Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ronya − Akt 1, Szene 8 ---------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Der nächste Morgen brach früh für Ronya an. Sie hatte sich einen Wecker gestellt, doch Maxwell funktionierte genauso gut. Das kleine Evoli hatte zuerst versucht, auf Ronyas Bauch zu schlafen, war von seiner Trainerin aber wieder und wieder ans Fußende gesetzt worden, bis es grummelnd dort liegen blieb. Es hatte Ronya fast das Herz gebrochen, aber Maxwell Starlings Worte waren eindeutig:   »Gerade zu Beginn muss ein respektvolles Verhältnis zwischen Trainer und Pokémon hergestellt werden, denn auch wenn intensiver physischer Kontakt ein schnelles Mittel zur emotionalen Bindung ist, führt ein plötzlicher Abbruch dieses Verhältnisses (wie er häufig innerhalb weniger Wochen oder nach dem Erhalt weiterer Pokémon auftritt) zu Verwirrung, Enttäuschung oder in manchen Fällen sogar zu Aggression und Abneigung (s. dazu: Kapitel 3.5. „Warum mag mein Pokémon mich nicht mehr?“). Trainer müssen sich vor Erhalt ihres Partners darüber im Klaren sein, wie sehr sie ihre Beziehung zu dem Pokémon in ihr Privatleben eingreifen lassen wollen […]«   Ronya seufzte und betrachte Max, der auf ihrer Brust saß und ihr über das Gesicht schleckte. Bisher waren ihre Distanzierungsversuche fehlgeschlagen. Sie hob ihn vom Bett und streichelte einige Male durch sein flauschiges Fell, bevor sie zu ihrem durchwühlten Rucksack ging und sich für den Tag wappnete. Auf dem Weg nach unten überflog sie ein letztes Mal die nächsten Anweisungen, die ihre Eltern ihr hinterlassen hatten.   4) Morgen setzt um 10:00 Uhr ein Fischer über den See auf Route 218. Die Passage für dich ist angemeldet. Triff ihn an der nördlichsten Anlegestelle. Sein Name ist Harald Unger. Du erkennst ihn an einem roten Halstuch und einem weißen Bart. Die vereinbarte Bezahlung ist 1500 PD. Wenn er dich gut behandelt und nicht versucht, den Preis hochzutreiben, gib ihm 500 PD Trinkgeld. Sobald du das andere Ufer erreichst, bist du auf dich allein gestellt. Die erste Stadt auf deinem Weg ist Jubelstadt. Wir lieben dich. Viel Glück!   Ronya nickte entschlossen. Sie hatte noch über drei Stunden, um Route 218 zu erreichen und am See den Fischer ausfindig zu machen. Evoli war gefüttert und in seinem Pokéball, den Ronya sicher in ihrer Bauchtasche verstaut hatte. Nichts konnte sie jetzt noch aufhalten. Euphorie über ihre neugewonnene Freiheit hätte Ronya beinahe kopflos die Treppen hinunter sprinten lassen. Sie war kaum bis zur zweiten Stufe gekommen, da hörte sie aus dem Erdgeschoss eine ihr sehr bekannte Stimme. Instinktiv presste Ronya sich an die Wand. Sie konnte falschliegen. Doch die schrillen Töne, die von unten zu ihr drangen, ließen sie daran zweifeln. Entgegen besseren Wissens folgte sie dem Lauf der Treppe, bis sie die letzte Biegung erreichte und ein weiterer Schritt sie im Treppengeschoss sichtbar machen würde. Mit ihrem Herz in der Kehle lauschte Ronya auf die Stimmen, die sie nun ohne Probleme als die ihrer Schwester und zwei weiterer Personen identifizierte. Die eine, stetig gegen Thea anredende, schien zu Schwester Joy zu gehören, bei der anderen war Ronya nicht sich nicht sicher, denn gegen Theas Redeschwall kamen die abgebrochenen Einwürfe nicht an. „Ich will wissen, wo sie ist!