Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Chris – Akt 1, Szene 2 ---------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung   „Also, wie hast du Max zum Weinen gebracht?“, fragte Jayden mit hinter dem Kopf verschränkten Händen. Chris stapfte unermüdlich vorwärts. Sie waren seit einigen Stunden unterwegs und trotzdem schaffte sie es partout nicht, Jayden abzuschütteln. Es war zwar angenehm, Gesellschaft zu haben, aber Chris traute Jayden nicht über den Weg. Jedes seiner Worte könnte eine Lüge sein, das Gegenteil von dem, was er eigentlich sagte. Er würde sich über sie lustig machen, genau wie alle anderen. „Er wollte sich verabschieden, dann hat er mich bedroht und ist gegangen“, antwortete Chris. Sie verstand das seltsame Verhalten ihres Klassenkameraden immer noch nicht. Jayden warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Da musst du was missverstanden haben. Was genau hat er gesagt?“ Chris, die die Unterhaltung schon wieder verdrängt hatte, versuchte, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. „Er wollte, dass ich mir die Arme und Beine breche“, sagte sie, erneut geschockt über die Brutalität. „Habe ich ihm irgendetwas getan?“ Jayden schwieg, während er nachdachte. Chris konzentrierte sich auf die Welt um sie herum. Die Bäume standen hier weniger dicht und selbst das hohe Gras hatte sich an die Ränder zurückgezogen. Der ausgetretene Weg staubte bei jedem ihrer Schritte. Trotz Jaydens Warnung vor den wilden Pokémon war ihnen noch kein kampflustiges über den Weg gelaufen. Die meisten schienen im Schatten der Bäume auf den kühleren Abend zu warten oder liefen desinteressiert an ihnen vorbei. Chris wusste nicht, wie Jayden die Sonne ohne einen Hut ertrug. Selbst mit der tiefgezogenen Krempe brannten ihre Augen. Die Hitze machte den ganzen Wald schläfrig. Jaydens plötzliches Lachen riss sie aus ihren Gedanken. „Er hat dich nicht bedroht“, presste Jayden mühevoll hervor, „das ist eine Redewendung. Hals- und Beinbruch. Es bedeutet Viel Glück.“ „Warum?“, fragte Chris, nun völlig verloren. „Das macht überhaupt keinen Sinn.“ Jayden dachte kurz nach. „Du hast Recht“, stimmte er zu und runzelte die Stirn. „Habe ich noch nie drüber nachgedacht.“ Chris schluckte ihre Frustration mit der Sprache herunter und ging stattdessen schneller. Ihre Wangen glühten. Warum konnten Menschen nicht einfach sagen, was sie meinten? Dann würde sie sich nicht so oft vor Fremden blamieren. Welche anderen Redewendungen hatte sie während ihres Gesprächs mit Mark—nein, Max—noch falsch interpretiert? Ihre Kehle machte zu und ihre Gedanken bewegten sich in Knoten vorwärts. Sie konzentrierte sich auf die Schritte, die sie machte. Eins, zwei, eins, zwei … „Was hast du jetzt vor?“, fragte Jayden. Chris empfand die Frage als zu allgemein und wartete schweigend, bis er neu ansetzte. „Willst du deinen Starter alleine fangen und dann die Liga herausfordern? Welches Pokémon möchtest du haben?“ Chris zuckte mit den Achseln. Sie wusste genau, was sie vorhatte, aber sie wollte nicht darüber reden, schon gar nicht mit Jayden. „Warum interessiert es dich?“, fragte sie und stopfte die Hände in ihre Hosentaschen. „Sobald wir Vertania City erreichen, trennen wir uns doch.“ „Ich seh‘ schon, das wird ein sehr gesprächiger Trip“, murmelte Jayden halblaut. Vielleicht glaubte er, Chris würde ihn nicht hören. Aber die Hitze hatte eine ungewöhnliche Ruhe mit sich gebracht und Chris verstand jedes Wort und ihr Gehirn drehte sich noch immer wegen ihres Gespräches mit Max im Kreis. Er sagte gesprächig, aber was Chris hörte war etwas Negatives. Sie presste ihre Lippen aufeinander und ging noch ein bisschen schneller, bis sie plötzlich rannte. Sie hatte es gewusst. Jayden war genau wie alle anderen. Sie musste von ihm weg. „Hey, hey warte!