Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Chris – Akt 3, Szene 2 ---------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung     Die erste Nacht im Theater schlief Chris schlecht. Sie war es von ihren Reisen inzwischen gewohnt, auf der Erde oder zumindest in einem Pokécenterbett zu schlafen, aber in einem fremden Haus zu übernachten fiel ihr sehr schwer. Sie schreckte bei jedem Geräusch auf und griff nachts immer wieder nach Pikachus Pokéball. Ihr Starter war ihr ein großer Trost und konnte sie mit seinen Streichen stets aufmuntern und beruhigen. Ihn nicht rufen zu dürfen, machte ihre Situation nur noch schwieriger. Nach einigen Stunden Hin- und Herwälzen entschied sie, dass es Zeit war, aufzustehen, auch wenn die Sonne noch nicht ganz aufgegangen war. Sie zog sich leise an, um Jayden nicht zu wecken, wusch sich im Bad das Gesicht und verließ auf leisen Sohlen das Haus. Kaum, dass sie an der frischen Luft war, atmete sie leichter und rief Pikachu. Ihr Starter materialisierte sich mit einem empörten Schütteln seines Pelzes und sprang sofort auf ihre Schulter, wo er es sich gemütlich machte und an ihrem Ohr zupfte. Chris lächelte und machte sich auf den Weg zum Pokécenter. Dank der Kämpfe gegen Trainer, die sie auf dem Weg nach Teak City bestritten hatte, besaß sie inzwischen wieder ein bisschen mehr Geld und erlaubte sich nach der Heilung von Pikachu, im Pokémarkt einige Tränke, Pokébälle und Müsliriegel zu kaufen. Seit ihrem Gespräch mit Blue in Orania City waren ihre Gedanken nur auf eine Sache fixiert: Stärker werden. Ihr Ziel, Ho-Oh zu fangen, war zwar dazugekommen, aber sie wusste selbst, dass sie bis dahin viel zu tun hatte. Sie schlenderte durch die schlafende Stadt und genoss die Stille und Einsamkeit. Pikachu dirigierte ihre Schritte mit seinem Ohrzupfen und so fand sie sich schon bald wieder auf Route 37 wieder, wo sie zusammen nach einem wilden Pokémon suchten. Pikachu warf sich in den Kampf gegen ein Vulpix, das sie aus dem Schlaf rissen. Das erste Problem war ihr Wissen. Pikachu war stark, aber wenn sie gegen Pokémon kämpfte, deren Typen und Attacken sie nicht einschätzen konnte, war sie ihrem Starter keine Hilfe. Damit kam sie zu ihrer nächsten Hürde. Ihr Team musste balanciert sein, wenn sie gegen Red gewinnen wollte. Sie hatte ein Elektropokémon, und den Platz für Ho-Oh musste sie freihalten. Lyra zufolge handelte es sich bei dem Legendären um ein Feuer-Flug-Pokémon. Sie würde also genau überlegen müssen, welche anderen Typen sie brauchte, und welche Rollen die Pokémon in ihrem Team übernehmen sollten. Und dazu kam noch das Problem mit den Persönlichkeiten! Obwohl Chris sich fühlte, als würde sie von all diesen zukünftigen Entscheidungen erdrückt, musste sie doch grinsen. Sie wollte so viele Herausforderungen. Dadurch würde ihre Leistung umso verdienter sein. Pikachu sprang steil in die Luft, um Vulpix` Attacke auszuweichen und griff seinen Gegner von oben mit seinem neu erlernten Donnerblitz an. Der Elektroschock traf Vulpix mit voller Wucht und ließ es besiegt zu Boden sinken. Pikachu kam freudig erregt auf sie zugesprungen und verpasste ihr durch seine Statik einen kleinen Schock, als sie es auffing. Chris hielt es trotzdem stolz in den Armen. Obwohl sie zwei Wochen regelmäßig gegen Trainer und wilde Pokémon gekämpft hatten, war Pikachu nur langsam stärker geworden. Chris fragte sich, ob sie den ersten Levelrausch hinter sich hatten und es von nun an immer härter werden würde, Pikachu zu trainieren. Sie betrachtete ihren Partner, dessen rote Backen vom Kampf knisterten und der genüsslich die Augen schloss, als sie sein Kinn kraulte. Und wenn schon. Sie war geduldig. Egal wie lange es dauern würde, ihr Team zu bauen und zu trainieren, sie würde nicht aufgeben.     Nach einigen Stunden Training knurrte Chris` Magen. Statt ihren Vorrat an Müsliriegeln anzufassen, machte sie sich auf den Weg zu einer Bäckerei und besorgte belegte Brötchen, die sie auf dem Weg zum Glockenturm mit Pikachu verspeiste. Der Turm selbst lag mitten im Wald, aber der Zugang war soweit Chris das erkennen konnte nur durch eine Art Vorhaus möglich, vor dem sie gestern Jens getroffen hatten. Der Arenaleiter hatte ihr geraten, sich mit den Mönchen in Verbindung zu setzen, wenn sie mehr über Ho-Oh herausfinden wollte. Sie schlängelte sich also zwischen den freiwilligen Helfern hindurch, die mit Schubkarren und Holzplanken beladen hin- und herliefen. Es war ein großes Treiben, das Chris so schnell wie möglich verlassen wollte, aber da entdeckte sie inmitten der anderen Menschen Jayden und ein Mädchen in ihrem Alter mit schwarzem Haar. Sie saß auf einem Dach und nahm Ziegel von Jayden entgegen, der wiederum auf einer Leiter balancierte. Chris dachte kurz darüber nach, ihn zu begrüßen, aber er