Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ronya − Akt 1, Szene 4 ---------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Ein Schrei riss Ronya am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Müde von der durchwachsenen Nacht rollte sie sich zur Seite und blinzelte gegen die schräg einfallende Morgensonne. Thea war bis an die Tür zurückgewichen und sah sie entsetzt an. Für einen kurzen Moment war Ronya verwirrt, aber als sie sich aufsetzte und sich abwesend über die borstigen Reste ihrer Frisur strich, kamen die Erinnerungen mit einem Schlag zurück. Thea klammerte sich an ihre eigenen schulterlangen Strähnen, so als hätte Ronya nicht sich selbst, sondern ihre Zwillingsschwester kahlgeschoren. Sie lächelte und stand auf. „Wa-was hast du gemacht?“, flüsterte Thea. Ronya antwortete nicht, sondern ging ruhig auf ihre Schwester zu, die noch immer die Tür blockierte. Als Thea sich nicht von der Stelle rührte und im Gegenteil zitternd die Arme ausbreitete, blieb Ronya stehen. „Lass mich durch“, sagte sie. Innerlich war sie genauso nervös wie ihre Schwester. Wie sie Thea zwingen konnte, aus dem Weg zu gehen, war ihr schleierhaft, aber die kühle Morgenluft, die durch das gekippte Fenster über ihren ungeschützten Nacken und Hinterkopf streifte, verlieh ihr ein plötzliches Selbstbewusstsein. Thea schien eine unausgesprochene Drohung in ihren Worten zu hören, denn sie schluckte ein Wimmern hinunter und trat zur Seite. Noch immer im Schlafanzug stieg Ronya die Treppe hinab. Ihre Mutter war mit der alten Kaffeemaschine beschäftigt, die sie und Jacob zum Hochzeitstag gekauft hatten. Ronya trat in die Küche, ohne von ihrer Mutter bemerkt zu werden, die mit dem Rücken zu ihr einen Schraubenzieher zückte und sich an dem Gehäuse zu schaffen machte. „Morgen“, begrüßte Ronya sie und ließ sich an den Tisch sinken. „Morgen, Ronya“, murmelte ihre Mutter abwesend. „Kannst du glauben, dass Ute schon wieder streikt? Und das gerade jetzt, wo Margret sich für einen Besuch angemeldet hat …“ Ronya grinste in sich hinein. Darleen wischte sich den Schweiß von der Stirn, seufzte und drehte sich im. Ihr Mund, der bereits zu einer weiteren Bemerkung geöffnet war, blieb stumm, als ihr Blick auf Ronya fiel. Ronya wartete auf eine ähnliche Reaktion wie die von ihrer Schwester, aber ihre Mutter sah sie nur einige Sekunden lang an, ließ sich auf einen Stuhl fallen und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Was mache ich nur mit euch?“, fragte sie nach einigen Minuten und sah auf. Ihre Augen wirkten sehr müde. Ronya streckte eine Hand aus und ergriff die ihrer Mutter. Sie wollte nicht, dass Darleen ihretwegen so traurig aussah, wo sie selbst sich doch so viel besser fühlte. Darleen schüttelte den Kopf, entzog ihr die Hand und erhob sich. „Ich schneide das nach“, sagte sie und winkte Ronya zu sich. „So wie jetzt verlässt du mir nicht das Haus.“ Grinsend folgte Ronya ihr ins Badezimmer. Dort fanden sie Thea. Heulend hockte sie auf dem Teppich vor dem Waschbecken, Arme um ihre Knie geschlungen. Die Schere lag etwas abseits, so als habe Thea sie von sich geworfen. Ihr kastanienbraunes Haar verdeckte ihr tränenüberströmtes Gesicht wie ein Vorhang. Als sie die Schritte ihrer Familienmitglieder hörte, riss sie den Kopf hoch. Vor wenigen Tagen hätte der verzweifelte Ausdruck in ihren Augen Ronya einen Stich versetzt, aber wann immer sie sich ihre frühere Schwester ins Gedächtnis rufen wollte, musste sie an ihre Worte der letzten Nacht denken, an ihre Manipulation und Nachahmerei. Ronya empfand keinerlei Mitleid. Ihr Plan war aufgegangen. Thea hatte versucht, ihr Haar abzuschneiden und war an der Aufgabe gescheitert. Trotz ihres Bestehens auf gleiches Aussehen, hatte sie niemals ihren Kleidungsstil opfern können, ganz zu schweigen von ihren Haaren. Hier lag die Grenze. „Thea, ganz ruhig, komm her …“ Ronya riss sich aus ihren Gedanken. Während sie ihre Situation analysiert hatte, war Darleen neben Thea auf die Knie gegangen und hatte sie in den Arm genommen. Thea