Rude Birds von Nekoryu (Forschungstagebücher) ================================================================================ Prolog: Widmung --------------- Gewidmet meinen Freunden Yare, Silver und Jones. Und natürlich Rude und Jack, ohne die das nicht möglich gewesen wäre! 18. Tag des 5.Zyklus im 98. Jahr Kapitel 1: Eintrag von Hazel Freebird; 3. Tag des 6. Zyklus im 87. Jahr ----------------------------------------------------------------------- Die Rude Birds gehören zu den größten Lebewesen auf diesen Planeten und sind offenbar die einzigen, die in dieser kargen Landschaft aus Geröll, Sand und Fels ohne Weiteres überleben können. Das beeindruckende an ihnen ist nicht, dass sie über ein Jahr lang ohne Wasser auszukommen (so sagt man), oder dem Umstand, dass sie der leicht erhöhten kosmischen Strahlung, die durch die Sonne dieses Systems durch das schwächere Magnetfeld dringt und uns nicht angepasste Lebensformen verbrät wie ein Würstchen über einem schwachen Kohlefeuer- sondern die absolut schwindelerregende Flügelspannweite von fast 13 *Ma'an! Ich finde das, nun beeindruckend! Manchmal fliegen sie über unsere Köpfe hinweg und haben in der Ferne die Größe eines fetten Schweines, sodass man meinen könnte, es wären ganz gewöhnliche Vögel in ganz gewöhnlicher Größe. Dann geben sie einen Schrei von sich und stürzen sich nach unten, um ein besagtes fettes Schwein zu erbeuten und 15 Leute haben mit Fackeln, allerlei Gerätschaften und viel Geschrei Mühe, einen Vogel in der Größe des großen Krans abzuwehren, um das panisch quiekende Häppchen entweder aus dessen Schnabel zu retten oder den Fang zu verhindern. Glücklicherweise gelingt das oft, doch die Rude Birds sind kluge Vögel und beginnen, meist tagelang über uns zu kreisen, andere anzuziehen, bis sie dann ihre Gelegenheit sehen. Leider nehmen sie dann nicht nur ein Schwein mit, sondern im Grunde genommen alles, was sich unvorsichtig vor die Tür traut.... Einen von den unseren hat es noch nicht erwischt, aber ich glaube, dass die Rude Birds an uns nicht als Beute interessiert sind. Iwahrscheinlich sind wir in ihren Augen zu wehrhaft und werfen nicht genug Fleisch ab, um die Mühe wert zu sein, sich mit uns herum zu ärgern. Trotzdem haben die Leute Angst vor ihnen und holen die Kinder rein, wenn sich ein Rude Bird über uns befindet. Es gibt viele Gerüchte, Theorien und Halbwahrheiten über die Rude Birds. Viele denken, dass sie ähnlich wie die Echsen hier ihren Urin in fester Form ausscheiden. Oder Wasser in ihren Zellen speichern können. Oder die halbe Zeit des Jahres schlafen und die andere Hälfte aufwachen. Das würde meiner Meinung nach keinen Sinn ergeben, da ich denselben Rude Bird schon mehrfach zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr beobachtet habe. Einen derartigen zyklusähnlichen Schlaf bei dieser fast gleichbleibend trockenen Umgebung und Hitze macht einfach keinen Sinn. Obwohl wir also nun schon fast 87 Jahre auf diesem Planeten leben wissen wir nichts über sie und es gibt- wie gesagt, mehr Gerüchte also wirkliches Wissen über sie. Wenn ich daran denke, dass wir mal ein Volk von neugierigen Entdeckern waren, die Wissen angehäuft haben wie die Räuber Gold in den Geschichten, macht mich das traurig. Ich habe also beschlossen, die Rude Birds zu erforschen und vielleicht auch von ihnen zu lernen, wie man in dieser kargen Landschaft überleben kann. Ich werde mir einige Methoden ausdenken, wie ich sie beobachten kann. Das geht aber nur, wenn ich die Hiji*² und die Ältesten um Unterstützung bitte. Denn niemand weiß, wo die Rude Birds schlafen, nisten oder wo auch immer sie sich aufhalten. Ich werde wahrscheinlich durch ein riesiges Gebiet ziehen und mit den marodierenden Stämmen, der Hitze, der Strahlung und den ganzen anderen nicht zu unterschätzenden Widrigkeiten klarkommen müssen. Und dazu brauche ich vor allem Hilfe. Wahrscheinlich werde ich sehr lange damit verbringen, die Ressourcen für die Strecke anzulegen und dann eine Art Kette bilden. Ich kann nur hoffen, dass es nicht zu weit weg ist. Aber ich sollte mich nicht in Spekulationen verlieren: das ist alles genauso vage wie die Rude Birds selbst zu beobachten.... Kapitel 2: Eintrag von Hazel Freebird; 9. Tag des 6. Zyklus im 87. Jahr ----------------------------------------------------------------------- Während ich mir Gedanken über eine mögliche Expedition- oder doch wenigstens eine kleinere Untersuchung- der Rude Birds mache, sehe ich jeden Tag einige über unseren Köpfen kreisen. Sie haben noch keinen Versuch gewagt, sich an unseren lebenden Vorräten zu vergreifen, aber das kann auch an der erhöhten Aufmerksamkeit liegen, die ihnen die Bewohner hier zukommen lassen. Und natürlich an den Feuern, die angezündet wurden.   Während die meisten hier nach oben sehen, um sich der gleichbleibenden Distanz der Rude Birds und ihnen zu versichern, schaue ich mit den Gedanken an mein Vorhaben nach oben. Obwohl Vorhaben vielleicht zuviel gesagt: es ist ist eine fixe Idee. Nachdem ich die letzten Tage damit verbracht habe, über diese nachzudenken, wurde mir klar, dass ich eine hohe Chance habe, dass es bei einer fixen Idee bleibt. Wie soll ich herausfinden, wo die Rude Birds leben? Oder zumindest die Distanzen ermitteln, die sie am Tag zurücklegen?   Während ich so nach oben schaue, höre ich den alten Tinder meckern, dass das blöde, hakenschnablige Federvieh wieder da ist, um sich seine letzten Schweine zu holen. Noch halb in Gedanken sah ich ihn an und antworte: „Eigentlich sind es nicht dieselben wie gestern. Ich glaube, sie waren vor drei Tagen das letzte mal da.“ Er sah mich verblüfft an und lächelte mich dann so an wie er seine naseweisen Enkel anlächelt und antwortete: „Für mich sehen die alle gleich aus.“ Ich empfand das aus irgendeinem Grund als Provokation, es machte mich wütend und traurig zugleich, dass er so dachte. Also lächelte ich ihn ebenso an und warf ihm ein „Ich wette, sie denken genauso über uns!“ zurück. Er sah verblüfft aus und lachte dann los: „Ja, das wette ich auch!“ und pattete mir auf den Kopf, während er an mir vorbeiging.   