gerade noch ein Kichern. Ein Wels. War ja klar, bei dem Schnurrbart. Er warf mir einen finsteren Blick zu, als ob er ahnte, was ich dachte und ich konzentrierte mich daraufhin lieber, nicht zu stolpern. Unter Wasser war die Fahrt des U-Boots zumindest bis zu der unangenehmen Begegnung mit den Strudeln sehr ruhig gewesen, nur unwesentlich von festem Land zu unterscheiden, aber jetzt wo es den unruhigen Wellen an der Oberfläche ausgesetzt war, schwankte es in alle Richtungen und ich hatte definitiv noch immer meine Landbeine. Und meine Gehirnerschütterung, obwohl es mir vorkam, als wäre das schon ewig her. Zumindest waren die engen Korridore von Vorteil, so konnte ich von Wand zur Wand schwanken. Endlich erreichten wir unser vermeintliches Ziel. Die Tür sah unscheinbar aus, nicht zu unterscheiden von all den anderen stählernen Türen (und ich musste mir wirklich einen Plan zeichnen, so würde das nie etwas werden), aber das mulmige Gefühl in meiner Magengegend wurde nur stärker, als ich mir einen komplett ausgestatteten Folterraum vorstellte, wie man ihn aus den Mittelalterfilmen kannte, komplett mit Daumschraube und Pranger. Die Realität war enttäuschend langweilig, sehr zu meiner Erleichterung, denn der Raum enthielt neben einem von Papieren übersäten Schreibtisch und einer Laborecke mit Mikroskop, der wohl klugerweise festgeschraubt war, nur Unmengen von Regalen mit Büchern... oder vielmehr leere Regale, denn besagte Bücher lagen verstreut auf dem Boden. Oh, und ein paar Gefäße mit diversen Organen in unterschiedlichen Phasen der Verwesung, mal mehr, mal weniger aufgeschnitten, lagen auch herum, aber das schockierte mich nicht wirklich. Es erinnerte mich an meine ersten praktischen Anatomiestunden und der süßliche, familiäre Geruch von Formaldehyd und altem Papier hatte etwas Beruhigendes an sich. Leichenteile, kein Problem, aber ein einziger Blick von Law und ich ging schneller ein als meine Hauspflanzen. Was bei meinem schwarzen Daumen nie lange dauerte. „Die Bücher müssen wieder eingeräumt werden. Alphabetisch.“ Er hob eine kritische Augenbraue. „Bekommst du das hin?“ Ich nickte, nicht gewillt, auf die Provokation einzugehen und ihm Angriffsfläche zu bieten. Immerhin hätte ich es vor kurzen dank der wunderbaren kryptischen Schriftzeichen tatsächlich nicht geschafft. Er sah nicht überzeugt aus, nickte aber dennoch. „Gut. Sei fertig, wenn ich zurückkomme. Faulenzen wird nicht geduldet.“ Als ob ich das riskieren würde. Ich mochte meine Körperteile, wo sie waren, vielen Dank. Murmelnd wanderte er davon ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen und ich glaubte etwas von „OCD“ und „pedantischer Koch“ zu hören, ehe ich mich seufzend meiner bevorstehenden Aufgabe widmete. Neugierig hob ich einen alten Wälzer auf und konnte wie erhofft die Kanji darauf mühelos entziffern. „Anatomie und Physiologie der Fischmenschen“, interessant. Ich rang kurz mit mir, ehe ich das Buch widerwillig aufs Regal stellte, mit einem inneren Versprechen, dass ich darauf zurückkommen würde, sobald sich die Gelegenheit ergab. Ich kannte mich zu gut, als dass ich es riskieren konnte, nur einen „kurzen“ Blick hinein zu werfen, wenn ich rechtzeitig mit den Aufräumarbeiten fertig werden wollte. So sehr mir Hausarbeiten auch verhasst waren, Aufräumen war dabei noch meine liebste. Man sah schnell Resultate und es war irgendwie beruhigend, ein Buch nach dem anderen auf seinen Platz zu stellen. Das Adrenalin verließ langsam aber sicher meinen Körper und hinterließ nur dumpfe Erschöpfung. Nicht einmal die Angst vor Law und seinen Drohungen konnte mich noch richtig bewegen und das obwohl meine letzte Nahtoderfahrung mit ihm keine zehn Minuten zurück lag. Ich widerstand dem Drang mich in eine Ecke zu verkriechen, um kurz die Augen zu schließen (oder wieder zu heulen) und hob ein weiteres Buch auf. Eine weitere Befehlsverweigerung konnte ich mir nicht leisten. Es hätte mich eindeutig schlimmer treffen können. Und das würde es wohl auch noch, wenn ich mir keine gute Erklärung aus den Fingern zog, wie ich hier gelandet war. Das mulmige Gefühl in meinem Magen nahm zu und ich verschob das Nachdenken auf später, während ich die Bücher nicht nur alphabetisch, sondern auch nach Themen einräumte und die Organe pedantisch als Abtrennung benutzte. Die Übelkeit blieb jedoch. Ich versuchte mich mit der Arbeit abzulenken, aber jedes Schwanken des U-Boots ließ meinen Magen rumoren und ich atmete irgendwann angestrengt ruhig durch die Nase. Es dauerte wahrscheinlich nicht lange, bis ich alle Bücher an ihren rechtmäßigen Platz zurückgestellt hatte, aber die Zeit zog sich wie ein alter Kaugummi. Ich war beinahe froh, als Namazu wieder auftauchte. Er wohl eher weniger, als er mich sah. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich, aber die erfüllte Arbeit schien ihn positiv zu stimmen, wenn man denn auf das Fehlen eines bissigen Kommentars schließen konnte. Er nickte bloß zufrieden. Und packte mich unter dem Ellbogen, weitaus weniger grob als ich von ihm erwartet hätte, und zog mich aus dem Raum. „Keine falsche Müdigkeit vorschützen, an Deck gibt es auch noch Arbeit. Wir wollen doch nicht, dass du dich unterfordert fühlst.“ Ich war zu erleichtert über die Aussicht auf frische Luft, als dass ich mich über die Sklaventreiberei beschweren würde und taumelte ihm so gut ich konnte hinterher, dankbar für die stützende Hand an meinem Arm. Wenig später stürzte ich an einem kreischenden Bepo vorbei zur Reling und stützte mich schwer darauf ab, während ich versuchte meine Übelkeit mit frischer Luft zurückzudrängen. „Landratten“, seufzte Namazu und zog mich aus meiner vornübergebeugten Position. „Die Wellen scheren sich nicht um deinen mickrigen Todesblick. Halte den Blick auf den Horizont.“ Ich sah ihn benebelt an und er schüttelte den Kopf. „Immer den ganzen Körper statt nur den Kopf drehen. Keine halben Sachen.“ Er machte eine vage Geste Richtung Horizont. „Warte hier, du bist offensichtlich nicht imstande, die Putzsachen zu holen.“ Als ob ich mich vom Fleck rühren würde. Ich bildete mir tatsächlich ein, dass die frische Luft und Namazus Ratschläge meine Übelkeit ein wenig linderten und gedachte nicht, diesen winzigen Fortschritt aufzugeben. Außer vielleicht, um dem Ganzen ein Ende zu setzen und mich ins blaue Nass zu stürzen. Wie oft hatte ich mir das heute eigentlich schon überlegt? Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ein längerer Aufenthalt auf Laws U-Boot nicht ganz zuträglich für meine psychische Stabilität sein würde. Bevor meine Gedanken von düster zu stockdunkel abdriften konnten, tauchte Namazu wieder auf. Meine Freude über seine Rückkehr war allerdings recht beschränkt, als ich den Eimer und Mopp sah und mich fragte, ob es überhaupt noch klischeehafter kommen konnte. Das Deck schrubben, ehrlich? Reichte die Komplettwäsche beim Tauchen denn nicht aus? Abgesehen davon hatte er noch zwei Armbänder mitgebracht und bedeutete mir ungeduldig meine Arme hinzuhalten. „Akupressurbänder. Machen nicht hübscher, helfen aber gegen Übelkeit.“ Ich blinzelte überrascht, als er diese geschickt anbrachte. Da hatte ich ihn wohl falsch eingeschätzt. Ich hätte nicht gedacht, dass ihn mein Wohlbefinden kratzen würde. „Danke.“ „Auf's Deck kotzen wäre schließlich kontraproduktiv.“ Sein Tonfall war grimmig, aber so leicht würde ich mich davon nicht mehr beirren lassen. Egal aus welchem Grund auch immer, er half mir. Irgendwie zumindest. „Es braucht ein paar Minuten, bis es wirkt. Putznachschub ist unter der Treppe, das solltest du finden. Erkundet hast du das U-Boot ja schon.“ Ich sah peinlich berührt zu Boden, mein Magen rumorte und ich hob den Blick wieder um Namazus Mundwinkel verdächtig zucken zu sehen. Sofort setzte er wieder seine grimmige Miene auf. „Wehe das Deck blitzt nicht, wenn ich zurück komme.“ Damit wirbelte er herum und ließ mich allein mit dem Mopp zurück. Mir war mulmig, als ich Namazu am Abend zu dem lauter werdenden Stimmengewirr folgte und das hatte dank der erstaunlich wirkungsvollen Armbänder nur wenig mit dem schrecklichen Wellengang zu tun. Fremde Menschen machten mich nervös, Law und seine tollkühne Crew umso mehr und ich hatte diese schreckliche Vorstellung, dass sie mich alle beurteilend ansehen würden. Wir betraten den Speisesaal und Namazu setzte sich gleich zu den restlichen Piraten. Ich blieb unsicher in der Tür stehen. Die Blicke blieben minimal und Law, der mit entspannt gekreuzten Beinen am Kopfende des langen Tisches auf seinem Stuhl schaukelte, ignorierte mich komplett, aber das unangenehme Gefühl, total fehl am Platz zu sein wurde nur stärker. Ich hätte mich am liebsten irgendwo verkrochen, aber da winkte mir Skate mit einem breiten Lächeln zu und ich schlich erleichtert zu ihm hinüber. „Rutsch mal rüber, damit sich Kim zu uns setzen kann.“ Meine Erleichterung verpuffte als ich Skates Sitznachbarn erkannte und ich erbleichte, als Shark seine Zähne bedrohlich bleckte. Das schien ihn aufzuheitern und er machte mir großzügigerweise Platz. Ernüchtert setzte ich mich und widerstand nur knapp dem Drang, meinen Kopf in den Armen zu vergraben. „Alles in Ordnung? Du siehst etwas mitgenommen aus.“ Skate lehnte sein Kinn auf seine Handfläche und grinste spitzbübisch. „Muss ich ein ernstes Wort mit Namazu reden?“ Ich lächelte schüchtern zurück und schüttelte den Kopf. „Nein, er war ganz nett.“ Eine Augenbraue schoss in die Höhe. „Reden wir von demselben griesgrämigen Sklaventreiber?“ Ich blickte erschrocken zu besagtem Heartpirat, aber dieser war zu beschäftigt damit, den Tisch vor sich anzustarren und Kurage gekonnt zu ignorieren, während die Tratschtante ungestört weiter auf ihn einredete – und ihn unter andrem über mich ausfragte. Komischer Kauz. Ich zeigte Skate meine Armbänder. „Er hat mir die gegen meine Übelkeit gegeben und mich an Deck arbeiten lassen.“ „Oh, der Pirat hat also doch ein Herz“, mischte sich eine neue Stimme ein. Der Sprecher lehnte sich sehr zur Missbilligung von Shark über diesen zu mir hinüber, ein Lächeln auf den Lippen. Die charakteristische Sonnenbrille und blau-rote Ballonmütze, die das Gesicht größtenteils verbargen, machten seine Vorstellung überflüssig. „Ich bin Shachi und solltest du irgendetwas brauchen, stehe ich immer zur Verfügung.“ Selbst ohne langjährige Freundschaft mit Männern, die auf zweideutige Kommentare spezialisiert waren, hätte ich diese sehr eindeutige Anspielung bei dem Tonfall verstanden. Positiv war allerdings, dass ich zu gewohnt daran war, als dass es mich aus der Fassung bringen konnte. Das war quasi mein Spezialgebiet. Ich setzte also ein zuckersüßes Lächeln auf. „Und du stehst auch wirklich immer...zur Verfügung?“ Das überrumpelte Stottern und Sharks brüllendes Lachen waren Musik in meinen Ohren und ich grinste zufrieden, plötzlich richtig guter Dinge. Skate hob anerkennend eine Augenbraue, aber bevor er kommentieren konnte, flogen die Rollladen der Ausgabe mit einem lauten Knall hoch und ich zuckte erschrocken zusammen. Und blinzelte, als ich plötzlich am Handgelenk gepackt und zur Ausgabe geschleift wurde, wo sich innerhalb weniger Sekunden schon ein unglaubliches Gedränge an Heartpiraten gebildet hatte – mal abgesehen von Law, der seelenruhig sein Anrecht als Kapitän gültig machte und die erste Portion bekam, ganz ohne Drängeln, dafür aber mit extra Enthusiasmus seitens Fugu. Skate ließ mich los, sichtlich zufrieden mit seiner Position in der Schlange und ich machte mich klein, als ich Shark hinter mir entdeckte, der es ebenso offensichtlich nicht war und wohl versuchte, mich mit seinem Todesblick dazu zu bringen, meinen Platz aufzugeben. Denkste. Tackler ließ ich prinzipiell nicht vor. Die Portion Kartoffelbrei, die Fugu mir mit einem verschwörerischen Lächeln auftischte, war so groß, dass kaum Platz für das Gemüse blieb und ich musste mein ganzes, klägliches Balancetalent zusammenkratzen, um es ohne Unfall zurück zum Tisch zu schaffen. Meine Erleichterung währte nur so lange, bis Shark einen scheelen Blick auf mein Essen warf. „Oi, warum bekommt die halbe Portion soviel mehr als wir?“ „Weil sie aussieht, als ob sie es brauchen würde“, antwortete Fugu, als er sich uns gegenüber zwischen Kurage und Namazu quetschte, sehr zur Erleichterung vom Letzteren – bis er feststellen musste, dass sich die Tratschtante nicht so einfach von einem kleinen Hindernis wie Fugu zum Schweigen bringen ließ. Ich schenkte Fugu ein dankbares Lächeln. Obwohl ich mit meiner nur knapp in Schach gehaltenen Seekrankheit und Situation insgesamt nicht wirklich Hunger hatte, war es doch angenehm, jemanden auf seiner Seite zu haben, der sogar Shark Paroli bot. „So sehe ich auch aus! Immerhin habe ich dank dem Leck den lieben langen Tag Eimer schleppen dürfen. Und das während meiner eigentlichen Trainingszeit!“, schmollte Shark und schaufelte sich demonstrativ Kartoffelbrei in den Mund. „Kim-chan hat auch hart gearbeitet, wie ich gehört habe“, lehnte sich Kurage nun zu uns herüber und musterte mich wie ein besonders leckeres Stück Schokoladenkuchen, das man nach einer langen Fastenzeit hinten im Kühlschrank entdeckte. Es war kein schönes Gefühl. Die ganze Aufmerksamkeit war mir unangenehm und ich versuchte mich so klein wie möglich zu machen, als ich abwinkte. „Ich habe nur getan, was mir aufgetragen wurde.