Alice im Wunderland - Die bescheuertste Interpretation ever von Drachenprinz ================================================================================ Epilog: Epilog - Brutal Planet ------------------------------ „Alice...?“ Sein Name. Jemand sagte seinen Namen. „Bist du noch ansprechbar, Alice?“ Die Stimme war nicht unbekannt. Wem gehörte sie? Es musste eine Ewigkeit her sein, dass er sie das letzte Mal gehört hatte... „Mann, der wird gar nicht wach. Glaubt ihr, ich könnte ihn doublen, falls er beim nächsten Konzert immer noch pennt?“ Moment... 'Konzert'? 'Falls er immer noch pennt'? Und diese Stimme... Irgendwie klang sie nach... „... Ryan?“ „Wow, du bist aufgewacht! Dann wird das wohl doch nichts mit dem Doublen. Schade!“ „Du hast ganz schön tief geschlafen. Wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr zu dir. Hast zwischendurch ganz schön gruselig ausgesehen...“ „Geschlafen? Aber...“ Dann war das alles also wirklich nur ein Traum gewesen? Das Wunderland, das Schloss, die Kehrseite... die Königin... All das hatte sich bloß in seinem Kopf abgespielt? Alice sah in die irritierten Gesichter seiner Bandmitglieder, die ihn musterten, als sei er soeben aus einer fremden Dimension zu ihnen zurückgekehrt – was gewissermaßen ja sogar stimmte. Nur dass die Rückkehr für seinen Geschmack ein wenig zu ruckartig verlaufen war. Oder... war er vielleicht auch gerade im richtigen Moment wieder in seinem Tourbus gelandet? Alles sah ganz genauso aus, wie er es aus der Zeit vor seiner Reise durch die verwunschene Welt der Freaks in Erinnerung hatte. Und doch – er hätte schwören können, dass er sich bis eben tatsächlich noch auf dem königlichen Ball befunden hatte, umgeben von der jubelnden Menge, während er Marilyn gegenüberstand, der ihm gerade so etwas wie einen... „Großer Gott“, entfuhr es ihm, als er das unfassbare Szenario wieder klar und deutlich vor seinem inneren Auge sah. „Marilyn hat mir... einen Heiratsantrag gemacht...“ „Marilyn?“, hörte er Eric fragend wiederholen. „Monroe oder Manson?“ „Das wollt ihr überhaupt nicht wissen“, antwortete Alice und musste ein wenig lachen. Warum, wusste er selbst nicht so genau. „Ich wäre ja für Manson“, sagte Ryan mit einem amüsierten Grinsen. „Ich meine... Das würde optisch voll cool aussehen. Wie ein... bildhübsches Traumpaar aus Transsylvanien.“ „Ich finde, es würde eher akustisch danach aussehen.“ „Ach, halt die Klappe, Eric. Dich hab ich nicht gefragt.“ „Wo ihr schon von Marilyn Manson redet...“, meldete sich jetzt auch Pete zu Wort, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte. „Mir fällt gerade etwas Komisches ein. Vorhin musste ich ganz plötzlich, total zusammenhangslos, an... Mick Jagger denken. Aber nicht so, dass er mir einfach aus irgendeinem Grund eingefallen wäre – eher so, als wäre er... wie soll ich sagen... als wäre er hier gewesen.“ Alice überkam ein merkwürdiges Gefühl, als er die beunruhigten Mienen seiner Kollegen erblickte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas stimmte ganz gewaltig nicht. „Mick Jagger?“, gab Eric mit einem schwer zu deutenden Unterton zurück. „Das ist... interessant. Ich musste vorhin auch an ihn denken. Haben wir vielleicht kurz über ihn gesprochen und es danach wieder vergessen?“ „Nein, haben wir nicht“, entgegnete Pete überzeugt. „Ich wüsste es, wenn wir über ihn gesprochen hätten.“ „Was ist mit dir, Ryan?“, wandte sich Eric an den Gitarristen, der ihn jedoch nur zögerlich und mit einem eigenartigen Blick anschaute. „Hattest du auch eine geistige Zusammenkunft mit Mick Jagger?