Es ärgert mich, vor allem ist er nicht der einzige, der so denkt. Aber lassen wir das, ich stehe vor dem Problem, die Sache irgendwie anzugehen. Ein paar Sachen, die ich brauche, wären wohl vor allen Dingen Vorräte an Essen und Wasser, auf mehreren Stationen verteilt. Wenn ich überschlage, wäre das ein sechsmonatiger Vorrat, den ich wohl nie genehmigt bekomme. Schlimmer noch, um unser Territorium zu verlassen brauche ich eine Genehmigung; von meinen Eltern und von der Hiji sowie vom Rat der Ältesten, auch, wenn ich als erwachsen gelte, bin ich immer noch Teil des Clans und kann nicht so einfach alles stehen und liegen lassen. Man erwartet von mir, meine Pflicht zu erfüllen und allen beim Überleben in dieser kargen Landschaft unter die Arme zu greifen. Die meisten sehen Wissenschaft nicht als eigenes Gebiet an, sondern sehen in ihr ein Werkzeug, besagtes Überleben zu erleichtern. Ich finde, das ist eine ziemlich einseitige Betrachtung, vor allem, wenn man bedenkt, dass es noch nicht so lange her ist, als unser Volk Wissenschaft und Forschung als Teil ihrer Kultur ansahen. Jeder erzählt Geschichten über Technologie, welche die Leute in die Luft erhoben haben und zu den Sternen haben reisen lassen. Es ist noch lebendig, da Die Alte Dame, wie das halb im Sand vergrabene Ungetüm aus leichten Metall und einem seltsamen Material, dass sich anfühlt wie feinpolierte Keramik, aber doch leichter als eben jenes, eben jenes ist, was uns vor fast 100 Jahren auf diesen Planeten brachte. Nun, meine Vorfahren. Ich selbst bin- wie meine Eltern, hier geboren wurden. Wir sind etwa 500 Menschen, 300 von ihnen sind entweder direkt hierher gekommen (wie unsere Ältesten) oder waren Kinder, als sie herkamen (wie meine Eltern). Alle anderen wurden hier geboren, obwohl einige wohl eher zu letzteren zählen, da laut der Chronik etwa 15 schwangere Frauen unter den Reisenden waren. Ich kann mir nur schwerlich vorstellen, was sie empfunden haben müssen: eine gefühlte Ewigkeit unterwegs zu sein, Monate-, vielleichte sogar jahrelang (Anmerk.: Die Schilderungen und Überlieferungen unserer Großeltern und Urgroßeltern unterscheidet sich hierbei drastisch) den Gefahren einer Reise zwischen den Welten ausgesetzt und einer ungewissen Zukunft entgegensehend. -[...]-*   Nachtrag 16. Tag des 13. Zyklus im 93. Jahr   Ich habe lange über diesen Absatz nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass es besser ist, diesen Teil erneut zu schreiben. Angenommen, jemand nimmt sich dieser Schriften an: aus den ein oder anderen Gründen. Angenommen, er tut dies in der Hoffnung, dass ich den ein oder anderen Hinweis oder Bemerkung gemacht habe. Angenommen, dies geschieht erst in 100 Jahren oder in 200. Was ist, wenn ich seine letzte Hoffnung dafür bin, weil sich in all der Zeit niemand darum gekümmert hat, eben diese Informationen- soweit sie erhalten geblieben sind- nieder zu schreiben? Was ist, wenn ich die einzige bin, die sich um irgendwelche schriftlichen Überlieferungen- sein es nur um die Rude Birds- bemüht habe? Ich kann mir die zerstörten Hoffnungen und Träume nur schwer vorstellen. Und irgendwie glaube ich, dass genau dieser Fall eintreten wird!   Denn selbst nach über 100 Jahren ist noch keiner der hier Ansässigen auf die Idee gekommen, diverse kulturelle Überlieferungen unserer Vorfahren- die schriftlich zu notieren. Auch wenn mein Hauptaugenmerk auf die Rude Birds liegt, so werde ich den ein oder anderen Nachtrag dazu nutzen, zumindest einige mir bekannte Details über das Leben unserer Vorfahren und unser jetziges Leben zu notieren. Das ist nicht viel und ich weiß nicht was davon Teil der reichen Legendenwelt ist und was Realität ist. Aber ich werde alle Daten, die mir bekannt sind, in dem ein oder anderen Nachtrag, in dem es mir sinnvoll erscheint, hinzuzufügen. Die meisten Informationen über unser Leben lassen sich sowieso anhand meiner Einträge entnehmen und das wenige, dass ich als wichtig zum ergänzen empfinde, werde ich (sofern nicht in den Einträgen geschehen) selbst hinzufügen.   Zumal es auch lästig sein dürfte, sich all meiner albernen Gedanken und Banalitäten zu ergeben. Auch wenn es sicher nicht an mir liegt, das zu beurteilen. Ich werde die Seiten, die ich entfernt habe, separat in einem Ordner sammeln, sofern sie nicht Teil meines Forschungsprozesses sind.   Nachtrag 17. Tag des 13. Zyklus im 93. Jahr   Wir sind Nachfahren einer Hochkultur, die in einen fernen Sonnensystem namens „Phoenix“ von einem kleinen Planeten- vielleicht auch Mond- aus eine fast 5000 Jahre anhaltende Zivilisation aufgebaut und gepflegt hat. Hierbei gibt es tatsächlich einige Schriften, die mir von der Hiji vorgelegt und übersetzt wurden. Viele von anerkannten Forschern aus den letzten Dekaden (etwa 600 Jahre umfassend) des besagten Mutterplaneten/- Mondes zusammengestellt und geschrieben. Für mich war es etwas ehrfürchtiges. Wir bekamen die Aufgabe, diese Dokumente zu erhalten und zu übersetzen, damit sichergestellt wird, dass zumindest die Abschriften erhalten bleiben. Leider kann ich durch meine Arbeit an und für die Rude Birds keine Zeit dafür entbehren, sodass ich diese Arbeit an Yare abgeben musste, die nun ihrerseits ein kleines Team dafür zusammengestellt hat, um diese Aufgabe zu bewältigen. Ihr ist es dabei untersagt, wissenschaftliche Deutungen vorzunehmen, um späteren Generationen die Basis auf irgendwelche unheilvollen Auslegungen zu nehmen. Yare befolgt diese Anweisung widerwilliger als das Schrubben der Steine der angrenzenden Felsen, auf denen die Rude Birds nisten. Sie hat bereits mehrfach Diskussionen ersucht, zumindest ein Buch führen zu dürfen, dass ihre Gedanken dazu enthält, aber die Hiji wehrt es vehement ab.   Ich kann die Hiji verstehen, wenn man die schwindende Grundlage für weitere Nachforschungen in absehbarer und weiterer Zukunft bedenkt. Allein in den letzten 10 Jahren ist bei uns einiges passiert, ich will mir gar nicht vorstellen, was in den nächsten 100 Jahren passieren- oder schiefgehen- kann.   Wenn ich es so recht bedenke, besteht die Möglichkeit, dass die Leser dieser Bücher nichtmal mehr Ar´jatji* sein werden, sondern eine andere Kultur, womöglich eine andere Lebensform. Vielleicht ziehen wir auch weiter und die Rude Birds werden- wie wir- ein Teil der Geschichte […]   Abgesehen von den vorhandenen Schriften, die der Hiji vorliegen und laut ihrer Aussage nur ein Bruchteil dessen ist, was sich in den alten Archiven befand, gibt es eine Menge überlieferter Gedichte, Geschichten, Sagen, Erzählungen ect. Yare wird schön zu tun haben, dass alles zusammenzutragen.   Zurück zum eigentlichen Sinn des Nachtrags: wie bereits erwähnt stammen wir von einem Volk ab, dass auf eine 5000 Jahre lange Geschichte zurückblicken kann. Hierbei muss man beachten, dass diese in 3 Teile geteilt wird: die Vorgeschichte (dieses Volkes), über das schon zur Zeit der Schriften, die Yare vorliegen, nur Erzählungen und Mutmaßungen existierten und es kaum belegte Quellen gab, die Zeit der Stille, eine Epoche, während ebenfalls keine Schriften existieren und die Epoche, die daran anschließt. Diese hat keinen Namen, hat aber ihrerseits ebenfalls eine subunterteilung, auf die ich später zu sprechen komme. Die 5000 Jahre sind hierbei eine wahnsinnige grobe Schätzung, denn es sind nur folgende Fakten bekannt: die Zeit vom Ende der Stille (Lei´ya*) bis zum Verlassen der Heimat meiner Vorfahren, was etwa 1500 bis 2000 Jahre sein dürften. Die Zeit der Stille wird in den Schriften mit 1000 Jahre angegeben, aber ich denke, dass ist nur eines symbolische Zahl, da schon Lei´ya bemerkt hat, das die Anpassung an die damalige Situation wesentlich gravierender gewesen wäre als die geringere Körpergröße und ein effektiveres Verdauungssystem. Sie selbst schätzte die Zeit auf etwa 100 bis 200 Jahre, was ein wesentlicher Zeitraum ist, um Die Zeit davor wird als Zeit der Ahnen tituliert. Über die Ahnen ist kaum mehr bekannt außer, dass sie selbst ihrerseits Reisende- oder Kolonisten- waren, die diese Welt unbewohnt vorfanden und sich auf ihr angesiedelt hatten. In allen Schriften wird die Vermutung beschrieben, dass die Welt der Ahnen wohl keine ausreichende Grundlage geliefert hat, um ihr Überleben weiter zu sichern. Vielleicht bestand ihre Kultur auch einfach darin, umherzureisen, sich zeitweilig auf anderen Welten anzusiedeln und dann weiter zu reisen. Niemand weiß es genau.   