“ Und als ich meinem Magen beim besten Willen nicht mehr zumuten konnte, ohne dass er komplett rebellierte, schob ich meinen Teller zu Shark hinüber. „Wenn du magst, kannst du meins haben“, sagte ich in der Hoffnung, mich so auf seine gute Seite zu schlagen. Er musterte den Teller kurz, dann gab sein Magen ein lautes Grollen von sich und er zog grinsend die Portion zu sich hinüber. „Ich akzeptiere dein Schutzgeld. Vorerst“, meinte er großzügig und verschlang den Rest in ein paar riesigen Bissen. Fugu sah mich traurig an. „War es nicht gut?“ „Nein, nein, es war hervorragend. Das Schwanken macht mir nur etwas zu schaffen“, beruhigte ich ihn hastig. Er überlegte kurz, nickte dann und wandte sich mit ernster Miene an Shachi. „Mach was gegen das Schwanken. Es verdirbt den Appetit.“ Shachi verschluckte sich an seinem Bissen und Sharks enthusiastisches Rückenklopfen richtete wohl eher mehr Schaden an als es half. „So einfach ist das nicht!“, antwortete er, sobald er wieder Luft bekam und duckte sich unter Sharks Hilfeversuch hindurch. „Jean Bart hat alle Hände voll damit, das Boot zu stabilisieren und Ban hält es nur mit Ach und Krach zusammen, von Tauchen ist gar keine Rede. Und ohne meine Hilfe würde herzlich wenig laufen.“ „Deshalb bist du auch hier, während sie sich zusammen mit Penguin abmühen?“, kommentierte Namazu trocken. „Eh...“ Fugu schlug sich mit der Faust in die Handfläche. „Deshalb sind sie nicht hier. Ich gebe dir ihre Portionen mit, Shachi, du gehst doch bestimmt gleich wieder runter.“ „Also eigentlich-“ Aber Fugu war schon aufgesprungen und zurück in die Küche gewuselt und Shachi vergrub ergeben den Kopf in den Armen. „Sag ihnen dann auch, dass wir voraussichtlich morgen eine Insel erreichen werden“, mischte sich Law nun ein, sein übliches Lächeln eindeutig eine Spur schadenfroh. „Dann könnt ihr euch in Ruhe um die Reparaturarbeiten kümmern.“ „Aye, Kap'tän“, seufzte Shachi geschlagen und nahm das Essen von Fugu entgegen, eher er davon schlurfte. Das schien ein Signal zu sein, aufzuspringen und den Speisesaal beinahe schon fluchtartig zu verlassen. Nur Namazu, ich und jede Menge schmutziges Geschirr blieben zurück und man musste kein Genie sein um zu wissen, worauf das hinauflief. Seufzend machte ich mich daran, die Teller einzusammeln. Ich war komplett geschafft, als Namazu mich endlich von meinen Aufräumarbeiten nach dem Strudelfiasko erlöste. Es war nicht beim Spülen des höchsten Berges Geschirrs, das ich seit meinem Ferienjob in einer Jugendherberge gesehen hatte, geblieben, und das ganz ohne Spülmaschine. Zwischen Namazu mit seinem Putzfimmel und Fugu mit seinem OCD, der eine ganz genaue Vorstellung hatte, wie alles weggeräumt werden musste, dauerte es gefühlte Stunden, ehe ich endlich fertig war. Die Arbeit an sich war nicht zu anstrengend, aber kombiniert mit meiner unterschwelligen Übelkeit, die unter Deck eindeutig schlimmer war, den Kopfschmerzen, die mit dem Fortschreiten der Stunden wieder stärker wurden und ach ja, meinem unfreiwilligen Auftauchen auf dem U-Boot eines sadistischen Supernovas, was meinen Gemütszustand nicht wirklich verbesserte, war ich total geschlaucht. Dass ich Namazu also nur stolpernd folgte, hatte wenig mit dem schrecklichen Schwanken zu tun, sondern mehr mit meinen schweren Augenlidern. „Du kannst hier schlafen.“ Ich blinzelte auf die Hängematte hinab, die Namazu mir eben zugewiesen hatte, ehe ich mich umsah. Wir waren anscheinend in einem Schlafsaal. Indem alle schliefen. Ganz toll. Wieso hatte ich mir eigentlich etwas anderes erwartet? Das hier war keine Law/OC Mary Sue Geschichte, sondern real und ich hatte garantiert nichts getan, um ein Extrawürstchen zu verdienen. Ich konnte dankbar sein, dass ich nicht schon früher den Ewigen Schlaf angetreten hatte. Der Schlafsaal war genauso, wie man es sich von einer Männer-WG erwartete: chaotisch (nicht, dass ich als Frau besser wäre, aber das würde ich bestimmt niemanden auf die Nase binden). Kleider und Overalls lagen verstreut auf Boden, Betten und über alles geworfen, was nur dazu dienen könnte. Es erinnerte mich an meine Schwimmtage, wo wir jeden möglichen und unmöglichen Platz nutzen, um unsere nassen Tücher und Badeanzüge aufzuhängen. Ich fühlte mich augenblicklich pudelwohl. Nun ja, so sehr man das denn in einer Geiselsituation sein konnte. Und auch nur, bis ich mir im Halbdunkeln meinen armen, dicken Zeh an einer schweren, unnachgiebigen Hantel stieß. Ein bisschen Aufräumen wäre vielleicht doch keine so schlechte Idee. „Das Badezimmer ist gleich nebenan.“ Namazu seufzte. „Versuch niemanden aufzuwecken, wenn du hinmusst.“ Damit ging er zu seiner eigenen Hängematte. Ich rollte die Augen und verkniff mir einen Kommentar, dass alte Männer wesentlich öfter in der Nacht aufstehen mussten, als Frauen. Dann ließ ich mich behutsam auf dem instabilen Stück Stoff nieder, das fortan mein Schlafplatz sein sollte – und wäre beinahe sofort raus gefallen, als ein blonder Haarschopf über mir auftauchte und mir einen dunklen Blick zuwarf. Das Grinsen war zuckersüß und bedrohlich. „Gute Nacht, Kübli. Lass dich nicht beißen.“ Ich war empört über den Spitznamen und verunsichert, ob der letzte Teil sich wirklich auf die Bettwanzen bezog, war aber zu geschafft, um mir ernsthaft Sorgen zu machen. Shark schien enttäuscht über meine fehlende Reaktion und sein Kopf verschwand. Keine drei Sekunden später schnarchte er auch schon und als ob das ein Signal war, wurde das Licht gelöscht und die Heartpiraten kamen zur Ruhe. Mehr oder weniger. Ich rollte mich seufzend ein und hoffte, dass ich bei dem Schnarchorchester, welches rasant Fahrt aufnahm, auch nur ein paar Stunden bitter nötigen Schlafes bekommen würde. Natürlich klappte das nicht, auch wenn mich das nur wenig wunderte. Ich war schon immer eine komplizierte Schläferin gewesen und selbst wenn nicht, glaubte ich kaum, dass irgendjemand in meiner Situation ein Auge zugetan hätte. Sogar zu Hause konnte ich nur mit Ohrenstöpseln schlafen, weil mich jedes noch so kleinste Geräusch aufweckte, und hier wurde nicht nur um die Wette geschnarcht, sondern knarzte das U-Boot auch bei jeder Welle und es herrschte trotz später Stunde noch rege Aktivität; die Heartpiraten arbeiteten wohl in Schichten und lösten sich regelmäßig ab. Mal davon abgesehen verschwand Namazu bestimmt dreimal auf die Toilette, dieser Scheinheilige und Fugu stand einmal auf und begann den Schlafsaal zu sortieren, bis Namazu ihn zurück ins Bett scheuchte. Zu