schien in seine Arbeit vertieft zu sein und so ließ sie ihn in Ruhe. Sie würden einander am Abend wiedersehen. Bis dahin gab es noch viel zu tun. Am Eingang des Gebäudes blieb Chris stehen und sah sich den Türmechanismus genau an. Sie war immer noch peinlich berührt, gestern die Klingel nicht gefunden zu haben, deswegen nahm sie sich diesmal viel Zeit, bevor sie entschied, dass es wirklich nur einen Türklopfer gab. Pikachu sprang auf ihre Hand und half mit fröhlichem Fiepen beim Klopfen des Metallrings. Chris lächelte. Es tat gut, ihn wieder um sich zu haben. Es dauerte eine Weile, bis die schwere Holztür einen Spalt aufschwang. Ein kahlrasierter, alter Mönch in dunkelbrauner Kutte und runder Brille stand vor ihr und musterte Chris eindringlich. „Guten Tag“, begrüßte er sie schließlich. „Wie kann ich dir helfen?“ „Ich möchte mehr über die Legende von Ho-Oh erfahren“, erwiderte Chris sofort. Sie ließ diesmal außen vor, dass sie Ho-Oh eigentlich fangen wollte. Jaydens Warnung klang ihr noch im Ohr. Sie war ohnehin noch nicht bereit, diesen Schritt zu machen. Zuerst brauchte sie Informationen. Der Mönch schwieg lange. Er studierte sie so eingehend, dass Chris sein Blick allmählich unangenehm wurde. Schließlich aber trat er zur Seite. „Folge mir.“ Chris setzte einen Fuß über die Schwelle und spürte sofort, wie anders es in dem Gebäude war. Die Luft roch nach Kerzenwachs, altem Papier und Tee. Der Boden war frisch gewischt, alles sah ordentlich und gepflegt, aber alt und ursprünglich aus. Es gab kein elektrisches Licht. Ein Flur führte ein Stück geradeaus zu einer weiteren großen Holztür, die mit einem Vorhängeschloss gesichert war, und bog dann rechts ab. Zu beiden Seiten gingen Schiebetüren ab. „Was ist hinter der Tür?“, fragte Chris, als sie im Flur rechts abbogen. „Das ist der Durchgang zum Glockenpfad“, erklärte der Mönch, ohne aufzusehen. „Dort lang gehen jene mit reinem Herzen, die Ho-Oh im Glockenturm selbst huldigen wollen.“ Sie kamen einigen anderen Mönchen entgegen, die alle kahlköpfig waren, auch die Frauen. Der Mönch verneigte sich vor ihnen allen mit einer leichten Kopfbewegung, die von den anderen erwidert wurde. Schließlich erreichten sie eine halboffen stehende Schiebetür, durch die er sie durchlotste. Chris ließ sich auf ein Kissen sinken und sah sich neugierig um. Die Wände waren von der Decke bis zum Fußboden mit Regalen zugebaut, die randvoll waren mit alten Büchern, Schriftrollen und losen Papieren. Der Mönch ließ sich ihr gegenüber an den kleinen Tisch sinken und servierte ihr dort eine Tasse grünen Tee. „Was möchtest du über Ho-Oh lernen?“, fragte er, nachdem sie ihren ersten Schluck getrunken hatte. „Weshalb interessiert dich der Phönix?“ Chris zögerte. Die offensichtliche Antwort war, dass sie ihn fangen wollte, weil Gold Lugia besaß. Aber sie konnte sich denken, wie weit sie damit kommen würde. Stattdessen entschied sie sich für eine andere Wahrheit, und wählte ihre Worte sehr genau. „Ich weiß es nicht“, gestand sie. Der Mönch verzog keine Miene, deshalb fuhr sie fort. „Ich komme aus Kanto. Ich bin erst vor zwei Wochen in dieser Region angekommen, und habe da zum ersten Mal von Ho-Oh erfahren.“ Sie zögerte. Wie konnte sie dieses Gefühl beschreiben, das sie in der Pension überkommen hatte? Natürlich wollte sie das Legendäre fangen, weil es eine Herausforderung war. Aber darüber hinaus war da noch etwas anderes. Sie rang um Worte. „Es war wie … ein Ruf. Da war eine Verbindung. Ich wusste, dass ich zu Ho-Oh muss. Dass wir irgendwie zusammengehören. Anders kann ich es nicht erklären.“ Zum ersten Mal seit sie den Mönch getroffen hatte, entspannten sich seine Gesichtszüge. „Glaub mir, jeder Mönch in Teak City versteht genau, wovon du sprichst“, sagte er lächelnd. „Legendäre sind einsame Kreaturen, aber durch ihre Schönheit und Macht ziehen sie Menschen und Pokémon zu sich. Und manche von uns spüren diesen Ruf stärker als andere. Als ich als kleiner Junge Ho-Oh zum ersten Mal in meinem Leben erblickte, wusste ich, dass ich Mönch werden musste. Es gab keine andere Berufung, die mich so erfüllen würde. Es scheint, dass auch du den Ruf gespürt hast.“ „Ich will kein Mönch werden.“ „Und das musst du auch nicht“, erwiderte er lächelnd. „Du bist eine Pokémontrainerin. Das ist eine andere Art, einem Pokémon nahe zu sein, aber kann genauso ein Akt der Hingabe und Ehrerbietung werden. Aber alles mit seiner Zeit. Du bist hier, um zu lernen. Unter meiner Aufsicht darfst du hier deine Antworten selbst finden. Die Legenden, die sich um Ho-Oh ranken, sind mannigfaltig. Es wird viel Arbeit sein.“ „Das ist okay“, erwiderte Chris sofort und strich Pikachu über den gelben Kopf, das in ihrem Schoß eingedöst war. „Ich will mir die Antworten verdienen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)