Fest steht jedenfalls, dass die Kultur der Ahnen so vollständig verschwand, dass sie kaum mehr als eine Erwähnung in der Geschichte wurden. Keine Ruinen, keine schriftlichen Überlieferungen, nichts. Es ist anzunehmen, dass es dem Ereignis, welches Die Zeit der Stille verschuldet hat, anzulasten ist. Die Zeit der Stille ist eine kleine Eiszeit, eine, in der die ganze Welt drauf und dran war, zu einer Eiswelt zu werden. Stürme von einer derartigen Heftigkeit, dass sie brüchiges Eis vom Boden riss und zersplitterte und zu kleinen, gefährlichen Geschossen werden ließ, scheinen keine Seltenheit gewesen zu sein. Auch wenn ich persönlich so etwas anzweifle, da ich es mir nicht vorstellen kann. Dazu Nahrungsknappheit, die zur Rückentwicklung der Kultur der Überlebenden führte, welche sich in Clans und Stämmen zusammenschloss und wahrscheinlich auch den Gegner zur nächsten Mahlzeit werden ließ, wenn die Sucher bei ihren Reisen in die Außenwelt weniger Erfolgreich zurückkehrten- das muss ein Leben knapp am Limit gewesen sein.   Der Name Zeit der Stille geht auf Lei´ya zurück, welche die Zeit zwischen den Stürmen als langanhaltend, friedlich und absolut still beschrieb. Die Stille war derartig absolut, dass sie gefährlicher war als der Sturm, da es zu Halluzinationen kommt, was den ein oder anderen Sucher mit Sicherheit nicht mehr nach Hause gebracht hat. Zudem herrschte anhaltende Dunkelheit, da der Himmel beständig verfinstert war, was die Kälte verursacht hatte.   Am Ende dieser Zeit muss der Himmel häufiger aufgebrochen sein, denn Lei´ya wird in allen der Schriften, welche die Hiji besitzt, folgendermaßen zitiert: „[...] Verlassen in der Dunkelheit/ Verloren in der Stille/ Allein mit einem Fuß in der Welt der Geister/ Mit der Trauer für mein schlagendes Herz/ Erhebt ich meinen Blick in die Dunkle Weite über mir/ Und ich sah nichts als/ Sterne[...]“. Alle Gelehrten beziehen ihre Deutung auf die spätere Schilderung Lei´yas, welche beschrieb, sie wäre einem Angriff verletzt entkommen und in ein Loch gefallen. Dabei muss sich sich das Bein gebrochen oder zumindest den Fuß schwer genug verletzt haben, um allein nicht mehr aus diesem herauszukommen und verblieb wohl mehrere Tage in der Kälte, ohne Licht, Wärme und den Elementen ausgeliefert, dort. Sie war mit Sicherheit dem Tod nah und wohl auch von Halluzinationen durch die Stille der Umgebung geplagt, was „Der Welt der Geister“ gleich noch eine weitere Bedeutung gibt. Wir haben eine ähnliche Umgebung hier: man muss nur einige Minuten schnurstracks gerade aus in die Wüste laufen, wo die flache Ebene ist. Man würde wahnsinnig werden. Und ich glaube, die Hitze wäre nicht die erste Ursache, die einem das Hirn im Schädelkasten herumdreht. In der Wüste gibt es genau 3 Dinge, die einem den Garaus machen, bevor ein hungriges Tier dazu kommt: Die Hitze, die Strahlung und die Halluzinationen. Schwer zu sagen, ob diese von ersteren beiden oder von der erdrückenden Stille kommt, die sich auf alles legt.   Das Ereignis beendete dann die Zeit der Stille und führte zur Entstehung des Freien Volkes; der Hochkultur, von der wir alle direkt abstammen. Es muss irrsinnig viele Aufzeichnungen über diese Zeit gegeben haben; angefangen von Lei´ye. Sie hat direkt zu Beginn jemanden beauftragt, schriftliche Dokumentationen über die Erinnerungen (!) jeder einzelnen noch lebenden Person über ihr Leben zu machen. Hatte diese Person Eltern oder Großeltern, die Geschichten an die nachfolgenden Generationen weitergegeben haben, wurden auch diese dokumentiert. Es muss der helle Wahnsinn gewesen sein! Von ihrer Voraussicht können sich meine Leute noch ganze Haxen abschneiden! Obwohl vermutet werden kann, dass einige wohl eher irrwitzige Geschichten erfunden haben dürften, habe ich eher den Verdacht, dass sie das eben nicht taten, da sie ihre eigene und direkte Vergangenheit als Teil ihrer Kultur ansahen und diese nicht verfälschen wollten. Wie bereits gesagt: Meine Leute sollten sich von Lei´yas Voraussicht Haxen abschneiden. Ach was, Haxen: ein Bankett, meine Güte!   Lei´ya wurde in späteren Erwähnungen zur ersten Großen Hoheitlichen Priesterin ernannt, sie selbst dürfte sich aber wohl eher als Stammesführerin gesehen haben. Wahrscheinlich entstand der Titel aber auch zu ihrer Lebenszeit und wurde von den Menschen benutzt und dann von ihrer Nachfolgerin zur Ehrung von Lei´ya angenommen und somit an alle nachfolgenden Anführer weitergegeben. Lei´ya bemühte sich um die Aufklärung der Ursache für die Zeit der Stille und kam zu dem Schluss, dass eine Kette an unglücklichen Ereignissen dazu geführt hatte, dass ein Stück des Mondes auf die Oberfläche knallte und der Einschlag zu einer vorherrschenden Dunkelheit und Kälteperiode führte. Unzählige Aufzeichnungen über Wandmalereien in Höhlen, in denen die Überlebenden des direkten Impacts Zuflucht gefunden und dann an Hunger und Kälte starben, haben ihr dazu Anlass gegeben.   Aus Lei´yas Schilderungen ist zu entnehmen, dass sie wohl in einen recht großen Stamm geboren wurde, der eine Art unterirdische Stadt bewohnte, welche auch in den Jahrhunderten nach ihr immer wieder Erwähnung findet, dann in Vergessenheit gerät und dann schließlich kurz vor dem Exodus wieder eine kurze Erwähnung hat. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um eine Art Bunker handelte, der vollkommen autark und autonom lief. Wenn dem so ist, muss es eine riesige Anlage gewesen sein, die nicht nur die Bevölkerung beherbergte, sondern auch einen Großteil der Nahrung lieferte. Sie beschreibt hunderte verschiedene Tier- und Pflanzenarten, eine Art Kuppel, in der durch Wasserenergie Licht produziert und ein kleines Ökosystem am Laufen gehalten wird. Überall müssen Pflanzen herumgestanden haben und in den dunkleren Bereichen hat man offensichtlich Pilze gezüchtet. Auf mich wirkt es wie eine Arche und die Tatsache, dass Lei´ya ein- bis zweimal erwähnt, dass die Sucher nur mit geringen Mengen an Vorräten zurückkamen und Wert darauf gelegt wurde, mit lebenden Tieren zurückzukehren, bestätigt das meiner Meinung nach. Auch einige Schriften, die ich bei der Hiji vorgelegt bekommen habe, kommen zu einem ähnlichen Schluss. Lei´ya hat während der 56 Jahre ihrer Regentschaft die meisten der kleinen Stämme unter sich vereint, sodass zum Zeitpunkt ihres Todes in etwa 3 große, 2 mittlere und 5 kleine Stämme gab. Die Größenverhältnisse werden hierbei an der Population gemessen.   