guter Letzt quetschte sich Jean Bart durch die Tür wobei das U-Boot mit jedem Schritt zu vibrieren schien und ich starrte den Giganten mit offenem Mund an. Wie er überhaupt ins U-Boot passte war mir schleierhaft. Bei dem ganzen Lärm machten das Licht, das durch das Bullauge fiel und die für meinen Schlaf notwendige Finsternis zerstörte oder die ungemütliche Hängematte mit der Decke, die einfach nicht alle lebensnotwendigen Extremitäten schützend abdeckte, auch keinen großen Unterschied mehr. Mal davon abgesehen brummte mein Kopf nach wie vor, mir war noch immer leicht übel und ach ja, ich war in einer anderen, mir nicht gut gesonnenen Welt gestrandet. Irgendwie hatte ich mir das immer anders vorgestellt. Meine bisher unterdrückte Panik machte sich nun bemerkbar, wo ich mich nicht mehr von Arbeit oder Piraten ablenken ließ und ich spürte, wie mein Herz schneller klopfte und der Kloß in meinem Hals weder meiner Übelkeit noch meiner Atmung zuträglich war. Ich unterdrückte ein hysterisches Lachen. Mein Herz, Heartpiraten, Law der Herzen sammelte. Wie zum Teufel kam ich aus der Situation wieder raus? Lebendig und mit dem Herz am rechten Fleck? Das Nervenaufreibendste, was ich bisher erlebt habe, war der Prüfungsstress beim praktischen Führerschein, aber um mein Leben musste ich noch nie bangen. Und ich hatte keinen Plan, wie sich meine Situation verbessern sollte. Schatzkarte und Neue Welt, schön und gut, aber wie sollte ich es bis dorthin schaffen? Law kam mir nicht wie jemand vor, der sich mir aus purer Herzensgüte erbarmte und mich durchschlug. Als ob er ein Herz hatte... wahrscheinlich hatte er mehrere, keins davon sein eigenes. Ich schnaubte. Galgenhumor. Toll. Shachi wäre bestimmt begeistert. Und selbst wenn ich Law von meiner Mission überzeugen konnte, verspürte ich nicht die geringste Lust, mir Mingo zum Feind zu machen. Und überhaupt, zwei Jahre warten? Lief die Zeit bei uns normal weiter? Was würden meine Eltern und Freunde denken? Ich nahm einen zittrigen Atemzug, schluckte schwer und versuchte, meine Sorgen zu verdrängen. Eins nach dem anderen. Zuerst schlafen, dann einen weiteren Tag überleben. Einen nach dem anderen. Irgendwie. Kapitel 6: Wankendes Herz - Teil 2 ---------------------------------- Meine Eltern waren auf den Fernseher fokussiert und ich wanderte in mein Zimmer, wo ich meinen Computer startete. Ein Blick zum Fenster hinaus zeigte eine riesige Tanne. Ich war müde und wollte mich schlafen legen, aber als ich die Tür schließen wollte, war sie zu klein für den Rahmen. Es war dunkel, der Lichtschalter funktionierte nicht. Ich blinzelte, folgte noch nicht ganz. Ich schaute auf meine Hand und zählte sechs Finger. Ich träumte. Natürlich. Es war stockdunkel und nur eine Straßenlaterne warf mehr Schatten als schummriges, orangenes Licht in den Raum. Der Bildschirm meines Computers, der in Wirklichkeit längst woanders stand, flackerte. Ich flüchtete ins Wohnzimmer, weil ich wusste, was kam. Dass meine Erwartungen eine selbst erfüllende Prophezeiung waren, was Träume anbelangte, half mir nicht dabei, sie zu kontrollieren. Ein Grollen ertönte. Das Räuspern, unerwartet, erschrak mich mehr. Ich zuckte zusammen, mein Traum verschwamm kurz, ehe er sich wieder stabilisierte und ich mich Sleepy gegenüber sah. Ich blinzelte, aber er blieb, Umrisse ungewöhnlich klar definiert. „Das hier ist mein Traum... Was also tust du hier?“ Er legte den Kopf schief, so dass seine Schlafmütze ihm in seine halb geschlossenen Augen rutschte. „Wieso solltest du nicht von mir träumen?“ „Du hast nicht wirklich einen Eindruck hinterlassen.“ Meine Träume waren chaotisch, aber ich konnte doch meist eine Thematik dahinter erkennen. Mein Elternhaus zeigte, dass ich Heimweh hatte. Sleepy war... fehl am Platz. „Autsch.“ „Und du bist zu... klar. Komisch.“ Er flackerte, verschwamm kurz, als ob er mir beweisen wollte, dass ich unrecht hatte, ehe er zwei Meter weiter links wieder auftauchte, die Hände abwehrend erhoben. „Hey, schmeiß mich nicht gleich raus. Du hast keine Ahnung, wie anstrengend es ist, eine Verbindung zu dir aufzubauen. Schreckliche Schlafgewohnheiten, tztz.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Bei den Umständen kann ich wirklich nichts dafür.“ Sleepy nickte zustimmend. „Deshalb mache ich meine Nickerchen in meinem Büro.“ Er sah sich interessiert in dem dunklen Raum um und ich war erleichtert, dass meine Eltern verschwunden waren. Sein Blick blieb auf dem Namen an meiner Schlafzimmertür hängen. Ich räusperte mich. „Eine Teufelsfrucht?“ Ich kannte meine Traumwelt, und so eigenartig diese auch manchmal war, die Präsenz meines Gegenübers war eindeutig neu. Es würde auch zu der Müdigkeit passen, die mich bei unserer letzten Begegnung übermannt hatte. Er deutete eine Verbeugung an. „Moki, Herr der Träume.“ Ich blinzelte und plötzlich stand er neben mir, eine Hand auf meiner Schulter, und bugsierte mich zurück in mein Schlafzimmer. Schläfrig folgte ich ihm und setzte mich gehorsam auf mein Bett, während er Platz auf meinem Schreibtischstuhl nahm und förmlich in der zuvor nicht vorhandenen Polsterung versank. „Ein bisschen Tageslicht wäre nicht schlecht.“ Die Nacht wich und mein Zimmer hellte auf, zusammen mit meinen schwammigen Gedanken, als Moki nach hinten rollte und Abstand zwischen uns brachte. Ich mochte nicht, wie er seine Umgebung analysierte, war aber nicht allzu beunruhigt. Wenn er glaubte, mehr über mich zu erfahren, hatte er sich geschnitten. Ich hatte es nicht so mit Dekorieren und abgesehen von meinen Medaillen und Pokalen aus meiner Schwimmzeit gab es nichts Sehenswertes. Außer er mochte Diddle-Plüschtiere. „Ziemlich spartanisch.“ Wenn er enttäuscht war, ließ er es sich nicht anmerken. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe besseres zu tun, als zu dekorieren.“ Mein Zimmer war zum Lernen und Schlafen da. Innenarchitektur gehörte nicht zu meinen Interessen. „Was denn?“ Ich schwieg und starrte ihn trotzig an. Er schmunzelte und lehnte sich etwas nach vorne. „Schreiben, etwa?“ Das mulmige Gefühl eines Albtraums überkam mich bei der Anspielung und das Tageslicht begann verräterisch zu flackern. Ich wünschte mir beinahe meine üblichen Monster zurück. Mit denen wusste ich zumindest umzugehen. Moki nickte. „Du hast eine äußerst … kreative Ader. Vor allem, was unseren Kapitän angeht. Woher das Interesse?“ Das fragte ich mich mittlerweile auch. Ich hatte eindeutig einen schrecklichen Geschmack, was Typen anging. Andererseits waren diese bis vor kurzem auch noch fiktiv, sonst wäre ich bestimmt nie auf die Idee gekommen, mich an einem PWP zu versuchen. Moki seufzte. „Du musst mir schon etwas entgegen kommen, wenn ich dir helfen soll.