“, schrie Thea. Ihrer Tonlage nach war sie nicht mehr weit von einem Nervenzusammenbruch entfernt. „Es tut mir wirklich leid, aber ich darf dir gesetzlich keine Auskunft darüber geben, wer in diesem Pokécenter —“ „Sie ist meine Schwester! Ich muss wissen, ob sie hier ist!“ „Thea, reiß dich zusammen“, warf eine männliche Stimme ein. Ronya wagte einen kurzen Blick um die Ecke. Da stand Tommy, wie sie vermutet hatte. Er griff nach Theas Arm, um sie zurückzuziehen, doch sie riss sich unwirsch los und lehnte sich soweit über die Theke, dass ihre Füße in der Luft baumelten. „Wenn … wenn sie mir nicht sofort sagen, wo Ronya ist, dann …“ Sie rang nach Worten. Wohl auch nach Drohungen, die einen Erwachsenen überreden konnten, mit ihr zu kooperieren. Schwester Joy war bereits an die Wand zurückgewichen und hatte die Lippen zu einem weißen Strich zusammengepresst. Wenn Thea so weiter machte, würde sie noch die Polizei rufen. Ronyas erste Reaktion war Scham. Dieses verwöhnte Mädchen, das sich vor Schwester Joy aufführte wie ein Kleinkind, war ihre biologische Schwester? Ihr Zwilling? Sie wollte gerade ihren Kopf zurückziehen, da sah Tommy in ihre Richtung und gab einen überraschten Laut von sich. Theas Reaktion war imminent. Sie riss den Kopf herum und kam auf die Füße. Suchend glitt ihr Blick über das Treppenhaus und blieb an Ronya hängen, die bei Tommys Entdeckung in Schockstarre verfallen war. Thea schrie auf und rannte auf sie zu. Ronya floh. Schwester Joys empörter Ruf machte das Chaos komplett. Ronya flog förmlich die Treppenstufen hinauf, aber Tommy war fast sechszehn, hatte längere Beine und war dank seines Fußballtrainings in besserer Verfassung. Er holte sie ein, noch bevor sie das erste Stockwerk erreicht hatte und packte ihr Handgelenk, doch die Aussicht, so kurz vor ihrem Ziel wieder aufgehalten zu werden, vielleicht sogar ihr Treffen mit dem Fischer zu verpassen, nur weil Thea sie nicht gehen lassen wollte, setzte ungeahnte Kräfte in Ronya frei. Sie riss sich los und stieß Tommy rückwärts gegen Thea, die in dem Moment zu ihrem Freund aufholte. Während die beiden um ihre Balance kämpften, sprintete Ronya den Gang entlang und steuerte auf die Feuerleiter zu. „Ronya!“ Theas durchdringender, fast flehender Schrei hallte in dem langen Gang wider. Ronya rüttelte verzweifelt an dem Türknauf des Notausgangs, versuchte, die Stimme ihrer Schwester auszublenden. Sie wollte nur noch weg von hier. Da packten kräftige Finger ihre Handgelenke und zerrten sie gewaltsam von der Tür weg. Jetzt war es an Ronya, zu schreien und um sich zu treten, aber Tommy hielt sie in eisernem Griff. Als sie versuchte, ihre Hacke in seinen Fuß zu rammen, wich er schnell aus und umarmte sie so fest von hinten, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Ihre Arme waren unter den seinen eingeklemmt. Sie wusste, dass es irgendeine Möglichkeit geben musste, sich zu befreien, aber die schiere Panik, die sich bei seinem festen Griff und dem warmen Atem in ihrem Nacken in ihr breit machte, lähmte sie effektiver als seine Hände. Seine Worte von dem Geburtstag kamen ihr wieder in den Sinn und ihr wurde mit einem Schlag speiübel. „Jetzt halt einfach still“, zischte er in ihr Ohr. „Sie will nur mit dir reden.“ „Ronya …“ Ronya presste ihre Lippen aufeinander und drehte den Kopf, bis sie Thea entdeckte, die mit Tränen in den Augen vor ihr stand. „Was?