Um die Datierung zu erleichtern, habe ich mich des damals vorherrschenden Systems bedient und das Jahr des ersten Lichtfestes (=jährliche Feier, welche Lei´ya als Ehrung des Sternenhimmels ins Leben gerufen hat) als Jahr 1 betitelt. Jahr 0 wäre somit der Tag, an dem sie den diesen das erste mal gesehen hat. Das dieses System gut funktioniert, sieht man an unserem.   Groß= 800+ Nei´yas Stamm hatte sage und schreibe 1346 Mitglieder. Diese Zahl konnte deswegen so genau ermittelt werden, weil von jedem Stammesmitglied ein Miji´ka- Eine Art Token, welches die Fürsprache in der anderen Welt bei den Geistern symbolisieren soll- mitgegeben wurde. Da diese Tradition übergreifend war (und man somit annehmen kann, dass es sich hierbei um eine Tradition der Ahnen handelt), konnten durch ähnliche Ereignisse bei den zwei anderen großen Stämmen jeweils 987 Mitglieder (Manih´ra, Jahr 68) und 863 Mitglieder (Asha´haru, Jahr 49) ermittelt werden.   Mittel= 500-800 Simu´hagi, (Jahr 50): 737 Shazan´dryu (Jahr 36): 643 Shami (Anmerkung: es handelt sich hierbei um den Nachfolger von Shanzan´dryu. Da Shami erst 68 Jahre später starb, handelt es sich für das Jahr 56 (Nei´yas Todesjahr) um einen geschätzten Wert. Der tatsächliche Wert ist unterstrichen.) 720 (Jahr104: 913)   Klein: 100/150- 500 Nicht überliefert 390 Jak´h 341 Izumani 290 Nicht überliefert : 203 Nicht überliefert: 182   Alles unter 100/150 wird als Hoak´hmi* bezeichnet.   Wie man sieht, ist die Schriftlage über Lei´ya überwältigend und es würde eine eigene Abhandlung bedürfen, diese fahcgerecht zu sondieren. Da ich Yare bereits damit betraut habe, werde ich mich hier auf das nötigste beschränken, für den Fall, dass ihre Aufzeichnungen verloren gehen.   Nachtrag 17. Tag des 13. Zyklus im 93. Jahr   Ich habe mit der Hiji ein Gespräch über Lei´ya gehalten und mich begeistert über die Sachlage und die Schriftfülle aus ihrer Zeit gezeigt. Die Hiji meinte, dass wäre nur ein Bruchteil von dem, was es an Schriften über Lei´ya gegeben hätte und womöglich noch geben könnte. Und das selbst das nur ein Bruchteil von dem wäre, was es an Schriften, die in der Geschichte des Freien Volkes verfasst wurden, in den Archiven gegeben hätte. Man hätte relativ spät angefangen, diese in Abschriften zu duplizieren und an die anderen Archive auf Na´an und anderen Planeten des Sonnensystems der Heimatwelt aufzubewahren. Viele davon wären unmöglich zu digitalisieren gewesen, weswegen man sie umständlich abschreiben musste. Sie selbst wäre auch nur im Besitz dieser Schriften, weil ihr Großvater, der das Große Archiv damals verwaltet hat, diese damals im Vorfeld beiseite geschafft hätte; auf einen Planeten, der im damaligen System vollkommen unbekannt gewesen wäre. Ihre Mutter wäre auf diesem Planeten geboren wurden, da sie sich für ein paar Jahre dort verstecken mussten. Ich sah mir diese Unmengen an Truhen und Kisten an, die in der Alten Dame lagerten und die allesamt Schriften enthielten und mag mir nur mit Ehrfurcht den Anblick der Bibliotheken und Archive vorstellen, in denen all die Geschichte und das Wissen des Freien Volkes gelagert wurden war. Was für eine Vorstellung! Kapitel 3: Eintrag von Hazel Freebird; 18. Tag des 6. Zyklus im 87. Jahr ------------------------------------------------------------------------ Ich bin zwar meinem eigentlichen Ziel, den Rude Birds näher zu kommen eben genau dieses nicht, jedoch habe ich mir die Zeit genommen, mir um die Ausführung des Ganzen mehr Gedanken zu machen. Da ich keine Ahnung über die Reiserouten der Rude Birds habe, aber sie in den letzten Tagen im Auge behalten habe, fiel mir eine gewisse Regelmäßigkeit in ihrem Erscheinen auf.   Wie bereits in meinem letzten Eintrag erwähnt, sind es immer dieselben, die vorbeikommen- aber sie sind nicht jeden Tag da. Vielleicht ist es für den Anfang zuviel verlangt, ihnen direkt vor den Schnabel zu klettern; vor allem, wenn ich nicht einmal so simple Fragen wie Woher kommen sie?, Wohin fliegen sie? Was machen sie dazwischen? beantworten kann. So wirklich sicher bin ich mir nicht, ob ich diese Fragen von hier beantworten kann, aber ich höre immer wieder die älteren darüber plappern, wie früher ganze Fischschwärme vom Ufer aus bei ihrer Migration beobachtet und genauestens dokumentiert wurden ist. Warum dann nicht auch die Rude Birds? Zumal diese bekanntlich wesentlich größer sind als kleine Fische.   Da es immer wieder dieselben sind, habe ich ihnen der Einfachheit halber Namen gegeben, sofern sie häufiger über uns hinwegflogen. Die „Dauergäste“ wären somit Old Boy, Black Sally, Silver Feather, Blue Tip, Nachtmar und Gloss. Neben dieser sechs, die regelmäßig über uns hinwegfliegen, konnte ich noch 3 weitere beobachten. Alle drei haben seltsame, weiße Punkte auf ihrer Brust und fliegen wie betrunken, was mir sorgen macht. Ich hoffe nicht, dass sie krank sind...   Meine Beobachtungen der letzten neun Tage (es handelt sich hierbei um Nachträge, da ich keine Lust habe, die Aufzeichnungen korrekt abzuschreiben) :   10. Tag des 6.Zyklus im 87. Jahr:   Der riesige, zerzaust wirkende Rude Bird mit dem bleichen, Schnabel und dem imposanten Ruf ist wieder zurückkehrt. Das letzte Mal habe ich ihn vor etwa 3 Tagen gesehen, wo er aus der anderen Richtung kam. Sein Ruf war nicht zu überhören. Wenn ich richtig liege, müsste die etwas kleinere, aber nicht minder imposante schwarze Erscheinung mit Schwingen auch bald auftauchen. Wenn ich es mir so recht überlege, erinnert er mich an den alten Tinder und der besagte alte Herr hat schon mehrfach misstrauisch nach oben geschielt. Als hätte er bereits eine engere Bekanntschaft mit diesem Rude Bird gemacht. Wenn dem so ist, müsste der Rude Bird in einem entsprechenden Alter sein- also so in etwa 50 bis 70 Jahre. Der Name Old Boy würde also super zu ihm passen.   Es ist ziemlich einfach, die Rude Birds zu beobachten, wenn man eine Camera Obscura und Zugang zu den Windflüglern hat. Durch die Projektion erkennt man viele Details, leider aber nie lang genug, um detaillierte Skizzen anfertigen zu können. Es ist also mehr als schade, dass Old Boy nur auf der Durchreise ist und nie landet... Er sieht ein wenig zerzaust aus, wie ein alter Herr, der aber noch rüstig genug ist, elegant durch die Lüfte zu fliegen und jedesmal einen markerschütternden Schrei auszustoßen, wenn unsere Siedlung in Sichtweite kommt. Und das scheint bei den Rude Birds verdammt früh der Fall zu sein.   