“ „Helfen?“ Ich starrte ihn an. „Du willst doch bestimmt nicht, dass deine kreativen Ergüsse in die falschen Hände geraten.“ Ich runzelte die Stirn. Helfen, von wegen. Das hier war pure Erpressung und Moki hielt alle Karten in der Hand. Ich zuckte mit den Schultern. „Jeder mag Piratengeschichten“, beantwortete ich seine ursprüngliche Frage. „Aber die wenigsten genug, um sich auf ein Piratenschiff zu schleichen.“ „Das habe ich nicht.“ „Und trotzdem bist du hier.“ „Sicher nicht mit Absicht.“ „Und was genau ist deine Absicht?“ Überleben und einen Weg nach Hause finden. Ich erinnerte mich an die Schatzkarte „Ich will in die Neue Welt.“ Es war mein einziger Hinweis. Moki mustere mich kritisch durch halb geschlossene Augen und ich konnte es ihm nicht wirklich verübeln. Selbst Law bevorzugte es, vorerst auf dieser Seite der Grandline zu bleiben um sich besser vorzubereiten, und das trotz Supernova-Titel und overpowerter Teufelsfrucht. Ich hatte nichts auf der Grandline verloren. In keiner der beiden Hälften. Ich vermisste meinen langweiligen, ungefährlichen Alltag. „Warum?“ „Ich suche einen Schatz.“ „Und was suchst du hier?“ Ich seufzte. Das Gespräch drehte sich im Kreis. Ich hatte einfach keine zufriedenstellenden Antworten. „Ist es wirklich so schwer zu glauben, dass ich vollkommen unbeabsichtigt hier gelandet bin?“ „Ja.“ Moki schloss die Augen. „Wir sind mitten im Meer, gerade erst aufgetaucht und du erscheinst aus dem Nichts.“ Er legte den Kopf schief, tief in Gedanken versunken. „Aber mal abgesehen davon ist es vollkommen inakzeptabel, dass es keine Informationen zu deiner Person gibt.“ Aha, aus dem Nichts auftauchen war also okay, aber unauffindbar sein nicht? Diese Welt war wirklich verrückt. „Nicht jeder ist nennenswert?“ Auch hier dürfte die Mehrzahl der Population aus stinknormalen Bürgern bestehen, auch wenn man nur die außergewöhnlichen kannte. „Und nicht jeder ist im Besitz fortgeschrittener Medizinbücher, die in einer historischen Sprache verfasst sind oder schreibt Geschichten in zwei weiteren, ähnlich veralteten Sprachen und behauptet von einer Insel zu kommen, die meines Wissens nach nicht existiert.“ Ich starrte ihn an, während meine Gedanken rasten. Da hatte ich mich in was reingeritten. Gar nicht gut. Ein erster Hintergrundcheck und meine ehe schon dürftige Erklärung meiner Herkunft fiel schneller in sich zusammen, als ich „Holy Guacamolee“ denken konnte. Das mit den Sprachen hatte ich noch gar nicht bedacht. Ich war erleichtert über mein neugewonnenes Japanisch-Wissen, aber ich hatte andere Sorgen gehabt, als zu hinterfragen, wie es in dieser Welt mit anderen Sprachen stand. Und dass mich ausgerechnet meine Bücher in Schwierigkeiten bringen konnten, hatte ich wirklich nicht erwartet, zu erleichtert, dass mein Handy nicht in die falschen Hände geraten war. Naiv, Kim. Wirklich naiv. „Ich lese gerne?“ Moki sah wenig beeindruckt aus. „Bitte, die allerwenigsten beherrschen die alten Sprachen. Nur Gelehrte haben Zugriff auf die nötigen Bücher. Und ich kenne alle Gelehrten.“ Ich legte den Kopf schief, aber anstatt diese neuen Informationen zu nutzen, um mir eine bessere Ausrede einfallen zu lassen, blieb ich an einem viel wesentlicheren Punkt hängen. Wenn nur Gelehrte die Sprachen kannten und Moki offensichtlich meine Geschichten gelesen hatte... „Du, ein Gelehrter?!“ Moki schniefte. „Ist das so schwer zu glauben?“ Jetzt war es an mir, die Schlafmütze vor mir kritisch zu mustern. „Was, hast du deine Prüfungen im Schlaf gemeistert?“ „...“ Ich starrte ihn mit offenem Mund an. „Im Ernst?“ Moki, der schläfrige Gelehrte, räusperte sich. „Das tut nichts zur Sache. Fakt ist, dass deine Geschichte nicht zusammenhält, was wiederum die Frage deiner Absichten aufkommen lässt.“ Ich seufzte. So würden wir nicht weiterkommen. So langsam sehnte ich mich nach ein bisschen erholsamen Schlaf. Ironisch, wo ich doch träumte. Mein Peiniger lehnte sich nach hinten in die Polsterung des Bürostuhls. „Irgendjemand hält deine Herkunft geheim. Weshalb? Wer hat dich geschickt?“ Von Kopfgeldjägerin zur Spionin, huh? Es wurde immer abstruser. Ich konnte weder kämpfen, noch lügen. Meine Freunde lachten über mein Pokerface, waren manchmal regelrecht besorgt wegen meiner Naivität. Wie war ich bloß in dieser Situation gelandet? „Ich wurde von niemandem geschickt und ich weiß nicht, was los ist. Das schwöre ich“, versprach ich kläglich, genau wissend, wie wenig mein Schwur wert war. „Wenn du mir antwortest, behalte ich deine gewagteren Geschichten für mich.“ Toll. So langsam kam mir der PWP im Vergleich zu meinem anderen Problem kindisch vor. Peinlich, ja, aber was konnte Law schon tun? Mich auslachen? Nicht vorhandenen Respekt verlieren? Ich warf Moki einen finsteren Blick zu und wünschte mir, dass der Bürostuhl zusammenklappte. Ein Knacken und lautes Fluchen später lag der Herr der Träume auf dem Boden und ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Das hier war noch immer meine Traumwelt. „Nun gut, das ist auch eine Antwort“, meinte er, als er sich wieder aufrappelte. „Ich hatte gehofft, du würdest es mir einfacher machen. Aber nun ja, es gibt andere Möglichkeiten.“ Er lächelte faul und begann zu verblassen. „Schöne Träume.“ Ich zweifelte daran. Moki driftete durch das Limbo seiner eigenen Traumwelt, zu sehr in Gedanken versunken, als seiner Umgebung genug Aufmerksamkeit zu schenken, um sie in etwas Konkretes zu formen. Er war müde, was an sich nichts Außergewöhnliches war. Es gehörte zu seiner Fähigkeit. Aber diesmal ging seine Müdigkeit tiefer. Er mochte die meiste Zeit schlafend verbringen, aber der Besuch von anderen Traumwelten war wenig erholsam. Die Ankunft ihres ungebetenen Gastes war Grund, die Traumwelten seiner Informanten abzuklappern, ohne wesentlichen Erfolg. Keiner wusste, wer sie war. Es war beunruhigend für jemanden wie ihn, der sich auf das Beschaffen von Wissen spezialisiert hatte, diesmal daran zu scheitern. Das direkte Gespräch, nicht wirklich seine Stärke, hatte ebenso wenig gebracht, aber obwohl er beinahe damit gerechnet hatte, war es dennoch frustrierend. Kurage würde es ihm bestimmt unter die Nase reiben. Er rieb sich die Stirn. Ein Gespräch blieb ihm noch, bevor er den Schlaf der Gerechten schlafen konnte. Ein Schauder erfasste seinen Traumkörper, als er den OP-Saal betrat und es tunlichst vermied, die roten Flecken an der Wand genauer zu betrachten. Ebenso achtsam bevorzugte er es, einige Zentimeter über dem Boden zu schweben. „...Käpt'n?