Kein anderer Weg von Kyo-chi ================================================================================ Kein anderer Weg ---------------- Beinahe lautlos trugen ihn seine Füße durch den langen, mit grell scheinenden und flackernden Deckenleuchten gesäumten Flur, an kalten, verdreckten Wänden vorbei zu den bereits abgenutzten und schmutzigen Treppenstufen, die den Weg nach oben säumten. Kurz blieb er stehen, sah die Stufen hinauf, hoch in die Dunkelheit, welche das Licht fast gänzlich verschlang, bevor er zu seiner rechten blickte, den alten, rostigen Fahrstuhl betrachtete, mit dem er schon so oft gefahren, in dem er schon einige Male stecken geblieben war. Er entschied sich dagegen das metallische Gefährt nach oben zu benutzen, sah stattdessen wieder auf die Treppe vor sich und betätigte den Lichtschalter, so dass die Dunkelheit verschwand. Er umfasste das abgewetzte Geländer, spürte das alte Holz, welches wie winzig kleine Nadelstiche in seine Haut stach. Und doch hielt er sich weiter daran fest, setzte schwerfällig einen Fuß vor den anderen, erklomm die Stufen, die so unendlich hoch wirkten, jede einzelne, nach und nach, auch wenn es ihm vorkam wie eine Ewigkeit. Irgendwann jedoch erreichte er den Ort, zu dem er wollte, die Tür, die ihm das Ziel seiner Reise verwehrte. Minutenlang blieb er vor dem weißen Holz stehen, betrachtete die gelben Bänder, die quer darüber bespannt waren, das Siegel, welches darauf aufmerksam machen sollte, was hier geschehen war. Sacht strich er mit seinen Fingern darüber, beinahe ehrfürchtig, andächtig. Doch dann riss er Bänder und Siegel einfach ab, schlug gegen die Tür, schrie - immer und immer wieder. Erst als er wütende Rufe vernahm, er wusste, dass ihn jemand gehört hatte, die Nachbarn vielleicht die Polizei alarmierten, verstummte er wieder, betrachtete ein weiteres Mal das, was sich vor ihm befand. Kein Ton verließ mehr seine Lippen und er zog einen kleinen Schlüssel aus seiner Tasche. Er betrachtete ihn, strich über den kleinen Anhänger daran. Es war sein Schlüssel, der Schlüssel, den er damals von ihm bekommen hatte. Mühlselig verdrängte er die Gedanken und steckte den Schlüssel in das kleine, silberne Schloss der Tür, drehte ihn herum. Kraftvoll stieß er die Tür auf, verharrte und schloss die Augen, als ihm ein bekannter Duft entgegenwehte - sein Geruch. Noch immer war die ganze Wohnung davon erfüllt, noch immer war es so, als wäre er noch hier, noch immer fühlte es sich so an, als wäre er niemals gegangen, noch immer war da der hoffnungslose Wunsch, dass er gleich vor ihm erschien. Ohne weiter nachzudenken, bemüht sich nicht von solch unsinnigen Wahnvorstellungen übermannen zu lassen, schloss er die Tür hinter sich, ging weiter in die Wohnung. Er machte sich nicht die Mühe seine Schuhe auszuziehen, betrat stattdessen die Küche, in der sie so oft zusammen gekocht, so oft gelacht und einfach nur Zeit gemeinsam verbracht hatten. Doch hier war nichts mehr. Ein paar Schränke, der Tisch, die Stühle, doch alles wirkte so leer. Nichts erinnerte mehr an die Zeit von damals, nichts erinnerte mehr an ihn. Und auch das Wohnzimmer besaß nichts mehr seiner einstigen Schönheit. Alles wirkte kalt und trist, so leblos und leer, seitdem er nicht mehr da war, seitdem nur noch diese Hülle, aber nicht mehr die Seele dieses Zuhauses hier verweilte. „Warum…?“, murmelte er leise, trat weiter in den Raum, strich über die Couch, auf der sie so oft gegessen, geredet und gelacht hatten, auf der sie so oft Filme und Serien verfolgt und bis spät in die Nacht herumgealbert hatten. Doch der Stoff war kalt - schon lange. Beinahe lautlos ging er weiter, hin zu dem großen Fenster, aus welchem er sah. Draußen dämmerte es bereits, der Himmel war in ein dunkles Orange gefärbt und die letzten Sonnenstrahlen brachten Wärme auf die Erde. Einige Laternen brannten bereits, erhellten die Straßen und Wege. Hier und da erblickte er Menschen, die noch schnell die letzten Einkäufe erledigten, hastig durch die Straßen liefen, einfach nur noch nach Hause wollten. Ohne es verhindern zu können oder zu wollen, richtete sich seine Aufmerksamkeit wieder auf den Sonnenuntergang, auf das kräftige Rot, welches nun den Himmel durchzog, alles so unwirklich erscheinen ließ, so schön. „War dies das Letzte, das du gesehen hast?“ Wieder nur ein leises Wispern. Sein Blick glitt zu Boden, zu dem Paar Schuhe, welches ordentlich und akkurat neben dem Fenster stand, noch immer unberührt, so wie sie hinterlassen wurden, noch immer so, als wäre es gerade erst passiert. „Warum?“ Ein Zittern nahm Besitz von seiner Stimme, welches er herunterzuschlucken versuchte. Er wollte nicht wieder schwach werden, nicht wieder weinen, wie er es in den letzten Tagen schon so oft getan hatte. Langsam hockte er sich neben die Schuhe, betrachtete sie und dachte zurück an die Zeit, als er noch da war, erinnerte sich an die Worte, die Mimik, die Gestik in diesem einem, für sie letzten Moment. „Warum, fragst du?“ Ein Lächeln legte sich auf seine trockenen, aufgeplatzten Lippen, als er diese Worte aussprach. Es war ein schwaches, mühseliges Lächeln, so gequält, dass es nichts mehr von seiner einstigen Schönheit besaß. Schmerz und Leid waren das Einzige, was er darin erkannte. „Weil es keinen anderen Weg mehr für mich gibt.“ Das Lächeln verschwand, machte einem anderen Ausdruck Platz, machte die Verzweiflung, die Angst, die Qual sichtbar, bevor er sich wieder zurücksinken ließ, seinen ausgemergelten, schwachen Körper in das Bett drückte, die Augen schloss, um nicht noch länger dieses sterile Weiß um sich herum zu sehen. Lautlos erhob er sich wieder, den Blick nach draußen in den Himmel gerichtet, bereit den Weg zu gehen, für den er sich entschieden hatte. Der einzige Weg, den es für ihn jetzt noch gab. Minutenlang sah er einfach nur auf die dunkelroten Wolken, auf das Violett, welches sich langsam ausbreitete, auf das dunkle Blau, welches nach und nach die Oberhand gewann, den Himmel beinahe völlig einnahm. Kein Ton kam über seine Lippen, keine Regung war zu erkennen. Doch dann lächelte er. Ohne zu zögern streifte er sich seine Schuhe von den Füßen, stellte sie zu dem anderen Paar. Noch einmal betrachtete er sie, genoss den letzten Moment, bevor er das Fenster öffnete und die bereits abgekühlte Abendluft tief in sich einsog. „Für mich gibt es diesen ebenfalls nicht“, hauchte er, noch immer das Lächeln im Gesicht, einen Entschluss gefasst, eine Entscheidung getroffen. Zufrieden schloss er seine Augen, dachte an die schöne Zeit zurück, an die gemeinsamen Jahre, an das was war und was vielleicht bald kam, spürte die Wärme, die ihn umfing, ihn nur noch mehr lächeln ließ. Dann ließ er sich fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)