Der zweite Dauergast trudelte zwei Stunden später ein, ließ sich aber ebenfalls nicht zu einer Pause erweichen. Im Gegensatz zu Old Boy ist er makellos schwarz. Eine wahre Schönheit. Der Höcker auf ihrem Schnabel ist wesentlich kleiner und reicht keinesfalls auf die Stirn hoch. Sie ist entweder deutlich jünger als Old Boy oder Old Boy ist tatsächlich ein „Boy“ und die schwarze Schönheit mit dem irisierenden Rückengefieder ist tatsächlich eine Dame von Welt. Mir gefällt der Gedanke zum einen, dass es hierbei tatsächlich um unterschiedliche Geschlechter handelt, zum anderen erlebe ich es hier bei vielen kleineren Tierarten wie zum Beispiel Schlangen, Echsen und Omar´yu's*, dass sich die Geschlechter äußerlich stark unterscheiden. Gerade bei den Reptilien ist das gang und gäbe.   Ich nenne den schwarzgefiederten Rude Bird also Black Sally. Ich hoffe hierbei, dass ich mich nicht Irre und Black Sally nicht irgendwann in Black Sam umbenennen muss. Sie flog einen schönen Bogen über uns hinweg, die Schweine unter ihr abtaxierend, ob eines unbewacht genug ist, es als Wegzehrung mitzunehmen. Das ist aber eigentlich nie der Fall, wenn Rude Birds in der Nähe sind, daher flog sie ohne Snack weiter.   Als nächstes flogen zwei weitere an uns vorbei, fast gleichzeitig und mit gehörigen Abstand zueinander. Den Abstand, den sie einhielten, machte es praktisch unmöglich, dass sie über unsere Siedlung hinwegflogen. Es war dementsprechend schwierig, sie zu beobachten, ohne in die Sonne zu blicken. Nach kurzer Zeit habe ich darauf verzichtet, da mir meine Augen wichtiger sind als die beiden Vorbeireisenden. Ich kann nur vermuten, dass es Jungvögel sind, vermutlich Geschwister, die sich wohl irgendwann trennen werden. Es würde zumindest Sinn machen, da sie stets zusammen fliegen, aber der Abstand zueinander recht groß ist. Aber auch möglich, dass sie durch den Abstand ein größeres Gebiet im Auge behalten. Vielleicht handelt es sich auch um ein Brutpaar. Der Gedanke gefällt mir, zumal auch sie unterschiedliche Federfarben haben. Mir fiel vor allem die seltsame, silberne Farbe des Brustgefieders und der Schwanzspitzenfedern des kleineren auf, was sehr untypisch ist, da Rude Birds in der Regel schwarzes Gefieder haben; mit höchsten ein paar helleren Abweichungen wie weiße Punkte oder einige Flecken auf Brust oder Kopfgefieder. Dieser hier hat jedoch ein wunderschön gestromtes Gefieder, welches in der untergehenden Sonne glänzt, als würden sich kleine Flammen in den Federn verfangen. Es erinnert mich ein wenig an das Diadem, welches die Hiji zum Fest der Alten Dame trägt, welches wir zur glücklichen Landung auf diesem Planeten feiern. Wobei wir wahrscheinlich feiern, dass wir noch leben und nicht im Laufe des vergangenen Jahres von der Oberfläche dieses Planeten verschwunden sind.... Ein wenig ironisch ist das schon...   Der andere ist schwarz, durchgängig, hat aber ein blaues Band an der Schnabelspitze. Das ist auffällig, da die Schnäbel der Rude Birds in der Regel eher erdfarben, grau oder beige sind. Manchmal gehen sie in dreckiges gelb. Aber außer dem zusätzlichen Horn um ihre Nase, welches von der Stirn zu ihren Augen ein rotes Dreieck formt, ist keine weitere Farbe auf ihrem Schnabel vorhanden. Bei diesem hatte ich das Glück, eine blaue Schnabelspitze zu erkennen. Ich werde die beiden also Silver Feather und Blue Tip nennen.   Diese beiden flogen gegen Abend über uns hinweg, ohne jedoch der Siedlung unter ihnen einen weiteren Blick zu widmen.   12. Tag des 6.Zyklus im 87. Jahr: Es war bereits spät in der Nacht und fast alle schliefen. Es war so spät, dass selbst die Gespräche der Nachtwache zu einem leisen Gemurmel wurde und schließlich abflachte und ganz ausblieb. Hin und wieder hörte man sie ein paar Worte wechseln, aber es waren einsilbige Gespräche. Wie immer hatte ich sehr lange damit zugebracht, mir das Hirn über die Rude Birds zu zermatern und versucht, meine Beobachtungen in einem Kontext zu bringen, bevor ich vor Erschöpfung einschlief.   Mein Schlaf muss von kurzer Dauer gewesen sein, denn auf einmal hörte man einen schrecklichen Schrei- ich weiß nicht, ob es einer der Wachen war oder das, was die folgende Aufregung verursacht hatte. Ich rannte, wie so viele von uns, zu den Außengängen um zu sehen, was passiert war. Was wir sahen wird die meisten wohl noch in ihren Alpträumen verfolgen:   Ein Rude Bird- der wahrscheinlich Größte, der uns jemals unter gekommen ist- stand umzingelt von Wachen und Fackeln nur eine Länge seines gewaltigen Schnabels entfernt vor dem Gehege mit den Schweinen des Alten Tinders. Man muss anmerken, dass er die fettesten in der ganzen Siedlung hat, somit ist es aus der Sicht des Rude Birds wohl ein lohnenswertes und damit logisches Ziel. Dieser Rude Bird allerdings war nicht wie die anderen. Zum einen jagen Rude Birds NIE während der Nacht. Sie sind auf die thermischen Strömungen angewiesen, da ihre Körper zu massig sind, um sich durch reine Muskelkraft in die Luft zu erheben. Zum anderen war sein Verhalten im gesamten anders, wie ich bald erklären werde. Er wirkte zerzaust. Naja, vielleicht nicht zerzaust, sondern aufgebläht voller Zorn, man möchte schon sagen, Kampfeslust. Sein Schnabel zeigte tiefe Kerben, die wie Trophäen eines großen Kriegers wirkten. Seine Augen glühten Rot im Feuer der Fackeln, nach denen er unaufhörlich und zum großen Entsetzen der Wachen- schnappte. Er schnappte nach allen und riss den meisten ihre Waffen aus der Hand, sodass sie erschrocken zur Seite auswichen. Mir fiel seine Narbe auf: diese Wunde hätte ihm leicht das Auge kosten können.   Dieser riesige, schwarze Vogel hatte einen Schrei am Leib, der allen das Blut in den Adern gefrieren ließ- selbst ich krallte mich an das Geländer und wagte kaum zu atmen. Ich kann nur nicht mehr sagen, ob vor Entsetzen oder vor Aufregung. Mir fiel auf, dass er weder von seinem mächtigen Schnabel als direkte Waffen gegen die Wachen Gebrauch machte (er schnappte niemals nach ihnen, es wirkte fast vorsichtig auf mich), noch schlug er all zu heftig mit den Flügeln um sich- höchstens, um ein wenig Wind zu machen und sie auf Abstand zu halten. Nie übte er einen gezielten Schlag gegen sie aus. Die Schweine indes waren bereits in wilder Panik und drängten sich gegen das Gatter; welches bald nachgeben würde. Dann brauchte es nur einen Haps und dieser riesige Vogel würde mit ein paar kräftigen Flügelschlägen auf und davon sein.   