Tagebuch eines Windläufers von Orakel737 ================================================================================ Kapitel 2: Was der Krieg uns lässt ---------------------------------- Valvarian betrachtete die von ihm erstandenen Frauen und Kinder mit gespielter Skepsis. Es waren zumindest keine Gesichter dabei, die ihm fremd waren, bis auf das eines Neugeborenen – was verständlich war. Die Geschichte des Kindes mochte vielleicht keine schöne sein, aber dennoch war es die Pflicht der Enklave für die Sicherheit des Kindes zu sorgen. Vielleicht würde die Mutter letztlich ja doch in der Lage sein das Kind zu lieben. Andernfalls konnten sie es zumindest im Tempel großziehen. „Entspricht alles eurer Zufriedenheit?“, fragte der Badehausbesitzer, der wohl noch ein wenig müde von der vergangenen Nacht war. „Ja. Wir reisen ab.“, kam die kurze Antwort. Der als Buchhalter getarnte Enklavenführer bedeutete seinem nun als gewöhnlicher Helfer – und nicht mehr als Priester – gekleidetem Freund Rokar, dass er die mit Seilen aneinander gebundenen Frauen aus der Stadt führen soll. Der Weg hinaus aus dem Westtor der Kaiserstadt Kyria gestaltete sich um diese Zeit als äußerst einfach. Nur wenige Menschen waren bereits auf den Beinen. Die meisten betrachteten die beiden so, wie Menschen Sklavenhändler nun mal ansahen, doch nur wenige spuckten aus oder murmelten etwas. Angst zeichnete die Mienen der Menschen. Sie alle litten unter dem, was aus Kyria geworden war, doch hatten sie keine Kraft zu fliehen. Bitterkeit und Frustration machten sich in Valvarian Geist breit. Sie alle würden noch viel mehr unter dem Leiden, was diesem Land noch bevor stand. Das Nordlicht lief auf Kurs das uralte Bündnis der Menschenkönigreiche zu zerbrechen. Seit Zeitaltern schon gab es das „Bündnis von Kyria“, einen Vertrag, welcher dauerhaften Frieden und militärische, sowie wirtschaftliche Unterstützung zwischen dem Kaiserreich Kyria, dem Ordensstaat Herakles, dem Stamm der Nordlinge aus Icewind, dem Wüstenreich Mauradon, sowie dem Großkönigreich Skarkra sicherte. Nun schien es, als ob dieses Bündnis bald brechen würde. Die Enklave hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Kaiser zu stürzen, ehe dieses tragische Ereignis einbrechen würde, doch die Zeit rannte ihnen davon, und sie waren gerade erst dabei ihre Armee aufzustellen. Am Tor angekommen lies man die Händler passieren, nachdem sie sich mit falschen Papieren ausgewiesen hatten. Noch wussten ihre Gefangenen nichts davon, dass sie gerade befreit wurden, und nicht etwa in der nächsten Hölle landen würden. Inständig hoffte Valvarian, dass keiner von ihnen einen Fluchtversuch wagen würde, der sie in die missliche Lage bringen würde verfrüht ihre wahre Identität preiszugeben. Erst nachdem sie mehrere hundert Meter vom Tor weg waren und auf eine weniger begangene Straße in den Südwald einbogen signalisierte Valvarian seinem Gefährten Rokar, dass er den Zug anhalten sollte. Erwartungsvoll wurden alle Augen auf ihn gerichtet, da er scheinbar im Begriff war etwas zu sagen. Bedauerlicherweise fielen dem jungen Mann in solchen Momenten allerdings nie die richtigen Worte ein, weswegen er den Hut abnahm, sowie seine schwere Robe ablegte. Nur noch in Alltagskleidung begannen erste Frauen Skepsis in ihren Augen zu zeigen. „Ich weiß nicht ob ihr mich noch erkennt.“, begann er dann. „Es ist einige Zeit her, seit wir uns das letzte mal gesehen haben. Es war bevor die Häuser Ashoka, Levisha, Nashinshi und Zakode vertrieben wurden. Wenn mein Bruder und ich uns nicht vertan haben, seid ihr alle Angehörige eines dieser Häuser gewesen.“ Nicken und Verwunderung machte sich unter den Frauen breit, einige begannen zu tuscheln. „Ich bin Valvarian Windläufer, euch einst bekannt als Kenji Ashoka. Sohn von Akio Ashoka und rechtmäßiger Erbe des Shogunats von Kenai. Mein Gefährte ist Rokar von Warritan. Wir beide dienen einer Gruppe an Rebellen, die sich unter dem Banner der Enklave Warritans auf Denklavi sammelt. Sofern es euch nichts ausmacht werden wir euch als Flüchtlinge nach Denklavi bringen. Eure Sklaverei ist beendet, ihr seid frei.“ Langes und betretenes Schweigen folgte seinen Worten. Dann begannen einige Frauen zu weinen. Eine lief zu ihrem Kind und nahm es in den Arm. Eine weitere trat langsam auf Valvarian zu. „Dann seid ihr gekommen, um uns zu retten?“ Angesprochener nickte. „Und unsere Männer?`“ „Denen konnten wir nicht mehr helfen.“, schritt nun Rokar ein. „Sie wurden in die Kohleminen gebracht. Von ihnen hat leider keiner überlebt. Ebenso wenig von den Kindern, die dorthin gebracht wurden. Es tut uns sehr Leid.“ Die Frau nickte. Viele andere ebenfalls. Die Zeit der Gefangenschaft hatte ihre Hoffnung bis auf den letzten Funken gebrochen. Diese Nachricht konnte sie nicht mehr schocken. „Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass ihr alle noch lebt.“, sprach Rokar die Frauen dann alle an. „Wenn ihr eure Männer rächen wollt kommt mit uns nach Denklavi. Dort erwartet euch nicht nur ein neues Leben, sondern auch die Möglichkeit die Rebellion gegen den Kaiser aktiv zu unterstützen.“ Nun machte sich zustimmendes Gemurmel unter den Frauen breit. „Folgt uns, wir zeigen euch den Weg!“, rief Rokar – und die Frauen antworteten mit Zustimmung. Zufrieden blickte Valvarian seinem Blutsbruder hinterher, welcher den Zug der Flüchtlinge nun anführte. Ein Glück, dass Rokar immer die richtigen Worte fand, falls es ihm selbst einmal nicht gelang. „Ich werde hinten laufen und aufpassen, dass nichts geschieht.“, ließ Valvarian noch verlauten. Es war ein guter Marsch quer durch den Wald und das Unterholz, ehe sie ein verborgenes Lager fanden. Die Wachen trugen keine Zeichen, nichts woran man eine Zugehörigkeit erkennen konnte. Vor ihnen lag das letzte Lager der Enklave im Südwald. Etwa vierhundert Flüchtlinge lagerten dort zurzeit. Und es wurde gerade abgebaut. „Wann laufen die ersten Schiffe aus?“, fragte Valvarian einen der Wächter. Angesprochener verzog die Miene, als ob er angestrengt nachdachte. „In zwei Stunden glaube ich.“ Nun nickte der Enklavenführer. „Dann sind wir ja gerade noch rechtzeitig gekommen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)