“ Moki vermied es für gewöhnlich, die Träume seines Kapitäns heimzusuchen, und das aus gutem Grund. Das Massaker, welches er gerade auf dem OP-Tisch veranstaltete, war nichts für seinen empfindlichen Magen. Law ließ sich allerdings nicht aus der Ruhe bringen und sah nicht einmal von seiner Arbeit auf. „Neuigkeiten?“ Moki schluckte, obwohl das im Traum gar nicht nötig war, und gab seinen kläglichen Bericht ab. „Keine konkreten Antworten. Sie beharrt darauf, nichts zu wissen und schien ehrlich überrascht, dass die Sprachen nicht geläufiger sind. Ich durchschaue sie nicht.“ „Mmh.“ Law legte ein blutiges Skalpell auf den Tisch und griff nach einer Zange. Moki wandte schnell den Blick ab. Die Decke war relativ sicher. Zum Glück dauerte es nicht lange, ehe sein Kapitän das Schweigen brach. „Ich habe eine Idee.“ Unheilvolle Worte. Ihr Gast tat ihm fast Leid. Aber nur fast. Lautes Stimmengewirr riss mich auch meinem wenig erholsamen Schlaf, aber ich war noch nicht bereit, mich wieder der Welt zu stellen und kuschelte mich tiefer unter meine Decke. Wenn es nach mir ging, würde ich einfach hier liegen bleiben, bis ich wieder zu Hause aufwachte. Ja, das klang wirklich nach einem hervorragendem Plan. Dösen war allerdings weitaus angenehmer, wenn einen nicht rege Betriebsamkeit um einen herum dabei störte. Irritiert öffnete ich endlich die Augen – und sah geradewegs in ein rundliches Gesicht. Schlagartig war ich hellwach und zog instinktiv die Decke bis über die Nase. „Oh, du bist wach“, stellte Fugu scharfsinnig fest. Dann erhellte sich sein Gesicht als er in seinen üblichen Redeschwall überging. „Wir sind angelaufen und brauchen Vorräte und es gibt Obstbäume, also Gerüchte, dass es Obstbäume gibt, und zwar im Inneren, also im Inneren der Inseln, Bepo hat das gehört, und das U-Boot muss repariert werden und Namazu hat keine Zeit und frische Luft tut dir bestimmt gut, Essen ist schließlich wichtig, also Übelkeit ist schlecht-“ Ich brauchte ein bisschen, um das Wesentliche herauszufiltern. Mein Gehirn war trotz dem ungewollten Adrenalinschub noch nicht ganz wach. „Ich komme gerne mit, Fugu-san.“ Alles war besser, als auf dieser Blechbüchse zu bleiben. Vor allem, weil ein gewisser, furchteinflößender Kapitän in dieser verweilte. Widerwillig kämpfte ich mich unter der wohlig warmen Decke hervor, trotzte mutig der morgendlichen Kälte – und purzelte mit einem Kreischen aus der ungewohnten Hängematte. „Warum ich dich als Gefahr eingestuft habe ist mir schleierhaft.“ Shark grinste amüsiert auf mich hinab, ehe er elegant aus seiner Hängematte stieg und leichtfüßig neben mir landete – auf den Füßen, nicht auf dem Rücken, so wie ich. So unfair. „Du gehst ja schon ganz allein zu Boden.“ Ich bedachte ihn mit meinem finstersten Blick, der ihn vollkommen kalt ließ, und rappelte mich seufzend auf. Wenigstens hatte ich mir nicht wieder den Kopf gestoßen. Der fühlte sich mittlerweile schon fast wieder normal an. Das Schwindelgefühl, das von zu schnellem Aufstehen kam, blinzelte ich gekonnt weg und sah mich prompt einer Papiertüte entgegen, die ich instinktiv entgegen nahm. „Ich habe gesehen, dass du im Schlaf gesabbert hast, du musst hungrig sein, hier.“ Peinlich berührt wischte ich mir so unauffällig wie möglich über den Mund, aber Kurages Grinsen nach zu schließen hatte er trotzdem alles mitbekommen. Und wenn ich dessen Charakter richtig erfasst hatte, würde Shark mich heute Abend nicht mehr Kübli sondern Sabbli nennen. Fugu bekam davon natürlich nichts mit. „Brötchen, Kartoffelbrei ist kein gutes Frühstück, ich hoffe du magst Käse und Schinken, Tomaten hatten wir keine mehr, Brot ist immer da, der Käpt'n mag es nicht, aber gut gegen Puddingbeine, ich liebe Pudding...“ Ich folgte ihm schweigend aus dem Schlafsaal während er weiterplapperte und verschlang dankbar das Brötchen, welches nicht nur bei meinen morgendlichen, enormen Hunger half, sondern auch dem ekligen Geschmack in meinem Mund. Ich musste bei nächster Gelegenheit meinen Mut zusammenkratzen und nach Zahnpasta fragen. Fugu würde mir bestimmt weiterhelfen. Wenn ich denn irgendwann ein Wort dazwischen bekam. Ich wartete artig vor der Küche, in der Fugu nach Rucksäcken für den Transport des Proviants suchte und sah somit, wie Penguin, sofort erkennbar an seiner Mütze (und wie einfacher wäre es, wenn jeder seinen Namen so zeigen würde?) den Gang entlang kam. Und prompt erstarrte, als er mich erblickte. Oookay? Ich lächelte schüchtern und hob eine Hand zum Gruß. „Hi, ich bin die Kim. Erfreut.“ Das war aber wohl die falsche Reaktion, denn Penguin schnappte nach Luft, griff sich ans Herz und kippte nach hinten. Erschrocken hastete ich zu ihm hinüber. Er war vollkommen weggetreten, Gesicht knallrot, aber ein glückliches Grinsen auf den Lippen. Während ich mir noch überlegte, ob eine stabile Seitenlage angebracht war oder ob ich mich gleich auf die Suche nach Eis machen sollte, trat Law aus dem Speisesaal, einen Becher Kaffee in der Hand. Meine instinktive Erleichterung, einen kompetenten Arzt als Unterstützung zu haben, schlug augenblicklich in Entsetzen um, als sein konstantes Lächeln abrupt von einem mir gewidmeten Todesblick ersetzt wurde und mir sogleich klar wurde, wie kompromittierend meine derzeitige Position aussah. Hastig wich ich zurück und hob abwehrend die Hände. „Er ist einfach umgekippt, ich schwör's!“ Ich presste mich an die Wand des Ganges, als Law zu Penguin trat und ihn flüchtig inspizierte, froh, dass er zumindest sein Nodachi nicht dabei hatte. Sein Killerintent verschwand, als sich der Chirurg des Todes merklich entspannte. Er warf mir einen durchdringenden Blick zu. „Was hast du getan?“ „Nichts! Ich habe ihn nur begrüßt!“ Law fuhr sich seufzend durch die wild abstehenden Haare und ich bemerkte jetzt erst, dass er seine übliche Mütze nicht trug. „Schlimmer, als erwartet.“ „Was hat er denn?“, fragte ich besorgt. „Extremer Fall von Schüchternheit“, meinte er und nahm gelassen einen Schluck Kaffee, während ich verdutzt von ihm zu Penguin und zurück blickte. Ernsthaft? „Käpt'n!“ Fugu war wohl endlich fündig geworden und trat aus der Küche. Er drückte mir einen Rucksack in die Hand, den seinigen schon festgeschnallt und ich hielt ihn wie ein Schutzschild vor mich, als ich einer erneuten Musterung unterzogen wurde. „Führst du unseren Gast spazieren?“ „Aye, Käpt'n, wir wollen unsre Vorräte aufstocken und laut Bepo soll es Obstbäume geben und Obst ist gesund, wie du weißt, besser als ich, und hast du überhaupt schon gefrühstückt?“ Jetzt war es an Law, einer kritischen Musterung unterzogen zu werden, welche mit einem missbilligenden Blick auf den Becher Kaffee endete. Ein Mundwinkel zuckte nach oben. „Noch nicht.