Der Alte Tinder ließ jedoch nichts auf sein Viehzeug kommen; während alle anderen erstarrt waren vor Angst, raste er johlend und gröhlend, auf einen Topf schlagen und unheimlichen Lärm machend, auf diesen riesigen Vogel zu. Das riss die meisten der Zuschauer aus der Lethargie: ein Schwein weniger bedeutete drei Monde lang kein Fleisch für sie. Schon bald war der Lärm von Töpfen und anderen ohrenbetäubend laut genug, dass es selbst diesen furchtlosen Vogel zur Flucht bewegten. Nicht ohne jedoch, dass er nicht TROTZDEM versuchte, eines der Schweine auf dem Rückzug zu erwischen. Doch hier begann das Problem: Wie bereits erwähnt, brauchen Rude Birds die thermischen Stömungen, um überhaupt in der Luft zu sein. Wissen die Götter, wie er überhaupt aus dem Nichts der Nacht auftauchen und dann auch noch so zielgenau landen konnte, ohne eben diese Strömungen. Vielleicht ist er einer der erfahrenen Flieger, welche auch die kleinste Resthitze in der Nacht ausnutzen kann, um eine kurze Strecke zurückzulegen. Aber hier, in der Siedlung, am Fuß der Schlucht, in der wir leben, gibt es keinerlei Luftströmungen während der Nacht. Wir soll also ein Vogel, der diese zur Flucht braucht, entkommen? Ich wollte gerade aufrufen, sie sollten ihn einfach ziehen lassen, da gab er einen weiteren dieser furchterregenden Schreie von sich, sprang nach oben und schlug sehr kräftig mit den Flügeln. So sehr, dass es jedes noch so kleine Staubkorn aufwirbelte und die Hälfte der Leute von den Füßen zog. Und noch während sie versuchten, sich wieder aufzurappeln und den sand aus Mund, Nase und Augen zu bekommen, flatterte dieser gewaltige Vogel von Felsvorsprung zu Felsvorsprung, bis er auf der „Nadel“ saß. Von dort oben konnte ihn niemand mehr schaden oder erreichen. Und als würde er das wissen, breitete er seine Schwingen aus, legte seinen Kopf zurück und gab einen markerschütternden Schrei von sich, der klang, als würde er uns alle auslachen. Wäre er ein Monster aus einem Alptraum, dass ein unheilvolles Lachen von sich gibt, so wäre dieses direkt aus dem tiefsten Kreis der Hölle entstanden. Jeder von uns hatte genug. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Die Hiji ordnete an, die Feuer zu entzünden und zu vergrößern. Die Wachen wurden verdreifacht (das war auch nicht schwer, denn keiner konnte mehr schlafen, solange dieser riesige, schwarze Vogel eine bösartige Lachsalbe nach der anderen von sich gab) und jeder starrte besorgt auf den Felsen und ließ den nächtlichen, unerwünschten Gast nicht aus den Augen. Der nahm das übrigens gelassen: er ruhte sich aus, indem er ein Nickerchen machte. Schließlich breitete er seine Schwingen aus und mit einem keckernden Lachen stürzte er sich vom Felsen, die thermische Strahlung der Feuer und seine gewaltige Muskelkraft als Motor nutzend, um noch vor Sonnenaufgang in der Nacht zu verschwinden. Was für ein cleveres, aber furchteinflößendes Bürschchen!   Ich denke, die meisten hier sind sich einig, dass sie DEN so schnell nicht wiedersehen wollten. Ich ließ es mir nicht nehmen, ihn Nachtmar zu nennen. Denn dieser dreiste Bursche kam in drei aufeinander folgenden Nächten wieder, landete auf den Platz, machte ein mächtiges Theater- was die Hiji veranlasste, wieder die Feuer zu entzünden und mehr Bewachung aufzustellen- und verschwand vor Sonnenaufgang; die Hitze der Feuer nutzend. Er blieb am vierten aus und wir- einschließlich mich selbst- waren froh darum. Nicht nur, weil ich wegen ihm kaum geschlafen habe, sondern, weil seine nächtlichen Besuche unsere Feuerholzvorräte BETRÄCHTLICH geschmälert hatten. Das bedeutete, dass alle jungen Leute und die alten, die es noch konnten, am Abend einen ganzen Monat lang losziehen und nachts in Schichten Holz schlagen und sammeln mussten, um die kommenden sechs Monde Regenzeit zu überstehen, in der die Luft so nass ist, dass kaum etwas trocknet. Glücklicherweise gelang uns das unter großen Anstrengungen. Ich hoffe, Nachtmar findet eine andere Siedlung- am besten eine der marodierenden Stämme- bei denen er sich vorstellen und die er zur Verzweiflung treiben kann. Im Nachhinein bin ich froh, dass er keines der Schweine abbekommen hat- er wäre wahrscheinlich noch häufiger vorbeigekommen.... Obwohl ich aus wissenschaftlichen Interesse weiteren Besuchen entgegenfiebern sollte, so ist jede Nacht ohne den Besuch von Nachtmar eine gute Nacht. Der Alte Tinder nickte bedächtig mit dem Kopf, als ich ihm von diesen Namen erzählte und er begann, ihn selbst zu verwenden, was die Verbreitung quasi vervollständigte.   Nachtrag, 16. Tag des 8.Zyklus im 87. Jahr:   Heute Nacht war er wieder da; er ließ sich jedoch nur auf die Nadel nieder und begann, die Nacht mit seinem furchtbaren Schreien, die wie das Lachen aus der Hölle klingen, zum Tag zu machen. Statt jedoch den Felsen praktisch zum Glühen zu bringen, behielten die Wachen ihn lediglich scharf im Auge und die Rufe: „Nachtmar ist wieder da!“ zogen durch die Gänge der Felsensiedlung. Da er mir den Schlaf raubte, nutzte ich die Gelegenheit und zog mich in den Windflügler zurück, um dort eine angemessene Zeichnung von ihm anzufertigen. Vom einzigen Rude Bird, der sich selbst in das Gedächtnis der Leute hier gebrannt hat. Es war auch nicht so schwer, wenn man bedenkt, dass meine Vorlage problemlos durch ein Fernglas zu sehen war. Er blieb gerade lange genug, bis ich seine Zeichnung vollenden konnte. Dann gab er seinen typischen Schrei von sich, breitete seine Flügel aus und stürzte sich von der Nadel, mit den Schwingen schlagend und sich in die Lüfte erhebend. Kurze Zeit später ging die Sonne auf.   Wenn ich meine Zeichnung betrachte und sie mit denen vergleiche, die ich von den anderen gemacht habe, fällt mir auf, dass etwas an Nachtmahr anders ist. Ich kann nicht genau sagen was, dazu müsste ich ihn aus der Nähe beobachten. Aber vielleicht ist dieses „Etwas“ die Erklärung dafür, wieso so er als einziger seinen wuchtigen Körper außerhalb der thermischen Strömungen des Tages nach oben erheben kann. Elegant sieht es jedenfalls nicht aus- eher, als würde ein unförmiges Gefährt, dass nur für den Bodeneinsatz gedacht ist, von einer unsichtbaren Kraft wieder und wieder nach oben geschlagen werden. Als würde man einen leichten Ball in der Luft halten wollen, nur, dass dieser schneller sinkt, als es einem lieb ist. Aufgrund der Tatsache, dass die nahende Regenzeit die Luft schwer wie Blei werden lässt, habe ich kaum noch Zeit, meinen Beobachtungen im angemessen Maß nachgehen zu können. Es werden bereits die Seile über die Schlucht gespannt, in der unsere Felsensiedlung eingebettet ist, um Plane um Plane sorgfältig darüber zu legen. Das künstliche Dach sorgt dafür, dass wir während der Regenstürme nicht absaufen, wenn man bedenkt, wo unsere Siedlung liegt. Sollte jemand nach uns mit dem Gedanken spielen, sich hier niederzulassen, rate ich ihm davon ab, wenn er nicht in der Lage ist, das sich vor dem Wasser zu schützen. Tatsächlich ist die Sonne oder die Strahlung nur dann gefährlich, wenn man sich zur falschen Zeit aus der Siedlung wagt und nicht achtgibt, wo man hinläuft. Das Gefährlichste ist das Wasser!   