Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Chris – Akt 2, Szene 4 ---------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung   Jaydens Schrei rang in Chris‘ Ohren. Sie rannte durch das spärlich erleuchtete Dunkel zu dem Erdbrocken, der sich durch die gesammelte Intensität der Höhlenbewohner von der Decke gelöst hatte, und ihrem wimmernden Freund, der am Boden lag. Chris fiel neben ihm auf die Knie und nahm die Situation in Augenschein. Jayden hatte Glück gehabt. Statt von dem Brocken begraben zu werden, hatte dieser nur seinen linken Fuß erwischt. Da es feuchte, zusammengedrückte Erde und kein fester Stein war, hatte sie außerdem Hoffnung, ihn wegschieben zu können. „Bleib ruhig“, sagte sie zu ihrem Freund, der schniefend nickte. Glutexo kam langsam angetrottet und stupste seinen Trainer mit dem Kopf an. Jayden lachte durch die Tränen und tätschelte seinem Starter den Hals. „Alles gut, Kumpel, halb so schlimm. Mach dir keine Vorwürfe.“ Chris stemmte sich unterdessen gegen den Erdhaufen, der bei dem Aufprall bereits leicht zerfallen war. Pikachu sprang an ihre Seite und warf sich mit einem Slam gegen den Brocken, während Chris schob, sodass die Erde vollständig zerbröselte und Jaydens Fuß freigab. Chris hockte sich hin und begann vorsichtig, die Schnürsenkel von Jaydens Wanderschuh aufzubinden und den Schuh auszuziehen. Jayden zischte und biss sich in die Faust, machte aber sonst keinen Laut. Glutexo stand weiterhin bedröppelt daneben und rieb sich an ihn. Als Schuh und Socke entfernt waren, betastete Chris den Knöchel mit sanften Berührungen. Jaydens Gesichtsausdruck sagte alles, während sie den Fuß in diese und jene Richtung drehte und die Knochen abtastete. „Es ist nichts gebrochen, glaube ich“, stellte sie nach einigen Minuten fest. Als kleines Mädchen hatte sie sich beim Klettern den Arm gebrochen und wusste noch genau, wie höllisch die Schmerzen und wie instabil ihr Arm danach gewesen war. Jaydens Fuß war eindeutig schmerzempfindlich, aber alles fühlte sich normal an. „Es tut aber verdammt weh dafür“, grummelte Jayden, der sich langsam vom ersten Schock erholte. Chris zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich ist dein Knöchel verstaucht. Wir sollten die Wunde kühlen, aber hier gibt es kein Eis, und zurückgehen können wir nicht. Wir müssen weiter nach Orania, bevor Roberta uns einholt.“ Jayden wurde bleich, nickte aber und begann sich aufzurichten. „Hilf mir mal, Glutexo“, forderte er und sein Pokémon ging leicht in die Knie, damit er sich an seiner Schulter hochziehen konnte. Auf einem Bein stehend sah Jayden sie an. „Ich, ehm, kann glaube ich nicht gehen“, gestand er. Chris seufzte. „Natürlich kannst du nicht gehen. Komm, steig auf. Glutexo, nimmst du unser Gepäck?“ Jayden öffnete den Mund um zu protestieren, aber Chris hatte bereits ihren Rucksack und Hut abgesetzt und stellte sich mit dem Rücken zu ihm und leicht in der Hocke hin. „Glutexo kann dir beim Raufklettern helfen“, fügte sie hinzu, als Jayden sich nicht rührte. „Ich—“ Er brach den Satz ab. „Danke“, nuschelte er schließlich und Chris spürte, wie er mit etwas Hilfe ihren Rücken erklomm. Sie umfasste seine Beine von unten und stapfte los, Glutexo mitsamt den zwei Rucksäcken und einem leuchtenden Schweif voran und Pikachu in der Nachhut. Es dauerte nicht lange, bevor Chris müde wurde und ihre Beine schlapp machten, aber sie erlaubte sich keine Pause, außer hin und wieder stehenzubleiben und ihren Griff zu justieren. Jayden sagte die gesamte Zeit über kein Wort und vergrub nur beschämt das Gesicht in ihren Haaren.     „Als ihr so lange gebraucht habt, habe ich mich schon gefragt, ob die Digdri euch erwischt haben. Wie ich sehe, hatte ich Recht“, sagte Blue, als sie viele Tage später in Orania City aus der Digda-Höhle kraxelten und völlig erschöpft vor ihm und Nicole zusammenbrachen. Jayden brach in Tränen aus und Chris starrte nur matt auf die beiden Trainer. Blue bedachte sie mit einem kurzen, enttäuschten Nicken, während Nicole nur Augen für Jayden hatte, bei dessen Anblick sie scheinbar nicht wusste, ob sie wütend oder mitleidig sein sollte. „Seit wann seid ihr hier?“, fragte Chris, der von dem tagelangen Marsch mit so viel Gewicht auf dem Rücken jeder einzelne Muskel wehtat. „Seit vier Tagen“, erklärte Blue. „Nachdem Schwester Joy aus Marmoria City uns Bescheid gab, dass ihr auf der Flucht wart, haben wir uns mit Roberta kurzgeschlossen. Sie hat den Ausgang in Marmoria bewacht während wir auf direktem Weg hergeflogen sind und auf euch gewartet haben.“ Er schüttelte den Kopf. „Der Digda-Tunnel hat nur einen Eingang und einen Ausgang, und er ist nicht gerade geheim. Ich weiß nicht, wie ihr an dem Zerschneiderbaum vorbeigekommen seid, aber als wir wussten, dass ihr hineingegangen wart, saßt ihr in der Falle.