“ Ryan wirkte mit einem Mal nur noch zum Teil amüsiert – zu einem wesentlich größeren Teil schien er nun nachdenklich und verwirrt. „Naja, ich...“, murmelte er langsam. „Fragt mich nicht, warum, aber ich musste ihn mir in einem total albernen Hasenkostüm vorstellen.“ Okay. Das konnte nun definitiv kein Zufall mehr sein! „Entschuldigt mich... Ich muss mal kurz etwas nachsehen.“ „Tu das, aber pass auf, dass kein verkleidetes Rolling Stones-Member auf dich lauert!“, rief Eric ihm hinterher, als Alice sich mit bedenklich wankenden Bewegungen von seinem Platz erhob und mit einer kuriosen Vorahnung den schmalen Gang des Busses entlanglief, bis er am hinteren Ende des Raumes angelangt war... an der Stelle, an der er erwartet hatte, die geheime Bodenklappe vorzufinden. Aber dort war keine Bodenklappe. Nichts. Keine Spur. Das Portal, das ihn wie durch Magie in die fantastischen Weiten des Wunderlandes geführt hatte und mit dem seine persönliche Geschichte als Auserwählter und heroischer Weltenretter begonnen hatte – es war einfach verschwunden. „Seltsam“, sagte er flüsternd zu sich selbst, während er langsamen Schrittes zu den anderen zurückging und schließlich auf halbem Wege neben den Sitzplätzen stehenblieb. „Wirklich seltsam.“ „Und? Hast du was Spannendes gefunden?“ Pete schaute wie gebannt zwischen ihm und der Stelle, an der das Portal hätte sein müssen, hin und her, während Eric und Ryan offenbar gerade eine Konversation darüber abschlossen, wie verrückt die Welt doch manchmal sei, und anschließend im Duett anfingen, 'Brutal Planet' zu gröhlen. „Nein... habe ich nicht“, erwiderte Alice noch immer abwesend. „Das ist es ja gerade.“ Den verständnislosen Blick seines Gegenübers nicht weiter beachtend, versuchte er gedanklich angestrengt, irgendeinen auch nur halbwegs sinnvollen Zusammenhang zwischen all diesen unerklärlichen Dingen herzustellen, musste jedoch schnell feststellen, dass er nur daran scheitern konnte, solange sein Drummer und Gitarrist den Refrain dieses Songs mit einer derartigen Inbrunst durch den Bus schmetterten. Außerdem hatte er bereits seit er aufgewacht war ein ganz anderes Lied im Kopf, das jedes Mal wieder von Neuem begann, sobald es sich dem Ende neigte, und das selbst von dem enthusiastischen Gebrüll seiner Bandmitglieder nicht übertönt werden konnte. Sweet Dreams. Zwar wollte sich ihm nicht ganz erschließen, weshalb, aber die Melodie dieses Liedes schien wie in einer verfluchten Endlosschleife in seinem Gedächtnis widerzuhallen. Das Merkwürdigste daran war jedoch, dass er die Version, in der sie ihn so unaufhörlich verfolgte, nicht einmal kannte. Es klang, als würde sie von einer Flöte und einer Geige gespielt werden. „Sag mal, ist alles okay bei dir? Du benimmst dich irgendwie so komisch“, riss Erics Stimme ihn aus seinen Gedanken, nachdem er sein Duett mit Ryan offenbar unterbrochen hatte. Dann wedelte er mit der fast leeren Wasserflasche herum, die er schon die ganze Zeit über in der Hand hielt. „Vielleicht brauchst du eine kleine Abkühlung?“ „Danke, aber- Obwohl... Ich glaube, eine Abkühlung könnte tatsächlich nicht schaden“, antwortete Alice, ehe er die anderen mit den Worten „Bin gleich wieder da!