Aber ich muss weiter ausholen: Der Regen, der direkt über uns niedergeht, ist stark. Er würde problemlos die ersten drei Stockwerke der Siedlung überfluten- in einem Tag. Wenn man bedenkt, dass es fast acht weitere Monde so regnet oder regnen kann, wird einem klar, wieso wir so stark darauf bedacht sind, ein Dach über uns zu ziehen. Nun wäre es natürlich kein Problem, könnte das Wasser ohne weiteres abfließen. Aber hier liegt die Krux; und zwar zweifach. Die Felsen, in die die Siedlung geschlagen ist, muss man sich wie ein langgestrecktes, langgezogenes „O“ vorstellen, welches am oberen und unteren Ende aufgebrochen wurde. Die Öffnungen sind unterschiedlich groß und breit, die Breiteste besteht aus zwei Teilen, sodass es eigentlich drei Zugänge sind. In der Mitte des Größten steht allerdings der Felsen, auf dem Nachtmahr sich bei seinen Besuchen gern niedergelassen hat: Die Nadel. Es ist eigentlich ein stabiles Stück Felsen, das, würde man mit den Augen der Form Richtung Himmel folgen, kaum Anzeichen gibt, wie es zu dem Namen gekommen ist. Dann, auf etwa dreiviertel der Strecke, erscheint es so, als hätte jemand an den Seiten ringsherum etwas aus der Dicke gesägt. Ab diesem Punkt geht der Felsen kerzengerade und schmal nach oben und bildet eine seltsame Spitze, wie das Nadelöhr einer Nadel. Nachtmahr setzt sich in der Regel auf die Spitze, während seine Artgenossen sich tagsüber in den Schatten des Nadelöhrs einquartieren. Wissen die Götter, wieso wir nicht mehr Rude Birds hier sitzen haben. Aber ich schweife ab.   An diesen Öffnungen nun wurden sehr stabile Dämme gebaut, welche das ganze Jahr über sorgfältig gewartet und kontrolliert werden. Niemals hat sich ein Rude Bird auf einen der Dämme niedergelassen, da wirklich nichts und niemand auch nur in der Nähe dieser Dämme geduldet wird. Die Rude Birds, die gelegentlich auf der Nadel rasten, sind da eine Ausnahme. Wenn sie den Damm mit ihren Hinterlassenschaften treffen (was fast nie vorkommt), ist der Ärger zwar groß, aber es stellt ein geringeres Problem dar, als würden sie sich auf diesen Damm setzen. Ich selbst würde lauter schreiend als der Alte Tinder den Damm hochjagen und mich mit Nachtmahr persönlich anlegen, würde dieser sich auf den Damm setzen. Diese Dämme sind nötig, jedoch nicht nur, um marodierende Stämme draußen zu halten, sondern vor allem, um den Wassermassen zu trotzen. Dabei ist nicht der Regen gemeint, sondern das Wasser, was zusätzlich zum Regen aus dem Osten heranprescht. Wasser in einer Menge und Wucht, dass der schiere Druck des Wassers Knochen brechen kann. Während der Regenzeit versinkt die Wüste um uns herum in einer gurgelnden, schäumenden, tosenden, tödlichen Flut. Unsere Siedlung befindet sich in einem Wadi. Ein Wadi, dass so breit ist, dass es einem Ozean gleich kommt. Nur, dass man irgendwo in der Mitte eines tosenden Flusses ist.   Die Öffnungen des „O“s sind zumindest nicht in Fließrichtung, somit ist der Druck, der auf den Dämmen lastet, deutlich geringer als wenn er sich in Fließrichtung befinden würde. Glücklicherweise scheint die Öffnung für die Rude Birds zu schmal zu sein- aber man weiß ja nie.   23. Tag des 8.Zyklus im 87. Jahr:   Der letzte Rude Bird, der uns vor Eintreten der Regenstürme einen Besuch abstattete, wagte kaum, sich der Siedlung zu nähern. Sie erschien bei Sonnenaufgang, fast lautlos, bis sie einen Schrei ausstieß, der fast untypisch für Rude Birds war. Er klang seltsam melodisch, wie eine Frau mit einer sehr rauen Stimme. Es war nicht unangenehm, sondern verleitete alle Bewohner, einen Moment lang inne zu halten und nach oben zu sehen, woher dieses seltsame Geräusch kam. Und obwohl sie wieder in ihre gewohnte, argwöhnische Haltung zurückkehrten, wirkte es auf mich nicht, als würden die Schreie ihre Laune verschlechtern. Ich kann nicht viel über diesen Rude Bird sagen: Nachtmahrs Besuche haben ihren Tribut gefordert, dazu die Anstrengungen, meiner Pflicht der Siedlung gegenüber gerecht zu werden und angemessen zu arbeiten; das alles hatte mich unendlich müde gemacht. Ich muss eingeschlafen sein und trotz ihrer lauten Stimme bemerkte ich sie erst, als sie schon fast an uns vorbei war. Mir fiel sofort ihr Gefieder ein: wie es in der aufgehenden Sonne glänzte und schimmerte, als wäre es ein Edelstein. Ich nehme an, dass es sich hierbei ebenfalls um ein Weibchen handelt. Allerdings konnte ich es wegen der Entfernung, meiner Müdigkeit und dem Umstand, dass die Sonne doch gehörig blendete, nicht genau feststellen. Ich konnte sie auch nicht durch mein Fernglas beobachten, schließlich weiß jedes Kind, dass man nicht gegen die Sonne durch ein Fernglas sieht. Vor allem, weil niemand sonderlich erpicht darauf ist, blind durchs Leben zu laufen. Ich gehe also davon aus, dass sie eine noble Dame ist und habe ihr sicherheitshalber einen neutralen Namen gegeben: Gloss. Dann wurde die Luft zu schwer vor Feuchtigkeit, sodass auch stark anzunehmen ist, dass die Rude Birds bis auf weiteres nicht mehr fliegen werden. Eines ist klar: das werden keine angenehmen acht Monde... Kapitel 4: Eintrag von Hazel Freebird; 3. Tag des 9. Zyklus im 87. Jahr ----------------------------------------------------------------------- 3. Tag des 9. Zyklus im 87. Jahr Nachdem die Luft die letzten Tage so schwer wurde, dass sie einem schier die Luft abdrückte, fiel heute der erste Regen. Es sind nur wenige Tropfen, verglichen mit dem, was noch auf uns zukommt. Zukommen wird. Ich kann aus der Ferne Die Zelle sehen. So nennen wir den Sturm, der auf uns zukommt. Die Regenzeit besteht hier nicht aus vielen Regengüssen, sondern aus einer riesigen Sturmzelle. Wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich nicht, dass diese einfach so entsteht. Es wäre gut möglich, dass sie, wie die Rude Birds, einer festen Route folgt und so jedes Jahr den Regen bringt. Aber bei allen Göttern, es ist ein echtes Monster! Ich kann mir gut vorstellen, dass niemand Die Zelle erforschen möchte, weil sie außer dem Regen noch etwas bringt: den Tod. Dabei untertreibe ich noch. Ich bin sicher, dass- wer auch immer dieses Tagebuch findet und liest- bereits einen heftigen Sturm erlebt hat. Einen, der Bäume umknickt, sie entwurzelt, dessen Blitze den Himmel erhellen und den Boden ein gutes Stück in Glas verwandelt. Einen, dessen Ausläufer schon schlimm genug sind. Wenn du, lieber Leser dieses Tagesbuches denkst, solche Stürme wären schlimm, stell dir all diese Stürme vor, die du erlebt hast, von denen du gehört hast, von denen du hören wirst. Von denen deine Vorfahren und deine Kindes-Kinder hören werden und die sie selbst erlebt haben. Stell dir alle diese Stürme in deiner Geschichtsschreibung vor, wie sie zu einem einzigen werden. Zu einem riesigen, schwarzen, pulsierenden Monster, dass du am Horizont kommen siehst. Das dort wie ein gefräßiges Ungeheuer lauert und doch jeden Tag einen Stück näher kommt. Dessen Blitze mehrere hundert Ma'an in den Boden eindringen und diesen in flüssiges