“ Beide starrten sich an, bis Fugu nachgab und in der Küche verschwand – nur um mit einem Teller Onigiris wiederzukommen, den er prompt seinem Käpt'n in die Hand drückte. „Kaffee allein ist kein Frühstück“, tadelte er und zu meiner Überraschung protestierte Law nicht. Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. Na großartig. „Was sagen die Kopfschmerzen, Miss Kim?“ „Besser, danke.“ Ich wich seinem Blick aus und beobachtete stattdessen, wie Fugu unauffällig versuchte, Penguins Extremitäten symmetrisch zu arrangieren. „Wie viel ein bisschen Schlaf nicht ausmachen kann, mmh?“ Oh-oh. Weder sein breites Grinsen noch sein Ton gefielen mir sonderlich. „Ja?“, fragte ich unsicher und dachte an meinen Traumbesuch zurück, der umso mehr in meiner Erinnerung verschwamm, je länger ich wach war. Was genau hatte ich ausgeplaudert? Law schien Gefallen daran zu finden, mich aufzuklären. „Moki meinte, ihr hättet ein nettes Pläuschen gehabt. Über eine gewisse Geschichte?“ Meine rot glühenden Wangen standen denen Penguins bestimmt in nichts nach, wenn man Laws schadenfrohem Grinsen nachging. „Muss ich mir irgendwann mal ansehen.“ Lässig stieg er über Penguin hinweg, der mittlerweile perfekt parallel arrangiert war, und wandte sich noch einmal an Fugu. „Oh, und nehmt Bepo mit. Er will den Ausgang bestimmt nicht verpassen.“ Damit schlenderte er davon und überließ mich meinem Entsetzen und Fugu seiner Verwirrung. „Aber Bepo hasst Sommerinseln.“ Ich seufzte. Und mich mochte er bestimmt auch nicht. Ich hasste es, recht zu behalten. Bepo war, wie sich herausstellte, ein Eisbär der einen Groll hegte. In diesem Fall gegen mich. Da kotzte man jemanden eeeeinmal vor die Füße... Mir war schleierhaft, wie er mit so süßen Knopfaugen einen solch finsteren Blick hinbekam, der mir trotz aufkommender Sommerwärme einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Mein Versuch eines versöhnlichen Lächelns scheiterte kläglich und ich nahm hinter einem nichtsahnenden Fugu Deckung, der von der Spannung rein gar nichts mitbekam und fröhlich drauf los plapperte, während wir endlich die Treppe zum Ausgang dieser schrecklichen Blechbüchse hochwanderten. Bepo riss schwungvoll die Tür zum Deck auf und meine Vorfreude wurde von einer wabernden Hitzewelle und einer stinkenden Rauchwolke im Keim erstickt. „Ban!“ Der Verursacher der Stinkwolke lehnte an der Reling und drehte sich auf Bepos entrüsteten Ausruf gelassen um, Zigarette im Mundwinkel, und hob eine Augenbraue, die beinahe unter dem dunkelblauen Bandana verschwand, welcher weißes Zottelhaar aus den violetten Augen hielt. An dem üblichen Overall war ein Gürtel angebracht, an dem diverse Instrumente hingen und ihn als Mechaniker auszeichneten. Ich erinnerte mich vage daran, wie er beim Abendessen kurz erwähnt worden war als einer von denen, die das U-Boot am Laufen hielten. „Mmh?“ Bepo plusterte sich wichtigtuerisch auf. „Du sollst doch nicht an Deck rauchen.“ Er rümpfte die empfindliche Nase. „Der Gestank ist unerträglich.“ „Genau genommen soll ich gar nicht rauchen“, sagte er gedehnt, zuckte mit den Schultern und zog genüsslich an seinem Giftstängel. „Aber selbst der Käpt'n wird mir die nach dem Chaos zugestehen.“ „Das bezweifele ich, so ungesund, wie es ist“, protestierte Bepo und wich einer weiteren Rauchwolke hastig aus. „Außerdem verdirbt es den Appetit“, fügte Fugu unglücklich hinzu. „Du bestehst schon nur aus Haut und Knochen und überhaupt-“ Ban hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut.“ Er nahm einen letzten, langen Zug und schnippte den Stumpf über Bord. „Ich muss mich eh um Tang-tan kümmern.“ Mit einem Winken über die Schulter verschwand er im Innern des U-Boots. Ich runzelte die Stirn. „Tan-tan?“ „Polar Tang, so heißt unser U-Boot, Ban kürzt es gerne ab, er mag es wirklich sehr...“, startete Fugu einen erneuten Redeschwall, als wir an Land gingen. Ich wischte mir die ersten Schweißtropfen von der Stirn, denn die Sommerinsel machte ihrem Namen alle Ehre, und ich sehnte mich nach meinem Bikini und einer nassen Abkühlung anstatt mit Jeans und dunklem, hitzespeicherndem T-shirt durch den Sand zu stapfen, Turnschuhe nach dem ersten Schritt schon voll lästiger Körner. „Ich hasse Sommerinseln“, murrte Bepo neben mir und ich sah ihn mitfühlend an. Im Vergleich zu seinem dicken Pelz war meine Kleidung wahrer Luxus. Unter anderen Umständen hätte ich den weißen Traumstrand bestimmt besser zu schätzen gewusst, der den üblichen Werbeplakaten in nichts nachstand, aber mir schlugen extreme Temperaturen auf die Laune, umso mehr, als ich über meinen Mangel an Wechselkleidung nachdachte. Mir mangelte es an so ziemlich allem. Ich war froh, als wir endlich der prallenden Sonne zugunsten des schattigen Dschungels erreichten, der zwischen uns und unserem mysteriösen Obstbaum-Ziel stand. Die Freude löste sich aber schnell wieder auf als mir klar wurde, dass die Hitze um nichts nachließ, sondern dank der zusätzlichen Feuchtigkeit nur noch erdrückender wirkte. Zumindest gereichten mir meine Jeans hier zum Vorteil, als wir uns einen Weg durch dorniges Gestrüpp und Brennnesseln bahnten, die aus entblößten Beinen in kürzester Zeit Schaschlik gemacht hätten. Trotzdem war ich bald genauso nass, als ob ich den ersehnten Sprung ins Meer doch gemacht hätte, und ich konnte nur ahnen, wie schlimm es meinen beiden Gefährten in ihren Overalls ging. Bepos Zunge hing ihm mittlerweile bis auf die Brust. Das war die Gelegenheit, vielleicht ein paar Pluspunkte zu gewinnen und den ersten Eindruck etwas wett zu machen. Schnell kramte ich in meinem Rucksack nach den Wasserflaschen und reichte eine davon dem schwitzenden Eisbären. Mein zaghaftes Lächeln geriet ins Wanken, als er es mir mit einem dunklen Blick quittierte. „Es ist deine Schuld, dass mich der Käpt'n mitgeschickt hat“, beschwerte er sich, aber die Wirkung ging etwas verloren, als er die Flasche an sich nahm und in einem langen Zug leerte. Er rümpfte die Nase. „Du befolgst besser meine Befehle.“ „Natürlich, Bepo-senpai“, antwortete ich aalglatt, wusste ich doch genau, dass er das hören wollte. In diesem Fall kam mir mein Fandomwissen zugute. Zumindest ein wenig. Warum landete ich auch ausgerechnet bei den Piraten, über die man so gut wie gar nichts wusste? Bepo plusterte sich wichtigtuerisch auf, besänftigt, dass er endlich einen Untergebenen gefunden hatte, der auf ihn hörte. Ich wischte mir verschwitzte Strähnen aus dem Gesicht. „Und ich entschuldige mich für das Fiasko bei unserer ersten Begegnung. Es war wirklich nicht beabsichtigt.