schluchzte und schniefte und murmelte unverständliche Sätze. Etwas später, als Darleen Thea beruhigt und mit einer heißen Schokolade auf das Sofa im Erdgeschoss verfrachtet hatte, kehrte sie ins Badezimmer zurück und rieb sich stöhnend die Nasenwurzel. Sie hob die Schere vom Boden auf, positionierte Ronya auf dem Klodeckel und begann, die ungleichen Haarbüschel auf eine Länge zu schneiden. Ronya war ziemlich sicher, dass nicht viel übrigbleiben würde. Sie war gestern Nacht nicht gerade vorsichtig gewesen. „Ich hatte mich schon über euren plötzlichen Frisurenwandel gewundert“, sagte Darleen, während das metallische Schnappen der Schere in Ronyas Ohren nachklang. „Jetzt wird mir einiges klar.“ Sie hielt in ihrer Arbeit inne und strich nachdenklich über Ronyas kurze Stoppeln. „Ich verstehe, wie du dich fühlen musst“, sagte sie. Ronya konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber die warmen Hände auf ihrem Kopf beruhigten sie. „Thea kann sehr anhänglich sein. Bisher hielt ich es für harmlos, aber du leidest darunter, kann das sein?“ Ronya nickte stumm. Sie hatte die Augen geschlossen. Darleen seufzte wieder. „Du darfst nicht glauben, deine Schwester terrorisiere dich mit Absicht“, fuhr sie nach einer Weile fort und nahm ihre Arbeit an Ronyas Haaren wieder auf. Sie versuchte, ruhig zu klingen, so als habe sie die Situation unter Kontrolle, aber Ronya konnte das Zittern am Rand ihrer Stimme hören. „Sie ist verunsichert. Du warst immer so ausgeglichen und wusstest genau, was du mochtest und das hat ihr Halt gegeben. Ich dachte, das würde sich ändern, wenn ihr älter werdet, aber es scheint sich nur zu verschlimmern.“ Sie atmete tief durch. „Ich möchte euch beide glücklich sehen, Ronya. Ich glaube nicht, dass sie als Trainerin glücklich werden wird, aber ich kann es ihr auch nicht verbieten, verstehst du?“ „Ich werde keine Trainerin mehr“, sagte Ronya. „Was?“ Darleen hielt inne. „Aber du liest doch all diese Bücher! Du warst versessen auf Pokémon, seit du das erste Mal eins gesehen hast.“ „Wenn ich Trainerin werde, kann ich nicht mehr vor Thea weglaufen“, flüsterte Ronya und spürte nun ihrerseits Tränen in sich aufsteigen. Sie kniff die Augen zusammen, zwang ihre Gefühle zurück. Sie wollte Trainerin werden, mehr als alles andere. Aber es war zu leicht für Thea, sie nachzuahmen. „Sie kann das gleiche Team fangen wie ich. Sie wird ihnen die gleichen Attacken beibringen. Wir werden dieselben Städte bereisen müssen, dieselben Arenen besiegen, auf denselben Routen trainieren … Ich kann das nicht! Ich kann nicht immer alles mit ihr teilen!“ Darleen schwieg, während Ronya nach Luft schnappte. Letztlich waren die Tränen doch gekommen, aber das war ihr egal. Sie musste mit den Dingen, die Thea nicht imitieren konnte, weiterarbeiten. Ihre Frisur. Ihre Kleider. Ihr Bibliotheksausweis. Ihre Risikobereitschaft. Ihre Geduld. Sie würde einen Weg finden, sich von Thea abzuheben, auch wenn es ihren Traum von der eigenen Trainerkarriere zerstörte. „Fertig“, sagte ihre Mutter, so als hätte sie ihren Ausbruch nicht bemerkt. Ronya war ihr dankbar. „Warum gehst du nicht mit Thea in den Park und verbringst dort etwas Zeit mit ihren Freunden?“, fragte sie. Ronya drehte entrüstet den Kopf. Hatte ihre Mutter ihr überhaupt zugehört? Stattdessen hielt sie inne, als sie Darleens schelmisches Grinsen entdeckte. „Du willst ihnen doch sicher deine neue Frisur zeigen, oder?“ Ronya grinste. „Gute Idee“, sagte sie und stand auf. Ein Blick in den Spiegel bestätigte, was sie von gestern Nacht in Erinnerung hatte: Ein kahler Kopf, die dunkelbraunen Stoppeln gerade lang genug, um sichtbar zu sein. Ihre weiße Kopfhaut schien problemlos hindurch. Sie lächelte. Es tat gut, ihr eigenes Spiegelbild zu sein.     