Gestein verwandeln. Dessen Stürme Felsen in Bewegung bringen können. Dessen Regentropfen die Größe von Kühen haben. Und dessen Hagelkörner Felsen zerschmettern können. Ein Sturm, der so furchterregend ist, dass jeder, der seinen Verstand behalten möchte, seine Augen aus der Himmelsrichtung abwendet, aus der er kommt. Jeder, außer mir. Ich bin nicht verrückt. Oder furchtlos. Er jagt mir eine Scheißangst ein. Jede Faser in mir möchte in die Alte Dame springen und von hier zurück in die Sterne fliehen. Doch die Alte Dame fliegt nicht mehr, und der Sturm verschwindet nicht, wenn man ihn ignoriert. Im Gegenteil: es macht ihn gefährlicher. Was, wenn er direkt auf uns zurast? Ein Blitz, und wir sind alle vaporisiert. Einige Dutzend Regentropfen und unsere Siedlung ist überschwemmt. Einige Hagelbrocken und der schützende Felsen ist nur noch ein Haufen Sand. Der Sturm würde uns zerdrücken. Dieses Monster müssen wir meiden. Unter allen Umständen. Die Alte Dame kann nicht mehr in die Sterne fliegen, aber doch zumindest uns alle außer Reichweite bringen! Deswegen sitze ich seit dem ersten Regel auf den auf das Skelett heruntermontierten Windflügler und mache Aufzeichnungen anhand seiner Position. Mit der Nadel als y-Achse und Mittelpunkt eines Koordinatensystems und dem Horizont als x-Achse trage ich die Position anhand des Abstands dieses Monsters zur Nadel ein. Solange er nicht zu sehen ist, sondern nur der mächtige Amboss Die Zelle, befindet sich seine Position im Plus-Bereich der Y-Achse. Ist er vollständig am Horizont zu sehen, kommt er näher und ich trage seine Position in den Minusbereich ein. Je nach Position von der Nadel- also dem Nullpunkt meines gedachten Koordinatensystems her gesehen, gibt es einen Eintrag in plus- also rechts der Nadel- oder Minus. Das wäre dann Links davon. Die Seile, welche über unsere Siedlung gespannt werden, nutze ich als Abstandsmesser für die X-Achse. Bei der Y-Achse muss ich raten. Da jede kleine Abweichung eine Abweichung von vielen Kura'ama sein kann, hüpfe ich praktisch zwischen allen Windflüglern hin und her, schätze, messe, berechne. Die Menschen unter mir laufen aufgeregt wie Ameisen hin und her, treffen letzte Vorkehrungen. Die Plane werden gespannt und mit den Auffangrohren verbunden. Die Baumeister laufen hastig den Damm rauf und runter, prüfen jeden kleinen Fleck auf Risse. Alle sind nervös. Nur ich sitze praktisch jeden Tag, jede Nacht, auf einen der Flügler und starre zum Horizont. Die Beobachtungen meiner letzten Jahre zeigen, dass der Sturm eine Route am Horizont hat. Er kommt uns manchmal beängstigend nahe, glaube ich ich, aber er ist noch nie über einen bestimmten Punkt gereist. Falls jemand diesen Eintrag liest, irgendwann, irgendwer, hier meine Empfehlung: es ist absolut ÜBERLEBENSWICHTIG, Die Zelle zu beobachten! Falls dein Schiff noch existiert, beobachte dieses Monster aus dem All heraus. Verfolge seine Route. Jede Abweichung in den atmosphärischen Strömungen bedeutet eine Veränderung im Verhalten des Biests. Alles auf diesem Planeten wird von den Strömungen beeinflusst: Dieses Monster und jede noch so kleine Lebensform auf diesen Planeten. Dieses....Ding, Unbekannter, bringt das Leben und den Tod gleichermaßen. Wären wir ein primitives Volk: das wären die Götter, welche unsere Welt formten. Genauso wie die Sonne. Nachtrag: 3. Tag des 9. Zyklus im 87. Jahr Während ich diesen Eintrag so lese, fällt mir auf, dass ich ihn unbewusst in Kir'haya geschrieben habe. In unserer Grammatik ist Kir'haya eine Form des Schreibens, in dem alle Zeiten gleich sind. Laut der Hiji hatte das Freie Volk ein anderes Verständnis von Zeit. Wir nutzen es, wenn wir ausdrücken möchten, dass Gegenwart und Vergangenheit zeitgleich geschehen. So, wie ein Tagebucheintrag, der vergangenes beschreibt, was noch im Gange ist. Was jetzt, im Moment, die Gedanken des Sprechenden oder Schreibenden beeinflusst. Manchmal wird die Zukunft ebenfalls Teil des Augenblicks. Mi-Kir'haya ist es, wenn sich durch die Geschichte Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verschmelzen. Wir nutzen das Wort auch, um einen Moment völliger Klarheit auszudrücken, wenn Ereignisse einem Ablauf folgen, der wie einer seltsamen Logik folgt. Falls ich in Zukunft in dieses Muster zurückfalle, ist es entweder unsere spezielle Grammatik – oder ich erkenne ein Muster in Dingen über die Grenzen der Zeit hinweg. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich ein Rude Bird und in der Lage, über den Horizont zu sehen. Dann kann ich Die Zelle beobachten und mich und alle anderen von ihr fern halten. Im Moment kann ich nicht mehr tun, als den Verlauf für die nächsten Monate zu beobachten und mich mit Yare abzuwechseln. Und im Moment hält dieses Monster seine Route der letzten Jahre grob bei. Ich glaube, er kam uns direkt im 23. Zyklus gefährlich nah. Ich habe einige Ideen, wieso die Die Zelle so zuverlässig ist. Sollte sie tatsächlich einer festgesetzten Route folgen, wäre wir alle hier wesentlich ruhiger. Dann müssen wir uns nur darum kümmern, Daten aus Abweichungen auszuwerten und aus diesen dann die Ursachen für diese zu bestimmen. Einfach nur mit der Alten Dame zu fliehen, wenn dieser Sturm uns zu nah kommt, genügt nicht. Wir brauchen Vorräte, einen Unterschlupf, die Technologie und mehr! Vor allem brauchen wir mehr Wissenschaftler! Es ist immer gut, wenn nichts passiert. Aber ich mache diese Arbeit ja nicht nur, weil nichts passiert, sondern um frühzeitig etwas unternehmen zu können, falls etwas passiert. Und es muss auch jemanden geben, der weiß, wie diese Dinge funktionieren und sie nachbauen kann, für den Fall, dass wir tatsächlich fliehen müssen. Die Aufzeichnungen aus dem 23.Zyklus sind nicht verschlossen, aber jede Form von Forschung und Daten wird von der Hiji gesammelt, verwaltet und archiviert. Selbst, wenn sie sie mir bereitwillig gibt, wird es lange dauern, die zu finden. Und während der Regenzeit ist es eine schlechte Idee, diese Rollen aus gewachsten Papier hervorzuholen. Das Wachs auf dem Papier soll die Feuchtigkeit fernhalten. Vielleicht tut es das auch. Aber offen gestanden ist in den nächsten Tage und Wochen mit einer Luftfeuchtigkeit zu rechnen, die alles durchdringt. Es ist einfach ein widerliches Gefühl, wenn der Regen in der Luft hängt wie ein schwerer Dunst, große Tropfen zu Boden prasseln und absolut alles nass wird, selbst die Luft, die man atmet. Es ist schwer zu erklären, so etwas muss man selbst erleben. Jedenfalls ist es bedauerlich, dass in der Zeit, in der für mich die meiste Zeit für meine eigentliche Arbeit wäre, ich diese nicht nutzen kann. Es wäre dennoch schön, könnte ich diese irgendwie in irgendeinem trockenen Ort lesen, oder zumindest kopieren. Wenn ich die Aufzeichnungen aus diesem Jahr lesen könnte..... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)