“ alleine im Hauptbereich des Busses zurückließ und sich, für einen kleinen Moment der Ruhe, in den Badezimmerteil begab. Ein irgendwie unbehagliches Gefühl erfasste ihn, als er die Tür hinter sich zuschlug und seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Er war schon etliche Male in diesem Badezimmer und in jedem anderen Bereich des Tourbusses gewesen – und doch wirkte es so befremdlich, als läge es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zurück, dass er sich das letzte Mal hier aufgehalten hatte. Es wirkte falsch. Es war nicht mehr dasselbe. Seit seinem sonderbaren Traum war das alles nicht mehr dasselbe. Und wenn es doch kein Traum war?, hörte er seine eigene Stimme von irgendwo in seinem Unterbewusstsein aus fragen. Kurz zögerte er, bevor er sich vor das Waschbecken stellte, um sich mit etwas kaltem Wasser zu erfrischen. „Nein“, sagte er entschieden, als er den Hahn so weit nach rechts aufdrehte wie möglich. „Völliger Blödsinn. Aus dem Alter, in dem man an solche Sachen glaubt, bin ich eigentlich raus.“ Es gab für alles eine Erklärung, und sicher gab es auch hierfür eine. Eine, die nicht implizierte, dass es sich dabei um die Realität gehandelt hatte – denn das wäre nun wirklich absurd. Ein Land voll sprechender Tiere, singender Blumen und umnachteter Musiker-Duplikate? Wahrscheinlich war ihm bloß die Hitze nicht gut bekommen. Es war wirklich unerträglich heiß heute. Alice ließ ein wenig von dem kalten Wasser in seine Hände laufen, das er sich anschließend ins Gesicht kippte, in der Hoffnung, dadurch wieder einen etwas klareren Verstand zu erlangen. Die Tropfen plätscherten so unaufhaltsam und laut vor sich hin, dass sie beinahe den Eindruck eines tristen Regenschauers erweckten. „Ich sollte mir... von einem Hirngespinst nicht solche Angst einjagen lassen.“ „Oh, welch traurige Worte, mein Junge“, ertönte, wie aus dem Nichts, eine wohlbekannte Stimme, die ihn auf der Stelle erschrocken zusammenfahren ließ. „Was würde Charlie wohl sagen, wenn er das hören könnte?“ Panisch blickte er sich nach allen Seiten in dem kleinen Zimmer um, konnte jedoch nirgends jemanden entdecken. Eigentlich war es auch unmöglich. Hier konnte sich niemand verstecken. Bestimmt halluzinierte er nur, weil er einen harten Tag hinter sich hatte. Alles ist gut... Das war nur Einbildung, dachte er, wollte sich gerade mit dem Gedanken zufriedengeben, dass er bloß etwas neben sich stand, sich ein Handtuch greifen und dann in den Wohnbereich zurückkehren – als er ihn plötzlich sah. Er war im Spiegel. „Das... kann nicht sein“, brachte er fassungslos hervor, als er vollkommen starr das Glas vor sich fixierte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war er dort zu sehen gewesen; viel zu kurz eigentlich, um ihn genau definieren zu können. Und doch hatte er alles an ihm erkannt – das spöttische Grinsen in seinem bleichen Gesicht, die altertümliche dunkle Kleidung... und das grelle Leuchten in seinen Augen, mit denen er ihn für den winzigen Moment, in dem er da gewesen war, regelrecht durchbohrt zu haben schien, bevor er ihn lange nach seinem Verschwinden noch drei letzte Worte flüstern hörte, die ihn anstatt der Melodie, die ihm bis eben noch unentwegt im Geiste herumgeschwebt war, nun sicher mindestens zwei Wochen lang verfolgen würden: „Süße Träume, Alice.“ Einige Minuten lang stand er noch dort, ohne sich zu bewegen oder irgendetwas anderes zu tun als seine eigenen eingefrorenen Gesichtszüge zu betrachten, die sich vor ihm in der Glasscheibe spiegelten und sich allmählich zu einem zweifelhaften Lächeln formten. Dann nahm er sich das Handtuch, trocknete sich ab und ging, ohne ein weiteres Wort über die seltsamen Geschehnisse zu verlieren, zu den anderen zurück. Vielleicht war er verrückt. Aber das war in Ordnung. Denn jeder hier war verrückt. To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)