“ Wer beabsichtigte schon, jemandem vor die Füße zu kotzen? Aber lieber eine Entschuldigung zu viel als eine zu wenig. Ich konnte es mir hier wirklich nicht leisten, mir Feinde zu machen. Die Welt war gefährlich genug. Bepo musterte mich etwas misstrauisch, schniefte, und kam dann wohl endlich zu dem Schluss, dass ich es ernst meinte. „So lange es nicht wieder vorkommt.“ Ich schüttelte den Kopf. Das wollten wir alle beide vermeiden. Mein zaghaftes Lächeln wurde zwar nicht erwidert, aber die Spannung zwischen uns hatte zumindest deutlich nachgelassen. Wir waren zwar keine besten Freunde, aber ich war schon zufrieden damit, nicht mehr sein Erzfeind zu sein und zurück auf mehr oder weniger neutralen Boden zu finden. Ihn zu meinem lebenden Teddybären zu machen war ein eher langfristiges Nebenziel, welches ich ihm bestimmt nicht unter die Nase reiben würde. Der beinahe friedliche Moment währte leider nicht, als unser Vorankommen immer tückischer wurde, je weiter wir in den dichter werdenden Dschungel eindrangen und von einer Kakophonie kreischender Vögel als passender Soundtrack begleitet wurde, in einem schrecklichen Bündnis Natur gegen Menschen (und Eisbär). Ungeduldig schlug ich Lianen aus dem Weg und wünschte mir in meinem Elend beinahe, zurück auf der Blechbüchse mit seinem furchteinflößenden Kapitän zu sein, während ich fluchend Fugu nachstapfte und meinen Frust an den unschuldigen Pflanzen ausließ, die es wagten, sich mir in den Weg zu stellen. Bei dem ohrenbetäubenden Lärm ging Fugus Schrei komplett unter und ich bemerkte erst, dass etwas nicht stimmte, als Bepo mich am Arm packte und zurück von dem wild mit den Armen fuchtelnden Koch zog. Als sich meine Füße mit einem schmatzenden Geräusch befreiten und wir beide zurück auf festeren Boden stolperten und ich sah, wie Fugu langsam versank, wurde mir erst klar, mit was wir es zu tun hatten. „Treibsand“, erläuterte Bepo unglücklich und ließ meinen Arm los. „D-danke“, stotterte ich, vollkommen durch den Wind und beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie Fugu tiefer sank. „Wir müssen ihn rausziehen.“ Bepos Stimme war ruhig. Konzentriert sah er sich nach einer Lösung um. Ich holte tief Luft und nickte. Kein Grund zur Panik. Treibsand war ein geläufiges Hindernis in Geschichten, das ich ebenfalls schon benutzt hatte. Einfaches Problem, einfache Lösung. „Fugu-san, versuch dich nicht zu viel zu bewegen!“ Entweder hörte der Koch mich über den Radau nicht oder konnte sich nicht beherrschen, denn er machte munter weiter und steckte mittlerweile bis zum Bauchnabel im Schlamassel. Wir mussten uns beeilen. Bepo hatte inzwischen einen robust aussehenden Ast ausfindig gemacht, der bis zu Fugu reichte. Nur, dass dieser seinen Ursprung einen guten Meter über Bepos Kopf hatte, was bei dessen beachtlicher Größe geschätzte vier Meter war. Er sah mich an. Ich starrte zurück. Er blickte hoch zum Ast und wieder zurück. Ich schüttelte den Kopf. Er nickte und machte eine Räuberleiter. Ein Blick zu Fugu erinnerte mich daran, dass wir uns beeilen sollten und ich ergab mich seufzend meinem Schicksal. „Ich werde ihn nicht rausziehen können“, warnte ich Bepo und kletterte bedächtig von seinen Pfoten auf seine Schultern und schließlich auf den vermaledeiten Ast, an den ich mich mit der gesammelten Kraft des durch Höhenangst ausgelösten Adrenalinschubs klammerte. Bepos Knopfaugen sahen ernst zu mir hoch. „Halte ihn einfach fest. Ich bin sofort zurück.“ Ich schluckte schwer und rutschte auf dem Bauch den Ast entlang, welcher sich viel zu schnell verdünnte und somit an gewünschter Stabilität verlor. Dass er sich langsam nach unten bog, half dabei, Fugu zu erreichen, machte mir mein Leben aber nicht wirklich einfacher. Nur gut, dass ich in meiner Kindheit praktisch auf Bäumen gelebt hatte. War allerdings auch schon ein Zeitchen her. Warum hatten wir auch kein Seil eingepackt? Da sollte man doch aus dem Fehler Samweis' gelernt haben... Ich war jetzt genau über Fugu, der mittlerweile bis auf Brusthöhe im Sand versunken war und somit trotz durchgebogenem Ast außerhalb der Reichweite meiner kurzen Arme. Ganz toll. Zeit für einen neuen Plan blieb auch nicht. Der Sand machte dem Koch jetzt schon zu schaffen, wie dieser mit jedem Atemzug gegen den Druck auf seiner Brust ankämpfen musste. Zeit für drastische Maßnahmen. Ich hoffte, ich hatte es noch drauf und landete nicht kopfüber im Treibsand. In Filmen sah es zumindest einfach aus. Und das hier war schließlich ein Shonen Manga. Was konnte schon schiefgehen? Ich dachte lieber nicht darüber nach, als ich die Beine auf eine Seite schwang und mich langsam nach hinten fallen ließ, bis ich nur noch an den Kniebeugen und einer Hand am Ast hing. Mit der anderen griff ich nach Fugu, der erleichtert zupackte. So weit so gut. „Alles okay?“ Er nickte, schwieg aber, was meiner Meinung nach viel mehr aussagte. Ein schweigender Fugu war ein leidender Fugu. „Bepo wird dich bald rausziehen, keine Sorge“, versuchte ich ihn zu beruhigen und gleichzeitig nicht daran zu denken, wie ich aus der Sache wieder rauskam. Meine Position war etwas ungünstig, so akrobatisch genial ich mir dabei auch vorkam. Meine Beine brannten jetzt schon und mein Rücken war über die verdrehte Position alles andere als erfreut. Fugus zusätzliches Gewicht machte zum Glück weniger aus, als ich erwartet hatte. Jetzt, wo er sich nicht mehr hektisch bewegte, sank er auch nicht weiter ein. Wir saßen also fest, bis Bepo wiederkam. Oder ich vom Ast rutschte. Zum Glück war der Eisbär bald wieder da, in den Pfoten ein paar Lianen, die er schnell aber effektiv zusammenknotete und Fugu zuwarf. Klassisch. Ich packte ihn vorsichtshalber am Kragen seines Overalls, als er mich losließ, um sich das improvisierte Seil umzubinden. Meinen Versuch, ihn ein bisschen herauszuziehen, um Bepos Arbeit zu erleichtern, gab ich schnell wieder auf, als ein ominöses Knacken seitens meines Astes ertönte. Wie sich herausstellte war es eh überflüssig. Der Eisbär benötigte eindeutig keine Hilfe bei der Rettungsaktion und zog den armen Koch beinahe mühelos aus dem tückischen Sand. Bald lagen beide erschöpft, aber in Sicherheit auf festem Boden. „Meine Schuhe“, beschwerte sich Fugu und wackelte traurig mit den nackten Zehen. Der Treibsand hatte seinen Tribut gefordert. Ich grinste, berauscht von der Erleichterung der gelungenen Rettungsaktion – und wahrscheinlich auch von dem Blut, das mir langsam in den Kopf schoss. „Lasst euch nicht stören, ich hänge hier eh nur rum.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)