Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Chris – Akt 1, Szene 4 ---------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung   Blinzelnd schob Chris ihren Strohhut zur Seite, um sich zu vergewissern, dass noch einige Stunden Sonnenlicht übrig waren. Sie wollte Vertania City so schnell wie möglich verlassen. Seit ihrer Lüge im Pokémarkt hatte sich tief in ihrem Bauch ein unangenehmes Ziehen breitgemacht, das nicht aufhören wollte. Ihre Entscheidung war getroffen, daran würde sich nichts mehr ändern, aber sie mochte den Gedanken trotzdem nicht, nun genau wie der Rest der Welt zu denjenigen zu gehören, die nicht das sagten, was sie meinten. Vielleicht gab es einen Unterschied zwischen Redewendungen und Lügen, den sie einfach noch nicht verstand. Schlecht gelaunt stapfte sie Richtung Westen. Die nächste Stadt war Marmoria City im Norden, hinter dem Vertania Wald, aber bevor sie dort hinkonnte, musste sie noch einen Zwischenstopp einlegen. Sie hatte etwas in Erfahrung zu bringen. Je weiter sie sich dem Stadtrand näherte, umso lichter standen die Häuser und desto größer wurden die Vorgärten. Einige ältere Paare und ihre Enkelkinder arbeiteten im Garten mit ihren Pokémon. Chris entdeckte Quapsel, die Blumen und Büsche mit ihrer Aquaknarre gossen, Myrapla, die durch das Gras tänzelten und hier und da einige Taubsi, die auf den Schultern ihrer Trainer gurrten oder an ihrem Haar zupften. Unwillkürlich griff Chris nach ihrem eigenen Haar, fuhr mit den Fingern ihren Pony nach. Bald würde sie ihn wieder schneiden müssen. Jetzt, wo sie daran dachte, kratzten die Haare auf ihrer Stirn sie ungemein, aber es war noch keine Woche vergangen. Sie durfte nicht ihren Rhythmus verlieren. Sie war bereits auf halben Weg zu Route 22, als ihr ein alter Greis geradewegs vor die Füße fiel. Erschrocken sprang sie zurück. Der Mann stützte sich stöhnend auf seinen runzligen Händen ab und tastete nach der Kaffeetasse, die ihm bei seinem Sturz aus der Hand gefallen war. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Chris entdeckte seine Brille, die einige Meter entfernt im Gras eines Gartens lag. Schnell hob sie die Brille auf und hockte sich vor den Alten. „Hier“, sagte sie und reichte ihm das leicht verbogene Gestell. Der Mann keckerte. Jetzt, da Chris so nah war, roch sie nicht nur das bittere Aroma des Kaffees, sondern auch den scharfen Geruch von Alkohol, der den Greis umhüllte. Angewidert zog sie die Nase kraus, half ihm jedoch auf die Füße, als er ächzend eine Hand emporstreckte, damit sie ihn hochzog. Kaum dass er die Brille wieder auf der Nase sitzen hatte, begutachtete er sie kritisch. „Wer bist du denn? Hab dich hier noch nie gesehen.“ „Ich bin Chris.“ „Bist du ein Junge?“ Er reckte den Kopf vor, bis er einem zerknautschten Schiggy ähnelte. „Nein.“ „Also heißt du nicht Chris, sondern Christina. Ist Chris dein Spitzname?“ Bei dem Namen stellten sich Chris´ Haare auf. Obwohl ihr Vater nicht hier war, konnte sie dennoch seine wütende Stimme im Treppenhaus hallen hören. CHRISTINA! Die Erinnerung schüttelte sie und sie machte einen Schritt zurück, weg von dem Alten und seinen trübblauen Augen. „Nur Chris.“ „Die Jugend heutzutage …“ Er hickste und wedelte mit der Tasse in seiner Hand. „Kaffee?“ „Ich trinke keinen Kaffee.“ „Kein Kaffee?“ Schockiert musterte er sie. „Aber wie?“ „Ich bin zwölf.“ „Aber … kein Kaffee?“ „Kein Kaffee.“ „Da soll mich doch … was willst du noch hier, husch, geh weiter.“ Chris war seiner Forderung gerade nachgekommen, da rief er sie wieder zurück. „Halt!“ Genervt drehte sie sich um. „Ich will wirklich keinen Kaffee.“ „Ja, ja, ist schon Recht.“ Er winkte ab.„Aber wo läufst du denn so spät abends noch hin? In die Richtung ist bald nur noch Wiese und dann kommt schon Route 22.