“, fragte sie brüsk und wehrte sich ein letztes Mal gegen Tommys Griff, bevor sie aufgab. Ihre Muskeln zitterten. Es wunderte sie, dass ihre Stimme nicht dasselbe tat. „Du bist weggelaufen“, sagte Thea und schniefte. „Ich … ich musste dich finden!“ „Warum? Damit du mich weiter nachahmen kannst?“, fragte Ronya. Thea hatte einen Schritt nach vorne gemacht. „W-wir sind doch Schwestern“, sagte sie, ein hoffnungsvolles Lächeln auf ihren Lippen. „Du wolltest nur testen, ob ich dir folgen würde, oder? Jetzt können wir gemeinsam weiterreisen. I-ich will auch gar kein Plinfa mehr, wir nehmen, was du willst und dann —“ Ronya schrie. Sie war sich nie bewusst gewesen, was für Geräusche ihre Kehle hervorbringen konnte. Außer die wenigen Male in den letzten Wochen waren ihre Gefühle nie mit ihr durchgegangen. Sie war frustriert gewesen, hatte Angst gehabt und Thea mit jeder Faser ihres Körpers verabscheut, aber sie war nur selten laut geworden. Immer hatte sie ihre Wut zurückgehalten und Thea nicht ihren geballten Empfindungen ausgesetzt. Bis heute. Das frustrierte Aufheulen, das jetzt aus ihr hervorbrach und Thea zusammenzucken ließ, war geballte Hilflosigkeit, die Frustration, dass ihre Schwester nicht verstand. Sie holte mit ihrem Kopf aus und rammte ihren Schädel nach hinten in Tommys Gesicht. Der Junge heulte auf und lockerte instinktiv seinen Griff. Sie riss sich von ihm los und sah schweratmend dabei zu, wie er benommen rückwärts torkelte. Blut tropfte zwischen seinen Fingern und sein Kinn herab, während er sich stöhnend den Mund zuhielt. Als er die Hände sinken ließ, lag ein abgebrochener Schneidezahn in seiner blutigen Handfläche. Für einen kurzen Moment glaubte Ronya, er würde sich auf sie stürzen, doch er starrte nur auf den Zahn und das Blut. Er wurde kreidebleich und sank langsam gegen die Wand. Ronya drehte den Kopf zu Thea, die ihre Schwester mit angsterfüllten Augen anstarrte, eine Hand auf ihren Mund gepresst. „Ich habe deinen Anblick so satt“, fauchte Ronya und ballte ihre Hände zu Fäusten, um das Zittern zu unterdrücken. „Seit ich denken kann, läufst du mir hinterher. Du hast mich immer nachgeahmt, mein Lieblingsessen, mein Lieblingsspiel, meine Lieblingsfarbe, meine Bücher … alles an dir ist falsch. Du bist nichts als eine leere Hülle!“ Sie holte zittrig Luft. „Damit ist jetzt Schluss. Ich werde abhauen, ich werde Pokémontrainerin werden, mit einem Team, das du niemals nachahmen kannst, selbst wenn du wolltest und ich will dich nie, nie wiedersehen!“ Thea sah sie an. Ihre Augen waren geweitet, doch sie sah wie durch Ronya hindurch. „Sei irgendjemand anders, es ist mir egal“, sagte Ronya, warf einen letzten Blick auf den stöhnenden Tommy und wandte sich ab. „Aber du wirst nie wieder ich sein. Dafür werde ich sorgen.“ Sie ging zum Notausgang und drückte gegen die verräterische Tür. Sie schwang problemlos auf. „Bitte“, erklang Theas flehende Stimme. Ronya blickte über ihre Schulter. Tränen flossen ungehemmt über Theas rote Wangen, ihr schulterlanges Haar war zerzaust und sie kniete auf dem Boden, so als habe sie nicht mal mehr die Kraft, eigenständig zu stehen. „Ich will nicht allein sein.“ „Gewöhn dich dran“, sagte Ronya und trat hinaus ins Freie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)