Zum ersten Mal seit Ronya denken konnte, war sie es, die auf den gemeinsamen Tag mit Thea bestand. Sie hatte ihre Schwester verheult und in eine Decke eingerollt auf dem Sofa vorgefunden. Zuerst hatte Thea sie nicht einmal angeschaut, und wenn sie es tat, sah sie schnell wieder weg, so als würde allein der Anblick von Ronyas fehlenden Haaren ihre eigenen ausfallen lassen. Trotzdem. Sie war mit ihrer Clique im Park verabredet und auch Ronyas Ankündigung, mit ihr zu gehen, hielt sie nicht von dem Treffen ab. Während Thea die Straße entlang lief, offensichtlich in dem Bedürfnis, ihre Schwester abzuhängen, folgte Ronya gelassen und kickte einen Stein vor sich her. Dank Theas Anstrengung kam sie einige Minuten später am Park an. Die Blumenbeete waren noch nicht völlig aufgeblüht und wo die Wiese an den Wald grenzte, lag das braune Laub vom letzten Herbst verstreut im Gras. Eine Schaukel, eine Rutsche und ein einfaches Klettergerüst waren mittig in einem groß angelegten Sandkasten angesiedelt. Hier fand Ronya ihre Schwester samt Gefolge. Thea musste alle Anwesenden auf den grausamen Anblick ihres Zwillings vorbereitet haben, denn als Ronya um die Ecke in den Park trat und sich dem tuschelnden Grüppchen näherte, spürte sie die bohrenden und verächtlichen Blicke der Mädchen auf sich. Tommy Heep hatte schützend einen Arm um Theas Schultern gelegt. Von der Art, wie sie sich an ihn presste, hätte Ronya genauso gut ein blutrünstiges Pokémon sein können, das sich jeden Moment auf sie stürzen wollte. Ronya hatte sich noch nie so gut gefühlt. Sie holte tief Luft und trat in den Kreis der anderen. „Hallo“, begrüßte sie alle und lehnte sich etwas zurück, Hände in ihrer ausgebeulten Bauchtasche verstaut. Thea, die in ihrer rosa Bluse und den Glitzerjeans neben Tommy stand, schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich erkenne dich nicht wieder, Ronny“, sagte sie leise. „Weil ich nicht mehr du bin?“, fragte Ronya ihrerseits. „Oder weil du nicht mehr ich bist?“ Thea sah sie ausdruckslos an. „Ich weiß nicht, wovon du redest“, sagte sie. „Du hast eine andere Frisur, aber wir sind immer noch Schwestern. Wir werden zusammen auf Reisen gehen und Pokémontrainer werden.“ „Ich werde kein Pokémontrainer“, sagte Ronya. Sie versuchte sich einzureden, dass der bittere Geschmack in ihrem Mund ganz normal war. Sie wusste, dass es die einzig richtige Entscheidung war. Keine Kompromisse mehr. Thea durfte nie mehr in ihr Leben treten. Nicht so wie bisher. „Unsinn“, lachte Thea. Es klang hohl. „Natürlich wirst du Trainer. Das haben wir doch beschlossen.“ „Wir haben gar nichts beschlossen“, sagte Ronya leise und erhob dann ihre Stimme, damit auch die anderen sie unmissverständlich hören konnten. Theas Freunde waren in schockiertes Schweigen verfallen und warfen sich unsichere Blicke zu. Niemand verstand so ganz, was vor sich ging. Ronya am allerwenigsten. Sie wusste nicht, was sie sagen würde, bevor die Worte ihren Mund verließen, aber als sie es taten, waren es die einzigen, die sie in diesem Moment hätte sagen können. „Ich werde mich nie mehr von dir nachahmen lassen, Thea. Was mich betrifft, sind wir keine Schwestern mehr.“ Sie sah jedem der anderen Kinder in die Augen. Tommys Blick klebte förmlich an ihr, in einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Ihre Nackenhaare stellen sich auf. Ronya machte hastig auf dem Absatz kehrt und verließ den Park. Sie war kaum um die Ecke gebogen, da hörte sie schon die Schritte ihrer Schwester, die in schnellen Abständen näherkamen. „Ronny … Ronny, warte!“ Ronya wartete nicht. Sie ging weiter, bis Thea sie keuchend einholte und nach ihrem Ärmel griff, um sie festzuhalten. „Da-das kannst du nicht ernst meinen“, stotterte sie. Tränen glänzten in ihren Augen und ihr langes Haar war windzerzaust. „Wir haben i-in einem Monat Geburtstag! Wir sind Schwestern, egal, was du sagst, also warum … warum bist du so?“ Sie zerrte an Ronyas Ärmel. „Ich wollte doch nur für immer bei dir sein!“ Ronya riss sich los. Sie wollte Mitleid empfinden, wollte die Liebe zu ihrer Zwillingsschwester spüren, die sie bisher trotz aller Konflikte gefühlt hatte. Sie war verschwunden. „Du hast meinen Traum zerstört“, sagte sie tonlos und wandte sich von Thea ab. „Jetzt zerstöre ich deinen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)