“ Wieder beäugte er sie durch seine dicken Brillengläser. „Da lang geht´s zur Pokéliga und der Siegesstraße.“ „Da  will ich hin.“ „Bist du überhaupt Trainer?“, fragte er. „Noch nicht.“ „Was willst du dann in der Siegesstraße, Mädchen? Da bist du noch fünf Jahre zu früh.“ „Ich muss etwas wissen.“ „Ja, das ist schon löblich, aber was kann jemand wie du wissen wollen, das nur die Wärter in der Siegesstraße beantworten können?“ Chris biss sich auf die Lippen und befingerte ihren Strohhut. Sie mochte es nicht, mit Fremden über ihre Ziele zu reden. Selbst Jayden hatte sie nicht gesagt, was sie vorhatte, sobald sie Vertania City erreichten. Andererseits war der Mann alt und Bewohner der Stadt. Vielleicht konnte er ihr wirklich helfen. „Ich will wissen, was ich tun muss, um gegen Red anzutreten.“ „Red!“ Der Greis fiel fast um, so heftig lachte er. Hitze schoss in Chris` Wangen und Ohren. Sie hätte nichts sagen sollen. Abrupt drehte sie sich um. „Halt, warte doch! Tut mir leid, tut mir leid. Komm her, ich sage dir, was du wissen musst.“ Misstrauisch sah Chris sich um. „Schau nicht so, Mädchen, ich weiß, wovon ich rede.“ Er winkte sie zu einer nahen Bank, die vor einer Reihe gestutzter Hecken stand und ließ sich darauf nieder. Seufzend massierte er seinen Rücken, bis Chris neben ihm Platz genommen hatte. „Nicht viele wissen es, aber ich habe Red damals beigebracht, wie man Pokémon fängt. Ja, das habe ich. Nur dank mir ist er zu der Legende geworden, die er heute ist. Aber was rede ich von alten Zeiten. Wo Red jetzt ist, willst du wissen.“ „Ich will wissen, was ich tun muss, um gegen ihn zu kämpfen“, korrigierte Chris. „Einerlei. Nun, du hast es sicher mitbekommen, aber Red hat nach seinem Sieg in der Liga und nachdem niemand ihm das Wasser dort reichen konnte, das Plateau verlassen.“ „Warum hätte er Diener haben sollen, die ihm sein Wasser reichen?“ „Was für Diener? Wovon redest du?“ „Wovon redest du?“ Verwirrt schüttelte der Alte den Kopf, winkte jedoch ab, als Chris erneut die Stimme erhob. „Ist auch egal. Jedenfalls gab es wohl vor drei Jahren irgendeinen Kampf gegen diesen Jungspund Gold aus Johto, aber seitdem hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Von Gold in letzter Zeit übrigens auch nicht.“ Er sah in die Ferne. Chris hatte das Gefühl, als säße er nur noch zum Teil neben ihr, obwohl sie nicht wusste, wie das sein konnte. „Wenn du wirklich wissen willst, wo Red jetzt ist, oder wie du ihn herausfordern kannst, dann musst du mit jemandem reden, der ihn besser kannte als ich.“ „Und mit wem?“ Seine Augen fanden ihre. „Mit dem Arenaleiter von Vertania City natürlich! Blue Eich, Reds einstiger Rivale. Wenn jemand weiß, wohin es den jungen Red verschlagen hat, dann er.“ „Also sollte ich nicht zur Siegesstraße, sondern zur Arena gehen?“, fragte Chris und stand auf. Der Alte nickte. „Die Wärter dort werden dir nichts anderes sagen, wahrscheinlich sogar weniger. Willst du wirklich keinen Kaffee?“ Chris beäugte die halbvolle Tasse. „Doch“, stimmte sie nach kurzer Überlegung zu. Grinsend reichte der Mann ihr den Kaffee und sie nahm einen zaghaften Schluck. Er schmeckte bitter und würzig. Angewidert verzog sie das Gesicht. „Na los, nimm noch einen.“ Sie trank etwas mehr. Die dunkle Flüssigkeit brannte auf ihrer Zunge, aber der zweite Schluck war nicht so schlimm wie der erste. Vielleicht konnte sie sich an den Geschmack gewöhnen, aber warum sollte sie das tun? „Danke für die Hilfe“, sagte sie und reichte ihm den Kaffee zurück. „Es schmeckt nicht so grässlich, wie ich dachte.“ Lachend erhob sich der Mann ebenfalls. „Wenn du das schon mit zwölf sagst“, sagte er und ging an ihr vorbei zurück zu seinem Haus, „wirst du mal genauso darauf versessen sein wie ich.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)