“ Doch Chris wartete nicht. Ihre Füße pochten in ihren viel zu heißen Wanderschuhen, ihr Hut flog halb von ihrem Kopf und— Sie stolperte über einen Vorsprung, der unter Gras begraben war und schrammte beim Sturz ihre Knie auf. Ohne auf den Schmerz zu achten, rappelte sie sich auf und rannte weiter, bis Jaydens Stimme und der Klang seiner Schritte hinter ihr leiser und leiser wurden und schließlich verstummten. Sie hörte erst auf zu laufen, als sie sich umdrehte und ihn nicht mehr entdeckte. Tief durchatmend verließ sie den Pfad und umrundete eine breite Buche, an deren Stamm sie sich herabsinken ließ. Sie zog ihren Strohhut tief ins Gesicht, bis er ihre Augen abschirmte und zog ihre Knie an. Sie war knapp an einem nervösen Zusammenbruch vorbeigeschrammt. Ruhe. Sie brauchte Ruhe und Distanz. Chris konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit vergangen war, als sie das Knirschen kleiner Steinchen unter festen Schuhen vernahm. Vorsichtig öffnete sie die Augen und drehte den Kopf. "Chris?", ertönte Jaydens Stimme. Er rief nach ihr. "Chris, es tut mir leid! Chris!" Wenn es ihm leid tat, warum hatte er es dann überhaupt gesagt? Warum entschuldigte er sich dauernd, anstatt einfach sofort das richtige zu tun? Chris zog an ihrer Hutkrempe, um sich zu beruhigen, das Stroh unangenehm und piksend und vertraut unter ihren Fingerkuppen. Es half ihr, zu sich zurückzufinden. Jayden war egal. Sie musste ihm nicht antworten, auch wenn er nach ihr rief. Sie konnte einfach hier sitzen und warten, bis sie bereit war, weiter zu gehen. "Chris, bitte!" Er klang flehend. Chris blendete seine Stimme aus. Nach einer Weile gab er auf. Oder er war außer Hörweite. Sie atmete erleichtert durch und zog ihren Rucksack aus. Sie wusste, was darin war, trotzdem überprüfte sie noch einmal den Inhalt. Ihre Schere, die zerkratzte Geldbörse, die zweifach gefaltete Karte, der Pokédex ihres Vaters, dessen Batterien nicht mehr funktionierten, ihre Wasserflaschen, die Energieriegel. Sie aß einen Riegel und trank einige Schlucke Wasser. Sie sah sich die Route auf ihrer Karte an. Sie zählte das Geld in ihrer Börse. Alles noch da. Erleichtert atmete sie durch. Alles war gut. Jayden war weg und sie hatte alles unter Kontrolle. Es dämmerte, als sie sich endlich bereit fühlte, weiter zu gehen. Ihr Hut erschwerte ihr die Sicht, aber sie wollte seinen emotionalen Halt noch nicht aufgeben, deshalb behielt sie ihn auf. Jetzt wo es dunkler war, erwachten allmählich die Pokémon, die den Nachmittag verschlafen hatten. Mondlicht reflektierende Augen blitzten im dunklen Gebüsch auf und Chris fühlte sich, als starrten alle Pokémon des Waldes sie an. Ihr Herz klopfte unangenehm gegen ihre Rippen, aber sie stapfte unbeirrt weiter. Plötzlich spürte sie ein Ziepen in ihren Haaren, unter dem Hut. Krallen? Sie hob die Hände, um zu verscheuchen, was auch immer sich auf ihrem Kopf niedergelassen hatte, als das Gewicht sich löste und ihr Strohhut mitsamt einigen Haarsträhnen gewaltsam von ihrem Kopf gerissen wurde. Ein dickes Taubsi flatterte in ihr Sichtfeld, sichtlich mit dem großen Hut in seinen Krallen kämpfend, und hielt auf den Himmel zu. "STOP!" Chris rannte hinterher und packte die Krempe des Huts, gerade rechtzeitig, bevor das Vogelpokémon ihn außer Reichweite tragen konnte. Es krächzte und zog fester. Chris zog nun mit beiden Händen und warf ihr gesamtes zwölfjähriges Gewicht gegen den Vogel, Fersen in den harten Erdboden gestemmt. Das Taubsi zog einige Sekunden lang, dann ließ es abrupt los. Chris fiel rückwärts und schlug hart auf dem Waldboden auf. Die Luft blieb ihr weg und sie rang nach Atem. Sie zog und zog und mit einem Ruck kam alle Luft zu ihr zurück und sie sog sie gierig ein. Vorsichtig setzte sie sich auf. Ihre Knie brannten von ihrem Sturz einige Stunden zuvor, ihr Rücken tat weh, ihre Ellenbogen waren aufgerissen. Sie fühlte sich elend. Aber sie musste Zeit wettmachen. Mit Jayden zu reisen, gefiel ihr nicht, aber sie verspürte auch das dringende Bedürfnis, nicht nach ihm in der Stadt anzukommen. Und so erhob sie sich wankend, zurrte ihren Rucksack und ihren Strohhut zurecht und stapfte vorwärts. Sie hatte ein Ziel und sie würde sich weder von Jayden, noch von wilden Pokémon davon abhalten lassen. Sie erreichte Jaydens Schlafstätte gegen Mitternacht. Er hatte ein kleines Lagerfeuer am Wegesrand angezündet, das bis auf die Kohlen heruntergebrannt war und schlief in einem Schlafsack daneben. Sein Mund war geöffnet und er schnarchte leise. Chris ging einige Meter neben ihm in die Hocke und beobachtete ihn. Wenn er schlief, war er harmlos. Keine Lügen, kein Lachen. Sie könnte weitergehen, ihn überholen, aber ihr ganzer Körper pochte und schmerzte und ihre Füße brannten und sie war so müde … Leise umrundete sie das Lagerfeuer, wischte die gröbsten Steine und Stöckchen vom Boden und knüllte ihren Rucksack als Kissen zusammen. Es war unbequem, aber sie hatte selbst entschieden, keinen Schlafsack mitzunehmen, deshalb war es okay. Sie schlief innerhalb von Minuten ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)