“ Chris nickte und erhob sich. „Jayden braucht einen Arzt“, erklärte sie. „Sein Knöchel ist stark geschwollen und er kann ihn immer noch nicht belasten.“ „Ich kümmere mich darum“, sagte Nicole und schob ihre kreisrunde Brille zurecht. Ihr blondes Haar hing lasch von der Hitze auf ihre Schultern. „Jayden und ich haben ohnehin ein Wörtchen miteinander zu reden, aber zuerst übergebe ich ihn Schwester Joy, damit sie sich die Verletzung ansieht.“ Jayden ließ den Kopf ergeben hängen. Er hatte aufgegeben. Ihre grandiose Flucht hatte nach fast drei Wochen ihr Ende gefunden. Blue rief sein Arkani, das sich in Kampfhaltung mit wild gesträubtem Fell und gebleckten Zähnen inmitten der Gruppe materialisierte. Es knurrte und blickte suchend in die Runde. „Kein Herausforderer heute, fürchte ich“, informierte Blue sein Pokémon belustigt. Arkanis Fell glättete sich und es ließ sich enttäuscht hechelnd auf den Bauch sinken. „Das ist Mari“, erklärte Blue. „Ich trainiere sie derzeit für mein Arenateam, aber sie muss noch etwas Zurückhaltung lernen.“ Mari bellte entrüstet. „Hier“, sagte Blue und reichte Nicole den Pokéball. „Sie kann Jayden zum Pokécenter tragen, dann muss er nicht die ganze Strecke humpeln. Gib ihr etwas zu trinken und ruf sie zurück, sobald ihr dort seid. Ich will nicht, dass sie Streit mit einem anderen Pokémon anfängt.“ Chris tastete nach ihrem eigenen Pokéball. „Gehen wir nicht mit?“, fragte sie. Nachdem ihre Tränke aufgebraucht waren, hatten Pikachu und Glutexo in der Höhle ihr Bestes gegen die immer neuen Horden von Digda und Digdri getan, waren aber schließlich beide besiegt worden und seitdem zu erschöpft zum Kämpfen. Den letzten endlos scheinenden Abschnitt des Tunnels war sie in völliger Dunkelheit vorwärts gegangen und hatte sich nur anhand von Jaydens Anweisungen orientiert, der von seinem Platz auf ihrem Rücken die Wände abtastete, um den Ausgang zu finden. Mehrfach hatten sie gestritten, weil Jayden darauf bestand, gehen zu können und nach kurzer Zeit doch wieder humpelte und kaum vorankam. Die Schwellung hatte sich daraufhin verschlimmert. Letztlich hatte er klein beigegeben und sich von Chris huckepack tragen lassen. Auf ihre Frage hin schüttelte Blue den Kopf. „Nicole wird alleine mit ihm reden“, erklärte er. „Wir können in der Zeit zu den Wiesen auf Route 11 gehen und du kannst mir die ganze Geschichte erzählen.“ Chris nickte abwesend, sah statt Blue aber Jayden dabei zu, wie er mit Nicoles Hilfe auf Arkanis Rücken kletterte. Jayden warf ihr einen letzten leidenden Blick zu, da richtete Mari sich auf und trabte los. „Langsam!“, protestierte Nicole und rannte hinterher. „Mein Pokémon ist verletzt“, gestand Chris schließlich und wandte sich wieder Blue zu. „Richtig, ihr müsst ziemlich was durchgemacht haben“, murmelte Blue und kramte eine grüne Sprühflasche aus seiner Tasche. „Hier. Das ist Top-Genesung.“ „Ich nehme keine Almosen an“, informierte Chris ihn. Blue stutzte, dann lachte er herzhaft. „Chris, du bist wirklich einzigartig. Sieh es als Entschädigung dafür, dass ich dich vom Pokécenter fernhalte. Deren maschinelle Heilung nimmst du schließlich auch kostenlos an, oder?“ Nach kurzem Zögern nahm Chris die Top-Genesung entgegen und rief ihr Pikachu. Blues Gesicht erstarrte. Pikachu sah mitgenommen aus, aber Chris fand nicht, dass es diese Art von Entsetzen rechtfertigte. „Mir sind die Tränke ausgegangen“, verteidigte sie seinen Zustand, während sie Pikachu heilte. Kaum dass die Top-Genesung wirkte, sprang die gelbe Elektromaus voller Tatendrang empor, kletterte auf ihrem Kopf und ziepte liebevoll an ihren Haaren. Chris konnte nicht anders. Sie lächelte. Blue riss sich aus seiner Starre. „Was? Oh nein, das ist es nicht, ich meine … es ist dumm. Es ist nur ein Pikachu wie tausende andere auch, aber ich habe keins mehr gesehen seit er … seit Red verschwunden ist. Ich assoziiere es sehr stark mit ihm.“ Chris sah ihn ernst an. „Was heißt assoziieren?“ „Oh.“ Er kratzte sich verlegen am Kopf. „Das ist, wenn du eine Sache siehst und sofort an etwas anderes denkst, dass du im Kopf damit verbindest.  Wenn ich also ein Pikachu sehe, denke ich sofort an meinen besten Freund, da das sein ikonischstes Pokémon war. Glurak war sein Starter, aber Pikachu hat Pokébälle verabscheut und ist ihm deshalb nie von der Seite gewichen. Verstehst du?“ Chris nickte. Dann machte sie kehrt und ging los in Richtung Route 11 im Osten. Der Pfad war gesäumt mit hohen Buchen, die etwas Schatten spendeten. Nach so langer Zeit in der Dunkelheit, umringt von Erde auf allen Seiten, genoss sie den Anblick der Natur in vollen Zügen. Blue folgte ihr gemächlich. „Weißt du, Chris“, sagte er lachend, „irgendwie erinnerst du mich an ihn.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)